RG, 07.01.1880 - III 650/80

Daten
Fall: 
Berechnung der Revisionssumme
Fundstellen: 
RGZ 3, 419
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.01.1880
Aktenzeichen: 
III 650/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Gießen
  • OLG Darmstadt

Berechnung der Revisionssumme nach dem höheren Werte des Kaufobjektes anstatt nach dem Kaufpreise? Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist wegen Verhinderung der Prozeßvertreter?

Tatbestand

Die Beklagten und Revisionskläger stritten im Armenrechte. Dem ihnen in erster Instanz beigegebenen Armenanwalte war das die Beklagten nach dem Klagantrage verurteilende Landgerichtserkenntnis am 5. April 1880 zugestellt worden. Rechtzeitig suchten die Beklagten um Zulassung zum Armenrechte in zweiter Instanz nach. Der ihnen am 21./23. April zur Einlegung und Ausführung der Berufung bestellte Rechtsanwalt H. zu Darmstadt wendete sich sofort an den Offizialanwalt erster Instanz um Mitteilung der Handakten; das Schreiben ging jedoch, weil mit Porto belastet, uneröffnet zurück. Als sich demnächst Rechtsanwalt H. durch Einsicht der Gerichtsakten überzeugte, daß das Urteil erster Instanz bereits zugestellt sei, war die Notfrist zur Einlegung der Berufung abgelaufen. Das eingereichte Gesuch um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde vom Oberlandesgericht verworfen. Zur Rechtfertigung der Revision wurde ausgeführt: "Die Revisionsfähigkeit der Sache ergebe sich daraus, daß die Beklagten den streitigen Kaufvertrag nur unter der Voraussetzung für rechtsverbindlich erachteten, daß der Kläger - der getroffenen Abrede gemäß - den bereits erzielten Mehrerlös der Hofraithe herausgebe und auch den etwaigen Mehrerlös aus den übrigen Grundstücken zur Tilgung der Schulden der Beklagten und Revisionskläger verwende. Jener allein betrage aber zugestandenermaßen schon 1850 M., es übersteige somit der Wert des Beschwerdeobjekts weitaus die Revisionssumme. Zur Sache erscheine es als ein unabwendbarer Zufall im Sinne des §. 211 C.P.O. sowohl für die Beklagten als deren Prozeßvertreter in der Berufungsinstanz, daß sie, wie hinreichend bescheinigt, von der am 5. April 1880 erfolgten Zustellung des Landesgerichtsurteiles vom 12. März 1880 an den Prozeßbevollmächtigten erster Instanz erst im Juni 1880 bei Einsicht der Gerichtsakten Kenntnis erlangt hätten." Das Reichsgericht wies die Revision zurück aus folgenden Gründen:

Gründe

1.

"Mit Unrecht bestreitet der Revisionsbeklagte die Erwachsenheit der Sache. Zwar beträgt der Kaufpreis der fraglichen Immobilien nur 1420 M.; allein die Beklagten und Revisionskläger weigern sich, den mit dem Kläger abgeschlossenen Kaufvertrag zu erfüllen, wenn nicht in dem gerichtlich auszufertigenden Kaufbriefe die von ihnen behaupteten weiteren Abreden aufgenommen würden, inhaltlich deren Kläger sich verpflichtet haben soll, die Hofraithe nebst Hausgärten demnächst unentgeltlich auf die Kinder der Verkäufer übergehen zu lassen und den etwaigen Mehrerlös der übrigen Grundstücke zur Tilgung von Schulden der Verkäufer zu verwenden. Nun ist es nicht bestritten, daß Kläger die Hofraithe allein bereits um 1850 M. anderweit verkauft hat, während das Vorbringen der Beklagten im übrigen durch die mit der Berufungsschrift vorgelegte Abschrift der ersten Kaufnote vom 3. Februar 1879 hinreichend bescheinigt wird. Es mag dahingestellt bleiben, ob der Wert des Streitgegenstandes durch Einreden des Beklagten erhöht werden kann; denn in einem Fall der vorliegenden Art kommt überhaupt nicht der Kaufpreis, beziehungsweise der Wert derjenigen Leistungen, zu denen sich der klagende Käufer erbietet, sondern nur der bescheinigte höhere Wert des Kaufgegenstandes, den der beklagte Verkäufer herausgeben soll, als Beschwerdeobjekt in Betracht. Dieser höhere Wert muß, unter den hier obwaltenden Verhältnissen, für die Zeit der Klagerhebung auf mindestens 1850 M. angeschlagen werden.

2.

Dagegen war die Beschwerde in der Hauptsache als unbegründet zu verwerfen.

Nach der eigenen Behauptung der Revisionskläger ist das Landgerichtsurteil vom 12. März 1880 dem ihnen in erster Instanz beigeordneten Vertreter, Rechtsanwalt W., schon am 5. April 1880 von dem Gegenanwalt ordnungsmäßig zugestellt worden. Diese Zustellung an den Prozeßbevollmächtigten, der nach §. 81 C.P.O. die Partei repräsentiert, wirkte ohne weiteres gegen die letztere. Es kommt überall nichts darauf an, ob der gedachte Anwalt seine Partei von der Zustellung in Kenntnis setzte oder nicht, vielmehr ist für die Statthaftigkeit des Gesuches um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein entscheidend, ob jener Vertreter durch einen unabwendbaren Zufall im Sinne des §. 211 C.P.O. verhindert war, die geeigneten Schritte zur Einhaltung der Berufungsfrist zu thun. Eine derartige Verhinderung ist von den Revisionsklägern nicht einmal behauptet, noch weniger glaubhaft zu machen versucht worden.

Legt man jedoch das Hauptgewicht nicht sowohl auf die Unthätigkeit des Prozeßbevollmächtigten erster Instanz, als auf eine etwaige Verhinderung des den Revisionsklägern in zweiter Instanz durch Verfügung vom 21./23. April 1880 beigeordneten Rechtsanwaltes H., so konnte auch dieser nach den Umständen des Falles Vorkehrungen zur Wahrung der damals noch im Laufe befindlichen Notfrist treffen. Er konnte dies ebensowohl dadurch, daß er das an den Anwalt erster Instanz gerichtete Schreiben vom 24. April 1880 portofrei absendete, wie auch dadurch, daß er sofort nach seiner Bestellung als Vertreter der Beklagten das Rechtsmittel der Berufung vorsorglich einlegte.

Ob den genannten Vertretern die Nichteinhaltung der Berufungsfrist zum Verschulden gereiche, ist nicht weiter zu untersuchen. Denn auf den Mangel eines Verschuldens der Prozeßbevollmächtigten oder auch der Partei allein kann ein Restitutionsgesuch wegen Ablaufs einer Notfrist nicht gestützt werden, es ist vielmehr die Abwesenheit eines solchen Verschuldens nur eine der Voraussetzungen, welche nach §.211 C.P.O. zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand berechtigt." ...