RG, 23.11.1881 - I 82/81
Kann der Stellvertreter eines Anderen in dieser Eigenschaft mit sich selbst als Stellvertreter eines Dritten einen Vertrag schließen?
Tatbestand
In M. bestanden zwei eingetragene Genossenschaften, deren Vorstände aus denselben Personen zusammengesetzt waren. Diese leisteten für beide Genossenschaften die vorkommenden Zahlungen, je nachdem Geldmittel in der Kasse der einen oder der anderen Genossenschaft flüssig waren, bald aus dieser, bald aus jener, rechneten darüber von Zeit zu Zeit ab und trugen das Ergebnis der Abrechnung unter dem Datum derselben in die beiderseitigen Handelsbücher als bar empfangen oder gezahlt ein, ohne die einzelnen Posten, auf welche die Abrechnung sich erstreckte, anzugeben. Nachdem die eine Genossenschaft in Konkurs verfallen war, meldete die andere eine Forderung gegen dieselbe auf Grund eines Kontobuchsauszuges an, ohne die den Abrechnungen zu Grunde liegenden Posten anzugeben. Die Klage auf Feststellung dieser im Konkurse bestrittenen Forderung wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen, die hiergegen ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde aber für begründet erklärt.
Aus den Gründen
"Die Darlehnsforderung, welche sich laut des mit der Klage vorgelegten Kontoauszuges aus Kapitalzahlungen und Zinsen abzüglich empfangener Zahlungen berechnet, ist in erster Instanz abgewiesen und dieses Erkenntnis in zweiter Instanz auf Appellation der Klägerin bestätigt worden.
Das erste Erkenntnis gründete die Abweisung darauf, daß die im Kontoauszuge aufgeführten Debetposten nach der eigenen Darstellung des Klägers nicht sämtlich auf baren Darlehen, sondern zum Teile auf Verrechnungen über früher gewährte oder zurückgezahlte Darlehen beruhen, Klägerin aber unterlassen habe, die diesen Verrechnungen zum Grunde liegenden Geschäfte aufzudecken. Hiergegen machte Klägerin in zweiter Instanz geltend, es habe der Aufdeckung dieser Geschäfte nicht bedurft, weil die stattgehabten Verrechnungen Rechtsgeschäfte seien, welche die dadurch festgestellte Zahlungsverbindlichkeit unabhängig von den in Rechnung gezogenen Geschäften begründen. Der Appellationsrichter sprach aber der Aufrechnung und dem durch sie gewonnenen Ergebnis im vorliegenden Falle die Wirkung eines Schuldbekenntnisses um deswillen ab, weil, wie feststehe, der Vorstand beider Genossenschaften durch dieselben Personen gebildet wurde. Diese Personen, sagt der Appellationsrichter, konnten "nicht zugleich durch Anerkenntnisse sich verpflichten und durch dieselben Anerkenntnisse Rechte erwerben, wenn immer sie für verschiedene Rechtssubjekte handelten; die Kollision der Interessen schloß die Möglichkeit eines rechtswirksamen Anerkenntnisses aus."
Gegen diesen Ausspruch richtet sich der Angriff der Nichtigkeitsbeschwerde, welche dem Appellationsrichter vorwirft, den Rechtsgrundsatz verkannt zu haben:
"daß die Anerkennung eines Saldos unter Kaufleuten auch dann als Schuldbekenntnis wirkt (richtiger: wirken kann), wenn die beiderseitigen Handelsgesellschaften durch dieselben Personen vertreten werden."
Der Angriff ist begründet, indem die vom Appellationsrichter angenommene Unmöglichkeit, Obligationsverhältnisse zwischen zwei verschiedenen Personen durch einen von dem Vertreter der einen Person mit
sich selbst als Vertreter der anderen Person abgeschlossenen Vertrag zu begründen, nach Handelsrecht nicht anzuerkennen ist,1 für die vertragsmäßige Feststellung eines Saldo so wenig wie für andere Verträge.
Indem das Handelsgesetzbuch im Anschlusse an die gewohnheitsrechtliche Entwicklung des gemeinen Rechtes und an die Bestimmungen der neueren Gesetzbücher, insbesondere auch des preußischen Allgemeinen Landrechtes. die Möglichkeit einer (eigentlichen oder direkten) Stellvertretung beim Abschlüsse obligatorischer Verträge anerkennt und die Vertretung verschiedener Personen durch denselben Vertreter, insbesondere auch die Besetzung des Vorstandes verschiedener eingetragener Genossenschaften mit denselben Personen, nicht untersagt, ergiebt sich auch die Möglichkeit, einen Vertrag zwischen verschiedenen Personen durch deren gemeinsamen Vertreter zu schließen, sofern nur die allgemeinen Voraussetzungen eines jeden Rechtsgeschäfts und die besonderen Voraussetzungen eines Vertragsschlusses vorliegen.
Es kann nicht entgegnet werden, daß niemand Gläubiger und Schuldner in einer Person sein könne. Denn das durch den Vertragsschluß des Stellvertreters begründete Obligationsverhältnis entsteht in der Person des Vertretenen, folglich, wenn der Vertreter zweier verschiedenen Rechtssubjekte eine Verbindlichkeit des einen gegen das andere übernimmt, zwischen den beiden von ihm vertretenen Personen. Es ist daher unrichtig, wenn der Appellationsrichter sagt, daß die für verschiedene Rechtssubjekte handelnden Personen sich verpflichten und (für sich) Rechte erwerben.
Ebensowenig ist ein solcher Vertragsschluß mit dem Begriffe des Vertrages unverträglich. Es ist möglich, daß jemand als Stellvertreter des Einen und als Stellvertreter eines Anderen dasselbe will, z. B. daß jener eine bestimmte Leistung und dieser eine bestimmte Gegenleistung machen soll. Die zum Wesen des Vertrages gehörige wechselseitige Einwilligung, duorum in idem placitum et consensus (A. L. R. I. 5. §. 1; l. 1 §. 2. Dig. de pactis 2, 14; l. 3 pr. Dig. de pollic. 50, 12), ist in diesem Falle vorhanden, wenn einmal die Möglichkeit zugegeben ist, daß beim Vertragsschluß der Wille des Stellvertreters den Willen desjenigen, in dessen Person das Rechtsverhältnis entstehen soll, zu ersetzen vermag.
Auch wenn die beiden Personen, zwischen denen das Obligationsverhältnis zustande kommen soll, beim Abschlüsse des Vertrages ein entgegengesetztes Interesse haben, erscheint der Abschluß desselben durch einen gemeinsamen Vertreter nicht ausgeschlossen. Am wenigsten unterliegt dies dann einem Bedenken, wenn der Inhalt des abzuschließenden Vertrages nicht von dem Belieben des Vertreters abhängt, sondern ihm durch die von ihm vertretene Person vorgeschrieben oder von einem seiner Einwirkung unzugänglichen Umstände, z. B. dem Ausgange einer Versteigerung, dem Ermessen eines Dritten, dem zeitweiligen Marktpreise, abhängig gemacht ist. Aber auch wenn der Inhalt des abzuschließenden Vertrages durch den Willen des Vertreters erst bestimmt werden soll und die ins Auge gefaßten Vertragsbedingungen sich desto günstiger für den einen Teil gestalten, je ungünstiger sie für den anderen Teil sind, kann doch ein Punkt gefunden werden, in welchem diese Verschiedenheit sich in Übereinstimmung auflöst, nämlich wenn die Vertragsbedingungen als die unter den obwaltenden Umständen für jeden der beiden Teile erreichbar günstigsten erscheinen. Jeder der beiden Teile hat dies von seinem Standpunkte aus zu prüfen, und wenn die Parteien andere Personen mit dieser Prüfung betraut haben, so ist von diesen die Prüfung vorzunehmen. Treffen die Vertretungen in einer Person zusammen, so ist dieselbe wohl imstande, die Prüfung von den verschiedenen Standpunkten aus vorzunehmen und hierbei zu dem Ergebnis zu gelangen, daß gewisse Bedingungen als die erreichbar günstigsten dem Interesse beider Teile entsprechen. Nur wenn man von der für den wirklichen Verkehr nicht maßgebenden Anschauung ausginge, es sei die Aufgabe der mit dem Abschluß von Geschäften betrauten Personen, den anderen Teil zu übervorteilen, würde sich die Unthunlichkeit des Abschlusses durch einen gemeinsamen Vertreter ergeben.
Mit diesem aus der Natur der Sache sich ergebenden Resultate stehen auch die Bestimmungen des positiven Rechtes im Einklange. Schon das römische Recht, welches den Abschluß obligatorischer Verträge durch freiwillig bestellte Vertreter nicht zuläßt und aus diesem Grunde die hier erörterte Frage in Beziehung auf solche Vertreter nicht behandelt, anerkennt wenigstens in betreff des Tutor die Wirksamkeit von Zahlungen, welche er an sich selbst als Gläubiger des Mündels aus dessen Vermögen oder als Schuldner des Mündels aus seinem eigenen Vermögen an sich selbst als Vormund leistet (1. 9 §. 5 Dig. de adm. et peric. tut. 26, 7), von Darlehen, welche er sich selbst aus dem Vermögen des Mündels oder welche er sich als Vormund aus seinem eigenen Vermögen gewährt (1. 9 §. 7 Dig. eod.), und von Kaufverträgen, durch welche er von ihm zum Verkaufe gebrachte Sachen des Mündels im Wege der öffentlichen Versteigerung selbst erwirbt (1. 5 §. 4 Dig. de auct. et cons. 26, 8; 1. 5 Cod. de contrah. emt. 4, 38).2
Auch im preußischen Allgemeinen Landrecht ist die Möglichkeit anerkannt, daß der Vater zu dem nicht freien Vermögen der Kinder gehörige Kapitalien einzieht und anstatt anderweitiger Belegung derselben sich selbst zum Schuldner der Kinder dafür bestellt (II. 2. §. 169), und die Fassung des §. 22 I. 13 in Verbindung mit §§. 25. 27 das. läßt darauf schließen, daß der Gesetzgeber es für möglich hält, daß ein Bevollmächtigter im Auftrage und Namen verschiedener Personen, deren Interesse einander entgegenläuft, zwischen diesen einen Vertrag abschließt.3
Der Ansicht des vormaligen Reichsoberhandelsgerichts (Entsch. Bd. 8 S. 393), es sei nach den Grundsätzen des Civilrechtes wie des Handelsrechts. von besonderen Ausnahmen abgesehen, rechtlich unmöglich, daß bei einem Vertrage die Stellen einander gegenüberstehender Kontrahenten durch eine und dieselbe Person vertreten werden, ist demnach nicht beizustimmen und das auf dieser Ansicht beruhende angefochtene Erkenntnis zu vernichten.
Wenn aber auch die Möglichkeit zugegeben wird, daß der Stellvertreter einer Person mit sich selbst im eigenen Namen oder namens einer von ihm ebenfalls vertretenen anderen Person Verträge schließt, so können doch dem Zustandekommen eines derartigen Vertrages im einzelnen Falle Hindernisse entgegenstehen, welche sich aus besonderen gesetzlichen Vorschriften oder aus dem Willen der Vertretenen oder aus den allgemeinen Grundsätzen über die Schließung von Verträgen ergeben. Es bedarf daher in der Sache selbst der Untersuchung, ob in Beziehung auf die von der Klägerin behaupteten Abrechnungsgeschäfte solche Hindernisse obwalten. Es ist
1. möglich, daß gesetzliche Vorschriften bestehen, welche für gewisse Klassen von Vertretern, allgemein oder für gewisse Arten von Rechtsgeschäften, den Abschluß von Verträgen untersagen, bei welchen das eigene Interesse des Vertreters oder das Interesse einer ebenfalls von ihm vertretenen anderen Person beteiligt ist. Solche Vorschriften, welche z. B. in betreff des Vaters und Vormundes bestehen (A. L. R. II. 18. §§. 29. 46; Vormundschafts-Ordnung vom 5. Juli 1875 §. 86), gelten für den Vorstand eingetragener Genossenschaften nicht.
2. Es ist möglich, daß die Vollmacht zur Vertretung eines Anderen nach dem ausdrücklich oder stillschweigend erklärten oder zu vermutenden Willen des Machtgebers sich nicht soweit erstreckt, daß der Bevollmächtigte auch in solchen Fällen zur Vertretung ermächtigt ist, wo das Interesse des Bevollmächtigten oder eines von ihm zu vertretenden Dritten dem Interesse des Machtgebers widerstreitet (A. L. R. I. 13. §§. 21 - 28; II. 6. §. 151). Eine solche Beschränkung findet jedoch bei dem Vorstande einer eingetragenen Genossenschaft nicht statt, welcher nach §§. 20. 21 des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juli 1868 eine nach außen hin unbeschränkte und unbeschränkbare Vollmacht zur Vertretung der Genossenschaft bei den in ihrem Namen geschlossenen Rechtsgeschäften hat.
3. Die Unwirksamkeit des von dem Stellvertreter eines Anderen mit sich in eigenem oder fremdem Namen abzuschließenden Vertrages kann darauf beruhen, daß es an der auch in diesem Falle erforderlichen gegenseitigen Erklärung des Beitragswillens mangelt, durch welche der Vertrag erst zustande kommt, sodaß von da ab eine einseitige Zurücknahme nicht mehr stattfindet. Im vorliegenden Falle ist dieses Erfordernis aber als vorhanden anzunehmen, wenn das Ergebnis der Abrechnungsgeschäfte durch die seitens der gemeinsamen Vertreter bewirkte gleichmäßige Eintragung desselben in die Handelsbücher beider Genossenschaften zur Kenntnis derselben gebracht und gegenseitig als verpflichtend anerkannt worden ist. Zwar erscheint die Eintragung im Handelsbuche an sich als ein einseitiger Akt, welchen der Buchführer im Interesse des Geschäftsherrn vornimmt, um die Erinnerung an den gebuchten Vorgang und dessen Beweis zu sichern. Aber im Zusammenhange mit dem Abrechnungsgeschäfte stellen sich die Einträge in den beiderseitigen Handelsbüchern als das Mittel dar, durch welches die Vertreter der beiden miteinander abrechnenden Genossenschaften das Ergebnis dieses Geschäftes nach beiden Seiten hin den im Besitz der Bücher befindlichen Genossenschaften mitteilten und den Vertragswillen unwiderruflich zum Ausdruck brachten. Ob die angeführte 1. 9 §. 7 Dig. de adm. et per. tut. in den Worten sibi mutuam proscribendo auf einen Fall dieser Art zu beziehen ist ( Römer a. a. O. S. 73), kann dahingestellt bleiben.
4. Wenn der gemeinsame Vertreter seine Doppelstellung dazu mißbraucht, unter Hintansetzung des Interesses des einen Teiles den Vertrag zum alleinigen Vorteil des anderen Teiles abzuschließen, ist der Benachteiligte berechtigt, wegen Arglist des Vertreters den Vertrag anzufechten. Ist der Vertreter eines einzelnen Kontrahenten sich bewußt, beim Abschlusse des Vertrages die Interessen seines Vollmachtgebers zu verletzen, so erwächst hieraus dem letzteren das Recht zur Anfechtung des Vertrages nur dann, wenn auch der andere Kontrahent oder dessen Vertreter davon Kenntnis hatte, also mit jenem kolludierte; es liegt ihm daher der Beweis sowohl der Arglist seines Vertreters als der Teilnahme des anderen Kontrahenten oder dessen Vertreters an der geübten Arglist ob. Dieses doppelten Beweises bedarf es nicht, wenn eine und dieselbe Person beide vertragschließende Teile vertritt. Hat der Vertreter des Benachteiligten die Interessen desselben wissentlich verletzt, so ist in diesem Falle hiermit die Teilnahme des Vertreters des anderen Kontrahenten von selbst gegeben. Von einer Anfechtung des Vertrages wegen Arglist ist aber im vorliegenden Falle keine Rede. Die Beklagte hat nicht einmal behauptet, durch die von den gemeinsamen Vertretern geschlossenen Abrechnungen benachteiligt worden zu sein, viel weniger, daß solches wissentlich geschehen sei.
Die rechtliche Wirksamkeit der von der Klägerin schon in der Klageschrift erwähnten und in der Appellationsrechtfertigungsschrift von neuem geltend gemachten Abrechnungsgeschäfte ist demnach nicht zu beanstanden."
- 1. Über die Unmöglichkeit des Kontrahierens eines in eigenem Namen Handelnden mit sich als ebenfalls in eigenem Namen Handelndem s. Bd. 5 Nr. 14 S. 59.
- 2. Vgl. Römer, Zeitschrift für Handelsrecht Bd. 19 S. 67 flg.
- 3. Vgl. Dernburg, Preußisches Privatrecht 2. Aufl. Bd. 2 §. 181 Note 11. Behrend, Lehrbuch des Handelsrechtes Bd. 1 S. 345.