BGH, 10.04.1986 - 4 StR 89/86
Zur Abgrenzung des fehlgeschlagenen Versuchs vom unbeendeten und beendeten Versuch.
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 12. November 1985 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Aus den Gründen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und mit fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und gegen ihn eine Maßnahme nach § 69 StGB verhängt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Der Angeklagte ist Inhaber einer Gaststätte, in der sich in den frühen Morgenstunden des 5. Januar 1985 seine frühere Lebensgefährtin E.B. und ein Gast - das spätere Opfer D. - aufhielten. E.B. lehnte es ab, sich von dem alkoholisierten Angeklagten nach Hause bringen zu lassen, und gab ihm zu verstehen, daß sie sich unter den gegebenen Umständen lieber von D. begleiten lasse. Mit diesem verließ sie gegen 4.30 Uhr die Gaststätte. Der Angeklagte, der "in bezug auf den Umgang" von E.B. "noch immer Vorrechte für sich ... reklamierte", war darüber wütend. Er verfolgte die beiden mit seinem Personenkraftwagen, fuhr an ihnen vorbei, wendete und entschloß sich in eifersüchtig wütender Gefühlsaufwallung, D. "über den Haufen zu fahren und auf diese Weise zu töten". Er fuhr gezielt auf den vor E.B. Stehenden zu, der vom Fahrzeug lediglich gestreift wurde, weil er sich im "letzten Moment mit einem Sprung ... nach links ... retten" konnte. Die hinter D. stehende E.B. die der Angeklagte in der Nähe wußte, konnte nicht mehr ausweichen; sie wurde vom Kühler des Wagens erfaßt und durch die Luft geschleudert. D. lief zu ihr und kniete sich neben sie. In diesem Augenblick stieg der Angeklagte aus seinem Fahrzeug aus und erkannte, daß sein Plan, D. durch Anfahren zu töten, "gescheitert" war. "Mindestens in der Absicht, ihn jetzt wenigstens körperlich fühlbar zu züchtigen, stürzte er sich von hinten auf ihn und würgte ihn mit beiden Händen am Hals". Nachdem es D. gelungen war, sich umzuwenden, drückte der Angeklagte erneut zu, bis es "D. schwarz vor (den) Augen wurde". In seiner Todesangst gelang es diesem, sich aus dem Würgegriff zu befreien und den nunmehr mit Fäusten auf ihn einschlagenden Angeklagten zu "überreden, die Tätlichkeiten einzustellen, damit man sich um die Zeugin B. kümmern könne".
2. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß der voll schuldfähige Angeklagte im ersten Teil dieses Geschehens durch seinen Versuch, D . zu überfahren, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1 StGB) begangen und zugleich den Tatbestand des versuchten Totschlags (§§ 212, 22 StGB) erfüllt hat. Ohne Rechtsfehler nimmt der Tatrichter darüber hinaus an, daß die beim Versuch, D. zu töten, verursachte Verletzung von E.B. als tateinheitlich begangene fahrlässige Körperverletzung (§ 230 StGB) - und nicht ebenfalls als versuchter Totschlag - strafbar ist. Wenn die Tat sich nämlich, wie hier, ohne Verwechslung des Angriffsobjekts an einem anderen Menschen (aberratio ictus, Fehlgehen des Angriffs) auswirkt, kann dem Täter, soweit die Wirkung des Angriffs auf das nicht in Aussicht genommene Opfer in Frage steht, der Vorwurf der vorsätzlichen Tatbestandserfüllung nur gemacht werden, falls er weiß, daß ein solcher Erfolg eintreten kann, und er diese Möglichkeit billigend in Kauf nimmt (h.M.: Schroeder in LK 10. Aufl. § 16 Rn. 9; Cramer in Schönke/Schröder, StGB 22. Aufl. § 15 Rn. 56; Dreher/Tröndle, StGB 42. Aufl. § 16 Rn. 6; Rudolphi in SK § 16 Rn. 33; Lackner, StGB 16. Aufl. § 15 Anm. II 2a cc, jeweils mit Nachweisen; vgl. auch BGHSt 9, 240 [242]).
3. Zutreffend hat die Strafkammer dargelegt, daß der mit dem Würgen des Opfers D. beginnende zweite Teil des Geschehens als gefährliche Körperverletzung (§ 223a StGB) in der Form einer das Leben gefährdenden Behandlung strafbar ist. Von einem darin möglicherweise liegenden Tötungsversuch ist der Angeklagte, wie die Strafkammer ohne jede nähere Begründung meint, strafbefreiend zurückgetreten. Kommt aber ein solcher Rücktritt tatsächlich in Betracht, dann hätte sich das Landgericht mit der naheliegenden Frage auseinandersetzen müssen, ob sich dieser Rücktritt nicht auch auf den vorausgegangen Tötungsversuch durch Überfahren erstreckt hat. Eine solche Erörterung wäre bei dem vorliegenden Geschehensablauf nur dann entbehrlich gewesen, wenn dieser Tötungsversuch rechtlich als fehlgeschlagen aufzufassen wäre. Dann hätte der folgende Angriff ohne weitere Darlegungen als neue Tat (gefährliche Körperverletzung oder Tötungsversuch) gewertet werden können. Insoweit ist aber die Urteilsbegründung unzureichend. Die bloße Feststellung, der Angeklagte sei aufgrund eines neu gefaßten Entschlusses tätig geworden, entbehrt der tatsächlichen Grundlage; sie versteht sich bei dem vorliegenden Geschehen nicht von selbst. Der Angeklagte kann durchaus in Fortsetzung seines einmal gefaßten Tötungsvorsatzes gehandelt haben, nachdem sein erster Tötungsversuch gescheitert war. Dazu ist folgendes auszuführen:
a) Der Bundesgerichtshof geht in seiner neueren Rechtsprechung - wie auch die herrschende Meinung in der Literatur (vgl. die Nachweise in BGH MDR 1985, 1039) - davon aus, daß es außerhalb des Anwendungsbereichs des § 24 StGB eine eigenständige Fallgruppe des fehlgeschlagenen Versuchs für Tatbestandsverwirklichungen gibt, in denen dem Täter die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts versagt ist. Wie diese im einzelnen abzugrenzen ist (vgl. Vogler in LK § 24 Rn. 23 ff; Herzberg in Festschrift für Günter Blau S. 97), hat er noch nicht umfassend und abschließend geklärt (dazu BGH JZ 1986, 303). In seinem Urteil BGHSt 33, 295 (dazu Puppe NStZ 1986, 14) hat der erkennende Senat die Frage der Abgrenzung offengelassen (ebenso in seinen Beschlüssen vom 10. Oktober 1985 - 4 StR 534/85 - und vom 3. Dezember 1985 - 4 StR 609/85). Er hat aber ausgeführt, daß jedenfalls solche Versuche nicht als fehlgeschlagen zu bezeichnen sind, in denen der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln noch vollenden kann. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat sich dieser Auffassung in seinem Beschluß vom 7. Februar 1986 - 3 StR 25/86 - angeschlossen. Er hat die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts in einem Fall bejaht, in dem der Täter zum Mittel des Würgens gegriffen hatte, nachdem sein Versuch, seine Ehefrau durch Verbrennen zu töten, gescheitert war. Anders war es in dem Fall des Urteils vom 12. September 1985 - 4 StR 415/85. Dort konnte ein Erpressungsversuch, dem ein fester zeitlicher als solcher nicht wiederholbarer Tatplan zugrunde lag, mit den eingesetzten oder zur Hand liegenden einsatzbereiten Mitteln nicht mehr vollendet werden. Die Tat war deshalb mit der Folge fehlgeschlagen, daß dem Täter die Möglichkeit des straffreien Rücktritts versagt blieb.
b) Fehlgeschlagen ist ein Versuch jedenfalls dann, wenn es dem Täter, was er weiß, tatsächlich unmöglich ist, im unmittelbaren Fortgang des Geschehens den Erfolg noch herbeizuführen. Entsprechendes gilt, wenn objektiv die Möglichkeit der Vollendung der Tat noch gegeben wäre, der Täter die Mittel, die er dazu benötigt, aber nicht kennt oder nicht verwenden kann, etwa weil er sie objektiv nicht beherrscht oder subjektiv zu ihrer Anwendung nicht in der Lage ist. Die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn die Vollendung objektiv unmöglich ist, der Täter aber der Meinung ist, er sei noch zur Vollendung in der Lage, stellt sich hier nicht. Liegt der Tat ein fester Plan zugrunde, so ist der Versuch fehlgeschlagen, wenn die Tat nach der Vorstellung des Täters nicht mehr planmäßig ausgeführt werden kann, vielmehr nur noch mit zeitlicher Verzögerung nach dem Ingangsetzen einer neuen Kausalkette vollendet werden könnte. Anders liegt es aber beim Einsatz eines bestimmten Mittels, wenn der Täter, wie er weiß, ohne zeitliche Zäsur sofort ein neues bereitstehendes Mittel einsetzen könnte (BGH, Beschl. vom 7. Februar 1986 - 3 StR 25/86 - und Urt. vom 18. Februar 1986 - 1 StR 640/85). Denn in solchen Fällen liegt dann in der Verwendung des neuen Mittels, auch wenn der Täter an dieses in der gedanklichen Vorbereitung der Tat nicht gedacht hat (etwa weil er ein Versagen des zunächst eingesetzten Mittels gar nicht in Erwägung gezogen hatte), lediglich die Festigung des Tatentschlusses, den er mit nacheinander zum Einsatz gebrachten Mitteln verwirklicht. Die Annahme, in solchen Fällen lägen zwei Taten vor, würde dann einen einheitlichen Lebensvorgang willkürlich auseinanderreißen.
c) Die Strafkammer hat sich mit der Frage, ob die gegen das Opfer gerichteten Handlungen des Angeklagten, nämlich ein Tötungsversuch durch Überfahren und der anschließende körperliche Angriff bei fortbestehendem Tötungsvorsatz, als einheitlicher Lebensvorgang angesehen werden können, nicht befaßt. Sie wäre zu bejahen, wenn der Angeklagte den Entschluß, den Zeugen zu töten, nach dem Scheitern des Versuchs, ihn zu überfahren, nicht aufgegeben, sondern ohne zeitliche Zäsur zum Mittel des Würgens gegriffen hätte. Eine solche Sachverhaltsgestaltung liegt nach den Feststellungen nicht fern. Denn der Angeklagte hat sich sofort auf das Opfer gestürzt, als er erkannt hatte, daß sein ursprüngliches Vorhaben, ihn durch Überfahren zu töten, gescheitert war. Er hat dabei nach den Feststellungen zumindest in der Absicht gehandelt, ihn jetzt körperlich fühlbar zu züchtigen. Diese Feststellung ("zumindest") schließt nicht zweifelsfrei (in dubio pro reo) aus, daß er in Fortsetzung seines ursprünglichen Tötungsvorhabens, - also nicht mit Körperverletzungs-, sondern mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Von diesem ist er dann später, möglicherweise freiwillig, wie das Landgericht meint, zurückgetreten. Ein solcher strafbefreiender Rücktritt würde sich dann auch auf den gesamten Lebenssachverhalt beziehen.
Aber auch dann, wenn der Angeklagte tatsächlich bei Beginn des Würgens nicht mehr mit Tötungsvorsatz, sondern nur noch mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt haben sollte, ist ein strafbefreiender Rücktritt vom Tötungsversuch nicht von vornherein auszuschließen, wenn der Angeklagte sofort nach dem Scheitern seines Versuchs, sein Opfer durch Überfahren zu töten, die Möglichkeit der Fortsetzung seines Tötungsversuchs mit anderen Mitteln (durch Würgen) erkannt, diese auch für realisierbar gehalten, aber auf die Verwirklichung freiwillig verzichtet und sich stattdessen dazu entschlossen hat, sein Opfer nur noch körperlich zu verletzen.
Anders wäre es allerdings, wenn der Angeklagte nach dem Scheitern seines ursprünglichen Tötungsplanes die Möglichkeit der Fortsetzung mit anderen Mitteln entweder gar nicht erkannt oder die Realisierung für unmöglich gehalten haben sollte, etwa weil er sich nicht in der Lage sah, einen Menschen durch Erwürgen zu töten. In diesem Fall wäre der ursprüngliche Tötungsversuch fehlgeschlagen, der anschließende Angriff wäre darin als neue Tat zu behandeln, selbst wenn sich der Angeklagte in seinein Verlauf doch wieder zur Tötung entschlossen hätte.
d) Entscheidend kommt es deshalb auf die Vorstellungen und Möglichkeiten des Angeklagten in dem Zeitpunkt an, in dem er erkannt hatte, daß sein Versuch, sein Opfer durch Überfahren zu töten, gescheitert war. Dazu und zu den weiteren Rücktrittsvoraussetzungen des § 24 StGB fehlen bisher ausreichende Feststellungen. Deshalb ist das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben.