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BVerfG, 19.07.1972 - 2 BvL 7/71

Daten
Fall: 
Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter
Fundstellen: 
BVerfGE 33, 367; NJW 1972, 2214; MDR 1973, 25
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
19.07.1972
Aktenzeichen: 
2 BvL 7/71
Entscheidungstyp: 
Beschluss

Über die Regelung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO hinaus kann im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung folgen.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Zweiten Senats vom 19. Juli 1972
- 2 BvL 7/71 -
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO insoweit, als darin nicht auch Psychologen, Sozialpädagogen, Sozialarbeitern, Eheberatern und anderen auf psychotherapeutischem Gebiet tätigen Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt wird - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Lüneburg vom 4. März 1970 - 5a Gs 66/70 -.

Entscheidungsformel:
§ 53 Absatz 1 Nummer 3 der Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. September 1965 (Bundesgesetzbl. I S. 1373) ist, soweit diese Bestimmung Sozialarbeitern ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht einräumt, mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

A.

I.

1.

Die Strafprozeßordnung gewährt den Angehörigen bestimmter Berufe ein sachlich begrenztes Zeugnisverweigerungsrecht. Dieses Recht beschränkte sich zunächst auf Geistliche, Strafverteidiger, Rechtsanwälte und Ärzte. Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) erweiterte den Kreis der Berechtigten um die Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigten Buchprüfer, Steuerberater, Zahnärzte, Apotheker und Hebammen. Durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067) wurden ferner die Steuerbevollmächtigten einbezogen. Seitdem lautet die in Frage kommende Vorschrift:

§ 53
(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt
1. Geistliche über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden ist;
2. Verteidiger des Beschuldigten über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekannt geworden ist;
3. Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Hebammen über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekannt geworden ist;
4. ... - 6. ...
(2) Die in Absatz 1 Nr. 2 und 3 Genannten dürfen das Zeugnis nicht verweigern, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind.

2.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lüneburg ermittelt gegen den Hilfsarbeiter Adolf M... wegen des Verdachts der Unzucht mit seinem minderjährigen Sohn. Das Verfahren war durch eine Anzeige der Ehefrau des Beschuldigten ausgelöst worden. Dieser bestritt die Tat. Der Sohn verweigerte die Aussage. Die Einvernahme eines Zeugen brachte keine Klärung. Daraufhin ging die Staatsanwaltschaft dem Hinweis der Anzeigeerstatterin nach, ihr Sohn sei bei Frau von B... gewesen, habe sich dort ausgesprochen und "alles gesagt". Sie beantragte die richterliche Vernehmung der Zeugin. Diese bezeichnete sich vor dem Ermittlungsrichter als Sozialarbeiterin und Eheberaterin und verweigerte unter Berufung auf § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO die Aussage. Als Grund gab sie an, daß sie als Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung in Hannover und Leiterin der Lüneburger Zweigstelle dieses Vereins eine Tätigkeit ausübe, die in den Bereich psychiatrischer Arbeit falle. Zwar sei sie selbst kein Psychiater, jedoch bestehe zwischen ihr und ihren Klienten das gleiche Vertrauensverhältnis. Diese müßten ihr ganz persönliche Dinge anvertrauen, damit sie die richtige Grundlage für ihre Arbeit habe. Deshalb dürfe sie nicht über Dinge aussagen, die sie von ihren Klienten erfahren habe.

Die Staatsanwaltschaft verneinte ein Aussageverweigerungsrecht der Zeugin und bat um einen "beschwerdefähigen Beschluß".

Das Amtsgericht Lüneburg hat das Verfahren mit Beschluß vom 4. März 1970 gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO insoweit verfassungswidrig ist, als darin zwar den Ärzten und Hebammen, nicht aber den Psychologen, Sozialpädagogen, Sozialarbeitern, Eheberatern und anderen auf psychotherapeutischem Gebiet tätigen Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt wird.

Zur Begründung macht das Amtsgericht geltend:

Die Bitte der Staatsanwaltschaft um einen beschwerdefähigen Beschluß sei auszulegen als Antrag, nach § 70 StPO Maßnahmen zur Erzwingung der Aussage anzuordnen. Diesem Antrag könne nur stattgegeben werden, wenn die Zeugin keinen gesetzlichen Weigerungsgrund habe. Daher komme es zunächst darauf an, ob § 53 StPO den Kreis der Weigerungsberechtigten erschöpfend umschreibe. Das müsse bejaht werden. Soweit § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO damit jedoch den in der Beschlußformel genannten Berufsgruppen das Zeugnisverweigerungsrecht vorenthalte, sei die Bestimmung verfassungswidrig. Sie verstoße gegen Art. 1 Abs. 1 GG, weil es der Menschenwürde widerspreche, daß ein Unbeteiligter etwas über das Seelenleben des Ratsuchenden erfahre. Dieser Bereich sei mindestens ebenso schutzwürdig wie der, in dem es um die Geheimhaltung körperlicher Leiden oder wirtschaftlicher und rechtlicher Schwierigkeiten gehe. Der Zeugniszwang verletze hier auch Art. 2 Abs. 1 GG. Die Klärung von Fragen seelischer Art könne wesentlich zur Persönlichkeitsentfaltung beitragen. Daran aber wäre der Klient gehindert, wenn er wüßte, daß sein Berater das Besprochene nicht zu verschweigen brauche. Demgegenüber dürfe er nicht darauf verwiesen werden, daß er einen Psychiater aufsuchen könne. Denn auch darin läge eine unzulässige Beschränkung seines Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das die Befugnis umschließe, selbst zu wählen, bei wem er sich Rat holen wolle. Das Fehlen der Verschwiegenheitspflicht bei Eheberatern verstoße außerdem gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Zu dem dort verbürgten Schutz der Ehe gehöre es, daß man sich bei einem Eheberater aussprechen könne, ohne befürchten zu müssen, daß der Gesprächsinhalt später einem Gericht mitgeteilt werde.

II.

1.

Der Bundesminister der Justiz vertritt die Auffassung, daß die Vorlagefrage angesichts des Bereichs, in dem die Zeugin berufstätig sei, auf Sozialarbeiter und Eheberater beschränkt werden müsse. Er hält die vorgelegte Bestimmung, soweit sie diesen Berufen kein Zeugnisverweigerungsrecht gewährt, für verfassungsgemäß.

§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO schließe für darin nicht genannte Personengruppen, die in einem berufstypischen, besonders schutzwürdigen Vertrauensverhältnis stünden, ein dem Grundgesetz unmittelbar zu entnehmendes Zeugnisverweigerungsrecht nicht aus. Sozialarbeiter und Eheberater seien nicht in jedem Falle verpflichtet, über die ihnen beruflich bekanntgewordenen Tatsachen im Strafprozeß auszusagen. Die zu prüfende Rechtsnorm enthalte lediglich eine generalisierende Aussage darüber, bei welchen Berufen der Schutz des Vertrauensverhältnisses das Allgemeininteresse an der Aufklärung von Straftaten überwiege. Sie hindere den Richter jedoch nicht, den Schutz der Persönlichkeitssphäre im konkreten Falle ausnahmsweise stärker zu berücksichtigen, als dies dem an typischen Fallgruppen orientierten Gesetzgeber möglich sei. Gegebenenfalls müsse der Richter nach Abwägung des individuellen Geheimhaltungsinteresses mit den Belangen der Strafrechtspflege auch für Sozialarbeiter und Eheberater ein dem Umfang nach noch näher zu bestimmendes Zeugnisverweigerungsrecht unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ableiten. Daß aber der Gesetzgeber diesen Berufen nicht generell ein solches Recht einräume, begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Aufgabe des Sozialarbeiters sei es nicht in erster Linie, den betreuten Personen im Rahmen eines höchstpersönlichen, grundsätzlich keine Offenbarung duldenden Vertrauensverhältnisses fachkundigen Beistand zu leisten; sie bestehe vielmehr darin, ihnen die Hilfe der Gemeinschaft zu vermitteln. Regelmäßig seien sie für einen öffentlichen Dienstherrn oder privaten Arbeitgeber tätig. Die damit verbundene Unterordnung führe zur Mitteilung der von den Betreuten erlangten Kenntnisse an übergeordnete Stellen, wenn deren Eingreifen - etwa zur Einleitung von Hilfsmaßnahmen - notwendig werde. Sozialarbeiter hätten somit als Repräsentanten von Gesellschaft und Staat auch die Belange der Allgemeinheit wahrzunehmen. Hinzu komme, daß die zeugnisverweigerungsberechtigten Berufe möglichst genau bestimmt sein müßten. Die Sozialarbeiter bildeten aber noch keinen in sich geschlossenen, von einheitlichem Selbstverständnis getragenen Berufsstand. Das gelte erst recht für die Eheberater, deren Aufgaben von Angehörigen anderer Berufe wie Theologen, Medizinern, Psychologen oder Juristen - oft im Zusammenwirken - erfüllt würden. Aus gleichem Grunde verstoße es auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß Sozialarbeiter und Eheberater im Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigten Berufe fehlten. Bei deren Auswahl habe der Gesetzgeber auf eine besonders qualifizierte Ausbildung, hohes Standesethos und Einheitlichkeit des Berufsstands abgestellt. Diese Voraussetzungen seien bei Sozialarbeitern und Eheberatern noch nicht in einem Umfang gegeben, der die Gleichstellung rechtfertige. Die Wahrung anvertrauter Geheimnisse gehöre für sie auch nicht in gleicher Weise wie für die in § 53 StPO genannten Personengruppen zu den unerläßlichen Bedingungen ihres beruflichen Wirkens, was sich nicht zuletzt darin äußere, daß bei ihnen der Bruch der Schweigepflicht nicht unter Strafe gestellt sei.

2.

Der Bundesgerichtshof hat Stellungnahmen zweier Strafsenate vorgelegt. Während der 3. Strafsenat der Frage lediglich rechtspolitischen Charakter beimißt, hält der 5. Strafsenat die Ausdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts auf die anderen Berufe nicht für verfassungsrechtlich geboten, zumal sie keine Schweigepflicht treffe und dem Staatsbürger zuzumuten sei, Geheimnisse seines Seelenlebens entweder für sich zu behalten, Angehörigen der in § 53 StPO aufgeführten Berufe zu offenbaren oder ihr Bekanntwerden jedenfalls dann in Kauf zu nehmen, wenn es darauf für die gerichtliche Wahrheitsfindung ankomme.

Vom Bundesfinanzhof liegen Stellungnahmen dreier Senate vor. Der 4. Senat hält die gesetzliche Regelung für vertretbar; er verweist auf die Unentbehrlichkeit des Zeugenbeweises für die Rechtspflege und betont die mit einer Erstreckung des Zeugnisverweigerungsrechts auf andere Berufsgruppen zwangsläufig auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten. Der 5. Senat meint, der Gesetzgeber habe sich angesichts der Notwendigkeit, Grundrechte und Rechtsstaatsprinzip zu beachten, andererseits aber den Gerichten die Wahrheitsfindung in umfassender Weise zu ermöglichen, in einer Konfliktsituation befunden, bei der getroffenen Regelung indes die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht überschritten. Der 7. Senat stellt darauf ab, ob den vom vorlegenden Gericht genannten Berufen eine vergleichbare Ausbildung und ähnliche Befugnisse zuteil würden, wie sie vor allem der Arzt erhalte.

Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Äußerung seines 1. Disziplinarsenats eingereicht, der sich der 2. und 3. Disziplinarsenat angeschlossen haben. Er erachtet die Nichtberücksichtigung der ehe- und sozialberatenden Berufe bei der Gewährung des Zeugnisverweigerungsrechts für verfassungsgemäß, hebt die Bedeutung besonderer Prüfungen und berufsethischer Bindungen hervor, befürchtet bei einer Ausdehnung der Weigerungsbefugnis die Gefahr der Ausuferung und Mißstände, zumal eine sachgemäße Entscheidung über den Gebrauch des Aussageverweigerungsrechts nicht jedermann zugetraut werden könne, und stellt die Aufgabe der staatlichen Verbrechensbekämpfung in den Vordergrund. Schließlich hat der 1. Wehrdienstsenat Stellung genommen. Er ist der Auffassung, daß die vorgelegte Rechtsnorm Art. 3 Abs. 1 GG zuwiderlaufe. Angesichts der Gleichheit der Interessenlage, die dadurch gekennzeichnet sei, daß auch bei den im Vorlagebeschluß bezeichneten Personengruppen der Erfolg ihrer Berufsarbeit wesentlich von der Begründung eines Vertrauensverhältnisses abhänge, könne der Regelung nur der Gedanke zugrunde liegen, daß es sich bei den in § 53 StPO Genannten um konsolidierte, von festem Standesethos geprägte Berufe handele, während andere Berufe noch in der Entwicklung begriffen seien. Eine derartige Anknüpfung an historisch fixierte Berufsbilder stehe aber mit der Wertvorstellung des Art. 12 Abs. 1 GG in Widerspruch und könne die Verschiedenbehandlung daher nicht rechtfertigen.

B.

I.

Die Vorlage ist zulässig.

1.

Auch im Verfahren des Ermittlungsrichters, der auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 162 Abs. 1 StPO eine Untersuchungshandlung vornehmen soll, findet Art. 100 Abs. 1 GG Anwendung (BVerfGE 31, 43 [44 f]). Zu entscheiden ist hier, ob gegen die nicht aussagebereite Zeugin gemäß § 70 Abs. 2, 3 StPO Zwangsmaßnahmen anzuordnen sind. Diese Entscheidung hängt davon ab, ob ihr ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Das vorlegende Gericht möchte das annehmen, sieht sich aber daran durch § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO gehindert.

2.

Diese Vorschrift ist nachkonstitutionelles Recht, weil bei dem Erlaß des Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 (BGBl. I S. 455) auch für den Gesamtinhalt der Strafprozeßordnung das volle Gesetzgebungsverfahren durchgeführt worden ist (BVerfGE 8, 210 [213 f.]; 18, 302 [303 f]; 31, 43 [45]).

3.

Die Auffassung des vorlegenden Gerichts, daß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO anderen, gesetzlich nicht besonders benannten Berufsgruppen ein Zeugnisverweigerungsrecht abspreche, trifft zu. Da die Vorschrift nur den Angehörigen bestimmter, jeweils einzeln ausdrücklich bezeichneter Berufe in gewisser Beziehung eine Weigerungsbefugnis verleiht, ordnet sie - nach der zugrundeliegenden Gesetzgebungstechnik - gleichzeitig an, daß es im übrigen bei der allgemeinen und uneingeschränkten Zeugnispflicht des Bürgers bewenden soll.

4.

Das ändert allerdings nichts daran, daß im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung folgt, wenn unabhängig von der Berufszugehörigkeit des Zeugen dessen Vernehmung wegen der Eigenart des Beweisthemas in den durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung des Einzelnen, insbesondere seine Intimsphäre, eingreifen würde (vgl. zu Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Verhältnis zur Pressefreiheit BVerfGE 20, 162 [189]; zu Beschlagnahmeverboten im Verhältnis zum Grundrecht der Art. 1, 2 GG BVerfGE 32, 373; zum Recht des Eidesverweigerung unmittelbar aus Art. 4 GG BVerfGE 33, 23 [34]). Während diese Möglichkeit vom vorlegenden Gericht nicht erörtert worden ist, hat der Bundesminister der Justiz zutreffend darauf hingewiesen, daß § 53 StPO lediglich eine generalisierende Aussage darüber enthalte, bei welchen Berufen der Schutz des Vertrauensverhältnisses das Allgemeininteresse an der Aufklärung von Straftaten überwiege, den Richter jedoch nicht hindere, den Schutz der Persönlichkeitssphäre im konkreten Fall ausnahmsweise stärker zu berücksichtigen, als dies dem an typischen Fallgruppen orientierten Gesetzgeber möglich sei.

Eine solche Einschränkung des Zeugniszwangs im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG kann jeweils nur als Ergebnis einer vom Richter vorzunehmenden konkreten und fallorientierten Abwägung zwischen den Belangen der Strafrechtspflege und den Geheimhaltungsinteressen des Einzelnen festgestellt werden, wobei - insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgebots - alle Umstände des Falles in die Prüfung einzubeziehen sind. Dazu gehören z. B. Art und Schwere der in Rede stehenden Straftat, die Höhe der Straferwartung, das Vorhandensein anderer Aufklärungsmöglichkeiten, die Bedeutung des Beweisthemas für die Beurteilung der Tat-, Schuld- oder Strafmaßfrage und die Intensität des durch die Zeugenvernehmung bewirkten Eingriffs in die Privatsphäre des Betroffenen. Nur äußerst selten - etwa bei der Verfolgung bloßer Bagatelldelikte oder Ordnungswidrigkeiten von geringer Bedeutung - wird danach der Richter Veranlassung haben, eine verfassungsrechtliche Begrenzung des Zeugniszwangs außerhalb der verfahrensrechtlichen Normen des einfachen Rechts überhaupt in Betracht zu ziehen.

5.

Ob der generelle Ausschluß anderer, in § 53 Abs. 1 StPO nicht genannter Berufsgruppen vom Zeugnisverweigerungsrecht mit der Verfassung in Einklang steht, ist für die vom Amtsrichter zu treffende Entscheidung allerdings nur insoweit erheblich, als es sich um den Beruf des Sozialarbeiters handelt. Zwar ist die Zeugin darüber hinaus auch als Eheberaterin tätig. Aber auch darauf kommt es nicht an. Zur Eheberatung gehört das Gespräch mit mindestens einem der betroffenen Ehepartner (vgl. Grube, Methodik der Eheberatung, in: Struck-Loeffler, Einführung in die Eheberatung, 1971, S. 20 [44 f.]), nicht jedoch eine Unterredung mit Dritten, die in eigener Sache vorsprechen und Rat suchen. Die Zeugin soll indessen, wie der Zusammenhang ergibt, lediglich darüber aussagen, was ihr der Sohn des Beschuldigten über die Beziehung zu seinem Vater mitgeteilt hat. Tatsachen, die sie hierdurch erfahren hat, sind ihr als einer auf dem Felde der Jugendberatung tätigen Sozialarbeiterin, nicht aber in ihrer Eigenschaft als Eheberaterin bekanntgeworden. Ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht von Eheberatern käme ihr deshalb im Ausgangsverfahren ohnehin nicht zustatten. Dementsprechend ist die Vorlagefrage zu beschränken.

II.

§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist, soweit diese Bestimmung Sozialarbeitern ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht einräumt, mit dem Grundgesetz vereinbar.

1.

Der Zeugniszwang, dem der Sozialarbeiter im Strafverfahren auch hinsichtlich solcher Tatsachen unterliegt, die ihm in seiner beruflichen Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden sind, verstößt nicht gegen das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende Recht des Ratsuchenden (Klienten) auf Achtung seiner Privatsphäre.

a) Das Grundgesetz gewährt zwar - wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannt hat - dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der jeder Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist (BVerfGE 6, 32 [41]; 27, 1 [6]; 27, 344 [350 f.]; 32, 373 [378 f.]). Grundlage des verfassungskräftigen Gebots, die Intimsphäre des Einzelnen zu achten, ist das durch Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite dieses Grundrechts ist zu berücksichtigen, daß nach der Grundnorm des Art. 1 Abs. 1 GG die Würde des Menschen unantastbar ist und gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht.

b) Jedoch steht nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger (BVerfGE 4, 7 [15 f.]; 27, 1 [7]) muß vielmehr jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen (BVerfGE 27, 344 [351]; 32, 373 [379]).

c) Diesen Maßstäben wird die hier zu prüfende Bestimmung gerecht.

Was der Sozialarbeiter im Rahmen seiner Berufsausübung bei einer Beratung seines Klienten erfährt, wird zwar regelmäßig zu dessen privater Lebenssphäre gehören. Derartige Tatsachen sind jedoch nicht dem schlechthin unantastbaren Bereich zuzuordnen, der jedem Zugriff der öffentlichen Gewalt von vornherein verschlossen ist. Das gilt schon deshalb, weil der Einzelne den innersten Bezirk, der ihm um seiner freien und selbstverantwortlichen Persönlichkeitsentfaltung willen verbleiben muß (BVerfGE 27, 1 [6]), zwangsläufig verläßt, sobald er sich anderen freiwillig mitteilt.

Freilich setzt das Grundrecht des Bürgers auf Achtung seiner Privatsphäre der öffentlichen Gewalt Schranken auch dort, wo er in Kommunikation zu seinen Mitmenschen tritt. Vielfach ist es Teil seiner unabweisbaren Lebensbedürfnisse, Vertreter bestimmter Heil- und Beratungsberufe in Anspruch zu nehmen. Wirksame Hilfe kann er von ihnen zumeist nur erwarten, wenn er sich rückhaltlos offenbart und sie zu Mitwissern von Angelegenheiten seines privaten Lebensbereiches macht. Andererseits hat er ein schutzwürdiges Interesse daran, daß solche Tatsachen nicht zur Kenntnis Dritter gelangen. Die grundsätzliche Wahrung dieses Geheimhaltungsinteresses ist notwendige Vorbedingung des Vertrauens, das er um seiner selbst willen aufbringen muß, und Grundlage für die erfolgreiche Berufstätigkeit jener, von denen er Beistand benötigt. Andernfalls bliebe ihm oft nur die Wahl, entweder eine Offenbarung seiner privaten Sphäre in Kauf zu nehmen oder aber auf eine sachgemäße Behandlung oder Beratung von vornherein zu verzichten. Hier jedoch kann der Schutz des privaten Lebensbereichs in Konflikt geraten mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafrechtspflege, für die es - zur Überführung von Straftätern ebenso wie zur Entlastung Unschuldiger - auf eine möglichst umfassende Wahrheitsermittlung ankommt. Der Gesetzgeber hat diese Interessen gegeneinander abgewogen. Den Angehörigen bestimmter Heil- und Beratungsberufe, deren Berufsbild durch die Begründung höchstpersönlicher, grundsätzlich keine Offenbarung duldender Vertrauensverhältnisse gekennzeichnet wird, hat er nicht nur eine Schweigepflicht auferlegt (§ 300 Abs. 1 StGB), sondern darüber hinaus ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO), das eine Ausnahme vom Grundsatz der uneingeschränkten Zeugnispflicht jedes Staatsbürgers darstellt. Soweit sich die Befugnis zur Aussageverweigerung auf Tatsachen aus dem privaten Lebensbereich des Bürgers bezieht, ist dem Schutz der Privatsphäre des Einzelnen gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an vollständiger Sachaufklärung im Strafverfahren der Vorrang zuerkannt worden. Diese Abwägung trägt der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hinreichend Rechnung.

Dieses Grundrecht verlangt nicht, den Sozialarbeiter in den Kreis der nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO Weigerungsberechtigten einzubeziehen. Der Sozialarbeiter übt keinen Beruf aus, für dessen Gesamtbild die Begründung höchstpersönlicher, grundsätzlich keine Offenbarung duldender Vertrauensverhältnisse kennzeichnend wäre. Auch als Klient des Sozialarbeiters kann der Bürger zwar in die Lage geraten, Angelegenheiten seiner Privatsphäre in offener und vorbehaltloser Aussprache zu erörtern, damit ihm wirksame Hilfe zuteil wird. In diesem Sinne ist die Schaffung und Aufrechterhaltung einer Vertrauensbeziehung zwischen ihm und seinem Betreuer von großer Bedeutung (K. Peters, Beweisverbote im deutschen Strafverfahren, in: Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages [1966], Bd. I, Teil 3 A, S. 123; Würtenberger, Der Schutz des Berufsgeheimnisses und das Zeugnisverweigerungsrecht des Sozialarbeiters in: Gedächtnisschrift Hans Peters, 1967, S. 923 [934]). Das gilt namentlich für den Bereich der Jugendhilfe wie überall dort, wo der Sozialarbeiter beratende Funktionen wahrnimmt und Einzelfallhilfe leistet. Diese Vertrauensbeziehung ist jedoch nicht typischerweise auf die Erwartung des Klienten gegründet, der Sozialarbeiter werde Tatsachen aus der Privatsphäre des Betreuten gegenüber jedermann in der Regel verschweigen. Denn eine solche Erwartung ist mit dem Berufsbild des Sozialarbeiters nicht verbunden.

An einem einheitlichen, klar umrissenen Berufsbild des Sozialarbeiters fehlt es bislang (Würtenberger, a.a.O., S. 932; Herrmann in: Die Fürsorge im sozialen Rechtsstaat, Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 1970, S. 601, 603, 605). Zwar hat die Berufsbezeichnung "Sozialarbeiter" - abgeleitet vom amerikanischen Begriff des "social worker" - seit 1959 Eingang in die Sprache der Gesetze, Verordnungen und ministeriellen Erlasse gefunden (vgl. etwa § 124 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes in der Fassung vom 18. September 1969 [BGBl. I S. 1688]). Auch haben die Länder die Ausbildung des Sozialarbeiters seither im wesentlichen übereinstimmend geregelt (vgl. Lingesleben, Die Berufssituation der Sozialarbeiter und Tendenzen der Professionalisierung, in: Otto-Utermann, Sozialarbeit als Beruf - Auf dem Weg zur Professionalisierung?, 1971, S. 31 [54 ff.]; eine Zusammenstellung der einschlägigen Vorschriften bringen Seipp-Deutsch, Handbuch des gesamten Jugendrechts, Bd. 1, Gruppe 1, S. 1101 ff., Bd. 3, Gruppe 8, S. 353 ff., 375 ff., 401 ff., 425 ff., 461 ff., 475 ff., 489 ff., 519 ff., 531 ff., 561 ff., 593 ff. und 627 ff.). Nach diesen Regelungen wird als Sozialarbeiter staatlich anerkannt, wer drei Jahre eine Höhere Fachschule für Sozialarbeit besucht, die staatliche Prüfung bestanden und ein einjähriges Berufspraktikum abgeleistet hat. Aufgrund der Fachhochschulgesetze einiger Länder - wie Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg und Hessen - sind Höhere Fachschulen für Sozialarbeit in den Fachhochschulbereich überführt worden. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Berufsausübung des Sozialarbeiters kein geschlossenes Bild bietet. Sie ist als solche weder Gegenstand besonderer Gesetze noch wird sie geprägt von den Vorschriften einer allgemeinen Berufsordnung oder ungeschriebenen Regeln standesgemäßen Verhaltens. Daher folgt sie den Sachgesetzlichkeiten der einzelnen Aufgabenbereiche und vollzieht sich in denjenigen Formen, die der jeweilige Träger der Sozialarbeit hierfür bereitstellt. Dabei wirkt sich die Vielfalt der Gebiete, auf denen der Sozialarbeiter tätig ist, besonders aus. Sie reicht von der Familienfürsorge und der auf Behebung spezieller Notstände gerichteten Arbeit - z. B. Suchtkranken-, Nichtseßhaften-, Obdachlosen-, Strafentlassenenhilfe - über die Betreuung von Ausländern und Auswanderern sowie die Ehe- und Erziehungsberatung bis hin zur Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe. Jeder dieser Bereiche stellt besondere Aufgaben und bedingt eine eigene Arbeitsweise. Die Methoden der Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit finden in unterschiedlichem Ausmaß Anwendung. Hinzu kommt, daß Sozialarbeit von einer Vielzahl verschiedener Träger - Staat, Gemeinden, sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und Privatunternehmen - verantwortet wird. Die Art der Beziehung zwischen Betreuer und Hilfsbedürftigem ist daher nicht überall gleich. Schon aus diesen Gründen gibt es keine berufstypische Vertrauenssituation, die dadurch gekennzeichnet wäre, daß der Klient vom Sozialarbeiter die Geheimhaltung von Tatsachen seines privaten Lebensbereichs erwartet.

Auf einzelnen Gebieten scheidet eine solche Erwartung von vornherein aus. Bei der Bewährungs- und Jugendgerichtshilfe, aber auch im Bereich der Familienfürsorge, gehört es gerade zu den Pflichten des Sozialarbeiters, dem Straf- oder Vormundschaftsrichter über die persönlichkeit des Betreuten Bericht zu erstatten, damit über den Widerruf einer Strafaussetzung, die Anordnung von Erziehungsmaßnahmen, die Zuweisung der elterlichen Gewalt, Beschränkungen des Sorgerechts, Adoptionen, Volljährigkeits- und Ehelichkeitserklärungen aufgrund bestmöglicher Information eine sachgemäße Entscheidung gefällt werden kann. Der Sozialarbeiter begegnet hier seinem Klienten nicht als Vertrauensperson, die Verschwiegenheit garantieren könnte, sondern als Helfer des Gerichts, der sein in dieser Funktion erlangtes Wissen von Amts wegen weiterzugeben hat.

Aber auch in denjenigen Bereichen, in denen - wie bei der Ehe- und Jugendberatung - der Sozialarbeiter seinem Klienten als Berater zur Seite steht, unterscheidet sich die damit begründete Vertrauensbeziehung wesentlich von dem Verhältnis des Einzelnen zu den Vertretern der in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO aufgeführten Berufsgruppen. Zum einen beruht dies darauf, daß die dort genannten Personen - wie etwa Arzt oder Rechtsanwalt - Berufe ausüben, die ihnen regelmäßig eine unabhängige und eigenverantwortliche Stellung verleihen, während es den Beruf des selbständigen Sozialarbeiters in diesem Sinne in der Bundesrepublik Deutschland nicht gibt (vgl. Lingesleben, a.a.O., S. 56). Der Sozialarbeiter ist in der Regel entweder als Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst tätig oder bei einem Verband der freien Wohlfahrtspflege beschäftigt. Was er in Ausübung seines Berufes von dem Klienten erfährt, unterliegt daher zwangsläufig der Verfügungsbefugnis seines Dienstherrn oder Arbeitgebers. Dieser bestimmt, ob und welcher Gebrauch von solchem Wissen gemacht werden soll, und er hat es auch in der Hand, seinen Willen mit Richtlinien, Anordnungen oder Weisungen durchzusetzen. Angesichts dieser Sachlage gilt das Vertrauen des Hilfsbedürftigen weniger der Person des Sozialarbeiters als vielmehr der Institution, die hinter ihm steht (vgl. Klein, Jugendwohl 1967, S. 247 [251]).

Zum anderen aber ist es stets Aufgabe dieser Institution, dem in soziale Bedrängnis geratenen Bürger, der seine Probleme nicht aus eigener Kraft zu meistern vermag, die Hilfe der Gemeinschaft zu vermitteln. Dadurch wird die Stellung des Sozialarbeiters gegenüber seinem Klienten entscheidend geprägt. Anders als die Angehörigen der in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO genannten Berufe, die dem Einzelnen aufgrund spezieller Sachkunde eigenen Beistand gewähren, begegnet er seinem Klienten nicht nur als persönlicher Helfer und Berater, sondern immer zugleich auch als Repräsentant von Gesellschaft und Staat (vgl. Würtenberger, a.a.O., S. 935). Das ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Einerseits muß der Sozialarbeiter, soll er dem Einzelnen die gerade seiner Situation angemessene Hilfe der Gemeinschaft verschaffen, vielfach beruflich erworbene Kenntnisse über Persönlichkeit und Privatleben des Klienten Dritten offenbaren oder amtlichen Stellen zugänglich machen. Andererseits hat er auch darüber hinaus die Belange der Allgemeinheit gebührend zu beachten. Auch von daher ist der Sozialarbeiter grundsätzlich nicht geeignet, seinem Klienten gegenüber der Strafjustiz als Hüter und Wahrer privater Geheimhaltungsinteressen zu dienen.

Dies hat der Senat einstimmig entschieden.

2.

Es verstößt ferner nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß der Gesetzgeber dem Sozialarbeiter im Strafverfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht vorenthält und ihn insoweit anders behandelt als die Vertreter der in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO aufgeführten Berufe.

a) Der Prüfung am Maßstab des Gleichheitssatzes muß allerdings die Feststellung vorangehen, ob die Verleihung des Rechts zur Aussageverweigerung an die Angehörigen aller in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO genannten Berufe ihrerseits der Verfassung entspricht. Denn nur dann ergibt sich eine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob die verschiedene Behandlung der Sozialarbeiter und anderer Berufe in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Es liegt auf der Hand, daß bei dem hiernach anzustellenden Vergleich solche Berufe außer Betracht bleiben müßten, denen selbst etwa nur unter Verstoß gegen das Grundgesetz ein Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt worden ist.

Im Ergebnis bestehen jedoch gegen die derzeitige Fassung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, soweit er den Vertretern der dort bezeichneten Berufe ein Aussageverweigerungsrecht gewährt, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar ist es dem Gesetzgeber nicht freigestellt, den Kreis der aus Berufsgründen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen nach Belieben zu erweitern. Vielmehr zieht ihm das Rechtsstaatsprinzip Grenzen. Soweit der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält (BVerfGE 7, 89 [92]; 7, 194 [196]; 20, 323 [331]; 21, 378 [388]), verlangt er auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt (BVerfGE 19, 342 [347]; 20, 45 [49]; 20, 144 [147]), das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß betont (BVerfGE 32, 373 [381]) und die Aufklärung schwerer Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (BVerfGE 29, 183 [194]).

Jede Ausdehnung des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts auf neue Personengruppen schränkt aber die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen ein und beeinträchtigt deshalb möglicherweise die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung. Angesichts des rechtsstaatlichen Postulats der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege bedarf die Einräumung von Aussageverweigerungsbefugnissen aus beruflichen Gründen stets einer besonderen Legitimation, um vor der Verfassung Bestand zu haben. Unter diesem Gesichtspunkt versteht es sich nicht von selbst, daß der Gesetzgeber den Angehörigen wirtschafts- und steuerberatender Berufe ein Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt hat. Das läßt sich jedoch deshalb noch rechtfertigen, weil sie nach ihrer Ausbildung, den für sie geltenden Berufsregelungen (Wirtschaftsprüferordnung vom 24. Juli 1961 [BGBl. I S. 1049] und Steuerberatungsgesetz vom 16. August 1961 [BGBl. I S. 1301]), der durch Kammern wahrgenommenen Standesaufsicht und der disziplinarischen Überwachung durch Berufsgerichte eine gewisse Gewähr dafür bieten, daß sie von der ihnen eingeräumten Aussageverweigerungsbefugnis keinen unangemessenen Gebrauch machen, sie insbesondere nur dann in Anspruch nehmen, wenn es die Wahrung ihres Berufsgeheimnisses unabdingbar erfordert und höherwertige Interessen des Gemeinwohls nicht entgegenstehen. Die Verleihung des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts an die Vertreter der wirtschafts- und steuerberatenden Berufe ist darum mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar.

Das hat der Senat mit vier gegen drei Stimmen entschieden.

b) Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 14 [52]; 31, 212 [218 f.], ständige Rechtsprechung). Daran fehlt es. Dafür, daß dem Sozialarbeiter im Strafprozeß kein Recht zur Aussageverweigerung zuerkannt worden ist, gibt es einleuchtende Gründe.

Bei den Vorarbeiten zum Dritten Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735), das den Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten beträchtlich erweiterte, wurde die Frage, ob auch die "Fürsorger" (die heute als Sozialarbeiter bezeichnet werden) einzubeziehen seien, nach eingehenden Erörterungen verneint. Maßgebend dafür waren mehrere Überlegungen. Zum einen wurde geltend gemacht, der Berufsstand der Fürsorger sei nicht scharf genug umgrenzt und nicht einheitlich geregelt; die Verhältnisse lägen in den einzelnen Ländern verschieden. Weiterhin solle das Weigerungsrecht grundsätzlich nur solchen Berufsgruppen gegeben werden, die eine besondere Vorbildung und ein in langer Berufsausübung gewachsenes Berufsethos besäßen. Außerdem sei das Vertrauensverhältnis des Fürsorgers zu seinem Schützling nicht so geartet, daß es dem allgemeinen Interesse an einer erschöpfenden Wahrheitserforschung im Strafverfahren vorgehe. Darüber hinaus entspreche dem Zeugnisverweigerungsrecht eine Schweigepflicht, die bei Fürsorgern schon deshalb nicht in Betracht komme, weil sie der beauftragenden Stelle zu berichten hätten. Schließlich fehle es an einem praktischen Bedürfnis, weil ein großer Teil der Fürsorger im öffentlichen Dienst stehe und daher nach § 54 StPO zur Zeugenaussage ohnehin der Genehmigung des Dienstvorgesetzten bedürfe (vgl. BT, 1. Wp., Protokoll der 244. Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht am 11. März 1953, S. 30 ff.).

Freilich trifft ein Teil dieser Überlegungen auf den Sozialarbeiter von heute nicht mehr zu, nachdem das Merkmal der staatlichen Anerkennung zugleich zur Abgrenzung des Berufsstandes wie auch als Nachweis eines gewissen Ausbildungsstandards zu dienen vermag. Als zulässiger Differenzierungsgrund genügt jedoch nach wie vor, daß die Vertrauensbeziehung zwischen dem Sozialarbeiter und seinem Klienten - wie bereits dargelegt - wesentlich anders geartet ist als das Verhältnis des Einzelnen zu den Angehörigen des in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO genannten Berufsgruppen.

Darüber hinaus hat der Gesetzgeber aus gutem Grund nur den Vertretern solcher Berufe eine Aussageverweigerungsbefugnis verliehen, in denen sich - kraft der Natur der Sache oder gemeinsamer, für verbindlich erachteter und darum befolgter Regeln standesgemäßen Verhaltens - feste, von der Gemeinschaft gebilligte Maßstäbe dafür entwickelt haben, wo ein Berufsgeheimnis besteht und inwieweit es Schweigen gebietet. Das ist sachgerecht, weil sonst die Ausübung des Weigerungsrechts, die allein in die Entscheidung des Zeugen gestellt ist, von Zufall und Willkür abhängig würde. Während diese Voraussetzungen aber für alle in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO erwähnten Berufe erfüllt sind, gibt es für den Sozialarbeiter bislang keine derartigen Maßstäbe. Zwar ist seit einiger Zeit der Begriff des "sozialen Geheimnisses" in die Fachliteratur eingeführt worden (vgl. Becker, MDR 1967, S. 793). Feste Konturen hat dieser Begriff jedoch bisher nicht gewonnen. Was darunter zu verstehen ist, wird weder durch eine allgemeine Berufsordnung festgelegt noch von einem innerhalb des Sozialarbeiterstandes durchgängig anerkannten Berufskodex verbindlich bestimmt (vgl. Lingesleben, a.a.O., S. 56 f.). Im Gegensatz zu den in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO aufgeführten Berufsgruppen, unter denen - freilich aus besonderen Gründen - nur die Hebammen insoweit eine Ausnahme bilden, fehlt es den Sozialarbeitern zudem an öffentlich-rechtlich verfaßten Standesvertretungen (Kammern) und Berufs- oder Ehrengerichten, die in der Lage wären, berufliche Verschwiegenheit zum Standesgebot zu erheben, ihre Beachtung zu überwachen und ihre Verletzung mit den Mitteln berufsständischen Disziplinarrechts zu ahnden.

Diesen Verschiedenheiten entspricht es, daß den Sozialarbeiter auch keine mit strafrechtlichen Sanktionen bewehrte Geheimhaltungspflicht trifft, wie sie § 300 Abs. 1 StGB für alle Vertreter der in § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO genannten Berufe - zur Zeit noch ausgenommen die lediglich nach § 22 Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes vom 16. August 1961 (BGBl. I S. 1301) schweigepflichtigen Steuerbevollmächtigten - normiert hat. Zwar nahm der Entwurf eines Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1962 - E 1962 - (BTDrucks. IV/650) in § 185 Abs. 1 Nr. 4 den "in der Wohlfahrtspflege tätigen, staatlich anerkannten Sozialarbeiter" in den Straftatbestand des Geheimnisbruchs auf. Bezeichnenderweise konnte aber innerhalb der Berufsgruppe der Sozialarbeiter keine einheitliche Meinung hierzu erzielt werden (vgl. die Niederschrift über die Beratungen der Jugendkommission der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge, Soziale Arbeit 1969, 166 ff.). Im übrigen ist dieser Versuch, ein für alle staatlich anerkannten Sozialarbeiter geltendes, strafrechtlich geschütztes Berufsgeheimnis zu schaffen, bereits überholt. Der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) vom 3. Januar 1972 (BRDrucks. 1/72) enthält eine entsprechende Vorschrift nicht mehr, sondern berücksichtigt den Sozialarbeiter nur noch unter den nach Art. 18 Nr. 80 § 203 Abs. 2 Nr. 1 schweigepflichtigen "Amtsträgern" (vgl. Begründung S. 227 f.), zu denen zwar die im öffentlichen Dienst tätigen, nicht jedoch die bei einem Verband der freien Wohlfahrtspflege beschäftigten Sozialarbeiter gehören.

Aus diesen Gründen steht der Ausschluß der Sozialarbeiter vom Zeugnisverweigerungsrecht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang.

Das hat der Senat mit fünf gegen zwei Stimmen entschieden.

3.

Schließlich verletzt die vorgelegte Bestimmung, soweit sie dem Sozialarbeiter im Strafverfahren kein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt, auch nicht Art. 12 Abs. 1 GG. Weder berührt sie die Freiheit seiner Berufswahl noch enthält sie eine Regelung seiner Berufsausübung. Sie hat nicht die Wahrnehmung seiner beruflichen Funktionen zum Gegenstand, sondern betrifft ihn - außerhalb dieses Bereichs - in gleicher Weise wie jeden anderen Bürger, der als Zeuge im Strafprozeß aussagen muß. Allenfalls mittelbar vermag sich das Fehlen des Zeugnisverweigerungsrechts auf die Berufsausübung des Sozialarbeiters auszuwirken. Solche Auswirkungen sind aber jedenfalls derart gering, daß sie gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an einer umfassenden Wahrheitsermittlung im Strafverfahren nicht ins Gewicht fallen. Daß der Sozialarbeiter seinen Beruf sinnvoll und bestimmungsgemäß nur ausüben könne, wenn ihm im Strafverfahren ein Aussageverweigerungsrecht zustehe, läßt sich nicht ernstlich behaupten.

Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Seuffert, Dr. Geiger, Hirsch, Dr. Rinck, Dr. Rottmann (Richter Dr. Rupp ist an der Unterschrift verhindert. Richter Wand ist an der Unterschrift verhindert. Seuffert)