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RG, 07.03.1889 - VI 342/88

Daten
Fall: 
Unfallversicherter Speditionsarbeiter
Fundstellen: 
RGZ 23, 51
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.03.1889
Aktenzeichen: 
VI 342/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Dresden
  • Oberlandesgericht Dresden

Hat ein unfallversicherter Speditionsarbeiter, welcher bei Verrichtung seines Dienstes von einem Eisenbahnunfalle betroffen wurde, Ersatzansprüche an den Betriebsunternehmer der Eisenbahn?

Tatbestand

G. war im Dienste eines Spediteurs auf dem Leipzig-Dresdener Bahnhofe beschäftigt und erlitt daselbst am 17. Juni 1867 durch den Betrieb der Eisenbahn eine Körperverletzung, infolge deren er erwerbsunfähig wurde. Die Speditionsberufsgenossenschaft, bei welcher G. nach dem Reichsgesetze vom 28. Mai 1885 versichert war, gewährte ihm eine Rente in Höhe von zwei Dritteilen seines Arbeitsverdienstes. Er klagte darauf gegen den Betriebsunternehmer der Eisenbahn auf Ersatz des dritten Dritteiles. In zweiter Instanz wurde der Beklagte verurteilt. Das Reichsgericht wies dessen Revision zurück.

Aus den Gründen

"Das Berufungsurteil legt zutreffend dar, daß der Beklagte gemäß §.1 des Reichsgesetzes vom 7. Juni 1871 den Schaden zu ersetzen habe, welcher dem Kläger durch die von ihm am 17. Juni 1887 erlittene Körperverletzung entstanden ist. Der Beklagte bestreitet dies auch nicht. Er behauptet nur, seine Ersatzpflicht sei durch die Bestimmungen des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1384 in Wegfall gebracht worden. Die gegenteilige Meinung der Vorinstanz muß jedoch für richtig gehalten werden.

Das Unfallversicherungsgesetz entzieht in §. 95 den Versicherten und deren Hinterbliebenen zum größten Teile diejenigen Ansprüche, welche sie nach dem bisherigen Rechte aus Ersatz des durch den Unfall entstandenen Schadens erheben konnten. Dabei handelt es sich aber nur um die Ansprüche gegen den Betriebsunternehmer, dessen Bevollmächtigte oder Repräsentanten, Betriebs- oder Arbeiteraufseher. Entschädigungsansprüche der Versicherten gegen andere Personen bleiben unberührt. Letzteres wird zwar in §. 98 bloß in betreff solcher Dritter, welche den Unfall aus Vorsatz oder durch Verschulden verursachten, hervorgehoben. Daraus, daß hier das Gesetz diejenigen Ersatzverbindlichkeiten übergeht, welche eine Verschuldung nicht zur Grundlage haben, kann indessen nicht gefolgert werden, die Vorschriften des §. 1 des Reichsgesetzes vom 7. Juni 1871, wonach der Eisenbahnunternehmer auch ohne Verschuldung haftet, hätten für Versicherungspflichtige, welche nicht bei der Eisenbahn beschäftigt sind, außer Kraft treten sollen. Eine derartige Umgestaltung der vorhandenen Gesetze wäre viel unzweideutiger zu verfügen gewesen. Bedenklich erscheint wohl die Bemerkung u. Woedtke's (Unfallversicherungsgesetz Anm. 3 zu §. 96 S. 324 der 3. Aufl.), daß der erste Satz des §. 98 die Haftverbindlichkeit Dritter, welche den Unfall absichtlich oder aus Fahrlässigkeit veranlaßten, nur beispielsweise aufführe. Dieser Ausfassung bieten weder die Worte des Gesetzes, noch die Begründung des Entwurfes irgend welchen Anhalt. Allein zur Rechtfertigung der Ansicht, daß der §. 1 des Haftpflichtgesetzes für die durch den Eisenbahnbetrieb beschädigten, nicht bei der Eisenbahn angestellten Versicherten noch fortgelte, genügt schon der Hinweis auf den Inhalt des §. 95 des Unfallversicherungsgesetzes, sowie auf die in dem Urteile des Reichsgerichtes vom 14. Juni 1888,1 mitgeteilten Motive. Hiernach ist außer Zweifel, daß das Unfallversicherungsgesetz lediglich die Verhältnisse der Versicherten zu ihren Arbeitgebern regeln wollte. Die Gesetzgebung über die Ansprüche der Versicherten an solche Personen, welche nicht ihre Arbeitgeber sind, hat (abgesehen von der Vorschrift in §. 98 Satz 2) keine Änderung erfahren. Einer Bestimmung hierüber hätte es an sich nicht bedurft. Wenn aber die getroffene Bestimmung nicht sämtliche Ansprüche erwähnt, welche den Versicherten gegen dritte Personen zukommen, so berechtigt dies immerhin nicht dazu, die Gesetze über die nicht genannten Ansprüche stillschweigend für aufgehoben zu achten.

Der dem Kläger widerfahrene Unfall ist während seiner Dienstleistung als Speditionsarbeiter, aber durch den Betrieb der Eisenbahn (durch den Anstoß einer von der Lokomotive bewegten Wagenreihe an die von ihm geschobene Lowry) verursacht worden, und bei der Eisenbahn war der Kläger nicht beschäftigt. Sonach steht ihm noch neben dem Anspruche an die Berufsgenossenschaft auch eine Ersatzforderung nach dem Reichsgesetze vom 7. Juni 1871 an den Betriebsunternehmer der Eisenbahn zu.

Aus dem Vorstehenden folgt ohne weiteres, daß die von dem Beklagten vertretene Ansicht den Wortlaut so wenig, als den Zweck des Unfallversicherungsgesetzes für sich hat. Ungleichheiten ergeben sich freilich bei der Anwendung des Gesetzes hinsichtlich einzelner Arbeiter- und Beamtenklassen. Dieser Umstand kann aber nicht zur Auslegung benutzt werden. denn er ist bei der Beratung des Gesetzes berücksichtigt worden, wie das angezogene reichsgerichtliche Urteil2 bereits gezeigt hat." ...

  • 1. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 21 Nr. 10 S. 54.
  • 2. vgl. Entsch. a, a. O. S. 56.