RG, 17.03.1919 - VI 297/18

Daten
Fall: 
Vorliegen einer Transportversicherung
Fundstellen: 
RGZ 95, 156
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.03.1919
Aktenzeichen: 
VI 297/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

1. Zu § 108 Abs. 2 und § 92 des Ges. über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 (RGBl. S. 139).
2. Zur Bindung des Gerichts durch ein von ihm erlassenes Zwischenurteil (§§ 303, 318 ZPO.).

Tatbestand

Der Kläger ist Eigentümer eines Kraftwagens und hat daran im Dezember 1914 Feuerschaden erlitten. Nach Inhalt des Versicherungsscheines vom 7. Juli 1914 war der Wagen gegen Schaden infolge von Feuer, Blitz oder Explosion bei Lloyds London (Lloyds Association of Underwriters in London) versichert. Nach Vortrag der Klage war aber bei diesem Versicherer bisher keine Entschädigung zu erlangen. Auf die Schadensumme und Nebenkosten sowie entgangenen Gewinn nimmt der Kläger hier den Beklagten in Anspruch, und zwar deshalb, weil dieser seiner Zeit die Versicherung bei Lloyds London vermittelt hat. Der Kläger macht geltend, er sei durch den Beklagten veranlaßt worden, diese Versicherung bei dem englischen Unternehmen abzuschließen, während er sonst die Versicherung anderwärts, insbesondere bei einer deutschen Versicherungsunternehmung genommen und bei dieser den erlittenen Schaden trotz der Kriegsverhältnisse längst erstattet erhalten hätte. Rechtlich stützt sich die Klage hierbei auf § 823 Abs. 2 BGB. in Verb. mit dem Versicherungsaufsichtsgesetze vom 12. Mai 1901; nach dessen § 85 habe Lloyds London als ausländische Versicherungsunternehmung zum Betriebe des Versicherungsgeschäfts in Deutschland durch Vertreter, Bevollmächtigte, Agenten oder sonstige Vermittler der behördlichen Erlaubnis bedurft, solche aber nicht besessen. Durch die Vermittelung des vorliegenden Vertragsabschlusses habe der Beklagte die Strafvorschrift des § 108 Abs. 2 übertreten, wonach mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft wird, wer im Inlande für eine daselbst zum Geschäftsbetriebe nicht befugte Unternehmung einen Versicherungsvertrag als Vertreter oder Bevollmächtigter abschließt oder den Abschluß von Versicherungsverträgen geschäftsmäßig vermittelt.

Der erste Richter hat den Klaganspruch dem Grunde nach zugesprochen. Das Berufungsgericht ist zur Klagabweisung gelangt, in erster Reihe deshalb, weil die Vorschrift des § 85 gemäß § 92 das. auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen.

Gründe

"Die Annahme, daß die Vorschrift des § 108 Abs. 2 verb. mit § 85 VAG. ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. darstelle, war nicht zu beanstanden, ist auch von den Revisionsbeklagten nicht in Zweifel gezogen worden. Das Versicherungsaufsichtsgesetz dient insbesondere in dem Erfordernis der behördlichen Erlaubniserteilung zum Geschäftsbetrieb dem Schutze der Versicherungsnehmer und der reellen Versicherungsunternehmungen, indem jene vor Schädigungen durch unreelle, zahlungsunfähige Versicherer, diese vor unlauterem Wettbewerbe solcher geschützt werden sollen. Dieser Schutz ist die Zweckbestimmung des Gesetzes (vgl. Komm. v. RGR. § 823 Anm. 14).

Gegen die Anwendung des § 85 VAG. auf den vorliegenden Fall war beklagterseits zunächst unter Berufung auf § 116 eingewendet worden, es liege eine Transportversicherung vor; Lloyds London bedürfe nach dieser Vorschrift als Unternehmung, welche die Transportversicherung zum Gegenstand habe, keiner Zulassung. Demgegenüber hat das Berufungsgericht die vorliegende Versicherungsurkunde dahin ausgelegt, daß es sich um eine Feuerversicherung handle, und auf Grund dessen durch Zwischenurteil ausgesprochen, die Einrede des Beklagten, daß die englische Versicherungsgesellschaft Lloyds London zum Abschlusse derartiger Versicherungsverträge, wie hier einer vorliegt, nicht der behördlichen Zulassung im Deutschen Reiche bedurfte, sei unbegründet.

Jene Auslegung läßt keinen Rechtsirrtum erkennen (vgl. insbes. über die Verschiedenheit des versicherten Risikos das Ges. über den Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908, einerseits § 82 anderseits §§129 flg.), ist auch in dieser Instanz von keiner Seite in Zweifel gezogen worden. Mit Recht hat das Berufungsgericht insbesondere auch angenommen, daß seine Beurteilung mit der in RGZ. Bd. 72 S. 418 ausgeführten nicht in Widerspruch stehe; dafür genügt es, darauf hinzuweisen, daß in jenem Falle (nach ausdrücklicher Erwähnung zu Eingang des Tatbestandes) der Kraftwagen unter Ausschluß des Feuer-, Explosions- und Kurzschlußrisikos versichert war, wogegen hier die Versicherungsurkunde gerade nur den durch Brand, Explosion, Blitzschlag und Selbstentzündung entstehenden Schaden als den Gegenstand der Versicherung bezeichnet.

Zu der im Endurteil ausgeführten gegenteiligen Annahme, daß die Vorschrift des § 85 VAG. im vorliegenden Falle nicht eingreife, ist das Berufungsgericht auf Grund des § 92 das. gelangt, wonach die beim Inkrafttreten des Gesetzes (d. i. am 1. Januar 1902, vgl. § 125 VAG. und Kais. VO. vom 24. November 1901. RGBl. S. 489) in einem oder in mehreren Bundesstaaten landesgesetzlich zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmungen keiner Erlaubnis nach Maßgabe dieses Gesetzes bedürfen zur Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebs in den von ihnen bisher eingehaltenen oder, sofern ihre Befugnis zum Geschäftsbetrieb auf besonderer Zulassung beruht, in den bisher durch die Zulassung gestatteten Grenzen - während es zu jeder demgegenüber erweiterten Geschäftsbetätigung einer Erlaubnis nach Maßgabe des Versicherungsaufsichtsgesetzes bedarf (vgl. auch § 96 das.). Das Berufungsgericht hebt hervor, daß im Staate Hamburg vor dem Inkrafttreten jenes Gesetzes inländische wie ausländische Versicherungsunternehmungen keiner besonderen Zulassung bedurften, und stellt auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen H. fest, daß Lloyds London schon vor dem 1. Januar 1902 das Geschäft der Feuerversicherung in demselben Umfange betrieben habe, wie zur Zeit des Abschlusses des hier in Betracht kommenden Vertrags; danach und gemäß § 92 VAG. bedürfe Lloyds London nach dem Inkrafttreten des Gesetzes keiner besonderen Zulassung hinsichtlich der in Hamburg für ihn abgeschlossenen und abzuschließenden Feuerversicherungsverträge, womit die Grundlage der Klage entfalle.

Gegen diese Anwendung des § 92 hat die Revision Einwendungen in verschiedenen Richtungen erhoben. Angesichts des umfassenden Wortlautes der bereits angeführten Formel des Zwischenurteils und der Vorschrift des § 318 ZPO., meint sie, habe die Frage der Zulassungsbedürftigkeit überhaupt nicht mehr verneint werden dürfen. Zutreffend hat indessen das Berufungsgericht bereits im Endurteile darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Zwischenurteile nur um die Frage der Anwendbarkeit des § 116 VAG. gehandelt hat, während die Vorschrift des § 92 das. damals anscheinend noch gar nicht in die Erörterung einbezogen worden war. Allerdings ist das Zwischenurteil als solches nach § 318 ZPO. für das Prozeßgericht bindend; aber der Inhalt seiner wie immer gefaßten Formel ist nach allgemeinen Grundsätzen regelmäßig der Auslegung aus den Entscheidungsgründen fähig und bedürftig. Nach § 303 ZPO. soll ein Zwischenurteil, wie es hier in Frage steht, ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorab erledigen, d. h. so erledigen, wie es gebraucht ist. In dem Ausspruche des Zwischenurteils, die Einrede des Beklagten, daß Lloyds London für Versicherungsverträge der vorliegenden Art nicht der behördlichen Zulassung im Deutschen Reiche bedürfe, sei unbegründet, liegt naturgemäß ausgesprochen, daß dieser Einwand in dem Sinne beurteilt wurde, wie er erhoben war, - also auf seine Berechtigung geprüft ist nur auf der Grundlage, die seine von der Partei, die ihn erhoben hat, gegebene Begründung ergibt. Dagegen kann es nicht die Aufgabe des Zwischenurteils solcher Art sein, ein Vorbringen abzuschneiden oder zu erledigen, das zur Zeit der Erlassung jenes noch gar nicht verlautet war....

Aber auch im Hinblick auf den vormaligen Rechtsstand im Hamburger Staatsgebiete, wo vor dem Inkrafttreten des Versicherungsaufsichtsgesetzes für in- und ausländische Versicherungsunternehmungen eine besondere behördliche Erlaubnis zum Geschäftsbetriebe nicht vorgeschrieben war, hält die Revision die Anwendung des § 92 VAG. für fehlsam, weil darin gesprochen wird von "landesgesetzlich" zum Geschäftsbetriebe befugten Versicherungsunternehmungen. Danach sehe die Vorschrift des § 92 das Bestehen irgendeines Landesgesetzes für die einschlägigen Verhältnisse voraus; auf einen der gesetzlichen Regelung überhaupt entbehrenden Zustand der Dinge könne jene Vorschrift nicht angewendet werden. Dies ist rechtsirrig. Das von der Revision hervorgehobene Wort landesgesetzlich bedeutet nichts anderes als "nach Maßgabe des landesrechtlichen Rechtsstandes", im Gegensatz zu einem Reichsgesetze. Sehen Landesgesetze eine besondere Zulassung vor, so ist im § 92 an eine solche landesgesetzliche Zulassung gedacht; wird einer solchen nach dem Stande der Landesgesetzgebung überhaupt nicht gedacht, so war die Versicherungsunternehmung eben ohne solche Zulassung zum Geschäftsbetriebe befugt. Warum letztenfalls die Vorschrift des § 92 nicht eingreifen sollte, dafür ist kein sachlicher Grund zu ersehen. Daß sie übrigens gleichermaßen für in- wie für ausländische Versicherungsunternehmungen gilt, hat das Berufungsgericht bereits mit Recht angenommen und wird auch in der Revisionsinstanz von keiner Seite in Zweifel gezogen." ...