RG, 20.05.1884 - III 99/84

Daten
Fall: 
Vermeintlich zu Unrecht eingeforderten Stempelabgabe
Fundstellen: 
RGZ 11, 96
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.05.1884
Aktenzeichen: 
III 99/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kassel
  • OLG Kassel

Ist der Rechtsweg zulässig im Falle der Rückforderung einer von einer preußischen Steuerbehörde auf Grund der Nr. 4 a des Reichsstempeltarifes (Schlußnotenstempel) vermeintlich zu Unrecht eingeforderten Stempelabgabe?

Tatbestand

Das von der Königl. preußischen Provinzialsteuerdirektion zu Kassel ressortierende Hauptsteueramt zu Frankfurt a. M. forderte von einer dortigen Bank für zwei Briefe eines Kunden derselben, von denen der erste die Bestätigung eines von der Bank für den Korrespondenten vorgenommenen Einkaufes von Wertpapieren, der zweite die Bestätigung eines Einkaufes und eines Verkaufes von Wertpapieren enthielt, auf Grund der Nr. 4a. des Tarifes des Reichsstempelgesetzes vom 1. Juli 1881 ( Schlußnotenstempel) wegen eines jeden dieser drei Geschäfte eine Stempelgebühr von 20 Pf., also im ganzen 60 Pf. ein. Nachdem die Bank unter Vorbehalt des Rechtsweges die verlangte Summe gezahlt hatte, stellte sie gegen die Königl. Provinzialsteuerdirektion zu Kassel als Vertreterin des Königl.. Fiskus eine Klage auf Rückerstattung derselben an. Die Beklagte schützte die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges vor. In den beiden Vorinstanzen wurde diese Einrede für begründet erachtet und demnach die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde das Urteil des Berufungsgerichtes aufgehoben und unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteiles die vorgeschützte Einrede verworfen und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das erste Gericht zurückverwiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das angefochtene Urteil beruht auf der Annahme, daß erstens die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges behufs der Rückforderung der streitigen, von einer preußischen Behörde eingeforderten Reichsstempelabgabe nach preußischem Rechte zu beurteilen sei, und daß zweitens nach dem somit anzuwendenden §. 11 des preußischen Gesetzes vom 24. Mai 1881 betreffend die Erweiterung des Rechtsweges im vorliegenden Falle der Rechtsweg unzulässig sei.

In ersterer Beziehung ist der Ansicht der Vorinstanz beizupflichten. Nach den Vorschriften des Reichsstempelgesetzes vom 1. Juli 1881 sind die Angelegenheiten des Reichsstempelwesens von den durch die Landesregierungen zu bezeichnenden Landesbehörden und Landesbeamten wahrzunehmen (§§. 26 Abs. 1. 2 a. a. O.); die Kontrolle über dieselben liegt den Landesregierungen ob (Abs. 3 a. a. O.). Die Landesgesetze sind maßgebend sowohl hinsichtlich der Befugnisse der Aufsichtsbehörden (§§. 27 a. a. O.), als auch hinsichtlich der Beitreibung der Reichsstempelabgaben (§§. 29). Jedem Bundesstaate wird als Vergütung seiner Erhebungs- und Verwaltungskosten ein Prozentsatz seiner jährlichen Einnahme gewährt (§. 31). Der Nettoertrag der Abgaben fließt in die Reichskasse (§. 32), und ist derselben durch die Landeskassen im Wege monatlicher Abrechnungen zuzuführen (§. 12 der Bestimmungen über die Erhebung und Verwaltung der Reichsstempelabgaben, Reichscentralbl. 1881 S. 305). Nach allem diesen ist die Erhebung und Verwaltung der Reichsstempelabgaben reichsgesetzlich - im wesentlichen ebenso, wie diejenige der Zölle und Verbrauchssteuern (Art. 36 der Reichsverfassung) - jedem Bundesstaate innerhalb seines Gebietes überlassen. Die betreffenden Behörden und Beamten stehen nicht in unmittelbaren Beziehungen zu dem Reiche und zu den Reichsbehörden, sie fungieren vielmehr als Landesbehörden und Landesbeamte, also als Organe des Bundesstaates, welchem sie angehören. Die Abgaben werden zu den Landeskassen erhoben und die Bundesstaaten haben sich über die erhobenen Beträge mit dem Reiche auseinanderzusetzen. Wie hieraus folgt, daß ein Anspruch auf Rückzahlung einer vermeintlich zu Unrecht eingeforderten Reichsstempelabgabe nicht gegen den Reichsfiskus, sondern nur gegen den Fiskus des Bundesstaates, welcher durch seine Organe die Abgabe eingefordert hat, erhoben werden kann, vgl. Urt. des I. Civilsenates des Reichsgerichtes vom 2. Februar 1884 in Sachen des Generalsteueramtes zu Bremen gegen die Bremer Gewerbebank, Rep. I. 482/83,1 so muß in Gemäßheit der in dem reichsgerichtlichen Urteile2 entwickelten Grundsätze auch die Zulässigkeit des Rechtsweges von dem Rechte dieses Bundesstaates abhängen.

Dagegen ist die dem angefochtenen Urteile zu Grunde liegende Auffassung des preußischen Rechtes für unrichtig zu erachten. Nach dem §. 11 des Gesetzes vom 24. Mai 1861 ist der Rechtsweg zulässig, wenn es sich um einen Wertstempel oder einen nicht nach dem Betrage des Gegenstandes zu bemessenden (also fixen) Vertragsstempel handelt. Unter dem Ausdrucke "Vertragsstempel" müssen alle aus dem Grunde der Beurkundung eines Vertrages geforderte Stempel verstanden werden, sodaß nichts darauf ankommt, ob die betroffenen Urkunden in dem Tarife als Verträge bezeichnet oder unter anderen Benennungen (Kautionsinstrumente, Cessionsinstrumente etc) aufgeführt sind, und es auch keinen Unterschied machen kann, ob der Stempel nur bei einer zweiseitigen, oder auch bei einer einseitigen Beurkundung des Vertrages zu verwenden ist. Daß diese Auffassung auch der Absicht des Gesetzgebers entspricht, ergiebt sich aus den Motiven des §. 11,3 welche sagen:

"In diesen Fällen (nämlich des Wertstempels und des Vertragsstempels), welche übrigens allein zu Zweifeln Anlaß geben können und am zahlreichsten sind, da außerdem fast nur noch die Gesuchs- und ähnliche Stempel und die als Verbrauchssteuern sich qualifizierenden Kalender-, Karten- und dergleichen Stempel übrig bleiben, steht den Gerichten die zur Anwendung des Gesetzes erforderliche und Fachkenntnis in erhöhterem Maße zu, als den Verwaltungsbehörden, da es allermeist behufs richtiger Anwendung des Tarifes auf die Entscheidung von Rechtsfragen ankommt."

Und so ist auch bereits sowohl vom preußischen Obertribunale4 als auch vom Reichsgerichte5 der von einer bloß einseitig ausgestellten Cessionsurkunde geforderte Stempel für einen Vertragsstempel im Sinne des §. 11 a. a. O. erklärt worden.

Hiernach müssen bei Anwendung dieses Paragraphen die in Gemäßheit der Nr. 4 a des reichsgesetzlichen Tarifes zu verwendenden Stempel auch in den Fällen, in welchen sie wegen einseitiger Schriftstücke, insbesondere, wie vorliegend der Fall, wegen brieflicher Bestätigung eines Geschäftsabschlusses gefordert werden, als Vertragsstempel angesehen werden. Die Absicht dieser Tarifposition ist, wie die Motive zu derselben (zu Nr. 3 a des Entwurfes)6 hervorheben, gerade darauf gerichtet, "die Beurkundung des Abschlusses oder der Prolongation eines der bezeichneten Geschäfte in irgend einer schriftlichen Form stempelpflichtig zu machen." Die detaillierte Aufführung der betroffenen Arten von Schriftstücken verfolgt nur den Zweck, einer Umgehung des Gesetzes vorzubeugen; die Motive bemerken hierüber:

"Sollte es z. B. üblich werden, die bisherigen Schlußnoten durch Auszüge aus den Geschäftsbüchern in der Form von Rechnungen, Kontokorrenten und dergleichen zu ersetzen, so würden auf diese Schriftstücke, die dann nur eine andere Form der Beurkundung des Abschlusses oder die Prolongation der betreffenden Geschäfte darstellen, die Bestimmungen der Nr. 4 a ohne weiteres Anwendung finden."

Daß diese Tarifposition sich nur auf Vertragsurkunden bezieht, ist auch in ihr selbst dadurch zum Ausdrucke gebracht, daß die betroffenen Schriftstücke schließlich generell charakterisiert werden als solche, die "von einem oder mehreren Kontrahenten, Maklern oder Unterhändlern im Bundesgebiete über den Abschluß oder die Prolongation oder die Bedingungen des Abschlusses oder die Prolongation eines Kauf-, Rückkauf-, Tausch- oder Lieferungsgeschäftes" der bezeichneten Art ausgestellt sind.

Aus diesen Gründen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zu verwerfen."

  • 1. Abgedruckt unter Nr. 17 S. 65 flg. dieses Bandes. D. R.
  • 2. vgl. Entsch. d. R.G.'s in Civils. Bd. 5 Nr. 9 S. 34 flg.
  • 3. vgl. Verhandlgn. des preußischen Abgeordnetenhauses 1861 Anl. Nr. 90 S. 538,
  • 4. vgl. Entsch. des preuß. Obertrib. Bd. 83 S. 112.
  • 5. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 8 Nr. 64 S. 255
  • 6. vgl. Verhandlgn. des Reichstages 1881 Drucksachen Nr. 59 S. 31,