BVerfG, 08.10.1963 - 2 BvR 108/62
Was in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, läßt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll.
Mit Rücksicht auf eine Ungleichheit der Sachverhalte erlaubt aber der Gleichheitssatz nicht jede Differenzierung; auch die Art der Differenzierung darf nicht sachfremd sein. Das heißt: Es muß sich aus dem Sachverhalt, den die differenzierende Regelung zum Gegenstand hat, gerade für sie ein sachlich vertretbarer Gesichtspunkt anführen lassen.
Beschluß
des Zweiten Senats vom 8. Oktober 1963
- 2 BvR 108/62 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Professorenwitwe Maria F..., Bevollmächtigte: Rechtsanwälte ..., gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Dezember 1961 - IV ZR 160/61.
Entscheidungsformel:
Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Dezember 1961 - IV ZR 160/61 - verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes; es wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
§ 19 Absatz 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes in der Fassung der Anlage zu dem Gesetz vom 23. Dezember 1955 (BGBl. I S. 820, 822) ist insoweit mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und deshalb nichtig, als er dem in § 15 dieses Gesetzes genannten Personenkreis die Kapitalentschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 31. März 1951 nicht gewährt.
Gründe
A.
I.
Das am 1. April 1951 in Kraft getretene Bundesgesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 11. Mai 1951 (BGBl. I S. 293) - BWGöD - enthielt in § 19 Abs. 1 folgende Vorschrift:
"Für die Zeit vom 1 April 1950 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes wird eine Entschädigung in Höhe der sich nach den §§ 10 bis 18 ergebenden Versorgungsbezüge gewährt."
Durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 23. Dezember 1955 (BGBl. I S. 820, 822) hat § 19 Abs. 1 BWGöD folgende Fassung erhalten:
"Für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes wird eine Entschädigung in Höhe der sich nach den §§ 10, 11, 12, 13, 17 und 18 ergebenden Versorgungsbezüge gewährt."
Das Wiedergutmachungsgesetz für Angehörige des öffentlichen Dienstes umschreibt in einem ersten Abschnitt den Personenkreis der Wiedergutmachungsberechtigten. Im zweiten Abschnitt "Wiedergutmachungsanspruch" werden in den §§ 5 bis 8 Voraussetzungen und Ausschließungsgründe des Wiedergutmachungsanspruchs bestimmt und in den §§ 9 bis 19 der Umfang der Wiedergutmachungsansprüche für Beamte je nach der Art ihrer Schädigung durch nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen geregelt. Im einzelnen regeln die §§ 9 bis 12 BWGöD Art und Umfang der den aus Gründen nationalsozialistischer Verfolgung entlassenen oder vorzeitig in den Ruhestand versetzten Beamten zustehenden Wiedergutmachung; § 13 BWGöD bestimmt, daß das sich nach § 10 Abs. 1 sowie den §§ 11 und 12 BWGöD ergebende Ruhegehalt auch der Bemessung der Hinterbliebenenbezüge zugrunde zu legen ist. Die §§ 14 bis 16 BWGöD regeln, und zwar je unter Bezugnahme auf die §§ 9 bis 13 BWGöD, die Ansprüche der Beamten, die in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt versetzt worden sind (§ 14), deren Beförderung, planmäßige Anstellung oder Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit unterblieben ist (§ 15) und die infolge Strafurteils oder Dienststrafurteils aus dem Dienst ausgeschieden oder entfernt worden sind (§ 16). § 17 BWGöD gewährt Ruhestandsbeamten sowie Witwen und Waisen, denen Versorgungsbezüge ganz oder teilweise entzogen worden waren, Anspruch auf Wiedergewährung derselben. § 18 BWGöD bestimmt, welches Beamtenrecht anzuwenden ist.
II.
Die Beschwerdeführerin erhält als Witwe eines Professors für Agrarpolitik und landwirtschaftliche Betriebslehre auf Grund eines Urteils des Oberlandesgerichts München vom 10. Mai 1961 ab 1. April 1951 diejenigen Versorgungsbezüge, die ihr zustünden, wenn ihr verstorbener Ehemann am 1. Juli 1940 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum ordentlichen Professor mit Dienstbezügen nach der damaligen Besoldungsgruppe H 1 b der Reichsbesoldungsordnung ernannt worden wäre. Das Urteil hat ihr dagegen eine Kapitalentschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 31. März 1951 versagt.
Der Bundesgerichtshof hat die gegen das Urteil des Oberlandesgerichts zugelassene Revision durch Urteil vom 6. Dezember 1961 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Nach der Neufassung, die § 19 BWGöD durch das Dritte Änderungsgesetz erhalten habe, könnten im Ruhestand befindliche Beamte oder deren Hinterbliebene, die einen Anspruch nach § 15 BWGöD haben, für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 1. April 1951 den Unterschiedsbetrag zwischen ihren auf Grund der Wiedergutmachung erhöhten und den ihnen ohne den Wiedergutmachungsanspruch zustehenden Bezügen nicht fordern. Das folge daraus, das in § 19 BWGöD auf § 15 BWGöD nicht mehr verwiesen sei. Auch in der Amtlichen Begründung zum Dritten Änderungsgesetz sei ausdrücklich gesagt, daß Personen, die nach den §§ 14 und 15 BWGöD wiedergutmachungsberechtigt seien, keinen Anspruch auf die Kapitalentschädigung nach § 19 BWGöD hätten. Die Neufassung des § 19 BWGöD verletze weder Art. 14 GG noch Art. 3 GG: Art. 14 GG sei nicht verletzt, weil der Beschwerdeführerin dadurch, daß § 19 BWGöD neu gefaßt worden sei, Rechte nicht genommen worden seien, die ihr vorher zugestanden hätten. Zwar habe der erkennende Senat in seinem Urteil vom 17. Dezember 1955 (RzW 1956, 94) für die frühere Fassung des § 19 BWGöD entschieden, daß der Anspruch auf Kapitalentschädigung auch dem nicht beförderten Beamten zustehe, der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in den Ruhestand getreten sei. Diese Auffassung sei aber nicht unbestritten gewesen, insbesondere habe sich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12. Januar 1960 (RzW 1960, 332) der Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht angeschlossen. Unter diesen Umständen habe die Neufassung des § 19 BWGöD nur eine zweifelhafte Rechtslage geklärt; darin könne eine Enteignung nicht gesehen werden. Art. 3 GG sei nicht verletzt, weil die Personen, die nach den §§ 10, 11, 12, 13 und 17 BWGöD wiedergutmachungsberechtigt sind, in einer anderen Weise geschädigt seien als die Personen, denen Ansprüche nach den §§ 14 und 15 BWGöD zustehen. Der zwischen diesen beiden Personengruppen bestehende sachliche Unterschied rechtfertige es, die ihnen zustehenden Wiedergutmachungsansprüche verschieden zu regeln.
III.
1. Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist der Beschwerdeführerin am 19. Januar 1962 zugestellt worden. Die Verfassungsbeschwerde ist am 19. Februar 1962 beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Mit ihr wird geltend gemacht:
a) Zu Unrecht meine der Bundesgerichtshof, seine Auslegung des § 19 BWGöD n.F. verletzte Art. 14 GG nicht, weil er lediglich eine zweifelhafte Rechtslage geklärt habe. Auch die sogenannte authentische Interpretation sei reguläre Gesetzgebung und wie jede Gesetzgebung an der Verfassung zu messen. Wenn daher der Gesetzgeber die unrichtige Auslegung, die das Bundesverwaltungsgericht dem § 19 BWGöD a.F. gegeben habe, unter Verwerfung der früheren (richtigen) Auslegung des Bundesgerichtshofs zum neuen Gesetz erhoben habe, so stelle dies einen Eingriff in die der Beschwerdeführerin auf Grund der alten Fassung gewährten subjektiv öffentlichen Rechte dar. Unbeschadet des von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Satzes, daß vermögenswerte Rechte des öffentlichen Rechts mit Fürsorgecharakter grundsätzlich nicht als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG angesehen werden könnten, sei dieser Eingriff als eine Enteignung zu qualifizieren, weil Wiedergutmachungsansprüche Sühneleistungen für begangenes Unrecht zum Gegenstand hätten und deshalb nicht den allgemeinen Ausgleichs- und Fürsorgeansprüchen gleichgestellt werden könnten.
Davon abgesehen könne - entgegen der Ansicht von Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht - § 19 n.F. ebenso ausgelegt werden, wie er in seiner alten Fassung nach seinem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden müßte, nämlich dahin, daß auch den nach §§ 14 bis 16 Wiedergutmachungsberechtigten die Entschädigung nach § 19 nach wie vor zustehe. Diese mögliche Auslegung sei nach dem Grundsatz verfassungskonformer Auslegung geboten. Der Bundesgerichtshof verkenne, daß § 19 BWGöD weder in seiner alten noch in seiner neuen Fassung den Kreis der nach dieser Vorschrift berechtigten Personen bestimme, sondern lediglich die Höhe der zu gewährenden Entschädigung regle.
b) Der Bundesgerichtshof verneine ferner zu Unrecht eine Verletzung des Gleichheitssatzes. Sie liege nicht nur darin, daß Beamte, die aus ihrem Amt entfernt worden sind, anders behandelt würden als Beamte, die in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt versetzt worden sind oder deren Beförderung unterblieben ist, sondern auch darin, daß die nach den §§ 14 und 15 BWGöD berechtigten Personen untereinander verschieden behandelt würden, je nachdem, ob über ihre Ansprüche vor oder nach dem Inkrafttreten der Novelle entschieden worden sei.
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, der VIII. Senat halte an seiner im Urteil vom 12. Januar 1960 (RzW 1960, 332) vertretenen Rechtsansicht fest, er habe außerdem im Urteil vom 18. Juni 1961 (RzW 1962, 91) dargelegt, daß den unter die §§ 14, 15 BWGöD fallenden Beamten ein selbständiger wiedergutmachungsrechtlicher Versorgungsanspruch nicht zustehe.
3. Namens der Bundesregierung hat sich der Bundesminister des Innern wie folgt geäußert:
a) Die Beschwerdeführerin wende sich nicht gegen § 19 BWGöD n.F., sondern nur gegen die Auslegung, die der Bundesgerichtshof dieser Vorschrift im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben habe. Eine Verletzung des Art. 14 GG scheide deshalb aus, weil der Beschwerdeführerin bei richtiger Auslegung des Gesetzes weder nach der alten noch nach der neuen Fassung des § 19 BWGöD ein Anspruch auf Kapitalentschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 1. April 1951 zustehe. Der Beschwerdeführerin könnten demnach durch die Novelle keine Rechte genommen worden sein, die ihr vorher zugestanden hätten. Im übrigen seien aber auch Wiedergutmachungsansprüche Ansprüche, "die der Staat seinen Bürgern in Erfüllung einer Fürsorgepflicht einräumt" und die deshalb nicht unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG fielen.
b) Der Gleichheitssatz sei ebenfalls nicht verletzt: Daß auf Grund der früheren Praxis einigen der unter die §§ 14, 15 BWGöD fallenden Personen eine Kapitalentschädigung nach § 19 BWGöD gewährt worden sei, sei lediglich eine Folge der jetzt aufgegebenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Änderungen der Rechtsprechung könnten niemals eine Verletzung des Gleichheitssatzes bewirken. Die vom Gesetzgeber angeordnete Differenzierung sei auch nicht willkürlich; vielmehr erscheine es sachlich durchaus gerechtfertigt, Beamte und deren Hinterbliebene, die infolge nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen aus ihrem Amt entfernt oder vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden seien, anders zu behandeln als solche, die lediglich nicht befördert oder nicht in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen worden seien.
c) Schließlich verstoße die rückwirkende Neufassung des § 19 BWGöD auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG). Die Rechtslage sei unklar gewesen; das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, daß das Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit einer Norm dann nicht schutzwürdig sei, wenn eine verworrene Rechtslage nachträglich geklärt werde.
B.
1. Der Verfassungsbeschwerde liegt die Überlegung zugrunde, das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs verletze die Grundrechte der Beschwerdeführerin aus Art. 3 und 14 GG entweder deshalb, weil es § 19 Abs. 1 BWGöD alter und neuer Fassung unrichtig in einer mit den genannten Grundrechten unvereinbaren Weise ausgelegt habe, oder deshalb, weil es auf einer gesetzlichen Vorschrift (§ 19 Abs. 1 n.F.) beruhe, die mit den genannten Grundrechten unvereinbar sei.
2. Das Urteil beruht in der Tat auf einer Vorschrift, die insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, als sie Angehörigen des öffentlichen Dienstes, deren Beförderung oder planmäßige Einstellung oder Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit unterblieben ist, und ihren Hinterbliebenen die Kapitalentschädigung aus § 19 Abs. 1 a.a.O. vorenthält.
a) Nach dem Wortlaut und der Stellung des § 19 Abs. 1 BWGöD n.F. innerhalb des Gesetzes und seiner Systematik begründet diese Vorschrift einen Anspruch auf eine Entschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes ("... wird eine Entschädigung ... gewährt"). In dieser Vorschrift wird außerdem die Höhe der Entschädigung dadurch bestimmt, daß im Wege der Verweisung angeordnet wird, sie sei nach Maßgabe der wiederkehrenden Entschädigungsleistungen zu bemessen, die dem geschädigten Beamten oder seinen Hinterbliebenen nach den allgemeinen Vorschriften über den Umfang der Entschädigung zugebilligt werden.
Indem § 19 Abs. 1 n.F. nur auf die §§ 10, 11, 12, 13, 17 und 18 des Gesetzes verweist, beschränkt er aber zugleich auch die Fälle, in denen die Kapitalentschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. März 1951 zu leisten ist, auf den Personenkreis, dessen Entschädigung in Form wiederkehrender Leistungen in den genannten allgemeinen Vorschriften geregelt ist. Mit anderen Worten: § 19 Abs. 1 a.a.O. billigt nicht allen geschädigten Beamten, die nach dem Gesetz einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen ab 1. April 1951 besitzen, die Kapitalentschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. März 1951 zu; er schließt vielmehr davon diejenigen geschädigten Beamten und ihre Hinterbliebenen aus, denen wiederkehrende Leistungen ab 1. April 1951 auf Grund der §§ 14, 15 und 16 BWGöD zustehen. Diese Auslegung des Gesetzes wird nicht nur bestätigt durch die Entstehungsgeschichte, insbesondere durch die Verhandlungen bei den Beratungen im Bundestag, sondern auch durch einen Vergleich des § 19 Abs. 1 a.F. mit dem § 19 Abs. 1 n.F. Die Änderung des § 19 durch die Novelle vom 23. Dezember 1955 besteht gerade und nur darin, daß an die Stelle der allgemeinen Verweisung auf die §§ 10 bis 18 des Gesetzes die Verweisung auf die §§ 10, 11, 12, 13, 17 und 18 des Gesetzes getreten, die Verweisung auf die §§ 14 bis 16 des Gesetzes also beseitigt worden ist. Bei dieser eindeutigen und klaren Vorschrift kommt eine Auslegung, durch die auch der Personenkreis, dem nach § 15 (oder § 14 und § 16) Entschädigungsleistungen zustehen, in den Genuß der Jahresentschädigung des § 19 Abs. 1 gelangen würde, nicht in Betracht. Es ist von vornherein kein Raum für eine verfassungskonforme Auslegung.
b) § 19 Abs. 1 BWGöD n.F. behandelt demnach den Kreis der nach dem Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes entschädigungsberechtigten Beamten hinsichtlich einer Entschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 31. März 1951 verschieden: Die Empfänger einer Entschädigung nach §§ 10, 11, 12, 13 und 17 erhalten die Kapitalentschädigung des § 19 Abs. 1; die Empfänger einer Entschädigung nach §§ 14, 15 und 16 des Gesetzes erhalten die Kapitalentschädigung des § 19 Abs. 1 nicht.
Diese Differenzierung ist mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar. Der Gesetzgeber hat zwar ein weites Feld gesetzgeberischer Freiheit bei der Regelung eines bestimmten Sachverhalts; insbesonders kann er unter mehreren miteinander konkurrierenden rechtspolitischen Gesichtspunkten wählen. Für die gefundene Regelung muß sich aber stets wenigstens ein sachlich vertretbarer Gesichtspunkt anführen lassen. Was sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, läßt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll. Im vorliegenden Fall lassen sich die nach dem Wiedergutmachungsgesetz für Angehörige des öffentlichen Dienstes entschädigungsberechtigten Beamten nach der Art der gegen sie gerichteten Verfolgungsmaßnahmen und des erlittenen Schadens unterscheiden: Sie wurden entweder aus dem öffentlichen Dienst entfernt oder aus dem Beamtenverhältnis entlassen oder vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt versetzt oder nicht befördert oder nicht planmäßig angestellt oder nicht in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen oder schieden infolge Strafurteils oder Dienststrafurteils aus dem Dienst aus; sie verloren dementsprechend ihre Gehaltsansprüche und Versorgungsansprüche ganz oder teilweise oder kamen nicht in den Genuß der Gehalts- oder Versorgungsansprüche, die sie unter normalen Verhältnissen, d.h. ohne die gegen sie gerichtete Verfolgungsmaßnahme, erlangt hätten. An diese Verschiedenartigkeit der erlittenen Schäden kann der Gesetzgeber bei der Regelung des Umfangs der Wiedergutmachung anknüpfen.
Mit Rücksicht auf diese Ungleichheit der Sachverhalte erlaubt aber der Gleichheitssatz nicht jede Differenzierung bei der Bemessung der Entschädigung. Auch die Art der Differenzierung darf nicht sachfremd sein. Das heißt, es muß sich aus dem Sachverhalt, den die differenzierende Regelung zum Gegenstand hat, gerade für sie ein sachlich vertretbarer Gesichtspunkt anführen lassen.
Dafür genügt im vorliegenden Fall nicht die allgemeine Erwägung, daß ein Teil der wiedergutmachungsberechtigten Beamten schwerer, ein anderer weniger schwer getroffen worden ist und dementsprechend einen größeren oder geringeren Schaden erlitten hat. § 19 a.a.O. gewährt zusätzlich zu den allgemeinen Entschädigungsleistungen wiederkehrender Art eine Kapitalentschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 31. März 1951. Bei der Anwendung des Gleichheitssatzes stellt sich deshalb hier die Frage, ob diese besondere Entschädigung mit Rücksicht auf die Art und Schwere des erlittenen Verfolgungsschadens einem Teil der verfolgten Beamten vorenthalten werden darf. Die Eigenart dieser Jahresentschädigung ist, daß sie nicht summenmäßig für alle Bedachten gleich ist, sondern daß ihre Höhe variiert und in jedem Fall der Einbuße entspricht, die der Geschädigte - auf das Jahr berechnet - durch die nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahme erlitten hat. Eine so bemessene Entschädigung nur einem Teil der geschädigten Beamten zu gewähren und einen anderen Teil davon auszuschließen, läßt sich sachlich nicht damit rechtfertigen, daß der eine mehr und der andere weniger geschädigt worden sei. Das tritt noch klarer hervor, wenn man von den Grundsätzen ausgeht, die der Gesetzgeber selbst der Systematik seines Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes zugrunde gelegt hat: Er hat zunächst den Kreis der Wiedergutmachungsberechtigten fixiert (§§ 1 ff.) und umschrieben, welche Arten von Verfolgungsmaßnahmen ausgeglichen werden sollen (§ 5); er hat sich sodann dafür entschieden, daß die durch die Verfolgungsmaßnahmen erlittenen Schäden von einem bestimmten Zeitpunkt an nach dem Maß des individuell erlittenen Schadens ausgeglichen werden: Der Beamte wird vom Inkrafttreten des Gesetzes an so gestellt, wie er stünde, wenn die Verfolgungsmaßnahme ihn nicht getroffen hätte. An dem einmal gewählten Grundsatz für den Ausgleich des Schadens muß der Gesetzgeber folgerichtig festhalten. Wenn er sich bei der Wiedergutmachung im Bereich des öffentlichen Dienstes für die gleichmäßige Wiedergutmachung nach dem Maß des erlittenen Schadens entschieden hat, so ist es sachlich nicht zu rechtfertigen, daß er einem Teil der Geschädigten die Entschädigung nach § 19 Abs. 1 verweigert.
Hinzu kommt: Es läßt sich nicht einmal sagen, daß die in den Genuß der Entschädigung des § 19 gelangenden Beamten "schwerer" geschädigt seien als die Beamten, die die Entschädigung nach § 19 Abs. 1 nicht erhalten: Auf der einen Seite erhalten die Entschädigung nicht nur die Beamten, die entlassen worden sind, sondern auch Beamte, die vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden sind (§§ 9, 10), auf der anderen Seite sind von der Entschädigung nicht nur Beamte, deren Beförderung unterblieben ist, ausgeschlossen, sondern auch Beamte, deren planmäßige Anstellung oder deren Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit unterblieben ist (§ 15 Abs. 2), Beamte, die in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt versetzt worden sind (§ 14), und Beamte, die infolge Strafurteils oder Dienststrafurteils aus dem Dienst ausgeschieden oder entfernt worden sind (§ 16). Für eine solche Differenzierung lassen sich sachlich vertretbare Gründe nicht anführen.
Schließlich darf nicht übersehen werden, daß § 19 nicht nur praktisch, sondern auch nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes eine Vorverlegung des Zeitpunktes bedeutet, von dem an die Geschädigten in den Genuß der Wiedergutmachungsleistungen kommen sollen. Das Gesetz konnte infolge der Schwierigkeiten, vor die sich der Gesetzgeber bei der Regelung der Wiedergutmachung gestellt sah, nicht vor dem 1. April 1951 in Kraft treten. Andererseits erschien es in Anbetracht des Unrechts, das der verfolgte Personenkreis erlitten hat, geboten, daß diese unvermeidbare Verzögerung nicht zu Lasten der Geschädigten gehe. Deshalb wurden ihnen nach § 19 Abs. 1 die Leistungen aus dem Gesetz auch für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 31. März 1951 zuerkannt. Auch in dieser Sicht muß es als sachlich unvertretbar erscheinen, nur einem Teil der Geschädigten die Entschädigung nach § 19 zu gewähren. Diese Überlegung gewinnt zusätzliches Gewicht, wenn man die Regelung des Wiedergutmachungsgesetzes für Angehörige des öffentlichen Dienstes im Zusammenhang mit dem allgemeinen Bundesentschädigungsrecht sieht: Auch das Bundesentschädigungsgesetz enthält Vorschriften für die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, das Angehörige des öffentlichen Dienstes erlitten haben (§§ 99 ff.). Nach diesen Vorschriften wird Entschädigung gewährt "für die Zeit vor dem 1. April 1950". Es schließt also zeitlich - unbeschadet dessen, daß sich die Verfolgungstatbestände im Bundesentschädigungsgesetz und im Wiedergutmachungsgesetz für öffentliche Bedienstete nicht völlig decken - die Regelung des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes unmittelbar an die Regelung des Bundesentschädigungsgesetzes für dieselben Angehörigen des öffentlichen Dienstes an. Mit der fugenlosen Kontinuität der in sich geschlossenen, nach einheitlichen, in der Systematik klar zum Ausdruck kommenden Grundsätzen angelegten Regelung der Wiedergutmachung für Angehörige des öffentlichen Dienstes ist die Lücke, die für einen Teil der Angehörigen des öffentlichen Dienstes für die Zeit vom 1. April 1950 bis zum 31. März 1951 dadurch entsteht, daß er die Entschädigung nach § 19 nicht erhält, nicht vereinbar. Diese "Ausnahmeregelung" ist in sachlich vertretbarer Weise nicht zu motivieren.
Dem Gleichheitssatz genügt bei den hier vorliegenden Verhältnissen und im Rahmen der Gesamtregelung der Wiedergutmachung für Angehörige des öffentlichen Dienstes nur eine Regelung, die für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. März 1951 alle Geschädigten entsprechend dem Ausmaß ihres Schadens gleichbehandelt.
Für die hier allein zu entscheidende Frage der Vereinbarkeit der Regelung mit dem Gleichheitssatz kann es auf sich beruhen, ob der Gesetzgeber in dem Wiedergutmachungsgesetz für Angehörige des öffentlichen Dienstes zwischen Ansprüchen, die dem Geschädigten ausschließlich auf Grund dieses Gesetzes zustehen, und Ansprüchen, die ihm auf Grund dieses Gesetzes nur im Zusammenhang mit einem beamtenrechtlichen Anspruch zustehen, unterschieden hat, und ob eine solche Unterscheidung überhaupt sinnvoll ist, desgleichen, ob er von der Vorstellung eines einheitlichen Anspruchs des Geschädigten ausgegangen ist und damit eine Aufspaltung dieses Anspruchs abgelehnt hat. Hier kommt es allein darauf an, ob durch die Regelung in § 19 materiell eine Gruppe der Geschädigten gegenüber den übrigen Geschädigten ohne zureichenden Grund ungleich behandelt worden ist.
Im Ergebnis ist demnach § 19 Abs. 1 BWGöD n.F. insoweit mit Art. 3 GG unvereinbar und deshalb nichtig, als er dem unter § 15 des Gesetzes fallenden Personenkreis die Kapitalentschädigung für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. März 1951 nicht gewährt. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Dezember 1961 beruht auf dieser verfassungswidrigen Regelung. Es war deshalb gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG unter Zurückverweisung der Sache an den Bundesgerichtshof aufzuheben. Zugleich war gemäß § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG im angegebenen Umfang die Nichtigkeit des § 19 auszusprechen, ohne daß es auf die übrigen Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen die angegriffene Vorschrift und auf die Stellungnahme der Bundesregierung hierzu noch ankäme.