RG, 02.11.1881 - I 593/80

Daten
Fall: 
Begriff des Distanzgeschäftes
Fundstellen: 
RGZ 6, 60
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.11.1881
Aktenzeichen: 
I 593/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Art. 347 H. G. B. Begriff des Distanzgeschäftes.

Aus den Gründen

"Voraussetzung der Anwendung des Art. 347 H. G. B. ist, "daß Ware von einem andern Orte übersendet ist," d. h. daß die Ware zum Zwecke der Erfüllung des Kaufes vom Verkäufer oder auf dessen Anordnung dem Käufer oder dem von diesem aufgegebenen Dritten übersendet worden ist. Was ursprünglich vereinbart worden, ist nicht maßgebend. War nach dem Kaufvertrage inter praesentes zu erfüllen, so braucht zwar der Verkäufer die spätere Weisung des Käufers. ihm die Ware zu übersenden, nicht zu befolgen, befolgt er sie aber, so kommt Art. 347 zur Anwendung. Soll nach dem ursprünglichen Vertrage der Verkäufer die Ware übersenden, so kann er sich der Regel nach nicht weigern, dem Anfordern des Käufers. sie inter praesentes zu tradieren, zu entsprechen, und entspricht er demselben, so kommt Art. 347 nicht zur Anwendung.

Gleichgültig für den Begriff der "Übersendung" ist,

  1. ob der Verkäufer die Person, welche den Transport ausführt (Frachtführer, Verfrachter) oder die Besorgung der Ausführung übernimmt (Spediteur), selbst wählt, oder ob dieselbe vom Käufer bezeichnet ist;
  2. ob der Verkäufer mit dem Frachtführer oder Verfrachter oder mit dem Spediteur selbst abschließt, und zwar
    a) in eigenem Namen oder im Namen des Käufers.
    b) für eigene Rechnung oder für Rechnung des Käufers.
    oder ob der Käufer mit diesen Personen abschließt, oder ob der Transport durch die Leute des Käufers. durch dessen Mandatar oder negotiorum gestor vorgenommen wird.
  3. Auch darauf kommt es an sich nicht an, ob der Verkäufer im voraus weiß, nach welchem Orte die Ware zu senden ist, oder ob dies vom Käufer bestimmt werden soll. Bei der Versendung über See kommt es täglich vor, daß dem Verfrachter erst unterwegs der Ablieferungsort bezeichnet wird, und wenn es sich hier auch gewöhnlich nur um die nähere Präzisierung einer allgemeinen oder alternativen Angabe handelt, so kann doch sehr wohl ganz allgemein eine Vereinbarung dahin getroffen sein, daß die Ware an den dem Frachtführer, Verfrachter oder Spediteur vom Käufer aufzugebenden Ort gesendet werden soll.

Notwendige Voraussetzung des Art. 347 ist ferner, daß die Ware noch nicht empfangen ist. Empfangen werden kann sie aber auch von der den Transport der Ware vornehmenden oder die Besorgung desselben übernehmenden Person. In welcher der verschiedenen oben angegebenen Weisen diese Person bestellt sein mag, immer kann es vorkommen, daß dieselbe mit dem Empfange betraut ist. Es kann z. B. vereinbart sein, daß der Verkäufer den Spediteur auswähle, den gewählten aber zugleich mit dem Empfange der Ware im Namen des Käufers beauftrage. Häufiger wird es vorkommen, daß, wenn der Käufer den Spediteur wählt, er denselben mit dem Empfange beauftragt, oder daß er, wenn er die Ware selbst abholen läßt, den Abholenden damit beauftragt oder dazu bevollmächtigt.

Ob dem Spediteur oder der sonstigen betreffenden Person diese Funktion zugewiesen ist und ob eine Erklärung über den Empfang erfolgt ist bezw. ob in der Übernahme zugleich eine Empfangserklärung gefunden werden kann, ist Thatfrage. Bei Beurteilung derselben kann der Umstand, ob der Verkäufer oder der Käufer die betreffende Person bestimmt hat, ferner ob der Ablieferungsort im voraus bestimmt ist oder erst vom Käufer zu bestimmen ist, sehr bedeutsam werden."