RG, 16.11.1917 - III 240/17

Daten
Fall: 
Pflichten des Gerichtsvollziehers
Fundstellen: 
RGZ 91, 179
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.11.1917
Aktenzeichen: 
III 240/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Königsberg
  • OLG Königsberg

Pflichten des Gerichtsvollziehers bei eiligen Zustellungsaufträgen, insbesondere Pflicht zur Überwachung der Zustellung durch die Post und zur Übermittelung der Postzustellungsurkunde an die Partei.

Tatbestand

Dem Kläger war zum Bau des seine Besitzung durchschneidenden masurischen Schiffahrtskanals ein Geländestück enteignet und der die Entschädigung hierfür auf 8040,28 M festsetzende Beschluß des Bezirksausschusses Königsberg vom 11. Januar 1913 am 24. desselben Monats zugestellt worden. Darauf hatte der Justizrat N. als Prozeßbevollmächtigter des Klägers eine vom 14. Juli 1913 datierte Klage auf Entschädigung in Höhe von 31.560 M gegen den Königlich Preußischen Fiskus, Staatsbauverwaltung, vertreten durch den Regierungspräsidenten in Königsberg, beim Landgerichte Königsberg eingereicht. Diese am 16. Juli bei Gericht eingelaufene Klageschrift enthielt auf der ersten Seite rechts oben den maschinenschriftlichen Vermerk Gilt! Zustellung vor dem 23. Juli 1913 und links oben unter dem Rubrum die Worte Wert des Streitgegenstandes 30.000 bis 32.000 M. Sie war am 17. Juli vom Vorsitzenden mit Terminsbestimmung unter der Überschrift Eilt versehen und am 13. Juli dem Gerichtsvollzieher E. als dem Gerichtsvollzieher für schleunige Aufträge mit einem auf der ersten Seite aufgeklebten Zettel zugegangen, worin es hieß An den zuständigen Herrn Gerichtsvollzieher für schleunige Aufträge. Zuzustellen dem Beklagten vor dem 23. Juli 1913. Justizrat N. Königsberg. E. hatte am 18. Juli die Post in der Form des § 194 ZPO. um Zustellung ersucht, dies auch auf der letzten Seite der Klagschrift gemäß § 194 Abs. 2 bezeugt, aber bis zum 22. Juli der Erledigung durch die Post in keiner Weise nachgefragt. Erst an diesem Tage schrieb er dem Postamt unter dem Vermerk Eilt sehr: die Postzustellungsurkunde ist bisher nicht zurückgelangt, ich ersuche daher ... nach dem Verbleibe derselben Ermittelungen anzustellen und das Ergebnis derselben baldgef. hierher mitteilen zu wollen. Sollte dieselbe verloren gegangen sein, so wird um Ausfertigung der anl. Doppelurkunde gebeten. Dieses Schreiben erhielt er am 23. Juli zurück mit der darunter gesetzten, mit Siegel versehenen Erklärung des das Journal und die Registratur für den Masurischen Kanal führenden technischen Eisenbahnsekretärs K.: der vorbezeichnete Brief ist am 19. Juli zugestellt worden und mit der Rückschrift des Postamts: zurück ... mit der vorstehenden Empfangsbestätigung. Noch am 23. Juli ersuchte E. das Postamt, beiliegende Doppelurkunde durch den betreffenden Postboten nachträglich ausfüllen und von demselben in die Urkunde aufzunehmen, daß die Übergabe des Briefes am 19. Juli erfolgt ist. Dieses ist erforderlich, da die Urkunde der Klage beigefügt werden muß, da sonst das Gericht den Verhandlungstermin nicht abhält. Darauf antwortete das Postamt mit dem am gleichen Tage dem E. zugegangenen Schreiben vom 24. Juli: der in Rede stehende Brief ist der Empfangsstelle als gewöhnlicher Brief zugegangen, eine ordnungsmäßige Zustellung hat nicht stattgefunden. Ein Doppel der Urkunde kann daher nicht ausgefertigt werden.

Auf diese Zustellungsvorgänge hin war die Klage gegen den Fiskus, Staatsbauverwaltung, von den Instanzen rechtskräftig abgewiesen worden, weil mangels einer ordnungsmäßigen Klagzustellung die für Beschickung des Rechtswegs im Enteignungsgesetze bestimmte sechsmonatige Frist nicht gewahrt worden sei. Der Kläger hatte dem Justizfiskus den Streit verkündet.

Die gegenwärtige Klage fordert von dem Justizfiskus Ersatz des hierdurch erwachsenen Schadens von 23.519,72 M mit der Begründung, der Vorprozeß sei durch Verschulden des Gerichtsvollziehers E. verloren gegangen. Sie wurde vom Landgericht abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen, da den Gerichtsvollzieher kein Verschulden treffe. Die Revision des Justizrats N., der in zweiter Instanz dem Kläger beigetreten war, hatte Erfolg.

Gründe

Soweit der Beklagte entgegen der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozesse darzulegen sucht, daß die formlose Mitteilung der Klagschrift vom 14. Juli 1913 an den Regierungspräsidenten eine Zustellung sei oder als solche zu gelten habe, kann er nicht gehört werden, da ihm im Vorprozesse vom Kläger der Streit verkündet war (§§ 68, 74 ZPO.).

Der Berufungsrichter weist den Vorwurf, E. habe die Zustellung selbst besorgen müssen, deshalb zurück, weil bis zum Ablaufe des 22. Juli noch vier volle Tage zur Zustellung offen standen; weil es sich ferner um eine Zustellung gehandelt habe, wie sie täglich vorkomme; und weil schließlich die Höhe des Streitwerts ohne Einfluß habe bleiben dürfen. Dieser Erwägung stehen Bedenken entgegen. Der Zustellungsauftrag war als ein eiliger und befristeter (bis zum Ablaufe des 22. Juli) erteilt. Es handelte sich deutlich erkennbar um eine befristete Sache, in der die Zulässigkeit des Streites um einen Wett von 30.000 bis 32.000 M von Einhaltung der Zustellungsfrist abhing. Es handelte sich auch nicht um eine völlig einfache Zustellung, da sie an den Fiskus (ZPO. §§ 18, 51, 171, 164. Geschäftsanweisung für den Gerichtsvollzieher vom 1. Dezember 1899 § 29, neue Fassung vom 24. März 1914 § 32), nicht an eine Privatperson erfolgen sollte. Eine nicht seltene, dem E. unmöglich unbekannt gebliebene Erfahrung zeigt, daß den Postboten vermöge ihrer geringeren Schulung bei der Zustellung, und zwar auch bei Zustellungen einfacher Art, Irrtümer und Versehen unterlaufen, die bei Zustellung durch den eine bessere Fachausbildung besitzenden Gerichtsvollzieher selbst ausgeschlossen sind. Die Gefahr etwaiger Versehen eines Postboten durch eigene Zustellung zu vermeiden, lag um so näher, als die eigene Zustellung nur einen Gang zu der an demselben Orte befindlichen Amtsstelle des Regierungspräsidenten nötig machte. Bei Anwendung besonderer Sorgfalt mußte der gerade für schleunige Aufträge aufgestellte Gerichtsvollzieher zu dem Entschlusse kommen, selbst zuzustellen. Jedoch kann und soll dahinstehen, ob E. schon darum seine Amtspflicht verletzt hat. Denn sein Verhalten bei der von ihm gewählten Zustellung durch die Post ergibt zweifelsfrei eine Amtspflichtverletzung.

Die Zustellung hatte gemäß dem Auftrage vor dem 23. Juli, spätestens am 22. Juli zu erfolgen. Es war also nicht rechtzeitig, sondern verspätet, als E. erst an diesem 22. Juli eine schriftliche Bitte um Ermittelungen nach dem Verbleibe der Zustellungsurkunde an das Postamt richtete. Die schriftliche Antwort darauf war erst am 23. Juli zu erwarten und lief denn auch erst an diesem Tage ein. Am 23. Juli aber war der Auftrag nicht mehr erfüllbar, falls die Antwort ergab, daß inzwischen die Zustellung gar nicht oder mangelhaft erfolgt war. Die durch § 35 Nr. 12 der Geschäftsanweisung von 1899 (neue Fassung § 38 Nr. 13) eingeschärfte Pflicht zur Kontrolle der rechtzeitigen Erledigung und der Inhalt des Auftrags (Zustellung vor 23. Juli) erforderten eine Erkundigung derart, daß die Nachholung der Zustellung noch am 22. Juli offen blieb. E. mußte also entweder persönlich beim Postamt und bei der Regierungsstelle klare Auskunft einholen, und zwar spätestens am 21. Juli, dem dritten Tage nach Beauftragung der Post, äußersten Falles am Morgen des 22. Juli. Oder er mußte, wenn er sich zunächst mit schriftlicher Anfrage beim Postamte begnügte, diese am 20. Juli, nicht erst am 22., ergehen lassen. Der Beklagte hatte auch zunächst in erster Instanz irrtümlich geltend gemacht, E. habe schon am 20. Juli an das Postamt geschrieben. So hätte E. selbst am 21. oder am Morgen des 22. das Fehlen einer Zustellungsurkunde erkundet, oder es wäre ihm die Erklärung des K. am 21. (statt am 23.) und die Endmitteilung des Postamts, daß keine Zustellung stattgefunden habe, am 22. (statt am 24.) zugekommen. Bei derartiger Erkundigung und bei sofortigem Benehmen mit dem Revisionskläger als dem Auftraggeber hätte die rechtzeitige Nachholung der Zustellung stattgefunden, entweder noch am 22. Juli oder erst am 23. oder 24. Juli; noch an diesen beiden Tagen war die Zustellung zur Einhaltung der sechsmonatigen Frist genügend. Der Revisionskläger hatte nur vorsorglich, damit er die rechtzeitige Zustellung um so gewisser erreiche, die Zustellung schon vor dem 23. Juli vom Gerichtsvollzieher gefordert.

Es kommt nicht darauf an, ob E., wie der Berufungsrichter meint, der Erklärung des K. und ihrer Vorlegung als einer Empfangsbestätigung durch das Postamt vertrauen durfte. Er mußte in jedem Falle die Zustellungsurkunde selbst haben. Daher hat er sich auch mit der Erklärung des K. nicht begnügt, sondern sich durch Schreiben vom 23. Juli um Erlangung der Zustellungsurkunde bemüht. Dies war aber eben verspätet. Die Pflicht zu unverzüglicher Übergabe der Zustellungsurkunde an den Auftraggeber ist durch § 34 Nr. 4, § 35 Nr. 13 GA. (neue Fassung § 37 Nr. 4, § 38 Nr. 13) besonders eingeschärft (vgl. § 190 Abs. 4. § 195 Abs. 3 ZPO.). Zu diesem Behufe mußte E. unbedingt dafür sorgen, daß die Postzustellungsurkunde der von ihm schon am 18. Juli beauftragten Post sofort in seine Hände gelangte und durch ihn dem Auftraggeber zukam, und dieses sofort bedeutete spätestens am 22. Juli. Es stand eine im Auftrage befristete, an demselben Orte auszuführende Zustellung in einer eiligen und wichtigen Sache in Frage. Der Auftrag war schon am 18. Juli dem Gerichtsvollzieher und der Post zugegangen. Nach § 23, neu § 25 GA. (spätestens am Tage nach dem Empfange zu erledigen) hätte E. selbst bei eigener Zustellung auch ohne den Eilvermerk schon am 19. Juli zustellen müssen. Im Sinne dieses § 23 und des § 6, neu § 7 (die Erledigung darf nicht verzögert werden) hatte er die rechtzeitige Erledigung durch die Post zu kontrollieren. Der Eil- und Fristvermerk im Auftrage bezweckte selbstverständlich nicht, die dienstvorschriftliche Erledigungsfrist für alle Zustellungsaufträge (spätestens am Tage nach Empfang) zu verlängern, sondern sie bezweckte, schleunigste Erledigung und jedenfalls Erledigung innerhalb der Auftragsfrist einzuschärfen. E. mußte also die Postzustellungsurkunde mindestens am 22. Juli in die Hände des Auftraggebers bringen, sie sich selbst also spätestens am Morgen dieses 22. Juli verschaffen. Dieser Obliegenheit würde er, auch wenn er, statt am 22., schon am 20. Juli bei dem Postamte schriftlich nachgefragt und am 21. die Erklärung des K. erhalten hätte, keineswegs entbunden gewesen sein; um so weniger, als das Ausbleiben der Postzustellungsurkunde bis in den 21. Juli, obschon nach der Erklärung des K. die Zustellung schon am 19. erfolgt war, die Besorgnis einer Ordnungswidrigkeit erregen mußte. Eine solche Besorgnis hatte T. sogar schon vor Empfang der Erklärung des K. tatsächlich gehabt. Denn er hatte schon am 22. Juli dem Postamte geschrieben, sollte die Postzustellungsurkunde verloren gegangen sein, so werde um Ausfüllung der Doppelurkunde gebeten, und er wiederholte nach Empfang der Erklärung des K. eben diese Bitte um Fertigung der Doppelurkunde. Er durfte aber mit Erkundigung und Nachforschung nicht so lange zuwarten, bis ihm selbst wegen des Ablaufs von vollen drei Tagen die Besorgnis des Verlustes der Zustellungsurkunde aufstieg. Das war eine Verletzung seiner Kontrollpflicht (§ 35 Nr. 12 GA.). Aus diesem tatsächlichen Verhalten des E. geht auch hervor, daß er durchaus nicht, wie der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsbeklagten einwendet, der Meinung war und sich darauf verließ, der formlose Einlauf der Klagschrift in die Hände des Regierungspräsidenten werde die Wirkung einer förmlichen Zustellung haben. Einer solchen Meinung durfte er auch nicht sein; die Frage, ob und welche Wirkung der formlose Einlauf haben könnte, ging ihn nichts an.

Die Pflicht des Gerichtsvollziehers, sich im Falle eines von ihm nicht zu hebenden Anstandes, insbesondere eines Anstandes bei der Zustellung durch die Post, sofort mit dem Auftraggeber ins Benehmen zu setzen, ist die Kehrseite und Ergänzung der Obliegenheit zu unverzüglicher Übergabe der Zustellungsurkunde an den Auftraggeber. Kann die Zustellungsurkunde im richtigen Zeitpunkte nicht übergeben werden, so muß der Auftraggeber zu eben dieser Zeit erfahren, warum die Übergabe nicht erfolgt. Die Übergabepflicht sowohl als die Pflicht zur Mitteilung, daß und warum sie nicht erfüllt wird, ergeben sich aus dem Amtsverhältnisse zwischen Gerichtsvollzieher und Auftraggeber, kraft dessen folgerichtig auch die Kontrolle der Erledigung durch die Post eine Amtspflicht gegenüber dem Auftraggeber ist. Beide Obliegenheiten sind nur Ausflüsse dieses Amtsverhältnisses, welches den Gerichtsvollzieher im allgemeinen verbindet, dem Auftraggeber sofort alle erforderlichen Nachrichten, also auch über das Ergebnis der Kontrolle im Falle einer Zustellung durch die Post, zu geben, um ihm so die Wahrung seiner Interessen zu ermöglichen. E. mußte also bei dem Sachverlaufe, zu dem es durch sein Verschulden gekommen war, als er am 24. Juli aus der Zuschrift des Postamts das Fehlen einer Zustellung erfuhr, noch an eben diesem Tage ohne jeden Verzug dem Revisionskläger Mitteilung machen und ihm überlassen, ob eine Nachholung der Zustellung noch am 24. Juli möglich und zweckdienlich war.

Der Revision ist hiernach stattzugeben und festzustellen, daß der Gerichtsvollzieher E. sich einer für den vom Kläger behaupteten Schaden ursächlichen Amtspflichtverletzung schuldig gemacht hat.