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RG, 09.06.1880 - V 203/80

Daten
Fall: 
Klage auf Feststellung einer Entschädigungsrente
Fundstellen: 
RGZ 2, 3
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.06.1880
Aktenzeichen: 
V 203/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Ratibor
  • OLG Breslau

Wird durch Verurteilung zu einer auf bestimmte Zeit geforderten Entschädigungsrente aus §. 2 des Haftpflichtgesetzes die Haftpflicht auch für eine spätere, weitergehende Entschädigungsklage rechtskräftig festgestellt? Wie ist diese Klage zu begründen? Kann bei Feststellung der Rente berücksichtigt werden, daß der zur Zeit des Unfalles noch unerwachsene Verletzte inzwischen das Alter der vollen Erwerbsfähigkeit erreicht hat?

Tatbestand

Der Kläger, damals noch Knabe, hat bei der Arbeit in der Fabrik der Beklagten eine Körperverletzung erlitten; er hat in einem Vorprozesse auf Grund des §. 2 des Gesetzes vom 7. Juni 1871 eine Entschädigungsrente auf 3 Jahre eingeklagt und erstritten. Nach Ablauf der 3 Jahre hat er jetzt auf fernere Zahlung einer Rente geklagt und in betreff der Höhe derselben geltend gemacht, daß er jetzt in das Alter der völligen Erwerbsfähigkeit eingetreten sei. Die Beklagten haben Verjährung eingewendet und ihre Haftpflicht bestritten. Das verurteilende zweite Erkenntnis, welches auch den Eintritt des Klägers in das Alter der vollen Erwerbsfähigkeit berücksichtigt hat, ist auf die Revision des Beklagten vom Reichsgericht bestätigt worden aus folgenden Gründen.

Gründe

"In dem Vorprozesse unter den Parteien ist, wie in dem jetzigen Prozesse, ein Anspruch gegen die Beklagten als Fabrikunternehmer für diejenige Körperverletzung geltend gemacht, welche der Kläger bei dem Betriebe der Fabrik erlitten hat. Nach §. 9 des Haftpflichtgesetzes vom 7. Juni 1871 finden daher die §§. 7 und 8 daselbst auf beide Prozesse Anwendung.

Der §. 7 läßt eine Änderung eines rechtskräftigen Erkenntnisses auf Zahlung einer bestimmten Entschädigungsrente oder auf den Fortfall derselben zu, hebt daher (wie auch bei der Beratung des Gesetzes im Reichstage hervorgehoben ist) für Erkenntnisse dieser Art die Rechtskraft in gewissem Umfange auf. Dies ist jedoch nur der Fall, soweit es sich um die Höhe, den Wegfall oder den Wiedereintritt des durch Rente zu ersetzenden Schadens handelt, nicht in betreff der Haftbarkeit für die eingetretene Körperverletzung; letztere wird rechtskräftig durch ein Erkenntnis auf Rente entschieden. Das Erkenntnis im Vorprozesse auf eine Rente für den Zeitraum von 3 Jahren hat daher die Haftbarkeit der Beklagten für die Körperverletzung des Klägers rechtskräftig festgestellt; indem der zweite Richter dies annimmt, hat er nicht, wie Beklagte meinen, die Rechtsgrundsätze von der Rechtskraft verletzt und nicht die Beweislast falsch beurteilt.

Die jetzige Klage auf weitere Zahlung der bisher nur bis zum 2. März 1878 dem Kläger zugesprochenen Rente, jedoch zu einem anderen Betrage, macht nur das Recht des §. 7 Abs. 2 a. a. O. geltend. Damit ist auch der Einwand der Verjährung hinfällig, weil eben nur eine andere Entscheidung über die Höhe und Dauer der schon zugesprochenen Rente verlangt wird. Der §. 7 spricht zwar wörtlich nur von der Wiedergewährung einer aufgehobenen Rente, nicht von der Weitergewähr einer auf bestimmte Zeit zugesprochenen; bei dem klar darin ausgesprochenen Principe, die Höhe der Entschädigung, wenn sie durch eine Rente gewährt wird, der Abänderung durch einen späteren Prozeß zu unterwerfen, muß es aber auch für zulässig erachtet werden, auf fernere Gewährung einer nur auf Zeit zugesprochenen Rente zu klagen, wenn die gesetzliche Bedingung jeder abändernden Entscheidung nach §. 7, eine wesentliche Veränderung der bei der früheren Feststellung maßgebenden Verhältnisse, vorliegt.

In dieser Beziehung ist als feststehend zu erachten, daß im Vor, Prozesse die Rente nur auf drei Jahre eingeklagt ist, weil damals vorausgesetzt werden konnte, daß die Aufhebung der Verminderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers in drei Jahren gehoben sein würde.

Wenn Kläger jetzt erweist, daß diese Voraussetzung nicht eingetreten, seine Erwerbsfähigkeit noch jetzt durch den Unfall aufgehoben oder gemindert ist, so ist darin im Sinne des §. 7 der allein dem Kläger obliegende Beweis einer wesentlichen Veränderung der im Vorprozesse bei der Forderung und Festsetzung der Rente ihrer Dauer nach maßgebenden Verhältnisse zu finden.

Dieser Beweis ist als geführt anzusehen, und zwar in dem Umfange, wie der zweite Richter annimmt."

"Mit Recht hat der zweite Richter bei Feststellung der danach dem Kläger ferner zuzusprechenden Rente zu Grunde gelegt, was der Kläger, bei dem Unfalle ein Knabe, jetzt nach seinem Lebensalter ohne die erlittene Verletzung würde erwerben können, nicht, was er damals als Knabe verdient hat. Die durch das Lebensalter des Klägers an sich vermehrte Erwerbsfähigkeit gehört zu denjenigen Veränderungen der Verhältnisse, welche nach §. 7 a. a. O. dazu dienen können, eine Änderung der Höhe der Rente zu rechtfertigen ..."