BGH, 28.04.1987 - 5 StR 666/86
Was ein Beschuldigter einem Mitgefangenen erzählt hat, der auf Veranlassung der Polizei auf seine Zelle gelegt wurde, um ihn über das Tatgeschehen auszuhorchen, darf nicht verwertet werden.
Verwertbar ist dagegen die Aussage, die ein in der Hauptverhandlung vernommener Zeuge gemacht hat, den die Polizei auf Grund von Angaben des Beschuldigten gegenüber dem Mitgefangenen ermittelt hat.
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 18. September 1986 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum schweren Raub zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren beanstandet und Verletzung des sachlichen Strafrechts rügt, hat Erfolg.
1. Unbegründet ist allerdings die Rüge, die Strafkammer hätte die Aussage des Zeugen Y. über die Angaben, die der Angeklagte ihm in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt H. über die Tat gemacht hat, bei der Urteilsfindung berücksichtigen müssen. Diese Angaben sind auf unzulässige Weise herbeigeführt worden und dürfen deshalb im Verfahren nicht verwertet werden (§§ 136a, 163a Abs. 4 Satz 2 StPO).
Der Angeklagte befand sich in der Justizvollzugsanstalt H. in Untersuchungshaft. Auf Veranlassung der Kriminalbeamten N. und D. wurde der Untersuchungsgefangene Y. in diese Anstalt verlegt. D. "sprach ihn auf den Überfall auf A. in L. an und fragte ihn, ob er bereit sei, Hilfsdienste für die Polizei zu machen, um herauszufinden, ob der Angeklagte sich an dein Überfall beteiligt habe. Als der Zeuge Y. sein Einverständnis erklärte, weil er sich Vorteile für sein eigenes Strafverfahren versprach und er es im übrigen nicht gut findet, wenn man des Geldes wegen Menschen umbringt, gab der Zeuge D. dem Zeugen Y. ein paar taktische Anweisungen zur Hand, schärfte ihm ein, vorsichtig vorzugehen und ihn anzurufen, wenn er etwas Wesentliches herausgefunden habe". Dann wurde Y. auf die Zelle des Angeklagten gelegt. In den ersten Tagen gelang es ihm nicht, von dem Angeklagten etwas über den Überfall zu erfahren, obwohl er ständig vorsichtig versuchte, das Gespräch darauf zu bringen. Später konnte er sich u.a. dadurch, daß er auf Fluchtpläne einging, einen weiteren Raubüberfall vorschlug und anbot, anstelle des Angeklagten die Mitwirkung an dem Überfall bei A. auf sich zu nehmen, in dessen Vertrauen einschleichen. Der Angeklagte erzählte ihm Einzelheiten über das Tatgeschehen. Y. gab die erlangten Kenntnisse an D. weiter und sagte in der Hauptverhandlung über die Angaben des Angeklagten als Zeuge aus.
Diese Angaben sind unter Verletzung der §§ 136a, 163a Abs. 4 Satz 2 StPO zustandegekommen. Die Strafverfolgungsorgane haben die Freiheit der Willensentschließung des Angeklagten durch unzulässigen Zwang beeinträchtigt.
Zwar gelten die genannten Vorschriften unmittelbar nur für Vernehmungen. Sie sind aber entsprechend auch auf den Fall anzuwenden, daß Strafverfolgungsbehörden mit verbotenen Mitteln auf den Beschuldigten einwirken, damit er gegenüber einer Privatperson, die dann als Zeuge vernommen werden soll, bestimmte Angaben zu einer - im Zeitpunkt der Äußerung bereits abgeschlossenen - Tat macht (vgl. Boujong in KK § 136a Rn. 6; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 136a Rn. 13; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß 5. Aufl. S. 483 m.w.N.). So liegt es hier.
Der Angeklagte befand sich in Untersuchungshaft. Diese hat auch im Fall des § 112 Abs. 3 n.F. StPO den Zweck, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen (BVerfGE 19, 342 [349]). Sie darf nicht dazu mißbraucht werden, das Aussageverhalten des Beschuldigten zu beeinflussen, ihn insbesondere zu veranlassen, von seinem Schweigerecht (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 Satz 2, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) keinen Gebrauch zu machen.
Das ist hier jedoch geschehen. Der Angeklagte ist mit einem anderen Untersuchungsgefangenen, der von der Polizei den Auftrag erhalten hatte, ihn über den Raubüberfall auszuhorchen, in eine Zelle gesperrt worden. Dadurch haben die verantwortlichen Polizei- und Justizbehörden ihn gezielt Einwirkungen auf die Freiheit seiner Willensentschließung ausgesetzt, sich über die Tat zu äußern. Das an sich zulässige Zwangsmittel der Untersuchungshaft wurde so zu einem prozeßordnungswidrigen Zweck ausgenutzt. Das ist eine Zwangseinwirkung auf den Gefangenen, die vom Strafverfahrensrecht nicht mehr gedeckt und deshalb unzulässig ist (vgl. Boujong a.a.O. Rn. 29; Hanack a.a.O. Rn. 47; Müller in KMR 7. Aufl. § 136a Rn. 12; Kleinknecht/Meyer, StPO 37. Aufl. § 136a Rn. 20).
2. Dagegen beanstandet die Revision mit Recht, daß die Strafkammer die Aussage des Zeugen Hü. P. entgegen der Vorschrift des § 261 StPO nicht berücksichtigt hat. Nachdem der Zeuge Y. dem Kriminalbeamten D. gesagt hatte, ein gewisser Hü. habe mit dem Angeklagten einen Raubüberfall bei H. geplant, hat die Polizei Hü. P. ermittelt. Er ist in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen worden. Auch wenn der Zeuge P. erst durch die - unverwertbaren - Angaben, die der Angeklagte dem Y. in der Haftanstalt machte, gefunden worden ist, besteht für seine Aussage kein Verwertungsverbot. Eine so weitreichende Fernwirkung eines Verfahrensverstoßes wird nicht anerkannt. Wie der Bundesgerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, darf ein Verfahrensfehler, der ein Verwertungsverbot für ein Beweismittel herbeiführt, nicht ohne weiteres dazu führen, daß das gesamte Strafverfahren lahmgelegt wird (BGHSt 27, 355 [358]; 32, 68 [71]). Die Aussage, die ein Zeuge in der Hauptverhandlung macht, ohne durch verbotene Mittel (§§ 136a, 69 Abs. 3 StPO) in seiner Willensfreiheit beeinträchtigt zu sein, darf deshalb auch dann verwertet werden, wenn die Strafverfolgungsbehörden ihn nach Angaben des Beschuldigten ermittelt haben, die auf unzulässige Weise zustandegekommen sind. Eine solche Begrenzung der Auswirkung eines Verfahrensfehlers ist zu einer wirksamen Verbrechensbekämpfung und auch deshalb erforderlich, weil sich kaum jemals feststellen läßt, ob die Polizei den Zeugen ohne den Verstoß nicht auch gefunden hätte (vgl.BGHSt 32, 68 [71]).
Die vom Landgericht angeführte Entscheidung BGHSt 29, 244 steht dieser Ansicht nicht entgegen. Sie betrifft allein das in § 7 Abs. 3 des Gesetzes zu Artikel 10 GG aufgestellte Verwertungsverbot.
Auf der Verletzung des § 261 StPO kann das Urteil beruhen, weil nicht auszuschließen ist, daß die Verwertung der Aussage des Zeugen P. zu einem anderen Schuldspruch geführt hätte.
Die Entscheidung entspricht im Ergebnis dem Antrag des Generalbundesanwalts.