RG, 30.09.1920 - VI 229/20

Daten
Fall: 
Goldklausel
Fundstellen: 
RGZ 100, 79
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
30.09.1920
Aktenzeichen: 
VI 229/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

1. Darf das Gericht unentschieden lassen, welches örtliche Recht anzuwenden sei?
2. Verhältnis bei Goldklausel zu der Klausel, daß der deutsche Schuldner die Gefahr des Sinkens der deutschen Valuta zu tragen habe.
3. Verstößt es gegen Treu und Glauben oder gegen die guten Sitten, wenn eine Schweizer Hypothekenbank von der letzteren Klausel gegen den deutschen Darlehensschuldner Gebrauch macht?

Tatbestand

Laut notarieller Urkunde vom 28. Juni 1912 hat die Klägerin - eine Bodenkreditbank in Basel - der Beklagten ein hypothekarisch gesichertes Darlehen von 970000 M. zu 4 3/4 % verzinslich gegeben. Die Urkunde bestimmt, daß Erfüllungsort für sämtliche vertraglichen Verpflichtungen das Geschäftslokal der Klägerin in Basel oder ein von ihr bezeichneter Ort im Deutschen Reiche sei. Sodann heißt es:

"Daselbst haben alle Zahlungen auf Gefahr und Kosten der Entleiher ... in Reichsgoldmünzen zu erfolgen.

Falls jedoch im Moment des Eintreffens der Zahlungen am Erfüllungsort der Kurs der deutschen Währung in Basel tiefer stehen sollte als am Tage der Auszahlung des Darlehens, so hat der Schuldner den aus der Kursdifferenz sich ergebenden Betrag an den Gläubiger zu entrichten."

Die Beklagte hat am 4. September 1919 die am 15. März und 15. Juni 1919 fällig gewesenen Zinsbeträge von 21037,50 M gezahlt, dagegen nicht den Kursunterschied, den sie bei früheren Zahlungen beglichen hatte. Klägerin berechnet ihn auf 101102,55 M und fordert diese Summe von der Beklagten im Urkundenprozeß.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Kammergericht die Beklagte nach Antrag verurteilt. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe

Die Kammer für Handelssachen hat die Klage abgewiesen, weil die streitige Vertragsklausel der Klägerin nur gegen gewisse Kursschwankungen der deutschen Goldwährung Schutz gewähren sollte, die auch damals, aber in engen Grenzen vorgekommen seien. Der Krieg und die folgenden Ereignisse hätten jedoch die deutsche Währung derart umgestürzt, daß die jetzigen Kursunterschiede überhaupt nicht solche seien, wie sie die Parteien bei Abschluß des Vertrags im Auge gehabt haben könnten. Sie stellten eine Erscheinung dar, für die die Vertragsklausel wohl nach ihrem Wortlaut, aber nicht nach ihrem Sinn beredet worden sei, also einen im Vertrag nicht vorgesehenen Fall, dessen Entscheidung nach §§ 157, 242 BGB. zu finden sei. Es sei ausgeschlossen, daß, wenn die Parteien an diesen Fall gedacht hätten, die Klägerin der Beklagten eine solche Last zugemutet, die Beklagte sie übernommen haben würde. Der Anspruch auf den Kursunterschied sei deshalb unbegründet.

Hiergegen führt das Berufungsgericht aus: Die Goldklausel und die Vereinbarung über den Kursunterschied behandelten verschiedene Fälle, die sich gegenseitig weder bedingten noch ergänzten, sondern voneinander unabhängig seien. Danach hätten die Parteien den jetzt eingetretenen Fall ausdrücklich geregelt und die Gefahr des Sinkens der deutschen Valuta der Beklagten auferlegt. Ob sie dabei nur an geringe Kursschwankungen gedacht oder vorausgesehen hätten, es könne jemals die deutsche Währung so tief sinken wie gegenwärtig, sei unerheblich. Nicht der geringste Anhalt liege vor, daß sie bei Voraussicht der gegenwärtigen Zustände eine anderweite Vereinbarung getroffen hätten. Im Gegenteil: habe der Gläubiger das Darlehen nur gewähren wollen, wenn der Schuldner selbst geringe Kursschwankungen trage, so treffe dies um so mehr zu, wenn die Schwankungen einen größeren Umfang annähmen und der Klägerin erhebliche Verluste drohten. Dem Schuldner, der das Darlehen wünschte, würde anderseits nichts übrig geblieben sein, als sich dem Verlangen des Gläubigers zu fügen. Der Klageanspruch sei daher vertraglich gerechtfertigt.

Fraglich sei nur, ob seine Geltendmachung wider Treu und Glauben verstoße oder einen Rechtsmißbrauch darstelle. Dies sei nach deutschem wie nach schweizerischem Recht zu verneinen. Möge Klägerin auch in größerem Maße Geschäfte in Deutschland machen, so habe sie doch ihre Niederlassung im Ausland und müsse dort ihre Verpflichtungen in ausländischer Währung erfüllen. Es sei daher nicht zu beanstanden, wenn sie verlange, daß gemäß dem Vertrag ihre Forderung unter Vergütung des Kursunterschiedes zu einem Betrag bezahlt werde, der der ausländischen Währung entspreche.

Das Berufungsgericht läßt die Frage, ob deutsches oder schweizerisches Recht anzuwenden sei, unentschieden, weil die Vorschriften der beiden Rechte für den vorliegenden Fall übereinstimmten. Das Reichsgericht hat ein solches Verfahren mehrfach mißbilligt (RGZ. Bd. 71 S. 10; Warneyer 1915 Nr. 311, 1917 Nr. 151), weil nur das eine oder das andere Recht maßgebend sein könne und der deutsche Richter dieses Recht zu ermitteln habe, hier greift deutsches Recht Platz. In dem Vertrag der Parteien ist zwar das Geschäftslokal der Klägerin in Basel als Erfüllungsort bestimmt, der Klägerin jedoch das Recht eingeräumt, einen Ort im Deutschen Reich als Erfüllungsort zu bezeichnen, hiervon hat sie nach der unwidersprochenen Angabe der Beklagten Gebrauch gemacht, indem sie diese am 3. September 1914 anwies, die Zahlungen bei der Diskonto-Gesellschaft in Berlin auf das Konto der Klägerin bei der Süddeutschen Diskonto-Gesellschaft in Mannheim zu leisten. Hiezu tritt, daß die Klägerin einen größeren Teil ihrer Geschäfte in Deutschland macht, der Vertrag in Berlin geschlossen und ein Grundstück in Charlottenburg beliehen wurde.

Die Vertragsauslegung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte die Gefahr des Sinkens der deutschen Valuta zu tragen habe und daß diese Vereinbarung von der Goldklausel unabhängig sei, deshalb von der durch die deutsche Kriegsgesetzgebung bewirkten Unmöglichkeit, in Reichsgoldmünzen zu zahlen, nicht berührt werde, entspricht dem Wortlaut der Urkunde, ist jedenfalls möglich und nicht rechtsirrig. Die dagegen sich richtende Bemängelung der Revision kann keine Beachtung finden. Auf die bedenkliche Bemerkung des Berufungsgerichts, daß die Parteien den Vertrag geschlossen hätten, auch wenn sie den Sturz der deutschen Währung, wie er eingetreten ist, vorausgesehen hätten, kommt nichts an. Es ist wohl ausgeschlossen, daß die Beklagte im Jahre 1912 sich zu einer solchen Vereinbarung in Erkenntnis der Folgen, wie sie sich herausgestellt haben, verstanden haben würde. Für die Wirksamkeit eines Vertrags ist es aber regelmäßig ohne Belang, ob ihn die Parteien geschlossen haben würden, wenn sie die spätere Entwicklung der Verhältnisse, die sich für eine von ihnen äußerst ungünstig gestaltete, vorausgesehen hätten.

Ohne Rechtsirrtum hat aber auch das Berufungsgericht verneint, daß die Klägerin wider Treu und Glauben oder das Anstandsgefühl rechtlich und billig denkender Menschen verstößt, wenn sie ihr vertragsmäßiges Recht ausübt. Dies würde dann etwa anzunehmen sein, wenn sie in Ausbeutung der unglücklichen deutschen Währungsverhältnisse und der Notlage der Beklagten deren wirtschaftliche Existenz vernichtete, um selbst einen in sich nicht gerechtfertigten, unangemessenen Gewinn daraus zu ziehen; wenn sie also einen Teil ihrer Geschäfte endgültig in Deutschland machte und die riesigen Kursvergütungen, die ihr zufallen, gar nicht zur Anschaffung von Franken, sondern in Deutschland zum billigen Erwerb von Sachgütern oder zur Ausleihung auf solche mit unverhältnismäßigem Nutzen dauernd verwendete. Die darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat aber keine greifbaren Unterlagen dafür beigebracht, daß sich die Klägerin anstandswidrig auf ihre Kosten bereichere. Hiezu genügt nicht, daß sie in Deutschland Geschäfte macht und das von der Beklagten bezahlte Geld in Deutschland wieder anlegt. Hingegen hat die Klägerin vorgetragen, ohne einem Widerspruch der Beklagten zu begegnen, daß sie die Darlehensbeträge in Franken zu Buch stehen habe und die dafür ausgegebenen Pfandbriefe und Obligationen in Frankenwährung verzinsen müsse. Dies ist nach der Natur des Hypothekenbankgeschäfts dahin zu ergänzen, daß sie gegebenenfalls die Pfandbriefe und Obligationen in Frankenwährung auch einlösen muß. Hierzu würde sie aber nicht oder nur unter eigenen großen Verlusten imstande sein, wenn ihre deutschen Darlehensschuldner mit dem Nennwert ihrer kranken Valuta ihren Verpflichtungen nachkommen dürften. Wenn auch ein Schutz des deutschen Valutaschuldners wünschenswert wäre, so würde es doch unbillig und für den deutschen Kredit verderblich sein, ihn, wie es das Landgericht getan hat, allein auf Kosten des ausländischen Gläubigers zu suchen.