RG, 14.10.1905 - V 90/05
Kann für noch nicht erzeugte Nachkommenschaft Hypothek eingetragen, für sie im Zwangsversteigerungsverfahren angemeldet, und der Widerspruchsprozeß geführt werden?
Sachverhalt
Durch wechselseitiges Testament vom 4. Oktober 1882 hatten die Eheleute E. in B. eines ihrer Kinder, den Sohn Gustav E., in guter Absicht enterbt und ihren anderen Sohn Otto E. als Kurator der den Gustav E. treffenden Erbmasse mit alleiniger und uneingeschränkter Verwaltung über den Pflichtteil hinaus ernannt.
Auf Grund einer Verhandlung vom 2. Januar 1892 wurde auf dem Grundstück eines anderen Bruders, Hermann E., eine Kautions- Hypothek im Höchstbetrage von 25000 M für die „Gustav E.'sche Deszendenz" zur Sicherheit derjenigen Ansprüche eingetragen, die dieser gegen den Grundstückseigentümer erwachsen würden.
Im Zwangsversteigerungsverfahren gegen Hermann E. kam diese Kautionshypothek laut Kaufgclderbelegungsprotokolls vom 11. Juni 1900 nebst Kosten mit 25027 M voll zum Zuge. Die Klägerin aber, die an ihrer Nachhypothek von 40000 M einen Ausfall von 33337 M nebst Zinsen erlitt, und der das Grundstück für das Meist, gebot von 550000 M zugeschlagen worden war, erhob Widerspruch und Widerspruchsklage gegen den Verteilungsplan bezüglich der E.'schen 25027 M mit dem Antrage, den Widerspruch für gerechtfertigt zu erklären und die Beklagte zur Bewilligung der Auszahlung der 25027 M an sie, die Klägerin, zu verurteilen.
Sie bekämpfte aus den verschiedensten Gründen den Rechtsbestand der in Rede stehenden Kautionshypothek sowie die Legitimation der Beklagten dazu.
Diese aber beantragte nicht nur Klagabweisung, sondern erhob auch Widerklage auf Auszahlungsbewilligung zu ihren Gunsten.
Nach diesen Anträgen der Besagten erkannte der erste Richter, und die Berufung und Revision der Klägerin wurden zurückgewiesen.
Aus den Gründen:
… „Von der Revisionsklägerin werden, wie sie ausdrücklich er- klärte, nicht die tatsächlichen Feststellungen des Vorderrichters über die Entstehungsgeschichte der Kautionshypothek und deren Ausfüllung (Valutierung), sondern nur seine Ausführungen angegriffen, wonach er ein wesenloses Gebilde, eine „Deszendenz", als Gläubigerin einer Hypothek und als Prozeßpartei, wenigstens als Widerklägerin, zugelassen habe. Die Revision hat sich aber als unbegründet erwiesen. Wie sie selbst teilweise zugibt, wäre der Klägerin die Verneinung der Partei- und Prozeßfähigkeit der verklagten „Deszendenz" insofern vielleicht von Nachteil, als man daran zweifeln könnte, ob wenigstens die Klage nicht sofort (nach §§ 60 flg. 253 Ziff. 1 Z.P.O.) abgewiesen werden müßte. Dem ist beizufügen, daß es in diesem Falle ebenso zweifelhaft wäre, ob nicht auch dem Verlangen der Widerklage, der es nach § 880 Z.P.O. gar nicht bedurft hätte, von Amtswegen entsprochen werden müßte. Indessen können diese Fragen deshalb auf sich beruhen, weil, Wie ja auch die Klägerin durch ihre Klagerhebung selbst anerkannte, der Gustav E.'schen Deszendenz nach Lage der Sache Partei- und Prozeßfähigkeit nicht abgesprochen werden kann.
Die Eintragung einer Hypothek für die jetzige oder künftige Nachkommenschaft einer bestimmten Person ist nach jetzigem Rechte zweifellos gültig. Der Satz 2 des § 1918 und der § 2101 B.G.B. setzen die Zulassung der Einsetzung noch nicht erzeugter Nacherben als selbstverständlich voraus. Im § 2162 Abs. 2 daselbst werden für den Fall, daß der im Testament Bedachte zur Zeit des Erbfalls noch nicht erzeugt ist, Bestimmungen getroffen, die ihm wenigstens auf 30 Jahre das Vermächtnis sichern, und der § 2178 B.G.B. gibt Vorschriften über die Zeit, in der einem noch nicht erzeugten Vermächtnisnehmer das Vermächtnis anfällt. Ist aber hiernach einer noch nicht erzeugten Nachkommenschaft erbrechtliche Erwerbsfähigkeit zugestanden, so müssen ihr auch auf anderen Gebieten des bürgerlichen Rechts ähnliche, sonst nur der wirklichen natürlichen oder juristischen Persönlichkeit zustehende Rechte eingeräumt werden; und in der Tat erkennt es die Begründung zum Bürgerlichen Gesetzbuch — Motive Bd. 3 S. 641 — ausdrücklich an, daß das Grundbuchrecht die Bestellung einer Hypothek für die künftige Nachkommenschaft einer bestimmten Person ermöglichen muß und ermöglicht, indem der § 1115 B.G.B. seinem Sinne nach nur das Erfordernis hinlänglicher Bestimmtheit des Hypothekgläubigers aufstelle, und dieses Erfordernis durch Bezeichnung der Stammeltern der künftigen Nachkommenschaft genügend gewahrt sei.
Vgl. Turnau-Förster, Liegenschaftsrecht Bd. 1 S. 599 flg.
In vorliegender Sache ist allerdings die Frage der gültigen Entstehung einer derartigen Hypothek zunächst nach dem zur Zeit der Hypothekbestellung — im Jahre 1892 — geltenden preußischen Hypothekenrechte zu beurteilen, und es muß zugegeben werden, daß sie nach diesem Rechte nicht unbestritten war. Indessen findet der erkennende Senat keinen Anlaß, jenen Rechtslehrern und Entscheidungen preußischen Rechts entgegen zu treten, die zu gleichen Ergebnissen, wie das obige, gelangt sind und erbrechtliche Erwerbsfähigkeit und demgemäß folgerichtig auch Hypothekerwerbsfähigkeit einer künftigen Nachkommenschaft sowie Parieifähigkeit einer solchen angenommen haben.
Vgl. Gruchot, Beiträge Bd. 33 S. 961, Bd. 36 S. 984, Bd.37 S. 913; Jahrbuch des K.G. II. S. 126, IV. S. 87; Dernburg, Preuß. Privatrecht III. § 100 Anm. 7 und 8; Turnau, Grund- buchordnung I. S. 377 flg. II. S. 371.
Es war sonach im gegebenen Falle der Eintrag der Kautionshypothek für die „Deszendenz des Gustav E." als Gläubigerin auch nach § 23 preuß. Eig.-Erw.-Ges. nicht wegen Fehlens der Angabe eines richtigen, bestimmten Gläubigers ungültig. Für diese Nach-kommenschaft ist Otto E. im Verteilungsverfahren gegen Hermann E. aufgetreten, und gegen sie konnte, ja mußte die Klägerin ihren Widerspruch und ihre Widerspruchsklage richten, weil sie eben als die ihr vorgehende Realgläubigerin in den Teilungsplan eingesetzt ist und zuvor die Forderung von 25000 M in Haupt- und Nebensache angemeldet hatte.
War aber diese Hypothek, was von der Revision selbst nicht bekämpft wird, in allen anderen Beziehungen gültig, war sie richtig ausgefüllt, und die Bedingung ihrer Zahlbarkeit spätestens im Versteigerungstermin eingetreten, wie dies alles aus den einwandfreien Feststellungen des Kammergerichts hervorgeht, hatte sich insbesondere auch, wie nach Gesetz und Rechtsprechung nicht zu bezweifeln, die am 1. Januar 1900 gültige Kautionshypothek in eine Sicherheitshypothek neuen Rechts verwandelt.
Vgl. Art. 182 Emf.-Ges. zum B.G.B., Entsch. des R.G.'s in Zivils. Bd. 52 S. 111. 411.
So ist nicht abzusehen, wie die Klägerin Rechte auf den zur Hebung gelangenden Betrag begründen will. Dies könnte sie allenfalls dann, wenn vor 1900 eine gültige Kautionshypothek überhaupt nicht bestanden, sie, die Klägerin, also Ansprüche auf Vorrücken in den leeren Rang hätte; aber daraus, daß etwa die Gustav E.'sche Deszendenz in Wirklichkeit nicht aktiv legitimiert für die Hypothek, oder durch Otto E. nicht richtig vertreten gewesen wäre, kann sie keine Rechte für sich ableiten, weil sie damit Einwendungen aus den Rechten Dritter erheben würde, und weil, wenn nicht die erwähnte Deszendenz in Wahrheit Gläubigerin, oder die Vertretung der Deszendenz nicht in Ordnung sein sollte, doch ein anderer Gläubiger, etwa Gustav E. als Erbe selbst, wie der Berufungsrichter annimmt, oder die anders vertretene Deszendenz als sie ausschließend im Range vorgehen würde.
Vgl. Urteil des Reichsgerichts, Rep. V. 300/02, vom 28. Januar 1803 (Jurist. Wochrnschr. S. 113 Nr. 49).
Die vom Kammergericht erörterten Fragen in dieser Richtung können daher auf sich beruhen; jedoch kann dem Vorderrichter darin kein Rechtsirrtum nachgewiesen werden, daß er den Otto E. als einen von den Erblassern für einen Teil der Erbschaft ernannten Testamentsexekutor und somit zur Vertretung der Beteiligten in der Sache befugt erachtet. Es kann nach §§ 557 flg., insbesondere 8 558 A.L.R. I. 12 keinem Zweifel unterliegen, daß eine derartig beschränkte Ernennung von Testamentsvollstreckern rechtlich zulässig ist.
Vgl. Dernburg, Preuß. Privatrecht III. § 166 S. 487.
Da nach dem Ausgeführten die Hypothekbestellung und Anmeldung für die Gustav E.'sche Deszendenz und die Zuteilung der 25027 M an diese nicht beanstandet werden können, da es somit auch auf die Frage, ob nicht in zweiter Reihe eine Eigentümerhypothek des Hermann E., und die von diesem abgegebenen Anerkennungs- und Übertragungserklärungen zu Recht beständen, überhaupt nicht ankommt, so war es gerechtfertigt, daß die Vorderrichter die Klage abgewiesen und der Widerklage, wie geschehen, stattgegeben haben." ...
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RG, 14.10.1905 - V 9005 - RGZ 61, 355.pdf | 136.72 KB |