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RG, 14.05.1917 - VI 56/17

Daten
Fall: 
Dauer der Geldrente im Falle des § 844 Abs. 2 BGB
Fundstellen: 
RGZ 90, 226
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.05.1917
Aktenzeichen: 
VI 56/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Halle a.S.
  • Oberlandesgericht Naumburg a.S.

Kann im Falle des § 844 Abs. 2 BGB. dem Unterhaltsberechtigten eine Geldrente auf dessen Lebenszeit zugesprochen oder muß stets die mutmaßliche Lebensdauer des Getöteten ermittelt werden?

Tatbestand

Der Ehemann der Klägerin ist im Jahre 1912 im Werke der Beklagten tödlich verunglückt. Nachdem der Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden war, hat das Berufungsgericht ihr eine jährliche Unterhaltsrente von 1260 M auf ihre Lebenszeit zugesprochen. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.

Gründe

... "Die Revision bemängelt mit Recht, daß das Berufungsurteil der Klägerin die Unterhaltsrente auf ihre Lebenszeit zugesprochen und es unterlassen hat, diese zeitlich auf die mutmaßliche Lebensdauer des Verunglückten abzugrenzen, da insoweit eine Verletzung des § 844 BGB. vorliegt. Das Berufungsgericht hat zwar diese Vorschrift anscheinend nicht übersehen, aber durch unrichtige Anwendung verletzt. Es führt nämlich in dieser Hinsicht folgendes aus:

"Der Unterhaltsanspruch der Ehefrau besteht während der ganzen Dauer der Ehe, er findet also seine zeitliche Begrenzung lediglich in dem Tode eines der beiden Ehegatten. Daher ist auch die Schadensersatzrente der Klägerin auf Lebenszeit zuzusprechen, falls nicht zu vermuten ist, daß der Getötete vor ihr verstorben sein würde. Hierfür liegt jedoch kein Anhalt vor."

Alsdann wird im einzelnen dargelegt, daß, da der Ehemann zur Zeit des Unfalls völlig gesund und nur zwei Jahre älter als seine Ehefrau war, keinesfalls anzunehmen sei, daß die Frau den Mann überlebt haben würde.

In diesen Erwägungen tritt die rechtsirrtümliche Auffassung der Vorschrift des § 844 Abs. 2 BGB. und ihres Zweckes zutage. Jener Auffassung steht schon der an sich klare Wortlaut des Gesetzes entgegen. Dies gewährt nämlich der durch den Tod eines Unterhaltspflichtigen geschädigten Person eine Geldrente gegenüber dem Schädiger nicht schlechthin, sondern nur soweit, "als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde". Daraus ergibt sich, daß die nach § 844 Abs. 2 BGB. zu leistende Rente von vornherein auf die mutmaßliche Lebensdauer des getöteten Unterhaltspflichtigen zeitlich begrenzt ist. Dieser Zeitpunkt allein ist deshalb für die Abgrenzung der zeitlichen Dauer der Rente maßgebend und muß vom Gerichte durch entsprechende Feststellung und Schätzung gemäß § 287 ZPO. ermittelt werden. Es ist somit grundsätzlich verfehlt, die Rente unter Zugrundelegung der Lebensdauer des Unterhaltsberechtigten zeitlich zu begrenzen; und es geht auch nicht an, eine derartige Begrenzung mit der Erwägung vorzunehmen, daß der unterhaltspflichtige Getötete vermutlich ebenso lange gelebt haben würde, wie der Unterhaltsberechtigte, der die Rente begehrt. Denn mit einem derartigen auf die Lebensdauer des Berechtigten lautenden Ausspruche wird in Wirklichkeit die Dauer der Rente zeitlich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt begrenzt, sondern auf einen Zeitraum von ganz ungewisser Dauer (nämlich auf die Lebensdauer des Berechtigten) zugesprochen, während es die Aufgabe des über den Rentenanspruch entscheidenden Richters ist, die dem Unterhaltsberechtigten zustehende Rente gemäß § 844 Abs. 2 BGB. zeitlich genau zu begrenzen, mag die Ermittelung dieses Zeitpunkts in manchen Fällen auch mit Schwierigkeiten verknüpft sein. Auf keinen Fall kann der Unterhaltungsberechtigten, wie kurz oder lang auch seine Lebensdauer sein möge, die Rente für einen längeren Zeitraum zugesprochen werden, als für die mutmaßliche Lebensdauer des Getöteten. Wenn in einzelnen Wendungen älterer Entscheidungen des Senats eine andere Ansicht zutage getreten sein sollte (vgl. RGZ. Bd. 64 S. 33, insbes. S. 35; vgl. jedoch auch Jur. Wochenschr. 1908 S. 109 Nr. 7), so kann insoweit daran nicht festgehalten werden.

Zu den gleichen Ergebnis gelangt man auf Grund der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. In der amtlichen Begründung (Bd. 2 S. 786 flg.) zu dem 1. Entw. des § 724 BGB. (jetzt § 844) sind eingehende Erwägungen darüber angestellt worden, ob und in welcher Weise die dem Unterhaltsberechtigten zu gewährende Rente zeitlich zu begrenzen sei. In Anlehnung an die damalige neuere Rechtsprechung, insbesondere auch des Reichsgerichts (RGZ. Bd. 5 S. 108, Bd. 7 S. 50, Bd. 13 S. 7), hat man sich dann dahin entschieden, daß die Rente unter allen Umständen auf die mutmaßliche Lebensdauer des Getöteten zu begrenzen sei. Daran ist auch bei der Beratung des Entwurfs in der Kommission für die 2. Lesung (Prot. Bd. 2 S. 621 flg.) festgehalten und dem gesetzgeberischen Gedanken lediglich durch eine Fassungsänderung des Entwurfs noch ein klarerer Ausdruck gegeben worden.

Endlich weist auch die gemäß § 844 Abs. 2 BGB. entsprechend anwendbare Vorschrift des § 843 Abs. 3 BGB. darauf hin. daß der Zeitpunkt, bis zu welchem die Geldrente zu gewähren ist, genau und zwar kalendermäßig bestimmt sein soll. Denn danach kann statt der Rente eine Abfindung in Kapital verlangt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Eine solche Kapitalabfindung läßt sich aber dann viel einfacher, genauer und leichter berechnen, wenn es sich um die Umwandlung einer zeitlich abgegrenzten Rente handelt, als wenn die Rente auf die ganz ungewisse Lebensdauer des Berechtigten zugesprochen wird.

Nach alledem ist der Vorschrift des § 844 Abs. 2 BGB. nur dann in einer dem Gesetz entsprechenden Weise Genüge geleistet, wenn spätestens in dem Verfahren über die Höhe des Rentenanspruchs dieser nach Maßgabe der mutmaßlichen Lebensdauer des unterhaltspflichtigen Getöteten kalendermäßig abgegrenzt wird." ...