BVerfG, 21.10.1954 - 1 BvL 52/52

Daten
Fall: 
Intendanturweinauflagen
Fundstellen: 
BVerfGE 4, 60; DÖV 1955, 61; DVBl 1955, 405; JZ 1955, 19; NJW 1954, 1762
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
21.10.1954
Aktenzeichen: 
1 BvL 52/52
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • FG Rheinland-Pfalz, 23.05.1952 - Rm L Nr. II 38/52

Ein Gesetz, das im wirtschaftlichen Ergebnis für bereits erloschene Forderungen im Zusammenhang mit der Währungsreform im Jahre 1948 Nachzahlungsansprüche gewährt, greift in das Währungswesen i.S. des Art. 73 Nr. 4 GG ein.

Inhaltsverzeichnis 

Urteil

des Ersten Senats vom 21. Oktober 1954
- 1 BvL 52/52 -
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des Landesgesetzes vom Rheinland-Pfalz zur Bereinigung der Folgen der Intendanturweinauflage vom 4. April 1951 (GVBl. S. 91) auf Antrag des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz in Neustadt a. d. Weinstraße.
Entscheidungsformel:

Das Landesgesetz von Rheinland-Pfalz zur Bereinigung der Folgen der Intendanturweinauflagen vom 4. April 1951 (GVBl. S. 91) ist nichtig.

Gründe

A.

I.

Im Juli 1945 beschlagnahmte die französische Besatzungsmacht den gesamten Wein im Lande Rheinland-Pfalz. Nach einem frühere Instruktionen zusammenfassenden Befehl des Gouverneurs vom 4. September 1946 sollten den mit der Sammlung, Lagerung, Pflege und Ablieferung des Weines (Intendanturweins) beauftragten Großhändlern Eigentum am Weine übertragen werden.

Am 20. November 1947 befahl der Gouverneur, daß 31,5 Millionen Liter Wein "guter und handelsüblicher Qualität zu einem Durchschnittsverkaufspreis des Großhändlers von höchstens 2.- RM pro Liter" spätestens bis 1. März, 1. April und 1. Mai 1948 durch 85 Weinhandelsbetriebe des Landes – sogenannte Zentralkellereien – an die Besatzungsmacht zu liefern seien.

Die festgesetzte Menge wurde zur Lieferung an die Besatzungsmacht aus dem insgesamt beschlagnahmten Wein – die Ernte des Jahres 1947 im Lande Rheinland-Pfalz betrug schätzungsweise 90 Millionen Liter – freigegeben und von Vertretern der Zentralkellereien bei den Winzern unter Vorlegung von "Teilentnahmescheinen" abgefordert. In nahezu allen Fällen wurde der Kaufpreis sofort bezahlt.

Versuche der Winzer, sich im Hinblick auf die bevorstehende Währungsreform das Eigentum an dem Wein gegenüber den Zentralkellereien bis zur Ablieferung an die Besatzungsmacht vorzubehalten, scheiterten in fast allen Fällen. Die Verhandlungen zwischen den beteiligten Fachverbänden zogen sich solange hin, daß am Tage der Währungsreform, am 20. Juni 1948, etwa zwei Drittel der abzuliefernden Menge Wein an die Zentralkellereien abgegeben war. An diesem Tage lagerten bei den Zentralkellereien nach Feststellung des Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten 20 932 243 Liter Intendanturwein, nach späterer Feststellung des vom Landtag eingesetzten "Sonderausschusses zur Überprüfung der Intendanturweinfrage" nur 18 099 458 Liter. Die Besatzungsmacht hatte bis zur Währungsreform aus den Intendanturweinlieferungen 3 546 722 Liter Wein gegen Zahlung in Reichsmark erhalten. Nach der Währungsreform wurden aus dem Lagerbestand von 20,9 bzw. 18,09 Millionen Liter Wein noch 6 129 493 Liter gegen Bezahlung in Deutscher Mark an die Besatzungsmacht geliefert.

Die Intendanturweinauflage vom 20. November 1947 wurde am 15. Juli 1948 auf 27,5 Millionen, eine Woche später auf 26,5 Millionen Liter Wein herabgesetzt.

Am 10. September 1948 erließ das Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten eine Landesverfügung, nach der über Wein für die Truppe, den die Militärregierung freigebe, nur mit Genehmigung des Ministeriums verfügt werden dürfe.

Am 15. September 1948 trat die Besatzungsmacht von den Verträgen zurück, die sie mit den Zentralkellereien geschlossen hatte, und gab gleichzeitig 8 Millionen Liter des Intendanturweins frei. Durch Verfügung des Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten vom 1. Oktober 1948 wurde dieser Wein zum Teil für die Branntwein-, Sekt- und Wermut- Industrie, zum Teil für andere Stellen freigegeben. Beim Verkauf dieses Weines war ein Aufschlag von DM 0,50 je Liter für weinbaufördernde Maßnahmen abzuführen.

Am 17. Januar 1949 gab die Besatzungsmacht "alle anderen für die Truppe erfaßten und bei den Kellereien lagernden Weine frei". Das Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten überließ den Zentralkellereien sofort 10% dieses Weines und am 22. April 1949 den gesamten Rest zur freien Verfügung.

II.

Die durch die Intendanturweinauflage geschaffene Lage der Winzer beschäftigte Regierung und Landtag schon im April und Juli 1948. Am 28. September 1948 brachte die Landesregierung den Entwurf eines Landesgesetzes über die "Bewirtschaftung und Sicherstellung von Währungsgewinnen der Zentralkellereien für den Lastenausgleich" ein (LT Rheinland-Pfalz 1. Wahlperiode, Drucks. Abt. II Nr. 622). Danach sollten die Zentralkellereien den "Währungsgewinn" abführen, der ihnen dadurch zugeflossen sei, daß sie Intendanturwein gegen Zahlung in Reichsmark erworben und nach dem 20. Juni 1948 für Deutsche Mark weiterveräußert hätten. Die aufkommenden Beträge sollten jedoch nicht an die Winzer ausgezahlt, sondern nach Maßgabe der späteren Gesetzgebung über den Lastenausgleich verwendet werden. Dieser Entwurf wurde am 30. November 1948 mit der Begründung zurückgezogen, daß "schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Entwurf vorgebracht waren und daß es angesichts des derzeitigen Standes der Gesetzgebung über den Lastenausgleich auf trizonaler Basis unzweckmäßig erscheint, jetzt noch eine Sondermaßnahme der hier in Frage kommenden Art zu treffen" (LT Rheinland-Pfalz 1. Wahlperiode, Drucks. Abt. I Nr. 38 S. 986 f. und Nr. 42 S. 1106).

Die Intendanturweinlieferungen blieben jedoch weiterhin Gegenstand von gelegentlichen Erörterungen. Am 13. Juli 1950 bildete der Landtag einen Sonderausschuß zur Überprüfung der Intendanturweinfrage und beauftragte ihn, "die Frage der Sondergewinne der Zentralkellereien zu überprüfen und geeignete Vorschläge zu deren Sicherstellung bzw. Verteilung an die geschädigten Winzer auszuarbeiten" (LT Rheinland-Pfalz 1. Wahlperiode, Drucks. Abt. I Nr. 84 S. 2442 f.). In der Sitzung des Landtags vom 7. März 1951 legte der Sonderausschuß mit seinem Bericht den Entwurf eines Landesgesetzes "über Ausgleichsforderungen aus der Intendanturweinauflage 1948" vor (LT Rheinland-Pfalz 1. Wahlperiode, Drucks. Abt. I Nr. 92 S. 2740 ff. und Drucks. Abt. II Nr. 1739). Dieser nach Beratungen in den zuständigen Ausschüssen geänderte Entwurf wurde am 29. März 1951 bei einer Stimmenthaltung angenommen (LT Rheinland- Pfalz 1. Wahlperiode, Drucks. Abt. I Nr. 94 S. 2806 ff.) und als "Landesgesetz zur Bereinigung der Folgen der Intendanturweinauflagen" – IWAG – am 4. April 1951 verkündet.

Die §§ 1 bis 5 des Gesetzes lauten:

"§ 1
(1) Zum Ausgleich der Folgen der Intendanturweinauflagen werden Abgaben erhoben und Zahlungen gewährt.
(2) Wein im Sinne dieses Gesetzes ist der Wein, dessen Besitz in der Zeit zwischen dem 31. Januar 1948 und dem 21. Juni 1948 auf Grund einer behördlichen Anordnung zur Erfüllung der Intendanturweinauflagen übertragen worden ist.

§ 2
(1) Der Abgabe unterliegt der Erwerb von Wein, den der Erwerber am 21. Juni 1948 in Eigenbesitz gehabt oder vor dem 21. Juni 1948 veräußert hat.
(2) Die Abgabe wird nicht erhoben, wenn der Abgabepflichtige nachweist, daß er sich mit dem Anspruchsberechtigten gütlich geeinigt hat.

§ 3
(1) Die Abgabe beträgt 40 v. H. des zum vollen Betrag in D-Mark umgestellten Übernahmepreises, jedoch nicht mehr als 40 v.H. des Veräußerungserlöses. Übersteigt der Erlös 13/100 des Übernahmepreises in D-Mark nicht, so entfällt die Abgabe.
(2) Zahlungen, die der Abgabepflichtige für Wein geleistet hat, werden auf die Abgabe für diesen Wein angerechnet, soweit sie ein Zehntel des Übernahmepreises (Abs. 1) übersteigen.
(3) Als Veräußerungserlös (Abs. 1) und als Zahlungen (Abs. 2) gelten auch andere als Geldleistungen. Als Wert dieser Leistungen gilt der gemeine Wert zur Zeit der Leistung.

§ 4
Ein Ausgleichsanspruch besteht für Wein eigener Erzeugung, soweit der Erzeuger als Entgelt weniger als 40 v. H. des zum vollen Betrag in D-Mark umgestellten Übernahmepreises erhalten hat.

§ 5
Auf die Forderungen der Anspruchsberechtigten werden nach Maßgabe der aus der Abgabe eingehenden Mittel Beträge zugeteilt. Die Zuteilungen erfolgen prozentual der Höhe der festgestellten Forderungen."

Über die Abgaben und Forderungen entscheiden Ausgleichsstellen, die die Befugnisse des Finanzamts im Steuerermittlungsverfahren haben. Gegen deren Entscheidung ist eine Beschwerde an das Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten zulässig. Gegen die Beschwerdeentscheidung kann Berufung an das Finanzgericht eingelegt werden, das endgültig entscheidet (§ 7 bis § 11).

Der Abgabe unterliegen also grundsätzlich alle in der Zeit vom 31. Januar bis 21. Juni 1948 von den Zentralkellereien erworbenen Intendanturweine, d. h. sowohl die am Stichtag eingelagerten 20,9 bzw. 18,09 Millionen Liter als auch die bereits vor dem Stichtag an die Militärregierung gelieferten 3,5 Millionen Liter. Nach der in § 3 Abs. 1 Satz 2 IWAG vorgeschriebenen Berechnung entfällt jedoch für diese 3,5 Millionen Liter die Abgabe. Der Lagerbestand von 20,9 bzw. 18,09 Millionen Liter unterliegt der Abgabe in vollem Umfang, also auch insoweit, als daraus nach der Währungsreform noch 6,1 Millionen Liter an die Besatzungsmacht geliefert worden sind.

Mit Rücksicht auf die vielfach geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken ist zunächst von der Durchführung des Gesetzes abgesehen worden. Die Ausgleichsstellen bei den Regierungspräsidenten in Neustadt und Mainz haben deshalb nur je einen Abgabebescheid erlassen, der den Betroffenen die Möglichkeit eröffnen sollte, den Rechtsweg zu beschreiten.

B.

I.

Durch einen dieser beiden Abgabebescheide ist gegen den Weinhändler Johann Sch. in Albig eine Ausgleichsabgabe von 2075.84 DM festgesetzt worden. Er hat dagegen die zulässigen Rechtsbehelfe ergriffen. Das Finanzgericht in Neustadt hat das bei ihm anhängige Berufungsverfahren durch Beschluß vom 23. Mai 1952 – Rm. L Nr. II/38/52 – gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und durch seinen Vorsitzenden die Akten dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.

Das Finanzgericht ist der Ansicht, das IWAG ziele im wesentlichen auf einen Lastenausgleich für Härten der Währungsreform im Sinne des § 29 des Umstellungsgesetzes - UG -. Dafür bestehe eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Im Lande Rheinland-Pfalz sei der Anfang eines Lastenausgleichs mit dem Soforthilfegesetz vom 6. September 1949 (GVBl. S. § 57) gemacht worden. Dieses Gesetz sei gemäß Art. 125 GG Bundesrecht geworden, da ihm fast gleichlautende Gesetze in den übrigen Ländern der französischen Besatzungszone entsprächen. Die Kompetenz der Länder zur Regelung von Lastenausgleichsschäden sei daher beim Erlaß des IWAG bereits gemäß Art. 72 Abs. 1 GG gesperrt gewesen.

II.

Von den nach §§ 82, 77 BVerfGG gehörten Stellen haben sich die Bundesregierung, der Landtag und die Landesregierung Rheinland-Pfalz, die dem Verfahren gemäß § 82 Abs. 2 BVerfGG beigetreten sind, und der Beteiligte im finanzgerichtlichen Berufungsverfahren geäußert. Sie waren auch in der mündlichen Verhandlung vertreten.

Der Beteiligte im finanzgerichtlichen Berufungsverfahren hält mit dem Finanzgericht das IWAG für verfassungswidrig.

Die durch den Bundesminister der Finanzen vertretene Bundesregierung kommt zu dem gleichen Ergebnis. Sie hält das IWAG wegen Verstoßes gegen die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für das Währungs- und Geldwesen (Art. 73 Nr. 4 GG) und gegen die Ertrags- und Verwaltungshoheit des Bundes für einmalige Vermögensabgaben (Art. 106 Abs. 1 und Art. 108 Abs. 1 GG) für verfassungswidrig.

Der Landtag und die durch den Minister der Justiz vertretene Landesregierung hingegen sind der Auffassung, das IWAG sei verfassungsmäßig. Sie treten den Rechtsausführungen des vorlegenden Gerichts und der übrigen Beteiligten entgegen und stützen die Zuständigkeit des Landes zum Erlaß des IWAG darauf, daß es sich um die Beseitigung von Folgen besatzungsrechtlicher Maßnahmen handle.

C.

Der Antrag des Finanzgerichts ist nach Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 BVerfGG zulässig. Gemäß § 80 Abs. 1 BVerfGG ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wenn es sich wie beim IWAG um Landesrecht handelt, über das zuständige oberste Gericht des Landes einzuholen. Das Finanzgericht ist nach dem Landesgesetz über die Errichtung eines Finanzgerichts für das Land Rheinland-Pfalz vom 11. August 1949 (GVBl. S. 383) das zuständige oberste Gericht des Landes.

Die Vorlage ist auch nicht deshalb unzulässig, weil das Weiterleitungsschreiben des Finanzgerichts nur von dem Vorsitzenden des Gerichts unterzeichnet ist. Aus dem Inhalt des Schreibens ergibt sich zweifelsfrei, daß der Vorsitzende als Repräsentant des Gerichts, nicht als Organ der Verwaltung gehandelt hat (BVerfGE 2, 266 [271]).

D.

Die Frage nach der Vereinbarkeit des IWAG mit dem Grundgesetz ist zunächst eine Frage der Gesetzgebungskompetenz des Landes. Ihre Beantwortung hängt davon ab, was Materie des Gesetzes ist.

I.

Das Gesetz knüpft ausdrücklich an die auf Befehl der Besatzungsmacht erfolgten Intendanturweinlieferungen der Winzer des Landes Rheinland-Pfalz an die Zentralkellereien an. Die Besatzungsmacht hatte zunächst die Winzer zur Hingabe von Sachwerten gegen Reichsmark und die Zentralkellereien zur Vorratshaltung über den Zeitpunkt der Währungsreform hinaus gezwungen; nach der Währungsreform hat sie die auf Grund ihrer Anordnungen noch vorhandenen Vorräte freigegeben und auf diese Weise den von ihr angeordneten Weinauflagen nachträglich die sachliche Grundlage entzogen. Die Kompetenz des Landes zum Erlaß des IWAG könnte deshalb daraus hergeleitet werden, daß dieses Gesetz Folgen der Intendanturweinauflagen zu beseitigen unternimmt. Eine solche Zuständigkeit würde dem Land auch nach Errichtung der Bundesrepublik gemäß Art. 30, 70 GG grundsätzlich verblieben sein.

Diese Gesetzgebungszuständigkeit des Landes könnte hier entfallen, wenn etwa die durch die Intendanturweinaktion eingetretene Rechtslage bereits durch Bundesrecht, z. B. durch das bürgerliche Recht, geregelt wäre oder wenn durch die zur Folgenbeseitigung angewandten Mittel in Bundeskompetenzen eingegriffen würde. Darauf kommt es indes hier nicht an, weil das IWAG eine Folgenbeseitigung nicht zum Gegenstand hat.

Schon die Vorgeschichte des Gesetzes spricht nicht dafür. Nach dem 20. Juni 1948 wandte das Land seine Aufmerksamkeit der Frage zu, in welcher Form die Winzer an den "Währungsgewinnen" der Zentralkellereien beteiligt werden könnten. Der Staatsminister Stübinger sprach in der 33. Sitzung des Landtags vom 15. Juli 1948 von einem "gerechten Ausgleich", der geschaffen werden müßte, und in der 34. Sitzung vom 16. Juli 1948 zielte ein von der SPD eingebrachter Dringlichkeitsantrag darauf ab, den Winzern nachträglich den vor der Währungsreform gelieferten Wein in Deutscher Mark zu vergüten. Auch in einem Schreiben des Finanzministeriums des Landes an die französische Militärregierung vom 10. August 1948 wird von einer Nachzahlung an die Winzer aus den von der Intendantur an die Zentralkellereien geleisteten DM-Beträgen gesprochen (Protokoll über die Sitzung des Sonderausschusses über die Intendanturweinfrage vom 21. November 1950 S. 121 f.). Damals konnte von einer Folgenbeseitigung noch nicht die Rede sein, weil der Intendanturwein zu diesem Zeitpunkt noch nicht freigegeben war.

Als die Landesregierung am 28. September 1948 den ersten Gesetzentwurf einbrachte,hatte die Besatzungsmacht erst wenige Tage vorher, am 15. September 1948, auf weitere Weinlieferungen verzichtet. Die Überschrift dieses Entwurfs "Bewirtschaftung und Sicherstellung von Währungsgewinnen der Zentralkellereien für den Lastenausgleich", die Begründung und die erste Lesung zeigen deutlich, daß nicht die Übereignung des Weines auf Grund der Intendanturweinaktion rückgängig gemacht oder ihre Folgen zugunsten der Winzer ausgeglichen, sondern daß die "Währungsgewinne" der Zentralkellereien für den allgemeinen Lastenausgleich sichergestellt werden sollten.

Die Landesregierung hat lediglich von den am 15. September 1948 freigegebenen 8 Millionen Litern Intendanturwein einen Aufschlag von 50 Pfennigen je Liter für weinbaufördernde Maßnahmen erhoben und den Rest des Intendanturweines den Zentralkellereien nach vollständiger Freigabe durch die Besatzungsmacht ohne Auflage zur freien Verfügung überlassen. Damit hat jedenfalls die Landesregierung zu erkennen gegeben, daß sie die Intendanturweinauflagen als abgewickelt betrachtete. Der Landtag, dem diese Haltung der Regierung bekannt war, hat die Freigabe des Weines weder verhindert noch nachträglich mißbilligt. Als er sich zwei Jahre später erneut mit der Intendanturweinauflage befaßte, tat er es wiederum nur unter dem Gesichtspunkt der von den Zentralkellereien erzielten "Währungsgewinne". In den Beratungen des damals eingesetzten Sonderausschusses zur Prüfung der Intendanturweinfrage sind die Schäden und Gewinne, die durch die Intendanturweinlieferungen entstanden sind, als "reine Währungsgewinne und -verluste" angesehen worden (LT Rheinland-Pfalz, Prot. der Sitzung des Rechtsausschusses vom 14. März 1951 S. 2). Bezeichnend ist auch, daß auf Vorschlag des Justizministeriums zwar die Überschrift des Gesetzentwurfs geändert wurde (von "über Ausgleichsforderungen aus der Intendanturweinauflage 1948" in "zur Bereinigung der Folgen der Intendanturweinauflagen"), daß man aber dieser Änderung keine sachliche Bedeutung beimaß. Nach den Ausführungen eines Vertreters des Justizministeriums ist die Änderung nur "aus optischen Gründen" erfolgt, "und zwar einmal mit Rücksicht auf die Weinhändler, die evtl. Verfassungsklage erheben würden, zum anderen mit Rücksicht auf die Tatsache, daß dieses Gesetz die Bundesgesetzgebung über den Lastenausgleich tangiere" (LT Rheinland-Pfalz, Prot. der Sitzung des Agrarpolitischen Ausschusses vom 12. März 1951 S. 13). Schließlich hält der Bericht des Sonderausschusses, dessen Gesetzesvorschlag die Grundlage für das IWAG bildete, "das Verlangen der Winzer nach einem Ausgleich und einer zusätzlichen Zahlung in Deutscher Mark" für gerechtfertigt (LT Rheinland-Pfalz 1. Wahlperiode, Drucks. Abt. II Nr. 1751 S. 3763).

Vor allem aber ergibt der Inhalt des IWAG, daß die Beseitigung der Folgen von Besatzungsanordnungen – Beschlagnahme bei den Winzern vor der Währungsreform und Freigabe bei den Zentralkellereien nach der Währungsreform – nur der Anknüpfungspunkt, jedoch nicht der Gegenstand des Gesetzes ist. Denn die Ausgleichsabgabe wird nicht nur von dem Wein erhoben, den die Besatzungsmacht beschlagnahmt, dann aber nicht abgenommen, sondern freigegeben hat; vielmehr unterliegen der Ausgleichsabgabe auch die 6 129 493 Liter Wein, die die Zentralkellereien nach dem 21. Juni 1948 an die Besatzungsmacht geliefert haben. Dieses Quantum hat die Besatzungsmacht überhaupt nicht freigegeben, so daß von einer Folgenbeseitigung insoweit keine Rede sein kann.

Die 6 129 493 Liter Wein machen etwa ein Drittel des gesamten der Ausgleichsabgabe unterworfenen Weines aus. Wenn ein so erheblicher nicht freigegebener Teil ebenso zur Grundlage der Abgabepflicht gemacht worden ist wie der freigegebene Teil des Intendanturweines, dann wird deutlich, daß das IWAG keine Folgenbeseitigung zum Gegenstand haben kann. Es geht auch nicht an, die Zuständigkeit des Landes aus dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung nur für jene 6 129 493 Liter Wein zu verneinen, im übrigen aber zu bejahen. Denn die weitere Untersuchung zeigt, daß die gleiche Behandlung beider Posten nur Ausdruck eines einheitlichen anderen Rechtsgedankens ist. Dieser würde zerstört, wenn das Gesetz nur für rund zwei Drittel des von ihm erfaßten Weines durchzuführen wäre, ganz abgesehen davon, daß eine Feststellung des Lieferanten derjenigen Weine, die noch an die Besatzungsmacht geliefert worden sind, heute auch technisch unmöglich sein dürfte.

II.

1. Der einheitliche Gegenstand des Gesetzes ist ein teilweiser Ausgleich der Vermögensverschiebung, die dadurch eingetreten ist, daß die Winzer unter der Herrschaft der Verordnung Nr. 118 der französischen Militärregierung (J.O. 1947 S. 1211), die den bindenden währungsrechtlichen Grundsatz Mark gleich Mark aufstellte, ihren Wein für entwertetes Geld hergeben mußten, während die Zentralkellereien ihn nach der Währungsreform für wertbeständiges Geld verkaufen konnten. Nur so erklärt es sich, daß auch die 6 129 493 Liter, welche an die Besatzungsmacht geliefert worden sind, der Abgabe unterworfen werden. Das IWAG erhebt von den Erwerbern eine Abgabe in Höhe von 40% des 1:1 in Deutsche Mark umgerechneten Übernahmepreises (§ 3 Abs. 1) und gewährt den Erzeugern einen Ausgleichsanspruch, soweit sie als Entgelt weniger als 40% des 1:1 in Deutsche Mark umgestellten Übernahmepreises erhalten haben (§ 4). Damit räumt das IWAG, wenn auch auf dem Umweg über eine staatliche Abgabepflicht und einen Anspruch gegen den Staat, den Winzern für bestimmte Forderungen, die vor der Währungsreform beglichen worden sind, einen Nachzahlungsanspruch, d. h. eine Aufwertung ein. Der Staat hat dabei nur die Funktion einer Verrechnungsstelle. Das wird unterstrichen durch die Bestimmung des § 2 Abs. 2 IWAG, wonach die Abgabepflichtigen von der Abgabe befreit sind, soweit sie sich mit ihrem Anspruchberechtigten über den nachzuzahlenden Betrag gütlich geeinigt haben.

2. Solche Nachzahlungsverpflichtungen fallen nicht in den Bereich des Lastenausgleichs.

Von den Währungsschäden, für welche die Lastenausgleichsgesetzgebung einen Ausgleich vorsieht, hebt sich der im IWAG geregelte Sachverhalt deutlich ab: die Währungsgeschädigten hatten zur Zeit der Währungsreform offene Forderungen, während die Winzer, für die ein Härteausgleich erstrebt wird, bereits vor der Währungsreform wegen ihrer Kaufpreisansprüche fast ausnahmslos befriedigt worden waren. Die Winzer sind also nicht durch die Geldreform, sondern durch den vorangehenden Währungsverfall betroffen.

Der Begriff des Lastenausgleichs, wie er zuerst in der Präambel zum Währungsgesetz und in § 29 UG gebraucht wird, ist gesetzlich nicht definiert. Es kann dahingestellt bleiben, wieweit er durch die positive Gesetzgebung ausgedehnt werden könnte. Denn jedenfalls gehört zum Begriff des Lastenausgleichs, daß auf der Seite des Berechtigten "Verluste" entstanden sind (§ 29 UG). Die Geldgläubiger aber, deren Forderungen vor der Währungsreform beglichen worden sind, haben einen Verlust im Rechtssinne nicht erlitten. Sie werden infolge der Bindung an den Grundsatz Mark gleich Mark als vollbefriedigt angesehen, scheiden also schon begrifflich aus dem Kreis derjenigen aus, für die ein Lastenausgleich im Sinne der gegenwärtigen Gesetzgebung in Betracht kommt.

Das wird noch deutlicher, wenn man das Gesamtbild des Lastenausgleichs mit dem des Intendanturweinausgleichs vergleicht: Im Lastenausgleich sind Abgaben und Leistungen ohne Beziehung aufeinander geregelt; die Ausgleichsabgaben werden nach dem Gesamtvermögen des Ausgleichsschuldners (Vermögensabgabe, § 16 ff. LAG) oder doch unter Berücksichtigung gewisser Vermögenskomplexe (Hypothekengewinnabgabe § 91 ff. LAG, und Kreditgewinnabgabe, § 161 ff. LAG) bemessen, innerhalb deren Aktiva und Passiva, Vorteile und Nachteile ausgeglichen oder außergewöhnliche Verluste berücksichtigt werden. Bei den Ausgleichsleistungen für Härten werden von den durch die Neuordnung des Geldwesens verursachten Schäden nur Sparerschäden berücksichtigt, und auch diese nur in engen, sozial stark differenzierenden Grenzen. Es soll also nicht das unbillige Ergebnis eines einzelnen Geschäfts zwischen den Partnern ausgeglichen, sondern einer Gruppe von Sparern aus allgemeinen Mitteln ein gewisser Ausgleich für die besondere Benachteiligung eingeräumt werden, den sie vor allem im Vergleich zu Sachwertbesitzern und zu Pensions- oder Rentenberechtigten des öffentlichen Rechts erlitten hat. Das IWAG hingegen knüpft Ausgleichspflicht und Ausgleichsanspruch an bestimmte Weinkäufe und -verkäufe und macht – unabhängig von der übrigen Vermögenslage von Gläubigern und Schuldnern – den Gegenstand einzelner Rechtsgeschäfte zur Grundlage des Ausgleichs.

3. Die Begründung solcher spezieller Nachzahlungspflichten und -rechte gehört zur Materie des Währungsrechts. Das IWAG geht ebenso wie die Aufwertungsgesetzgebung nach der dem ersten Weltkrieg folgenden Inflation von der Tatsache des Währungsverfalls aus. Die Aufwertungsgesetzgebung brach mit der Fiktion Mark gleich Mark und gewährte deshalb in Gestalt der "Aufwertung" eine Umstellung nicht nur der laufenden, sondern auch der formell abgewickelten Verpflichtungen; dagegen lehnt das Umstellungsrecht von 1948 eine solche Rückwirkung ausdrücklich ab. Gemäß § 13 Abs 3 Satz 2 UG findet eine Umstellung der bei Beginn des 21. Juni 1948 bereits erloschenen Reichsmarkverbindlichkeiten nicht statt. Diese Bestimmung zieht die Folgerung aus dem Grundsatz, daß Reichsmark gleich Reichsmark sei, und bestätigt ihn. Galt dieser Grundsatz bis zum Währungsstichtag, so haben die mit Reichsmark beglichenen Geldforderungen nicht mehr bestanden, konnten also auch nicht umgestellt werden.

Jede Aufwertung formell abgewickelter Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit einer Währungsreform ist ebenso wie die Umstellung laufender Verbindlichkeiten ein Teil des Währungs- und Geldwesens. Dieses umfaßt nicht allein die besondere institutionelle Ordnung der Geldrechnung und der in ihr gültigen Zahlungsmittel, sondern auch die tragenden Grundsätze der Währungspolitik. Bei der Währungsreform von 1948 ist diese Zusammengehörigkeit von Währungs-, Umstellungs- und Aufwertungsrecht überdies in dem ausdrücklichen Ausschluß einer Umstellung bereits erfüllter Verbindlichkeiten deutlich in Erscheinung getreten (§ 13 Abs. 3 Satz 2 UG). Da das IWAG also, wenn man von dem formalen Umweg über eine staatliche Abgabe absieht, im wirtschaftlichen Ergebnis dem Anspruchsberechtigten eine Aufwertung gewährt, greift es in das Währungswesen ein.

Es kann dahingestellt bleiben, ob einem deutschen Gesetzgeber Eingriffe in das bisherige Währungswesen nicht schon deshalb verwehrt sind, weil es sich um Besatzungsrecht handelt. Denn jedenfalls gehört das Währungswesen gemäß Art. 73 Nr. 4 GG zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Das IWAG ist daher wegen Verstoßes gegen Art. 73 Nr. 4 in Verbindung mit Art. 71 GG verfassungswidrig und deshalb nichtig.