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RG, 29.10.1881 - I 113/81

Daten
Fall: 
Anfechtung einer Ehe neben dem Irrtum
Fundstellen: 
RGZ 5, 177
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.10.1881
Aktenzeichen: 
I 113/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a.M.
  • OLG Frankfurt a.M.

Ist der Betrug ein selbständiger Grund zur Anfechtung einer Ehe neben dem Irrtum?

Gründe

"Gegenüber der von dem Ehemanne angestellten Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens greift Beklagte die Gültigkeit ihrer am 28. Februar 1879 vor dem Standesamte zu Frankfurt a. M. mit dem Kläger eingegangenen Ehe um deswillen an, weil die Thatsache, daß Kläger schon einmal verheiratet und von seiner ersten Ehefrau geschieden war, ihr damals unbekannt gewesen und von dem Kläger ihr absichtlich verheimlicht worden sei.

Die hierauf gestützte Einrede und Widerklage ist, insoweit sie auf Irrtum gegründet wird, für unbegründet erklärt, weil der Irrtum keine für die Ehe wesentliche Thatsache betreffe. Dagegen ist dieselbe, insoweit sie auf Betrug gestützt wird, für begründet erachtet und der Beklagten der Beweis ihrer Behauptung nachgelassen worden.

Diese Entscheidung ficht Kläger an, weil sie in sich widersprechend sei und gegen den gemeinrechtlichen Grundsatz verstoße, daß Betrug wie Irrtum nur dann einen Grund zur Anfechtung einer Ehe abgeben, wenn sie Thatsachen betreffen, welche das Wesen der Ehe gefährden.

Die Beschwerde erscheint unbegründet.

Die Ehe der Parteien ist unter der Herrschaft des Reichsgesetzes vom 6. Februar 1875 geschlossen. Nach §. 36 desselben ist der Einfluß des Irrtums und Betruges auf die Eheschließung nach den Vorschriften des Landesrechtes zu beurteilen. Das Frankfurter Gesetz vom 19. November 1850 (Frankfurter Ges.- und Stat.- Samml. Bd. 9 S. 354), welches die Civilehe einführte, enthält keine Bestimmung über den Einfluß des Irrtums und Betruges. Es ist daher in dieser Hinsicht bei denjenigen Rechtsgrundsätzen verblieben, welche bis zum Gesetze vom 19. November 1850 im Gebiet der freien Stadt Frankfurt bezüglich der Anfechtung der Ehe wegen Irrtums oder Betruges in Geltung waren. In Ermangelung partikularrechtlicher Vorschriften sind die Grundsätze des gemeinen protestantischen Eherechtes anzuwenden, welche als auf Gewohnheitsrecht beruhende und in der Frankfurter Reformation (vgl. T. 3 Tit. 1 und Tit. 8) als geltend vorausgesetzte staatliche Rechtsnormen auch auf Eheleute mosaischen Glaubens anwendbar sind.

Nach kanonischem Rechte bildet der Betrug nicht einen selbständigen Grund der Anfechtung der Ehe, indem die Ungültigkeit derselben nur dann eintritt, wenn dadurch ein Irrtum erregt oder unterhalten worden ist, welcher auch außer dem Falle des Betruges einen Grund zur Anfechtung der Ehe abgeben würde.1

Von namhaften Rechtslehrern wird behauptet, daß das protestantische Eherecht hierin mit dem kanonischen Rechte übereinstimme,2 welche Ansicht hier und da auch in der Praxis Eingang gefunden hat.3

Überwiegende Bedenken stehen jedoch dieser Ansicht entgegen. Als Grund, weshalb Anfechtung wegen Dolus nicht stattfinde, bezeichnet schon die Glosse die Eigenschaft der Ehe als res spiritualis.

Glossa ad c. 6. X. de in int. rest. 1, 41: Sic patet, quod licet, dolus intervenia in hujusmodi spiritualibus, non tamen subvenitur dolum passo, licet dolus det causam contactui. Idem et in matrimonio.

Indem diese Eigenschaft der Ehe auf dem nach dem Dogma der katholischen Kirche sakramentalen Charakter der Ehe beruht, ist anzunehmen, daß die Ausschließung des Dolus als Anfechtungsgrund mit der Lehre der katholischen Kirche von den Voraussetzungen der Wirksamkeit der Sakramente ( Catechism. Roman. P. II. cap1 qu. 19. 20) zusammenhängt. Ist hiernach die Wirksamkeit des Ehesakramentes nur von dem Vorhandensein und der in der erforderlichen Form abgegebenen Erklärung des Eheschließungswillens abhängig, so steht derjenige Irrtum, welcher diesen Willen ausschließt, oder ein ihm gleichzuachtender der Gültigkeit der Ehe entgegen, er mag absichtlich hervorgerufen sein oder nicht; wogegen die äußeren Umstände, unter welchen die Eheschließung stattgefunden hat, die Beweggründe, durch welche die Ehegatten dazu bewogen worden sind, und der gute oder böse Glaube derselben, mithin auch betrügerische Einwirkungen der Ehegatten oder eines Dritten, auf die Wirksamkeit des Ehesakramentes keinen Einfluß haben. Das kanonische Recht entfernt sich hierbei von den Grundsätzen des Civilrechtes in dem Maße, daß es nach c. 26 X de sponsal. 4, 1 sogar demjenigen, welcher betrügerischer Weise eine scheinbare Eheeinwilligungserklärung abgegeben hat, die Anfechtung der Ehe wegen mangelnden Eheschließungswillens gestattet.

Ein Eherecht, welches die Sakramentsnatur der Ehe nicht anerkennt oder wenigstens für das Rechtsgebiet als unerheblich erachtet, muß auch die vom kanonischen Recht daraus gezogenen Folgesätze verwerfen. Demgemäß geht die Ansicht der meisten Rechtslehrer dahin, daß nach protestantischem Eherechte bei Anfechtung, der Ehe wegen Betruges die Grundsätze des bürgerlichen Rechtes zur Anwendung kommen, nach welchem der Betrug als ein selbständiger Anfechtungsgrund neben dem Irrtum erscheint.4

Diese Ansicht, welche auch in das preuß. A.L.R. II. 1. §. 39 (verb. mit I. 4. §. 85) und das sächs. B.G.B. §§. 1597. 1625 übergegangen ist, herrscht in der gemeinrechtlichen Rechtsprechung vor.5

Umsoweniger unterliegt es bei Civilehen einem Bedenken, den Betrug als selbständigen Anfechtungsgrund neben dem Irrtum anzuerkennen.

Beide Anfechtungsgründe sind im Grunde und in den Voraussetzungen voneinander verschieden. Während im Falle des Irrtums der Grund der Anfechtung in der Beschaffenheit des Eheschließungswillens, also lediglich in der Person des Irrenden liegt, besteht derselbe im Falle des Betruges in der rechtswidrigen Einwirkung auf den Willen des Irrenden, mithin in der Person des Täuschenden. Demgemäß kommt es nur im ersteren Falle wesentlich auf den Gegenstand des Irrtums an, während im anderen Falle der Gegenstand des durch den Betrug hervorgerufenen Irrtums gleichgültig ist, sofern nur anzunehmen steht, daß der Getäuschte, wenn er den wahren Sachverhalt gekannt hätte, bei vernünftiger Überlegung die Ehe nicht geschlossen haben würde. Das angefochtene Erkenntnis steht daher keineswegs mit sich selbst in Widerspruch, indem es das Vorhandensein eines Irrtums der ersteren Art verneint und dennoch das Vorhandensein eines zur Anfechtung der Ehe geeigneten Betruges bejaht.

Auch darin ist den Vorrichtern beizustimmen, daß die von der Beklagten behauptete Täuschung, wenn sie erwiesen wird, einen genügenden Grund abgiebt, die Ehe für ungültig zu erklären. Hätte die Beklagte gewußt, daß Kläger schon einmal verheiratet und diese Ehe geschieden, also unglücklich verlaufen war, so würde sie bei verständiger Überlegung sich zur Ehe mit ihm nicht entschlossen haben, bevor sie durch Erkundigungen über den Grund der Scheidung, namentlich das Verhalten des Klägers gegenüber seiner ersten Ehefrau, sowie über die ihm infolge seiner früheren Ehe etwa noch obliegenden Verpflichtungen befriedigende Auskunft erhalten hatte. Es ist deshalb anzunehmen, daß der Entschluß der Beklagten, so wie geschehen, ohne weiteres die Ehe mit dem Kläger einzugehen, als Folge der Verschweigung der gedachten Thatsache erscheint."

  • 1. Vgl. Schulte, Handbuch des katholischen Eherechts §.22 S. 154 und die das. Angeführten; Knopp, Katholisches Eherecht (4. Aufl.) §. 5. Anm. 11.12; Phillips, Lehrbuch des Kirchenrechts Bd. 1 §.277 Note 1; Rittner, Österr. Eherecht S. 185; a. M. Walter, Kirchenrecht (13. Aufl.) §. 305 Note 13;
  • 2. vgl. Eichhorn, Kirchenrecht Bd. 2 S. 355; Stahl, De matrim. ob errorem rescind. 1841 pag. 17; Mejer, Lehrbuch des Kirchenrechts (3. Aufl.) §. 226 Note 2; Scheurl in Herzog-Plitts Real-Encyclopädie für Protest. Theologie und Kirche Bd. 4 S. 88,
  • 3. Vgl. Erkenntnis des Oberappellationsgerichtes Jena in Seuffert, Archiv Bd. 16 Nr. 51; Erkenntnis des Oberappellationsgerichts Rostock bei Buchka und Budde, Sammlung Bd. 4 S. 258.
  • 4. Vgl. Richter-Dove, Lehrbuch des Kirchenrechts (7. Aufl.) S. 907 und die das. Angeführten; Goeschen, Doctr. de matrim. 1848 S. 6 und in Herzog's Realencyklopädie (Aufl. 1) Bd. 3 S. 671; Zimmermann in der Zeitschrift für Kirchenrecht Bd. 8 S. 61 bis 68; Bartels, Ehe und Verlöbniß S.108 flg.
  • 5. Vgl. Erkenntnis des Oberappellationsgerichts Celle bei Pufendorf, Obs. T. 1 obs. 161 und Lauenstein, Hannoversches Eherecht S. 40 Nr. 58; Erkenntnis des Oberappellationsgerichts Wolfenbüttel bei Dedekind, das prot. Ehescheidungsrecht S. 317; Erkenntnis des Oberappellationsgerichts Dresden bei Holzschuher, Theorie und Kasuistik Bd. 2 S. 541 und Seuffert, Archiv Bd. 1 Nr. 235; Erkenntnis des Oberappellationsgerichts Lübeck vom 6. Mai 1847 in Römer, Sammlung Bd. 4 S. 220, Souchay Bd. 2 S. 557, Seuffert Bd. 3 Nr. 66.