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BGH, 17.06.1998 - 2 StR 167/98

Daten
Fall: 
Waffenbegriff i. S. d. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB
Fundstellen: 
BGHSt 44, 103; JuS 1998, 1166; NJW 1998, 2915; NStZ 1998, 462; StV 1998, 485
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
17.06.1998
Aktenzeichen: 
2 StR 167/98
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Richter: 
Jähnke, Theune, Detter, Bode, Rothfuß
Instanzen: 
  • LG Aachen, 16.10.1997

Eine Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB i.d. Fassung des 6. StrRG muß objektiv gefährlich und geeignet sein, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Die Gefährlichkeit der Waffe kann sich auch aus der konkreten Art ihrer Benutzung im Einzelfall ergeben.

Inhaltsverzeichnis 

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 16. Oktober 1997, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
a) im Ausspruch über die Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Computerbetrug, wegen versuchten Computerbetrugs, Diebstahls und versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Verfahrensrüge ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Sachrüge ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet, sie führt aber zur Aufhebung des Strafausspruchs in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang (§ 349 Abs. 2 und 4 StPO), weil die Neugestaltung des § 250 StGB durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I, 164) nach dem tatrichterlichen Urteil zu einer für den Angeklagten günstigen Änderung des Strafrahmens geführt hat, die vom Revisionsgericht zu berücksichtigen ist (§ 354 a StPO; BGHSt 20, 77).

I.

1. Nach der zur Tatzeit geltenden Fassung des StGB hat das Landgericht den Angeklagten zutreffend wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung (§§ 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F.) verurteilt. Auch nach der Neufassung des § 250 StGB durch das 6. StrRG hat der Schuldspruch Bestand, weil die versuchte Tat des Angeklagten zumindest die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB n.F. erfüllt.

Der Angeklagte hat den Tankwart F. mit einer Waffe bedroht, die wie eine geladene Schußwaffe aussah, und versucht, ihn zur Herausgabe von Geld zu veranlassen. Nachdem er dreimal erfolglos den Abzug seiner Waffe betätigt hatte, gab er sein Vorhaben auf. Die Strafkammer meinte, keine Feststellungen dazu treffen zu können, ob die vom Angeklagten benutzte Waffe eine Schußwaffe war und ob sie geladen war. Sie ging deshalb zugunsten des Angeklagten davon aus, es habe sich nicht um eine geladene Schußwaffe gehandelt (UA S. 18), sondern um ein sonstiges Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. (UA S. 33). Bei der Strafzumessung hat das Landgericht einen minder schweren Fall sowie eine Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt, den damals geltenden Strafrahmen (Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren) aber nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert (Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu elf Jahren drei Monate).

2. Die nachträgliche Änderung des § 250 StGB führt zur Aufhebung des Strafausspruchs wegen der versuchten schweren räuberischen Erpressung. Diese Tat erfüllt nach den bisherigen Feststellungen nicht den Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F., sondern lediglich die vom Gesetzgeber als Auffangtatbestand (vgl. hierzu: Deutscher Bundestag 13. Wp. Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 13/9064 S. 18) vorgesehene Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB n.F. mit einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren, weil die vom Angeklagten verwendete Tatwaffe keine "Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug" im Sinne des § 250 StGB n.F. ist. Der Begriff "Waffe" allein kann zwar dahin verstanden werden, daß darunter auch eine ungeladene und somit objektiv ungefährliche Waffe zu verstehen ist. Aus dem Zusammenhang mit dem Begriff "oder anderes gefährliches Werkzeug" wird aber zweifelsfrei deutlich, daß die Waffe im Sinne der Neufassung des § 250 StGB objektiv gefährlich und geeignet sein muß, für das Tatopfer eine Lebens- oder Leibesgefahr zu begründen. Dies bestätigt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung knüpfte für die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB an das Verwenden einer Schußwaffe an (BTDrucks. 13/8587 S. 9/10). Dieser Begriff wurde im Gesetzgebungsverfahren durch die weiteren Begriffe "Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug" ersetzt, weil auch andere gefährliche Tatmittel, die nicht Schußwaffen sind, wie zum Beispiel Handgranaten, von der erhöhten Strafdrohung erfaßt werden sollten. Die tatbestandlichen Begriffe "Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug" sind § 223 a StGB a.F. entnommen, so daß zur Auslegung auf die hierzu entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann (Deutscher Bundestag 13. Wp. Bericht des Rechtsausschusses BTDrucks. 13/9064 S. 18). Danach ist das gefährliche Werkzeug als Oberbegriff anzusehen (BGHSt 22, 235, 236; Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 223 a Rdn. 4; Lackner StGB 22. Aufl. § 223 a Rdn. 2; a.A. Tröndle StGB 48. Aufl. § 223 a Rdn. 2; Hirsch in LK 10. Aufl. § 223 a Rdn. 6). Hieraus folgt, daß auch die Waffe im Sinne des § 250 StGB n.F. objektiv gefährlich und geeignet sein muß, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Die Gefährlichkeit der Waffe kann sich auch aus der konkreten Art ihrer Benutzung im Einzelfall ergeben, etwa bei der Verwendung einer ungeladenen Schußwaffe als Schlagwerkzeug. Diese Auslegung entspricht im Ergebnis der Auffassung des 3. und 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, die sie auf eine Anfrage des 1. Strafsenats zur Auslegung des § 250 StGB n.F. mitgeteilt haben (3 ARs 7/98, 4 ARs 7/98). Der 1. Strafsenat hat bereits entschieden, daß Spielzeugpistolen und Schußwaffenattrappen mangels Eignung, eine Leibes- oder Lebensgefahr zu begründen, keine Waffen, sondern "Werkzeuge oder Mittel" im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB in der Fassung des 6. StrRG sind. Er hat dabei jedoch ausdrücklich offengelassen, ob dies auch gilt, wenn der Täter mit einer echten, aber ungeladenen Schußwaffe droht und diese dadurch "verwendet" (Beschl. v. 23. April 1998 - 1 StR 180/98). Weder aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte, noch aus dem Gesamtzusammenhang der tatbestandlichen Begriffe "Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug" läßt sich jedoch herleiten, daß echte Schußwaffen auch dann den Begriff der Waffe im Sinne des § 250 StGB n.F. erfüllen, wenn sie ungeladen und damit objektiv ungefährlich sind. Die erhöhte kriminelle Energie, die dadurch zum Ausdruck kommt, daß ein Täter derartige Waffen bei der Tatbegehung bei sich führt oder verwendet, kann im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt werden. Hierfür gibt auch der Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB n.F., der von drei bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe reicht, genügend Raum. Auf die in § 250 Abs. 2 StGB n.F. angedrohte höhere Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren kommt es dabei nicht an. Die Neufassung des § 250 StGB sieht bei der Verwendung von ungefährlichen Tatmitteln oftmals höhere Strafen vor als das alte Recht. Denn in diesen Fällen war nach der Rechtsprechung zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. je nach den Umständen des Einzelfalles ein minder schwerer Fall in Erwägung zu ziehen (BGHR StGB § 250 Abs. 2 Strafrahmenwahl 3, 4; Wertungsfehler 2; Tröndle StGB 48. Aufl. § 250 Rdn. 9; Eser in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 250 Rdn. 29; Herdegen in LK 10. Aufl. § 250 Rdn. 34, jew. m.w.N.). Der Strafrahmen für minder schwere Fälle war aber nach altem Recht (§ 250 Abs. 2 StGB a.F.) deutlich milder als in der Fassung des 6. StrRG (§ 250 Abs. 4 StGB n.F.; vgl. hierzu auch Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks. 13/8587 S. 45).

Die Gefährlichkeit der Tatwaffe hat das Landgericht im vorliegenden Fall bisher nicht festgestellt. Es geht zugunsten des Angeklagten davon aus, er habe "keine geladene Schußwaffe" verwendet. Versteht man darunter eine ungeladene Schußwaffe, für die auch keine Munition mitgeführt wird, ist sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch objektiv ungefährlich, weil der Täter nicht schießen kann. Es könnte sich aber auch um eine Scheinwaffe (Spielzeugpistole, Pistolenattrappe) gehandelt haben. Solche Gegenstände fallen ebenfalls nicht unter den Waffenbegriff des § 250 StGB n.F.(BGH, Beschl. vom 23. April 1998 - 1 StR 180/98). Nichts anderes kann für eine ungeladene Gas- oder Schreckschußpistole gelten (vgl. hierzu aber BGH NStZ 1989, 476). Der Angeklagte hat seine Waffe nur zur Bedrohung und nicht als Schlagwerkzeug gegen den Tankwart verwendet, so daß auch aus der konkreten Art der Verwendung die Gefährlichkeit der Tatwaffe nicht hergeleitet werden kann. Die Feststellungen des Landgerichts belegen daher lediglich die Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB n.F.

Die in § 250 Abs. 1 StGB n.F. angedrohte Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist milder als die Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren in § 250 Abs. 1 StGB a.F., von der das Landgericht bei seiner Strafzumessung ausging. Es läßt sich somit nicht ausschließen, daß das Landgericht für die versuchte schwere räuberische Erpressung eine geringere Einzelstrafe verhängt hätte, wenn es die Gesetzesfassung des 6. StrRG angewandt hätte. Da die dem Angeklagten günstige Gesetzesänderung auch im Revisionsverfahren zu beachten ist (§ 354 a StPO), muß die hiervon betroffene Einsatzstrafe aufgehoben werden. Damit entfällt die Grundlage für die Gesamtfreiheitsstrafe.

II.

Die den Strafausspruch betreffenden Feststellungen können bestehen bleiben. Die Beweiswürdigung zu Art, Ladezustand und Gefährlichkeit der Tatwaffe ist zwar lückenhaft. Hierdurch ist der Angeklagte aber nicht beschwert. Das Landgericht meinte, keine näheren Feststellungen zu Art und Ladezustand der Tatwaffe treffen zu können. Dabei hat es die insoweit aussagekräftigen Beweisumstände nicht gesehen oder nicht erkennbar in die Erörterung einbezogen: Der Angeklagte hat während der Bedrohung des Tatopfers dreimal abgedrückt und zwischendurch auf die Waffe geklopft (UA S. 19), ersichtlich um die Fehlfunktion zu beheben. Nach der Tat hat er der Zeugin M. erzählt, er habe bei dem Überfall geschossen, es hätte aber nicht funktioniert (UA S. 26). Selbst wenn der neue Tatrichter aufgrund dieser Umstände zu der Feststellung gelangen würde, daß der Angeklagte eine geladene Schußwaffe verwendet hat, bliebe offen, aus welchen Gründen sie bei der Tatausführung nicht funktioniert hat. Hätte dies auf einer Ladehemmung oder sonstigen Fehlfunktion beruht, wäre die Gefährlichkeit der Schußwaffe damit zwar weiterhin gegeben, weil es dann vom Zufall abgehangen hätte, ob sich der Schuß löst oder nicht. War die Waffe dagegen sicher funktionsuntüchtig, etwa weil sie keinen Schlagbolzen hatte, so war sie objektiv nicht gefährlich. Da die Tatwaffe nicht sichergestellt werden konnte, sind hierzu auch in einer neuen Hauptverhandlung keine zusätzlichen Feststellungen zu erwarten. Zugunsten des Angeklagten müßte also angenommen werden, daß die Tatwaffe von vornherein funktionsuntüchtig und somit ungefährlich war. Aus dem im übrigen rechtsfehlerfrei festgestellten Tathergang ergibt sich, daß die Tatwaffe auch nicht durch die konkrete Art der Verwendung - etwa als Schlagwerkzeug - gefährlich war. Durch den dargelegten Beweiswürdigungsfehler ist der Angeklagte daher nicht beschwert.