RG, 28.10.1881 - III 456/81
Steht den Brautkindern gemeinrechtlich ein Intestaterbrecht an dem Nachlasse ihres Erzeugers gleich ehelichen Kindern zu?
Gründe
"Der Berufungsrichter erkennt an, daß die Frage, ob den Brautkindern gegen ihren Erzeuger ein gleiches Intestaterbrecht zustehe wie den ehelichen Kindern, aus den Vorschriften des römischen und kanonischen Rechtes sich nicht beantworten lasse, stellt fest, daß das Bestehen eines speziell im Bezirke des Oberlandesgerichtes Celle geltenden Gewohnheitsrechtes zu Gunsten der Brautkinder nicht nachgewiesen werden könne, verwirft aber die Ansicht des Landgerichtes zu Lüneburg, daß die Brautkinder gemeinrechtlich ein Erbrecht an dem Vermögen ihres Erzeugers nicht haben, billigt vielmehr, "in Übereinstimmung mit einer seit langer Zeit bestehenden, weitverbreiteten, gemeinrechtlichen durch die Zustimmung namhafter Rechtslehrer unterstützten Praxis, die Ansicht, daß den Brautkindern gegen ihren Erzeuger ein gleiches Erbrecht, wie den ehelichen zustehe," und verurteilt deshalb die Beklagten (die Schwester des F. und deren Ehemann), den klägerischen Mündel als Erben des verstorbenen F. anzuerkennen und dem Kläger für dessen Mündel die Erbschaft des F. herauszugeben. Der von den Revisionsklägern hiergegen erhobene Angriff muß für begründet erkannt werden.
Die hervorgehobene, für den Anspruch des Klägers entscheidende Frage ist seit langer Zeit in der Doktrin und Praxis eine bestrittene. Die allerdings vielfach vertretene und von den Gerichten zur Anerkennung gebrachte Annahme, daß die Brautkinder ein gleiches Intestaterbrecht gegen ihren Erzeuger wie die ehelichen Kinder haben, kann auf gesetzliche Vorschriften nicht gestützt werden. Der namentlich in älterer Zeit gemachte Versuch, dieselbe durch Bestimmungen des römischen und kanonischen Rechtes zu begründen, ist, wie in neuerer Zeit allgemein anerkannt wird, verfehlt;1 sie wird von ihren Verteidigern auf einen konstanten Gerichtsgebrauch zurückgeführt. Die dafür geltend gemachten Gründe erscheinen jedoch nicht geeignet, eine Ausnahme von dem Grundsatze des gemeinen Rechts, daß uneheliche Kinder ihren Erzeuger nicht beerben, zu rechtfertigen, und die Brautkinder bezüglich des Erbrechts den ehelichen gleichzustellen. Wenn man zunächst auf die Rücksichten der Billigkeit sich berufen hat, welche es nicht gestatteten, die Brautkinder den übrigen unehelichen Kindern gleichzustellen und dem unschuldigen Kinde es zum Schaden gereichen zu lassen, daß ein zufälliger Umstand, namentlich der Tod seines Erzeugers, oder die ungerechtfertigte Weigerung desselben die Vollziehung der Ehe verhindert habe, so ist dieses kein genügender Grund, von dem im gemeinen Rechte anerkannten Grundsatze abzuweichen, daß die Ehe allein es ist, welche ein nach allen Seiten hin Rechte gewährendes Familienverhältnis begründet2 und den Brautkindern zum Nachteile der nach dem Gesetze in Ermangelung ehelicher Deszendenten berufenen Intestaterben ein Recht beizulegen, das ihnen von Rechts wegen nicht gebührt. Während dieses, sowie die Unhaltbarkeit des aus der Usualinterpretation der I. 22 Cod. de nupt. und : cap. 12 X qui filii entnommenen Grundes selbst von den Verteidigern des Erbrechtes der Brautkinder anerkannt wird, wird ein den gedachten Gerichtsgebrauch unterstützendes Argument darin gefunden, daß nach einer weit verbreiteten Doktrin aus einem in der gesetzlichen Form abgeschlossenen und daher mit voller Rechtsverbindlichkeit versehenen Eheverlöbnisse der die Vollziehung desselben ohne rechtliche Ursache weigernde Teil dazu selbst mit Anwendung gerichtlicher Zwangsmittel angehalten werden könne, wenn der Beischlaf zwischen beiden Verlobten hinzugekommen sei, oder daß es doch mindestens zulässig sei, daß in einem solchen Falle die Ehe durch gerichtliches Erkenntnis rücksichtlich der bürgerlichen Wirkungen derselben zum Vorteile der Braut und ihres Kindes für vollzogen erklärt werde, und daß es an einem genügenden Grunde fehle, die gerichtliche Zuerkennung der sonst nur mit der ehelichen Geburt verbundenen Rechte, namentlich auch in Beziehung auf die Erbfolge in den väterlichen Nachlaß, für unstatthaft zu erklären, wenn es bei Lebzeiten des Vaters zum förmlichen Rechtsstreite über die Vollziehung des Eheverlöbnisses und zu einer Verurteilung des letzteren zu dieser Vollziehung nicht gekommen sei, weil dem Umstände allein, daß zu der Zeit, wo das die Eheschließung verhindernde Ereigniß eingetreten sei, zu jenem Zwecke der Weg Rechtens schon betreten und ein richterliches Urteil ausgewirkt sei, ein entscheidender Einfluß nicht beigemessen werden könne.3
Allein abgesehen davon, daß das angegebene Verfahren nicht allgemein in Deutschland zulässig ist, ist die von dem Falle, wo der die Abschließung der Ehe verweigernde Teil dazu durch gerichtliches Erkenntnis bereits verurteilt war, die Vollziehung dieses Urteils aber durch dessen Tod oder sonstige Umstände verhindert wurde, oder wo die Ehe durch richterliches Erkenntnis rücksichtlich ihrer bürgerlichen Wirkungen für vollzogen erklärt, der Klägerin die Rechte einer als unschuldig geschiedenen Frau, dem Kinde die Rechte eines durch nachfolgende Ehe Legitimierten beigelegt waren, gezogene Konsequenz auf alle Fälle der Verhinderung der Vollziehung des Verlöbnisses durch die Eheschließung, ohne daß ein gerichtliches Verfahren stattgefunden hat, nicht gerechtfertigt.
Fehlt es sonach an einer haltbaren Grundlage für den ein Erbrecht der Brautkinder an dem Nachlasse ihres Erzeugers anerkennenden Gerichtsgebrauch, so kommt hinzu, daß ein das ganze Gebiet des gemeinen Rechtes beherrschender allgemeiner Gerichtsgebrauch als Ausdruck eines allgemein verbindlichen deutschen Gewohnheitsrechtes zu Gunsten der Brautkinder nicht besteht. Es ist allerdings seit langer Zeit in der Doktrin und Praxis der Gerichte die Ansicht, daß den Brautkindern ein gleiches Intestaterbrecht an dem Nachlasse ihres Erzeugers zustehe, wie den ehelichen Kindern, weit verbreitet gewesen, und es hat dieselbe auch bis in die neueste Zeit bei namhaften Rechtsgelehrten und in den Entscheidungen der Gerichte vielfach, unter Bezugnahme auf die Praxis, Anerkennung gefunden.4
Allein abgesehen davon, daß die Doktrin und Praxis in älterer Zeit an die Vorschriften des kanonischen Rechts anknüpfte, hat es niemals, weder in älterer, noch in neuerer Zeit, in der Doktrin an Vertretern der entgegengesetzten Ansicht gefehlt, und es ist dieselbe auch von den Gerichten zur Anwendung gebracht.5
Während nach dem preußischen Recht, Gesetz vom 24. April 1854, dem österreichischen Gesetzbuche, dem Cod. civil ein Unterschied zwischen Brautkindern und anderen unehelichen Kindern unbekannt ist, ist im Königreich Sachsen (G.B. §§. 1578. 2018. 2565), in Sachsen-Weimar (Ges. vom 6. April 1833), Altenburg (Ges. vom 13. Januar 1869), Anhalt (Ges. v. 10, Mai 1879) ein Erbrecht der Brautkinder anerkannt.
Es ist daher rechtsirrtümlich, wenn das Berufungsgericht von einem gemeinrechtlich geltenden Erbrechte der Brautkinder an dem Nachlasse ihres Erzeugers ausgeht. Es ist vielmehr in jedem einzelnen Falle zu untersuchen, ob partikularrechtlich, gesetzlich oder gewohnheitsrechtlich, in dem betreffenden Gebiete ein solcher Rechtssatz besteht.
Da das Berufungsgericht ausdrücklich feststellt, daß für das im vorliegenden Falle in Betracht kommende Gebiet das Bestehen eines speziellen Gewohnheitsrechtes zu Gunsten der Brautkinder nicht nachzuweisen sei, so war das von ihm erlassene Urteil aufzuheben." ...
- 1. Vgl. Glück, Kommentar Bd. 2 S. 11,4; Pfeiffer, Prakt. Ausführungen Bd. 8 S. 401 flg. D. E.
- 2. Mommsen, Motive zu dem Entwurfe eines Erbrechts S. 151. D. E.
- 3. Vgl. Pfeiffer a. a. O. S. 404. D. E.
- 4. Bezüglich der Doktrin und Praxis in älterer Zeit vgl.: Glück a. a. O. S. 113 flg.; Pfeiffer a,a.O. S. 407 flg.; Mayer, Erbrecht I. S. 190 flg.; für die neuere Zeit: Puchta, Pand. §.455; Sintenis, Civilrecht Bd. 8 S. 95; Arndts, Pand. S. 476; Baron, Pand. §.409; Brinz, Pand. Bd. 2 S. 805; Windscheid, Pand. §. 571: Archiv für civil. Praxis Bd. 13 S. 121 flg.; Seuffert, Archiv Bd. 8 Nr. 65; Bd. 15 Nr, 143; Bd. 19 Nr. 166; Bd. 26 Nr. 46.
- 5. Zeitschrift für Civilrecht u. Prozeß, N. F. Bd. 20 S. 256 flg.; Thibaut, Pand. §. 682; v. Bangerow, S. 413 Anm. 3; Glück a. a. O.; Tewes, Erbrecht S. 83; Seuffert, Archiv Nd. 5 Nr. 200; Bd. 12 Nr. 344; Bd. 25 Nr. 40; Bd. 32 Nr. 252. In der neueren Gesetzgebung ist die Frage verschieden geregelt.