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RG, 08.10.1917 - VI 131/17

Daten
Fall: 
Besondere Vertreter
Fundstellen: 
RGZ 91, 1
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.10.1917
Aktenzeichen: 
VI 131/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Breslau
  • OLG Breslau

Welche Personen sind als besondere, neben dem Vorstande satzungsmäßig bestellte Vertreter im Sinne der §§ 30, 31 BGB. anzusehen?

Tatbestand

Die Breslauer Zweigniederlassung der unter 1 verklagten Aktiengesellschaft hatte im April 1903 dem Kaufmann K. in Breslau eine Sauggaskraftanlage zur Erzeugung elektrischen Lichtes käuflich geliefert. Da der Betrieb dieser Anlage Anfangs August 1905 polizeilich untersagt wurde, setzte sie den Motor mit einem Schomburgschen Vergaser in Verbindung; in dieser Weise wurde dann die Beleuchtungsanlage vom 9. bis 19. August 1905 in Betrieb genommen. An letzterem Tage wurde der Vergaser wieder entfernt und die Sauggaskraftanlage in ihrer ursprünglichen Gestalt in Betrieb gesetzt. Am 21. August 1905 wurde der Vergaser wiederum angebracht, da er zwei Beamten eines anderen Werkes, nämlich dem Ehemann und Vater der Kläger und dem Zivilingenieur A. zur Probe vorgeführt werden sollte.

Bei der Herstellung der Verbindung zwischen dem von der Beklagten zu 1 gelieferten Motor und dem Schomburgschen Vergaser war der bei der Breslauer Zweigniederlassung der Beklagten zu 1 angestellte Ingenieur Ba. beteiligt. Als nunmehr der Apparat in dem Keller des K.schen Grundstücks in Betrieb gesetzt wurde, entstand eine Explosion der Beleuchtungsanlage, durch welche fünf Personen, darunter auch der Erblasser der Kläger, getötet wurden.

Wegen des ihnen hierdurch entstandenen Schadens verlangten die Kläger eine Rente.

Während das Landgericht den Klaganspruch auch der mitbeklagten Aktiengesellschaft gegenüber dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärte, wurde die Klage dieser Beklagten gegenüber vom Oberlandesgericht abgewiesen. Die Revision der Kläger hatte insoweit Erfolg.

Gründe

Mit Recht rügt die Revision die Verletzung der §§ 30, 31 BGB. In dieser Hinsicht steht folgendes fest:

Der Schomburgsche Vergaser, der bereits in der Zeit vom 9. bis 19. August 1905 von der Breslauer Zweigniederlassung der Beklagten zu 1 dem K. geliefert und in Gebrauch genommen war, um bei der von der Beklagten zu 1 dem K. gelieferten Beleuchtungsanlage verwendet zu werden, ist in derselben Weise auch an dem Unfalltage bei dem Probebetriebe zur Verwendung gelangt. Bei diesem Probebetrieb und bei der an diesem Tage erfolgten Installation der Anlage war auch mit Genehmigung oder mindestens mit Wissen eines der Leiter der Breslauer Zweigniederlassung, nämlich des den abwesenden ersten Ingenieur L. vertretenden Ingenieurs B., der bei der Breslauer Zweiganstalt der Beklagten zu 1 angestellte Ingenieur Ba. tätig.

Ferner ist die Explosion nach den insoweit übereinstimmenden Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen ausschließlich auf den Mangel an Sicherungen an dem Apparat. zurückzuführen. Das Berufungsgericht hat aber auf Grund der Bekundungen der Sachverständigen und in Übereinstimmung mit diesen auch angenommen, daß B. bei Anwendung der gehörigen Aufmerksamkeit die Möglichkeit der Explosion hätte voraussehen und für die Anbringung von Sicherungen vor der Benutzung des Apparates hätte Sorge tragen müssen.

Das Berufungsgericht hat nun zwar die Haftbarkeit des Beklagten B. für die Folgen des Unfalls gemäß §§ 823, 844 BGB. bejaht, gleichwohl aber die der Beklagten zu 1 verneint, weil es - im Gegensatz zum ersten Richter - zu der Annahme gelangt ist, die §§ 30, 31 BGB. könnten im vorliegenden Falle keine Anwendung finden. Diese Annahme beruht auf der Erwägung, daß die Bestellung besonderer Vertreter der Zweigniederlassung im Sinne des § 30 BGB. in der Satzung nicht vorgesehen sei. Der Direktor Z. und der Ingenieur L. sowie dessen Stellvertreter, der Ingenieur B., denen Vollmacht zu der Besorgung der Geschäfte der Zweigniederlassung in Breslau erteilt war, seien deshalb nur als "Handlungsbevollmächtigte", nicht aber als besondere Vertreter anzusehen.

Diese Ausführungen geben nach mehrfacher Richtung hin zu rechtlichen Bedenken Anlaß.

Schon die Schlußfolgerung, daß jene Personen deshalb, weil ihnen "die Besorgung der Geschäfte der Zweigniederlassung und zugleich Handlungsvollmacht" erteilt sei, nur als "Angestellte, Beamte, Handlungsbevollmächtigte" der Gesellschaft, nicht aber als besondere Vertreter im Sinne des § 30 BGB. anzusehen seien, muß als rechtsirrtümlich bezeichnet werden. Denn die Erteilung einer "Handlungsvollmacht", die in erster Linie nur für das innere Verhältnis zwischen dem Bevollmächtigten und dem Machtgeber von Bedeutung ist, schließt die Eigenschaft eines "Vertreters" im Sinne des § 30 BGB. keineswegs aus. Dementsprechend hat es denn auch der erkennende Senat bereits in der Entscheidung Rep. VI. 169/14 vom 21. September 1914 (Warneyer 1915 Nr. 317) als nicht rechtsirrtümlich angesehen, daß das Berufungsgericht einen zur Leitung einer Filiale bestellten Prokuristen, also eine Person, der eine besonders weitgehende Handlungsvollmacht erteilt war, als Vertreter im Sinne des § 30 BGB. betrachtet hat.

Auch die weitere Annahme des Oberlandesgerichts, daß die Direktoren und Leiter der Zweigniederlassung Breslau um deswillen als Vertreter im Sinne des § 30 BGB. nicht anzusehen seien, weil ihre Bestellung in der Satzung der beklagten Gesellschaft nicht vorgesehen sei, gibt zu rechtlichen Bedenken Anlaß. Wie das Reichsgericht neuerdings in ständiger Rechtsprechung angenommen hat, ist es nicht erforderlich, daß die Satzung selbst die Bestellung besonderer Vertreter anordnet; vielmehr ist dem Erfordernis, daß die neben dem Vorstände vorhandenen besonderen Vertreter als auf Grund einer Bestimmung der Satzung bestellt anzusehen sind, schon dann genügt, wenn satzungsmäßig die Errichtung einer Zweigniederlassung vorgesehen ist, die ohne weiteres die Bestellung besonderer Vertreter für diese erforderlich macht (Warneyer 1915 Nr. 317; Rep. VI. 2/17 vom 26. Februar 1917). Es hängt alsdann lediglich von der Auslegung der Satzung ab, ob die als Leiter einer solchen Zweigniederlassung bestellten Personen als "besondere Vertreter" im Sinne der §§ 30, 31 BGB. anzusehen sind oder nicht.

Mit dieser Auffassung stehen auch die in RGZ. Bd. 74 S. 21, 255 und Jur. Wochenschr. 1912 S. 238 Nr. 2 abgedruckten Urteile keineswegs in Widerspruch. In den jenen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen handelte es sich um Personen, die entweder nicht auf Grund organisatorischer oder satzungsmäßiger Bestimmungen angestellt oder nicht mit einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht ausgestattet waren. Wenn es insbesondere in der Entscheidung vom 4. Januar 1912 (Jur. Wochenschr. S. 338) heißt, daß nur der durch die Satzung vorgesehene Beamte, der Vertretungsgewalt Dritten gegenüber hat, als verfassungsmäßiger Vertreter zu gelten habe, so ist gerade im vorliegenden Falle satzungsmäßig die Errichtung von Zweigniederlassungen der Beklagten zu 1 vorgesehen, und es ist auch ferner den Leitern der hier in Betracht kommenden Zweigniederlassung Breslau in deren Anstellungsverträgen eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht übertragen worden. Macht aber die verfassungsmäßig errichtete Zweigniederlassung für die Zwecke ihres Betriebes die Bestellung solcher mit Vertretungsrecht nach außen ausgestatteter Leiter notwendig, so können diese als auf Grund der Satzung berufene besondere Vertreter im Sinne der §§ 30, 31 BGB. angesehen werden.

Danach wird man als "besondere neben dem Vorstande für gewisse Geschäfte satzungsmäßig bestimmte Vertreter" solche Personen anzusehen haben, deren Bestellung entweder in der Satzung selbst vorgesehen ist, oder die auf Grund einer Bestimmung der Satzung oder kraft entsprechender organisatorischer Anordnungen bei denjenigen Körperschaften des öffentlichen Rechtes, für welche eine "Satzung" im engeren Sinne nicht besteht, zur rechtsgeschäftlichen Vertretung der Körperschaft oder des Vereins für einzelne oder alle Geschäfte berufen und ermächtigt sind.

Diese Auffassung, die dem Sinne und Zwecke des Gesetzes allein gemäß ist, ergibt sich auch aus dessen Entstehungsgeschichte.

Im ersten Entwürfe des Bürgerlichen Gesetzbuchs war eine der Vorschrift des § 30 entsprechende Bestimmung überhaupt nicht enthalten. Erst bei der zweiten Lesung (Protokolle Bd. 1 S. 520) wurde der Antrag gestellt, als § 45a folgende Bestimmung einzuschalten:

"Zur Vertretung des Vereins bei der Führung seiner Geschäfte können neben dem Vorstande Beamte oder sonstige Vertreter bestellt sein. Die Vollmacht derselben erstreckt sich im Zweifel auf alle Handlungen, welche die Führung von Geschäften von der Art der ihnen übertragenen gewöhnlich mit sich bringt."

Hierzu wurde der Unterantrag gestellt, den Satz 1 folgendermaßen zu fassen:

"Durch die Verfassung kann bestimmt werden, daß neben dem Vorstande noch weitere Vertreter für die Führung gewisser Geschäfte bestellt werden können."

Mit diesem Unterantrage wurde der § 45 a angenommen und dabei hervorgehoben, daß der Gesetzesvorschlag dem Vorganges des Art. 235 HGB. (in der Fassung des Gesetzes vom 18. Juli 1884) folge. Der Art. 235 HGB. lautete:

"Der Betrieb von Geschäften der Gesellschaft, sowie die Vertretung der Gesellschaft in bezug auf diese Geschäftsführung kann auch sonstigen Bevollmächtigten oder Beamten der Gesellschaft zugewiesen werden. In diesem Falle bestimmt sich die Befugnis derselben nach der ihnen erteilten Vollmacht; sie erstreckt sich im Zweifel auf alle Rechtshandlungen, welche die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt."

Wenn diese Vorschrift auch in dem jetzigen Handelsgesetzbuche keine Aufnahme gefunden hat, vielmehr als überflüssig gestrichen ist (vgl. Denkschrift S. 139). so läßt doch der Hinweis darauf bei den Beratungen der zweiten Kommission zum Entwurfe des Bürgerlichen Gesetzbuchs deutlich erkennen, welche Personen der Gesetzgeber als "besondere Vertreter" im Sinne des § 30 BGB. angesehen wissen will. Es ist also auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zu folgern, daß unter den besonderen Vertretern im Sinne jener Vorschrift alle diejenigen Personen einbegriffen werden müssen, die in der Lage und ermächtigt sind, den Verein nach bestimmten Richtungen hin rechtsgeschäftlich zu vertreten, sofern ihre Bestellung in der Satzung oder in sonstigen organisatorischen Vorschriften eine rechtliche Unterlage hat.

Nach dieser Richtung hin hat das Berufungsgericht den Sachverhalt bisher nicht geprüft, so daß schon aus diesem Grunde auf die Revision der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Urteils erfolgen muß, soweit die Klage gegen die Mitbeklagte zu 1 abgewiesen worden ist." ...