RG, 27.02.1894 - III 12/94

Daten
Fall: 
Erteilung einer Obervormundschaft
Fundstellen: 
RGZ 32, 169
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.02.1894
Aktenzeichen: 
III 12/94
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Oldenburg
  • OLG OLdenburg

Steht der Mutter eines unehelichen Pupillen gegen den Vormund der Rechtsweg auf Herausgabe des Pupillen zu, wenn die Obervormundschaft das Verbleiben des Pupillen bei dem vom Vormunde erwählten Erzieher ans Rücksicht auf das Wohl des Pupillen beschlossen hat?

Aus den Gründen

... "Die Klägerin will im Wege des bürgerlichen Rechtsstreites vom Vormunde die Herausgabe des Mündels erreichen, nachdem die Obervormundschaft ihren Antrag abgelehnt und das Verbleiben des Mündels bei dem ihm vom Vormunde gegebenen Erzieher aus Rücksicht aus das Wohl des Mündels beschlossen hat. Ihrem Klagantrage könnte nur stattgegeben werden, wenn der obervormundschaftliche Beschluß im Wege des bürgerlichen Rechtsstreites angefochten und eventuell vom Prozeßgerichte beseitigt werden dürfte. Nun können aber die obervormundschaftlichen Verfügungen, wenn der Richter seine Zuständigkeit nicht überschritten hat, nur in dem für die freiwillige Gerichtsbarkeit festgestellten Instanzenzuge angefochten werden, und dem Berufungsgerichte ist in der Annahme beizutreten, daß das Vormundschaftsgericht bei der zur Frage stehenden Verfügung in den Grenzen seiner Zuständigkeit geblieben ist. Denn nach römischem Rechte (vgl. I. 1 § I Dig. ubi pupill. educ. 27, 2 und 1. 1 Cod. ubi pupill. educ. 5, 49) steht die Bestimmung des Erziehers des Pupillen der obervormundschaftlichen Behörde zu; sie soll allerdings letztwillige Anordnungen des Vaters über die Erziehung beachten und eventuell die Mutter in erster Linie berücksichtigen; sie kann aber im Interesse des Pupillen von jenen Anordnungen absehen und aus triftigen, zu ihrer Erwägung stehenden Gründen die Mutter übergehen. Der Witwe muß aber insoweit die Mutter eines unehelichen Kindes gleichgestellt werden. Die Reichspolizeiordnungen haben die Stellung der obervormundschaftlichen Behörde für die Frage der Erziehung der Pupillen nicht verändert, und wenn auch viele Landesrechte der Mutter ein selbständiges Erziehungsrecht eingeräumt haben, so ist doch für das Gebiet des gemeinen Rechtes eine Änderung der römischrechtlichen Bestimmungen durch eine entgegenstehende konstante gemeinrechtliche Praxis nicht nachweisbar. Muß demnach davon ausgegangen werden, daß die Obervormundschaft bei der im Interesse des Mündels erfolgten Ablehnung der Übertragung der Erziehung auf die Klägerin oder eine andere Person die Grenzen ihrer Zuständigkeit nicht überschritten hat, so ist auch mit Recht vom Berufungsgerichte angenommen worden, daß die Klägerin den Anspruch auf Erziehung des Pupillen nicht zum Gegenstande eines bürgerlichen Rechtsstreites gegen den Vormund hat machen können."