RG, 22.01.1919 - I 216/18
Hat der Schuldner, dem die Schuld bis zur Besserung seiner Verhältnisse gestundet ist, unaufgefordert zu leisten und auch Ratenzahlungen anzubieten, sobald er dazu imstande ist?
Tatbestand
Das Reichsgericht hat die Frage bejaht.
Gründe
"Das Oberlandesgericht hält die Klage wegen des ihr entgegengesetzten Stundungseinwandes zurzeit für nicht begründet. Es geht zutreffend davon aus, daß sich die eingeklagte Hauptforderung der Klägerin auf 5156,78 M belaufe. Es führt weiter einwandfrei aus, daß der von der Klägerin dem M. gewährte Erlaß von 30% ihrer Forderung den Beklagten nicht befreit, die Klägerin aber ihm seine Schuld so lange gestundet habe, bis er infolge Besserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zu ihrer Begleichung in der Lage sein werde. Den Eintritt dieser Bedingung verneint das Oberlandesgericht, weil der Beklagte Vermögen überhaupt nicht besitze und bei einem Monatsgehalt von 300 M auch mit Berücksichtigung der (von ihm bestrittenen) monatlichen Nebeneinnahme von 150 M bei der heutigen Teuerung ohne erhebliche Beeinträchtigung des standesmäßigen Unterhalts für sich und seine Familie nicht imstande sei, eine Schuld von über 5000 M zu begleichen. Es knüpft hieran die Schlußerwägung, zu einer von der Klägerin auch nicht verlangten Ratenzahlung sei der Beklagte nicht verpflichtet. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob er die Schuld im Laufe von Jahren in Teilbeträgen zu tilgen vermöchte. Das Gericht wäre nicht befugt, hierüber eine Verhandlung anzubahnen. Die Revision greift die Schlußerwägung mit der Rüge aus § 242 BGB. und § 139 ZPO. mit Recht an. Die dem Beklagten gewährte Stundung seiner Schuld fällt unter den Begriff der Besserungsklausel. Es stand nicht in seinem Belieben, die Klägerin zu befriedigen, sondern Treu und Glauben verpflichteten ihn, daß er, ohne deren Aufforderung abzuwarten, seine Zusage erfüllte, sobald seine wirtschaftlichen Verhältnisse es zuließen (§ 242 BGB.). Den Maßstab hierfür bildeten die Erfordernisse des standesmäßigen Lebensunterhalts. Auch wenn der Beklagte zu Ratenzahlungen sich nicht ausdrücklich verpflichtet hatte, geboten es ihm Treu und Glauben, solche der Klägerin anzubieten, sobald er zu ihnen imstande war. Bestand Streit unter den Parteien, ob die Voraussetzungen der Besserungsklausel vorlagen, so hatte der Richter darüber zu befinden. Hierzu gehörte auch die Entscheidung darüber, ob die Besserung der Verhältnisse dem Beklagten gestattete, die Schuld im ganzen auf einmal oder nur in Ratenzahlungen zu tilgen. Es durfte der Klägerin nur nicht mehr oder etwas anderes zugesprochen werden, als sie beantragt hatte (§ 308 ZPO.). Nach Ansicht des Oberlandesgerichts ist der Beklagte bei einer monatlichen Einnahme von 450 M nicht in der Lage, die Forderung der Klägerin auf einmal zu begleichen. Es hat sich nicht darüber ausgesprochen, ob ihm die Begleichung durch Ratenzahlungen zugemutet werden könne. Auch hierüber war eine Entscheidung erforderlich. Trug das Oberlandesgericht Bedenken, sie abzugeben, weil die Klägerin mit Rücksicht auf die Fassung des Klagantrags Zahlung der ganzen geschuldeten Summe auf einmal forderte, so war die Fragepflicht auszuüben. Die Gründe, aus denen das Oberlandesgericht sich nicht für befugt erachtet hat, über die etwaige Tilgung der Schuld in Teilbeträgen mit den Parteien zu verhandeln, sind rechtsirrig." ...