RG, 31.01.1889 - VI 301/88
Findet der §. 35 des preußischen Eisenbahngesetzes vom 3. November 1838 auch auf Staatsbahnen Anwendung?
Gründe
"Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteiles sind am 7. Juli 1887 in der Nähe der Eisenbahngeleise des Beklagten die Pferde des Klägers dadurch, daß eine Lokomotive fast in gerader Richtung auf sie zugefahren kam, scheu geworden, durchgegangen und mit solcher Wucht gegen die Ecke eines Stallgebäudes angerannt, daß eines derselben infolge der erhaltenen Verletzungen verendete.
Das Berufungsgericht erblickt in dem Tode des Pferdes einen Schaden, welcher dem Kläger "bei der Beförderung auf der Bahn" an seinen Sachen entstanden ist, und erachtet danach den Beklagten als Unternehmer der betreffenden Eisenbahn auf Grund des §. 25 des preußischen Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838 (G.S. S. 505) für verpflichtet, dem Kläger den Wert des Pferdes zu ersetzen.
Die von dem Beklagten eingelegte Revision ist auf die Ausführung gestützt, daß das angeführte Gesetz nach seinem Wortlaute und nach den zur Zeit seiner Emanation bestehenden Verhältnissen nur die Rechte und Verbindlichkeiten der Eisenbahngesellschaften regele, dagegen auf den Staat als Eisenbahnunternehmer umsoweniger Anwendung finden könne, als die Staatseisenbahnen, im Gegensatze zu den Privateisenbahnunternehmungen, in erster Linie nicht auf pekuniären Gewinn, sondern auf Förderung des allgemeinen Wohles des ganzen Staates abzielen.
Diese Ausführung kann indessen für zutreffend nicht erachtet werden.
Schon das vormalige preußische Obertribunal hat in mehreren Urteilen mit eingehender Begründung dargelegt, daß die Vorschrift des §. 25 des Gesetzes vom 3. November 1838 nicht auf Privateisenbahnen zu beschränken, vielmehr auch auf die vom Staate verwalteten Eisenbahnen anzuwenden sei.1
Dieser Auffassung hat sich das Reichsgericht nicht bloß in dem vom Vorderrichter angezogenen Erkenntnisse vom 1. Oktober 1881 (Pr.-I.M.Bl. 1852 S. 301), sondern namentlich auch in dem Schiedsspruche der vereinigten IV. und V. Civilsenate vom 28. September 1885 in Sachen des preußischen Eisenbahnfiskus wider den Reichspostfiskus (abgedruckt in Gruchot, Beiträge Bd. 30 S. 147) angeschlossen. Wörtlich ist hier Folgendes gesagt: "Was die hier allein in Betracht kommenden privatrechtlichen Vorschriften des Gesetzes (vom 3. November 1838) zum Schutze von Personen und Sachen gegen die Gefährlichkeit des Bahnbetriebes anlangt, so fehlt es an jedem Grunde, von denselben die Eisenbahnunternehmungen des Staates zu eximieren, da das Gesetz nach seiner Einleitung für die Eisenbahnunternehmungen überhaupt gegeben und in der vorliegenden Hinsicht die Person des Unternehmers offenbar gleichgültig ist" (vgl. S. 154 a. a. O.).
Aus der Begründung der jetzt vorliegenden Revision kann der erkennende Senat einen Anlaß zum Abgehen von den vorgebuchten höchstrichterlichen Entscheidungen nicht entnehmen.
Der Umstand, daß zur Zeit der Emanation des Gesetzes nur solche Eisenbahnen bestanden, welche von Aktiengesellschaften unternommen waren, ist in dem angefochtenen Urteile zutreffend gewürdigt. Er erklärt es, daß in dem §. 25 als ersatzpflichtig "die Gesellschaft" bezeichnet ist, aber er läßt angesichts der Überschrift und der Einleitungsworte des Gesetzes nicht die Folgerung zu, daß die auf das Verhältnis der Eisenbahn Unternehmer zum Publikum bezüglichen Vorschriften, insbesondere der §. 25 nur für Aktiengesellschaften und nicht auch für Andere, welche etwa künftig Eisenbahnen unternehmen würden - offene Handelsgesellschaften, Kommunen, Korporationen, Einzelpersonen2 maßgebend sein sollten.
Ohne Grund beruft sich die Revision für die entgegengesetzte Ansicht auf den §. 49 des Gesetzes. Wenn hier Ergänzungen und Abänderungen des Gesetzes "nach Maßgabe der weiteren Erfahrungen und der sich daraus ergebenden Bedürfnisse" vorbehalten sind, so deutet doch nichts darauf hin, daß der Gesetzgeber ein Bedürfnis zur Ergänzung und Abänderung des vorliegend in Betracht kommenden §. 25 für den Fall als gegeben angesehen hätte, daß Eisenbahnen von Anderen als Aktiengesellschaften unternommen werden sollten.
Die Behauptung, daß jedenfalls der Staat als Eisenbahnunternehmer in Ansehung der Entschädigungspflicht anders zu beurteilen sei wie ein Privatunternehmer, findet in den Gesetzen keine Stütze. Zielen auch die Staatseisenbahnen in erster Linie nicht auf pekuniären Gewinn, sondern auf Förderung des allgemeinen Wohles ab, so muß doch, wie das Reichsgericht schon früher dargelegt hat, der Eisenbahnbetrieb des Staates nicht als ein in das Gebiet der allgemeinen Staatsverwaltung fallender Staatshoheitsakt, sondern als ein Gewerbebetrieb erscheinen.3
Bei diesem Gewerbebetriebe aber ist der Staat für den Dritten an ihren Personen oder an ihren Sachen erwachsenen Schaden in gleicher Weise verantwortlich wie jeder Privatunternehmer.
Daß die aus §. 25 a. a. O. sich ergebende Verantwortlichkeit nicht bloß die Aktiengesellschaften, sondern jede Art von Eisenbahnunternehmern trifft, ist übrigens durch einen späteren Gesetzgebungsakt in unzweideutiger Weise anerkannt, indem das Gesetz, betreffend einen Zusatz zu §. 25 des Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838, vom 3. Mai 1869 (G.S. S. 665) nicht mehr von der "Gesellschaft" spricht, sondern wörtlich bestimmt:
"Die Eisenbahnen sind nicht befugt, die Anwendung der in §. 25 flg. enthaltenen Bestimmungen über ihre Verpflichtung zum Ersatze des Schadens, welcher - entsteht, zu ihrem Vorteile durch Vertrage etc im voraus auszuschließen oder zu beschränken" etc.
Dem entsprechend bezeichnet Eccius in seinem preußischen Privatrechte (5. Aufl. Bd. 1 S. 548) den "Eisenbahnunternehmer" als denjenigen, welcher nach 5. 25 a. a. O. zum Schadensersatze verpflichtet ist, und damit stimmen Rehbein (Entsch. des preußischen Obertrib. Bd. 1 S. 612 und Eger (Haftpflichtgesetz S. 63) überein." ...