RG, 18.12.1917 - II 292/17

Daten
Fall: 
Darlehen an die Genossen
Fundstellen: 
RGZ 91, 335
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.12.1917
Aktenzeichen: 
II 292/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG München I
  • OLG München

1. Darf eine Genossenschaft, denn Zweck die Gewährung von Darlehen an die Genossen ist, in der Satzung und in den Darlehnsverträgen bestimmen, daß die Darlehen im Falle des Austritts des Genossen vorzeitig gekündigt werden können?
2. Ist die Wirksamkeit des Austritts von der Rückzahlung des Darlehens abhängig?

Tatbestand

Die Beklagte ist eine eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht; Gegenstand ihres Unternehmens ist die Gewährung von Darlehen an die Genossen. Laut § 7 der Satzung ist der freiwillige Austritt jedem Genossen am Jahresschlusse nach vorheriger einjähriger Kündigung gestattet, § 18 bestimmt, daß die Beklagte die gewährten Darlehen, außer in den vertragsmäßig festgesetzten Fällen, beim Ausscheiden des Darlehnsnehmers aus der Genossenschaft zurückfordern darf; in diesem Falle jedoch nur nach vorausgegangener halbjähriger Kündigung.

Der Kläger ist seit 1903 Genosse mit 91 Anteilen im Gesamtbetrage von 9100 M. Er hat von der Beklagten im Februar 1903 gegen Bestellung von Hypothek ein Darlehen von 350.000 M in Pfandbriefen mit 3 3/4 % Zinsen und 1 1/2 % Amortisation bewilligt erhalten. Im Mai 1913 wurde über das teilweise abbezahlte Darlehen ein neuer Hypothekenbrief errichtet, beschränkt auf 335.000 M mit 4 % Zinsen und 1/3 % Tilgung, zusammen 4 1/3 % Annuitäten während 54 aufeinanderfolgender Jahre. Die Darlehnsurkunde enthält die Bestimmung: "Wir (der Kläger und seine Frau) unterwerfen uns der außerordentlichen Kündigung des Kapitals 1. beim Ausscheiden des Schuldners aus der Genossenschaft. ... Die Bank wird jedoch eine halbjährige Kündigungsfrist vom Tage der Austrittserklärung ab einhalten."

Durch Schreiben vom 28. November 1916 erklärte der Kläger seinen Austritt mit Wirkung auf Ende 1917 und machte zugleich den Anspruch auf Auszahlung der 9100 M nach gesetzlicher Frist geltend. Die Beklagte erwiderte am 30. November, sie erkenne den Austritt nur für den Fall an, wenn der Kläger spätestens bis zum 31. Dezember 1917 die Rückzahlung des Hypothekendarlehens von 335.000 M bindend in Aussicht stelle. Ferner erklärte sie, daß sie mit ihrer Darlehnsforderung gegen den Anspruch auf Auszahlung der 9100 M aufrechne. Demgegenüber blieb der Kläger nicht nur dabei stehen, daß er Ende 1917 ausscheide und sein Geschäftsguthaben sechs Monate später fällig sei, sondern er bestritt auch die Möglichkeit, mit dem Darlehen aufzurechnen, weil dadurch das gesetzlich gewährleistete Recht auf freien Austritt aus der Genossenschaft beeinträchtigt werde. In diesem Sinne erhob er Feststellungsklage.

Die Vorinstanzen gaben dem Kläger im ersten Punkte recht, nicht aber im zweiten. Die Revisionen beider Parteien wurden zurückgewiesen.

Gründe

"Durch § 65 GenG. soll eine übermäßige Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit der Genossen verhütet werden. Es darf daher für den Austritt höchstens eine zweijährige Kündigungsfrist festgesetzt werden; alle Vorschriften der Satzung wie auch jedes Nebenabkommen, welche den Austritt erschweren, sind ohne rechtliche. Wirkung. Danach sind also solche Bestimmungen oder Abreden unerheblich, welche den ausscheidenden Genossen für die Zeit nach seinem Austritte belasten, indem sie z. B. eine Pflicht zur Enthaltung von Wettbewerb oder zu besonderen Leistungen für den Zweck der Genossenschaft über den Austritt hinaus festsetzen. Keineswegs bestimmt oder bezweckt aber das Gesetz, daß der Genosse, vor allen Nachteilen, die der Austritt aus der Genossenschaft nach sich ziehen kann, bewahrt werden muß.

Im Gegenteil ist es selbstverständlich, daß, wer als Genosse ausscheidet und somit aufhört, die Lasten der Genossenschaft zu tragen, auch die Vorteile, die sie ihren Mitgliedern bietet, nicht mehr genießen kann. Sind diese Vorteile erheblich und hat der Genosse seinen Gewerbebetrieb darauf eingerichtet, so kann es dahin kommen, daß er sie nicht wohl entbehren kann und daß der Austritt für ihn wirtschaftlich unmöglich wird. Eine solche Erschwerung des Austritts wird aber nicht durch Vorschriften der Satzung oder durch Nebenabreden begründet. Sie führt nicht dahin, daß die Genossenschaft im Interesse der wirtschaftlichen Freiheit dem ausscheidenden Genossen die Vorteile, die sie ihren Mitgliedern bietet, weiter zu gewähren hätte.

Derartiges beansprucht der Kläger im Streitfalle. Die Sache liegt nicht anders, als wenn bei einer Rohstoff- oder Verkaufsgenossenschaft ein Genosse dauernd seine Rohstoffe billig durch die Genossenschaft bezieht oder seine Erzeugnisse vorteilhaft durch sie absetzt. Er mag dadurch in eine gewisse Abhängigkeit von der Genossenschaft geraten, die ihm das Ausscheiden erschwert. Das führt nicht dahin, daß nach dem Grundsatze des § 65 die Genossenschaft verpflichtet wäre, ihm, wenn er austritt, weiterhin dienstlich zu sein. Grundsätzlich ebenso liegt der Streitfall. Die Beklagte dient gemäß dem Zwecke ihres Unternehmens dem Kläger dadurch, daß sie ihm ein Kapital, das sie durch genossenschaftlichen Kredit aufbringt, darlehnsweise gegen Hypothek gegeben hat und dauernd beläßt. Wollte der Kläger diesen Vorteil fernerhin genießen, so mußte er Genosse bleiben. Er kann nicht fordern, daß das Kapital, das die Genossenschaft aufbringt, zu seiner Verfügung bleibt, wenn er nicht mehr durch seine Mitgliedschaft zur Stützung des genossenschaftlichen Kredits mitwirken will. Daß im Streitfalle der Kläger, wenn er infolge Austritts aufhört, die Vorteile der Genossenschaft zu genießen, etwas herauszugeben hat, während in den zum Vergleiche herangezogenen Fällen die Genossenschaft einfach aufhört, zu leisten, macht rechtlich keinen Unterschied.

Ein Widerspruch zwischen § 65 und § 8 GenG., der die Gewährung von Darlehen an Nichtmitglieder verbietet, besteht hiernach nicht. Die Vorschrift der Satzung, laut der die Beklagte beim Ausscheiden des Darlehnsnehmers zur Kündigung des Darlehens berechtigt sein soll, und die entsprechende Abrede in der Darlehnsurkunde laufen dem § 65 durchaus nicht zuwider. Sie sind keine Bestimmungen, die den Austritt durch Auflage besonderer Pflichten erschweren, sondern führen nur den selbstverständlichen Grundsatz durch, daß, wer die Lasten der Mitgliedschaft nicht mehr tragen will, auch ihre Vorteile nicht mehr genießen kann. Wenn einem Genossen der Austritt dadurch erschwert wird, daß er sich wirtschaftlich von den Vorteilen der Genossenschaft abhängig gemacht hat, so kann hiergegen nicht der § 65 angerufen werden.

Danach ist also die Revision des Klägers unbegründet. Aber auch das Rechtsmittel der Beklagten kann keinen Erfolg haben.

Die Beklagte meint, der Kläger könne nicht ausscheiden, solange das Darlehen nicht getilgt sei, und sie macht geltend, daß es für ihn ein geringeres Übel bedeute, Genosse zu bleiben, als wenn er den gesamten Betrag des Darlehens zurückzahlen müsse. Dies letztere mag auf sich beruhen. Es hängt davon ab, in welchem Verhältnisse die Darlehnbedingungen zu dem jeweiligen Zinsfüße für Hypotheken stehen, sowie seiner von dem Risiko, das die Zugehörigkeit zu der beklagten Genossenschaft mit sich bringt. Jedenfalls ist es Sache des Klägers, dies selbst zu beurteilen, und niemand hat ihn darin zu bevormunden. Von der Rückzahlung des Darlehens ist die Wirksamkeit der Ausrittserklärung aber nicht abhängig. Der klare Grundsatz des § 65, daß jeder Genosse das Recht hat, durch Aufkündigung seinen Austritt aus der Genossenschaft zu erklären, schneidet diesen Einwand ab."