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BVerfG, 18.02.1970 - 2 BvR 746/68

Daten
Fall: 
Leserbrief
Fundstellen: 
BVerfGE 28, 55; NJW 1970, 1267; DÖV 1970, 418
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
18.02.1970
Aktenzeichen: 
2 BvR 746/68
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Zweiten Senats vom 18. Februar 1970
- 2 BvR 746/68 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Peter W... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Heinrich Hannover und Dr. Rudolf Monnerjahn, Bremen, Unser Lieben Frauen Kirchhof 24/25 - gegen die vom Korpsfernmeldekommandeur 1 in Münster am 2. Oktober 1968 verhängte Arreststrafe und den Beschluß des Truppendienstgerichts C vom 5. November 1968 - C 3 BL b 122/68 -.

Entscheidungsformel:
Die vom Korpsfernmeldekommandeur 1 in Münster am 2. Oktober 1968 gegen den Beschwerdeführer verhängte Arreststrafe von acht Tagen und der Beschluß des Truppendienstgerichts C vom 5. November 1968 - C 3 BL b 122/68 - verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Truppendienstgericht C zurückverwiesen.

Gründe

A.

I.

1.

Der Beschwerdeführer trat am 1. April 1965 in die Bundeswehr ein und verpflichtete sich als Soldat auf Zeit zu vierjährigem Dienst. Seit dem 1. Januar 1967 diente er im Rang eines Stabsunteroffiziers als Gruppen- und Truppführer in der Fernmeldeausbildungskompanie 428.

Am 30. August 1968 wurden Rekruten des Fernmeldebataillons 120 vereidigt. Aus diesem Anlaß hielt dessen Kommandeur eine Ansprache, in der er zu militärpolitischen Fragen Stellung nahm. Er befaßte sich zunächst mit der gefährlichen Lage, die durch den Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei entstanden war. Dann wies er darauf hin, daß auch die Sicherheit im Innern gefährdet sei, weil eine Minderheit dazu auffordere, die gesellschaftliche Ordnung und damit auch die innere Ordnung der Bundeswehr zu stören. Zum Beleg für diese Tendenzen zitierte er drei den Kreisen der außerparlamentarischen Opposition und der Kriegsdienstverweigerer nahestehende Autoren. Diese Leute müßten, sollten sie ihre Worte in die Tat umsetzen, mit allen legalen Mitteln bekämpft werden. Denn der Soldat sei verpflichtet, die freiheitliche Grundordnung zu verteidigen. Es werde vielfach vergessen, daß im Grundgesetz nur das Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit der Waffe garantiert sei, im übrigen aber jeder Bürger für seinen Staat eintreten müsse, wenn das Land nicht zu einer Sklavenkolonie werden solle. Die demokratische Staatsordnung erfordere Disziplin im allgemeinen und damit Strenge gegen sich selbst und andere. Wachsamkeit sei der Preis der Freiheit.

In ihrer Ausgabe vom 31. August/1. September 1968 berichtete die "Heimatzeitung für den Kreis Rotenburg" über diese Rekrutenvereidigung und druckte in dem Bericht die Ansprache des Bataillonskommandeurs, die ihr in einer Durchschrift des Originalmanuskripts vorlag, weithin wörtlich ab.

Diesen Artikel nahm der Beschwerdeführer zum Anlaß, einen Leserbrief an die Heimatzeitung zu richten, den diese am 3. September 1968 veröffentlichte. In seiner Zuschrift führte der Beschwerdeführer u. a. folgendes aus: Er finde es richtig, daß der Bataillonskommandeur auf die außenpolitische Lage eingegangen sei und Aktionen verurteilt habe, die gezeigt hätten, daß sich auch in der Sowjetunion wieder einmal die reaktionär-konservativen Kreise durchgesetzt hätten. Man schütte aber das Kind mit dem Bade aus und stelle sich - zwar von grundsätzlich verschiedenen Ausgangspunkten - doch in eine Reihe mit den fortschrittsfeindlichen, im Schwarz-Weiß-Denken verhafteten Politikern der Sowjetunion, wenn man die von Teilen der außerparlamentarischen Opposition geforderte Veränderung der Gesellschaft als Gefährdung der Sicherheit hinstelle. Die angeführten Zitate seien nicht ganz korrekt wiedergegeben und vermittelten aus dem Zusammenhang gerissen einen falschen Eindruck. Unabhängig davon, wie man zu den pazifistischen Ideen der Kriegsdienstverweigerer stehe, seien diese ebenso gleichberechtigte und wertvolle Bürger wie die Soldaten. Es sei undemokratisch, ihre Propaganda als unrechtmäßig hinzustellen.

Am 5. September 1968 wandte sich der Bataillonskommandeur seinerseits mit einem Leserbrief an die Heimatzeitung, in dem er ankündigte, daß das Verhalten des Beschwerdeführers disziplinare Folgen haben werde.

2.

Nach richterlicher Bestätigung bestrafte der Korpsfernmeldekommandeur 1 in Münster den Beschwerdeführer wegen seines Leserbriefes am 2. Oktober 1968 mit 8 Tagen Arrest. Die Strafformel lautete:

Der Bestrafte hat zwischen dem 31. August und 2. September 1968 in Rotenburg/Han. der Heimatzeitung für den Kreis Rotenburg ein von ihm verfaßtes Schriftstück als Leserzuschrift übersandt, in dem er kritisch zu einer Ansprache seines Bataillonskommandeurs Stellung nahm, die dieser am 30. August 1968 anläßlich einer feierlichen Rekrutenvereidigung gehalten hatte. Dabei hat er dem Bataillonskommandeur unter anderem vorgeworfen, er habe sich durch seine Ausführungen "in eine Reihe mit den fortschrittsfeindlichen, im Schwarz-Weiß-Denken verhafteten Politikern der Sowjetunion gestellt" und Äußerungen von Anhängern der Außerparlamentarischen Opposition und Befürwortern der Kriegsdienstverweigerung "nicht ganz korrekt", "aus dem Zusammenhang gerissen" und sinnentstellend zitiert.

Gegen diese Bestrafung legte der Beschwerdeführer Beschwerde zum Truppendienstgericht ein. Ohne mündliche Verhandlung entschied das Truppendienstgericht am 5. November 1968:

Die Beschwerde des Bestraften gegen die vom Korpsfernmeldekommandeur 1 in Münster am 2. Oktober 1968 verhängte Arreststrafe von 8 Tagen wird mit der Maßgabe als unbegründet zurückgewiesen, daß die Vollstreckung der Strafe auf die Dauer von 5 Monaten zur Bewährung ausgesetzt wird.

Durch das in der Strafformel geschilderte Verhalten habe der Beschwerdeführer die ihm nach § 7 des Soldatengesetzes vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 114 - im folgenden: SG) obliegende Pflicht zu treuem Dienen, insbesondere aber die Pflicht zur Disziplin und zur Achtung der dienstlichen Stellung des Vorgesetzten in seiner Person auch außer Dienst (§ 17 Abs. 1 SG), verletzt. Der Respekt vor dem Vorgesetzten verbiete es dem Untergebenen, mit jenem öffentlich einen Streit über eine aus dienstlichem Anlaß gehaltene Ansprache zu beginnen und dabei gegen ihn Vorwürfe von der Art zu erheben, wie der Beschwerdeführer das hier getan habe. Zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten mit Vorgesetzten über dienstliche Angelegenheiten habe der Untergebene hinreichend andere Mittel und Wege eigener militärdienstlicher Art zur Verfügung, von der persönlichen Rücksprache über die Gegenvorstellung und die Meldung an die höheren Vorgesetzten bis zur Beschwerde. Ob dem Soldaten die "Flucht in die Öffentlichkeit" möglicherweise dann erlaubt sei, wenn andere Wege ihn nicht zum Ziel geführt hätten, könne hier offen bleiben. Denn der Beschwerdeführer habe von diesen Mitteln keinen Gebrauch gemacht. Bei dieser Sachlage komme es auch nicht darauf an, ob die Vorwürfe, die der Beschwerdeführer gegen seinen Kommandeur erhoben habe, zuträfen. Der Beschwerdeführer könne sich gegen den ihm gemachten Vorwurf nicht auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen. Dieses Recht finde seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die zur Regelung besonderer Dienstverhältnisse erlassenen Normen zählten. Es sei wegen der in der Bundeswehr notwendigen Dienstzucht nicht angängig, daß Vorgesetzte in der Öffentlichkeit von Untergebenen in Diskussionen über die Richtigkeit der von ihnen gemachten dienstlichen Äußerungen verwickelt würden.

Bei der Strafzumessung sei zu berücksichtigen gewesen, daß der Beschwerdeführer durch seinen Leserbrief einen erheblichen Schaden für das Ansehen der Bundeswehr wie seines Bataillonskommandeurs angerichtet habe. Unvoreingenommene Außenstehende müßten sich fragen, ob Soldaten, die in aller Öffentlichkeit bereits im Frieden mit ihren Vorgesetzten in der vom Beschwerdeführer gewählten Form "diskutierten", im Ernstfall bereit seien, die Bundesrepublik Deutschland tapfer zu verteidigen. Das Ansehen des Kommandeurs sei insbesondere dadurch in Gefahr geraten, daß der Beschwerdeführer ihm Unkorrektheiten in seinen Zitaten vorgeworfen habe. Dagegen sei es für die Strafwürdigkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers wie auch für die Strafzumessung ohne Belang, ob und in welcher Form der Bataillonskommandeur zu dem Leserbrief des Beschwerdeführers Stellung genommen habe. Abgesehen davon, daß es dem Beschwerdeführer nicht zustehe, sich mit seinem Kommandeur auf eine Stufe zu stellen, habe der zwei Tage später veröffentlichte Leserbrief des Bataillonskommandeurs keinen Einfluß auf die Handlungsweise des Beschwerdeführers gehabt.

Die Kammer habe es aber für vertretbar gehalten, dem Beschwerdeführer Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen.

Zum 1. Februar 1969 wurde dem Beschwerdeführer Urlaub zur Berufsfortbildung bewilligt. Am 1. April 1969 endete sein Wehrdienstverhältnis.

II.

Mit der am 22. Dezember 1968 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den ihm am 23. November 1968 in vollständiger Form zugestellten Beschluß des Truppendienstgerichts vom 5. November 1968. Er rügt eine Verletzung von Art. 5, 17 a, 19 Abs. 1 Satz 2 und 103 Abs. 1 GG und führt aus:

Das Soldatengesetz stütze sich, soweit es die Meinungsfreiheit beschränke, nicht auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt in Art. 5 Abs. 2 GG, sondern auf die Ermächtigung des Art. 17 a Abs. 1 GG. Ein derartiges Gesetz müsse den Anforderungen, die Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG stelle, genügen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit sei jedoch im Soldatengesetz nicht als eingeschränkt genannt. § 17 Abs. 1 SG, auf den die Verurteilung des Beschwerdeführers gestützt sei, genüge deshalb den Anforderungen von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht.

Die Entscheidung des Truppendienstgerichts verstoße auch materiell gegen Art. 5 Abs. 1 GG. Der Sinn des § 17 Abs. 1 SG könne nicht darin gesehen werden, daß der Gesetzgeber einen besonderen Schutz bestimmer Personen des militärischen Dienstes habe schaffen wollen. Die Vorschrift wolle vielmehr nur ein Verhalten verbieten, das die persönliche und sachliche Autorität des Vorgesetzten in Frage stelle. § 17 Abs. 1 SG biete deshalb keine Handhabe, die Meinungsfreiheit des Soldaten in jeder denkbaren Hinsicht einzuschränken, sondern sei funktionsbezogen auf die Aufgaben der Streitkräfte. Der Beschwerdeführer habe seiner Meinung ein ähnliches Gewicht und eine vergleichbare Resonanz wie der Bataillonskommandeur nur durch eine Leserzuschrift verschaffen können. Auf einen Beschwerdeweg könne der Beschwerdeführer in einer solchen Situation nicht verwiesen werden. Das Truppendienstgericht interpretiere den Begriff der Disziplin letztlich so, daß dem Dienstvorgesetzten ein weitergehendes Recht auf Meinungsfreiheit zugebilligt werde als dem Soldaten. Bei der Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Kommandeur habe es sich um eine politische Grundsatzdiskussion gehandelt, deren Freiheit durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet sei.

III.

Der Bundesminister der Verteidigung, der für die Bundesregierung Stellung genommen hat, hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig, aber unbegründet.

Mit seiner Leserzuschrift habe der Beschwerdeführer die ihm durch §§ 17 Abs. 1 und 7 SG auch für den außerdienstlichen Bereich gesetzten Schranken seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung überschritten. Der entscheidende Pflichtverstoß liege dabei nicht in der Tatsache, daß er sich überhaupt an die Öffentlichkeit gewandt habe. Die Pflichtverletzung liege vielmehr in der diskriminierenden Gleichstellung seines Kommandeurs mit den "fortschrittsfeindlichen, im Schwarz-Weiß-Denken verhafteten Politikern der Sowjetunion" und in der Unterstellung, der Bataillonskommandeur habe Zitate von Anhängern der außerparlamentarischen Opposition bewußt "nicht ganz korrekt" und "aus dem Zusammenhang gerissen" zitiert, um damit eine nicht vorhandene Gefährdung der Demokratie und der Bundeswehr durch die Aktionen der außerparlamentarischen Opposition und der Anhänger einer radikalen Kriegsdienstverweigerung zu belegen.

Unabhängig von der Begründung der Beschwerdeentscheidung sei der Bundesminister der Verteidigung der Auffassung, daß der Beschwerdeführer durch die Diskriminierung seines Kommandeurs auch seine Pflichten zu ansehens- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 SG) und als Unteroffizier zur Zurückhaltung bei Meinungsäußerungen (§ 10 Abs. 6 SG) verletzt habe. Die öffentliche Verteidigung radikaler Ziele der sogenannten außerparlamentarischen Opposition rücke das Verhalten des Beschwerdeführers zwar bedenklich in die Nähe einer Dienstpflichtverletzung nach § 8 SG. Der Bundesminister der Verteidigung sehe hierin jedoch lediglich einen zusätzlichen Verstoß gegen die Pflicht zu treuem Dienen, weil sich der Beschwerdeführer immerhin in einem Teil seiner Ausführungen auf die - freilich von ihm mißverstandenen - demokratischen Grundsätze der Rechtsordnung berufen habe.

Die Auffassung des Truppendienstgerichts, der Beschwerdeführer habe schon deshalb ein Dienstvergehen begangen, weil er sich an die Öffentlichkeit gewandt habe, ohne zuvor von den bundeswehrinternen Möglichkeiten zur Beilegung seiner Meinungsverschiedenheit mit seinem Kommandeur Gebrauch zu machen oder sich zu beschweren, werde vom Bundesminister der Verteidigung nicht geteilt.

Eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG sei nicht ersichtlich.

B.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

Die disziplinare Bestrafung verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

I.

Das Truppendienstgericht hat geprüft, ob der Beschwerdeführer gegen seine in § 17 Abs. 1 SG normierte Pflicht verstoßen hat, Disziplin zu wahren und die dienstliche Stellung der Vorgesetzten in seiner Person auch außerhalb des Dienstes zu achten. § 17 Abs. 1 SG verstößt nicht gegen Art. 5 Abs. 1, 17 a Abs. 1, 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Denn Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gilt nur für Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken (vgl. BVerfG, Beschluß vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 - B I 2 a) S. 13 f.). Einen solchen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG nimmt § 17 Abs. 1 SG nicht vor. Die Bestimmung gehört zum Kreise der Vorschriften des Soldatengesetzes, welche den aus dem Wesen einer Armee sich ergebenden Grundsatz der Disziplin konkretisieren. Sie regelt eine besondere Pflicht der Soldaten gegenüber ihren Vorgesetzten. Militärische Führung und Autorität sind untrennbar. Der Soldat muß deshalb die dienstliche Autorität seiner Vorgesetzten ohne Rücksicht auf persönliche Sympathien oder Antipathien anerkennen und sein Verhalten danach einrichten. Der Sinn der Vorschrift ist es nicht, bestimmte Meinungen wegen ihres Inhalts zu verbieten. Sie ist notwendig zum Schutz der Autorität der Vorgesetzten im militärischen Bereich. Für solche Regelungen, die die verfassungsmäßige Ordnung nur konkretisieren, gilt Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht (BVerfG, Beschluß vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 - B I 2 a) S. 13 f.).

§ 17 Abs. 1 SG genügt auch den Anforderungen, die Art. 103 Abs. 2 GG an die gesetzliche Bestimmtheit disziplinarstrafrechtlicher Tatbestände stellt (BVerfGE 26, 186 [203 f.]).

II.

1.

a) Es ist Sache des Truppendienstgerichts zu entscheiden, welches Verhalten die in § 17 Abs. 1 SG normierte Pflicht im Einzelfall vom Soldaten fordert. § 17 Abs. 1 SG muß dabei in seiner Wirkung auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG im Lichte der für die freiheitliche Ordnung schlechthin konstituierenden Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (BVerfGE 20, 56 [97]) gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede namentlich im öffentlichen Leben führt, auf jeden Fall gewahrt bleibt (BVerfGE 7, 198 [208 f.]; 12, 113 [124 f.]; 21, 271 [281]). Militärische Disziplin und Meinungsfreiheit müssen gegeneinander abgewogen werden.

b) In der angefochtenen Entscheidung wird das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht angemessen berücksichtigt.

Das Truppendienstgericht macht dem Beschwerdeführer zum Vorwurf, daß er durch seinen Leserbrief öffentlich einen Streit mit seinem Vorgesetzten über dessen aus dienstlichem Anlaß gehaltene Ansprache begonnen und darin Vorwürfe gegen ihn erhoben habe. Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vorgesetzten habe der Beschwerdeführer auf dem Dienstwege austragen müssen. Die Flucht in die Öffentlichkeit sei Beamten und erst recht Soldaten grundsätzlich verboten. Dabei wird jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, daß die Ansprache des Bataillonskommandeurs ohne Zutun des Beschwerdeführers durch die Presse verbreitet worden ist. Sie gelangte dadurch aus dem internen Bereich der Bundeswehr in die allgemeine öffentliche Diskussion, an der sich jeder Bürger beteiligen kann. Wegen der Einwirkung von Art. 5 Abs. 1 GG auf § 17 Abs. 1 SG hätte deshalb geprüft werden müssen, ob der Beschwerdeführer auch bei dieser Sachlage durch die in § 17 Abs. 1 SG begründete Achtungspflicht gehindert war, sich an dieser Diskussion zu beteiligen und dabei zu den Gedanken seines Kommandeurs kritisch Stellung zu nehmen. Das konnte dem Beschwerdeführer aus folgenden Gründen nicht verwehrt werden:

c) Der Leserbrief an die Presse hat sich zu einer besonderen Form der Meinungsäußerung entwickelt, der sich jedermann bedienen kann, um seine Meinung einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Er ist durch Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich legitimiert und ein anerkannter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung geworden. Es war deshalb unter den obwaltenden Umständen keine Verletzung der dem Vorgesetzten geschuldeten Achtung, daß der Beschwerdeführer zu der öffentlich verbreiteten Meinung seines Vorgesetzten in einem Leserbrief öffentlich Stellung nahm. Der Grundsatz der Disziplin schützt die innere Ordnung der Bundeswehr. Bei Auseinandersetzungen innerhalb der Presse, wie in der vorliegenden, treten militärische Rangunterschiede zurück. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung umfaßt hier auch das Recht, sich mit der Meinung eines anderen kritisch auseinanderzusetzen. Eine sachlich vertretbare Kritik ist in solchen Fällen nicht achtungsverletzend.

2.

Der Leserbrief des Beschwerdeführers hält sich in diesen Grenzen. Der Beschwerdeführer hat den Boden der freiheitlichdemokratischen Grundordnung nicht verlassen; er hat sich vor allem gegen die Verketzerung Andersdenkender gewandt und dabei um Verständnis für die Bestrebungen der sogenannten außerparlamentarischen Opposition und für den Standpunkt der Kriegsdienstverweigerer geworben. In diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer die Auffassung des Kommandeurs als zu einseitig kritisiert. Die Behauptung des Beschwerdeführers, der Kommandeur habe "nicht ganz korrekt" zitiert, ist eine gebräuchliche Argumentation, die nicht einfach abgeschnitten werden darf, sondern sachlich widerlegt werden muß. Der Vorwurf des Beschwerdeführers schließlich, mit Auffassungen, wie sie der Kommandeur vertreten habe, "stelle man sich in eine Reihe mit den fortschrittsfeindlichen, im Schwarz-Weißen-Denken verhafteten Politikern der Sowjetunion", verliert viel an Gewicht, wenn man berücksichtigt, daß solche polemischen Äußerungen in der politischen Auseinandersetzung häufig gebraucht werden. Dadurch kann die Person des Kommandeurs nicht disqualifiziert werden. Es darf dabei auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kommandeur in seiner Erwiderung auf diese Tonart eingegangen ist. Nachdem der Disput, der insgesamt unter dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG steht, beiderseits polemisch geführt worden ist, verbietet sich ein einseitige disziplinare Ahndung, wenn die Freiheit von Wort und Antwort voll gewahrt bleiben soll.

III.

Die disziplinare Bestrafung des Beschwerdeführers aus § 17 Abs. 1 SG ist deshalb wegen Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG aufzuheben. Ob der Beschwerdeführer gegen andere Dienstpflichten verstoßen hat, ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen.

Diese Entscheidung ist mit 6 gegen 2 Stimmen beschlossen worden.

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