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BGH, 10.06.1952 - GSZ 2/52

Daten
Fall: 
Enteignung, Enteignungsgleicher Eingriff
Fundstellen: 
BGH
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
10.06.1952
Aktenzeichen: 
GSZ 2/52
Entscheidungstyp: 
Urteil

I. 1. Eine zur Entschädigung verpflichtende Enteignung liegt nicht vor, wenn auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 (Wohnungsgesetz) recht-und ordnungsmäßig ein Wohnraum erfaßt und ein zahlungsfähiger und zahlungswilliger Wohnungsuchender zugewiesen wird.
2. Ein zur Entschädigung verpflichtender enteignungsgleicher Eingriff liegt vor, wenn durch rechtswidrige, nichtschuldhafte Zuweisung eines Wohnungsuchenden ein Mietausfall entsteht.
3. Ein zur Entschädigung verpflichtender enteignungsgleicher Eingriff liegt vor, wenn vor dem Inkrafttreten des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 (Wohnungsgesetz) ohne Rechtsgrundlage, jedoch schuldlos, von hoher Hand ein Mietrecht entzogen worden ist.
II. 1. Wenn das Wohnungsamt rechtswidrig schuldlos einen Mietausfall herbeiführt (vgl I, 2), umfaßt die Entschädigung den vollen Mietausfall.
2. Wird rechtswidrig schuldlos von hoher Hand ein Mietrecht entzogen (vgl. I, 3), so wird der dadurch dem Betroffenen entstandene Mehraufwand (getrennte Haushaltführung) als Entschädigung geschuldet.
3. Bei der Enteignungsentschädigung können wirtschaftliche Vorteile, die durch die Enteignung erwachsen sind, berücksichtigt werden.
III. 1. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GrundG umfaßt alle vermögenswerten Rechte, auch diejenigen aus dem Gebiet des öffentlichen Rechts.
2. Zur rechtlichen Abgrenzung zwischen Enteignung und Inhaltsbegrenzung des Eigentums.
3. Das Vorliegen einer Enteignung kann grundsätzlich nicht mit der Begründung verneint werden, dem Betroffenen sei der Eingriff zuzumuten.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

vom 10. Juni 1952
- GSZ 2/52 -
Der III. Zivilsenat hat dem Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 137 GVG folgende Fragen vorgelegt:

I.

Liegt eine zur Entschädigung verpflichtende Enteignung
1. darin, daß ein Wohnraum auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 (Wohnungsgesetz) erfaßt wurde?
2. (bei Verneinung der Frage zu 1) darin, daß ein erfaßter Wohnraum einem Wohnungsuchenden zugewiesen wurde?
3. (bei Verneinung der Fragen zu 1 und 2) darin, daß
a) ein erfaßter Wohnraum durch rechtswidriges, aber nicht schuldhaftes Verhalten des Wohnungsamtes längere Zeit leer steht? Entfällt dieser Anspruch gegebenenfalls deshalb, weil dieses Leerstehen den Interessen des Betroffenen entsprach?
b) ein erfaßter Werkwohnraum entgegen den landesgesetzlichen Vorschriften einem vom Werk nicht vorgeschlagenen Wohnungsuchenden zugewiesen wird, der nach der Einweisung zahlungsunfähig wird?
4. darin, daß vor Inkrafttreten des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 (Wohnungsgesetz) ohne Rechtsgrundlage, jedoch schuldlos, durch den Bürgermeister einer Stadt eine von dem Mieter noch nicht bezogene Wohnung an einen andern Wohnungsuchenden zugewiesen worden ist?

II.

  1. Ist die Enteignungsentschädigung nach Art. 14 GrundG nach anderen Grundsätzen zu bemessen als nach Art. 153 WeimVerf?
  2. (bei Bejahung der Frage zu 1) Hat Art. 14 GrundG insofern rückwirkende Kraft, als er für die Höhe der Entschädigung auch bei vor dem Inkraftreten des GrundG esetzes liegenden Enteignungen maßgebend ist,
    a) soweit Einbußen in der Zeit vor dem Inkrafttreten des GrundG esetzes eingetreten sind, aber jetzt erst über die Entschädigung zu entscheiden ist?
    b) (bei Verneinung der Frage zu a) soweit die Einbußen nach dem Inkrafttreten des GrundG esetzes eingetreten sind?
  3. Ist bei Bemessung der Enteignungsentschädigung der Grundsatz der Vorteilsausgleichung anwendbar?

Diesen Fragen liegen drei verschiedene Fälle zu Grunde:

  1. Die Beklagte erfaßte am 5. November 1948 in dem Hause des Klägers eine leer gewordene Wohnung mit 2 Zimmern und einer Küche und wies am 15. Dezember 1948 in diese Wohnung eine aus 4 Erwachsenen und einem Kind bestehende Zigeunerfamilie ein. Zu einem Einzug dieser Familie kam es nicht. Durch Urteil des Landesverwaltungsgerichts vom 28. April 1949 wurde die Zuweisung der Zigeunerfamilie wieder aufgehoben. Am 7. Juli 1949 wurde die Wohnung, die bis dahin leer gestanden hatte, einem anderen Wohnungssuchenden zugeteilt. Der Kläger fordert von der Beklagten Schadloshaltung für den Mietausfall vom 1. Dezember 1948 bis 30. Juni 1949.
  2. Die Beklagte teilte am 15. September 1948 entgegen den Bestimmungen der §§ 20, 21 SchlHDurchfG z WohnG vom 3. Mai 1948 eine Werkwohnung der Klägerin einem nicht bei der Klägerin beschäftigten Wohnungssuchenden zu. Die Beschwerde der Klägerin blieb ohne Erfolg. Der Mieter blieb bis zum Auszug im Februar 1950 Mietrückstände in Höhe von etwa 130 DM schuldig, die die Klägerin von der Beklagten erstattet verlangt.
  3. Der Kläger betrieb seit Jahren in seiner Wohnung in G. eine Praxis als Dentist während seine Familie in dem 12 km entfernten T. wohnte. Anfang Oktober 1945 wies die Beklagte dem Kläger eine größere Wohnung in G. zu, in die er neben seiner Praxis auch seine Familie aufnehmen konnte. Nachdem der Kläger einen Mietvertrag mit dem Eigentümer dieser Wohnung abgeschlossen hatte, wurde er, noch bevor er diese Wohnung beziehen konnte, auf Grund einer unberechtigten Denunziation von der Militärregierung in Haft genommen. Die Beklagte teilte daraufhin, ohne den Kläger oder seine Familie zu benachrichtigen, die Wohnung einem anderen Wohnungsuchenden zu. Als der Kläger nach etwa einem Jahr zurückkam, wurde die Wohnung für ihn nicht wieder freigegeben, so daß er wieder in der alten Wohnung, getrennt von seiner in T. lebenden Familie, seine Praxis betreiben mußte. Der Kläger verlangt Ersatz der Unkosten, die ihn durch seine doppelte Haushaltsführung entstanden sind und entstehen.
    Die Fragen wurden im Sinne der Überschrift beantwortet.

Aus den Gründen:

Der Große Senat hat bei der Beantwortung der gestellten Fragen diese sinngemäß so beantwortet, wie es für die Entscheidung der vor dem III. Zivilsenat anhängigen Rechtsstreite erforderlich erschien (wird ausgeführt).

I.

Sämtlichen Tatbeständen ist es gemeinsam, daß die in Betracht kommenden Maßnahmen der jeweiligen Wohnungsbehörde vor dem Inkrafttreten des Bonner GrundG esetzes ausgesprochen worden sind und daß sie sodann über diesen Zeitpunkt hinaus in den zeitlichen Geltungsbereich des GrundG esetzes hinein fortwirkten. Bei dieser Sachlage fragt es sich zunächst, welche Normen für die Beurteilung dieser Maßnahmen unter enteignungsrechtlichen Gesichtspunkten maßgeblich sind.

Soweit der Zeitraum vor Erlaß des Bonner GrundG esetzes (23. Mai 1949) in Betracht kommt, kann hierfür die Vorschrift des Art. 14 GrundG nicht unmittelbar herangezogen werden, weil das Bonner GrundG esetz zeitlich nicht zurückwirkt. Vielmehr muß insoweit auf die Vorschrift des Art. 153 WeimVerf zurückgegriffen werden. Der Art. 153 WeimVerf war zwar durch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 18. Februar 1933 (RGBl I, 83) bis auf weiteres außer Kraft gesetzt worden. Die Aufhebungswirkung dieser Verordnung erstreckte sich aber nach ihrem Zweck - sie ist nach ihrer Überschrift zur Abwehr kommunistischer, staatsgefährdender Gewaltakte erlassen worden - nur auf solche Eingriffe, die zu dem erwähnten Zweck erforderlich waren, und ließ die Geltung des Art. 153 WeimVerf für solche Enteignungen, die aus anderem Anlaß vorgenommen wurden, unberührt. Diese Verordnung verlor überdies wegen ihres nationalsozialistischen Gehalts auf jeden Fall mit dem Zusammenbruch ihre Wirkung. Art. 153 WeimVerf ist auch nicht dadurch mit rechtlicher Wirkung außer Kraft gesetzt worden, daß sich das nationalsozialistische Regime in zahlreichen Fällen durch Gewaltakte über den Eigentumsschutz hinwegsetzte und dabei den Art. 153 WeimVerf nicht beachtete. Dieses unrechtmäßige Verhalten konnte nur die tatsächliche Anwendung des Art. 153 einengen, nicht aber seine rechtliche Geltung aufheben. Art. 153 WeimVerf blieb schließlich auch über den Zusammenbruch des Jahres 1945 hinaus bis zum Inkrafttreten des Bonner GrundG esetzes mit Verfassungskraft in rechtlicher Geltung.

Für die Zeit ab 24. Mai 1949 ist dagegen auf Art. 14 GrundG zurückzugreifen. Dem steht nicht entgegen, daß die fraglichen Verwaltungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden bereits vor dem Inkrafttreten des Bonner GrundG esetzes ausgesprochen worden waren. Denn wenn diese Verwaltungsmaßnahmen Enteignungen im rechtlichen Sinne gewesen sind, dann wären diese Enteignungen in ihrer Wirkung nicht schon mit dem Inkrafttreten des Bonner GrundG esetzes abgeschlossen gewesen. Sie wirkten vielmehr in den zeitlichen Geltungsbereich des GrundG esetzes hinein fort, indem sie sich durch die weiterhin andauernde Einschränkung der Herrschaftsbefugnis der Wohnungsinhaber stets von neuem als Enteignungen verwirklichten.

Das Bonner GrundGesetz erkennt den übergesetzlichen, Verwaltung, Rechtsprechung u n d Gesetzgebung bindenden Charakter der Grundrechte, auch der Eigentumsgarantie, ausdrücklich an (Art. 1 Abs. 2 und 3) und bestimmt infolgedessen, daß auch gesetzliche Eingriffe in ein Grundrecht dieses in keinem Fall in seinem Wesensgehalt antasten dürfen (Art. 19 Abs. 2). Ob daraus folgen würde, daß Art. 153 WeimVerf für die rückliegende Zeit insoweit nicht anzuwenden sei, als er entschädigungslose Enteignungen durch Reichsgesetz zuläßt, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, weil das Wohnungsgesetz, um das es sich hier handelt, eine entschädigungslose Enteignung nicht anordnet. Allerdings ist nach dem Bonner GrundG esetz - nicht etwa, weil es zeitlich zurückwirkte, sondern weil es die übergesetzliche, d. h. die von staatlicher Rechtssetzung unabhängige Geltung der Grundrechte anerkennt, - auch für die vor dem GrundG esetz liegende Zeit anzunehmen, daß die echten Grundrechte übergesetzlichen Charakter haben und daß deswegen auch gesetzliche Eingriffe in sie das Wesen der Grundrechte nicht antasten dürfen. Von diesen Grundsätzen ist daher im vorliegenden Fall auch dann auszugehen, wenn es sich darum handelt, Inhalt, Tragweite und Grenzen der Eigentumsgarantie, der Inhaltsbestimmung des Eigentums und der Enteignung in dem Zeitraum zwischen dem Zusammenbruch und dem Inkrafttreten des Bonner GrundG esetzes zu bestimmen.

Nach Meinung des Großen Senats gelten endlich die Grundsätze gewohnheitsrechtlich weiter, die die Rechtsprechung des Reichsgerichts in entsprechender Anwendung der §§ 74, 75 EinlALR zu dem sogenannten Aufopferungsanspruch entwickelt hatte. Sie kommen allerdings nur noch da zum Zug, wo es sich nicht um eine Enteignung im technischen Sinn handelt.

II.

Die Fragen des III. Zivilsenats zielen darauf ab, im Anwendungsbereich des Wohnungsgesetzes den weiteren Enteignungsbegriff zur Nachprüfung zu stellen, den die Rechtsprechung des Reichsgerichts nach dem ersten Weltkrieg im Gegensatz zu dem früheren sog klassischen Enteignungsbegriff entwickelt hatte, und insbesondere die Enteignung abzugrenzen gegen die allgemeine gesetzliche Inhaltsbegrenzung des Eigentums. In der Tat war die Rechtsprechung des Reichsgerichts unter der Herrschaft des Art. 153 WeimVerf fortgeschritten von der ursprünglichen aus den damaligen Enteignungsgesetzen abgeleiteten Annahme:

Enteignung ist die entschädigungspflichtige Übereignung von Grundeigentum durch gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt an ein aus öffentlichrechtlichen Gründen begünstigtes Unternehmen zu der späteren Annahme (RGZ 105, 251; 109, 310; 116 268; 150, 9; StGH in RGZ 124 Anh. 19):

Enteignung ist derjenige von einem übergeordneten öffentlichen Zweck geforderte, durch Gesetz oder gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt erfolgende, entschädigungspflichtige Eingriff in Vermögenswerte Rechte von Einzelnen oder Gruppen, der, sei es in der Gestalt der Entziehung, sei es in der Gestalt der Belastung der Rechte, die betroffenen Rechtsträger ungleich, besonders trifft und sie zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt.

Die Eigentumsgarantie und der Enteignungsschutz, wie sie sich im westlichen Kulturkreis geschichtlich im wesentlichen gleichartig entwickelt haben und heute noch im wesentlichen gleichartig gelten, beruhen auf folgender Spannungslage: Der in den Staat ein gegliederte Einzelne bedarf, um unter seinesgleichen als Person, d. h. frei und selbstverantwortlich leben zu können und um nicht zum bloßen Objekt einer übermächtigen Staatsgewalt zu werden, also um seiner Freiheit und Würde willen einer rechtlich streng gesicherten Sphäre des Eigentums. Auf der anderen Seite muß der Staat, wenn dies übergeordnete öffentliche Zwecke der Allgemeinheit klar erfordern, auch in die vermögenswerten Rechte seiner Bürger eingreifen können. Das Eigentum, wie überhaupt die vermögenswerten Rechte, sind überdies ihrem Inhalt nach nicht starr, sondern in gewissen Grenzen geschichtlich wandelbar, wandelbar insbesondere in bezug auf das Maß der sozialen Bindung, das sie sich gefallen lassen müssen. Die gekennzeichnete Spannungslage nimmt ihrerseits je nach der geschichtlichen Entwicklung eine geringere oder größere Schärfe an. So begnügte sich in den beruhigten Zeiten des späten 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkriege der Staat im allgemeinen damit, in einzelnen Ausnahmefällen bei klarer öffentlicher Notwendigkeit einzelnes Grundeigentum durch Verwaltungsakt auf öffentlich-rechtlich begünstigte Unternehmen gegen volle oder angemessene Entschädigung zwangsweise zu übertragen. Infolge der sozialen Katastrophen des späteren 20. Jahrhunderts und infolge des immer stärkeren Hervortretens des modernen Verwaltungsstaates setzten dagegen im späteren 20. Jahrhundert massenhafte entschädigungslose Enteignungen in einem bisher nicht gekannten Umfange ein, die in ihrem Bereich Rechtlosigkeit, Unfreiheit und völlige Auslöschung des menschlichen Eigenwerts zur Folge hatten. Andererseits mußte der Staat in diesem Zeitraum, um die tiefzerstörte soziale Ordnung wiederherzustellen, in der Tat berechtigter-und notwendigerweise weiter in die vermögenswerten Rechte seiner Bürger eingreifen und diese Rechte stärker sozial binden, als dies früher erforderlich war.

Diese Spannungslage hat man im wesentlichen immer folgendermaßen gelöst und muß sie so lösen: Das Eigentum der dem Staat eingegliederten Einzelnen und Gruppen ist grundsätzlich geschützt und zwar ihr Eigentum im weitesten Sinn. Der Staat darf dieses Eigentum im einzelnen nur ausnahmsweise, d. h. wenn es ein übergeordneter öffentlicher Zweck notwendig macht, enteignen (entziehen oder belasten), und nur gegen gerechte Entschädigung. Diese Entschädigung ist, soweit sie nicht billigerweise dem Enteignungsbegünstigten auferlegt werden kann, von der Allgemeinheit (Grotius: e communi) zu leisten, weil sonst den Betroffenen unter Verletzung des Gleichheitssatzes erneut ein sie im Verhältnis zu anderen ungleich treffendes Sonderopfer für die Allgemeinheit aufgezwungen würde. Unabhängig von diesem, die einzelnen Betroffenen zu einem Sonderopfer nötigenden Enteignungsrecht hat der Staat das Recht, den Inhalt des Eigentums (im weitesten Sinne) in einer allgemein verbindlichen Weise zu bestimmen. In diesem Rahmen darf er zwar nicht Eigentum entziehen oder übertragen oder im Einzelfall belasten, wohl aber innerhalb gewisser Grenzen in einer allgemein verbindlichen Weise den Herrschaftsbereich des Eigentumsrechts einengen, es mit Pflichten belasten, es sozial binden.

Diese Grundsätze brachten, was die Eigentumsgarantie und den Enteignungsschutz angeht, schon die §§ 74 und 75 EinlALR in klarer Weise zum Ausdruck, die insoweit auf die Naturrechtslehre der Aufklärung zurückgingen. Diese Rechtsgedanken liegen, was die Eigentumsgarantie, den Enteignungsschutz und die Inhaltsbestimmung des Eigentums angeht, auch den Vorschriften der Art. 153 WeimVerf und 14 GrundG zu Grunde, wobei Art. 14 GrundG allerdings in bezug auf die Enteignung und die allgemeine inhaltliche Begrenzung des Eigentums den Schutz gegenüber dem Gesetzgeber noch stärker betont als Art. 153 WeimVerf.

Das bedeutet für die Frage, ob der reichsgerichtliche Enteignungsbegriff beizubehalten ist, im einzelnen das Folgende:

Wenn die staatliche Enteignung nach dem ganzen Vermögen der Bürger greift, muß die Eigentumsgarantie und der Enteignungsschutz auch das ganze Vermögen der Bürger decken. Sie müssen daher folgerichtigerweise auf jedes Vermögenswerte Recht bezogen werden, gleichgültig, ob es dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht angehört. Geschützt ist nicht nur das Eigentum im weitesten Sinn als Rechtseinrichtung, sondern jedes vorhandene einzelne Vermögenswerte Recht.

Gleichwohl können Inhalt und Schranken des Eigentums in einer allgemeinverbindlichen Weise durch Gesetz bestimmt werden. Diese inhaltliche Bestimmung und Begrenzung des Eigentums muß ihrem Wesen nach allgemeiner Natur sein. Man kann auf diese Weise nicht Einzelmaßnahmen gegen bestimmte einzelne Eigentümer oder gegen ein bestimmtes einzelnes Eigentum treffen. Ebensowenig kann man auf diese Weise Eigentum entziehen oder übertragen oder es anders als durch verstärkte, alle gleich treffende Pflichtenbindung belasten. Dagegen kann man so inhaltliche Begrenzungen der vermögenswerten Rechte vornehmen, die von nun an der betroffenen Gattung von Rechten allgemein eigentümlich sein sollen und dem Wesen des betreffenden Rechts nach eigentümlich sein können, die allgemein bestimmte zusätzliche Pflichten, beispielsweise Duldungspflichten, auferlegen und die Rechtsträger unterschiedslos und einheitlich bei der Ausübung ihrer Rechte sozial binden. So können beispielsweise die Grundstückseigentümer oder die sonstigen Verfügungsberechtigten über Wohnraum durch die Kündigungsschutzbestimmungen des Mieterschutzgesetzes oder durch Preisbindungen der Altmieten in ihrer Verfügungsbefugnis über Wohnraum allgemein eingeengt werden. Doch ist der Gesetzgeber auch bei der inhaltlichen Begrenzung der vermögenswerten Rechte nicht völlig frei. Da die Eigentumsgarantie übergesetzlichen Rang hat, darf sie auch auf diesem Wege nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet, in ihrer Substanz angegriffen werden (Art. 19 Abs. 2 GrundG ). Das Grundrecht des Eigentums darf auch durch eine allgemein angeordnete gesetzliche Begrenzung seines Inhalts in seiner wesensgemäßen Geltung und Entfaltung nicht stärker und nicht in weiterem Umfang eingeschränkt werden, als dies der sachliche Grund, der zu der Begrenzung führt, zwingend erfordert. Allerdings bestimmt sich das Maß des Erforderlichen jeweils nach der geschichtlichen Lage. In Not-und Krisenzeiten kann die soziale Bindung des Eigentums naturgemäß stärker sein als in gewöhnlichen Zeiten. Diese allgemein angeordnete inhaltliche Bindung und Begrenzung des Eigentums ist keine Enteignung. Sie zieht deswegen auch keine Entschädigungspflicht nach sich. Auch wenn sie die verfassungsmäßigen oder übergesetzlichen Grenzen der Bindung überschreitet, wird sie deswegen noch nicht zur Enteignung, die die Entschädigungspflicht auslöst. Das Überschreiten der gezogenen Grenzen macht vielmehr hier den gesetzgeberischen Akt nichtig. Erst der rechtswidrige Einzelvollzug des nichtigen gesetzgeberischen Aktes könnte enteignungsgleich wirken.

Aus dieser Entgegensetzung wird zugleich deutlich, was im Rechtssinn Enteignung ist. Bei der Enteignung handelt es sich nicht um eine allgemeine und gleichwirkende, mit dem Wesen des betroffenen Rechts vereinbare inhaltliche Bestimmung und Begrenzung des Eigentumsrechts, sondern um einen gesetzlich zulässigen zwangsweisen staatlichen Eingriff in das Eigentum, sei es in der Gestalt der Entziehung oder der Belastung, der die betroffenen Einzelnen oder Gruppen im Vergleich zu anderen ungleich, besonders trifft und sie zu einem besonderen, den übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt, und zwar zu einem Opfer, das gerade nicht den Inhalt und die Grenzen der betroffenen Rechtsgattung allgemein und einheitlich festlegt, sondern das aus dem Kreise der Rechtsträger Einzelne oder Gruppen von ihnen unter Verletzung des Gleichheitssatzes besonders trifft. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz kennzeichnet die Enteignung. Gerade um ihn wieder auszugleichen, fordert die Enteignung eine diesen Ausgleich gewährleistende Entschädigung des Enteigneten, während die alle gleich treffende allgemeine inhaltliche Begrenzung des Eigentums keine Entschädigung fordert. Das ist der richtige und deswegen durchaus beizubehaltende GrundG edanke der reichsgerichtlichen Rechtsprechung über die Enteignung als Einzeleingriff. Diese Rechtsanschauung bestimmt - entgegen zahlreichen erhobenen Angriffen - die Enteignung gerade nicht nach einem formalen Maßstab. Sie liefert im Gegenteil den einzig zutreffenden, durchaus inhaltlich bestimmten Maßstab für die Enteignung, nämlich ihren Charakter als erzwungenes, ungleich treffendes Sonderopfer für die Allgemeinheit.

Allerdings ist es, wenn es sich um Eigentum mehrerer Rechtsträger (Gruppeneigentum) handelt, im Einzelfall nicht immer leicht zu bestimmen, wann ein ungleich treffender, entschädigungspflichtiger Eingriff in das Eigentum einer Gruppe vorliegt und wann eine entschädigungslose allgemeine Begrenzung von Gruppeneigentum. Diese Schwierigkeit liegt aber in der Natur der Sache und kann jeweils nur durch eine eingehende Untersuchung des Einzelfalles nach den oben angegebenen Richtlinien überwunden werden. Dagegen läßt sich keine logisch zwingende, alle Abgrenzungsfragen von vornherein klar entscheidende Formel für die Überwindung dieser Schwierigkeiten angeben. Weder die von dem Reichsgericht zuweilen gebrauchte Formel, es komme darauf an, ob der Eingriff nach allgemeinen Gattungsmerkmalen vorgenommen werde oder nicht, noch die vom Obersten Gerichtshof für die Britische Zone angewendete Formel, es komme darauf an, ob der betreffende Personenkreis sogleich festgestellt werden könne oder nicht, führen mit Notwendigkeit oder auch nur mit Regelmäßigkeit zum Ziel. Sie haben nur den Wert von im Einzelfall mehr oder minder brauchbaren Beweiszeichen.

Darin liegt zugleich, daß es - entgegen einzelnen Stimmen im Schrifttum - keine Rückkehr mehr geben kann zu dem sog klassischen Enteignungsbegriff oder zu einzelnen seiner Elemente: zwangsweise, entschädigungspflichtige Übereignung von Grundeigentum durch gesetzlich zugelassenen Verwaltungsakt an ein aus öffentlich-rechtlichen Gründen begünstigtes Unternehmen. Die klassische Enteignungslehre entstammt einer Zeit, in der der Staat praktisch fast nur im Falle einer so gekennzeichneten Übertragung von Grundeigentum zu dem Mittel der Enteignung griff. Es lag deshalb durchaus nahe, dieses Sondergebiet durch Sondergesetze (Enteignungsgesetze) zu regeln und dabei die Voraussetzungen für den staatlichen Eingriff möglichst eng und genau zu begrenzen und das Verfahren rechtsstaatlich zu formalisieren. Der Enteignungsschutz richtete sich damals vorwiegend gegen die enteignende Verwaltung. Ihn in besonderer Weise gegen die enteignende Gesetzgebung auszubauen, bestand damals kein hinreichender Anlaß. Immerhin standen auch schon damals hinter den einzelnen Enteignungsgesetzen die allgemeinen Grundsätze der §§ 74 und 75 EinlPrALR, die eine sehr umfassende allgemeine Eigentumsgarantie darstellten und die die Rechtsprechung auch außerhalb des unmittelbaren Geltungsbereiches der §§ 74 und 75 entsprechend anwandte, sowie für die frühere Zeit auch die gleichartigen allgemeinen Enteignungsgrundsätze des gemeinen Rechts. Inzwischen haben sich die Verhältnisse jedoch, wie oben dargestellt, grundlegend geändert. Der Staat greift nunmehr in sehr starkem Maß sowohl durch die Gesetzgebung wie durch die Verwaltung enteignend nach allen vermögenswerten Rechten seiner Bürger und gestattet gleichzeitig die Enteignung unter sehr viel leichteren Bedingungen als früher (Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit). Dem kann man mit der klassischen Enteignungslehre keineswegs mehr begegnen. Ihre Anwendung würde unter den geänderten Verhältnissen vielmehr einen groben Verstoß gegen den Gleichheitssatz bedeuten. Sie würde bedeuten, daß das, was früher überhaupt nicht hätte enteignet werden können, jetzt sogar entschädigungslos enteignet werden könnte. Vielmehr mußte sich nun der Enteignungsschutz dem erweiterten staatlichen Enteignungsbegriff anpassen und dabei das Schwergewicht auf die Entschädigungspflicht legen.

Ebensowenig läßt sich die Enteignungsfrage durch eine einseitige Betonung der Staatsinteressen, insbesondere der fiskalischen Interessen, lösen. Mag auch die heutige Notzeit der öffentlichen Hand in besonderem Maße die Pflicht zu umfassenden Fürsorgemaßnahmen auferlegen, so kann doch aus Rechtsgründen diese Pflicht allein noch nicht zum Anlaß für eine sachliche Beschränkung der entschädigungspflichtigen Enteignungen genommen werden. Der Bereich der geschützten Eigentumssphäre läßt sich nicht einseitig vom Interesse des Staates her bestimmen, sondern nur von der oben gekennzeichneten und in Art. 14 GrundG bindend vorgenommenen Lösung der oben ebenfalls beschriebenen Spannungslage her.

Endlich führt auch die im Schrifttum und seit 1945 teilweise auch in der Rechtsprechung vertretene Schutzwürdigkeits-oder Zumutbarkeitslehre nicht zum Ziel. Diese Lehren bejahen zwar - wenigstens zum Teil - auch, daß eine Enteignung dann vorliege, wenn sie den betroffenen Einzelnen oder Gruppen ein sie ungleich treffendes Sonderopfer auferlegt. Sie sehen aber, entweder allgemein oder innerhalb des durch die Einzelaktslehre abgegrenzten Bereichs, das kennzeichnende Unterscheidungsmerkmal zwischen dem entschädigungsfreien und dem entschädigungspflichtigen Eingriff in das Eigentum darin, ob dieser Eingriff - sei es bei subjektiver, sei es bei objektiver Beurteilung - nach Umfang und Bedeutung den Betroffenen zuzumuten sei oder nicht. - Hat man jedoch einmal erkannt, daß Enteignung dann vorliegt, wenn den betroffenen Einzelnen oder Gruppen ein sie im Vergleich zu anderen ungleich treffendes Sonderopfer zugemutet wird, und daß um des Gleichheitssatzes willen zum Ausgleich dieses Opfers die entsprechende Entschädigung geschuldet wird, so würde es gegen die in Art. 14 GrundG bewußt gewollte umfassende Geltung der Eigentumsgarantie und gegen den Gleichheitssatz verstoßen, wenn man innerhalb des so abgegrenzten Bereichs nun wieder entschädigungspflichtige und entschädigungsfreie Enteignungen zulassen würde, wenn man also den vom Gleichheitssatz einheitlich geforderten, in Gestalt der Entschädigung erfolgenden Ausgleich für das ungleich treffende Opfer teils gewährte, teils aber auch nicht gewährte. Im übrigen sind Schutzwürdigkeit und Zumutbarkeit so farblose und dehnbare Begriffe, sie bieten so wenig einen greifbaren, einheitlichen, von allen auch nur einigermaßen übereinstimmend zu erkennenden und zu handhabenden, materialen Wertmaßstab dar, sie treffen im Bewußtsein des Volkes auf so unterschiedliche Wertvorstellungen über Enteignung und Eigentumsschutz, daß die Handhabung dieser Unterscheidung durch die beteiligten Stellen, insbesondere durch die Gerichte, zu den größten und auf keine Weise zu verhütenden Ungleichheiten und Verschiedenheiten führen müßte und daß sie in das Rechtsgebiet des Enteignungsschutzes, das wie kaum ein anderes auf klare und scharfe rechtliche Abgrenzung angewiesen ist, ein mit der Rechtssicherheit schlechterdings nicht verträgliches, übergroßes Maß eines völlig ungewissen Ermessens hineintragen würden. Der Staat bedarf endlich, da er entschädigungslos inhaltliche Begrenzungen und soziale Bindungen der vermögenswerten Rechte vornehmen kann und da er auch die Enteignungsentschädigung weitgehend ganz oder teilweise auf die Enteignungsbegünstigten abwälzen kann, zur Durchführung seiner legitimen Aufgaben nicht dieser künstlichen und mit Art. 14 GrundG nicht vereinbaren Einschränkung der Enteignungsentschädigung.

Bei allem, was bisher ausgeführt wurde, handelt es sich um die gewöhnliche technische Enteignung. Mit den davon verschiedenen Rechtsgebieten der strafweisen Konfiskation von Eigentum und der Vergesellschaftung von Eigentum, die einer gesonderten rechtlichen Behandlung bedürfen, hat es dieser Beschluß nicht zu tun.

III.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die rechtliche Beurteilung der Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsämter nach dem Wohnungsgesetz vorzunehmen. Dabei ist von dem Regelfall auszugehen, in dem bei den heutigen Wohnungsverhältnissen ein Wohnraum recht-und ordnungsmäßig erfaßt und ein zahlungsfähiger und zahlungswilliger Wohnungsuchender zugewiesen wird. Diese Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsämter sind Verwaltungsmaßnahmen, die auf Grund der gesetzlichen Vorschriften im Wohnungsgesetz jeweils nur für einen einzelnen Fall ausgesprochen werden. Die gesetzlichen Vorschriften selbst führen noch nicht einen unmittelbaren Eingriff in die Herrschaftsbefugnis des Eigentümers herbei, sie geben vielmehr nur die gesetzliche Grundlage für die Verwaltungsmaßnahmen ab. Die Wirkung der einzelnen Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen besteht in einer Einschränkung der freien Bestimmungsbefugnis des Eigentümers über den Gebrauch (von Teilen) seines Hausgrundstücks, insbesondere in der Richtung, daß ihm die Freiheit bei Abschluß von Mietverträgen und für die Auswahl eines Mieters genommen ist.

Bei dieser Sach-und Rechtslage liegt die Annahme nahe, in derartigen Eingriffen durch einen jeweils einzelnen Verwaltungsakt vom Boden der Einzelakttheorie aus eine entschädigungspflichtige Enteignung zu erblichen. Eine solche Annahme wird jedoch der Rechtslage nach dem Wohnungsgesetz nicht gerecht. Sie berücksichtigt nicht in ausreichendem Umfang, daß nach dem Wohnungsgesetz die Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden im weitgehenden Maß dem freien Ermessen der Verwaltungsbehörde entzogen und als Akte einer gebundenen Verwaltung anzusehen sind. Nach dem Grundgedanken des Wohnungsgesetzes sollen im Anwendungsbereich dieses Gesetzes alle betroffenen Wohnungsinhaber in gleichmäßiger Form in ihrer Herrschaftsbefugnis eingeschränkt werden, und die Wohnungsbehörden sind gebunden, die hierfür erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Diese Maßnahmen stellen sich bei dieser Rechtslage nur als eine Verwirklichung des bereits im Wohnungsgesetz enthaltenen Ziels einer Einschränkung der Herrschaftsbefugnis der unter das Wohnungsgesetz gleichmäßig fallenden Wohnungsinhaber dar. Nur aus rechtstechnischen Gründen ist hierbei die Einschränkung der Herrschaftsbefugnis in verschiedene Teilakte zerlegt, von denen der erste Teilakt in der gesetzlichen Regelung, die weiteren Teilakte in Verwaltungsmaßnahmen auf Grund einer die Verwaltung bindenden Rechtsanwendung zu finden sind. Es kann daher bei einer solchen zusammenfassenden Betrachtung nicht davon gesprochen werden, daß hier lediglich durch einen Einzelakt ein besonderer Eingriff in die Rechtssphäre des Einzelnen erfolgt. Die Richtigkeit dieser Auffassung tritt deutlich zutage, wenn man sich den materialen GrundG edanken der Einzelakttheorie vor Augen hält, nämlich die Wahrung des Gleichheitssatzes bei Auferlegung besonderer Opfer durch Zubilligung einer entsprechenden Entschädigung. Von einer Anwendung dieses GrundG edankens kann in solchen Fällen nicht gesprochen werden, in denen nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung diese ganz allgemein alle von ihrem Anwendungsbereich betroffenen Wohnungsinhaber gleichmäßig treffen soll und die Verwirklichung dieses Sinnes in einer die zuständige Verwaltung bindenden Rechtsanwendung durch einzelne Verwaltungsakte erfolgt. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes durch Auferlegung von besonderen Opfern ist hier nicht gegeben. Es ist vielmehr die Aufgabe der gebundenen Verwaltungsakte, eine ungleichmäßige Behandlung gleichmäßiger Tatbestände auszuschließen. Es steht der Wohnungbehörde nicht frei, auf Grund des Wohnungsgesetzes nur den einen oder den anderen Wohnungsinhaber durch die Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen in seiner Herrschaftsbefugnis einzuschränken und damit nur diesen ein besonderes Opfer aufzuerlegen. Sie ist vielmehr gebunden, im Anwendungsbereich des Gesetzes alle hiervon betroffenen Wohnungsinhaber gleichmäßig zu behandeln und eine gleichmäßige Handhabung des Gesetzes sicherzustellen. Es kann daher den einzelnen Verwaltungsakten in diesem Zusammenhang keine selbständige Bedeutung beigelegt werden. Die rechtstechnische Aufteilung in gesetzliche Regelung und gebundenen Verwaltungsakt hat kein sachliches Gewicht und kann daher auch den inhaltlichen Zusammenhang von gesetzlicher Regelung und Verwaltungsakt nicht aufheben. Das bedeutet, daß es sich bei den Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden auf Grund des Wohnungsgesetzes nicht um Einzeleingriffe im Sinn der Einzelakttheorie handelt, sondern daß diese auf Grund ihrer Bindung an das allgemein gehaltene Wohnungsgesetz nur mit dieser gesetzlichen Regelung gemeinsam betrachtet werden können und daher einem allgemein gehaltenen gesetzlichen Eingriff in die Eigentumssphäre gleichstehen.

Dieser Auffassung steht auch nicht entgegen, daß in den einzelnen Teilen der Bundesrepublik die tatsächlichen Voraussetzungen für die Handhabung der Wohnraumbewirtschaftung verschiedene sind und daß demgemäß in Gemeinden mit einer größeren Wohnungsnot und mit einem größeren Wohnraumbedarf von den Wohnungsbehörden Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen ausgesprochen werden, die in Gemeinden mit einer geringeren Wohnungsnot nicht in Betracht gezogen werden. Wenn auch mit diesen Unterschieden in den tatsächlichen Voraussetzungen eine unterschiedliche Handhabung des Wohnungsgesetzes zwangsläufig verbunden ist, so ändert das doch nichts an der allgemeinen Wirkung, die dem Wohnungsgesetz und den entsprechenden Maßnahmen der Wohnungsbehörden für den Regelfall zukommt. Denn es gehört gerade zu dem Inhalt dieser Regelung, daß sie sich den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen auf dem Gebiet des Wohnungswesens anschmiegt und den unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnissen Rechnung trägt. Es sollen auf diese Weise gleiche Verhältnisse gleich behandelt und damit das Ungleiche in den tatsächlichen Voraussetzungen auch in dem gebotenen Umfang durch eine entsprechende Anwendung des Wohnungsgesetzes berücksichtigt werden. Es stellt daher auch unter diesem Gesichtspunkt die generelle Regelung des Wohnungsgesetzes in Verbindung mit den Maßnahmen der Wohnungsbehörden einen allgemein gehaltenen gesetzlichen Eingriff in die Eigentumssphäre dar, der in dieser Hinsicht dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung trägt, indem er bei gleichen tatsächlichen Voraussetzungen zu gleichen rechtlichen Einwirkungen führt.

Bei dieser Rechtslage fragt es sich, ob das Wohnungsgesetz zusammen mit den Maßnahmen der Wohnungsbehörden eine gesetzliche Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums enthält oder ob es über diesen Rahmen hinausgreift und dem Eigentum eine ihm nicht innewohnende Beschränkung der Herrschaftsbefugnis nur von außen auferlegt. Die Bedeutung des Eingriffs in die freie Bestimmungsbefugnis des Wohnungsinhabers durch das Wohnungsgesetz kann nur dann zutreffend gewürdigt werden, wenn man diesen Eingriff in einen sinnvollen Zusammenhang zu dem gesamten Wohnungsnotrecht rückt. Bei einer solchen zusammenfassenden Betrachtung zeigt sich, daß das gesamte Wohnungsnotrecht auf drei leitenden Gesichtspunkten beruht, die alle von der allgemeinen Wohnungsverknappung ihren Ausgangspunkt nehmen. Diese drei Gesichtspunkte führen sämtlich im Hinblick auf die Wohnungsverknappung zu einer Einschränkung der Vertragsfreiheit und zu einer Einschränkung der Benutzungsbefugnis des Wohnungsinhabers nach seinem eigenen Belieben. Es handelt sich hierbei um die Einschränkung der Vertragsfreiheit beim Abschluß von Mietverträgen durch das Wohnungsgesetz, um die Einschränkung der Vertragsfreiheit bei der Inhaltsgestaltung von Mietverträgen durch preisrechtliche Vorschriften und um die Einschränkung der Vertragsfreiheit bei der Beendigung von Mietverträgen durch das Mieterschutzgesetz. Dabei führen die Einschränkungen durch das Wohnungsgesetz und die Einschränkungen durch das Mieterschutzgesetz auch zu einer Beeinträchtigung des Wohnungsinhabers in der Richtung, daß er die Wohnung unter Umständen nicht mehr nach eigenem Belieben für sich selbst benutzen kann. Das ist bei der Erfassung von Wohnraum und der Zuweisung eines Mieters durch das Wohnungsamt offensichtlich, ist aber in einem entsprechenden Maße auch bei einer Kündigung des Mietvertrages nach § 4 MSchG der Fall. Die Parallele zwischen diesen beiden Fällen tritt ganz klar hervor, wenn man sich die Rechtsprechung zu § 4 MSchG vor Augen hält, nach der im allgemeinen der Eigenbedarf nach ähnlichen Gesichtspunkten wie in der Wohnraumbewirtschaftung beurteilt wird. Die genannten Einschränkungen im Wohnungsnotrecht ergeben sich insgesamt aus sozialpolitischen Schutzerwägungen zu Gunsten des Mieters. Infolge der Wohnungsverknappung ist das wirtschaftliche Gleichgewicht der Kräfte, das entsprechend den Vorstellungen des Bürgerlichen Gesetzbuches bei ausreichendem Wohnraum zwischen Vermieter und Mieter nach den Grundsätzen des freien Angebots und der freien Nachfrage bestanden hatte, in einem so starken Maße erschüttert worden, daß hierbei starke Sicherungen zu Gunsten des Mieters notwendig wurden. Dabei besteht die Aufgabe der Erfassungsmaßnahmen in der Bereitstellung des vorhandenen Wohnraums zu Zwecken der Vermietung und die Aufgabe der Zuweisungsmaßnahmen in der Einführung eines Kontrahierungszwangs zu Gunsten bestimmter Mieter. Beide Maßnahmen zielen darauf ab, den Abschluß von Mietverträgen in dem sozialpolitisch erforderlichen und möglichen Umfang sicherzustellen und des weiteren zu gewährleisten, daß eine sozial gerechte Berücksichtigung der vielen Wohnungsuchenden erfolgt. So gesehen fügen sich alle Bestimmungen des Wohnungsnotrechts nach ihrer sozialpolitischen und wirtschaftlichen Zielsetzung in die große Gruppe von Schutzbestimmungen ein, die dem geltenden Recht gegenüber den Gefahren der Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtstellung vielfach bekannt sind. In jedem Fall geben sie der Auffassung von dem verpflichtenden Charakter, der der Rechtsstellung des Wohnungsinhabers unmittelbar zukommt, also einer inhaltlichen Begrenzung seiner Rechte, gesetzlichen Ausdruck. Die Vorschriften des Wohnungsnotrechts stehen wertgleich neben den anderen zwingenden Schutzbestimmungen, die dem wirtschaftlich oder sozial Stärkeren gegenüber dem wirtschaftlich oder sozial Schwächeren Grenzen für die Betätigung seiner wirtschaftlichen Freiheit auferlegen und auf diese Weise mitunter stark in seine Entschließungsfreiheit beim Abschluß, bei der Inhaltsgestaltung oder bei der Beendigung von Verträgen eingreifen. Der Rechtssatz des GrundG esetzes \'bbEigentum verpflichtet\'ab findet in ihnen einen sinnfälligen Ausdruck, indem sie inhaltlich darlegen, worin der verpflichtende Charakter des Wohnungseigentums in der konkreten historischen Situation besteht. Die Grenzen, die auf diese Weise der Herrschaftsbefugnis des Einzelnen gezogen sind, sind dieser Rechtsstellung immanent, will man nicht den verpflichtenden Charakter im Inhalt dieser Rechtsstellung überhaupt leugnen.

Für die rechtliche Beurteilung der Vorschriften des Wohnungsgesetzes kann es demgegenüber nicht von Bedeutung sein, daß sie im einzelnen Fall durch Akte der Verwaltung verwirklicht werden und nicht wie Bestimmungen des Mieterschutzgesetzes unmittelbar in das Privatrecht eingebettet sind. Dieser Unterschied hat auch in diesem Zusammenhang nur rechtstechnische Bedeutung (wird ausgeführt).

Zusammenfassend ergibt sich somit, daß für den oben gekennzeichneten Regelfall die Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden nicht Einzeleingriffe der Verwaltung in die Rechtssphäre des einzelnen Wohnungsinhabers darstellen, sondern in den notwendigen sachlichen Zusammenhang mit den Bestimmungen des Wohnungsgesetzes gerückt, mit diesen Bestimmungen als generelle Regelung, also als ein allgemeiner gesetzlicher Eingriff in die Rechtssphäre der Wohnungsinhaber anzusehen sind. Als solche sind sie keine entschädigungspflichtigen Enteignungen, sondern eine inhaltliche Begrenzung der Herrschaftsbefugnis aller vom Wohnungsgesetz betroffenen Wohnungsinhaber. Ob das gleiche auch noch für den Fall gelten kann, wenn der zahlungsfähige und zahlungswillige Wohnungsuchende später zahlungsunfähig wird und der Wohnungsinhaber dadurch einen Mietausfall erleidet, muß im Hinblick auf die gestellten Fragen offen gelassen werden.

IV.

Den Fragen zu I, 3 liegt insofern der gleiche Sachverhalt zu Grunde, als in beiden Fällen die Zuweisungsverfügung der zuständigen Wohnungsbehörde auf einer unzutreffenden Gesetzesanwendung beruht und sich infolgedessen als ein rechtswidriger Eingriff in die Rechtssphäre des jeweils betroffenen Wohnungsinhabers darstellt. Dieser Umstand gewinnt für die Frage nach dem Vorliegen einer Enteignung oder eines enteignungsgleichen Tatbestandes entscheidende Bedeutung. In den Ausführungen unter III ist dargelegt, daß es im allgemeinen geboten ist, die Erfassungs-und Zuweisungsmaßnahmen der Wohnungsbehörden in einen unmittelbaren Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorschriften zu rücken, weil sie nur die Verwirklichung der bereits im Wohnungsgesetz vorgesehenen Inhaltsbegrenzung des Wohnungseigentums darstellen. Beide bilden in dieser Hinsicht eine Einheit und stellen so gesehen insgesamt die gesetzliche Inhaltsbestimmung des Eigentums dar. Anders ist es dagegen, wenn sich die Maßnahmen der Wohnungsbehörde von der gesetzlichen Grundlage entfernen und nicht mehr im Sinn der gebundenen Verwaltung eine zutreffende Gesetzesanwendung enthalten. In diesem Fall bilden sie mit der gesetzlichen Regelung im Wohnungsgesetz keine Einheit mehr, greifen vielmehr über die dort vorgesehene Inhaltsbegrenzung hinaus und bilden einen selbständigen Eingriff in die Rechtssphäre des betroffenen Wohnungsinhabers. Sie sind in diesem Fall nicht mehr die Verwirklichung einer allgemein getroffenen gesetzlichen Regelung, sondern ein selbständiger Einzeleingriff, der über die allgemeine gesetzliche Begrenzung der Herrschaftsbefugnis hinaus dem Betroffenen ein besonderes, ihn im Verhältnis zu den Übrigen ungleich treffendes Opfer auferlegt. Hieraus folgt, daß ein solcher rechtswidriger Eingriff der Wohnungsbehörde in die private Eigentumssphäre seinem Inhalt und seiner Wirkung nach einer Enteignung gleichkommt. Freilich kann ein solcher Eingriff selbst nicht als eine Enteignung angesehen werden, da sich die Enteignung nach den verfassungsrechtlichen Normen des Art. 153 WeimVerf und des Art. 14 GrundG auf solche staatliche Maßnahmen beschränkt, die rechtmäßig auf gesetzlicher Grundlage oder unmittelbar durch ein Gesetz erfolgen.

Es ist aber geboten, unrechtmäßige Eingriffe der Staatsgewalt in die Rechtssphäre eines Einzelnen dann wie eine Enteignung zu behandeln, wenn sie sich für den Fall ihrer gesetzlichen Zulässigkeit sowohl nach ihrem Inhalt wie nach ihrer Wirkung als eine Enteignung darstellen würden und wenn sie in ihrer tatsächlichen Wirkung dem Betroffenen ein besonderes Opfer auferlegt haben. Die Beschränkung des Tatbestandes der Enteignung in Art. 153 WeimVerf und in Art. 14 GrundG auf rechtmäßige Eingriffe des Staates bedeutet ihrem Sinn nach eine Beschränkung für die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines solchen Eingriffs, nicht aber eine Beschränkung für die Zubilligung eines Entschädigungsanspruchs. Der entscheidende GrundG edanke für die Zubilligung eines Entschädigungsanspruchs ist bei einem unrechtmäßigen Staatseingriff, der in seiner Wirkung für den Betroffenen einer Enteignung gleichsteht, mindestens in dem gleichen Maße gegeben wie bei einer rechtmäßigen, also gesetzlich zulässigen Enteignung. Es kann insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des Reichsgerichts in RGZ 140, 276 [283] hingewiesen werden, mit denen das Reichsgericht die Notwendigkeit einer entsprechenden Anwendung des § 75 EinlALR bei unrechtmäßigen Eingriffen dargelegt hat, und die in gleicher Weise bei unrechtmäßigen Eingriffen mit Enteignungscharakter auch die Notwendigkeit einer entsprechenden Anwendung des Art. 153 WeimVerf und des Art. 14 GrundG begründen und damit zu Gunsten des Betroffenen die Zubilligung eines Entschädigungsanspruchs nach Art. 153 WeimVerf und nach Art. 14 GrundG erfordern.

Führt das unrechtmäßige Verhalten einer Wohnungsbehörde, das mit den Vorschriften des Wohnungsgesetzes und den dazu ergangenen landesrechtlichen Vorschriften in Widerspruch steht, in seiner tatsächlichen Wirkung für den betroffenen Wohnungsinhaber zu einem Mietausfall, so stellt das für den Betroffenen ein besonderes Opfer dar, das ihm auf diese Weise durch die Bewirtschaftungsmaßnahmen der Wohnungsbehörde, also durch eine Einschränkung seiner Herrschaftsbefugnis, auferlegt wird. Diese Einschränkung seiner Herrschaftsbefugnis ist nicht mehr Ausfluß der Begrenzung seines Wohnungseigentums und bedeutet daher einen enteignungsgleichen Tatbestand, der demzufolge auch zu Gunsten des Betroffenen einen Entschädigungsanspruch in entsprechender Anwendung des Art. 153 WeimVerf oder des Art. 14 GrundG auslöst.

Ahnliche Erwägungen gelten für den Fall, daß von hoher Hand in das Mietrecht eines Mieters vor dem Erlaß des Wohnungsgesetzes ohne jede Rechtsgrundlage eingegriffen und in Abwesenheit des Mieters seine Wohnung einem anderen Wohnungssuchenden zugeteilt wird. Zur Zeit der hier in Betracht kommenden Zuweisungsverfügung (Oktober 1945) wurden im allgemeinen die Bewirtschaftungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Wohnungswesens unter Anwendung des Reichsleistungsgesetzes vorgenommen. Diese Maßnahmen waren Einzeleingriffe der Verwaltungsbehörden in die private Rechtssphäre der von diesen Maßnahmen Betroffenen und stellten daher entschädigungspflichtige Enteignungen dar. Bei dieser Sachlage kann es keinen Unterschied machen, ob in einem Fall, in dem das Reichsleistungsgesetz keine ausreichende rechtliche Grundlage für eine Zuweisungsverfügung der Verwaltungsbehörde abgibt, eine solche Maßnahme unter ausdrücklicher, und zwar unzutreffender Berufung auf das Reichsleistungsgesetz vorgenommen wird, oder ob eine solche Maßnahme ohne jegliche Bezugnahme auf eine gesetzliche Ermächtigung ausgesprochen wird. Da für den ersten Fall einer unrichtigen Anwendung des Reichsleistungsgesetzes nach den vorstehenden Ausführungen eine Entschädigung nach den Enteignungsgrundsätzen zu zahlen sein würde, wird man bei der nahezu gleichen Rechtslage auch für den zweiten Fall eine Entschädigung wegen eines enteignungsgleichen Eingriffs zubilligen müssen. Für die sachliche Beurteilung des Eingriffs in seiner Wirkung ist es ohne Belang, ob dieser Eingriff formell begründet worden ist oder nicht. Entscheidend ist vielmehr allein, daß er einerseits unrechtmäßig ist und daher wegen Fehlens einer Zulässigkeitsvoraussetzung keine Enteignung im Sinn des Art. 153 WeimVerf und des Art. 14 GrundG darstellt und daß er andererseits für den Betroffenen tatsächlich eine enteignungsgleiche Wirkung auslöst und daher für den Fall seiner Rechtmäßigkeit eine Enteignung sein würde. Das hat zur Folge, daß auch in dem Sachverhalt der Frage zu I, 4 ein zur Entschädigung verpflichtender enteignungsgleicher Eingriff gegeben ist.

V.

Ist nach den vorstehenden Ausführungen dem jeweils betroffenen Wohnungsinhaber in allen drei Fällen nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen eine Entschädigung für das besondere Opfer zu leisten, das ihm durch die unrechtmäßigen Maßnahmen der in Betracht kommenden Verwaltungsbehörden auferlegt ist, so fragt sich weiter, nach welchen Grundsätzen die Enteignungsentschädigung in den drei vorliegenden Tatbeständen zu berechnen ist und wie hoch sie sich in diesen drei Fällen stellt. Dabei ist als Rechtsgrundlage für die Berechnung der Enteignungsentschädigung, wie unter I dargelegt, für die Zeit bis zum 23. Mai 1949 Art. 153 WeimVerf und für die Zeit ab 24. Mai 1949 Art. 14 GrundG heranzuziehen.

1.

Die Entschädigungsformel des Art. 153 WeimVerf \'bbangemessene Entschädigung\'ab ist von der Rechtsprechung des Reichsgerichts unter Zustimmung der überwiegenden Ansicht in der Rechtslehre dahin ausgelegt worden, daß als untere Grenze der angemessenen Entschädigung regelmäßig der gemeine , wert zu erachten sei. Dagegen hat die weitere Frage, ob und wieweit über diese Grenze hinausgegangen werden könne, seinerzeit keine einheitliche Beantwortung gefunden. In den Jahren nach 1933 wurde zum Teil im Schrifttum und sodann auch in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts die Auffassung vertreten, daß auch eine Entschädigung unter dem gemeinen Wert im Einzelfall angemessen sein könne, eine Auffassung, die auch nach dem Zusammenbruch im Schrifttum Zustimmung gefunden hat. Es ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich, abschließend zu dieser Streitfrage über die Berechnung der angemessenen Entschädigung nach Art. 153 ,WeimVerf Stellung zu nehmen. Denn jedenfalls besteht Einigkeit darüber, daß sich die Höhe der Entschädigung nach den im jeweiligen Einzelfall gegebenen Verhältnissen zu richten hat, und daß eine Entschädigung unter dem gemeinen Wert niemals als angemessen betrachtet werden kann, wenn keine besonderen Gründe eine Festsetzung unter dem gemeinen Wert im Einzelfall als erforderlich erscheinen lassen. Von dem Vorliegen einer solchen Voraussetzung kann hier nicht gesprochen werden. Die erforderliche Einschränkung der Herrschaftsbefugnis eines jeden Wohnungsinhabers hat als verpflichtenden Inhalt des Wohnungseigentums in dem Wohnungsgesetz ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden. Eine darüber hinausgehende Einschränkung, für die als Einzeleingriff eine gesetzliche Grundlage überhaupt nicht gegeben ist, ist im Interesse der Allgemeinheit nicht anzuerkennen. Es kann daher auch nicht davon gesprochen werden, daß für die vorliegenden Tatbestände eines unrechtmäßigen Eingriffs in die private Rechtssphäre es im Interesse der Allgemeinheit geboten sei, bei der Festsetzung der Entschädigung den gemeinen Wert zu unterschreiten, und daß im Hinblick auf die Interessen der Allgemeinheit eine solche Unterschreitung angemessen im Sinn des Art. 153, WeimVerf sei. Des weiteren spielt hier auch die Frage, ob der gemeine Wert oder die volle Entschädigung als angemessene Entschädigung anzusehen sei, keine entscheidende Rolle. Diese Frage wird lediglich in solchen Fällen praktisch bedeutsam, in denen im Wege der Enteignung ein vermögenswertes Recht entzogen wird, dessen , wert entweder nach rein objektiven Gesichtspunkten als gemeiner Wert oder auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des betroffenen Rechtsträgers nach dessen subjektivem Interesse an der Erhaltung des entzogenen Rechts bemessen werden kann. Die Möglichkeit einer solchen Differenzierung scheidet hier aus. In den vorliegenden Fällen hat der enteignungsgleiche Eingriff der Verwaltungsbehörde zu einer zahlenmäßig und wertmäßig feststehenden Vermögenseinbuße für den jeweils betroffenen Wohnungsinhaber geführt. Dieser ist in den beiden ersten Fällen in dem Mietausfall unter Berücksichtigung der gesetzlich zulässigen Miete zu erblicken und liegt in dem dritten Fall in den materiellen Mehraufwendungen, die der Betroffene durch die getrennte Haushaltführung zu erbringen hat. Es sind also nach Art. 153 WeimVerf für die Zeit bis zum 23. Mai 1949 die durch den unrechtmäßigen Verwaltungseingriff Betroffenen in der Weise zu entschädigen, daß in den beiden ersten Fällen den Wohnungseigentümern der Mietausfall und im dritten Fall dem Mieter der Mehraufwand durch seine getrennte Haushaltsführung voll zu erstatten ist.

2.

Die gleichen Erwägungen gelten auch bei Anwendung des Art. 14 GrundG für die Zeit nach dem 23. Mai 1949. Dabei kann es offen bleiben, ob die Entschädigung gemäß Art. 14 GrundG , die unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu. bestimmen ist, die angemessene Entschädigung im Sinn des Art. 153 WeimVerf ist. Denn selbst wenn das zu verneinen wäre, so kann dieser etwaige Unterschied zwischen den beiden Entschädigungsformeln für die vorliegenden Tatbestände keinen Einfluß ausüben. Wie bereits ausgeführt worden ist, ist hier bei den vorliegenden unrechtmäßigen Eingriffen der jeweiligen Verwaltungsbehörde ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der vorgenommenen Eingriffe in die private Rechtssphäre der betroffenen Wohnungseigentümer und des betroffenen Wohnungsinhabers nicht gegeben. Es kann daher auch nicht davon gesprochen werden, daß im Hinblick auf ein solches Interesse eine niedrigere Festsetzung der Entschädigung aus Gründen der Allgemeinheit geboten sei. Vielmehr muß auch nach Art. 14 GrundG als gerechte Entschädigung hier die Zahlung der vollen Vermögenseinbuße, die die Betroffenen erlitten haben, angesehen werden, weil bei Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit kein sachlich vertretbarer Gesichtspunkt ersichtlich ist, der in diesen Fällen eine niedrigere Festsetzung der Entschädigung rechtfertigen könnte.

3.

Die Entschädigung, die bei einer Enteignung dem Betroffenen zu zahlen ist, ist dazu bestimmt, die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes zu gewährleisten. Die Entschädigung soll dem Betroffenen einen Ausgleich für das Opfer bieten, das ihm durch den Eingriff in seine private Rechtssphäre auferlegt wird. Das bedeutet zwar nicht, daß die Entschädigung eine Schadensersatzleistung im Sinn des Bürgerlichen Gesetzbuches ist, die unter allen Umständen sämtliche Vermögenseinbußen des Betroffenen in Gegenwart und Zukunft umfaßt. Aber es bedeutet jedenfalls, daß sie ihrem GrundG edanken nach einen materiellen Ausgleich für die auferlegte Vermögenseinbuße darstellt. Daraus folgt, daß sowohl bei der Berechnung der angemessenen Entschädigung im Sinn des Art. 153 WeimVerf wie bei der Entschädigung nach Art. 14 GrundG Vermögensvorteile berücksichtigt werden können, die dem Betroffenen in Verbindung mit dem Enteignungseingriff erwachsen sind. Eine solche Berücksichtigung kann sowohl bei der Berechnung einer angemessenen Entschädigung wie auch bei der Berechnung einer Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten geboten sein. Es besteht daher insoweit kein Hinderungsgrund, in dem gegebenen Einzelfall die Grundsätze über die Vorteilsausgleichung bei der Berechnung der Enteignungsentschädigung entsprechend heranzuziehen. Allerdings können nur echte Vermögensvorteile, also Vorteile wirtschaftlicher Art, berücksichtigt werden, nicht bloße vermiedene Unannehmlichkeiten wie z. b. die Fernhaltung eines unerwünschten Mieters, wenn dadurch zugleich ein vorhandener, erwünschter und zahlungsfähiger Mieter ferngehalten wurde.