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RG, 13.03.1917 - III 398/16

Daten
Fall: 
Berufungsgerichtliche Überprüfung von Fragen
Fundstellen: 
RGZ 90, 23
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.03.1917
Aktenzeichen: 
III 398/16
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

Darf das Berufungsgericht die Beantwortung einer Frage, die das Revisionsgericht bereits abschließend bejaht hat, auf Grund neuer Tatsachen in Zweifel ziehen?

Tatbestand

Der Beklagte rechnete gegen einen Anspruch von 169191,35 M, der nach dem Antrage der Klägerin als Konkursforderung festgestellt werden sollte, mit einer Schadensersatzforderung von 482545 M auf. Zur Begründung dieser Forderung machte er geltend, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe den zwischen ihr und dem Kaufmann K.G. bestehenden Agenturvertrag schuldhaft verletzt, indem sie namentlich durch ständige Ablehnung angebotener Geschäfte über Holzlieferungen dem G. eine gewinnbringende Agenturtätigkeit unmöglich gemacht habe. Das Berufungsgericht hatte in seinem früheren Urteile die Ersatzforderung für unbegründet erklärt und den Anspruch der Klägerin als Konkursforderung festgestellt. Durch Urteil des erkennenden Senats vom 30. Januar 1914 wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen. Mit Rücksicht auf den Inhalt des Revisionsurteils beschränkte das Berufungsgericht die Verhandlung, auf die Höhe des Ersatzanspruchs, wies dann zunächst durch Versäumnisurteil die Klage ab und hielt diese Entscheidung durch Teilurteil insoweit aufrecht, als der Klaganspruch in der Höhe von 45000 M abgewiesen worden war. Die Klägerin beanstandete die Beschränkung der Berufungsverhandlung auf die Höhe des Ersatzanspruchs, da sie neue Tatsachen zum Grunde dieses Anspruchs geltend zu machen habe.

Ihre Revision wurde jedoch zurückgewiesen.

Gründe

"Das Revisionsurteil vom 30. Januar 1914 kommt in seinen Entscheidungsgründen zu dem Ergebnis, daß der Schadensersatzanspruch des Beklagten dem Grunde nach gerechtfertigt und daß nur noch über seine Höhe zu entscheiden sei. Das Berufungsgericht findet darin eine rechtskräftige Entscheidung über den Grund dieses Anspruchs, ein, wenn auch nur in den Entscheidungsgründen des Revisionsurteils enthaltenes Zwischenurteil nach § 303 ZPO., und damit eine Endentscheidung im Sinne des § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO., die eine nochmalige Erörterung des Grundes im Berufungsverfahren ausschließe. Diese Begründung ist nicht haltbar. Von Rechtskraft kann nur gesprochen werden, wenn das Revisionsgericht eine Revision zurückweist oder bei Aufhebung des Berufungsurteils eine Endentscheidung in der Sache selbst trifft. Als eine solche Entscheidung ist auch ein Zwischenurteil nach § 304 ZPO. zu betrachten, da es den durch Klage oder Widerklage geltend gemachten Anspruch dem Grunde nach zur rechtskräftigen Erledigung bringt (RGZ. Bd. 50 S. 224). Über den Grund einer zur Aufrechnung gestellten Forderung kann aber ein Zwischenurteil nach § 804 ZPO. nicht ergehen (RGZ. Bd. 12 S. 363. Bd. 49 S. 338). Ein Zwischenurteil über das in der Ausrechnung liegende selbständige Verteidigungsmittel nach § 303 ZPO. läßt sich dem nicht gleichstellen. Ein solches Urteil bildet nur einen vorweg genommenen Bestandteil der Entscheidungsgründe des Endurteils. Es kann daher naturgemäß nur von dem Gericht erlassen werden, das zur Erlassung des Endurteils berufen ist, und seine bindende Wirkung hat mit der Frage der Rechtskraft nichts zu tun. Der Senat hätte bei Aufhebung des Berufungsurteils ein Zwischenurteil dieser Art nicht erlassen können und hat es auch nicht erlassen. Es hätte, wie gegenüber den Ausführungen des Berufungsgerichts zu bemerken ist, mit der im Revisionsurteile gegebenen Begründung auch vom Berufungsgerichte nicht erlassen werden können. Denn zur Entscheidung durch Zwischenurteil reif ist eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nur dann, wenn entweder ihr Grund zu verneinen ist, oder neben dem Grunde auch der Betrag feststeht (RGZ. Bd. 12 S. 363; Bd. 49 S. 338; Bd. 50 S. 224; Jur. Wochenschr. 1911 S. 458 Nr. 32 u. a.). Diese Voraussetzungen lagen aber nicht vor.

Für die bindende Kraft des Revisionsurteils kommt daher nur § 565 Abs. 2 ZPO. in Betracht. Gerade diese Vorschrift, der das Berufungsgericht eine solche Bedeutung nicht beimessen will, rechtfertigt aber die von ihm angeordnete Beschränkung. Schließt auch § 565 Abs. 2 die Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht grundsätzlich aus (vgl. RGZ. Bd. 76 S. 190), so läßt sich doch nur nach dem Inhalt des Revisionsurteils im einzelnen Falle beurteilen, inwieweit für eine wiederholte Erörterung der tatsächlichen Grundlagen noch Raum ist. Die rechtliche Beurteilung, die nach § 565 Abs. 2 für das Berufungsgericht maßgebend sein soll, umfaßt nicht bloß die Rechtsnormen und Rechtsgrundsätze, sondern auch ihre Anwendung auf den Sachverhalt. Hat also das Revisionsgericht diese Anwendung selbst vorgenommen, so ist dies auch für das Berufungsgericht bindend. Allerdings handelt es sich dabei zunächst um den Sachverhalt, der dem Revisionsgerichte vorlag. Der Gedanke, der dieser Bindung zugrunde liegt, ist aber folgender: Das Revisionsgericht sollte eigentlich den Rechtsstreit, der im Wege der Revision zu seiner Würdigung gelangt, selbst erledigen. Tut es dies nicht, was nach der auf Gründen der Zweckmäßigkeit beruhenden Ordnung des § 585 ZPO. die Regel bildet, dann erledigt das Berufungsgericht die Sache, soweit es einer Erledigung überhaupt noch bedarf, kraft der ihm vom Revisionsgericht erteilten Anweisung, und es ist deshalb auch an diese Anweisung gebunden. Hat das Revisionsgericht eine bestimmte Frage auf Grund des ihm vorliegenden Sachverhalts bereits abschließend bejaht, dann steht es dem Berufungsgerichte nicht mehr zu, ihre Beantwortung, sei es auch auf Grund neuer Tatsachen, in Zweifel zu ziehen. Die gegenteilige Auffassung würde eine unbeschränkte und unabsehbare Wiederholung der Erörterung bereits völlig und abschließend erledigter Streitpunkte ermöglichen, die nicht bloß der in § 565 Abs. 2 beabsichtigten Begrenzung der Aufgabe des Berufungsrichters widersprechen würde, sondern überhaupt mit den Anforderungen einer gesunden Prozeßführung unvereinbar wäre und insbesondere eine unerträgliche Prozeßverschleppung zur Folge haben müßte.

Um die abschließende Erledigung einer bestimmten Frage aber handelte es sich hier, wenn auf Grund des unstreitigen oder, soweit bestritten, festgestellten Sachverhalts im Revisionsurteil ausgeführt wurde: eine schuldhafte Vertragsverletzung durch die Rechtsvorgängerin der Klägerin liege vor und lasse den Schadensersatzanspruch des Beklagten dem Grunde nach als gerechtfertigt erscheinen, über die Höhe werde das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens der Streitteile nach § 287 ZPO. zu entscheiden haben. Die Anweisung an das Berufungsgericht, die rechtliche Beurteilung im Sinne des § 565 Abs. 2, ging gerade dahin, daß die Frage des Grundes der Gegenforderung erledigt sein und nur noch ihre Höhe geprüft werden sollte. Das Berufungsgericht durfte daher den Grund der Gegenforderung nicht mehr in Zweifel ziehen, und es war deshalb auch gerechtfertigt, daß es durch Beschränkung der Verhandlung auf die Frage der Höhe eine Erörterung des Grundes von vornherein ausschloß." ...