RG, 18.03.1919 - VII 217/18

Daten
Fall: 
Stempelbefreiung eines Bergwerkes
Fundstellen: 
RGZ 95, 170
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.03.1919
Aktenzeichen: 
VII 217/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hannover
  • OLG Celle

1. Welche Zollbehörde ist für die Geltendmachung einer Reichsabgabe gegenüber einer Gewerkschaft zuständig, die neben ihrem Sitze noch einen besonderen Verwaltungssitz in einem anderen Bundesstaate hat?
2. Sind die von einer Gewerkschaft ausgeschriebenen Einzahlungen stempelfrei, wenn die Gewerkschaft es unternimmt, ein anderes Bergwerk pachtweise zu betreiben, und für diesen Betrieb Zubußen ausschreibt, die zu dessen Erhaltung in seinem bisherigen Umfange bestimmt sind?
3. Handelt es sich um den Betrieb eines Bergwerks "in seinem bisherigen Umfange", wenn an Stelle eines abgebauten Stollens ein neuer tieferer Stollen geschlagen wird?

Tatbestand

Die Klägerin hat im Jahre 1911 von dem Freiherrn von S. dessen abgebautes Flußspat-Bergwerk "Gottesgabe" unter Ausbedingung eines Vorkaufsrechts auf 20 Jahre gepachtet und Zubußen von insgesamt 215000 M eingezogen, um damit einen neuen tieferen Stollen zu schlagen. Der Beklagte hat hierfür einen Zubußenstempel von 5988 M eingezogen, dessen Rückzahlung die Klägerin mit der Klage beansprucht. Das Landgericht wies die Klage ab; die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Auch die Revision blieb erfolglos.

Gründe

"Gegen die Rechts- und Parteifähigkeit der Klägerin, die von Amts wegen zu prüfen waren, haben sich Bedenken nicht ergeben. Die Klägerin hat ihren Sitz in Gotha und daneben einen Verwaltungssitz in Hannover. Die Bestimmung eines bloßen Verwaltungssitzes neben dem eigentlichen Sitze ist bei der Gewerkschaft ebenso wie bei der Aktiengesellschaft (RGZ. Bd. 59 S. 108) zulässig (Urt. des RG. vom 19. Januar 1918 V 225/17). Die für den Verwaltungssitz zuständige preußische Oberzolldirektion Hannover, nicht aber die für Gotha zuständige Zollbehörde war im vorliegenden Falle befugt, den Stempel, der nicht eine Landesabgabe, sondern eine Reichsabgabe darstellt, für das Reich einzuziehen, und die auf Rückzahlung gerichtete Klage war dementsprechend gegen die Oberzolldirektion Hannover, wie geschehen, zu richten. Das ergibt sich schon daraus, daß die nach § 116 Abs. 3 des Reichsstempelgesetzes vom 3. Juli 1918 zur Kontrolle der Stempelverwendung erforderliche Einsicht der auf die Stempelpflicht bezüglichen Schriftstücke und Geschäftsbücher naturgemäß nur an dem Orte vorzunehmen ist, an dem die Verwaltung der Gewerkschaft geführt wird.

In der Sache selbst ist die gesetzliche Grundlage für die Entscheidung nicht nur in der allein vom Berufungsrichter in Bezug genommenen Tarifnr. 1B Abs. 2 des Reichsstempelgesetzes vom 3. Juli 1913, sondern auch in der freilich gleichlautenden Vorschrift der Tarifnr. 1d Abs. 3 des Gesetzes vom 15. Juli 1909 zu suchen, da ein Teil der hier in Betracht kommenden Einzahlungen schon vor dem 1. Oktober 1913, dem Tage des Inkrafttretens des Gesetzes vom 3. Juli 1913 (§ 124 das.), ausgeschrieben worden war. Die Stempelpflicht ist an sich begründet. Dazu genügt die Tatsache, daß die klagende Gewerkschaft von ihren Gewerken Beiträge eingefordert hat (RGZ. 79 S. 110). Nur darüber streiten die Parteien, ob die Befreiungsvorschrift durchgreift, nach der die Abgabe ausgeschlossen ist, wenn die Einzahlungen zur Deckung von Betriebsverlusten oder - was hier allein in Frage steht - "zur Erhaltung des Betriebs in seinem bisherigen Umfange" bestimmt waren und verwendet worden sind. Der Berufungsrichter hält die Befreiungsvorschrift aus zwei selbständigen Gründen für unanwendbar, einmal deshalb, weil hier die Zubußen nicht zur Erhaltung des Betriebs in seinem bisherigen Umfange bestimmt gewesen seien, dann aber auch deshalb, weil die Zubußen nicht vom Eigentümer des Bergwerks, für das sie bestimmt waren, sondern vom Pächter des Bergwerks (Klägerin) ausgeschrieben worden seien. Ob der letztere Grund zutrifft, bedarf nicht der Prüfung, da dem Berufungsrichter im Ergebnis, wenn auch zum Teil aus anderen als den von ihm mitgeteilten Erwägungen, darin beizustimmen ist, daß der erstgenannte Grund der Anwendung der Befreiungsvorschrift entgegensteht.

Sieht man zunächst von der persönlichen Beziehung der Rechtsperson, die die Einzahlungen ausgeschrieben hat, zu dem Bergwerke, für dessen Betrieb sie bestimmt waren, ab, so ist nicht zu bezweifeln, daß - objektiv betrachtet - die ausgeschriebenen Einzahlungen dazu bestimmt waren, den Betrieb des Bergwerks "Gottesgabe" in seinem bisherigen Umfange zu erhalten. Nach dem maßgebenden ... Tatbestand ist unstreitig die Ausschreibung erfolgt, "um damit einen neuen tieferen Stollen zu schlagen und dadurch das Bergwerk, dessen damaliger Betrieb sonst nicht hätte weitergeführt werden können, wieder betriebsfähig zu machen". Der Betrieb ist danach, wenn überhaupt, dann doch nur vorübergehend, dadurch unterbrochen worden, daß der höhere Stollen schon abgebaut war. Damit stimmt auch der unbestritten gebliebene Inhalt des vorgetragenen Schriftsatzes der Klägerin vom 17. Januar 1918 überein, wonach das Bergwerk Gottesgabe vor der im Jahre 1911 erfolgten Verpachtung an die Klägerin im Pachtbesitze des Bergbauunternehmers St. war, der den alten Stollen zum größten Teil ausgebaut hatte. Es gehört zum ordnungsmäßigen Betrieb eines Bergwerks, daß allmählich ein Teil des zu erbeutenden Minerals abgebaut und zu dessen Ersatz neues Mineral innerhalb des Grubenfeldes aufgesucht und durch neue Stollen zugänglich gemacht wird. Darin ist keine Erweiterung des Betriebs zu finden; die Absicht geht vielmehr dahin, den Betrieb, der ertragslos oder ertragsarm geworden ist oder zu werden droht, wieder zu einem wie bisher ertragsreichen zu machen. Auf demselben Standpunkte stehen die auch für das Gesetz vom 3. Juli 1913 anzuwendenden, vom Bundesrat zur Auslegung des Reichsstempelgesetzes vom 15. Juli 1909 aufgestellten Grundsätze vom 23. Mai 1912. nach deren Nr. 3a steuerfrei bleiben solche Ausgaben, die sich aus der allmählichen Erschöpfung der Lagerstätten ergeben, also bei einer bestehenden Bergwerksanlage die Kosten für die Bildung neuer Sohlen in größeren Tiefen, sowie die Errichtung neuer bergbaulicher Anlagen in andern Teilen des Grubenfeldes, sofern dafür eine ältere Anlage von ähnlicher Leistungsfähigkeit eingeht. In solchen Fällen handelt es sich nicht um Erweiterung, sondern um Erhaltung des Betriebs. Die dafür aufgewendeten Geldbeträge sollen steuerfrei bleiben, da der Staat selbst an der Erzeugung bergmännischer Ausbeute ein großes eigenes Interesse hat und deshalb die Erhaltung des Betriebs bestehender Bergwerke durch Steuererleichterung fördern will.

Von einer Erhaltung "des Betriebs in seinem bisherigen Umfange" im Sinne der Befreiungsvorschrift kann aber nur die Rede sein, wenn diejenige Rechtsperson, die bisher das Bergwerk betrieben hat - regelmäßig also die Gewerkschaft, der das Bergwerk gehört, - selbst ihren bisherigen Betrieb fortsetzen will und zu diesem Zwecke die erforderlichen Einzahlungen ausschreibt. Eine solche steuerlich schutzwürdige Erhaltung des Betriebs in seinem bisherigen Umfange liegt aber nicht vor, sondern die Neueröffnung eines Betriebs, wenn, wie im vorliegenden Falle, eine Gewerkschaft über ihren bisherigen Bergwerksbetrieb hinaus es unternimmt, ein anderes Bergwerk pachtweise zu nutzen, und von ihren Mitgliedern Beiträge zu dem Zwecke einzieht, diesen neuen Betrieb gewinnbringend zu gestalten. Dann handelt es sich für sie um eine die Steuerbefreiung ausschließende Erweiterung ihres bisherigen Betriebs und um eine neue Kapitalanlage zu gesellschaftlichen Zwecken, die sich nicht schon als Folge des bisherigen gesellschaftlichen Betriebs als wirtschaftlich notwendig erwies.

Zu demselben Ergebnis gelangt man übrigens auch bei Anwendung des vom erkennenden Senat in seinem Urteile RGZ. Bd. 79 S. 108 ausgesprochenen und näher begründeten Grundsatzes, daß die Stempelbefreiung nicht durchgreift, wenn die Zubuße durch den Betrieb eines anderen Bergwerks als desjenigen verursacht worden ist, auf dessen Grundlage sich die die Zubußen ausschreibende Gewerkschaft gebildet hat. Nicht entgegen steht das Urteil RGZ. Bd. 89 S. 311."