RG, 06.12.1918 - II 214/18

Daten
Fall: 
Bestellung eines Verteters für einen Kriegsteilnehmer
Fundstellen: 
RGZ 94, 215
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.12.1918
Aktenzeichen: 
II 214/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin, Kammer für Handelssachen
  • KG Berlin

Kann nach § 1 der Bekanntmachung vom 14. Januar 1915 (RGBl. S. 17) der Vorsitzende des Prozeßgerichts dem Kriegsteilnehmer schon vor Zustellung der Klage einen Vertreter bestellen?

Tatbestand

Die Frage ist vom Reichsgerichte bejaht worden aus folgenden Gründen:

Gründe

... "In den unteren Instanzen hat sich der Beklagte in erster Linie darauf berufen, daß bei der Bestellung des Vertreters in mehrfacher Beziehung ungesetzlich verfahren, daher eine rechtswirksame Bestellung eines Vertreters überhaupt nicht erfolgt, ein gültiges Urteil also gegen ihn, den Beklagten, nicht ergangen sei. Die Bestellung hätte nicht vor der Erhebung der Klage erfolgen dürfen, sie hätte, nachdem sie erfolgt war, dem Vertreter von Amts wegen zugestellt werden müssen, der Richter habe unterlassen, Verwandte des Beklagten oder andere mit dessen Verhältnissen vertraute Persönlichkeiten zu hören und von der erfolgten Bestellung dem Beklagten Mitteilung zu machen, er habe eine weitab vom Gerichtssitze wohnende und daher ungeeignete Persönlichkeit gewählt, und die Bestellung sei nicht erforderlich gewesen zur Verhütung offenbarer Unbilligkeiten. Alles das hat der Vorderrichter mit einwandfreier Begründung als für die gültige Bestellung des Vertreters bedeutungslos abgelehnt. Zweifelhaft erscheint nur die Frage, ob es zulässig war, daß schon vor Erhebung der Klage ein Vertreter bestellt wurde oder mit anderen Worten, ob der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten dadurch rechtshängig geworden ist, daß die Klagschrift nicht dem Beklagten unmittelbar, sondern dem ihm bestellten Vertreter zugestellt wurde.

In Rechtsprechung und Literatur sind die Meinungen hierüber geteilt. Doch sind durchschlagende Gründe für eine engere Auslegung des Gesetzes nicht vorgebracht worden. Der Wortlaut spricht so gut für die eine wie für die andere Auslegung. Schon vor Erhebung der Klage sind die Beziehungen des Rechtsverhältnisses fest gegeben, nach denen sich gegebenenfalls die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt, so daß es auch schon vor der Erhebung der Klage ganz, sinngerecht ist, von "dem Prozeßgericht" und seinem Vorsitzenden zu sprechen, wie das denn auch im § 57 ZPO. geschieht, der die Bestellung eines Parteivertreters vor Klagerhebung zum Gegenstande hat. Der dem Ausdruck Kriegsteilnehmer in § 1 der Bekanntmachung beigefügte Hinweis auf § 2 des Gesetzes vom 4. August 1914 dient allerdings der näheren Bestimmung dieses Begriffes Kriegsteilnehmer, hat aber offenbar nur die unter den Nrn. 1 bis 3 das. gruppierten Begriffsmerkmale im Auge. Es kann nicht wohl die Meinung sein, daß es zum Begriffe des Kriegsteilnehmers gehöre, daß gegen ihn eine Klage anhängig ist. Und wenn schließlich gesagt worden ist, daß ein Bedürfnis nicht vorliege, die Erhebung der Klage gegen einen Kriegsteilnehmer dadurch zu erleichtern, daß die Zustellung der Klagschrift an einen Vertreter des Beklagten ermöglicht wird, so weisen die Gegner nicht ohne Berechtigung darauf hin, daß gerade die Zustellung der Klagschrift gegenüber dem Kriegsteilnehmer auf Schwierigkeiten stoßen kann, so daß die Möglichkeit, schon vor Erhebung der Klage mit der Bestellung eines Vertreters vorzugehen, nur zweckmäßig und dringend erwünscht erscheine, zumal dies nicht ohne vorgängige Prüfung geschehen soll, ob es zur Verhütung offenbarer Unbilligkeit erforderlich ist.

Fehlt es somit an einem durchschlagenden Beweisgrunde für die engere Auslegung, so spricht für die entgegengesetzte Auffassung, daß der gegenwärtige Fall nicht ohne Vorgang ist, daß es noch andere Fälle gibt, in welchen dem Vorsitzenden des Gerichts die Machtbefugnis verliehen ist, der Partei einen Vertreter zu bestellen, so, wenn eine nicht prozeßfähige Partei, die ohne gesetzlichen Vertreter ist, verklagt werden oder wenn ein Recht an einem derelinquierten Grundstücke geltend gemacht werden soll, §§ 57, 58 ZPO., und daß das in diesen Fällen gerade zu dem Zwecke erfolgen soll, die Erhebung der Klage zu ermöglichen. Noch näher liegt der Hinweis auf § 9 Abs. 2 des Gesetzes vom 4. August 1914, wonach der nicht prozeßfähigen Partei, deren gesetzlicher Vertreter Kriegsteilnehmer ist, ein anderer Vertreter bestellt werden kann, und zwar - wie hier ausdrücklich gesagt ist - nicht nur zur Fortsetzung des eingeleiteten Prozesses, sondern auch zur Erhebung der Klage. Es muß daher auch hier der Wille des Gesetzes dahin verstanden werden, daß es keinen Unterschied machen soll, ob die Klage schon erhoben ist oder nicht."