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BGH, 30.03.1993 - 5 StR 720/92

Daten
Fall: 
Zwei Schüsse
Fundstellen: 
BGHSt 39, 195; JR 1994, 466; JZ 1993, 1065; JuS 1994, 1009; MDR 1993, 670; NJW 1993, 1723; NStZ 1993, 386; StV 1993, 470
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
30.03.1993
Aktenzeichen: 
5 StR 720/92
Entscheidungstyp: 
Urteil

Stirbt das Opfer am Zusammentreffen der Verletzungsfolgen zweier Schüsse, von denen ein jeder auch allein zum Tod geführt hätte, so sind beide Schüsse ursächlich für den Erfolg (sogenannte alternativer Kausalität). Wurde dabei nur der erste Schuß mit Tötungsvorsatz abgegeben, so tritt die im zweiten Schuß liegende fahrlässige Tötung gegenüber der vorsätzlichen Tötung als subsidiär zurück.

Gründe

I.

Der Angeklagte, damals Rechtsanwalt, saß vom Nachmittag bis zum späten Abend mit seinem Duzbekannten und Mandanten S im Obergeschoß seines Einfamilienhauses, wo sich seine Praxis befand, bei Erörterung fachlicher Dinge und privater Angelegenheiten zusammen, wobei beide Männer Alkohol in beträchtlichen Mengen tranken. Außer ihnen war niemand im Haus. Gegen 22. 30 Uhr verabschiedete der Angeklagte seinen Mandanten im Obergeschoß oder an der Haustür; er nahm jedenfalls an, daß S das Haus verlassen habe. S blieb jedoch aus ungeklärten Gründen im Haus. Etwa zehn Minuten später vernahm der Angeklagte in seinem Praxiszimmer im Obergeschoß Geräusche aus dem Erdgeschoß und vermutete Einbrecher im Haus. Er nahm seinen geladenen Revolver, spannte den Hahn und trat, ohne weiteres Licht anzuschalten, an den oberen Treppenabsatz. Trotz der relativen Dunkelheit sah er auf dem unteren Treppenabsatz, gut drei Meter entfernt eine Person, die keine Bewegungen machte, aus denen "eine unmittelbare Angriffshaltung zu schließen war". Der Angeklagte erkannte nicht, daß dies S war. Er schoß auf die Person mit bedingtem Tötungsvorsatz und kehrte sogleich in die Zimmer im Obergeschoß zurück, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Der Schuß durchdrang Brustkorb und Rumpf des S von oben nach unten. Brustbein, Zwerchfell und Leber wurden durchsetzt. "S wurde durch diesen Schuß, der nicht sogleich tödlich war und bei alsbaldiger ärztlicher Behandlung möglicherweise hätte überlebt werden können, nicht aktionsunfähig". Er tastete sich ins Wohnzimmer. Etwa fünf Minuten nach dem ersten Schuß hörte der Angeklagte im Obergeschoß Geräusche aus dem Wohnzimmerbereich. "S war dort aufgrund der erlittenen Verletzung vermutlich in die Knie gegangen oder auch schon hingefallen". Der Angeklagte lief mit dem wieder schußbereit gemachten Revolver in der Hand die Treppe ins Erdgeschoß hinunter. Dort schaltete er keine Lichtquelle an. Er riß die Wohnzimmertür auf und schoß, ohne in das Wohnzimmer hineinzuschauen, in dieses Zimmer. Das Schwurgericht hat nicht feststellen können, "daß der Angeklagte eine Person im Zimmer gesehen und bewußt auf diese geschossen hat. Er hätte in seiner Situation aber erkennen können, daß jemand im Zimmer war und der Schuß diesen - auch tödlich - treffen konnte". Dieser Schuß drang durch Kinn und Hals des S, blieb im Rücken stecken und war "nach seiner Art ebenfalls tödlich" . S "starb an den vielfachen, durch die beiden Schüsse entstandenen Organverletzungen".

Das Schwurgericht hat den ersten Schuß als einen versuchten Totschlag nach §§ 212, 22 StGB bewertet und im zweiten Schuß eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB gefunden. Beide Schüsse hat es unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit zur Tateinheit nach § 52 StGB verbunden gesehen.

II.

Diese rechtliche Würdigung des festgestellten Tatgeschehens hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

1. Zu Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft, daß der Angeklagte nicht wegen (vollendeten) Totschlags verurteilt worden ist.

a) Die Feststellungen des Schwurgerichts sind in den hierfür wesentlichen Punkten eindeutig und - entgegen der Ansicht der Verteidigung - in folgender Weise zu verstehen: Jeder der beiden Schüsse war zunächst in dem Sinne tödlich, daß er für sich allein - also ohne Hinzutreten weiterer Umstände - zum Tod des Opfers geführt hätte. Das Opfer starb jedoch an den "vielfachen, durch die beiden Schüsse entstandenen Organverletzungen", also an einem Zusammentreffen der Verletzungsfolgen beider Schüsse.

Es ist also nicht zweifelhaft, welche von zwei in Betracht kommenden Handlungen den Tod herbeigeführt hat (vgl. zu dieser Fallgestaltung BGHSt 32, 25, 27; BGH, NJW 1966, 1823, 1824; BGH, GA 1958, 109; BGH, StV 1986, 59; BGH Urteil vom 31. Oktober 1978 - 5 StR 599/78 -; RGSt 70, 257).

b) Der erste Schuß des Angeklagten auf das Opfer war ursächlich für dessen Tod.

Nach der von der Rechtsprechung ständig angewendeten Bedingungstheorie (BGHSt 1, 332, 333) ist als haftungsbegründende Ursache eines strafrechtlich bedeutsamen Erfolges jede Bedingung anzusehen, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele. Dabei ist gleichgültig, ob neben dieser Bedingung noch andere Umstände zur Herbeiführung des Erfolges mitgewirkt haben (BGHSt 2, 20, 24; BGH GA 1960, 111, 112; RGSt 1, 373, 374; 66, 181, 184; 69, 44, 47). Allerdings ist in der Rechtsprechung wiederholt ausgesprochen worden, daß demgegenüber eine Unterbrechung des Kausalverlaufs dann vorliege, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung einer früheren Ursache beseitige und unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg allein herbeiführe (vgl. BGHSt 4, 360, 362; BGH NJW 1989, 2479, 2480; BGH NStZ 1985, 24; BGH GA 1960, 111, 112; RGSt 61, 318, 320; 64, 316, 318; 64, 370, 372; 69, 44, 47). Indes wurde in keiner der genannten Entscheidungen das Vorliegen eines solchen Falles angenommen (BGH GA 1960, 111, 112 vermißt hinreichende Aufklärung). Haftungsbegründende Ursächlichkeit des Täterhandelns wird nicht einmal dadurch ausgeschlossen, daß das Verhalten des Opfers (BGH StV 1993, 73; RGSt 77, 17, 18) oder - deliktisches oder undeliktisches - Verhalten eines Dritten zur Herbeiführung des Erfolges mitgewirkt haben (BGHSt 4, 360, 361 f.; 33, 322 [BGH 18.09.1985 - 2 StR 378/85]; BGH NStZ 1985, 24; BGH Urteil vom 6. Juli 1956 - 5 StR 434/55 -: "Gnadenschuß" eines Dritten, nachdem der Angeklagte durch seinen Schuß das Opfer tödlich verletzt hatte; RGSt 61, 318, 320; 64, 316, 318; 64, 370, 372 f.). Insbesondere aber ist in den Fällen, in denen der Täter nach einer tötungstauglichen Handlung eine weitere, hinzutretende Bedingung für den Tod gesetzt hat, auch die erste Handlung für den Tod ursächlich (BGHSt 7, 325, 328; 10, 291, 293 f; 14, 193, 194; BGH NJW 1989, 2480; vgl. auch BGH StV 1993, 75).

Dies entspricht auch der h. M. im Schrifttum. Dort wird das Problem unter den Bezeichnungen "alternative Kausalität", "Doppelkausalität" oder "alternative Konkurrenz" behandelt. Eine solche wird angenommen, wenn mehrere, unabhängig voneinander gesetzte Bedingungen zusammenwirken, die zwar auch für sich allein zur Erfolgsherbeiführung ausgereicht hätten, die tatsächlich aber alle in dem eingetretenen Erfolg wirksam geworden sind (Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. vor § 13 Rdn. 82). In diesen Fällen wird - mit unterschiedlichen Akzenten in den Begründungen - allen Bedingungen Ursächlichkeit für den Erfolgseintritt beigemessen (Jescheck in LK 10. Aufl. vor § 13 Rdn. 53; Lackner, StGB 19. Aufl. vor § 13 Rdn. 11; Lenckner a.a.O.; Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. vor § 13 Rdn. 18; Blei, Strafrecht AT 18. Aufl. S. 103; Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 192 ff.; Roxin, Strafrecht AT Bd. 1 S. 225 f.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT Teil 1, 7. Aufl. S. 250 ff.; a.A. Mezger, Strafrecht 3. Aufl. 1949 S. 116).

Danach hat der Angeklagte mit dem ersten Schuß nicht nur einen versuchten, sondern einen vollendeten Totschlag begangen.

2. Im Ergebnis ohne Rechtsfehler hat das Schwurgericht in dem zweiten Schuß, der eine weitere Ursache für den Tod des Opfers darstellte, eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB gefunden. Diese tritt jedoch gegenüber der vorsätzlichen Tötung als subsidiär zurück. ...

Die Bewertung des zweiaktigen Tatgeschehens durch das Schwurgericht als eine einzige Tat im Rechtssinne läßt an sich keinen Rechtsfehler erkennen. Die fahrlässige Begehung eines Delikts gegenüber der am selben Objekt begangenen vollendeten vorsätzlichen ist jedoch im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr ist die fahrlässige Begehungsform subsidiär (Stree in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. vor § 52 StGB Rdn. 107; vgl. auch RGSt 16, 129)."