BGH, 11.11.1960 - 4 StR 387/60

Daten
Fall: 
Schuldstrafe nach § 17 JGG
Fundstellen: 
BGHSt 15, 224; JZ 1961, 581; MDR 1961, 340; NJW 1961, 687; NJW 1961, 278
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
11.11.1960
Aktenzeichen: 
4 StR 387/60
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Rotberg, Krumme, Lang-Hinrichsen, Flitner, Börtzler
Instanzen: 
  • LG Hagen
  • LG Arnsberg - 20.05.1960

Für die Frage, ob und in welcher Höhe die "reine Schuldstrafe" nach § 17 Abs. 2 JGG verhängt werden soll, ist in erster Linie das Wohl des Jugendlichen maßgebend. Von entscheidender Bedeutung sind daher die charakterliche Haltung und das gesamte Persönlichkeitsbild des Täters. Nach ihnen ist zu beurteilen, ob die Verhängung der Jugendstrafe erforderlich ist. Der äußere Unrechtsgehalt hat demgegenüber keine selbständige Bedeutung. Er ist im wesentlichen für die Frage heranzuziehen, welche Schlüsse er auf die Persönlichkeit des Täters und seine Schuld zuläßt. Gesichtspunkte des Schutzes der Allgemeinheit haben demgegenüber zurückzutreten.

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten Günter V. wird das Urteil des Landgerichts in Arnsberg vom 20. Mai 1960, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten seines Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen.
II. Die Revision des Angeklagten St. wird verworfen.

Dieser Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Der Angeklagte Günter V. ist wegen gemeinschaftlich mit seinem bereits rechtskräftig verurteilten Bruder begangenen schweren Diebstahls in 17 Fällen und wegen versuchten gemeinschaftlichen schweren Diebstahls in einem Fall zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden.

Der Angeklagte St. ist unter Freispruch im übrigen wegen Hehlerei in einem Falle zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Die Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden.

Günter V. hat seine Revision auf den Strafausspruch beschränkt. Der Angeklagte St. hat in vollem Umfang Revision eingelegt.

I. Revision des Angeklagten Günter V.

Das Landgericht hat zur Strafzumessung ausgeführt, daß Erziehungsmaßregeln bei dem Angeklagten nicht notwendig seien und Zuchtmittel nicht ausreichten, um das von ihm begangene Unrecht hinreichend zu sühnen. Sie hat das Vorliegen schädlicher Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG verneint. Es sei nicht festzustellen, daß der Jugendliche wegen Erziehungsmängeln oder aus einer sonstigen Fehlentwicklung heraus straffällig geworden sei. Vielmehr sei der Grund dafür in der - allerdings falsch verstandenen - Hilfsbereitschaft gegenüber seinen Eltern und seinem Bruder zu finden. Die Strafkammer hat die Verhängung der Jugendstrafe jedoch wegen der Schwere der Schuld für erforderlich gehalten, die er auf sich geladen habe. Er habe gemeinschaftlich mit seinem Bruder empfindlich gegen die Rechtsordnung verstoßen. Die von ihm ausgeführten Straftaten seien Verbrechen und ihre Zahl recht groß. Ihre laufende Ausführrung lasse eine erhebliche Stärke des verbrecherischen Willens erkennen. Auch der angerichtete Schaden sei recht beträchtlich. Von den insgesamt 22 Stück Großvieh, die der Angeklagte zusammen mit seinem Bruder entwendet habe, seien 20 Stück mit einem auf etwa 18 bis 20.000 DM anzusetzenden Wert für die Eigentümer endgültig verloren. Überdies seien die Bauern gerade hinsichtlich der Weidediebstähle besonders schutzwürdig.

Die Revision ist begründet.

Das Landgericht hat die Jugendstrafe lediglich auf die Schwere der Schuld gegründet (§ 17 Abs. 2 JGG). Sie hält sie wegen der Stärke des verbrecherischen Willens, des Umfanges des verschuldeten Erfolges und des Schutzbedürfnisses der Bauern gegen Weidediebstähle für erforderlich.

Es ist nicht auszuschließen, daß die Strafkammer das Wesen der reinen Schuldstrafe im Sinne des § 17 Abs. 2 letzter Halbsatz JGG verkannt hat. Wenn auch bei ihr der das Jugendgerichtsgesetz beherrschende Gedanke der Erziehung durchbrochen ist, so soll doch auch die Schuldstrafe dem Grundgedanken des Gesetzes entsprechend in erster Linie dem Jugendlichen dienen. Sie soll ihm das von ihm begangene Unrecht vor allem deshalb vor Augen führen, um seine eigene Sühnebereitschaft zu wecken. Dies ergibt sich u.a. aus dem Vergleich mit § 4 Abs. 2 des JGG von 1945, an dessen Stelle nunmehr § 17 Abs. 2 getreten ist. Jene Bestimmung ließ die Bestrafung eines Jugendlichen mit Jugendgefängnis zu, wenn das Schutz- und Sühnebedürfnis der Volksgemeinschaft die Strafe erforderte. Für die Änderung dieser Bestimmung war in erster Linie der Gedanke maßgebend, daß in ihr eine Überbetonung des Schutzbedürfnisses und des Sühnebedürfnisses der Allgemeinheit lag (Amtl. Begründung S. 40 in Drucksachen des BT Nr. 5264 I. Wahlperiode). Nach der gegenwärtigen Bestimmung des § 17 JGG und dem Grundgedanken des Gesetzes soll jedoch allgemein das Wohl des Jugendlichen im Vordergrund stehen. Dies gilt auch für die reine Schuldstrafe. Daher kommt es für die Beurteilung der Schuld weitgehend auf die charakterliche Haltung und das gesamte Persönlichkeitsbild des Jugendlichen an, während der Gesichtspunkt des Schutzes der Allgemeinheit zurücktritt. Mithin ist die innere Tatseite, dagegen nicht das äußere Geschehen von entscheidender Bedeutung. Dieses hat nur insoweit Berücksichtigung zu finden, als es auf das Maß der persönlichen Schuld und die charakterliche Haltung des Täters Schlüsse zuläßt. Daher kann auch der im Schrifttum vertretenen Auffassung, die Schuldstrafe käme vorzugsweise bei Kapitalverbrechen in Betracht (vgl. z.B. Potrykus JGG 4. Aufl. 1955 § 17 Bem. 4 b S. 208), in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Denn hierbei wird zu stark die Schwere des sachlichen Unrechts betont. Wie erwähnt, hat diese jedoch gegenüber der Berücksichtigung des Umfangs der Schuld, insbesondere also der charakterliehen Haltung des Täters, der Stärke seines verbrecherischen Willens, seiner Beweggründe und der Zwecke, die er mit der Tat verfolgte, zurückzutreten. Vor allem darf der Strafzweck der Abschreckung anderer (BGH JR 1954 S. 149; BGH GA 1954, 309; 1955, 364- jeweils bei Herlan -) keine Rolle spielen. Denn dieser Gesichtspunkt berücksichtigt nicht das Interesse des Jugendlichen, das, wie hervorgehoben, das Jugendgerichtsgesetz beherrscht.

Nach der Urteilsbegründung liegt es nahe, daß das Landgericht der Auffassung war, für die Bemessung der Strafe sei in erster Linie der Unrechtsgehalt und nicht die Schuld maßgebend. Dafür spricht jene Erwägung, daß es sich um einen empfindlichen Verstoß gegen die Rechtsordnung handele, daß die Straftaten Verbrechen seien, die Zahl der Diebstähle und der durch sie angerichtete Schaden groß seien und die Bauern gegenüber Weidediebstählen eines besonderen Schutzes bedürften. Wenn die Strafkammer allerdings weiterhin auch auf die erhebliche Stärke des verbrecherischen Willens und damit auf einen unmittelbar die Schwere der Schuld beeinflussenden Umstand hinweist, so erweckt doch das. Übergewicht der übrigen Ausführungen den Anschein, sie habe ihre Erwägungen zu einseitig auf Zahl und Umfang der allerdings sehr erheblichen Diebstähle gestützt. Dies wäre rechtsirrig. Der Verdacht, es liege ein Rechtsverstoß vor, ist um so größer, als das Landgericht ersichtlich für die Beurteilung der Schuld die entscheidenden Gesichtspunkte nicht in vollem Umfang herangezogen hat. Es erwähnt außerhalb seinen Erwägungen zur "Schwere der Schuld" als Grundlage der Jugendstrafe und zu deren Höhe, der Angeklagte habe sich zu den Diebstahlstaten wegen der Verschuldung seiner Eltern und seines Bruders bereit gefunden, er habe ferner unmittelbare Vorteile aus der Tat nicht gezogen und dies auch nicht beabsichtigt. Es müsse auch zu seinen Gunsten davon ausgegangen werden, daß ihn sein fast um das Doppelte älterer Bruder zur Begehung der Straftaten verleitet habe. Weiterhin habe er ein umfassendes Geständnis abgelegt und tatkräftig zur Aufdeckung des Sachverhalts beigetragen. Er sei einsichtig und jetzt offensichtlich von ehrlicher Reue erfüllt. Diese Umstände, die für die Beurteilung des Umfanges der Schuld von maßgebender Bedeutung waren, haben jedoch bei den Ausführungen, in welcher Höhe wegen der Schwere der Schuld eine Verhängung der Jugendstrafe erforderlich sei, unmittelbar keine Erörterung gefunden.

Das Urteil mußte daher im Strafausspruch aufgehoben werden.

Sollte der Tatrichter in der neuen Verhandlung wieder zur Verhängung einer Jugendstrafe gelangen, so wird er Gelegenheit haben, bei der Bemessung der Höhe der Strafe die genannten Gesichtspunkte und die sonstigen Angriffe der Revision zum Strafmaß zu berücksichtigen.

II. Revision des Angeklagten Stange.

Der Beschwerdeführer richtet sich mit seinen Ausführungen im wesentlichen gegen die vom Tatrichter vorgenommene Beweiswürdigung. Diese braucht jedoch nicht zwingend zu sein. Es genügt, daß sie möglich ist, d.h., daß sie nicht gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstößt, Fehler in dieser Richtung enthält das Urteil jedoch nicht.

Die in diesem Zusammenhang erhobene Aufklärungsrüge ist nicht in der erforderlichen Weise begründet worden. Der Beschwerdeführer hat keine bestimmten Beweismittel zur Klärung der Frage angegeben, ob sich der Angeklagte in anderen Fällen von seinen Lieferanten die Zahlung des Kaufpreises hat quittieren lassen. Im übrigen kann diese Rüge nicht darauf gestützt werden, daß das Gericht den Sachverhalt durch weiteres Befragen des Angeklagten hätte klären können. Das Revisionsgericht kann nicht nachprüfen, welche Fragen an den Angeklagten in der Hauptverhandlung gerichtet worden sind.

Auch gegen die Annahme, der Angeklagte habe seines Vorteils wegen gehandelt, ergeben sich keine rechtlichen Bedenken. Das Landgericht führt aus, der Beschwerdeführer habe durch den Weiterverkauf des Viehs "den üblichen Geschäftsgewinn" erzielen, daneben "möglicherweise" auch mit dem Angeklagten Johannes Voss weiterhin im Geschäft bleiben wollen. Der letztere Gesichtspunkt kann deshalb keine Berücksichtigung finden, weil das Landgericht hierüber keine eindeutigen Feststellungen getroffen hat. Es ist jedoch in Rechtsprechung und Schrifttum allgemein anerkannt, daß das Erstreben des üblichen Geschäftsgewinns zur Erfüllung des Merkmals "seines Vorteils wegen" genügt (Rspr. des Reichsgerichts in Strafsachen 2, 771; RG JW 1935 S. 126; RGSt 58, 122; LK 8, Aufl. § 259 Anm. 5 d S. 433 a. E.; Schönke-Schröder StGB 9. Aufl. 1959 § 259 VIII 3 a S. 953; Schwarz StGB 22. Aufl. 1958 § 259 3 C S. 630).

Da das Urteil auch im übrigen keine Rechtsverstöße zum Nachteil des Angeklagten erkennen läßt, war die Revision zu verwerfen.