RG, 17.12.1883 - IV 358/83
Zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem unter dem Vorbehalte der Geltendmachung eines neuen Verteidigungsmittels ergehenden Zwischenurteile und dem den Vorbehalt erledigenden Urteile.
Tatbestand
Der Kläger, welchem die Beklagte ihren Kotten durch mündlichen Vertrag verkauft und aufgelassen hatte, behauptete, von der Beklagten bei dem Vertragsschlusse in der Art betrogen worden zu sein, daß dieselbe ihm einen ihr nicht gehörigen, in einem Prozesse mit dem Grenznachbarn, dem Kaufmann W, ihr aberkannten Streifen Landes als angeblichen Teil des Kottens mit verkauft hätte, und verlangte im gegenwärtigen Prozesse Schadloshaltung. Nachdem in zweiter Instanz Beweis erhoben war, stellte die Beklagte nachträglich die Behauptung auf und unter Beweis, daß sie bei dem Abschlusse des Kaufvertrages dem Kläger erklärt habe, ein von ihr mit dem Grenznachbarn W. geführter Prozeß sei verloren gegangen, sie glaube aber, daß ihr ein Weg über die streitig gewesene Fläche zustehe. Das Berufungsgericht erkannte hierauf durch Zwischenurteil den Anspruch des Klägers auf Schadloshaltung für Nichtübertragung des Eigentumes an dem in Rede stehenden Streifen Landes dem Grunde nach als zu Recht bestehend, behielt aber, der Beklagten die Geltendmachung des in der gedachten Behauptung bestehenden neuen Verteidigungsmittels vor. Gegen dies Urteil wurde ein Rechtsmittel nicht eingelegt. Nach anderweiter Verhandlung und Beweisaufnahme erkannte das Berufungsgericht dahin, daß das Zwischenurteil unter definitiver Zurückweisung des in demselben vorbehaltenen Verteidigungsmittels aufrecht zu halten sei.
Die Revision, mit welcher unrichtige Auffassung der rechtlichen Bedeutung des unter Vorbehalt ergangenen Zwischenurteiles für das den Vorbehalt erledigende Urteil behauptet wurde, hatte keinen Erfolg.
Gründe
"Das erste der beiden Urteile des Berufungsgerichtes beruht auf der Anwendung der §§. 252. 502 C.P.O. Nach der ersteren dieser Bestimmungen können Verteidigungsmittel, welche die beklagte Partei nachträglich vorbringt, auf Antrag zurückgewiesen werden, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, daß die beklagte Partei in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit die Verteidigungsmittel nicht früher vorgebracht hat. Und nach §. 502 a. a. O. ist, wenn in der Berufungsinstanz dergleichen Verteidigungsmittel zurückgewiesen werden, der beklagten Partei die Geltendmachung derselben vorzubehalten. Das Urteil aber, welches unter Vorbehalt der Geltendmachung von Verteidigungsmitteln ergeht, ist in betreff der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen. Es ist also im Gesetze als der Rechtskraft fähig gedacht. Daraus folgt, daß sowohl das Berufungsgericht in seinem den Vorbehalt erledigenden Urteile, als auch das Revisionsgericht bei Entscheidung über die gegen dies letztere Urteil gerichtete Revision an das unter dem Vorbehalte der Geltendmachung eines Verteidigungsmittels ergangene Urteil innerhalb der Grenzen der Rechtskraft gebunden ist. Es fragt sich also, wieweit die Grenzen der Rechtskraft gehen. Die Revisionsklägerin sucht auszuführen, daß das Berufungsgericht das ganze, den Klagegrund des Betruges betreffende Thatsachen- und Beweismaterial, sowohl das der Entscheidung im ersten Zwischenurteile zum Grunde gelegte, als auch das zum vorbehaltenen Verteidigungsmittel gehörige, im Zusammenhange zu prüfen und danach über den Beweis des Betruges zu erkennen gehabt habe. Allein dieser Ansicht läßt sich nicht beitreten. Allerdings sind die in den Entscheidungsgründen des zweiten Urteiles in Bezug genommenen thatsächlichen Feststellungen des ersten Zwischenurteiles nach §. 293 a. a. O. der Rechtskraft nicht fähig. Die Rechtskraft beschränkt sich vielmehr auf den Inhalt der Dispositive des Urteiles, in welcher jene Feststellungen nicht enthalten sind. Rechtskräftig ist also das erste Zwischenurteil insoweit, als darin dem Kläger der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach unter der Voraussetzung zuerkannt wird, daß die Beklagte das vorbehaltene Verteidigungsmittel nicht geltend macht oder den Beweis desselben nicht erbringt. Das den Vorbehalt erledigende Urteil des Berufungsgerichtes hatte sich also in erster Reihe auf die Frage zu erstrecken, ob der Beweis des vorbehaltenen Verteidigungsmittels erbracht sei. Bei Bejahung der Frage würde das erste Zwischenurteil seine Wirkung haben verlieren müssen, die ja von Anfang an durch den Vorbehalt des Verteidigungsmittels beschränkt war. Damit würde der ganze Sach- und Streitstoff für eine anderweite Beurteilung innerhalb der Grenzen der Berufungsbeschwerde freigeworden sein. Mit der Verneinung der Frage hat sich der Vorbehalt erledigt. Die unter dem Vorbehalte erlassene Entscheidung wird damit eine vorbehaltlose, definitive. Dies hat das den Vorbehalt erledigende Urteil ausgesprochen.
Bei dieser Auffassung der oben allegierten Bestimmungen ist in dem Berufungsurteile eine Verletzung der fraglichen Rechtsnormen nicht zu finden. Das angefochtene Urteil teilt den Inhalt der Entscheidungsgründe des ersten Zwischenurteiles insoweit mit, als es zur Klarstellung der Bedeutung des vorbehaltenen Verteidigungsmittels geboten war. Es prüft das Ergebnis des über das neue Verteidigungsmittel aufgenommenen Beweises und gelangt zu der Annahme, daß der Beweis der die Grundlage des Verteidigungsmittels bildenden Behauptung in dem Sinne, in welchem die Behauptung aufgefaßt werden müsse, um für die Frage, ob der Beklagten der vom Kläger geltend gemachte Betrug zur Last falle, überhaupt in Betracht zu kommen, nicht geführt sei. Das Berufungsgericht hält nämlich durch die Aussagen der neuen Zeugen zwar für erwiesen, daß die Beklagte am 11. November 1879 bei einer Verhandlung über den Verkauf des Kottens zum Kläger geäußert habe, sie habe einen Prozeß mit W. verloren. Aber es hält für nicht bewiesen, daß die Beklagte den Kläger über den eigentlichen Gegenstand und die Tragweite des Prozesses unterrichtet habe, sondern nimmt an, daß die von den Zeugen bekundete Äußerung nur weitere Irrtümer in dem Kläger zu erzeugen geeignet gewesen sei. In diesen Erwägungen ist eine Verletzung von Rechtsnormen nicht zu erkennen. Insbesondere kann die Ausführung der Revisionsklägerin, es habe festgestellt werden müssen, wie die Beklagte sich der ihr obliegenden Verpflichtung, trotz ihrer von den neu vernommenen Zeugen bekundeten Erklärung, dem Kläger weitere Mitteilungen über den fraglichen Prozeß zu machen, bewußt gewesen, und wie das weitere Verhalten der Beklagten von diesem Bewußtsein beherrscht worden sei, zu einer Aufhebung des Berufungsurteiles nicht führen. Das Berufungsgericht hat das vorbehaltene Verteidigungsmittel in dem Sinne aufgefaßt, daß die fragliche, den Verlust des Prozesses betreffende Erklärung nach dem Inhalte des ersten Zwischenurteiles mit einer Mitteilung über den Gegenstand und die Tragweite des Prozesses verbunden gewesen sein müsse. Und wenn das Gericht, indem es diesen Beweis für nicht erbracht ansieht, sich nicht darüber ausgesprochen hat, ob die Beklagte sich bewußt gewesen sei, daß sie mit der von den Zeugen bekundeten Äußerung dem Kläger keine genügende Mitteilung über den Prozeß gegeben habe und ihm zu weiteren Mitteilungen verpflichtet sei, so ist darin die Verletzung einer Rechtsnorm schon darum nicht zu finden, weil eine solche Erörterung über die Grenzen des Vorbehaltes, der sich auf die behauptete Benachrichtigung des Klägers von dem Verluste des auf das in Rede stehende Stück Landes bezüglichen Prozesses beschränkt, hinausgehen würde.
Aus demselben Grunde kann die weitere Ausführung der Beklagten keinen Erfolg haben, nach welcher daraus, daß dem Kläger nach der Annahme des Berufungsgerichtes selbst die Möglichkeit geboten gewesen sei, sich über den Prozeß anderweit zu unterrichten, und der Thatsache, daß der Kläger auf den Zweifelspunkt aufmerksam geworden sei, das Nichtvorhandensein eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem angeblichen Betruge und dem erlittenen Schaden folgen soll.
Endlich ist ein Revisionsgrund auch in der Verwerfung der neuen Beweisantretung durch Berufung auf das Zeugnis des W. und des N. nicht zu finden. Die Beweisantretung bezieht sich nicht auf das vorbehaltene Verteidigungsmittel. Es wird vielmehr mit derselben bezweckt, die in dem ersten Urteile enthaltene Betrugsfeststellung mittels neuer, mit dem vorbehaltenen Verteidigungsmittel nicht in unmittelbarem Zusammenhange stehender Thatsachen anzugreifen. Ein solcher Angriff, welcher gegen die Rechtskraft des ersten Zwischenurteiles gerichtet sein würde, ist unzulässig."