RG, 05.06.1917 - VII 93/17
Zur Auslegung des § 7 Abs. 5 des Reichsstempelgesetzes vom 3. Juli 1913.
Tatbestand
Die Klägerin hat durch Beschluß vom 15. November 1913 ihr Grundkapital von 6 Millionen Mark um 2 Millionen Mark erhöht. Für die Übernahme der neuen Aktien erforderte der Beklagte den Schlußnotenstempel der Tarifnr. 4a des Reichsstempelgesetzes vom 3. Juli 1913. Die Klägerin hat diese Abgabe mit 804 M neben anderen Stempelbeträgen, insbesondere dem Gesellschaftsvertragsstempel der Tarifnr. 1 A. entrichtet und fordert sie nebst 4 v. H. Prozeßzinsen mittels der Klage zurück. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin wurde der Beklagte nach dem Klagantrage verurteilt. Diese Entscheidung wurde auf die Revision aufgehoben aus folgenden Gründen:
Gründe
Die Klägerin stützt ihren Rückforderungsanspruch auf den § 7 Abs. 5 des hier anzuwendenden Reichsstempelgesetzes vom 3. Juli 1913, nach dessen Vorschrift, falls Urkunden der Tarifnr. 1 unter A Geschäfte enthalten, die dem Stempel der Tarifnr. 4a unterliegen, letzterer auf den Stempel der Tarifnr. 1 unter A. anzurechnen ist. Eine Anrechnung ist im vorliegenden Falle nicht erfolgt, die Einziehung des Stempels der Tarifnr. 4a Abs. 2 für die Ausreichung der neuen Aktien an den ersten Erwerber vielmehr geschehen, weil der Beklagte die Anrechnung für unzulässig erachtet. Er ist der Meinung, daß die Anrechnung des Stempels der Tarifnr. 4a auf den Reichsgesellschaftsstempel nur dann stattfinden dürfe, wenn es sich um den hier nicht zutreffenden Fall des Einbringens von Wertpapieren handle. Eine solche einengende Auslegung des Abs. 5 lehnt der Berufungsrichter mit Recht ab. Weder der Wortlaut und Sinn der Vorschrift noch auch ihre Entstehungsgeschichte bieten für eine solche Einschränkung irgend welchen Anhalt. Es muß deshalb ohne Bedeutung bleiben, ob es zweckmäßiger und dem früheren Rechtszustand entsprechender gewesen wäre, das Gesetz einer solchen Einschränkung gemäß zu fassen und ob eine der Gesetzgebungsstellen, durch deren Zusammenwirken das Gesetz zustande gekommen ist, die Absicht gehabt hat, die Vorschrift des Abs. 5 nur mit dieser Einschränkung in Wirkung zu setzen. Entscheidend ist, daß diese Absicht nirgends erkennbar zum Ausdruck gelangt ist.
Sind hiernach auch die Ausführungen der Revision nicht zu billigen, so mußte doch das Berufungsurteil aus einem anderen Grunde aufgehoben werden. Der Gesellschaftsbeschluß, durch den die den Gesellschaftsvertragsstempel der Tarifnr. 1 unter A auslösende Erhöhung des Grundkapitals erfolgt ist, befindet sich nicht bei den Prozeßakten; sein Inhalt ist auch vom Berufungsrichter des näheren weder wiedergegeben noch gewürdigt. Es kam daher zurzeit nicht geprüft werden, ob in der Urkunde des Gesellschaftsbeschlusses das Geschäft der Aktienausreichung "enthalten" ist. Ohne eine solche Prüfung kann nach dem klaren Inhalte der Vorschrift des Abs. 5 eine Anrechnung nicht zugelassen werden. Unter "Ausreichen" der Aktien ist nach ständiger Rechtsprechung (RGZ. Bd. 39 S. 126, 129; Jur. Wochenschr. 1909 S. 60 Nr. 33) nicht der Physische Vorgang der Aushändigung zu verstehen, sondern das Geschäft, durch das für den ersten Erwerber der Aktien der Anspruch auf Auslieferung der Papiere an ihn begründet wird. Die Anrechnung kann danach nur erfolgen, wenn der schuldrechtliche Anspruch der Übernehmer der Aktien auf deren Aushändigung im Erhöhungsbeschluß als ein Bestandteil des Erhöhungsgeschäfts (§ 278 HGB.) beurkundet ist. Ist diese Beurkundung erst in einer besonderen Urkunde erfolgt, nachdem im Erhöhungsbeschlusse nur allgemein die Verbindlichkeit zur Ausgabe der neuen Aktien zu einem bestimmten Kurse festgestellt worden ist, so fehlt es an der gesetzlichen Voraussetzung für die Anrechnung des Ausreichungsstempels. Das Berufungsurteil mußte hiernach aufgehoben und die Sache zur Prüfung nach der vorbezeichneten Richtung hin an den Berufungsrichter zurückverwiesen werden.