Kanon des Lekë Dukagjini

Daten
Titel: 
Kanuni i Lekë Dukagjinit
Kurztitel: 
Kanun
Abkürzung: 
KLD
Datum: 
15 Jhd.

Das alte nordalbanische Gewohnheitsrecht nach dem Kanon des Lekë Dukagjini [lɛk dʊkaˈd͡ʒiːni], in der Kodifikation von Shtjefën Gjeçovi, ins Deutsche übersetzt von Marie Amelie Freiin von Godin.

Inhaltsverzeichnis 

1. Buch: Die Kirche

1. Kapitel: Der Machtkreis der Kirche, die Gräber, die Gründe, der Besitz der Kirche, der Pfarrer, der Pfarrdiener und die Arbeiter der Kirche

1. Der Machtkreis der Kirche

*Als Machtkreis (wörtlich hija = Schatten) der Kirche gilt die Grenze des Grundes, auf dem die Kirche erbaut ist:

  1. Die Kirche selbst;
  2. Die Zelle, das Haus des Pfarrers.

„Die Kirche hat ihren Rauch (d. h. ihr Haus) in der Pfarrgemeinde.“

Die Kirche hat ein Recht auf Sach-, Grund- und Hausbesitz innerhalb und außerhalb der Pfarrgemeinde.

Die Kirche hat Anteil am Berge, Weidegrund, Wasser und an der Mühle der Gemeinde.

Die Kirche hat Anteil an den Bußgeldern der Pfarrgemeinde.

Die Kirche hat das Recht, zu kaufen und verkaufen, Geschenke zu nehmen und zu behalten, was ihr durch Wohltäter gespendet wurde; sie kann ihren Besitz nach eigenem Ermessen anlegen und verwalten.

Die Unbestrafbarkeit der Kirche: „Die Kirche wird nicht mit Buße belegt.“

Die Kirche hat niemandem Pfand zu geben.“ Die Kirche untersteht ihrem kirchlichen Gericht, nicht dem Kanun1. Daher kann das Stammesgericht ihr keinerlei Last auferlegen. Entsteht ein Gegensatz zwischen Kirche und Gemeinde, so kann die Gemeinde von der Kirche kein Pfand fordern; sie wird bei den Kirchenoberen (dem Bischof) Klage erheben; seinem Urteil haben sich Kirche wie Gemeinde zu unterwerfen.

Für jede Verfehlung, die die Kirche nach Meinung der Pfarrgemeinde begangen hat, kann sie zwar nicht in Buße genommen werden, doch wird ihr auferlegt, durch sie verursachte Schaden auszugleichen.

Die Kirche zahlt keine Abgaben, noch tritt sie ein in die Streitmacht, noch wird von ihr für die Söhne des Stammes Nahrung gefordert, noch hat sie Pflichtarbeit abzuleisten für die Gemeinde; in dem Falle jedoch, daß die Gemeinde eine Arbeit zur Erhaltung der Kirche beschließt oder zur Wahrung oder Mehrung ihres Besitzes oder eines Grundstückes, an dem sie Anteil hat, ist auch sie verpflichtet, zu bezahlen, Nahrung zu geben, Arbeiter zu entsenden, im gleichen Maße, wie es die Gemeinde von ihren Gliedern fordert.

Die Ehre der Kirche:

„Die Kirche hat weder Schwert noch Strick.“

„Wer die Kirche beleidigt, beleidigt die Pfarre.“

„Die Ehre der Kirche fordert die Pfarrgemeinde“ (nicht der Pfarrer).

„Der Kirche, Mühle, Schmiede und dem Kaufhause gilt niemand als Freund“ (d. h., sie braucht für niemanden Blut zu nehmen).

Wer die Kirche schändet (beleidigt), ist zu Sühne verpflichtet:

a) gegen die Kirche,
b) gegen die Pfarrgemeinde,
c) gegen den Stamm.

Es beleidigt aber die Kirche, wer schimpft, bedroht, schlägt oder tötet, jenen, der sich im Schatten (Schutz) der Kirche befindet. Den Schuldigen bestraft die Pfarrgemeinde und nicht die Kirche, denn „die Kirche hat weder Schwert noch Strick“.

Wer geschlagen oder getötet oder auf irgendeine Weise beleidigt oder geschädigt wird, indes er den Schatten der Kirche betreten hat oder ihn soeben verläßt – der Kirche selbst erwächst daraus nicht Schande, denn der Kirche gilt niemand als Freund (d. h. sie tritt für niemandes Wohl oder Wehe mit ihrer Ehre ein). Wird aber außerhalb der Kirche gekämpft, und jemand fällt darauf in die Hand der Kirche (wird z. B. verwundet in die Kirche oder das Pfarrhaus getragen), so gilt dieser als Freund der Kirche. Verletzt dann jemand den Schatten der Kirche (ihre Obhut), so ist die Pfarrgemeinde verpflichtet, die Ehre der Kirche wiederherzustellen.

2. Die Gräber

In das Grab einer Bruderschaft oder Sippe darf weder Toter noch Erschlagener aus anderer Bruderschaft oder Sippe gelegt werden. Tut dies jemand ohne Erlaubnis der Bruderschaft oder Sippe, der die Gräber gehören, so legt der Kanun ihm auf, den Toten aus den fremden Gräbern wieder zu entfernen.

Kommt Einer und gründet im Dorf ein Haus, der dort weder Bruderschaft noch Sippe hat, so wird ihm nach Gutdünken des Dorfes ein Ort für die Gräber im Gräberfeld der Gemeinde gegeben, unter Auferlegung der Verpflichtung, innerhalb Jahresfrist der Kirche den Preis zu erlegen oder ihr sonst etwas für den Altar zu entrichten2.

Wer streitet oder schmäht oder jemandem droht, wer schlägt oder erschlägt zwischen den Gräbern, verfällt der Strafe jener, die den Schatten der Kirche beleidigen oder verletzen.

3. Güter und Besitz der Kirche

Güter und Besitz der Kirche sind unantastbar, niemand kann auf sie Hand legen.

Güter und Besitz der Kirche sind unter der Hut des Messepriesters dieser Pfarrgemeinde.

Wer wagt, Güter oder Besitz der Kirche anzutasten, den bringt die Pfarrgemeinde wieder zur Vernunft, indem sie ihn veranlaßt, nach dem Kanun seine Hand von diesen Gütern wieder abzuziehen.

Schädigt jemand die Kirche an Gütern oder Besitz, so schätzt die Pfarrgemeinde den Schaden, den der Schädiger ersetzen wird.

Wer Kirchengut stiehlt, hat, neben der Pflicht, das Gestohlene zu ersetzen, nach dem Gebrauch des Ortes, darauf sich die Kirche befindet, der Kirche auch die Buße für geraubte Ehre zu entrichten – und der Pfarrgemeinde die Buße für verletzte Obhut, denn die Kirche ist die Behütete (das Mündel) der Pfarrgemeinde. Erkennt der Dieb seinen Fehler an und begibt er sich – noch ehe die Schande, die er der Kirche angetan hat, bekannt ist – in die Hand des Messepriesters der Pfarre, indem er ihm das gestohlene Gut zurückgibt, so ist er zu keiner anderen Buße verpflichtet; der Messepriester hat das Recht, ihn freizusprechen.

Fällt der Dieb in die Hut des Messepriesters, nachdem dieser den Diebstahl dem Stamm bereits mitgeteilt hatte, so hat die Pfarrgemeinde das Recht, ihm die Buße abzufordern, sowohl für sich selbst als für die Kirche, wenn auch der Priester ihn lossprechen würde nach Rückerstattung des gestohlenen Gutes.

Regelung des Kirchenbesitzes:
Güter und Besitz der Kirche verwaltet der Pfarrer, und die Pfarrgemeinde hat nicht das Recht, von ihm über den Gebrauch des aus dem Kirchenbesitz gezogenen Betrages Rechenschaft zu fordern3.

4. Der Pfarrer

a) Die Ernennung des Pfarrers:

Den Pfarrer ernennt der Bischof, er allein hat das Recht, ihn abzusetzen.

b) Die Rechte und Pflichten des Pfarrers:

Der Pfarrer hat das Recht, die Pfarrgemeinde zu belehren und zu ermahnen und ihr die Glaubenslehre vorzustellen, wie es die Seelsorge erfordert; niemand aus der Pfarrei hat die Macht, sich in die Pflichten des Messepriesters einzumischen.

Für die Dienste, die der Pfarrer der Gemeinde leistet, hat er Recht auf den Zehent, je nach dem Brauch des Standortes der Kirche. Die Gemeinde ist nicht verpflichtet, dem Pfarrer den Zehent zur Tür abzuliefern, der Pfarrer wird ihn mit eigenen Arbeitern erheben.

Der Pfarrer hat das Recht auf den Ertrag der Kirchengüter, des Bodens wie des lebenden Gutes, niemand als seine kirchlichen Vorgesetzten hat das Recht, darüber von ihm Rechenschaft zu fordern.

Der Pfarrer ist der Pfarrei gegenüber zu all jenem Dienst in Glaubensdingen und der Seelsorge verpflichtet, die ihm das Kirchengesetz auferlegt, und darüber hinaus auch noch zu einigen besonderen Diensten an bestimmten Tagen z. B.: die Häuser zu segnen, die Messe einigemal im Jahr auf den Gräbern zu lesen, die von der Pfarrkirche abgelegen wären.

c) Die Person des Pfarrers ist unantastbar:

„Der Priester ist der Schutzbefohlene der Pfarre.“

„Der Priester fällt nicht ins Blut“4.

„Der Priester verfällt nicht dem Eid“5.

Wer den Priester schmäht, schilt oder bedroht, die Hand gegen ihn erhebt, ihn schlägt oder tötet, wird sich der Gemeinde nach dem Brauch der Örtlichkeit verantworten. Die Gemeinde ist verpflichtet, die Ehre ihres Pfarrers zu fordern.

Erschlägt jemand den Pfarrer, so verfolgt die Gemeinde den Blutschuldigen, seine Sippe und seinen Stamm.

Wird der Täter von Gemeinde oder Stamm getötet, so darf die Familie des Priesters niemanden anders aus der Familie des Täters töten, sonst bringt sie das Blut auf das eigene Haus.

Erschlägt der Pfarrer jemanden, so wird weder er noch seine Kirche mit Buße belegt, und der Pfarrer fällt nicht unter das Blut6, wohl aber seine Sippe; sie „hält das Blut“.

Selten, fast nie, wird dem Pfarrer der Eid abgefordert, nur in außerordentlich wichtiger Angelegenheit.

Geschieht es, daß dem Pfarrer der Eid auferlegt wird, um sich selbst reinzuwaschen, oder als Eideshelfer, so gilt sein Eid wie der Eid von 24 Personen7.

Schwört der Priester, der als ehrenhafte, geheiligte Person des ewigen Rechtes gilt, so braucht er das Evangelium nicht zu berühren; es genügt, daß er die Eidesworte vor dem Evangelium spricht.

Fällt der Priester unter eine Buße, so faßt ihn nicht der Kanun; es ist Sache seiner Oberen, ihn zu fassen.

Ist aber die Schuld des Priesters gegen seine Pfarrgemeinde sehr schwerwiegend, so unterwirft sich der Priester dem Gericht des Kanun. Sein Oberer sendet einen anderen Priester, um dem Kanun im Namen des Schuldigen das Pfand zu geben.

Es ist möglich, daß der Pfarrer mit jemandem kämpft und jemanden anfällt, daraus dennoch aber weder ihm selbst noch dem Geschlagenen Unehre erwächst; dann fällt er nicht in Schuld vor dem Kanun8.

5. Die Diener der Kirche

Der Diener (Lohndiener) der Kirche darf auf seinem eigenen Grund arbeiten.

Wohin immer dieser Diener geht und für welches Wort er an jemandes Türe pocht nach dem Befehl seines Herrn, er geht und spricht im Namen des Pfarrers.

Wer ihn faßt in Wort oder Tat, es wird aufgefaßt, als fasse er den Pfarrer, und er verfällt der Buße für die (Verletzung der) Kirche nach dem Kanun.

Die Buße, die in Angelegenheit des Dieners der Kirche genommen wird, geht nicht den Diener an, sondern die Dorfkirche.

Erschlägt jemand den Kirchendiener und der Täter ist aus der Pfarrei des Dorfes, so wird er nur vom Haus des Getöteten verfolgt; ist er aber aus fremdem Dorfe, dann verfolgt ihn auch die Pfarrgemeinde, deren Kirchendiener erschlagen wurde.

6. Die Arbeiterschaft der Kirche

Tastet jemand die Arbeiterschaft der Kirche an, so verfällt er der Buße der Pfarrgemeinde.

So viele Kirchenarbeiter es seien, der Angreifer bezahlt nur eine Buße, doch eine schwere.

Die Geldstrafe, die für den Angriff auf die Arbeiterschaft der Kirche erhoben wird, wird zwischen der Kirche und dieser Arbeiterschaft geteilt.

2. Kapitel: Die Strafgerichtsbarkeit

1. Die Verhängung der Strafe

Unter Strafe wird ein Übel verstanden, das durch die gesetzliche Gewalt für getane Schuld auferlegt wird.

Nur der Stammeshäuptling mit den Führern (Häuptern) und mitunter auch den Kirchenoberen hat das Recht, der gegen die Kirche begangenen Schuld ihre Strafe zuzumessen.

Dem Schuldigen, der die Kirche geschändet (beleidigt) hat, wird die Strafe durch die Häupter und das Volk vollzogen.

Die Arten der Strafe für den an der Kirche schuldig Gewordenen sind folgende:

a) das Todesurteil9;
b) das Ausstoßen aus dem Stamm mit Angehörigen und Besitz;
c) das Verbrennen des Hauses;
d) das Brachlassen des Bodens oder das Abschneiden der Fruchtbäume;
e) die Buße mit lebendem Vieh;
f) die Buße durch Geld10.

2. Die Bestimmung der Strafe nach der Art der Schuld

Wer die Kirche verletzt, wird abgebrannt und mit den Seinen aus dem Stamme verstoßen. Der Schuldige – der Täter – wird durch den Stamm für vogelfrei erklärt (ausgeschellt, ausgerufen, me legite = ausschellen) und verliert sein Blut (es darf ungerächt vergossen werden). Die ihm nächsten Sippenangehörigen kaufen seinen Grund, dessen Erlös der zerbrochenen, geschändeten Kirche zufällt.

Wer fremdes Gut stiehlt und geht und es in der Kirche versteckt, ohne Wissen des Pfarrers, hat der Kirche 1000 Groschen Buße zu zahlen für geraubte Ehre, 100 Hammel Buße dem Stamm zu geben für verletzte Obhut außer der Beute, die er dem Besitzer nach Weise des Kanun ersetzen muß.

Wer das Vieh der Kirche stiehlt im Umkreis, wo der Kanun gilt, hat ihr, wie jedem andern, das Zwei-für-Eins zu zahlen.

Wer im Haus oder in der Nachtherberge des Pfarrers stiehlt, wird Zwei-für-Eins des gestohlenen Gutes ersetzen. 100 Groschen zahlt er der Kirche für geraubte Ehre und 100 Hammel dem Stamm für verletzte Obhut.

Wer den Messerpriester der Pfarre vor dem Volke schilt oder beleidigt (in Worten), zahlt der Kirche 100 Groschen Buße; 100 Hammel zahlt er dem Stamm11.

Wer den Pfarrer bedroht, zahlt 10 Hammel Buße.

Wer den Priester in schwerer Sache verleumdet, dem wird das Haus verbrannt, und 100 Hammel zahlt er dem Stamm Buße.

Wer die Hand an den Priester legt, ihn schlägt oder stößt oder bespuckt, der wird „verbrannt und gebraten“ und vom Ort verstoßen, und die Erde wird ihm mehrere Jahre brach gelassen.

Wer den Priester erschlägt, wird vogelfrei durch den Stamm (ausgerufen, ausgeschellt) und verliert sein Blut. Überdies wird ihm das Haus verbrannt, der Boden bleibt ihm brach, die Obstbäume, Reben und Gartenfrüchte werden ihm abgeschnitten und zerstört. Seine Gründe seien der Kirche, seine Bruderschaft aber kann sie durch Geld ablösen12.

Wer den Diener des Pfarrers schilt oder verleumdet oder antastet, zahlt dem Stamm 10 Hammel Buße oder auch mehr, je nach Schwere der Schuld.

Wer den Pfarrdiener erschlägt und ist aus dem Dorfe, dem wird das Haus verbrannt und 100 Hammel und 1 Ochse Buße genommen.

Wer den Pfarrdiener durch Wort oder Tat antastet, zahlt die Buße der 10 Hammel.

Wer sich der Strafe der Kirche und des Kanun nicht unterwirft, vor dessen Haus versammelt sich der Stamm und nimmt ihm alles, was er in der Hürde hat.

2. Buch: Die Familie

1. Kapitel: Die Familie als solche

1. Begriff der Familie

Die Familie ist eine Gemeinschaft aus Gliedern, die unter einem Dache leben; eine Gemeinschaft, deren Zweck die Vermehrung der Menschheit durch Heirat ist, die Entwicklung der Menschheit nach Körper und Geist.

Die Familie begreift die Leute des Hauses. Vermehren sie sich, so teilen sie sich in Bruderschaften, diese schließen sich zu Sippen zusammen, die Sippen zu Stämmen; und alle bilden eine große Familie, die man Volk nennt und ein gemeinsames Vaterland hat, ein Blut, eine Sprache, einen Brauch.

2. Rechte und Pflichten des Herrn des Hauses

Das Recht, die Befugnis, die Pflicht des Herrn des Hauses (amvis) ist nach dem Kanun die Regierung des Hauses; sie obliegt dem Ältesten unter einem Dache oder dem ersten Bruder; haben diese Benannten nicht die für dieses Amt notwendigen Eigenschaften, wie die Pflicht es umschreibt, so wird durch alle Hausbewohner gemeinsam gewählt, wer am gescheitesten, sanftesten und sorgsamsten ist. Herr des Hauses kann auch ein unverheirateter Mann werden.

Der Herr des Hauses hat das Recht:

a) im eigenen Hause den Kopfplatz einzunehmen, auch wenn im Hause Ältere wohnen;
b) die Waffen zu befehligen, und seien es hundert; auf das Sattelpferd, auf eigenes Bett und eigene Decke; er ist Herr über die Kaffeegerätschaften – und all diese Dinge betrifft dann das Gesetz über die Teilung nicht;
c) über das Verdienst der Mitglieder des Hauses, ihres Lohnes, ihrer Geschenke;
d) zu kaufen, verkaufen oder tauschen das Land (Äcker, Wiesen, Weiden, Wälder), die Reihenfolge der Bewässerung, das Vieh, die Kupfergeräte;
e) zu geben, zu nehmen (Schuld), Bürge zu werden;
f) Häuser, Hütten, Hürden zu errichten;
g) die Leute im Haus an die Arbeit oder auf den Weg zu schicken;
h) die Leute im Haus zur Arbeit auszuleihen oder gar zur Arbeit ohne Ersatz;
i) über Wein und Branntwein, zu kaufen, verkaufen, auszuleihen;
j) die Leute des Hauses zu strafen, wenn sie nicht so gehen wollen, wie das Gedeihen des Hauses erfordert.

Die Strafen sind folgende:

a) ohne Essen lassen;
b) für eine oder zwei Wochen die Waffen des Armes oder Gürtels entziehen;
c) im Haus zu binden oder gefangen zu setzen;
d) den Unbotmäßigen aus Haus und Anteil zu vertreiben, um schlechte Führung und Gefahr abzuwenden.

Wird Einer im Hause Bürge über mehr als den Wert seiner Waffen, verkauft, kauft oder tauscht er etwas ohne Erlaubnis des Herrn des Hauses, so hat dieser das Recht, die Verantwortung abzulehnen, denn der Kanun hält es nicht für üblich (dem Brauch entsprechend), zu verkaufen oder zu kaufen oder zu tauschen oder sich zu verbürgen auf diese Weise, und alles ist ungültig, was ohne Erlaubnis des Herrn des Hauses geschah.

Pflicht und Verbindlichkeit des Herrn des Hauses ist es:

a) sich einzusetzen für Glück und Gedeihen der Hausbewohner;
b) die Hausbewohner im Zaum zu halten, daß sie nicht Schaden und Untergang verursachen;
c) als Erster in der Arbeit zu führen, die ihm obliegt;
d) das Auge auf der Erde zu haben, daß sie nicht brach bleibe; auf den Herden, damit sie nicht an Gedeihen einbüßen;
e) zu schaffen mit Verstand und Klugheit, innerhalb und außerhalb des Hauses, und das Haus vor Schaden und Untergang zu behüten;
f) Sorge zu tragen für Kleidung und Schuhwerk der Hausbewohner aus den Einkünften des Hauses;
g) Ordnung und Gerechtigkeit im Hause aufrechtzuerhalten und keinen der Hausbewohner gegen die anderen zu bevorzugen;
h) den Knaben Waffen zu beschaffen, sobald er sieht, daß sie waffenfähig geworden sind.

3. Rechte und Pflichten der Frau des Hauses

Das Recht der Frau des Hauses (amvise) ist folgendes:

a) über alle Gegenstände, die das Haus enthält;
b) zu entleihen und auszuleihen: Mehl, Brot, Salz, Käse und Butter;
c) den Frauen des Hauses zu befehlen, sie um Wasser zu schicken und um Holz, mit Nahrung zu den Arbeitern des Hauses, zum Wassern und Gießen, den Dung zu sammeln, zu ernten und zu säen oder jäten (reinigen);

Obliegenheiten der Frau des Hauses sind:

a) für Mittag- und Abendessen zu sorgen, zu sieden, den Tisch zu decken und die Speisen zu verteilen;
b) sich für die Erdfrucht zu befleißigen, daß sie nicht zu Schanden komme;
c) zu sorgen, daß nicht ohne Erlaubnis des Hausherrn gekauft, verkauft oder getauscht werde. Sie kocht nicht selbst, geht nicht um Wasser, macht nicht Holz oder bereitet den Dung, noch begießt sie, erntet oder putzt (jätet), noch bringt sie selbst den Arbeitern Essen zu;
d) sich der Gerechtigkeit bei Behandlung der Leute des Hauses zu befleißigen, auch der Kinder, niemanden vor den andern zu bevorzugen;
e) sie sorgt für die Kinder, so lang deren Mütter bei der Arbeit sind.

4. Rechte und Pflichten der Hausbewohner

Das Recht der Hausbewohner ist:

a) den Herrn des Hauses seines Amtes zu entsetzen, wenn sie sehen sollten, daß er nicht zum Besten des Hauses wirkt und es dem Untergang zutreibt13;
b) die Frau des Hauses abzusetzen, wenn es in die Augen fiele, daß sie vergeudet oder insgeheim verkauft (und sei es nur ein einziger Tropfen Öles), oder daß sie die eignen Kinder vor den andern Kindern begünstigt;
c) jeder hat ein Recht auf die eigenen Waffen; sie können sie verkaufen, tauschen, zum Pfand geben, aber sie haben kein Recht, einen anderen im Hause um Geld anzugehen;
d) über die Ochsen hat das Recht der Bauer, der sie führt, auch um jemandem zu helfen durch Darlehen oder Geschenk, ohne daß er dazu die Erlaubnis des Herrn des Hauses bräuchte;
e) über die Schafherde hat das Recht der Hirte, der sie pflegt; der Herr des Hauses hat nicht das Recht, sich in dieses Amt einzumischen; ehe ein Stück verkauft oder geschlachtet wird, muß es dem Hirten gesagt werden, und dieser wird wissen, welches Stück Kleinvieh oder welche Kuh wegzugeben oder abzutun ist.

Die Verbindlichkeiten der Leute im Hause sind:

a) nicht Bürge zu werden ohne Erlaubnis des Herrn des Hauses;
b) sie können Bürge werden, auch ohne Erlaubnis des Herrn des Hauses, für so viel, als der Wert ihrer Waffen ausmacht, denn diese sind Besitz des Einzelnen;
c) sie können zu niemandem als Arbeiter gehen ohne Erlaubnis des Herrn des Hauses;
d) sie können nicht kaufen, verkaufen oder tauchen;
e) die Leute des Hauses können nicht den Herrn des Hauses in den Arbeiten des Hauses oder der Gemeinde bekritteln;
f) wen der Hausherr bezeichnet, der muß zum Heeresdienst gehen;
g) die Frauen haben die Pflicht, für das Haus zu arbeiten; ist aber die Zeit überschritten und sind sie damit von den Arbeiten für das Haus entbunden, so können sie für sich selbst arbeiten.

2. Kapitel: Die Familie als Teil des Dorfes und Banners (Stammes)

1. Das Recht der Familie

a) sie hat das Recht der Stimme im Rat des Dorfes;
b) sie hat das Recht auf einen Anteil aus den dem Dorf bezahlten Bußen;
c) sie hat das Recht auf das Gemeindegut;
d) sie hat das Recht, wen immer in ihre Hut zu nehmen;
e) sie hat das Recht, mit dem Feuerbrand anzuführen beim Verbrennen eines Hauses der eigenen Sippe;
f) sie hat das Recht, die Bußnehmer anzuführen, in der Hürde der eignen Sippe;
g) fiel das Haus in eine schwere Schuld, für die es die Strafe des Feuerbrandes trifft und der Axt, so darf weder Dorf noch Stamm Hand anlegen zum Untergang, ohne daß der Schuldige selber führt.

2. Verbindlichkeit der Familie

Im Dorfe:

a) Der Herr des Hauses ist verantwortlich für jeden Schaden, den seine Leute irgendwem zufügen;
b) er wird in den Rat gehen, so oft sich das Dorf versammelt;
c) er wird Arbeiter entsenden zu jeder Arbeit, die die Dorfbewohner reihum zu erledigen haben.

Im Stamme:

a) Er wird in den Stammesrat gehen, wenn gerufen wird: „Ein Mann für jedes Haus!“;
b) er ist reihum mit dem Dorfe für „zwei Bissen Brot“ der Jungmannschaft des Dorfes verpflichtet;
c) er wird dem Haus der Gjonmarkaj (der Führersippe für den Kanun) 500 Groschen Buße zahlen für jeden Mord14;
d) er wird mit den Kämpfern des Stammes ausziehen.

3. Kapitel: Die Bediensteten

15Der Herrschaft obliegt der Befehl, dem Bediensteten der Gehorsam.

Der Lohn wird nach der Abmachung bezahlt, die zwischen Herrn und Knecht stattgefunden hat.

Für einen Fehler des Dieners darf ihn der Herr nicht am Lohn strafen.

Stahl oder tötete aber der Diener in Brot und Auftrag des Herrn, so fällt zwar der Diener in Schuld und Blut, aber der Schaden ist des Herrn, und dieser wird den Diener aus dem Übel ziehen16.

Geschah Diebstahl und Totschlag im Dorf des Herrn, so wird dieser den Diener entfernen, aber den Jahreslohn auszahlen, denn die Schuld war des Herrn, nicht des Dieners.

Vollführt jedoch der Diener ein Verbrechen aus eigenem Antrieb, innerhalb oder außerhalb des Dorfes seines Herrn, ohne dessen Wissen, so wird der Diener den Schaden der Geldbuße erleiden, und wenn der Herr ihn entlassen will, braucht er ihm den Lohn nur bis zum Entlassungstage zu zahlen.

Tötet der Diener jemanden auf eigenen Entschluß, so fällt das Blut auf sein eigenes Haus.

Tötet jemand den Diener, so fällt er mit dessen Haus ins Blut, aber der Herr dient ihm als Freund (d. h. bestraft die verletzte Freundschaft). Der Diener gilt als Freund, den er rächen muß.

Fällt es dem Herrn ein, sich vom Diener zu trennen, nur, weil er ihm nicht gefällt, und ohne Schuld des Dieners, so wird er ihm den Jahreslohn zahlen.

Verzieht der Herr mit seinem Haushalt von einer Gegend in die andere und nimmt er den Diener nicht mit, so schuldet er ihm den Jahreslohn; will aber der Diener ihm nicht folgen, so schuldet er ihm den Lohn nur bis zum Tag der Trennung.

Fällt dem Diener ein, vor der Frist aus dem Dienst zu treten, nur weil er dort nicht mehr dienen mag, so wird der Herr den Lohn nur bis zum Trennungstage geben.

Verhält sich der Diener nicht nach dem Geschmack des Herrn, so kann er sich von ihm trennen, aber ihn weder schelten noch schlagen.

Schilt der Herr den Diener hart oder schlägt er ihn, und trennt sich dieser dann von ihm vor der Frist, so muß er ihn für Schelten oder Schlagen entschädigen.

Mäßiges Tadeln und Anschreien der Herrschaft wird der Diener hinunterschlucken.

Schlägt den Diener eine fremde Hand, so fordert dieser sein Recht vor Gericht, der Herr aber fordert Entschädigung für die Schande, die seinem Brot durch dieses Schlagen widerfuhr.

3. Buch: Die Heirat

1. Kapitel: Begriff und Arten der Ehe

Sich nach dem Kanun verheiraten heißt, ein Haus gründen oder das Haus um ein Glied vermehren, sowohl für die Arbeit als für Vermehrung der Nachkommenschaft.

Arten der Heirat:

a) mit dem Sakrament der Ehe, gebilligt durch den Glauben und den Kanun des Lek;
b) die Frau unterhalten, gegen den Glauben und den Kanun des Lek;
c) die Frau oder das Mädchen, das geraubt wurde, außerhalb des Brauches, des Glaubens und des Kanun.

2. Kapitel: Rechte und Pflichten hinsichtlich der Heirat

1. Das Recht des Jünglings und des Mädchens

a) Das Recht des Jünglings:

„Der Jüngling hat das Recht, seine Heirat zu bedenken, so er keine Eltern hat.“

Hat der Jüngling Eltern, hat er nicht das Recht:

i) seine eigene Heirat zu bedenken;
ii) den Vermittler zu bezeichnen;
iii) sich in die Verlobungsverhandlungen einzumischen;
iv) etwas zu bestimmen, was die Ehezeichen, die Kleider, die Schuhe (für den Vermittler) oder die Ablegung des Versprechens betrifft.

b) Das Recht des Mädchens:

Wenn das Mädchen auch keine Eltern hat, so hat es doch kein Recht, sich mit der eigenen Heirat zu befassen; das Recht ist in der Hand der Brüder oder Vettern;

Das Mädchen hat kein Recht:

i) den eigenen Gefährten zu wählen; sie wird zu dem gehen, mit dem sie sie verloben;
ii) sich weder in Vermittlung noch Verlöbnis einzumengen;
iii) noch auch in die Sache der Schuhe oder Kleider.

2. Die Pflichten des Mannes und der Frau

Die Pflichten des Mannes gegen die Frau. Der Mann ist verpflichtet:

a) für Kleider und Schuhe und den gesamten Lebensunterhalt der Frau zu sorgen;
b) die Ehre der Frau zu schützen und ihr keinen Grund zu geben, sich wegen Entbehrung eines Notwendigen beklagen zu müssen.

3. Das Recht des verwitweten Mannes, der verwitweten Frau

Recht des verwitweten Mannes: Der Witwer, wenn er keine Eltern hat, hat das Recht, selbst für seine Wiederverheiratung zu sprechen (der Mann der albanischen Berge freilich tut dies nicht, selbst wenn er weiß, daß er unverheiratet bleiben müßte; die Sitte fordert, einen anderen zu beauftragen mit dem, was die Wiederverheiratung betrifft).

Recht der verwitweten Frau: „Die Witwe spricht selbst. Die Witwe schickt das Hochzeitsgeleit zurück.“

Die verwitwete Frau hat das Recht:

a) selbst über die Hochzeit zu sprechen;
b) zum Gatten zu wählen, wer ihr gefällt;
c) den zu bezeichnen, der ihr zum Vermittler dienen soll17.

3. Kapitel: Die Vermittlung, das Verlöbnis

1. Die Vermittlung

Vermittler (shkues) heißt derjenige, der es übernimmt, bei den Eltern des Jünglings oder Mädchens Fürsprech zu sein, daß sie jenes Mädchen geben oder nehmen für den bestimmten Jüngling.

Recht und Obliegenheit des Vermittlers:

a) Der Vermittler hat das Recht auf 50 Groschen für die Vermittlung, für die durch den Kanun bestimmten Schuhe.
b) Diese Schuhe haben ihre Frist am Tage, an dem die Braut abgeholt wird.
c) Den Vermittler wählt entweder das Haus des Mädchens oder das des Jünglings.
d) Die Schuhe des Vermittlers zahlt stets das Haus des Bräutigams, sollte ihn auch das Haus des Mädchens bezeichnet haben.
e) Der Vermittler hat das Recht, für die Eltern sowohl des Jünglings wie des Mädchens zu sprechen.
f) Die Obliegenheit des Vermittlers ist, zu gehen, um sich zu verständigen, um das Geld mit dem Vater oder Bruder des Bräutigams zu den Eltern des Mädchens zu bringen.
g) Der Vermittler hat das Recht, sich in jede Angelegenheit zwischen den Eltern des Bräutigams und denen der Braut einzumischen, bis zum Tage der Hochzeit.

2. Das Verlöbnis

Die Ehehindernisse nach dem Kanun.

Bei der Verlobung eines Mädchens wird in Betracht gezogen:

a) daß weder Blutsverwandtschaft noch Familienzusammengehörigkeit sei;
b) daß die zu Verlobenden nicht der gleichen Sippe seien;
c) daß das Mädchen nicht eine Nichte der Sippe des Jünglings sei, der sich mit ihr verloben will;
d) daß sie keine entlassene Frau sei;
e) daß keine Patenschaft bestehe:

i) vom Wiegen an der Kirchentüre;
ii) durch Heirat;
iii) durch das Schneiden der Haare;
iv) daß nicht durch getrunkenes Blut Bruderschaft entstanden sei.

Der Kanun duldet weder Verlöbnis noch Ehe, wenn eines der oben erwähnten Hindernisse besteht, und sei es im Viertausendsten Grad.

Beim freien Verlöbnis ist es Kanun, daß der Vermittler geht – und der Vater oder der Bruder des Jünglings – zu den Eltern des Mädchens, um die Zeichen zu überbringen.

Beim Eintreten wird der Vermittler das Feuer entfachen, ehe er um das Mädchen bittet; während er entfacht, spricht er. Wenn er das Abendessen gegessen hat, gibt der Vater des Bräutigams dem Vermittler das Geld und die Zeichen in die Hand. Wenn der Vermittler das Geld auf den Broteinschieber gezählt hat, läßt er sowohl Geld wie Zeichen in den Händen des Vaters des Mädchens.

Es gibt keine Braut ohne Vermittler. Das geraubte oder entflohene Mädchen, wenn es einen Mann findet, wird nicht als Braut geschmückt; sie wird „mädchenmäßig“ (mit Jungmädchenkleidern) gehen, denn sie ging und wurde genommen außerhalb des Kanun, ohne Vermittler18.

3. Das Zeichen

„Das Zeichen (sheji) – und selbst wenn Du Deine Hand zurückziehst – macht einen Menschen zu dem Deinen.“

Das Zeichen besteht aus einem kupfernen, oder (seit kurzem) silbernen Ringe19, denn des Goldes weiß man keine Fundstelle in unseren Bergen. „Der Ring und 10 Groschen sind nach dem Kanun.“

Das Zeichen wird weder zurückgeschickt noch umgetauscht, solange jener lebt, der das Mädchen nimmt.

Mit dem Zeichen geht das Mädchen in die Hand über und wird das Wort gesprochen (verpfändet). Wird das Wort gebrochen, stehen die Eltern des Mädchens mit dem Haus des Bräutigams im Blut.

Wenn es dem Jüngling einfällt, kann er das angelobte Mädchen verlassen, aber das Zeichen und alles, was er für das Mädchen zahlte, geht ihm verloren; der Grund dafür ist: „Wer das durch den Ring gebundene Mädchen verläßt, dem nimmt das Gesetz zur Buße sowohl den Rind als auch alles andere, was er für sie bezahlt haben mag.“ Ehe der Jüngling das Mädchen entläßt, wird er es dem Vermittler zu wissen tun, und dieser wird mit zwei Gefährten aus dem Dorf des Jünglings zu den Eltern des Mädchens gehen und im Angesicht von zwei Gefährten aus dem Dorf des Mädchens anzeigen, daß der Jüngling, der das Mädchen genommen hatte, seine Hand zurückzieht, so daß sie frei sind, sie anderswo zu verheiraten.

Das Mädchen unter dem Ring hat nicht das Recht, den Jüngling zu entlassen, auch dann nicht, wenn er ihr nicht gefällt.

Gehorcht das Mädchen nicht, zu diesem Gatten zu gehen, mit dem es verlobt ist, so kann es bei Lebzeiten des Bräutigams auch dann keine andere Ehe eingehen, wenn seine Eltern es unterstützen. Die Eltern des Mädchens sind verpflichtet, bis zum allerletzten Deut, alles dem Haus des Bräutigams wiederzugeben, was der Bräutigam für das Mädchen gab. Das Zeichen und die 10 Groschen des Kanun, die dem Mädchen gesandt wurden, damals, als man es verlobte, werden in ihrer Truhe sein bis zum Todestage des Bräutigams, und das Mädchen wisse, wie auch der Jüngling und ihre Eltern, daß dieses Zeichen nicht wegbewegt werden kann.

Nach dem Kanun ist das Mädchen gebunden und kann – außer mit Erlaubnis des Bräutigams, der sich mit ihr verlobt hatte, oder wenn dieser seine Hand zurückzieht – nicht heiraten, und es ist nicht nach dem Kanun, daß ein anderer gehe und sie zur Ehe verlange. Selbst wenn der Bräutigam eine andere Frau nimmt20, bleibt sie – außer er gibt ihr Erlaubnis – dennoch gebunden. „Gebunden ist gebunden!“

Stirbt der Bräutigam, so ist nach dem Kanun das Mädchen frei, und so sie will, kann sie heiraten, denn „stirbt der Bräutigam, gilt sein Zeichen als verloren“.

Wenn das Mädchen nicht gehorchte und nicht zu dem Gatten ging, der sich ihm verlobt hatte, werden sie es demjenigen auch mit Gewalt ausliefern, der sich ihm verlobte, „mit der Patrone im Rücken“. Und würde ihm das Mädchen ins Auge schlagen (ihn beleidigen), indem es flieht, erschlägt es dieser mit der Patrone seiner Eltern, und das Blut des Mädchens geht verloren, weil er es mit der Patrone seiner Eltern tötete21.

4. Die Bindung der Treue

(„Der Tag des Zeichens“)

Bestimmung für die Treuebindung:

„Die Treue binden“22 heißt, den Tag und die Frist festsetzen, da das Brautgeleit aufbrechen wird, um die Braut abzuholen.

Wie die Treue des Mädchens „gebunden“ wird, also am Tage des Zeichens, werden die Hochzeitsbegleiter unbedingt aufbrechen, und diesen Tag verschiebt der Kanun niemals, noch duldet er, daß er verschoben werde.

An diesem Tag bricht das Hochzeitsgeleit auf, und wüßte es, daß die Braut im Sterben liegt; sie auf dem Boden schleifend, kriechend, wird es sie ins Haus des Bräutigams bringen.

Dem Brautgeleite darf der Weg nicht gehindert werden, und sei ein Toter im Haus des Bräutigams oder der Braut.

Den Toten im Haus, bricht das Brautgeleit auf; die Braut kommt ins Haus, der Tote verläßt es. Dort wird die Totenklage, hier das Hochzeitslied sein. (Das sagt man, um anzuzeigen, daß an diesem Tage nicht einmal der Tod das Hochzeitsgeleit aufhalten kann, – denn, was Singen betrifft – in diesem Fall wird nicht gesungen).

5. Der Preis, der für die Braut gegeben wurde und der heute gegeben wird

Der Preis, der für Mädchen oder Frau bis vor 50 Jahren gegeben wurde, bestand aus 50, 100, 200 und bis zu 400 Groschen23.

Der Preis des Kanun in letzter Zeit beträgt bis 1500 Groschen, so viel, als auch das Blut der Frau ausmacht24.

6. Das Erbe der albanischen Frau

„Die albanische Frau hat kein Erbteil der Eltern, weder Grund noch Haus.“ Der Kanun hält die Frau als einen Überschluß, ein Anhängsel im Hause. Die Eltern haben keine Aussteuer, kein Heiratsgut für die Tochter zu bedenken; er, der sie nimmt, wird für sie sorgen. Die Eltern des Jünglings, der das Mädchen nimmt, werden alles bedenken, was für ihre Hochzeit nötig ist.

4. Buch: Die Hochzeit

1. Kapitel: Die Hochzeit

1. Zubereitung der Hochzeit nach dem Kanun

Für die Hochzeit (dasme) werden bereitgestellt25:

a) Der Hochzeitsochse wird 100 Oka (120 kg) Fleisch und Fett ergeben;
b) eine Last Maismehl;
c) 4 Babune (Babun etwa 13 kg) Roggenmehl;
d) 4 Oka Kaffee;
e) 12 Oka Zucker;
f) 8 Oka Reis;
g) 4 Oka Honig;
h) 2 Oka Butter;
i) 10 Oka Käse;
j) 3 Oka Speiseöl;
k) 70 Oka Branntwein26.

Die Hochzeit nach dem Kanun erfordert27:

a) 12 Hochzeitsbitter, 13 Hochzeitsbitterinnen;
b) Hochzeitseinlader;
c) Hochzeitsdiener;
d) Köche;
e) Dienerinnen;
f) Tänzerinnen;
g) Hammeltreiber;
h) Liedersänger;
i) Braut und Bräutigam;
j) 2 Hochzeitszeugen (Hochzeitspaten);
k) den Hochzeitskranz.

Die Pflichten des Herren der Hochzeit:

Vier Wochen vor der Hochzeit wird der Vater des Bräutigams oder der Herr seines Hauses selbst gehen und das Hochzeitsgeleit einberufen. Zuerst werden die befreundeten, dann die verwandten Mitglieder des Hochzeitsgeleites geladen.

Es ist Kanun, daß jeder Freund mit einem Hammel zur Hochzeit kommt. Hammel werden senden:

a) die Neffen und Großneffen, und wenn den Neffen die Mutter in der Wiege noch am Rücken trägt, wird sie den Hammel mit der Hand zuführen;
b) der Onkel des Bräutigams.

Die Reihenfolge, in der man zur Hochzeit geht, ist:

a) am Donnerstag gehen die Neffen und Nichten;
b) am Freitagabend gehen die Hochzeitbitter, Diener, Köche, Wasserträger, Hammeltreiber und das befreundete Geleit. Wenn die Hammeltreiber den Hof des Bräutigams erreichen, gibt jeder von ihnen einen Schuß ab aus der eignen Büchse;
c) am Samstag in der Frühe bricht das verwandte Geleit auf.

Am Samstag, wenn das Verwandtengeleit aufbricht, wird das Hochzeitsrind geschlachtet.

2. Die Führung des Hochzeitsgeleites

„Die Führung des Hochzeitsgeleites (krushki) erfrage und erbitte, denn außer demjenigen, dem es zukommt, gibt es keinen Mann, der führen dürfte.“ Dieses Gesetz ist sehr streng.

Die Führung des Hochzeitsgeleites darf nicht geändert und angetastet werden. Wer den Herrn der Hochzeit beschwätzt, einem Solchen die Führung des Geleites zu übertragen, dem diese Führung nicht zusteht – außer, daß er in Buße fällt (auch der Hochzeitsführer, den er widergesetzlich bezeichnete) –, der Kanun erkennt dies nicht an. Führer des Geleites kann nicht sein:

a) ein Freund; es muß sein ein Gefährte aus dem Dorf des Bräutigams;
b) er wird nicht aus der Bruderschaft oder der Sippe des Bräutigams sein, sondern aus andrer Sippe.

Den Geleitführer betrachtet der Kanun nicht nach dem Aussehen, sondern danach, ob ihm die Führung zusteht – und sei er fürs Auge wie ein Kind oder eine Mißgeburt, das Haus des Bräutigams wird ihn annehmen.

3. Zusammensetzung und Weg des Hochzeitsgeleites

Der Kranz des Hochzeitsgeleites auf seinem Wege (der Hochzeitsbegleiter = krushku).

Die Reihenfolge der Hochzeitsgäste, wenn sie aufbrechen, um die Braut einzuholen, und auf dem Rückweg mit ihr, ist nach dem Kanun wie folgt: 1. Der Geleitführer, ein Dorfgefährte des Bräutigams, geht zuerst; 2. ein befreundeter Hochzeitsbegleiter; 3. ein Hochzeitsbegleiter, Dorfgenosse; 4. ein befreundeter Hochzeitsbegleiter; 5. ein Hochzeitsbegleiter, Dorfgenosse; 6. ein befreundeter Hochzeitsbegleiter; 7. ein Hochzeitsbegleiter, Dorfgenosse; 8. ein befreundeter Hochzeitsbegleiter; 9. ein Hochzeitsgenosse, Dorfgenosse; 10. ein befreundeter Hochzeitsbegleiter; 11. ein Hochzeitsbegleiter, Dorfgenosse; 12. ein Hochzeitsbegleiter mit dem Hammel an der Hand; 13. die Hochzeitsbegleiterin, die dem Hammel den Weg weist. Zuletzt wird der Vater oder Bruder des Bräutigams gehen, das Pferd an der Hand.

Wenn die Hochzeitsbegleiter aufbrechen, um die Braut einzuholen, wird jeder einmal seine Büchse abschießen im Hof des Bräutigams.

Den Hochzeitsbegleitern, mit oder ohne die Braut, wie auch dem Trauergeleite mit dem Toten, darf niemand an die Türe gehen, sie zu betrachten, es sei denn, daß der Durchlaß oder die Straße des Dorfes dort vorüberführt.

Die Dorfstraße oder die große Straße kann niemand irgendwem verbieten, auch dann nicht, wenn sie ihm an der Haustüre vorüberführt.

„Dort, wo der Mensch vorübergeht, geht auch das Vieh – geht der Lebende auch mit dem Toten.“

Die Erlaubnis des Hausherrn wird ausnahmslos erbeten, um an dessen Grundmauern vorüberzugehen, und dieser kann den Durchlaß (d. h. den Weg auf seinen Grund, die große Straße ist ohne Erlaubnis frei) freigeben, und sei es mit dem Wort, daß dort keine Straße sei und daß ihm die Ehre nicht besudelt werden möge.

Nimmt sich jemand heraus, sei es das Hochzeitsgeleit oder das Trauergeleit mit dem Toten, jemandem die Türe zu durchschreiten, so erlaubt diesem der Kanun, dieses Geleit hinauszuweisen mit der Begründung, daß er den Hausdurchlaß für sich selber habe und nicht als große Straße.

Geschah es, daß die Geleitschaft mit Gewalt eindrang, so kam es vor, daß sie dem Toten Genossen wurden und der Braut der Rock über den Kopf gestülpt wurde.

„Das Hochzeitsgeleit des Dorfes soll dem befreundeten Hochzeitsgeleite die Straße freigeben.“

Das Hochzeitsgeleit auf seinem Wege zur Braut, die es abholt, darf seine Büchsen nicht abschießen, und das Gesetz verbietet ihm, jemanden anzutasten.

Die Wanderer, wessen Herkunft und Ehre sie seien, die mit dem Hochzeitsgeleite zusammentreffen, werden die Straße freigeben, bis das Hochzeitsgeleit vorüber ist.

Das Hochzeitsgeleit des Ortes wird dem befreundeten Geleit den Weg freigeben; dies ist Pflicht der Männlichkeit und Höflichkeit, die unsre Berge seit Menschengedenken beobachtet haben. Treffe ich mit dem befreundeten Hochzeitsgeleite in meinem Dorf oder Stamm zusammen, legt es mir der Kanun zur Pflicht, mich mit meinem Geleit zurückzuziehen, bis das befreundete Geleit vorüber ist.

Treffen sich zwei Hochzeitsgeleite in fremdem Dorf oder Stamm, so ist es gesetzliche Pflicht, daß sie sich ausweichen und in Ehren und ohne Streit auseinandergehen.

„Hochzeitsbegleiter ist Hochzeitsbegleiter, Freund ist Freund.“

„Der Kanun verpflichtet uns, den Freund in unsrem Haus nicht anzutasten.“

„Hochzeitsbegleiter ist Hochzeitsbegleiter“ und das Gesetz verbietet uns nicht, ihn (das heißt das Mitglied der uns verschwägerten Familie) zu sticheln (necken) in unserem Haus, und wenn er uns den Herdstein einnimmt. Den Hochzeitsbegleiter zu necken, wird niemandem als Schande angerechnet28.

Das Hochzeitsgeleit wird mit sich bringen:

a) den Hammel mit 12 Oka Lebendgewicht; reicht er nicht aus, so hat der Vater der Braut das Recht, den Hochzeitszugführer zu drängen, daß er einen anderen Hammel „nach dem Gesetze“ kaufe;
b) an Fasttagen werden sie 8 Oka getrocknete Fische mitbringen;
c) Käse, 2 Oka;
d) Wein, 8 Oka;
e) Branntwein, 2 Oka;
f) 12 Groschen Übernachtungsgeld – dieses Geld ist für das Brot, das das Haus der Braut dem Hochzeitsgeleite vorsetzt29;
g) dem Knaben, der das Hochzeitsgeleit bedient, 5 Groschen;
h) der Frau, die die Braut schmückt, 5 Groschen;
i) 10 Groschen dem Onkel des Mädchens, dem Bruder ihrer Mutter30.

Die Hochzeitsbegleiter kommen wie Räuber, wie eine Diebsbande in der Nacht, um Beute zu machen und einen Menschen wie einen gefangenen Sklaven mit sich fortzuführen, sie kommen nicht als Freunde. Auch darum hat der Herr des Hauses den Weg offen, sie zu necken, sie zu überfallen, indem er ihnen die Waffen zurückhält, und sie können ihm kein Pfand dafür fordern, denn das Gesetz nimmt ihre Klage nicht an.

4. Die Hochzeit im Hause der Braut

Im Haus, daraus die Braut fortzieht, ist es nicht Kanun zu singen; es ist auch nicht Kanun, die Büchsen loszuschießen.

Sollte das Hochzeitsgeleit auch früh im Brauthause anlangen, so ist doch kein Gesetz, wieder vom Haus aufzubrechen, ehe die Sonne untergeht und die Dämmerung einfällt.

Einen „Ochsenweg“ (so weit der Ochse geht, ohne stehenzubleiben) vom Haus der Braut entfernt, geht ein Gefährte aus dem Dorf der Braut, der weder ihres Blutes noch ihrer Sippe ist, dem Geleite entgegen.

Zieht das Geleit ins Gehöft der Brauteltern ein, so wird jeder Begleiter pro Kopf einen Schuß abgeben, so auch, wenn sie wieder aufbrechen, um die Braut fortzubringen. Nur der Geleitführer spricht. Es ist nicht nach dem Kanun, wenn die anderen Geleitmitglieder sprechen, außer jemand ruft sie mit Namen und fragt sie mit Namen.

Die Hochzeitsbegleiter werden miteinander die Mahlzeit essen, an einem Tisch; es ist nicht nach dem Kanun, sie in zwei Abteilungen zu trennen. Geht das Mahl seinem Ende zu, so werden die Hochzeitsgäste die Geschenke für die Braut auf die noch ungebrochenen Brote auf den Tisch niederlegen. Die Geschenke bestehen aus 1 Groschen pro Kopf; es ist nicht nach dem Kanun, mehr oder weniger zu geben.

2. Kapitel: Tod der Brautleute

1. Das Gesetz des Bräutigams

„Stirbt der Bräutigam, sind die Eltern der Braut verpflichtet, die Hälfte des Bräutigamsgeldes zurückzugeben.“

Stirbt der Bräutigam, ehe er die Braut zu sich nahm, so bleibt dem Freund das Zeichen (der Ring) und die 10 Groschen des Gesetzes; alles übrige Geld wird den Bräutigamseltern bis zum letzten Deut zurückgegeben. Heiratet der Bräutigam, verbrachte nur eine Nacht mit der Braut und stirbt, so wird den Bräutigamseltern die Hälfte der Hälfte des Brautpreises zurückgegeben. Stirbt der Bräutigam innerhalb der zwei ersten Ehejahre, so behält der Freund (der Brautvater) zwei Teile für sich; einen Teil des Preises gibt er den Bräutigamseltern zurück. Stirbt der Bräutigam innerhalb der zwei ersten Ehejahre, läßt er aber ein Kind zurück auf dem Herdstein, so hat der Freund gegen die Bräutigamseltern keinerlei Verpflichtung, denn die Tochter hat den Preis bezahlt mit dem Kinde, das sie dem Hause gelassen hat. Stirbt der Bräutigam nach drei Ehejahren, so haben seine Eltern nichts zu fordern, denn die Tochter hat den Lohn in deren Hause abgegolten.

2. Der Tod der Braut

Stirbt die Braut innerhalb der drei ersten Ehejahre, ohne im Haus des Mannes ein Kind zu lassen, so haben ihre Eltern das Recht, ihre Kleider samt deren Zubehör (Schmuck usw.) zu nehmen, aber die verschlossene Truhe mit einem ganzen Gewand bleibt bei den Eltern des Mannes.

Stirbt die Frau und läßt beim Manne Sohn oder Tochter, so haben ihre Eltern das Recht auf den Halsschmuck; all ihre andren Sachen bleiben beim Manne31.

3. Kapitel: Wirkungen der Ehe

1. „Die Frau fällt nicht ins Blut, die Frau läßt ihr Blut bei den Eltern“

Obschon nach unserem Kanun „das Blut mit dem Finger geht“, so begreift doch diese Bestimmung die Frau nicht mit ein, weil die Frau „nicht ins Blut fällt“, selbst wenn sie jemanden erschlägt.

Erschlägt die Frau ihren eigenen Mann oder wen immer, so werden ihre Eltern Rechenschaft für dieses Blut geben.

Der Mann kauft die Pflicht des Lebensunterhaltes der Frau, aber nicht ihr Leben.

Befällt die Frau Unheil aus Schuld des Mannes, so werden ihre Eltern ihn nach dem Kanun zur Rechenschaft ziehen.

Verletzt der Mann die Frau und beklagt diese sich bei ihren Eltern, so wird der Mann diesen Rechenschaft geben.

Schlägt der Mann die Frau, so fällt er nach dem Gesetz nicht in Schuld, und ihre Eltern können ihn für dieses Schlagen nicht zur Rechenschaft ziehen.

Tötet die Frau den Mann und erhebt sich der Schwager und tötet die Schwägerin, weil sie ihm den Bruder tötete, so ist dies kein Abgelten nach dem Gesetz. Das Blut der Frau ist nicht gleichwertig mit dem Blut des Mannes; also werden ihre Eltern für den Überschuß Sühne leisten.

Wie die Eltern verpflichtet sind, Rechenschaft zu geben für alles Böse, das die Tochter im Haus des Mannes oder wo immer verübt, so setzen auch die Eltern den Preis ihres Blutes, nicht aber ihr Mann oder Sohn32.

2. „Die Frau gilt als anvertraut für ihren Unterhalt“

Sie ist shakull (Schlauch), in dem die Ware transportiert wird, d. h. sie ist dazu bestimmt, die Kinder eines fremden Mannes (d. h. eines nicht Blutsverwandten) zu tragen, sonst aber, dem Blute nach, gehört sie ihrem Elternhause, wohin sie als (kinderlose) Witwe wieder zurückkehrt.

Die Frau gilt als anvertraut, solange sie unter dem Dach ihres Mannes lebt, denn die Eltern können die Hand von ihrer Abkömmin nicht abziehen und behalten die Pflicht, sich für sie zu verantworten oder auch für sie Rechenschaft zu fordern und ihr zu ihrem Recht zu verhelfen.

3. Die verwitwete Frau

Die Frau, die verwitwet und kinderlos zurückbleibt, wird, indem sie sich vom Hause ihres Mannes trennt, die Gewänder mitnehmen; die sie als Braut brachte, desgleichen ihre verschlossene Truhe.

Die junge Frau, die Witwe wird, aber Kinder hat, wird, falls sie im Hause des Mannes bleiben will, durch zwei Paar Bürgen verpflichtet. Zwei Bürgen werden aus dem Dorfe sein, wo sie Witwe wurde, die sich verbürgen, daß niemand mit ihr zu tun hat, daß sie den Namen der Eltern des toten Mannes und diese selbst nicht mit Schande beflecken wird; zwei andre werden ihre Eltern oder ihre Vetterschaft wählen, die dafür Bürge werden, daß man sie nicht von ihren Kindern trennt, außer wenn sie selbst darum nachsucht, um sich wieder zu verheiraten.

Die Frau, die ohne Mann und ohne Kinder zurückbleibt und, weil vorgerückten Alters, die Eltern bittet, sie in der Obhut des Manneshauses zu belassen, wird niemanden aus der Bruderschaft des Mannes betrüben (sie braucht also keine Bürgen).

Die verwitwete und sohnlose Frau, die eine verheiratete Tochter hat, hat das Recht, in der Obhut des Manneshauses zu bleiben. Sie darf aber auch zu ihren Eltern zurückkehren oder zu einer verheirateten Tochter ziehen33, um dort zu leben, und der Grund und Boden ihres Mannes wird für ihren Unterhalt sorgen, drei Lasten Getreide jährlich, bis zu ihrem Tode.

Verheiratet sich aber eine Witwe aufs neue, so findet sie ihren Lebensunterhalt beim zweiten Manne; die Erde des ersten Mannes erträgt für sie keine Pflanze mehr.

4. Die abgeschnittene Quaste

34Führte sich die Frau beim Manne nicht so auf, wie es sich gehört, so gestattet der Kanun, ihr die Quaste (Franse) des Haares abzuschneiden und sie zu entlassen.

Die Ehe bleibt, und weder der Mann noch Frau können sich bei des Partners Lebzeiten wieder verheiraten. Bereut die Frau, kann es jedoch geschehen, daß der Mann sie auf Bitten der Freunde zurücknimmt.

Für zwei Dinge hat die Frau die Patrone im Rücken, und für einen Grund darf ihr die Quaste geschnitten und sie entlassen werden:

a) für Untreue,
b) für Verletzung der Freundschaft.

Für diese beiden Taten der Treulosigkeit tötet der Gatte die Frau; sie bleibt ohne Schutz, ohne Gottesfrieden (die Eltern sind ihr nicht zur Treue verpflichtet), und ihr Blut wird nicht gefordert, denn die Eltern der Frau, der Getöteten, geben dem Manne die Patrone zurück und senden ihm die Bürgen (daß sie ihn nicht verfolgen werden).

Für Dieberei entläßt jedoch der Mann die Frau und „schneidet ihr die Quaste“, aber eine andere Schande darf er ihr nicht antun.

Die Entlassene darf, wenn sie das Haus des Mannes verläßt, nichts andres mitnehmen, als die Kleider auf dem Leibe. Ihre andern Kleider gehen der Entlassenen verloren, denn den Preis, den der Mann für sie bezahlt hat, den findet sie bei ihren Eltern35.

Hat die Entlassene einen Sohn an der Brust, so muß ihr der Mann, wenngleich er sich von ihr trennt, einen Ort in der Nähe des Hauses anweisen, muß ihr den Sohn geben und sie mit Speise, Trank und Kleidung unterhalten36.

5. Die Frau ohne Ehe

Wer eine Frau ohne Ehe zu sich nimmt, sei durch Glauben und Gesetz gebunden37.

Die Frau ohne Ehe (Trauung) hat im Hause des Mannes keinerlei Recht. Der Kanun bestimmt für den Mann, der eine Frau ohne Trauung zu sich nimmt, folgende Strafen:

a) das Haus wird ihm verbrannt, die Erde bleibt ihm brach;
b) er wird aus dem Ort vertrieben und darf seinen Boden nicht wieder betreten, ehe er die Frau entläßt, die er ohne Trauung zu sich nahm;
c) hat er ein Kind mit der Frau, die er ohne Trauung zu sich nahm, so gilt das Kind als außerhalb des Gesetzes, und es kann niemals erben.

4. Kapitel: Stellung der Familienmitglieder: Die Eltern, der Vater, die Mutter, das Kind

1. Stellung des Mannes und Vaters

Der Mann hat das Recht:

a) die Frau zu tadeln und zu beraten;
b) die eigene Frau zu schlagen und zu binden, wenn sie seinen Anordnungen Spott bietet.

Der Vater hat das Recht:

a) über Leben und Lebensführung der Kinder;
b) zu schlagen, zu binden, gefangen zu setzen und zu töten, Sohn wie Tochter; der Kanun zieht ihn nicht zur Rechenschaft, vor ihm gilt dies so, als töte er sich selbst. „Wer sich selbst tötet, der verliert sein Blut“38;
c) den Sohn in Dienst zu geben so oft er will, aus dem Grunde, „weil, solange der Vater lebt, der Sohn als Fronknecht (Leibeigner) gilt“;
d) über den Verdienst des Sohnes, seinen Lohn oder was immer er einnimmt;
e) zu verkaufen und zu kaufen, zu nehmen und zu geben;
f) den Sohn aus dem Haus zu verbannen ohne Anteil, wenn er sich seiner Befehlsgewalt widersetzt. Jedoch wenn der Vater stirbt, kommt der verbannte Sohn in sein Erbe.

Pflicht des Vaters ist:

a) sich zum Besten der Kinder abzumühen nach Ehre wie Besitz;
b) den Söhnen Waffen zu kaufen, wenn sie waffenfähig werden;
c) keine Legate zu machen, so er Kinder hat;
d) das Erbe den Söhnen zu gleichen Teilen zu hinterlassen.

2. Stellung der Frau und Mutter

a) Der Mann hat kein Recht über das Leben der Frau.
b) Die Frau hat keinerlei Recht, weder über die Kinder noch über das Haus.
c) Tötet der Sohn die Mutter, fällt er ins Blut mit den Eltern der Mutter.
d) Schlägt, verletzt oder tötet die Frau eine fremde Hand, so rächt (fordert) der Mann ihr die Ehre, ihre Eltern aber ihr Blut.
e) Schlägt die Schwägerschaft die Frau des Mannes, so fordern (rächen) ihre Eltern ihre Ehre, wenn der Mann sie nicht fordern sollte.
f) Ist die Mutter eine Aufstörerin (die das Haus durcheinanderbringt), so verstößt der Sohn die Mutter aus dem Haus, ohne Nahrung und Gut; nur im ersten Jahr wird er ihr das Brot des Mundes geben (drei Lasten Getreide); anderes gibt er ihr nicht39.

3. Stellung der Kinder

Pflicht und Verantwortlichkeit der Kinder fordert:

a) den Eltern Gehorsam und Unterwürfigkeit zu bezeigen;
b) sie bleiben unter dem Befehl des Vaters bis zu dessen Tode;
c) sie dürfen an ihn nicht Hand legen noch dawiderreden;
d) für jede Angelegenheit werden sie sich mit dem Vater verständigen;
e) ohne Erlaubnis des Vaters können sie nirgendwohin gehen;
f) ohne Einwilligung des Vaters können sie nicht kaufen oder verkaufen, mit niemand Gütertausch treiben;
g) sie können nicht als Bürge auftreten, außer für so viel, als die Waffe des Gürtels ausmacht;
h) sie können den V ater nicht aus dem Hause tun, auch wenn er durch Alter den Verstand verlor;
i) raubt oder stiehlt oder tötet der Sohn, so wird der Vater sich verantworten, denn „Gewinn und Gefahr der Söhne zerstückelt den Vater und dessen Brüder“;
j) tötet der Sohn den Vater, so richtet die Sippe den Sohn hin, oder sie vertreibt ihn für immer und ewig aus dem Orte;
k) beschließt einer der Söhne, sich vom Vater zu trennen, so bleibt er ohne Anteil am Besitz.

4. Recht der Erstgeburt

a) Dem erstgeborenen Sohne steht die Herrschaft im Hause zu nach des Vaters Tode.
b) Der älteste Bruder wird bei allen Angelegenheiten innerhalb und außerhalb des Hauses gefragt.
c) Handelt es sich um ein Häuptlingshaus, so steht dem ersten Sohne des ältesten Bruders das Banner zu (die Häuptlingschaft).
d) Ist es ein Führerhaus (einer Mark, wie etwa der Mirdita), so gebührt dem ersten Sohne des ältesten Bruders die Führerschaft (es ist nicht Majorat, sondern Seniorat).
e) Ist es das Haus eines Dorfältesten, so gebührt dem ersten Sohne des ältesten Bruders die Ältestenschaft40.

5. Kapitel: Die Teilung

Der Kanun über die Teilung umfaßt:

a) das Haus, die Bauplätze und Hürden;
b) die Erde: i) Äcker, ii) Rebgärten, iii) Wiesen, iv) Weideplätze und Alpen, v) das Buschfeld, die Wälder;
c) den Wasserlauf (die Reihenfolge am Wasser);
d) die Mühle;
e) die Gewinne und Auslagen (Verluste);
f) die Waffen;
g) die Kupfergeräte, Eisenwerkzeuge, Ochsengerätschaften;
h) die Hausmöbel: Matratzen und Decken;
i) die lebenden Tiere: Kühe, Ochsen, Schafe und Ziegen;
j) das Getreide und jede Ackerfrucht;
k) die Bienen;
l) Käse und Butter;
m) Wein und Branntwein;
n) die Ältesten der Teilung.

Haus, Grund und Hürden:

Das Haus mit dem Grund, der es umgibt, fällt dem jüngsten Bruder41.

Die Wasserläufe und Hürden werden zu gleichen Teilen unter die Brüder verteilt. So viele Anteile als Feuerstellen.

Die Erde:

a) Die Erde der Vorfahren wird nach der Elle gleich unter die Brüder verteilt;
b) Die durch die Söhne gekaufte Erde (nach dem Tod der Eltern erworben) wird nach Gewehren verteilt;
c) Äcker, Weingärten, Wiesen, Weiden, Buschfelder, Wälder werden mit der Elle unter die Brüder verteilt;
d) Berg und Alpen werden nicht geteilt; sie werden sie gemeinsam besitzen sowohl für Holz als Weide.

Die Reihenfolge am Wasser wird nach dem Maß, per Oka verteilt.

Die Mühle wird, wie die Erde, nach der Zahl der Brüder verteilt.

Gewinn und Verluste:

a) Gewinn und Verluste gehören dem ganzen Gut: sie fallen dem Haus als solchem zu und werden vor der Teilung geregelt.
b) Die besonderen Einnahmen nimmt der Kanun nicht aus: „Was die Teilung des Hauses betrifft, sei inbegriffen.“
c) Die Ausstattung der Frau fällt nicht unter den Ältestenbeschluß der Teilung.
d) Die Geschenke, die für die Braut am Tag der Hochzeit zusammenkommen, sei es bei den Eltern, sei es beim Manne, begreift der Kanun der Teilung nicht ein; sie gehören der Frau.

Die Waffen gehören dem ältesten Bruder;

Kupfergeräte, Eisenwerkzeuge, Ochsengerätschaften werden verteilt wie folgt:

Die Kupfergeräte werden nach Brüdern verteilt, auch die Eisenwerkzeuge.

Die Äxte, Hacken, Sensen, Baummesser, Stutzmesser, Sägen, Kellen usw., auch die Ochsengerätschaften, werden nach Brüdern verteilt.

Die Hausmöbel:

a) Die Matratzen und Decken werden unter die Brüder zu gleichen Teilen verteilt;
b) Die Bottiche, Kübel, Kannen, Eimer nach Brüdern;
c) Löffel, Melkeimer, Rasierwerkzeuge, Butterfässer, Walker, Töpfe, Schüsseln und was immer für Gefäße aus Ton oder Holz vorhanden sein mögen, teilt die Hausfrau nach Anordnung der Ältesten; so auch die Hühner.

Das lebende Getier: „Die Schafe werden unter die Gewehre verteilt.“ Beim Teilen der Kleintiere, der Kühe und Ochsen, der Pferde, erhalten nur jene ein Teil, die fähig sind, eine Waffe zu tragen.

Das Getreide: es wird nach Mündern verteilt: Den Männern, Frauen und Kindern wird am Teilungstage der Mundvorrat gegeben: Kleinkinder, die noch kein Jahr alt sind – Knaben wie Mädchen –, haben kein Recht auf Mundvorrat. Sind sie ein Jahr alt, wird ihnen wie den andern ihr Anteil gegeben.

Nicht nur das Getreide, sondern jede Nährpflanze von Acker oder Garten wird nach Mündern verteilt.

Die Bienenvölker werden unter die Brüder verteilt, der Honig nach den Mündern.

Milch- und Mehlwaren aller Art werden nach Mündern verteilt.

Wein und Branntwein – mit einem Wort alles, was gegessen oder getrunken werden kann – wird nach Mündern verteilt.

Die Ältesten der Teilung:

a) Sie werden entweder zwei oder vier sein, wie es das Haus erfordert, das geteilt wird.
b) Die Ältesten der Teilung haben Recht auf ein Stück Kleinvieh pro Kopf.
c) Die Schuhe (Bezahlung) für die Ältesten der Teilung bezahlen die Brüder, die teilen wollen, gemeinsam42.

Die Frauen haben keinen Anteil, außer am Mundvorrat, an allen Speisen und Getränken.

Das Viehfutter – Heu und Stroh – wird nach dem Vieh verteilt.

Beschließen die Brüder bei Lebzeiten des Vaters, zu teilen, so haben sie kein Recht, sich in die Teilung des Grundes oder der anderen Habe zu mischen; jeder wird auf jenen Teil ziehen, den der Vater ihm anweist.

Nach dem Tode des Vaters nimmt der Kanun keinen Bruder von der Teilung aus; so viele sie sind, in so viele Anteile geht die unbewegliche und bewegliche Habe des Vaters.

Rufen vier Brüder die Ältesten zur Teilung auf, so werden sie die Erde der Vorfahren nach der Elle gleichmäßig unter sich teilen.

Teilen sich zwei Brüder eines Sippenzweiges mit zwei Brüdern eines andern, so teilen sie die Erde der Ahnen in zwei Hälften, die von ihnen gekaufte nach den Büchsen (unter die Waffenfähigen).

Stirbt ein Bruder von drei sich teilenden, ohne einen Sohn am Herd zu lassen, so wird die Erde, die ihm zugefallen war, in zwei Teile geteilt, aber die später erworbene Erde und das Vieh bleiben geteilt, wie sie geteilt waren.

Dies gilt auch für die Brüder von zweierlei Müttern (also Stiefbrüdern).

Sind die Brüder einmal nach Stein und Grenze geteilt und ziehen sie wieder zusammen, nach einiger Zeit aber beschließen sie, nochmals zu teilen, so teilen sie die Erde nach den Grenzen der ersten Teilung. Haben sie inzwischen neuen Grund erworben und neues Vieh; dies teilen sie bei der zweiten Teilung nach Büchsen.

Sind zwei oder mehr Brüder, einer von ihnen stirbt, hinterläßt einen Sohn, so wird mit diesem Waisenknaben geteilt, als sei er ein Bruder; ihm fällt der Anteil seines Vaters zu.

5. Buch: Die Erbschaft

1. Kapitel: Intestaterbrecht

Der Kanun anerkennt als Erben nur den Sohn, nicht die Tochter.

Den außerehelichen Sohn erkennt der Kanun nicht als Erben an.

Dem Blutneffen fällt das Erbe zu, nicht dem Milchneffen oder Tochterneffen.

Weder bei Eltern noch bei Gatten tritt die Frau in das Erbe ein,

a) damit nicht die (weibliche) Neffenschaft auf Grund und Boden des Onkels (Mutterbruders) seßhaft werde;
b) auf daß nicht die Eltern der Frau sich auf dem Gut des Schwiegersohnes, dessen Geschlecht ausstarb, festsetzen;
c) damit sich die Sippen eines Stammes nicht mit den Sippen eines andern vermischen.

Stirbt der Mannesstamm eines Hauses aus, und seien hundert Töchter aus diesem Hause hervorgegangen, sie haben kein Reicht, sich in die Erbschaft ihrer Eltern zu mischen, noch ihre Söhne oder Töchter. „Der Tochterneffe kann sich nicht an den Krückstock der Onkel hängen (an ihren Schäferstab klammern).“ Bleibt nur ein vater- und mutterloser Sohn in der Wiege, ohne Bruder und Schwester, so ist die entfernte Verwandtschaft verpflichtet, ihn aufzuziehen, ihm Vieh und Grund zu behüten, doch haben sie kein Recht, irgend etwas zu verkaufen oder zu verändern.

Weil die Vetternschaft verpflichtet ist, den Knaben aufzuziehen und zu ertüchtigen („auf die Füße zu stellen“), ihm Vieh und Grund zu behüten, so haben sie das Recht, für ihre Mühe und ihren Schweiß etwas zu nehmen: „Der Arbeiter will seinen Lohn.“ Darum genießen sie des Fruchtertrages, und die Vermehrung des Gutes (Viehes), sie werden sie nach dem Gesetz mit ihm teilen, wie es der Herr des Hauses tut mit seinem eignen Sohn.

Wird der Knabe 15 Jahre alt, erkennt ihn das Gesetz als Mann an und als Herrn seiner Angelegenheiten, darum werden ihm seine Besitztümer ausgehändigt und das Regiment in seinem eigenen Hause.

Haben zwei Vetterhäuser gleiches Recht und gleichen Anspruch, so verteilen sie den ausgestorbenen Grund zu gleichen Teilen.

Hat das ausgestorbene Gut keine nahe Vetternschaft, so hat die Bruderschaft und Sippe, und sei es des 100. Gliedes, Recht auf Vieh, Erde und Habe des Gutes.

Bleibt das Gut nur mit einer Tochter, so geht der nächste Vetter zu ihr, nimmt sie ins eigne Haus und übernimmt sogleich das Regiment über Gut, Erde und Besitz.

Die Vetternschaft hat die Pflicht, die Tochter des erloschenen Gutes ins Haus zu nehmen, sie mit Kleidern und Schuhwerk zu versorgen.

Sie hat auch die Pflicht, die verwaisten Mädchen zu verheiraten, ihnen aufzuwarten beim Besehen (durch die Heiratsvermittlung) und sie nach dem Kanun zu geleiten (bei der Hochzeit), den Töchtern das Mahl zuzurichten (Totenmahl), wenn sie im Hause der Vettern vor oder nach der Hochzeit sterben sollten.

Der angenommene Bruder. Angenommener Bruder ist nach dem Kanun jener, der der Mutter mit einem zweiten Manne geboren wird.

Der angenommene Bruder hat kein Recht auf das Erbteil im Gut des ersten Mannes seiner Mutter.

2. Kapitel: Die Legate, Testamente

1. Vermächtnisse zugunsten der Kirche

43Unter Legaten oder Testamenten – oder, wie der Volksmund sie nennt, „um etwas nach der Seele zu hinterlassen“ – versteht man, etwas der Kirche44 zu vermachen, wie Äcker und Wiesen, Garten oder Weinberg, Buschfeld oder Wald, das Wasserrecht, oder wildes wie zahmes Getier, Brache oder Bestelltes; dazu muß er:

a) normal und geistig gesund sein;
b) frei sein, was die Hinterlassenschaft betrifft;
c) er darf nicht durch irgend jemandes Drohung erschreckt sein;
d) er muß das Recht auf eine Hinterlassenschaft haben.

Die Vermächtnisse sind zweierlei, ohne und mit Auflage:

a) Diejenigen mit Auflage (Pflicht) sind jene, bei denen der Vermächtnisgeber der Kirche eine Auflage vorschreibt, z. B. eine oder zwei Messen zu lesen im Jahr für seine Seele oder die Seele seiner Eltern, als Entgelt für das Gut, das er der Kirche hinterläßt.
b) Legate ohne Auflage sind jene, die hinterlassen werden, ohne der Kirche etwas aufzuerlegen; sie gelten als „Geschenke“.
c) Der Vermächtnisgeber ist verpflichtet, seine Vetterschaft zu versammeln und die Ältesten der Sippe, mit Zeugen; darauf geben der Vermächtnisgeber wie auch jene Ältesten und Zeugen ihre Unterschrift, wie das Gesetz (der Kanun) es fordert.

2. Recht desjenigen, dessen Geschlecht erlischt

Jedweder ist Herr über seinen Besitz, und wer der Kirche etwas hinterlassen will, ist frei, es zu tun, niemand darf ihn hindern.

Der Vater, auch wenn er keine Söhne hat, hat aber nicht das Recht, den Töchtern Grund, Gut oder Haus zu vermachen.

Bei Lebzeiten des Vaters hat dieser das Recht, den Töchtern Geld, Kleider, Schmuck zu schenken; nach dem Tode des Vaters hingegen hat die Tochter nicht das Recht, ein etwa versprochenes Geschenk anzufordern.

3. Das Recht der Vetternschaft

Die Vetternschaft des in seinem Samen Erloschenen hat das Recht, dessen Erde und Vieh mit Geld abzulösen (falls der Verstorbene diese der Kirche hinterließ), doch den Ertrag werden sie der Kirche einhändigen, nach der Absicht des im Samen Erloschenen.

Hinterließ der im Samen Erloschene ein Blutrecht oder eine Blutschuld, so werden sie das Schuldige aus dem für seine Habe Bezahlten begleichen und nur den Überschuß der Kirche für die Seele des im Samen Erloschenen aushändigen.

Stirbt der in seinem Samen Erloschene unerwartet (ohne besondere Bestimmung für die Kirche), so hat die Vetternschaft das Recht auf seinen Besitz und seine Habe.

Hinterläßt der im Samen Erloschene nichts Geschriebenes, so ist die Vetternschaft dennoch verpflichtet, seiner Seele zu gedenken. Nimmt sich die Vetternschaft dieser Sache nicht an, so werden die übrigen Sippenmitglieder mit den Ältesten festsetzen (wenn sie seine Habe teilen), was der Kirche zu belassen ist45.

Hat der im Samen Erloschene eine verheiratete Tochter, so ist die Vetternschaft, wenn sie seine Habe durch Geld erwirbt, verpflichtet, ihr aufzuwarten und sie nach dem Gesetz zu geleiten.

Hat ein Vater Söhne, so kann er kein Testament machen.

Stirbt der Vater unerwartet, indem er einen Sohn in der Wiege hinterläßt, so wird die Vetternschaft ihn und seine Habe in Obhut nehmen, bis er 15 Jahre alt ist.

6. Buch: Haus, Vieh und Landgut

1. Kapitel: Das Haus und sein Umkreis

„Das erbrochene Haus46 fordert 500 Groschen Buße und das Zwei-für-Eins für den Herrn.“

Auf dem Grundstein erhebt sich das Haus, sei es Wohnturm (kulle) oder ebenerdige Hütte, es genügt, daß es einen Herdstein hat und Rauch abläßt.

Jedes im Hof befindliche Gebäude gehört zum Hause, in dessen Schatten (Schutz, Obhut) es steht; wird solches Gebäude erbrochen, verfällt die Buße der 500 Groschen und das Zwei-für-Eins.

Niemand darf das Haus betreten, ohne sich vom Hofe aus dem Herrn des Hauses mit der Stimme bemerkbar zu machen.

Rufe – und wenn dir niemand antwortet –, bleibe und warte, oder gehe fort an deine Arbeit.

Dringt er ein, öffnet er die Türe, so gilt das Haus als erbrochen und geschändet, was 500 Groschen Strafe hat und die verlorenen Dinge das Zwei-für-Eins. Der Kanun sagt: „Wer jemandem das Haus erbricht, hat 500 Groschen Buße zu zahlen an den Stamm für geraubte Ehre; für gestohlene Gegenstände dem Herrn das Zwei-für-Eins“47.

Die Hürde des Viehs hat 500 Groschen Buße an den Stamm und das Zwei-für-Eins für den Herrn48.

Die Getreidescheuer hat 500 Groschen Buße mit dem Zwei-für-Eins an den Herrn.

Wird jemandem der Durchgang oder Übersteig zum Hof, Acker, Wiese oder Garten erbrochen, den er vor dem Hause hat: 500 Groschen Buße dem Stamm, das Zwei-für-Eins dem Herrn.

2. Kapitel: Das lebende Vieh

1. Der Hirte

Hirt ist derjenige, der die Herde zur Weide führt.

Der bezahlte Hirt hat die Pflicht, der Herde seine Fürsorge zu widmen, damit sie nicht zu Schaden kommt und niemanden schädigt.

Fügt der Hirt mit der Herde Schaden zu, so bezahlt der Besitzer der Herde den Schaden, nicht aber der Hirte.

Verliert der Hirt ein Stück Vieh, so wird er es dem Herrn der Herde zu wissen tun, und sowohl Herr wie Hirte werden sich bemühen, es wiederzufinden.

Ging dem Hirten ein Stück Vieh verloren, ohne Zeichen oder Spur, so kann der Herr der Herde den Hirten zum Eide zwingen; leistet der Hirt den Eid (seiner Schuldlosigkeit), hat er keine andre Pflicht.

Bricht sich ein Stück der Herde den Hals oder wird es vom Wolf zerrissen, so ist der Hirt verpflichtet, dem Herrn der Herde dessen Abzeichen zu bringen; andre Pflicht erwächst ihm nicht.

Hat jemand dem Hirten ein Stück der Herde gestohlen, so hat er die Pflicht, dies dem Herrn der Herde zu melden und ihm Stelle und Stunde des Diebstahls zu bezeichnen; eine andre Pflicht erwächst ihm nicht49.

Betätigte sich der Hirt selbst als Dieb, so wird er dem Herrn, nach Vorschrift des Kanun, den Schaden vergüten und das Vieh auf eigene Kosten zurückbringen. Hat er sein Jahr nicht abgedient, so erhält er Lohn nur bis zum Tag seiner Übeltat50.

Erschlägt der Hirt den die Herde überfallenden Dieb, so kommt dessen Blut auf sein eigenes Haus; was aber die gestohlene Herde betrifft, so wird der Herr sich darum kümmern (alarmieren).

Der Hirt hat die Pflicht, die Herde zu behüten, und darf sich nicht auf Hürde oder Nicht-Hürde hinausreden, denn „das Tier braucht Hütung, weil es geht, die Erde aber bewegt sich nicht“.

2. Der Leithammel oder Leitwidder (Hammel, Widder der Glocke)

„Die Ehre der Herde ist bei der Glocke.“

Wird überfallen mit Gewalt, aus irgendeinem Haß, angesichts des Hirten und des Glockenhammels, und wird der Angreifer bei dem Überfall nicht getötet, so zahlt dieser Angreifer 500 Groschen Buße (für geraubte Ehre der Herde) und das Zwei-für-Eins.

3. Das zur „Hälfte“ gegebene Vieh

51Das Rind gehört dem Herrn; stirb ein Stück, so ist es sein Schaden; zum Beweis wird ihm dessen Zeichen gebracht durch den, der es zur Hälfte bewirtschaftet hat.

Wurden Schafe oder Ziegen „zur Hälfte“ gegeben, so wird Schaf- und Ziegenwolle zwischen Herrn und Hirten zur Hälfte geteilt.

Der Herr braucht weder für Salz noch Hütte zu sorgen, sondern der Hirte wird dies tun, der das Vieh „zur Hälfte“ hat.

Wurde ein weibliches Kalb „zur Hälfte“ gegeben und wuchs es im Haus des Hirten heran, so gehört sein erstes Kalb dem Hirten, die Milchware beiden (Herrn und Hirten) zur Hälfte.

Hat der Hirte die Milchfrucht verdorben, die er „zur Hälfte“ hat, so ist er verpflichtet, dem Herrn die Hälfte und das Kalb zu ersetzen.

Das Vieh wird stets im Herbst zur Hälfte gegeben und genommen.

Die Kuh „zur Hälfte“ bringt dem Herrn 4 Oka (etwa 5 kg) Käse und 2 Oka Butter. Für 10 Ziegen erhält der Herr 5 Oka Butter, / Oka pro Kopf. Für 10 Schafe erhält der Herr 5 Oka Butte, / Oka pro Kopf. Am Käse hat der Herr weder für Ziegen noch Schafe ein Recht.

4. Das Kopfrind (Hauptrind)

Das Kapital (an Rind) gehört ganz dem Verleiher (dem eigentlichen Besitzer), also das Kopf- oder Hauptrind.

Das Kopfrind verendet niemals.

Wolle und Ziegenhaar des „Kopfrindes“ gehört dem Herrn; die Jungen gehören alle dem Hirten, vom Augenblick an, da das Vieh seine Türe erreichte; die Milchfrucht je nach Abmachung; vielerorts wird auch von ihr nichts abgegeben.

Kam ein Stück des Rindes zu Schaden, hat es der Hirt zu ersetzen, um die Zahl wieder vollzumachen.

5. Das Vieh „mit Verantwortung“

Das Vieh „mit Verantwortung“ kann nicht weggenommen werden. Aber nahmst du das Vieh „zur Hälfte“, so bindet dich die Pflicht der Verantwortung nicht, dann ist der Schaden des Herrn. Ist freilich der Schaden veranlaßt durch Nachlässigkeit des Hirten, so trägt er ihn und muß das beschädigte Stück Vieh ersetzen.

6. Sauen „zur Hälfte“

Wurde ein weiblicher Frischling übernommen „zur Hälfte“ und wird er von der Muttersau entwöhnt und jener, der ihn übernahm, zog ihn auf, so wird er dessen Würfe mit dem Herrn teilen. Da die Sau selbst (die er aufzog) dem Hirten gehört, wird er dafür dem Herrn um ein Ferkel mehr geben.

Nahm die Sau in jenem Jahre nicht an, so darf der Hirt sie weder verkaufen noch schlachten; er muß sie behalten, bis sie einmal geworfen hat.

Nahm die Sau an und warf, die Ferkel aber gehen zugrunde, ehe sie entwöhnt waren, so wird der Hirt die Sau hüten, bis sie ein zweites Mal annimmt und wirft – und die Ferkel werden geteilt (wie oben erwähnt).

Die Ferkel werden nach dem Entwöhnen geteilt, nicht früher.

Wurde eine erwachsene Sau „zur Hälfte“ gegeben, so wird der Wurf geteilt, die Sau aber kehrt zum Herrn zurück, wofür der Hirt ein Ferkel mehr erhält.

7. Die Hütte des Hundes

Der Kettenhund muß eine Hütte haben.

Die Hütte ist das Obdach des Wächters von Haus und Hürde.

Erschlug jemand den Hund in seiner Hütte, so zahlt er dem Herrn des Hundes 500 Groschen Buße (für „erbrochenes Haus“).

Der Kettenhund wird nach dem Abendfutter freigelassen, bis zum Tagen. Von Sonnenaufgang an bleibt der Hund in seiner Hütte, die Keite um den Hals.

Überfällt dich der Hund auf der großen Straße und du kannst dich nicht vor ihm retten, ohne ihn zu töten, und du tötest ihn, so kann der Besitzer weder Ersatz noch auch Älteste (Gerichtsbeschluß) fordern, denn „die Hauptstraße ersetzt nicht“.

Überfällt dich der Hund bei Tage, du tötest ihn mit der Kugel in Kopf oder Brust, so geht der Hund verloren (braucht nicht ersetzt zu werden).

Der Hund beim Schadenstiften darf getötet werden, doch nur, wenn er „mit dem Fleisch im Maul“ betroffen wird, d. h. ein Tier deiner Herde beschädigte.

Der Hund auf dem Berg, der seine Herde behütet, wird vom Richter nicht verfolgt; erschlugst du ihn, du mußt ihn ersetzen52.

Der Priester darf bei der Kirche keinen Kettenhund halten. Denn der Priester muß bei Tag und Nacht für jeden Bedarf des Volkes bereits sein. Will der Priester einen Kettenhund halten, so darf er ihn weder bei Tag noch Nacht losbinden.

8. Der Pflugochse

Der Pflugochse ist ein Zugtier, als dessen Entlehnungspreis ein Meterzentner Getreide jährlich gilt (Meterzentner ist hü, also Pflugochse kau me hü). Hat ihn der Bauer auch für den Winter, so kostet er einen Meterzentner Getreide, überwintert ihn der Herr, so / Meterzentner.

Wurde der Pflugochse gestohlen, so werden sich der Bauer (der ihn entlieh) und der Besitzer gemeinsam um seine Auskundung bemühen. Das Schuhgeld (für den Auskundschafter) werden sie zu gleichen Teilen bezahlen.

Glaubt aber der Besitzer, daß der Bauer den Ochsen in Schaden fallen ließ, so wird sich dieser durch Eid reinwaschen.

Zerriß ein wildes Tier den Ochsen oder biß ihn die Schlange auf dem Berg, so daß der Bauer ihn verendet fand, so wird er dem Besitzer die Haut senden oder ein andres Zeichen.

Ging ein zeichenloser Ochse verloren, verschwand er spurlos, so wird der Bauer vor dem Herrn schwören, daß er den Finger nicht im Schaden hat, der den Ochsen befiel.

Hat der Bauer den Zugochsen nicht zur Arbeit herangezogen, so möge er ihn haben und füttern, aber dem Besitzer (des Ochsen) muß er dennoch den hü (d. h. die Last Getreide) entrichten.

Der Bauer wird dem Herrn die Feldfrucht (den hü) bis zur Türe bringen.

9. Die Bienen

Der erbrochene Bienenstock hat 500 Groschen Buße dem Stamm und das Zwei-für-Eins dem Besitzer.

Der Bienenstock steht im Kanun dem Hause gleich, der Viehhürde, der Getreidescheuer und dem Milchschrank (Milchkammer).

Wer einen Bienenstock stiehlt innerhalb der Umhürdung, für den gilt die Hürde als erbrochen, also 500 Groschen Buße, dem Besitzer aber das Zwei-für-Eins des Stockes.

Leugnet er, so hat er den Eid mit 12 Eideshelfern zu leisten, 6 durch das Gericht ernannte, 6 unernannte durch das Gericht.

Der Bienenstock mit Bienen, nach dem Preis des Kanun, ist 50 Groschen. Die Oka Honig (etwas mehr als 1 kg) macht 5 Groschen, die Oka Wachs auch 5 Groschen.

Der geflohene Schwarm, der sich auf fremdem Baum oder fremder Hecke niederläßt, gehört dem Besitzer, der ihm nachgeht; der Baum- oder Heckenbesitzer darf ihn nicht zurückhalten.

Den geflohenen Schwarm, dem niemand nachgeht, braucht der Besitzer von Baum oder Hecke niemand auszufolgen, er kann ihn behalten.

Der schwärmende Schwarm muß auf dem Fuß verfolgt werden; setzt er sich – wo immer es sei –, so wird er vom Besitzer eingefangen.

Flieht der Schwarm und setzt er sich, ohne daß ihm jemand folgt, so darf ihn jener, der ihn zuerst findet, für sich einfangen.

Ist dort, wo die Bienen niedergingen, jemand, und später tritt ihn der Besitzer der Bienen entgegen, ohne daß dieser den Bienen sogleich gefolgt wäre, so gewährt ihm das Gesetz weder Klage noch Eid, denn niemand kann sagen: „dies sind meine Bienen“, wenn er dem Schwarm nicht auf dem Fuße folgte bei ihrem Schwärmen, denn „Biene ist Biene“.

Die in fremdem Garten gefundenen Bienenvölker oder im Hausumkreise darf niemand einfangen; sie gehören jenem, in dessen Garten oder Hausumkreis sie gefunden wurden.

Der auf dem Berg oder in fremdem Walde gefundene Schwarm – so dieser fern vom Hause ist – gehört dem Finder.

Der in Felsenhöhlen gefundene Schwarm, an fremdem Ort, in Hausferne, gehört dem Finder, sonst aber jenem, in dessen Hausumkreis man ihn fand.

3. Kapitel: Die Landgüter

1. Das Hausgut

„Hütte oder Haus, die Rauch aufsteigen lassen (Herd haben), haben ihre Ehre.“

Dieses Hausgut (prone) hat Hof und Garten, Weinberg, Acker, Wiese, Alpen, Weg und Steg (Durchlaß), hat eine Grenze auf dem Berg, dem Hang, in der Ebene.

Alle Rauche (Herdstätten) haben Anteil am Gemeindegut.

Äcker, Weingärten, Garten, Wiesen, Alpen, Gebüschfelder und Wälder sind durch Grenzen gesichert (geschieden).

Das Gemeindegut, Berg, Alpen, ist Gemeindegut sowohl für das Errichten von Hütten wie auch für Holz- und Reisignutzung und Geräte.

Die Grundbesitzerfamilien können mehr denn einen Anteil Grund und Boden haben, so ihnen ein Anteil durch Beerbung von in ihrem Samen Erloschenen zufiel.

Wer Hürde und Hütte auf der Alpe (dem Freigebiet) errichtet, samt Bauplatz und Garten und Ackerstück einrichtet, kann diesen Grund bebauen; er sei sein Besitz, niemand darf ihn hindern oder von dort vertreiben.

Schattenstellen (mrriz, für des Viehes Mittagsrast) und Bäume, die jemand als Viehschattenstellen stehen läßt, darf niemand schlagen; sie gehören jenem, der sich als Erster auf jenem Platz festsetzte.

Zieht ein Haus um, verläßt es sein Dorf, verkaufte es aber weder Bauplatz noch Erde, so blieben sie sein Eigen; niemand hat das Recht, sich dort festzusetzen.

Verkaufte es die Erde samt Zubehör, so bleibt dennoch der Ort des Hauses sein Eigen; solang jemandes Haus steht, darf niemand es nehmen.

Jedes Haus im Dorf hat das Recht, so viel Grund des Gemeindebesitzes zu bearbeiten als es rings durch einen mit der Linken geworfenen Stein umzeichnet53.

Dort, wo Einer zu ackern beginnt, wird er sich kreuzbeinig hinsetzen, wird einen Stein in seine Linke nehmen und ihn rings nach den vier Himmelsrichtungen werfen. Dieser Grund ist sein. Früher war Brauch, die Axt zu werfen.

Die einmal bearbeitete Erde, sei es für Garten oder Haus, kann kein andrer im Dorf oder Stamm betreten und bebauen, und ließe er sie auch 100 Jahre brach. Sohn nach Sohn gehöre die Erde dem, der sie zuerst umbrach (Berge von Alessio). In Oroshi gilt: „Wer sein Haus 10 Jahre vernachlässigt, verliert es; es gehört jenem, der es hernach als Erster bezieht“54.

2. Jemanden im Dorf zum Bruder machen

„Jemanden im Dorf zum Bruder machen“ heißt: jemanden aus fremdem Stamm aufnehmen, so daß er sich im Dorf eines anderen Stammes niederlassen kann. Hat das Dorf jemanden zum Bruder gemacht, so kann ihm jeder im Dorf, bis an alle vier Dorfgrenzen, Land verkaufen.

Auf Alpe, Berg und Gemeindeland des Dorfes und Stammes kann ihm nichts verkauft werden, und Anteil an der Regierung kann er niemals haben55. Weide, Holzgebrauch und Gerätschaften werden ihm als Ehrengeschenk zur Verfügung gestellt.

Den gemeinsamen Ämtern des Dorfes wird er sich verantworten.

Tod und Hochzeit, Pfand und Bulle, das Darlehen des Mehles hat er leihweise vom Dorf. Er wird Buße zahlen, und auf Bußanteil hat er Recht.

3. Das Gemeindegut

„Das Gemeindegut geht mit dem Rauch.“

Das Gemeindegut (Gemeindeland) ist der Grund, den Dorf- oder Stammesgenossen gemeinsam besitzen, zur Weide, Holzgewinnung, für Reisig, Jagd und anderes.

Das Gemeindeland wird nicht geteilt. Aber so viele Häuser oder Rauche (Herdstätten) im Dorfe sind, so viele haben Recht auf das Gemeindeland des Dorfes; so viele Herdfeuer im Stamme, so viele haben Recht auf das Gemeindeland des Stammes.

Den Schatz des Gemeindelandes kann kein Einzelner ohne die anderen verkaufen. Schaden und Gewinn sind allen Rauchen gemeinsam – des Dorfes oder Stammes. Weder Acker noch Weinberg oder Garten kann jemand im Gemeindeland aufgraben, ohne daß ihm Einhalt geboten würde durch das ganze Dorf, den ganzen Stamm. Wer aber einen Baum ins Gemeindeland setzt, hat das Recht auf dessen Holz; er kann ihn nach Gutdünken fällen, niemand andrer darf an diesen Baum die Axt legen.

Die in das Gemeindeland gesetzten Obstbäume oder Bäume gehören jenem, der sie pflanzte, aber ihre Früchte kann essen, wer mag – der den Baum setzte, darf ihn nicht hindern.

4. Kapitel: Die Grenze

1. „Die Grenzen der Grundstücke sind unbeweglich“

Die Grenze wird durch große Spitzsteine bezeichnet, die unter die Erde und über die Erde ragen; zur Grenzzeichnung kann auch altes, gelagertes Holzwerk dienen.

„Der Grenzstein hat die Zeugen hinter sich.“ Den Grenzstein umgeben die Zeugen. Diese bestehen aus 6 oder 12 Kieseln (kleine Steine), die rund um den Grenzstein eingegraben werden.

Beim Bezeichnen und Besteinen der Grenzen müssen außer den in Frage stehenden Häusern auch die Dorfältesten zugegen sein, die Stammesältesten und so viel als möglich von den Jungmannen und Kindern, auch aus den umliegenden Dorfschaften, auf daß die Grenze in ihrer Erinnerung lebe.

Jedes Grundstück – ob Acker oder Wiese, Garten oder Weinberg, Gebüschfeld oder Wald oder Hausumkreis, Dorf von Dorf, Stamm von Stamm – werden durch eine Grenze ausgeschieden.

Die einmal festgesetzte Grenze wird nie mehr verändert. Die Gebeine des Grabes und der Grenzstein gelten gleich vor dem Kanun. Grenzsteinversetzen gilt gleich dem Spielen mit dem Totengebein. Wer sich anschickt, eine Grenze zu bezeichnen oder einzurichten, wird es mit Ernst tun, wird in die Armbeuge56 Stein und Erdklumpen legen und den beiden Dörfern oder Stämmen vorausziehen, um die Grenze zu setzen oder die Zeichen der alten Grenze neu zu befestigen.

Mit dem Stein und Erdklumpen in der Armbeuge wird der Älteste (plak), der zum Grenzfestsetzen anführt, vor dem Aufbruch vereidigt.

Nach dem Kanun ist die Eidesformel wie folgt57:

a) „Durch diesen Stein (oder: durch diese Last), mit dem ich mich beschwerte, mit dem von den Vorfahren Gehörten, werde ich jetzt den Lauf der früheren Grenze zeigen und werde Keines Grund und Boden benachteiligen, sondern tun, wie Geist und Seele mir eingibt.“
b) „Auf dieses Gewicht: Hier und hier und hier waren die alten Grenzen und hier setze auch ich sie fest. Möge ich im Jenseits büßen, so ich euch belog!“
c) „Auf dieses Gewicht, das mich im Jenseits belaste: hier waren die alten Grenzzeichen, wie es mir der Großvater zeigte, als ich ein Knabe und bei ihm Ziegenhirte war. Er nahm es in jenes Leben mit. Daß hier die Grenzen sind und hier – und nach seinem Wort nehme auch ich es auf meine Seele.“
d) „Dieses Gewicht belaste mich in diesem und dem anderen Leben, wenn ich nicht mit ganzer Seele nach der alten Grenze gehe.“

Wenn du so (mit dem Stein im Arm) die Grenze mit dem Gewicht festsetzest, gibt es Keinen, der den Grenzstein versetzen dürfte.

Wurde dem Ältesten Stein und Gewicht gegeben, nahm er sie auf den Arm und schickte er sich an, mit dir die Grenze zu ziehen, so darf niemand ihn hindern; man sagt:

„So führe uns denn an, und so du nicht mit Rechtlichkeit handelst, belaste dich dies Gewicht im ewigen Leben!“

Während der Greis den Grenzstein setzt, hält er die Hand auf ihn und sagt:

„Wer immer diesen Stein rückt, dem laste er im ewigen Leben!“

Wer den Grenzstein verrückt in der Absicht, Haus mit Haus, Dorf mit Dorf, Stamm mit Stamm zu verfeinden, angetrieben durch Reden und Geschenke, und wird entdeckt, wird nicht nur bestraft und ist ehrlos, sondern ihm fallen auch die Schäden zur Last, so aus diesen Wirren entstehen.

Geschieht ein Mord als Folge des Grenzverrückens, so wird der Anstifter dieser Wirren mit der Buße von 100 Hammeln und einem Ochsen belegt und durch das Dorf hingerichtet58. „Die Grenze macht keinen Bogen (Schlinge).“

Um jedes Mißverständnis auszuschließen, wird die Grenze nicht in Biegungen, nicht geschlängelt sein, sondern gerade gezogen.

2. Die durch das Blut gewonnene Grenze

Überschreitet jemand die fremde Grenze59, ohne zu wissen, daß es fremdes Gebiet ist, und niemand kommt zur Türe, um Stimme zu geben, um zu sagen, daß er Fremdes betrat, so wird ihm am Tage des Pfandes keine Buße für verursachten Schaden auferlegt, und hätte er selbst im Holz oder sonstwo Schaden verursacht – vorausgesetzt, daß er sich zurückzieht, sobald er den Grund als fremd erkannte.

Streiten sich über die Grenze Brüder oder Vettern, Sippe mit Sippe, Dorf mit Dorf – und werden hundert erschlagen: außer daß sie sich zugrunde richten, entsteht keine Folge, denn die Grenze kann nicht verrückt werden. Die Pfänder der Ältesten werden den Streit schlichten. Wird jemand erschlagen, während die Grenze erst festgesetzt wird, oder unter den Hirten auf den Bergen, indem sie unter sich streiten wegen der Weidegrenze auf Alpe und Hochweide, so wird sofort der Ältestenrat über die Grenzfestsetzung abgebrochen. „Er fordert das Weidegeld von mir, ich gab ihm Eisen und Dolch zur Antwort: Dort, wo die Steine der Grenze festgelegt sind, bleibt die Grenze.“

Die Gedenksteine (guret e muanavet) an der Ermordungsstelle eines Menschen (an jede solche Stelle wird ein Stein gelegt oder ein Steinhaufen60 getürmt) werden für immer die Grenzen sein.

Geschieht es, daß zwei Männer sich Büchse gegen Büchse (flake per flake, d. h. Flamme gegen Flamme, also beim gegenseitigen Schießen) töten, ziemlich entfernt einer vom andern, so wird die Grenze der einen Partei beim Gedenkstein des Einen, die des Andern beim Gedenkstein des Andern sein.

Der Ort, der zwischen den beiden Wildbächen liegt, ist Besitz beider Wohnstätten.

Bleibt aber der Erschlagene nicht auf dem Fleck tot liegen, ermannt er sich und dringt ein auf den Grund des anderen, sei es aufrecht, sei es auf dem Bauche kriechend, wie tief er auch über die fremde Grenze drang, dort, wo er durch seine Wunden ermattet endgültig hinsinkt und stirbt, dort werden seine Grenzsteine errichtet, sie gelten als Grenze, und seien sie auf fremdem Grunde61.

Der Ort gehört fortan zu jenem Dorf oder Banner (Stamm), dem der Getötete angehörte, der in das Gebiet eindrang; kein Mann dürfte wagen, jene Steine, die dort, wo er starb, als Grenze errichtet wurden, wegzurücken, denn das Land wurde mit Blut gewonnen und vergossenem Leben (geopfertem Schädel).

Dieses Recht gilt nur, wenn der Streit über die Grenze entbrannte, nicht etwa bei Totschlag aus andrer Ursache.

3. Die durch den Gewichtstein gewonnene Grenze (oder durch die aufgeladene Steinplatte)

62Zwei entzweite Stammschaften wählten einen kräftigen Mann für jede streitende Seite; das Festsetzen der Grenze wurde ihnen aufgegeben. Mit dem Gewichtstein: dem es gelang, den Stein am weitesten zu schleudern, dessen Banner wurde dort aufgepflanzt, wo der Stein niederfiel. Genauer: Hatte ich den Stein am weitesten geschleudert, so gehörte mir jenes Gebiet, warfst du weiter als ich, so nahmst du jenes Gebiet63. Mit der Steinplatte auf dem Rücken: indem man sich die Platte oder einen großen Stein auflud, ging man vor, so weit man die Last schleppen konnte. Wer am weitesten trug, dessen Grenze oder Stammesgrenze wurde dort gezogen. „So geschah es in Unter-Fandi in der Ebene der Mulden, oder am hl. Berg der Alpen von Oroshi.“

4. Die durch die Axt bezeichnete Grenze

64Zwingt mich die Not, einen Ort für Holz zu gewinnen oder eine Alpe, so schultere ich, falls es mir nicht gelingt, mir beides zu beschaffen, die Axt und gehe auf eine fremde Alpe. Auf den Klang meiner Axt kommen die Wächter der Alpe und finden mich beim Zerschlagen des Nadelbaumes.

Hat sich der Schädiger schnell bemüht und die Kraft seiner Arme gut genutzt und seine Axt so tief in den Baum geschlagen, daß die Wächter sie nicht herausziehen können – dann sei die Grenze des Stammes, dem der Schädiger angehört, dort, wo er die Axt einhieb. Wie es Gjoka Bufe aus Kafinari in Kushnen getan hat65.

5. Kapitel: Die Straßen

1. Die Dorfstraße

„Die Straßen sind die Adern der Erde.“

„Die Straße und der Durchlaß zwischen zwei Wohnplätzen verlangt nach der eignen Breite“:

a) Die Straßen der Dorfwohnplätze sollen 8 Spannen breit sein; 4 für den einen Anwohner, 4 für den andern.
b) Um zwischen zwei Äckern Hecken zu errichten, werden 8 Spannen abgegeben, 4 gibt der Besitzer des einen Ackers, 4 der andere.
c) Handelt es sich nicht um die Dorfstraße, sondern um die Straße zweier Anrainer, so werden diese, falls sie zwischen sich eine Straße errichten, abwechselnd eine Spanne frei geben, die Grenze wird in der Mitte sein. Wollen sie keinen Weg lassen, so flechten Sie gemeinsam eine Hecke66.
d) Wird eine Örtlichkeit mit Mauerwerk umgeben, so wird dieses so weit von der fremden Grenze errichtet, als es selber dick ist.
e) Ein Haus muß so weit von der fremden Grenze erbaut werden, als sein Dach Breite hat.
f) Wird ein Brunnen gegraben, dann so weit von der Grenze, daß das Wasser des fremden Brunnens nicht einsickern kann, oder so weit, als die Brunnenöffnung breit ist. „Die Wasser sind das Blut der Erde.“
g) Wird ein Ölbaum, ein Feigenbaum oder andrer Nutzbaum gepflanzt, so setzt man ihn 5 Fuß von der fremden Grenze; hält er sich dort nicht, so 10 Fuß (kufija hijes „Grenze des Schattens“).
h) Keimt ein Baum zu nahe von der Anrainergrenze, wohl aber innerhalb der eignen Grenze, und der Besitzer schlägt ihn nicht ab, so hat der Anrainer das Recht, ihn mit dem Baummesser zuzuschneiden, soweit das Baummesser reicht. „Nach dem Gesetz darf der Stiel des Baummessers nur 3% Spannen messen.“
i) Will sonst jemand einen Baum pflanzen, so sei es 10 Fuß von der fremden Grenze.

2. Die Landstraße (Hauptstraße)

Die Hauptstraße wird so breit sein, daß das Pferd mit seiner Last am Ochsen mit seinem Joch vorbeigehen kann.

Die Straße darf weder aufgehalten noch abgeschnitten werden; sie folgt der Adernrichtung; das Wohl der Gemeinschaft geht über die Privatwohlfahrt.

„Die Arbeit entfernt die Hauptstraße, aber sie darf sie nicht ins Wasser stoßen, wo das Vieh ertrinkt, noch auf den Felsen, wo es den Hals bricht.“

Hast du die Hauptstraße aus deinem Grund entfernt, so darfst du sie nicht etwa stark schief machen, und die Arbeit der Zubereitung wirst du selbst leisten.

Hast du sie schlecht bereitet und es trifft dich davon der Schaden selbst, so magst du ihn leiden, trifft er einen anderen, so fällt er dir zur Last, und du wirst Rechenschaft geben, je nach dem Schaden.

„Die Straße des Stammes wird so breit sein, wie der Fahnenschaft des Banners lang ist.“

3. Die Sackgasse

Der Durchlaß oder Übersteig (über einen Zaun) heißt nach dem Gesetz „Sackgasse“; ist sie nach allen vier Grenzen auf deinem Grund, so magst du sie schließen und die Erde, wo sie lief, bebauen.

War es jedoch ein Durchlaß, den die Fußgänger (Dorfgenossen) von jeher benützten, so mußt du einen andern in der Nähe errichten, wenn du ihn schließen solltest, weil er dir Schaden auf Feld, Garten oder Weinberg verursacht.

War es ein Durchlaß nur durch deine Gefälligkeit oder dein Wort und es entsteht dir Nachteil (oder Schande), so hast du das Recht, ihn zu schließen und dem Dorf mitzuteilen, daß dort niemand mehr gehen möge. Doch war’s ein Durchlaß, wo die Gefährten stets durchgingen, die Hochzeitsgeleite mit der Braut oder die Leichenzüge mit dem Toten, weil es dort zur Kirche führt und so von alters, so darfst du ihn nicht schließen.

Zur Änderung eines Durchlasses bedarf man unbedingt der Zustimmung des Dorfes.

6. Kapitel: Die Stammesweide

„Die Stammesweide, das Weidegeld(pashtrak) gib selbst, sonst werden sie sie dir mit Gewalt nehmen.“

Stammesweide heißt die Örtlichkeit für Weide innerhalb der Grenzen eines Stammes, wo die Herden andrer Stämme nicht weiden dürfen.

Wird auf Berg oder Alpe eines andren Stammes eine fremde Herde betroffen, so wird ihr Besitzer Weidegeld zahlen.

Der Schaden an der Stammesweide wird durch Vieh ersetzt.

„Die Glocke des Leithammels darf nicht als Weidegeld genommen werden, sie ist die Ehre der Herde.“

Der Herr des Berges hat nicht das Recht, die fremde Herde anzutasten und mit eigener Hand das ihm verfallene Stück Vieh zu nehmen; die Hand des Herdenbesitzers wird ihm das Vieh geben, das für den Schaden zu geben ist. Der Besitzer des Berges hat auch nicht das Recht, das Stück Vieh auszusuchen; er wird das Vieh nehmen, das ihm die Hand des Hirten zuweist. Betritt die Herde den fremden Berg hundertmal an einem Tage – hundert Stück Vieh wird der Besitzer der Herde geben.

Wurde der Hirt nicht angetroffen, um Bezahlung von ihm zu fordern, erhob sich darauf der Herr des Berges mit einigen Genossen, um die fremde Herde zu überfallen, so unterstützen sowohl Dorf wie Stamm diese Beutenehmer und fordern Rechenschaft vom Besitzer der Herde. Dorf und Stamm des Hirten werden entweder den Hirten zwingen, das Weidegeld zu zahlen, oder die Hand von ihm abziehen.

7. Kapitel: Die Arbeit

1. „Die Arbeit rückt den Durchlaß“

Die Arbeit entfernt die Hauptstraße, darf sie aber nicht „ins Wasser stoßen, wo das Vieh ertrinkt, noch auf den Fels, wo es den Hals bricht“ (siehe oben). Geht aber die Hauptstraße über deinen Grund und du beschließt es, dort zu ackern, so darfst du die Straße verlegen, darfst sie aber nicht über den Bach führen oder über Felsen, noch zu nahe am Wasser oder Abgrund. „Die Arbeit rückt den Durchlaß.“ Beschlossest du jene Erde zu bearbeiten, über die der Durchlaß des Dorfes führt, so bearbeite sie, aber für den Durchlaß wirst du einen anderen Ort finden.

Der Kanun will nicht, daß jemandes Erde geschädigt werde, darum sagt er: „Die Hecke bewegt die Straße“; aber Straße und Durchlaß werden an andrer Stelle ersetzt.

2. Der Lohnbauer

Lohnbauer ist, wer zu einem Herrn geht, dessen Erde zu bebauen.

Die Herrschaft wird für die Errichtung einer Hütte sorgen, sei es einer ebenerdigen oder eines Wohnturms (kulle) für den Lohnbauern und seine Hausgenossen.

Was die Ochsen betrifft: wie es mit dem Herrn abgemacht wird. Hat der Lohnbauer eigene Ochsen, so darf er die Erde bearbeiten; und was das Getreide betrifft, so nach Abmachung. Hat der Lohnbauer keine Ochsen, so darf er sie nur beim Herrn nehmen.

Die Geräte, Werkzeuge und ihre Schärfen (Klingen) sind Sache des Lohnbauern.

Den Wasserlauf zu teilen oder zuzurichten, ihn zu pflegen ebenso. Brach das Leitungswasser in die Abteilung eines andern durch Schuld des Lohnbauern, so trägt er den Schaden.

Gräben aufzuwerfen ist Sache des Grundherrn, nicht des Lohnbauern.

Die Grundstücke zu umhecken ist Sache des Lohnbauern, nicht des Grundherrn.

Die Bearbeitung der Grundstücke, das Säen, Bewässern, Ernten, Abräumen, ist Sache des Lohnbauern, nicht des Herrn.

Was immer der Bauer sät auf der Erde seines Herrn (jederlei Pflanze), wird er mit dem Herrn teilen nach Abmachung. Zuerst erhält der Herr, dann der Bauer, so fordert es Sitte und Ansehen.

Die Früchte (Feigen, Nüsse, Mispeln, Granatäpfel, Äpfel und ähnliches) nimmt der Bauer vom Baum und teilt sie mit dem Herrn.

Der Lohnbauer hat das Recht, ein Stück Garten auf dem Grund seines Herren umzugraben, um für sich selbst Kohlarten, Zwiebeln, Lauch usw. zu bauen. Pflanzt er in jenem Garten auch Tabak, so hat er ihn für sich selbst. Pflanzt der Bauer Tabak und Kartoffeln außerhalb des Gartens, so hat er sie zur Hälfte mit der Herrschaft.

Sollte der Lohnbauer das Vieh des Herrn „zur Hälfte“ haben, so gehört das Stroh dem Bauern, und mit dem Mist wird er die Gründe düngen. Die Mühe der Arbeit hat der Lohnbauer.

Hat er Wiesen, die an die Äcker stoßen, so mäht sie der Bauer; das Heu hat er zur Hälfte mit dem Herrn, das Einhecken und Bewässern ist Sache des Bauern.

Die Weide auf den Wiesen hat der Bauer, der sie pflegt, umheckt und bewässert und mäht, und die Herrschaft darf sie keinem andern geben, nur wird das Vieh des Herrn mit dem des Bauern grasen.

Der Bauer baut das Heu zu Haufen; deren Unterhalt obliegt dem Herrn. Das Ernten, Säubern und Dreschen des Maises hat der Bauer, außer, der Herr sammelt die Kolben auf dem Halm und häuft sie im eigenen Hofe; dann erntet und überbringt der Bauer, für das Säubern aber sorgt der Herr.

Zum Wässern der Gartenpflanzen nimmt der Bauer das Wasser in der Reihenfolge der Grundstücke seines Herrn.

3. Der Schmied

„Der Schmiede (wie der Kirche, Mühle, Herberge) dient niemandem als Freund.“

Die Schmiede hat man in der Reihenfolge wie auch die Mühle.

Der Schmied schmiedet in der Folge, in der ihm jemand Eisenwerk zum Schmieden bringt.

Der Schmied wird nicht auf Freundschaft sehen (jemanden bevorzugen) noch den Reichen vom Armen unterscheiden, den Nahen vom Fernestehenden. Es ist seine Pflicht, die Reihenfolge einzuhalten.

Die Arbeit (Mühe) des Schmiedes wird pro Joch Erde bezahlt (je nachdem der Bauer, der bei ihm schmieden läßt, Grund hat67.

Der Schmied hat die Pflicht, zu schmieden; das Eisen wird jeder für sich selbst bringen.

Das Gebläse, die Schläuche, der Amboß und die andern Werkzeuge gehören dem Schmiede; den Zunder bringt ihm der Besitzer des Eisens.

Es ist Pflicht des Schmiedes, durch das ganze Jahr zu beschlagen und Eisenwaren zu bearbeiten.

Die Besitzer der Eisenwaren haben ihren bestimmten Tag, jeder einmal im Jahre; in dieser Reihenfolge sind sie dem Schmiede für Nahrung und Arbeitslohn verpflichtet. Zur übrigen Zeit sind sie ihm nicht verpflichtet.

Der Schmied ist verpflichtet, für ein Jahr zu schmieden, er darf niemanden übergehen.

Fügt der Schmied etwas aus eigenem Eisen hinzu, wird ihm der Besitzer der Eisenwaren sein Eisen bezahlen, das er für ihn verwandte.

Für das Schmieden von Ketten, Fallen und anderem Eisenwerk, das mit der Bauernarbeit nichts zu tun hat, muß er, der es braucht, besonders zahlen.

Niemand braucht dem Schmied den Lohn ins Haus zu bringen, er holt ihn.

Der Schmied und sein Haus sind vom Waffendienst befreit.

Der Schmied ist verpflichtet, für 10 zum Heeresdienst befohlene Dorfmitglieder ein Schwert zu schmieden.

Weder der Schmied noch sein Haus sind von einem Dorfamt ausgenommen.

4. Die Mühle

„Der Müller und seine Hausgenossen werden nur auf einem Ellenbogen schlafen.“

Tag und Nacht wird der Müller die Kornfrucht bewachen, sei es, um sie zu mahlen oder um zu verhindern, daß dem Besitzer von ihr verlorengeht. Der Müller ist verantwortlich für alles, was der Besitzer der Kornfrucht ihm übergibt.

Geht von der Kornfrucht verloren, so trägt der Müller den Schaden; er wird das Verlorene ersetzen.

„Mühle und Schmied hat man in der Reihenfolge.“ Der Müller ist verpflichtet, das Korn in der Reihenfolge zu mahlen, wie es ihm der Besitzer zubringt, ohne auf Vorliebe zu achten.

Die vom Dorf überlassene Mühle hat die Reihenfolge vorgeschrieben.

Gehört die Mühle dem Müller, geht das Mahlen in der Reihenfolge, in der die Lasten zukommen, wie beim Schmiede, bei der Quelle und der Fähre. Diesen allen gilt die Reihenfolge nach Ankunft der Kunden.

Ist dir die Reihenfolge beim Müller zuerkannt und du gehst zum Mahlen für den ganzen oder halben Tag, findest aber die Mühle besetzt, so hast du das Recht, den Mahlstein aufzuhalten und das Mahlen zu unterbrechen, Mehl und Getreide zu entfernen und selbst zu mahlen.

Ist es nicht die dir zuerkannte Reihenfolge, du aber gehst zur Mühle und findest dort Kunden, so mußt du warten oder zu einer andren Mühle gehen.

5. Das Mühlwasser, der Mühlbach

Ist der Mühlbach mit seinem Land gekauft, so darf niemand aus ihm Wasser ablassen, den Bach ableiten oder gar das Bett trocken lassen.

Ist der Mühlbach mit Bett und Land gekauft, so heißt er „zum Land gehörig“; selbst wenn der Acker vertrocknet, darf niemand den Mühlbach trocken legen.

Ist er hingegen ein Gewässer, das sowohl Mühle wie Acker dient, so daß mit seinem Wasser auch die Äcker zu bewässern sind, so bleibt die Mühle trocken, ehe die Pflanzen verdorren, denn „hast du nichts zu ernten, wirst du auch nichts zum Mahlen haben“.

Die Klage des Müllers, daß ihm die Mahlsteine trocken gesetzt wurden, die er doch als Besitz hat, nimmt der Kanun nicht an; er sagt: „Für Kaufladen und Mühle werden die Gefährten nicht mit Buße belegt.“

„Der Mühlbach (Mühlgraben) fordert seinen eignen Weg.“ Dieser Weg ist 8 Fuß breit, daß ihn das beladene Pferd beschreiten kann. Dieser Mühlenweg ist auch notwendig, weil der Müller Bewegungsfreiheit haben muß, um das Mühlwasser zu reinigen und zu regeln.

Um das Wasser in Ordnung zu halten, gehen alle Müller hinaus, die an dem Bach wohnen. Fehlt einer ohne Erlaubnis seiner Genossen, so wird er nach Bestimmung der andern in Buße genommen; an dieser Geldstrafe haben nur allein die Müller Anteil.

Starb dem Müller jemand im Haus, so befreit ihn der Kanun 8 Tage von jeder Arbeit, die dem Dorf gemeinsam ist; niemand hat das Recht, an seine Tür zu kommen, um vom ihm für Dorf oder Mühle Arbeit zu fordern. Nach 8 Tagen wird er seinen Arbeiter senden, und sei er sogar aus dem Geschlecht der Gjonmarkaj (das erste Geschlecht der Mirdita und des Kanun).

6. Die Bewässerung

Der Wasserlauf für die Äcker darf weder verändert noch behindert werden.

Der Wasserlauf ist früh durch eine Art Kaufvertrag geordnet worden, diesen Kaufvertrag darf niemand ändern.

Die Örtlichkeit, über die die Wasser führen, werden durch Älteste und Volk abgegangen; diese Begehung gilt als Entscheidung und wurde zum Ältestenbeschluß. Ein neuer Ältestenbeschluß kann den früheren nicht abändern: „Ältestenbeschluß auf Ältestenbeschluß gibt kein Gesetz.“

Was die Vorfahren richtig befanden, dürfen die Nachfahren nicht abschaffen. Klagt jemand wegen des Wasserlaufes, so wird seine Klage nicht angenommen, denn der Wasserlauf ging über jene Örtlichkeit schon vor der Klage; erschöpfst du dich also auch mit Pfändern, so gibt es doch keinen Richter, der jenen Lauf abschneiden dürfte.

Das Wasser ist geflossen und schuf sein Bett; das Bett macht die Örtlichkeit zum Grund, dort also wird es fließen, verbleiben und arbeiten. Aus seinem Grund darf niemand es entfernen, seine Arbeit niemand hindern, denn es hat sich den Grundstein geschaffen. „Der Grundstein darf nicht ausgerissen werden“, sagt der Kanun.

Sowohl Mühl- wie Ackerbach ist zum Besten der Gemeinschaft; er muß unbedingt irgendwo fließen. Wie die Fügung fällt – ob schwer, ob leicht –, so verpflichtet das Gesetz sie zu tragen.

„Es gehört sich nicht, daß wegen eines Hauses ein Dorf austrocknet.“

„Gemeinwohl geht über das Wohl des einzelnen.“

„Das Dorfwasser ist mehr wert als die Wurzel eines Hauses.“ Da es für das Gemeinwohl werkt, wo der Zirkel der Berieselungsrinne sich ansetzte, da wird es fließen, hättest du auch an der Rinne keine Reihenfolge zu eigen.

„Die Wasser können nicht aufwärts fließen, fällt es ihnen ein, auf deinen Grund zu strömen, so darfst du sie nicht hindern.“

Wie immer der Bachlauf sei, und fällt es dir ein, dein Haus auf dem Bachlauf zu errichten, du darfst ihn nicht ablenken, auch nicht, wenn dort dein Herdstein zu stehen kommt; an seiner Wurzel wird der Bach vorbeiströmen.

Fällt die Berieselungsrinne auf deinen Bauplatz, du darfst sie nicht ablenken, doch wird dir die Gemeinschaft den Schaden ersetzen, entweder, indem sie dir Anteil gibt an der Rinne, oder durch Geld, oder indem sie dir eine andre Örtlichkeit abtritt.

Versteint Eigensinn deine Seele, die Rinne wird doch nicht aufgehalten, das Gemeinwohl hindert es; einigst du dich nicht mit den Gefährten, so nimmt dir der Richter den Grund; vielleicht fordert er ihn sogar als Buße.

„Die Arbeit fördert die Berieselungsrinne, sie darf sie nicht niedriger machen.“ Die Rinne niedriger zu machen, das duldet der Kanun nicht, denn flösse sie niedriger als ihr der Weg gesetzt ist, so könnten fremde Äcker trocken bleiben.

Wer im Wasserbett arbeitet, wird es verderben oder niedriger machen oder weiterführen. Das Verderben und Niedrigermachen des Wasserlaufes duldet der Kanun nicht, doch darfst du ihn weiterführen.

Was das Wohl deines Hauses dich tun heißt am Wasserlauf, daran hindert der Kanun dich nicht, doch achtet er darauf, daß niemandem Schaden erwachse durch Verminderung des Wassers oder dadurch, daß es infolge von Windungen und Abzweigungen langsamer fließe.

Rührt jemand zu eigenem Nutzen an den Bewässerungslauf, so ist er verpflichtet, ihn wiederherzustellen, wie er war, und niemand wird ihm dabei helfen. Schaden und Gewinn sind für sein eignes Haus.

Beschloß jemand, den Wasserlauf höher zu legen, auf den eignen Bauplatz, um Mehl- oder Tuchmühle zu betreiben, der wird der Bewässerungsrinne das neue Bett selbst bereiten. denn das Wasser wird nun „auf eine zum Grund gehörige Rinne“ fließen.

Hat jemand absichtlich jemandes Bewässerungsrinne verdorben, so muß er nicht nur die Rinne wieder richten, er muß auch den Reihenfolgeteilnehmern den Schaden ersetzen und zahlt Buße je nach der Schwere des Falles: „Die neue Rinne darf die alte nicht austrocknen.“

„Die alte Rinne hat ihre Erde in Besitz genommen, also darf sie ihr die neue nicht verderben.“

Der Kanun hat dieses Verbot erlassen, damit die Wasserrinnsale sich nicht vervielfältigen, denn dann wäre der Zeugen und Pfänder kein Ende.

Eine Rinne hat ihre Erde in Besitz genommen vor wer weiß wieviel Menschengeschlechtern, es gibt also weder Älteste noch Kanun, die sie austrocknen dürften.

„Die Bewässerungsrinne des Dorfes hat ihre Abteilungen.“

Wer die Reihenfolge des zum Bewässern von Acker und Wiese nötigen Wassers (oder des Gartens) hat, ist verpflichtet, sie einzuhalten und sich nach der Einteilung zu richten.

Die Zuteilung der Rinne wird gesetzt und weggenommen mit Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, je nachdem jemand auf die ganze, halbe oder Viertelsrinne berechtigt ist.

Trocknet die Rinne bis zum Bett aus, sei es durch Regen oder weil die Rinne von selbst abströmte, soviel Anteilnehmer an der Rinne sind, so viele werden hinausgehen, um das Wasser in Ordnung zu bringen.

Ergoß sich das Wasser auf Grund, der den Hahn für die Rinne hat, so wird der Herr dieses Grundes sie selbst in Ordnung bringen.

Brach aber das Wasser bei einem Solchen ein, der keinen Anteil an der Rinne hat, so muß der Anteilhaber hinausgehen und das Wasser fassen.

Zerbrach das Vieh die Wasserrinne, so wird der Herdenbesitzer den Schaden vergüten.

7. Das Wassergeld der Mühle

Das Wassergeld für das Mahlen, das der Müller für jede Getreidelast nimmt, besteht aus einem Maß Getreide.

Der Müller hat Recht auf das Wassergeld wie jeder Arbeiter auf den Lohn seiner Mühe. „Wie der Arbeiter den Lohn will, so will der Müller das Wassergeld.“

Der Besitzer der Lasten ist verpflichtet, das Wassergeld zu zahlen nach Vorschrift des Kanun.

„Der Kirche, Mühle, Schmiede und Herberge dient niemandem als Freund.“

In der Mühle werden allerhand Körner gemahlen, dorthin kommen allerhand Leute, jeder für seine Arbeit und seinen Bedarf. Indem er zur Mühle geht, nimmt jeder den Brotsack mit such und ißt sein eigen Brot, solange er in der Mühle ist.

Der Müller mahlt nicht aus Gefälligkeit, sondern zu seinem Vorteil, um das Wassergeld zu verdienen.

Der Müller trägt Verantwortung für Lastzuträger und Last, solange er die Last des Gemahlenen aufladet, bis er sagt: „Glückliche Reise.“

Macht sich der Lastzuträger auf aus der Mühle und jemand überfällt ihn, erschlägt ihn, sobald er den Schatten (die Obhut) der Mühle verließ, nimmt ihm das Pferd samt der Last, so dient ihm der Müller nicht zum Freunde, noch fordert er seinen Kopf, so ihm der Totschläger in die Hand fällt.

8. Kapitel: Die Jagd

1. Allgemeines

Der Kanun hat keine Zeit festgesetzt, in der die Jagd ruhen müßte; in unsren Bergen ist die Jagd zu jeder Zeit frei.

Kommt jemand zum Jagen in die Umgebung fremder Häuser, so darf der Besitzer der Örtlichkeit ihn hindern und die Jagd verbieten.

Niemand darf zur Jagd in fremde Grenze eindringen; wagte dies einer, so wird ihm die Jagd gehindert, und er kehrt heim ohne Beute.

Ging das ganze Dorf gemeinsam jagen, so werden sie die Beute teilen.

Jagten 50 Leute und erlegten sie nur einen Hasen, so teilen sie ihn in 50 Stücke. Gehen 50 jagen, die Hälfte mit Waffe, die Hälfte waffenlos – sie erhalten doch alle gleicherweise ihren Anteil an der Jagd, weil sie samt und sonders in der gleichen Absicht zu Berge gingen. Die Unbewaffneten halfen den Bewaffneten, der eine mit Geschrei, der zweite durch Aufmerksamkeit, der dritte, indem er die Örtlichkeit einkreiste.

Stöbert der Schweißhund der Jäger ein Wildstück auf, dieses flüchtet, überspringt die große Straße, dort ist ein Wanderer und schießt dies Wild, so darf er es nicht behalten. Das getötete Wild gehört dem Hundebesitzer und dem Wandersmann, der es tötete; wird durch eine Patrone die verschossene Patrone ersetzt.

Wer das Wild verwundete oder tötete, nimmt seine „Zeichen.“ Die Zeichen bestehen aus Lunge und Kopf des erlegten Tieres. Die Zeichen des Wildschweines bestehen aus Lunge, Kopf und einer Ledersohle, die der Erleger über seinen Anteil erhalten wird.

Wer die Zeichen erhält, erhält nach dem Kanun auch das Rippenstück des erlegten Wildschweines oder Rehes, das er dem Pfarrpriester senden wird.

Außer den Zeichen wird der Erleger seinen Anteil am Fell (der Haut) und dem Fleisch der Beute bekommen wie die übrigen Jagdteilnehmer.

Ziehen solche Jäger aus und erlegen sie ein Wildschwein, so nimmt der Erleger die Zeichen; Haut und Fleisch teilen die Sechs. Sind mehr als sechs Jäger, so nimmt der Erleger außer den Zeichen auch die ganze Haut; das Fleisch aber teilen sie nach Kopfzahl.

Kann der Erleger nicht ermittelt werden, so nehmen alle abgeschossenen Büchsen die Zeichen; Fleisch und Fell werden zu gleichen Teilen unter alle Jäger verteilt.

Ergibt die Wildschweinhaut nicht so viel Opankenpaare (Schuhpaare) wie Jäger sind, so wird sie in Stücke zerschnitten, und diese Stücke werden nach Kopfzahl verteilt.

Wer das Wild anschoß, darf es in jedes Dorf, jeden Stamm verfolgen.

Tötet jemand ein Wild, das ein andrer anschoß, so nimmt die Zeichen jener, der es anschoß; Fleisch und Haut teilen beide (beide Jägergruppen).

Das angeschossene Wild, das von jenem, der es anschoß, nicht verfolgt wurde, gehört jenem, der es tötete.

Es ist nicht Kanun, daß das Beutefleisch mit der Waage gewogen werde; nachdem sie es in so viele Teile teilten wie Jäger waren, ziehen sie das Los über die Stücke, oder sie zahlen den Einen aus und teilen, wie es ihnen paßt.

Sind die Jäger beim Jagen auf dem Berg und ruft, wenn sie schießen, jemand vom Berge: „Habt ihr es getroffen – oder ihr?“ und sie stürmen vor und treffen das Wild reglos und durch die Büchse hingestreckt, so sind jene Rufer zu einem Anteil berechtigt wie alle anderen Jäger.

Sollten sich aber die Jäger beeilen und das Wildstück Vieh jener Stelle zu einer andern bringen, so haben die anderen keinen Anteil an der Beute.

Gehst du auf die Jagd und es gesellt sich dir Einer mit oder ohne Büchse – wenn du etwas erlegst, wirst du ihm Anteil geben.

2. Das nach der Spur verfolgte Wild

Das nach der Spur verfolgte Wild, das in einer Fels- oder Baumhöhle betroffen wurde, muß vom Verfolger, der es fand, durch dreifache Spur um Baum oder Fels eingeringt werden.

Dort, wo die Spuren gesehen werden, darf kein andrer eindringen. Hundert Füchse, Marder oder Dachse, die von jemandem verfolgt und durch solche Spur umgeben werden, hat niemand das Recht auszugraben; dieses Recht gehört der ersten Spur.

Hast du ein Wild verfolgt, und es kommt ein andrer und überholt dich, ohne zu wissen, daß du ihm folgst, und er siegelt das Wild in der Höhle durch dreifache Spur ein, du kommst nach einiger Zeit, der du das Wild verfolgtest, so hast du kein Recht auf dieses Wild, es gehört jenem, der es mit seiner Spur einsiegelte.

Aber verfolgte ich ein Wild und siegelte es in die Felsoder die Baumhöhle und begann den Baum zu fällen oder die Höhle auszugraben, um es hervorzuholen, und dieses Tier bricht aus und entkommt mir, ich aber verfolge es und treffe es in einer andern nach dem Gesetz eingesiegelten Höhle, so darf ich diese Spur nicht überschreiten; ich werde mich dort niedersetzen und warten, bis der Herr dieser Spur eintrifft. Kommt der Herr der Spur, so werden wir uns gemeinsam der Mühe des Baumfällens oder Ausgrabens unterziehen und werden das ausgegrabene Wild teilen. Geschieht aber, daß der Herr der ersten Spur den andern sein Wild nicht nehmen lassen will, das ihm entflohen war, nachdem er es eingesiegelt hatte, und sich hier nun versteckte, so gibt ihm der Kanun das Recht, das Wild zu nehmen, das aus seiner Hürde in die fremde Hürde geflohen war.

Flüchtet ein vom Jäger verfolgtes Wild in die Baum- oder Felsenhöhle auf eine fremde Umhürdung oder Weide, so darf der Jäger diese Umhürdung oder Weide ohne Erlaubnis des Besitzers nicht betreten. Will er sein Wild herausziehen, so muß er es mit dem Besitzer des umhürdeten Ortes, der Weide, teilen.

Ging jemand zur Jagd und es folgte ihm ein fremder Jagdhund, so hat an seiner Beute der Herr des Hundes keinen Anteil. Klagt der Herr des Hundes, so wird er ihm den Taglohn des Hundes (5 Groschen) zahlen.

9. Kapitel: Die Fischerei

1. Allgemeines

68Wie die Jagd hat auch das Fischen keine durch den Kanun bestimmte Schonzeit; in jeder Jahreszeit ist der Fischfang frei.

Jedem Flußlauf entlang kann der Dorfbewohner dort fischen, wo der Fluß innerhalb seiner Dorfgrenzen fließt; niemand darf ihn hindern.

Innerhalb der Dorfgrenzen darf kein Fremder fischen.

In Bächen, die durch einen Dorfteil fließen, darf keiner einzeln fischen, sondern nur in Dorfgemeinschaft. Die gefangenen Fische werden unter die Herdstellen jenes Dorfteiles verteilt.

Im Bach, der an den Grundmauern eines Hauses vorbeifließt, darf niemand ohne Erlaubnis des Hausherrn fischen; er wird seine Absicht dem Hausherrn mitteilen, und dieser kommt entweder selbst oder sendet einen Stellvertreter oder gibt jenem, der die Fische entdeckte, Erlaubnis, frei zu fischen.

Wurde jemand – sei er Freund oder Dorfgenosse – dabei überrascht, als er fischte, so wird dieser Fischer Anteil am Fang geben. Kanun ist, daß man niemanden beim Fischen begleitet, ohne Anteil zu bekommen.

Von dem Fisch, der mit Netz, Fallnetz, Blei oder Reuse gefangen wird, erhalten die Besitzer dieser Geräte zwei Anteile.

Der gefangene Fisch wird nach Stück geteilt – so viele Anteile oder Fischhaufen wie Anteilnehmer – und dann entscheidet das Los, wer den einzelnen Haufen erhält.

2. Der Fischfang mit Korb oder Kanne

Korb oder Blechkanne dürfen nicht gegenüber fremden Äckern ausgelegt werden, an denen der Fluß vorbeifließt.

Fiel es jemandem ein, Korb und Kanne gegenüber fremden Äckern auszulegen, so muß man sich mit dem Ackerbesitzer verständigen, und falls dieser das Auslegen gestattet, wird man mit ihm zusammen fischen, einmal der eine, einmal der andere.

Legte jemand Korb oder Kanne, so darf kein andrer die seinen darüber legen, auch nicht auf eignem Grund.

War einer so frech aus Haß seine Körbe oder Kannen über die eines andren auszulegen, so hat das Dorf das Recht, beiden Kannen und Körbe wegzunehmen und beide überhaupt nicht fischen zu lassen.

Hat aber jemand ein Floß in den Fluß zu lassen und gab dies dem Besitzer der Körbe und Kannen zu wissen, damit er sie wegnehme, um das Floß vorüberzulassen, dieser tat es dennoch nicht, und Körbe und Kannen gerieten dadurch in Unordnung (stürzen um), so trägt der Besitzer der Körbe und Kannen den Schaden; der Besitzer des Floßes ist ihm zu nichts verpflichtet.

3. Der Fischfang mit Pulver

69In Weihern oder andern stehenden Wassern, die auf fremdem Grunde liegen, darf niemand Pulver zum Töten der Fische benützen. Erlaubte es der Besitzer des Weihers, so teilen sie den Fang.

Am Fang mit Pulver hat nur der Anteil, der die Pulverladung gibt.

4. Der Fischfang mit Gift

70Wurde Gift ausgelegt in Weiher oder Fluß und dem Bachlauf entlang, so gehört der Fisch jenem, der das Gift auslegte.

24 Stunden lang darf dort kein andrer zum Fischen gehen.

Den durch Gift getöteten Fisch darf der Besitzer des Giftes den Fluß entlang verfolgen, ohne daß ihn jemand hindern könnte, selbst wenn ihn sein Weg in ein fremdes Dorf oder Stammesgebiet führte. 24 Stunden nach dem Auslegen erlischt das Recht des Giftbesitzers.

Wurde Gift durch ein Dorfviertel ausgelegt, so darf kein andres Viertel des Dorfes Gift auslegen, weder über noch unter der Auslegestelle.

7. Buch: Der Handel

1. Kapitel: Allgemeines

Der Kanun kennt den Handel mit und ohne Bedingung, d. h. durch einfachen Abschluß, oder aber vor Zeugen und mit Angeld.

Das Angeld (kapär) ist jenes Geld, das vor Empfangnahme der Ware bezahlt wird.

„Das Angeld gibt dir die Ware zu eigen, doch wirst du bezahlen, was darüber hinaus zu bezahlen ist.“

Ob du einen oder hundert Groschen Angeld gibst, du bist Besitzer der beangeldeten Ware.

„Das einmal genommene Angeld kann nicht zurückgegeben werden.“ Wenn das Angeld gegeben ist, kann sich der Verkäufer nicht mehr anders besinnen – und träten hundert neue Käufer auf. Bereut der Käufer, so geht ihm das Angeld verloren, und seien es 100 Groschen.

Betrügt der Verkäufer, indem er einem anderen, der mehr bezahlt, die beangeldete Ware verkauft, so ist dieser Handel ungültig.

Kommt die Angelegenheit vor Ältesten und Pfänder, so verlangt der Kanun, daß der Verkäufer die Ware zurück erwirbt und jenem gibt, der sie beangeldete.

Leugnet der Verkäufer, daß er Angeld erhielt, und der Angeldgeber hat keine Zeugen, so zwingt der Kanun den Verkäufer zum Eid; schwört er, so geht das Angeld verloren.

Die mit Bedingung gekaufte Ware kann zurückgegeben werden, wenn sie sich als fehlerhaft erweist.

Die Ware, die trotz der Befürchtung gekauft wird, daß sie gestohlen sein könnte, deren Besitzer (zot = „Herr“ = Eigentümer) auftritt, nachdem sie gekauft wurde, zwingt den Käufer, sich an den Verkäufer zu wenden; den Preis, den der Käufer für diese Ware gegeben hatte, muß ihm der Verkäufer der gestohlenen Ware zurückgeben. Die Vorschrift des Kanun lautet: „Wo immer der Besitzer seinen Besitz findet, nimmt er ihn an auch.“

2. Kapitel: Der Handel mit Erde (Grundstücken)

1. Allgemeines

Ehe ein Grund oder eine Wasserlaufreihenfolge oder die Reihenfolge bei der Mühle verkauft wird, geht man zur Tür der Vetternschaft und Bruderschaft der Sippe.

„Der Anrainer kauft den Grund des Anrainers, wenn ihn nicht die Vetternschaft oder Bruderschaft der Sippe kauft.“

Kaufen ihn weder die Genannten noch der Anrainer, dann bist du frei, sie jedwedem Käufer im Dorf zu verkaufen. Kauft sie auch das Dorf nicht, bist du frei, sie irgendwem zu verkaufen71.

Verkaufte jemand Grund und Reihenfolge an Wasser und Mühle, ohne es Vetternschaft und Bruderschaft der Sippe und dem Anrainer mitzuteilen, dann ist nach dem Kanun der Verkauf ungesetzlich (ungültig). Die Vorerwähnten sind berechtigt, den Verkauf für nichtig erklären zu lassen.

Der Käufer darf keine Abmachung treffen, von der er weiß, daß sie außerhalb des Herkommens getroffen ist, denn es wird ihm sein Geld genommen werden.

Sagt aber der Käufer, daß er dies vor dem Kauf wohl beachtete, und er beeidet dies, so wird der Verkaufende nach der Schwere des Falles in Buße genommen; das Verkaufen des Grundes aber bleibt ungesetzlich und wird für hinfällig erklärt.

Der ausgesteuerte Bruder und die nahe Vetternschaft kauft die Erde um 100 Groschen billiger als die entfernte Verwandtschaft und Sippe. (Das Dukagjin – also die Stammschaften Shala, Shoshi, Nikaj, Merturi und Dushmani – gibt die Erde den Nahen um 500 Groschen billiger als den Entfernten.)

2. Die mit Bedingungen gekaufte Erde

Verkaufe ich dir die Erde heute, morgen aber fällt dir ein, sie wieder zu verkaufen, so darfst du sie keinem andern verkaufen, ohne mich zu befragen. Diese Bedingung bindet den Käufer, und er kann nirgends anders verkaufen, ohne dem ersten Verkäufer wieder zur Tür gekommen zu sein.

Wurde die Erde ohne diese erwähnte Bedingung verkauft, so ist der Käufer frei, zu verkaufen, wie es ihm gefällt.

Für die verkaufte Erde, die verkaufte Reihenfolge an Wasserlauf oder Mühle ist es Gesetz, einen Branntwein zu trinken72. Den Branntwein wird jener spendieren, der kauft.

3. Kapitel: Der Handel mit Waffe und Pferd

„Die Büchse und das Pferd haben den Keil auf dem Keil. “

Kauftest du die Waffe73, und der Verkäufer sagte dir: „Mögest du sie in Ehren führen!“ und du hingst sie an den Tragstock mit eigener Hand, so bleibt sie dir an der Türe, auch wenn du einen Betrug daran entdeckst.

Die Büchse wird stets geladen gekauft.

Kauftest du ein Pferd und du bindest es mit eigener Hand an den Keil, du wendest den Rücken, und es verreckt – so ist es dein Schaden; du mußt es dem früheren Besitzer bezahlen.

Das Pferd wird stets mit dem Leitseil gekauft.

Kauftest du Ochs oder Kuh mit der Bedingung, daß sie sich bis zum Georgs-Tag nicht als schlecht erweisen – und sie erwiesen sich als schlecht (verfault), so muß sie der frühere Besitzer zurücknehmen, und der Käufer wird bis zum letzten Deut zurückerhalten, was er für diese Tiere zahlte.

4. Kapitel: Die Preise im Kanun

74

  1. Die Erde, Platz für ein Haus 500 Groschen
  2. Grundstück mit 100 Groschen Ertrag 500 Groschen
  3. Das Joch Grund, je nach dem Boden 100 Groschen
  4. Der Losanteil Wald, die Reihenfolge an der Berieselungsrinne, je nach der Gegend 100 Groschen
  5. Ein guter Ölbaum 100 Groschen
  6. Ein Baum für Holz und Floß bis 23 Groschen
  7. Die Last Getreide 100 Groschen
  8. Kupferwaren; nach dem Gewicht; der Kessel 500 Groschen
  9. Der 15 Oka wiegende Zuber 100 Groschen
  10. Eine gute Pfanne 50 Groschen
  11. Die Oka ungewaschene Wolle 5 Groschen
  12. Die Oka Ziegenhaar 3 Groschen
  13. Die Elle getretener (gepreßter) Loden 20 Groschen
  14. Der Bienenstock mit Bienen 50 Groschen
  15. Die Oka Honig 5 Groschen
  16. Die Oka Wachs 5 Groschen
  17. Die Oka Wein 1 Groschen
  18. Die Oka Traubenbranntwein 5 Groschen
  19. Die Oka Käse 5 Groschen
  20. Die Oka frische Butter 10 Groschen
  21. Die Oka Butterschmalz 15 Groschen
  22. Die Oka Fleisch 3 Groschen
  23. Die Oka getrocknetes Schweinefleisch 10 Groschen
  24. Die Oka Kaffee 9 Groschen
  25. Die Oka Heu 10 Para
  26. Ein Paar Opanken (Schuhe) 5 Groschen
  27. Das Schaf und die Ziege 50 Groschen
  28. Lämmchen und Zicklein 20 Groschen
  29. Hammel oder Widder für die Glocke 100 Groschen
  30. Das neugeborene Kalb 50 Groschen
  31. Der Stier 200 Groschen
  32. Der Zugochse 400 Groschen
  33. Die Lastkuh 300 Groschen
  34. Das Lastpferd 590 Groschen
  35. Das Maultier 1000–1500 Groschen
  36. Der Esel 300 Groschen
  37. Das Schwein 50–100 Groschen
  38. Das gemästete Schwein 500 Groschen
  39. Die Büchse 500 Groschen
  40. Eingelegte, silberbeschlagene Pistolen 1000 Groschen

5. Kapitel: Der gezahlte Reisende (Bote)

„Machst du deinen Weg – nimmst du Lohn.“

Bote heißt, wer in fremdem Auftrag eine bezahlte Reise unternimmt.

Der Bote geht nicht in der Hut des Senders, er ist in eigener Hut. Geschieht ihm unterwegs ein Unglück, so dient der Sender nicht zum Freunde. Der Bote wie der Vermittler machen den Weg für Botenlohn, im eigenen Brot, darum sind sie in niemandes Hut.

Ging der Reisende allein aus seinem Haus und jemand erschlug ihn, so dient ihm weder das Haus, das ihn sandte, noch in das er gesandt ist, als Freund.

Geht aber der Bote aus dem Haus, das ihn sandte, oder aus dem Haus, dahin er gesandt war, und es trifft ihn Unheil in deren Brot, so wird ihm als Freund gedient, wie der Kanun bestimmt.

6. Kapitel: Die Sache für die Sache

Das alte Gesetz – wie oft auch das Gesetz der neuen Zeit – kannte keine Geldpreise, und die Verpflichtungen wurden erledigt: die Sache für die Sache.

Der Kanun duldet nicht, daß jemand gezwungen wird, durch Geld zu ersetzen:

a) weder die Schäden;
b) noch die Bußen;
c) das Blut.

Wurde jemandem Schaden zugefügt in Acker, Weinberg oder Wiese, so wird ihm durch den Schädiger, die beschädigte Pflanze durch die Pflanze vergütet. Verfiel jemand der Buße des Dorfes oder Stammes, so wird diese Buße durch Rind abgegolten, mit Kühen, Ochsen, Hammel – oder durch Geld.

Hat jemand einen anderen getötet, so wird auch das Blut „Sache für Sache“ gesühnt, auch durch Rind, Erde und Waffe. In letzter Zeit kann der Täter auch für Blut mit Geld – aber auch durch die Waffe – sühnen75.

Die Buße für den Mord wird mit „Sache gegen Sache“ geleistet, wie auch andere schwere Schuld gegen Dorf oder Stamm; so Verrat, gebrochene Freundschaft und anderes.

Die kleinste Buße beträgt einen Hammel, die höchste kann 100 Hammel nicht übersteigen76.

7. Kapitel: Das Darlehen

1. Allgemeines: Zins und Pfand

Das Gesetz der Berge kennt kein Darlehen (hua) gegen Zins. Der Kanun kennt nur das einfache Darlehen: so viel du erhieltest, mußt du zurückgeben77.

Um die Sache des Darlehens zu sichern und jede Möglichkeit der Untreue auszuschließen, darf ein Pfand (peng) genommen werden.

Das Pfand hat einen Wert, gleich der Schuldhöhe, oder sie sogar übersteigend.

Das für das Darlehen gegebene Pfand kann als „Unterpfand gegen Verlust“ aufgefaßt werden. Es wird als „Unterpfand gegen Verlust“ gelten, wenn der Darlehensnehmer sich gegenüber dem Gläubiger verpflichtet, die Schuld an einem bestimmten Tag78 zurückzuzahlen, wobei das Pfand verloren geht, falls die Frist nicht eingehalten wird. Die am bestimmten Tag bezahlte Schuld löst das Pfand aus.

Wurde die Schuld am bestimmten Tag nicht bezahlt, und erschien der Schuldner nicht, um sich mit dem Gläubiger zu treffen (verständigen), so hat letzterer das Recht, das Pfand zu verkaufen und sein Darlehen aus dem Erlös zu decken.

Der bestimmte Tag gilt bis Sonnenuntergang. Bis zum Sonnenuntergang wird der Gläubiger seinen Schuldner erwarten; kommt er nicht, so wird das Pfand verkauft.

Was er über das Darlehen hinaus für das Pfand erhalt, wird er dem Pfandgeber auszahlen79.

2. Die Frist

„Eine Frist festsetzen“ (me pre diten = „den Tag schneiden “), „eine Frist geben “, „die Frist verlängern “, „die Frist läuft ab“.

Die Frist für das Darlehen ist ein festgesetzter Zeitpunkt, an dem der Schuldner seinem Gläubiger das Darlehen zurückerstattet.

Das Darlehen kann auf Treu und Glauben gegeben sein, mit Bürgschaft oder mit Pfand.

8. Kapitel: Die Abmachung, das Geschenk

„Die Abmachung (godi) ist auf dem Grund der Tasche. “

Die Abmachung ist das Versprechen einer Sache, die jemand für eine Leistung geben will.

Die Abmachung wird versprochen: für einen Ältestenbeschluß, eine Reise oder Wanderung, für die Versöhnung des Blutes, eine Vermittlung oder eine Heilbehandlung.

Die Abmachung besteht aus einer Summe, die bis 500 Groschen beträgt.

Die Abmachung wird auch getroffen, ohne eine Summe festzulegen; z. B.: „Du wirst ein Paar dünne Opanken erhalten, so du mir diese Sache erledigst.“ Dünne Opanken haben einen Wert von 10, 20 oder 25 Groschen, die Oka Kaffee, die auch oft versprochen wird (Kaffee aus echten Bohnen), zwischen 50 und 500 Groschen. Konnte der Älteste die Sache nicht einrenken, so wird die Abmachung nicht gegeben, und der Kanun nimmt die Klage bei nicht erledigter Angelegenheit nicht an.

Wurde die Angelegenheit (das Versprechen) erledigt, für die die Abmachung galt, so muß das Abgemachte gegeben werden, denn die Abmachung (das Versprechen) ist „am Grunde der Tasche“.

„Ich schenkte es dir, ich schenkte es dir nicht – der Kanun greift es nicht.“ Sagtest du jemandem, du werdest ihm dies und das schenken, und später verschlucktest du dein Wort – „für geschenkt, nicht geschenkt“, behelligt der Kanun nicht mit Ältesten und Pfand (wohl aber für die Abmachung). „Du bist frei, deine Mannesehre hochzuhalten, frei, sie dir zu rauben!“ Der Kanun sagt: „Dein getrübtes Antlitz wasche, wenn du magst; magst du, so schwärze es noch mehr!“

9. Kapitel: Das Wort des Mundes

1. Das Wort

„Das Wort bringt nicht den Tod. “ „Die Hexe bringt dich nicht ins Blut.“ „Der Mund zieht niemanden ins Blut.“

„Die Zunge ist aus Fleisch, aber sie mahlt allerhand!“ „Das Wort aus meinem Munde geht in das Ohr des anderen ein, und der Dritte nutzt es zu jemandes Untergang – ich aber sitze und scherze.“

Bringt mein Mund jemandem den Tod, ich sitze und ergötze mich; niemand kann mich für diese schlechte Tat (mit Ältesten) belangen, die das Wort meines Mundes verursachte. Trotzdem bringt das Wort gegen die Ehre insofern ins Blut, als, wenn auch jeder frei ist, „sein geschwärztes Antlitz geschwärzt zu lassen“, dennoch jeder als ehrlos gilt, der solches Wort (zwar nicht durch Ältestenspruch, was er nach dem Kanun nicht zu tun vermag) nicht durch die Waffe straft. Strafst du durch die Waffe – die Ältesten werden dich freisprechen.

Jener, der böse, aufhetzende Worte aussät und verbreitet, bald für den, bald für jenen, den nennt der Kanun „schlechten Arbeiter“. Niemand nimmt ihn in Arbeit, niemand in Lohn.

„Ob ich sprach oder nicht sprach, der Mund besiegelt nichts.“ Die bösen Worte beachtet der Kanun nicht80.

2. Der Ableugner

Ableugner wird jener genannt, der eine Belastung oder Verleumdung, die ihm zugeschrieben wird, nicht zugibt, d. h. eine Anschuldigung abstreitet, sei es wegen eines zugefügten Schadens, eines Diebstahls, einer mutmaßlichen Bedrohung, eines Angeschreies, eines Mordes. Mutmaßliche Bedrohung und Angeschrei unterliegen nicht dem Kanun. Den Ableugner darf man nicht ohne weiteres zwingen wollen, daß er zahle oder sich entlaste; ob er hat oder nicht hat – auf bloße Anschuldigung oder Verleumdung (d. h. auf die einfache Behauptung hin) – darf niemand belangt werden.

Der Ableugner macht sich nur schuldig, wenn er sich nicht rechtfertigen will.

Der Ankläger und Verleumder kann den Ableugner mit Ältesten und Pfand zur Rechtfertigung veranlassen.

3. Der Eid

„Über den Eid (beja) hinaus kann auch der Haß nicht treiben.“

„Der Eid – mehr kann nicht verlangt werden.“

„Der Eid wäscht das Blut“ (d. h. wenn jemand seine Schuldlosigkeit beeiden kann).

„Das verlorene Gut, das vergossene Blut ordnet der Eid. “

„Der Eid – oder die Sache!“

Der Eid ist eine Maßnahme zur Feststellung der Glaubwürdigkeit, durch die ein Mensch, der sich vom Übel einer entehrenden Anklage zu befreien hat, mit der Hand ein Glaubenszeichen81 berührt, indem er Gott zum Zeugen anruft, daß er die Wahrheit spreche.

Diese Schwurhand ist vom Kanun der albanischen Berge anerkannt, sowohl, um sich von einer Beschuldigung zu entlasten, als auch, um seine Treue zu verpflichten.

Den Eid mit dem Wort allein nimmt der Kanun nicht an; um sich von einer Anklage zu befreien, fordert er unbedingt, daß der Eid auf ein Glaubenszeichen abgelegt werde, das mit der Hand berührt wird.

Der Eid des Albaners hat zweierlei vor Augen:

a) Er ruft Gott an zum Zeugen der Wahrheit;
b) Er knüpft an den Eid die Belastung durch die ewigen Strafen – und durch die zeitlichen, durch den Kanun.

4. Der Eid auf den Stein und der Eid auf Kreuz und Evangelium

Der Eid der albanischen Berge ist zweierlei:

a) Der Eid auf den Stein, auf den Kanun (er ist von Alters üblich). Unter „Stein“ versteht man jenen dreieckigen Stein mit 3 Löchern, der ein Gewicht hielt, mit dem das Wachs für die Kirchenkerzen gewogen wurde;
b) Der Eid auf Kreuz und Evangelium.

Der Eid auf den Stein, nach dem Kanun, ist einer der schrecklichsten und schwerwiegendsten Eide, den der Albaner der Berge kennt.

Kanun ist, daß, so sich der Ableugner von einer Anklage reinwäschen will, er den Eid auf den Stein oder auf Kreuz und Evangelium schwört.

Die Eideshelfer (porot, poronik) heißen die „Schwurhände“; einige werden das Evangelium berühren, einige andere werden bestimmt, den Eid in der Kirche abzulegen (Dukagjin).

Der Eid auf den Stein wird abgelegt:

a) um sich von einer Anklage zu befreien;
b) um sich mit seiner Treue zu verpflichten gegen Helfershelfer und Verräter;
c) um sich bereitzuhalten, gemeinsamen Bedrohungen und Gefahren die Stirne zu bieten.

5. Wer wird den Eid leisten?

„Leiste – und verliere“, sagt der Kanun, nicht aber „leiste und nimm“.

Den Eid leistet, wer die Anschuldigung ableugnet: „Die Ableugnung hat den Eid.“ „Dem Ableugner steht der Eid zu.“

Dem Ankläger wird der Eid nicht zugestanden, und der Eid gebührt ihm nicht, auch wenn er den Täter mit eigenen Augen stehlen und morden sah.

Der Grund für dieses Gesetz ist: Wenn er sich der Anklage nicht entblödet, wird er sich auch des Falscheides nicht entblöden, auch wenn er mit Unehre daraus hervorgeht.

Dem Ersten wird auferlegt, den Eid anzuhören, dem Zweiten, ihn zu schwören.

Der Kanun sagt: „Der Eid nimmt nicht“ und „Dem Nehmer steht der Eid nicht zu“.

Da aber nach Vorschrift des Kanun „Der Verbrecher den Eid auf sich hat“, sowohl um dem Besitzer der verlorenen Sache das Herz zu stärken, wie auch, um ihn zu veranlassen, die Fäden seiner Gedanken auseinanderzuhalten, duldet das Gesetz, daß er den Eid mit Eideshelfern fordern kann. Jenem, der sich ohne Eideshelfer reinwäschen will, wird der Eid weder zuerkannt noch aberkannt, denn: „Der Wolf beleckt das eigene Fleisch, aber das fremde frißt er“ (d. h. für sich selbst mag man wohl falsch schwören, aber nicht für einen anderen).

Die Vorschrift des Kanun ist daher: „Nur sich selbst durch Eid reinzuwaschen, wird keinem anerkannt“ (d. h. durch seine Verweigerung der Eideshelfer setzt er seine Glaubwürdigkeit herab).

6. „Der Eid nimmt die eigene Sache“

Es gibt wenige Fälle, da der Kanun zuläßt, daß „der Eid nimmt“, (nämlich) für einen bedeutenden Gegenstand, der verloren wurde und in fremder Hand befunden und von dem auch andere bezeugen, daß er jenem gehört, der ihn fordert.

Und leugnet jener auch, in dessen Hand der bedeutsame Gegenstand befunden wurde, so nimmt ihm der Kanun doch die Leugnung nicht an, und der Eid wird ihm nicht gewährt.

Findet er sich nicht bereit, den Gegenstand an dessen Besitzer (Eigentümer) herauszugeben, so wird der Besitzer schwören, daß er ihm gehört – und er wird ihm gegeben.

Klagte aber jemand eine Verpflichtung oder ein Darlehen gegen einen Toten ein, von denen die Eltern angeblich nichts wissen oder deren Betrag sie nicht verlieren wollen (so daß sie sie abstreiten), so gilt die Vorschrift des Kanun: Das Bestreiten für den Toten läßt das Gesetz nicht gelten. Auch in diesem Fall „nimmt der Eid“, d. h. der Kläger (Forderer) wird den Eid leisten.

Für jede Klage, die gegen einen Toten erhoben wird, findet der Eid auf dessen Grabstätte statt. Am bestimmten Tage werden sich der Kläger und die Eltern am Grab des Toten einfinden, auf dem Darlehen und Verpflichtung des Toten eingeklagt werden. Der Kläger wird Erde und Stein vom Grab des Toten nehmen, sich diese auf die Armbeuge legen und die für solchen Eid bestimmten Worte sprechen: „Ich klage so und so viel Darlehen ein von diesem Toten, und wenn ich ihn unrechtmäßigerweise damit belaste, so möge ich in diesem und jenem Leben den Stein überall hintragen mitsamt der Erde, wo je sein Fuß hintrat, solange er am Leben war.“

Wenn der Kläger diesen Eid geleistet hat – Darlehen und Verpflichtung auf den Toten werden die Eltern bezahlen82.

7. Der Eid an der Türe

Der Kanun läßt auch zu, daß der Eid an der Türe geleistet wird.

Beim Eid an der Türe schwört der Herr des Hauses im eigenen und im Namen der Hausbewohner.

Beim Eid an der Türe darf der Besitzer (Eigentümer) des verlorenen Gutes den Eid nicht auch von den Hausbewohnern fordern, da der Hausherr für sie schwört.

Bei jedem Eid sind nach dem Kanun Frauen und Kinder ausgenommen.

Jener, der an der Türe schwören läßt, darf den Eid mit Eideshelfern jenem Hause zuschieben, gegen das er den meisten Verdacht hat.

Hat der Herr der verlorenen Sache ein Haus ausgesucht, und ihm den Eid mit Eideshelfern zuzuschieben, so muß er auch einige andere Häuser aussuchen, die Eideshelfer werden sollen: denn in zwei Eide kann niemand geschickt werden (also die Leute jenes Hauses können nicht auch als Eideshelfer dienen, da sie durch den Hausherrn schon unter Eid stehen).

Auch im für das Haus (an der Türe) geleisteten Eide wird für sich selbst geschworen, für die Hausbewohner und für das „Ich weiß nicht“.

8. Der Eid auf das Haupt der Söhne

Der Eid auf dem Haupt der Söhne wird als einer der schwersten Eide anerkannt; er ist nach dem Kanun zulässig.

Wurde jemandem der Eid auf das Haupt der Söhne abgefordert, so wird er ihn leisten und damit das Herz des Anklägers beruhigen (überzeugen). Wenn sie den Schwurtag bestimmen, wird der Ankläger zum Haus des Betreffenden (des Verdächtigen) gehen, und dieser, so viele männliche Kinder er unter dem Dache hat, versammelt sie, nähert sich ihren Häuptern, legt die Hände auf ihre Häupter und schwört: „Bei den Häuptern meiner Söhne, ich tat das Unrecht nicht, für das du mich anklagst, ich weiß nicht, wer es getan hat.“

Über diesen Eid hinaus darf der Ankläger vom Verdächtigen keinen anderen Eid fordern.

9. Der Eid mit „Ich weiß nicht“

Der Gipfel des Eides ist das „Ich weiß nicht“.

Der Eid schiebt dir auch das „Ich weiß nicht“ zu.

„Der Eid hat keine Schlupfwinkel und Ausflüchte.“

Das „Ich weiß nicht“ ist ein Mittel, das der Kanun zur Vorschrift erhoben hat, um dem Dorfe jede Möglichkeit zu nehmen, zum Helfershelfer des Täters und zum Hehler der Sache zu werden.

Das „Ich weiß nicht“ wird ohne Unterschied bei jedem Eide gefordert.

Wenn auch jener, der schwört, weder stahl, noch erschlug hat er doch vielleicht etwas erfahren, oder er weiß, daß sein Bruder oder Vetter gestohlen oder erschlagen hat.

Wenn man den Eid leistet, wird man sagen:

„Weder ich selbst, noch jemand meines Hauses, und ich weiß nicht, wer stahl oder tötete.“

Darum hat der Kanun den Eideshelfer eingesetzt, damit, während ein Mann den Eid leistet, nicht Einer, ein Zweiter oder ein Dritter etwas wissen kann vom Hörensagen oder Sehen eines Anzeichens, und daß sie nicht die Seele verkaufen, indem sie jemanden mit Falschheit entlasten.

Wenn der Eid mit „Ich weiß nicht“ geleistet wird, hat niemand mehr das Recht, jenen Verdächtigten noch zu belasten für jenen Diebstahl oder jenes vergossene Blut, noch auch seine Eideshelfer. Man wird anderswohin gehen und Nachforschungen anstellen für diese Sache oder das vergossene Blut. „Eid auf Eid läßt der Kanun nicht zu.“

Kann jemand nicht mit „Ich weiß nicht“ schwören, so wird er überhaupt nicht schwören, denn er bedenke, daß er vor Gott auf der Waage ist, daß der Falscheid gleich einem Blitzschlag gegen die eigene Seele ist, auch Strafe und Schande zur Folge hat, wenn er entdeckt wird. Er wird mit einem der Ältesten sprechen, daß sie die Eideshelfer zurückhalten, weil er auch nicht schwören wird; er wird den Übeltäter angeben, damit dieser den Besitzer (Eigentümer) der verlorenen Sache befriedige. Der Besitzer des gestohlenen Gutes oder vergossenen Blutes wird nach weiterer Nachforschung von diesem (den jener genannt hat) Rechenschaft fordern, wie der Kanun es heischt.

Wenn er sich nicht selbst unter den Eid stellte, hat der Besitzer der verlorenen Sache (des vergossenen Blutes) das Recht, den Eid von ihm zu fordern – und wenn er sich als Angeber bewährte, wird er ihm auch den Angeberlohn zahlen.

Entweder den Eid mit „Ich weiß nicht“ – oder das Gut oder den Verbrecher. Eine Ausrede vor dem Eid kennt der Kanun nicht; ist jemand nicht zum Eid mit „Ich weiß nicht“ bereit, so hält der Kanun ihn für schuldig: also entweder den Eid mit „Ich weiß nicht“ oder das Gut erstatten oder den Übeltäter angeben, so man an diesen Diebstahl oder Mord keinen Anteil haben will. Die Vorschrift des Kanun ist unerbittlich. „Die Spitze des Eides ist das „Ich weiß nicht“, und das „Ich weiß nicht“ bringt die Sache ans Licht.“

Was mit dem Eid gewonnen wird, sei dessen, der es nahm. „Nach dem Eid werde ihm (dem Stück Vieh) die Glocke umgehängt, und nach dem Eid schirre den Ochsen an.“

Das sind Worte des Kanun, nicht, weil sie ihm gefallen, sondern weil es keinen Ausweg gibt als sich durch Eid reinzuwaschen. Der Kanun sei in diesem Fall nicht mehr im Spiel, und darum bleibt das Wort: „Treffe Gott dich nicht im Falscheide!“

Um jeden Zweifel auszuschließen, daß etwa falsch geschworen sei, werden die Ältesten des Gerichtshofes gut hinsehen, um als Eideshelfer Ehrenhafte zu bestellen, auf denen der gute Eid liegt.

10. Buße für den Meineid

Hat ein Mann die traurige Kühnheit, dem Besitzer den eigenen Besitz anschauen zu lassen (damit jener sich überzeuge, daß er das Gestohlene nicht hat), so wird er nach dem Meineid das Gestohlene doppelt ersetzen und die Buße für Meineid zahlen – und darauf stempelt ihn der Kanun mit dem Siegel der Ehrlosigkeit, Geschlecht nach Geschlecht durch 7 Generationen.

Tritt nach dem Eid der geheime Angeber auf, ein wahrhaftiger Mann, gegen den Eidesleister, so werden ihn die Ältesten genau erforschen und ohne Eile prüfen.

Tritt ein guter geheimer Angeber auf, ein wahrhaftiger Mann, mit sicheren Anzeichen, werden die Ältesten mit dem Dorf, mit den Eideshelfern und dem Angeber dem Verbrecher vor die Türe rücken und auf den Meineidigen den Kanun anwenden.

Die Strafen für Meineid sind:

a) Er wird dem Besitzer der Sache das Zwei-für-Eins zahlen (für Blut gibt es das Zwei-für-Eins nach dem Kanun nicht).
b) Er wird dem Angeber das Schuhgeld (Angeberlohn) zahlen.
c) 100 Hammel und ein Ochse für den Eid mit 24 Eideshelfern und 500 Groschen dem Hause Gjonmarkaj. War der Eid mit weniger als 24 Eideshelfern, so nimmt das Dorf83 die Buße.
d) Er wird zur Kirche gehen, um sich von dem Meineid mitsamt den Eideshelfern lossprechen zu lassen.
e) Er wird pro Eideshelfer 500 Groschen zahlen, da er sie zum Meineid führte, indem er die Kirche schändete.

Dieses Geld wird der Verbrecher auf den Altar legen.

8. Buch: Die Ehre

1. Kapitel: Die persönliche Ehre

Der Kanun der albanischen Berge unterscheidet nicht den Menschen vom Menschen: „Die Seele für die Seele – denn das Äußere schenkte Gott.“ „Der Gute und der Böse haben denselben Wert: der Kanun nimmt sie beide für Männer.“ „Der Gute stammt vom Bösen ab, der Böse vom Guten.“ Von sich aus wiegt jeder Einzelne 400 Derhem (türkisches Gewicht), weil 400 Derhem eine volle Oka ist und der Ehrenhafte auch sein volles Gewicht hat.

Beleidigt jemand einen andern im Dorf, Pfand oder Älteste, gibt es nicht für geraubte Ehre. Der Kanun sagt: „Wenn du willst, verzeihe ihm; magst du, so wasche die getrübte Stirn!“ „Jeder hat seine Ehre für sich selbst, und niemand kann sich einmischen oder die Ehre mit Ältesten und Pfändern umhegen. Zwei Fingerbreit Ehre auf die Blume der Stirne gab uns Gott.“

„Die geraubte Ehre hat keine Buße.“ „Die geraubte Ehre kann nicht verziehen werden (versöhnt durch Buße).“

„Die geraubte Ehre wird durch Gegenstände nicht ersetzt, aber durch das Vergießen des Blutes oder durch die edle Vergebung (nach der Vermittlung durch Herzensfreunde).“

Der Geschändete hat, was die Ehre betrifft, die offene Türe (sie wurde ihm durch die Beleidigung aufgestoßen – die schlimmste Unehre in Albanien). Pfand fordert er nicht. Älteste zieht er nicht zu. Der starke Mann holt sich selbst die Buße.

Jener, dem die Tür geraubt wurde, gilt vor dem Kanun als tot.

Die Ehre wird dem Manne geraubt:

a) indem ihm jemand vor den im Rat versammelten Männern sagt, er lüge;
b) indem man ihn bespuckt, bedroht, stößt oder schlägt;
c) indem man die Treue oder Vermittlung bricht;
d) indem man ihm die Frau schändet oder entführt;
e) indem man ihm die Waffen des Armes oder Gürtels schändet;
f) indem man ihm das Brot schändet, durch Beleidigung des Freundes, des Dieners;
g) indem man ihm das Haus erbricht, die Hürde, Scheuer oder Milchkammer;
h) indem man ihm Darlehen oder Verpflichtung vorenthält;
i) indem man ihm die Herdplatte (den Herdstein) entfernt;
j) indem man vor dem Freunde einen Bissen zu sich nimmt, und so dem Freund die Ehre raubt;
k) indem man ihm vor dem Freund den Tisch schändet; wenn der Herr des Hauses die Pfanne auskratzt oder den Teller ausleckt.

2. Kapitel: Die gemeinsame Ehre

1. Der Freund

„Das Haus des Albaners gehört Gott und dem Freunde. “ Der Freund (mik) kann das Haus nicht betreten, ohne im Hof Stimme zu geben.

Wenn der Freund Laut gibt, wird ihm der Herr des Hauses oder sonst ein Hausbewohner antworten und entgegengehen.

Man begrüßt sich mit dem Freund, nimmt ihm die Waffe ab, führt ihn ins Haus.

Die Waffen hängt man auf den Waffenstock und führt den Freund zu Häupten der Stube an den Herd.

Man facht das Feuer an, ruft um Holz: „Der Freund will Holz!“

Dem Freund wird mit Brot, Salz und Herz Ehre erwiesen. Das Brot, Salz und Herz, den Holzblock und Streu für das Lager findet der Freund bereit zu jeder Stunde des Tages und der Nacht.

Dem müden Freunde wird aufgewartet mit Diensten und Ehrbezeugung. Dem Freunde werden die Füße gewaschen.

Für jeden Freund braucht es die Speise, an die er selbst gewöhnt ist.

Für den guten Freund braucht es Kaffee, Branntwein und gedeckten Tisch mit einer Speise des Überflusses.

Für den Herzensfreund braucht es Tabak, den Kaffee mit Zucker, Branntwein, Brot und Fleisch. „Dem Herzensfreunde wird das Haus überlassen.“

Wenn er ins Haus kommt, wirst du dem Freund die Waffen halten. Das Halten der Waffen ist:

a) Ein Zeichen der Höflichkeit und Ehrbezeugung und der Zufriedenheit über sein Kommen.
b) Es ist auch ein Zeichen der Obhut, denn, wenn du sagst: „Gut, daß du kamst!“, wird er ohne Furcht sein, denn er weiß dich bereit, jeder Gefahr zu wehren.
c) Es ist auch ein Zeichen der Vorsicht für dich selbst, denn indem du die Waffen an dich nimmst, könnte der Freund dir nichts Übles mehr tun, auch wenn er böse Absichten hätte; er ist entwaffnet.

Dem Freunde wird der Platz zu Häupten der Stube belassen.

Dem Freunde gibt man den Platz zu Häupten (Ehrenplatz) sowohl im Haus wie im Männerrat, wenn er auch im Rat keine Stimme hat.

Der Ehrenplatz wird dem Freunde überlassen als Zeichen der Ehrerbietung, doch auch, auf daß man ihn gut sehe und er sich nicht unter die Leute des Hauses mischen kann.

Betritt der Freund dein Haus, hat er dir seine Schuldigkeit bezahlt.

Kommt dir der Freund ins Haus und er schuldet dir selbst Blut, du wirst ihm sagen: „Gut, daß du kamst!“

Der Freund wird begleitet, so weit er begleitet zu sein bittet.

Nimmt auch der Freund den Ehrenplatz ein, er führt nicht, du führst ihn.

Der Freund wird geleitet, und wenn er ein Kind ist, ob Mädchen, ob Knabe, geradeso wie ein Mann oder eine Frau.

Indem du den Freund geleitest, bis wohin er zu gehen wünscht, du drehst ihm den Rücken, um deiner Arbeit nachzugehen, in diesem Augenblick knallt die Büchse und tötet ihn – er gilt dir nicht mehr als Freund84.

Für jeden Freund (Schutzsuchenden, Gastfreund) mußt du den Arbeitstag verlieren, bei eigenem Brot (d. h. du mußt dich und ihn aus eigener Tasche ernähren), solltest du selbst dabei verarmen, auf daß du dich nicht mit Schande befleckst.

Während du den Freund geleitest, wird jede Schande, die ihm jemand antut, von dir gefordert.

Führe den Freund nicht; wenn du ihn aber führst, machte die Augen auf, damit niemand ihm Schlechtes oder Schande antue.

Der Kanun schreibt vor, den Freund zu geleiten, damit ihm nichts Übles betreffe und ihm niemand Übles zufüge in deinem Brot.

Tut der Freund in deinem Brot eine Übeltat, so wird von dir Rechenschaft gefordert werden.

Der Geschändete und Geschädigte ist nicht verpflichtet, den zu verfolgen, der ihn beschämte oder schädigte, er wird dem an die Türe pochen, der jenen im Haus hatte und ihm Nahrung gab.

„Das Brot sühnt den Schaden.“

Darum ist es Kanun, daß man den Freund führe, denn es wird angenommen, daß er den Weg nicht kennt und nicht weiß, ob er Freund oder Feind begegnet.

Du wirst ihn anführen, denn du bist der Hüter des Freundes, sowohl um ihn vor Ubel zu bewahren, als auch um ihn von Übeltat abzuhalten.

„Das Brot ehrt dich, bringt dir aber auch Mühe.“ (Manche sagten: „Das Brot wurde mir zum Teufel!“).

Schändet der Freund dir das Brot, wirst du nach dem Kanun Rechenschaft geben für das erbrochene Haus oder die erbrochene Hürde, für gestohlene Herde und andere Räubereien.

Du wirst die durch deinen Freund verursachten Schäden ersetzen, indem du die Glocke deiner Herde an den Balken hängst, oder indem du die Zugochsen hergibst, oder deine Reihenfolge am Wasser verkaufst.

Ehre und Schande wirst du mit dem Freunde teilen und den Geschädigten wirst du befriedigen.

Du wirst bezahlen, kannst du aber vom Freunde etwas dafür bekommen, hast du es für dich; sonst bleibt der Schaden dir. „Du habest und gebest“, sagt der Kanun.

Wie dir die Pflicht obliegt, für den beraubten Freund einzustehen, so bist du auch zur Rechenschaft verpflichtet, wenn der Freund in deinem Brot jemanden beraubt.

2. Schädigung des Freundes

(Tepremt e mikut)

„Die Hut entläßt nicht.“

Als mik (Freund) gilt im weiteren Sinne jeder Schutzsuchende oder Gastfreund usw., der dich um Schutz oder Schirm angeht, sei es durch den üblichen Zuruf: „In deiner Hut!“, sei es durch Einkehr in deine Wohnstätte85. Te premt e mikut bedeutet Schadenzufügung jeder Art gegen solchen Freund.

„Der Freund dem Freunde, der Gefährte dem Gefährten! “

Wenn dir an deiner Türe jemand auch nur ein Stück Glut erbittet, um seine Pfeife anzuzünden, du gabst sie ihm, und jemand tastete ihn an – er dient dir zum Freunde.

Fällt dir jemand in die Hand (Obhut) und sei es nur, indem er deinen Namen nennt und sagt: „Ich bin der Freund jenes Betreffenden“ und wenn er dir auch nie an der Türe war – und jemand tastet ihn an, so gelte er dir als Freund an der Türe, und dein Antlitz ist dir geschwärzt86.

Verspottet dir jemand den Freund oder beschimpft ihn, so wirst du die Ehre des Freundes wiederherstellen mit Gefahr deines Lebens.

Beraubte jemand deinen Freund, so bleiben dir zwei Wege: entweder richtet er dich zugrunde (indem du den Schaden ersetzest), oder er bedeckt dich mit Schande (wenn du deine Freundespflicht nicht erfüllst).

Jenem, der dir den Freund beraubte, wird jeder Gegenstand mit der linken Hand unter dem Knie durchgegeben (Zeichen der Verachtung), bis er dir den Freund bezahlt hat.

Die linke Hand gilt vor dem Kanun als die Unehrenhafte, die nimmt und nicht gibt. Was den Freund betrifft, wird nicht verziehen. Nur der Treulose mit dem Treulosen versöhnt sich über ihn.

Im alten Kanun hat der Richter den Ungetreuen (den einer Treulosigkeit Bezichtigten) mit einem Knüttel verjagt wie einen Hund und ließ ihn nicht in den Männerrat kommen.

Treulos ist derjenige, der seinem Schützling (dem Schutzsuchenden) selbst das Leben nimmt oder ihn sonst schädigt, oder der, so er Treue schuldet, verkauft (ausliefert, verrät); solcher wird durch das Dorf hingerichtet, und sein Blut geht verloren (wird nicht angefordert).

Mit dem Mund des Kanun: „Wegen des Vaters, Bruders und der Vetternschaft kann verziehen werden, aber was dem Freund angetan wurde, wird nie verziehen (es sei denn auf Vermittlung des Herzensfreundes).

Für den beraubten Freund wird sehr selten ein Gottesfriede geschlossen (d. h. die Rache durch Buße verglichen). Die Vermittlung wird zuerkannt, wenn die Angelegenheit in Ordnung gebracht wird, nachdem sie gegeben und genommen haben (d. h. wenn die Missetat gesühnt ist, dann erst mischt sich die Vermittlung ein).

Die Dörfer untereinander dienen als Freund:

a) Wenn ein Gefährte sich gegen den Gefährten verfehlt und, aus seinem Haus tretend, ihn tötet oder dessen Begleiter oder wen immer. (Dann tritt also das Dorf des Getöteten gegen das Dorf des Täters als Freund des Getöteten auf.)87
b) Selbst wenn der geschädigte Schützling Stammesbruder oder Vetter ist, bleibt es unsere Pflicht, sein Blut zu fordern. Zwar wird weder Stammesbruder, noch Blutsverwandter im eigentlichen Sinn als Schützling betrachtet, trotzdem ist es Schande, den Täter nicht zu strafen (töten, verfolgen).
c) Fordert er nicht (durch die Rache) den erschlagenen Freund, weil der Täter ein Stammesbruder war, kann er nicht mehr in den Männerrat gehen, denn er ist für sein ganzes Leben mit Schmach bedeckt. Der Albaner, der dem Blut verfällt, weil er eine Blutschuld ahndete, wo er nicht der dazu Berufene war, der also das Blut eines ermordeten Schützlings ausgleicht, obschon dazu ein anderer vor Stamm und Kanun die Pflicht hatte, wird dies lieber hinnehmen und lieber mit Haus und Hof zugrunde gehen als die Schande tragen, daß er da nicht eingriff, wo die Sitte es erheischt.

Treffen sich auf der Landstraße zufällig zwei Dorfgenossen und, während sie wandern, wird der eine erschlagen, so dient der andere ihm nicht zum Freunde (d. h. er braucht die Bestrafung nicht zu übernehmen)88.

3. Das Benehmen des Hausherrn gegen den Freund im Hause

Der Freund nimmt den Ehrenplatz ein in der Stube, am Tisch; ihm gebührt Obhut.

Dem Häuptlingsfreunde gebührt der Kopf89 des Hammels, dem Freund das Rippenstück.

Der Freund wird den Branntwein eingießen und als erster die Hände auf den Tisch legen.

Ist der Freund nicht Bannerträger (Häuptling), aber eines der Häupter des Banners (Stammes), gebührt ihm das Rippenstück, dem gewöhnlichen Freunde der Kopf des Hammels.

Ist jemand aus dem Hause Gjonmarkaj am Tisch und ein entfernter Freund, dann teilt der Häuptling mit dem Gjonmarkaj den Hammelskopf, das Rippenstück gebührt dem anderem Freunde.

Der Häuptling wird den Hammelskopf mit der Faust brechen und dem Freund, wenn er das Rippenstück herausgeschält hat, dessen Knochen brechen.

Kommt als Freund ein Ohernjani (von Thkellas) nach Mirdita oder in die Berge von Alessio – und da ist auch einer der Gjonmarkaj, so nimmt der Ohernjani den Ehrenplatz ein, nach ihm der Gjonmarkaj (Dies geschieht nicht aus Ehre)90.

Den Kaffee nimmt der Freund, nach ihm der Herr des Hauses.

Die Hände am Tisch wäscht der Herr des Hauses, nach ihm der Freund.

Das Glas Branntwein trinkt der Herr des Hauses, dann der Freund.

Den Bissen tunkt der Freund ein, dann der Herr des Hauses; jener Hausherr, der den Bissen vor dem Freunde eintunkt, zahlt 500 Groschen Buße.

Jener Herr des Hauses, der den eigenen Tisch schändet vor dem Freunde, zahlt 500 Groschen Buße.

Die für den Freund abgeschossene Büchse (um für ihn einzutreten) hat keine Buße (denn dieses Eintreten schreibt der Kanun vor).

4. Die Vermittlung

Der Vermittler (ndermjetsi), wie der Bote, trägt keine Schuld und wird nicht gefaßt.

Vermittler heißt jener, der sich einmischt, um über böse Worte zu entscheiden, die Rache abzuwenden, aus der Totschlag und anderes Verderben entstehen könnte.

Der Vermittler kann Mann oder Frau sein, Knabe, Mädchen oder auch Priester.

Der Vermittler kann von Haus zu Haus, Dorf zu Dorf, Stamm zu Stamm gehen, er hat überall Zutritt.

Wurde die Vermittlung einem bestimmten Hause zugesprochen, sucht es den Freund selbst auf, der es zur Vermittlung will.

Wurde die Vermittlung einem Dorfe zugesprochen, sucht es den Freund selbst auf, gemeinsam.

Wurde die Vermittlung einem Stamme zuerkannt, bittet der ganze Stamm jenen Freund, den er zur Vermittlung will.

Wurde dem Priester die Vermittlung zuerkannt (d. h., daß vermittelt werden soll), bittet die Pfarrei diesen (Priester)-freund, daß er sich im Namen des Stammes einmische.

Der Priester, um über ein Übel zu entscheiden, mischt sich nicht im eigenen Namen ein, sondern im Namen der Pfarrgemeinde oder des Stammes, doch nur dann, wenn nicht die Macht des Glaubenswortes in die Waagschale fällt.

Wo nicht die Macht des Glaubenswortes in die Waagschale fällt, kann der Priester wie jeder andere vermitteln; da aber sein Amt weder Schwert hat noch Strick, wenn seine Vermittlung mißachtet würde, wird ihm Dorf und Stamm die Ehre schützen, indem sie ihn als Freund (im Sinne der Wiedergutmachungspflicht) beanspruchen.

Seien auf der einen Seite 100 Menschen erschlagen, auf der andern kein einziger, sobald ein Vermittler eintritt, wird dennoch die Büchse ruhen, das Feuer verlöschen (bis der Vermittler sein Amt erfüllt hat).

Wird das Wort des Vermittlers nicht beachtet (führt die Vermittlung nicht zum Zweck), so wird jenes Wohnviertel, das mit dem Werk der Büchse beginnt, den Vermittler als seinen ausgemachten Freund betrachten. (Ruht weder Büchse noch böses Wort nach der Vermittlung, verwickelt sich der Knäuel in Haß, die Büchse spielt kreuzweise, und man vernichtet sich gegenseitig).

Die Vermittlerworte sind nach dem Brauch: „Laßt die Worte, oh Ihr! Ich bin Vermittler, laßt die Büchse ruhen, ihr Männer, ich bin Vermittler, auf daß ihr euch verständiget. Laßt die Büchse ruhen, denn das Dorf – der Stamm – steht zwischen euch!“

Der Vermittler nimmt Pfänder von beiden Streitparteien, indem er ihnen mitteilt, wo und wann sich der Männerrat zur Verständigung versammeln wird.

Gelingt dem Vermittler die Versöhnung nicht, werden die Pfänder beider Parteien ehrenhaften Männern ausgehändigt; damit befreit sich der Vermittler vom Amt und Würde.

Die Vermittlung endet stets bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang.

5. Die Bürgschaft

Bürge heißt jener, der sich einem andern für eine Schuld zur Verantwortung verpflichtet; zahlt zur bestimmten Frist der Schuldner nicht, tritt der Bürge ein.

Der Gläubiger, der einen Bürgen hat, braucht dem Schuldner nicht zur Tür zu gehen, der Bürge wird für jenen zur Verantwortung gezogen. „Gebundene Hand, gebende Hand“, sagt der Kanun.

Und stirbt der Schuldner, geht dem Gläubiger nichts verloren; für die Schuld jenes Verstorbenen tritt der Bürge ein. „Stirbt der Schuldner, so lebe der Bürge!“ sagt der Kanun.

Bereut der Bürge und möchte aus seiner Bürgschaft entlassen sein, so entläßt ihn der Kanun nicht, denn „der Bürge tritt nicht für gute Vorsätze in die Sache ein, sondern um zu zahlen!“

Der Bürge tritt freiwillig in die Sache ein, und darum hat er kein Recht – weder vom Schuldner, noch vom Gläubiger – ein Schuhgeld (Vermittlungsgebühr) zu fordern. „Bürge oder Treueverschworener wird niemand für Gewinn.“

Bittet der Schuldner jemanden um Bürgschaft, und dieser tut ihm den Willen vor der Männerschaft, so sagt er: „Ich mache dir den Bürgen, aber sieh zu, daß du, falls du nicht die Absicht hast, das Geld zur bestimmten Frist zu bezahlen (bereitzulegen), mir dies schon jetzt mitteilst, damit ich mich bereithalte, an deinerstatt zu zahlen. Daß du es wissest! Denn Unehre ertrage ich nicht!“

Antwortet darauf der Schuldner nicht und duldet er, daß jener sich verpflichtet, an seinerstatt zu zahlen, wird der Bürge dem Gläubiger sein Pfand geben.

Der Gläubiger hat das Recht, dieses Pfand wem immer zu geben, um seine Forderung einzutreiben.

Der Bürge hat das Recht, beim Dorf gegen den schlechten Schuldner zu klagen, und das Dorf wird den Schuldner drängen, das Pfand des Bürgen auszulösen und ihm wieder einzuhändigen.

Hat der Schuldner das Geld nicht bereitgelegt aus schändlichem Geiz, läßt ihn das Dorf, je nach der Schwere seiner Schuld, für getanen Raub verfolgen91.

Hat der Schuldner das Geld aber zu bestimmten Frist bereitgelegt, wird er dies dem Bürgen zu wissen tun, ehe er dem Gläubiger das Geld aushändigt.

Wenn der Schuldner zur bestimmten Frist das Geld aus Mittellosigkeit nicht bereitlegen kann, wird sich der Bürge bereithalten, für ihn zu zahlen, und das im Guten; er hat keinen Grund, ihn vor das Dorf zu bringen, und seine Klage würde nicht beachtet: hätte er sich besonnen, ehe er sich verbürgte!

3. Kapitel: Das Blut und die Verwandtschaft, die Bruderschaft und Patenschaft im Kanun der Berge

1. Die Geschlechterfolge

Die Reihenfolge der Geschlechter in Blut und Verwandtschaft geht bei den Albanern der Berge ununterbrochen fort.

Als Bruder und Sippengenosse gilt, wessen Voreltern früher oder später aus demselben Hause herausgeteilt wurden.

Trennten sich von einem Albaner 400 Herdstellen los, er nimmt und gibt nicht mit ihnen (d. h. er verschwägert sich nicht mit ihnen).

2. Der Stammbaum des Blutes, der Stammbaum der Milch, der Neffe aus dem Blute, der Tochterneffe

Die Geschlechterfolge entspringt aus Blut oder Verwandtschaft.

Die Geschlechterfolge des Blutes stammt von Vaterseite, jene der Verwandtschaft von Mutterseite (gjak edhe gjini „Blut und Brust“).

Die Abstammung von Vaterseite heißt Stammbaum des Blutes, die Abstammung von Mutterseite Stammbaum der Milch (der Brust).

„Blut(Stamm)neffe“ und „Blut(Stammes)nichte“ heißt jener Kreis von Männern und Frauen, die dem Vaterhaus entstammen.

„Tochterneffe“ und „Tochternichte“ heißt jener Kreis von Männern und Frauen, die von den verheirateten Töchtern abstammen.

3. Die Bruderschaft

Die Bruderschaft entsteht durch das Bluttrinken und hindert die Verschwägerung für immer zwischen den Blutsbrüdern, ihren Häusern und Herdstätten.

4. Die Patenschaft

Was Blut und Bruderschaft für die Verschwägerung ist, ist auch die Patenschaft.

Die Patenschaft in den albanischen Bergen ist dreierlei:

a) die Taufpatenschaft;
b) die Ehepatenschaft;
c) die Patenschaft der Haare.

Die Taufpatenschaft verhindert die Verschwägerung, Geschlecht nach Geschlecht, nicht nur zwischen dem Täufling, seinen Eltern und dem Paten, sondern auch jenen, die ihn an der Kirchentüre wiegen, den Leuten ihrer Häuser und Herdstätten.

5. Die Ehepatenschaft

Die Ehepatenschaft hindert die Verschwägerung zwischen den Hausgenossen des Paten und des Bräutigams, da sie auch die Herdstätten umfaßt – all dies genau wie bei der Taufpatenschaft.

6. Die Patenschaft der Haare

Diese Patenschaft, die durch das Rasieren und Schneiden der Haare entsteht, gehört zu den gesetzlichen Bindungen, die unauflöslich sind.

Die Patenschaft der Haare hindert die Verschwägerung, Geschlecht nach Geschlecht, zwischen den Häusern und der Bruderschaft des Paten und des Patenkindes.

Die ndrikulll ist wie der Brautbesuch; wie die Braut zur im Kanun bestimmten Zeit zu den Eltern geht, so geht auch die ndrikull zur bestimmten Frist zum Haarpaten.

Die Frist für die ndrikulll ist im Kanun bestimmt. Die ndrikulll kann nicht länger als 5 Tage verschoben werden: die Tage, die die ndrikuj beim Paten verbringen, werden immer ungerader Zahl, nie gerader sein: drei oder fünf.

7. Vorgehen nach dem Kanun beim Schneiden der Haare

Pate wird der genannt, der die Haare schneidet. Ndrikull oder nune heißt die Mutter des Knaben oder Mädchens, denen die Haare geschnitten werden, kumter der Mann, der die Haare schneidet. Famull oderfamulleshe heißen Knaben und Mädchen, denen die Haare geschnitten werden.

Pate und ndrikull sind wie Bruder und Schwester und können von den Hausgenossen nicht mehr unterschieden werden.

Die Haare können nicht geschnitten werden, ehe Knabe und Mädchen ein Jahr alt sind. Stirbt das Kind, ehe ihm die Haare geschnitten wurden, wird es nicht begraben; es wird der in Aussicht genommene Pate gerufen; wohnt er weit weg, wird ein anderer dem Kinde die Haare schneiden, der aber weder Haus noch Sippe des Kindes angehören darf.

Um dem Knaben die Haare zu schneiden, braucht es einen Mann; die Haare des Mädchens schneidet eine Frau92.

Die Eltern des Knaben oder Mädchens, denen die Haare geschnitten werden, bereiten das Mahl, so gut sie nur können, um den Paten zu ehren.

Der Pate wird mit einem Herzensfreunde eintreffen.

Es werden noch 3 oder 4 Gefährten geladen, um an der Freude des Hauses teilzunehmen.

Ist der Kaffee getrunken, wird der Ort bereitet, wo sich der Pate niederläßt und sich jene Werkzeuge befinden, mit denen er die Haare schneiden wird.

Es bedarf eines Stuhles, darauf sich der Pate setzt, eines Gefäßes mit Wasser, darein der Pate eine kleine, alte Silbermünze fallen läßt (wie man sie auch dem Toten in den Mund legt); der Tisch für das Haarschneiden wird gedeckt, Scheren und Rasiermesser liegen bereit.

Hat sich der Pate auf den Stuhl gesetzt, legt ihm ein Knabe der Sippe das Patenkind auf den Schoß.

Der Pate schneidet die Haare wie folgt: einen Schopf an der Stirne, einen von jeder Schläfe, einen Schopf vom Hinterhaupte.

Nimmt er die Haare, berührt der Pate dreimal die Stirn des Patenkindes mit der Schere und sagt: „Du seist gesund und langen Lebens“; er küßt das Patenkind, nimmt es vom Schoß, reicht es der Mutter (der ndrikull), die auch das Gefäß mit der Silbermünze an sich nimmt.

Der Pate gibt der ndrikull 50–150 Groschen und nicht mehr.

Die Haarschöpfe nimmt die Mutter und hebt sie in ihrer Truhe auf.

Die ndrikull schickt dem Paten als Geschenk Janker, Hose und Weste, und den Leuten vom Haus des Paten, so viel deren sind, wird sie dem einen eine Tischplatte (kupferne Tischscheibe) senden, dem andern ein gesticktes Hals- oder Gürteltuch oder ein Paar Socken.

Ehe dem Kind nicht die Haare (durch den Paten) geschnitten sind, darf die Schere ihm nicht den Kopf berühren; wachsen die Haare zu sehr, werden sie mit der Flamme (eines Feuerstahles oder Kienes) abgesengt.

Werden dem Kind die Haare geschnitten. übernachtet der Pate im Haus des Patenkindes; am nächsten Morgen steht er auf, nimmt Mutter und Patenkind in sein eigenes Haus, wo sie nach dem Kanun 3 oder 5 Tage weilen.

Weder Tod noch Hochzeit, noch irgendein Fest wird ohne ndrikull und Patenkind gefeiert.

9. Buch: Die Schäden

1. Kapitel: Allgemeines

„Der Schaden hat einen Preis, aber keine Buße.“

Der Schaden wird vergütet, nach Schätzung der Ältesten oder zweier Gefährten.

Wird die Frau betroffen, indem sie Holz auf fremdem Berge nimmt, darf sie mit der Hand nicht angefaßt werden, aber Baummesser und Axt werden ihr genommen; das geschnittene Holz bleibt auf der Stelle.

Sind es Männer, die sie treffen, sagen sie: „Schwester, leg die Axt zur Seite“, denn sie dürfen ihre Hand nicht berühren. Gehorcht sie nicht, sondern steckt die Axt in den Gürtel, muß eine Frau aus der Sippe der Geschädigten kommen und sie ihr nehmen; nimmt sie ein Mann mit Gewalt, wird es zur Ehrensache.

Das genommene Baummesser und die Axt gelten als Ersatz des Schadens, eine andere Verpflichtung erwächst nicht.

„Der Schaden hat seinen Preis, aber nicht die Büchse!“

Jeder Schaden wird durch den Schädiger ersetzt, sei es auf Acker oder Wiese, in Garten oder Weinberg.

Niemand wird mit Buße bestraft für Sachschaden.

Wurde Ochs oder Kuh beim Schaden betroffen, Maultier oder Esel, Pferd, Schaf oder Ziege, so dürfen sie nicht getötet werden, vielmehr wird der durch sie verursachte Schaden abgeschätzt.

Erschlug jemand den schädigenden Ochsen, die Kuh, das Pferd, Esel, Maultier, Schaf oder Ziege – er muß sie ersetzen.

Das beim Schädigen betroffene Vieh wird entweder eingefangen und dem Herrn an die Türe geschickt, indem man sagt, daß es beim Schädigen betroffen wurde und man kommen möge, selbst den Schaden zu sehen, oder man treibt es ins eigene Haus und sperrt es dort ein; wenn aber die Ältesten den Schaden festgesetzt haben, wird es zurückgebracht.

„Eine Ziege trocknet eine Alpe aus.“ „Die Ziege ist ein böser Geist, was ihr Maul berührt, trocknet aus.“

Wird die Ziege betroffen, indem sie im Weinberg Schaden anrichtete, so hat der Kanun folgende Schäden festgesetzt, je nachdem sie Augen an den Reben blendete:

a) Der durch die Ziege geblendete Rebstock bringt 3 Jahre keine Traube.
b) Ein Rebstock bringt Reben für 2 Oka Wein oder 1 Oka Branntwein im Jahr.
c) Demnach hat der geblendete Rebstock 6 Oka Wein oder 3 Oka Branntwein Schaden.

Für den Schaden am Acker ist der Preis des Kanun: „100 Ähren Mais ist eine Last Getreide“ (für 100 Ähren oder geschädigte Keime wird der Herr des Rindes eine Last Getreide ersetzen).

2. Kapitel: Das schädigende Schwein

„Das auf dem Schaden betroffene Schwein hat die Büchse“ (darf erschossen werden).

„Triffst du das Schwein beim Schaden, erschieße es mit der Büchse.“

„Triffst du das Schwein beim Schädigen, ohne Halsholz, töte es.“

Mit einem Schuß oder Schlag, so viel Schweine getötet werden, der Schaden ist für den Besitzer der Schweine. Der 2. Schuß oder Schlag aber muß das Schwein ersetzen (er war zu viel).

Tötet jemand das Schwein auf dem Schaden, wird er es dem Besitzer mitteilen, damit er es holen gehe, denn es ist sein Fleisch.

Tötetest du das Schwein auf dem Schaden und teiltest es dem Besitzer nicht mit, und zwar sogleich, daß er es holen gehe, und das Schwein bleibt draußen und verdirbt, mußt du das Schwein ersetzen.

Wird das Schwein auf dem Schaden getötet, so zahlt es den Schaden mit seinem Kopf, und der Geschädigte kann nichts anderes mehr fordern; seine Klage nimmt der Kanun nicht an. Schädigt aber ein Schwein mit Halsholz, gebührt dir Schadenersatz, aber nicht die Büchse; tötest du das Schwein, ersetzt du es.

3. Kapitel: Die gestellte Falle, die im Garten gelegte Schlinge

„Stelle ich in meinem Garten Fallen oder ich lege eine Schlinge, kann niemand mich hindern.“

Legt jemand im wohlumhegten Garten Falle oder Schlinge, ist er nicht verpflichtet, Schäden zu ersetzen.

Stellte er aber im offenen Garten Falle oder Schlinge, Kleinvieh fiel hinein, so ersetzt er es.

Im Dorf und dessen Umgebung, wenn jemand Fallen stellt und es verfängt sich weidendes Vieh oder Schaf, zahlt er das Tier.

Die Falle wird bei Sonnenuntergang gestellt und bei Sonnenaufgang sorgfältig eingeholt.

Das verlaufene Vieh, das nachts auf dem Berge bleibt, und in die Falle fällt, ist zu Lasten seines Besitzers; der Fallensteller ersetzt nichts. Blieb aber die Falle auch bei Tag gestellt – jenes Vieh, das sich verfängt, muß der Fallensteller ersetzen.

Fiel nachts Hund oder Katze in die Falle, gehen sie verloren, „denn sie suchten die Erde ab (nach Beute)“.

Die auf dem Berg gestellte Falle, wenn sie an Durchgängen gelegt ist, die das Vieh benützt, darf durch den Hirten zerstört werden, dessen Rind hineinfiel, und der Fallenbesitzer darf nicht Ersatz fordern.

Stellte jemand Fallen im Umkreis fremder Häuser und fiel das Vieh des Besitzers des Grundes hinein, brach das Bein oder verendete gar in der Falle, wird der Fallenbesitzer das Zwei-für-Eins zahlen.

10. Buch: Der Kanun gegen das Verbrechen

1. Kapitel: Der Helfershelfer und Hehler

Helfershelfer (Hehler) heißt jener, der durch verbrecherische Einmischung und hinterrücks jemandem hilft, im eigenen Dorf ein Verbrechen zu begehen.

Solche Hilfe und Hehlerei wird bestraft:

a) Beim Helfen bei einer Frauenentführung fällt er ins Blut und zahlt dem Dorf 100 Groschen Buße;
b) Bei Mord fällt er ins Blut und zahlt 500 Groschen dem Dorf.
c) Für Dieberei und jedes Gut, das im Dorf gestohlen wird, im Brot, unter der Anführung, durch die Benachrichtigung, Auskundung des Helfershelfers, wird, so der Hehler ausgekundet wird, nach dem Kanun gebüßt.

2. Kapitel: Der Diebstahl

1. Allgemeines

Am Diebstahl sind beteiligt:

a) Der Dieb, also jener, der mit eigener Hand Fremdes entwendete.
b) Der Helfershelfer, der dem Dieb Hilfe und Arm leiht bei seinem Diebstahl oder anderem Verbrechen, und wenn schließlich der Diebstahl ausgekundet ist, werden sie das fremde Gut nach dem Kanun und nach dem Anteil ersetzen, den sie am Verbrechen hatten93.
c) „Das Brot“, jenes Haus, wo die Diebe mit dem Gestohlenen essen, oder Brot mitbekommen, oder das Gestohlene hinbringen. „Dieb und Brotgeber sind gleich schuldig.“
d) Hehler ist auch, der das gestohlene Gut versteckt. „Dieb und Hehler sind gleichschuldig.“
e) Nimmt auch der Hehler nicht selbst am Diebstahl Teil, wird er doch genau so schuldig wie der Dieb, denn er wird „zur Diebs- und Räuberhöhle.“
f) Die Spur, das sind jene Fußstapfen, die das Vieh hinterläßt, denen der Besitzer nachgeht, um es zu verfolgen bis an die Grenze eines Dorfes oder Wohnviertels, oder bis zu einem Hausumkreise, zu einem Hof oder einer Hürde. „Die gelassene Spur, das wiedergefundene Vieh.“
g) Diebische und verlogene Kinder.
h) Der Räuber, das ist jener, der offen und mit Gewalt jemandem etwas entwendet.

Zeigt sich die Spur auf der Alpe des Besitzers des gestohlenen Viehes, darf er dennoch das nahe Dorf oder dessen Stamm nicht fassen, hat er aber gegen sie Verdacht, muß er sich bemühen, daß ihnen der Eid auferlegt werde.

Kann der Besitzer den Dieb nicht auskunden, wendet er sich ans Dorf, bis zu dem er die Spur verfolgte, das Dorf wird sich verantworten.

Wird der Dieb nicht ausgekundet, aber die Spur bis in ein Wohnviertel verfolgt, wird jenes Viertel den Besitzer entschädigen. Wurde die Spur bis in die Umgebung eines Hauses verfolgt, eines Hofes, einer Hürde, so wird jenes Haus den Besitzer entschädigen94.

Jeder Schaden, Diebstahl, Räuberei, die durch Kinder oder Gesindel verursacht sind, werden, so das Haus, dem sie zugehören, ausgekundet ist, durch jenes Haus vergütet.

Die Vorschrift des Kanun lautet: „Was die Halbwüchsigen (die Kinder) tun, die Männer ihres Hauses werden dafür aufkommen.“ Kinder und Halbwüchsige, und werden sie mit dem Raub in der Hand erwischt, dürfen durch fremde Hand nicht berührt (geschlagen) werden; man wird es den Eltern mitteilen und diese werden sich für ihre Kinder verantworten.

2. Der Raub

„Die Straße Gottes bezahlt nichts.“

Der Kanun duldet nicht, daß jemand auf seinem Durchlaß belästigt werde. Die Landstraße aber ist niemandem verpflichtet. Hat jemand gegen einen andern eine Verpflichtung und gibt ihm dennoch nicht Rechenschaft, wird jener beim Dorf des Schuldigen klagen und das Dorf wird den Täter zur Vernunft bringen.

Erhob sich Einer und brach die Landstraße, indem er dem Reisenden Pferd, Maultier und Esel behinderte, oder ein Stück Rind – so man sich dabei nicht gleich auf dem Fleck gegenseitig erschlug – fallen die Räuber unter die Buße des Dorfes, je nach Schwere ihrer Schuld, und das geraubte Vieh wird dem Besitzer zurückgestellt. Stand jemand auf und raubte jemandem aus Bosheit Maultier, Pferd oder Esel, und es erweist sich, daß der Beraubte schuldlos ist, verfällt der Räuber der Buße des Dorfes, weil er die Straße brach, dem Besitzer aber wird er das Vieh und den Preis der verlorenen Tage ersetzen.

3. Die Raubesbeute

„Die Beute wird durch Raub genommen.“

Einen Raubüberfall durchführen, erbeuten, Beute nehmen, heißt, eine Herde auf dem Berg überfallen, auf der Weide oder sogar in der Hürde. Der Raubüberfall wird meist dadurch veranlaßt, daß ein Wohnviertel sich mit einem anderen nicht zu verständigen weiß.

Die Raubbeute kann nicht anders erstattet werden als durch andere Beute oder durch die Büchse.

Der Beutezug geschieht Dorf gegen Dorf, Stamm gegen Stamm – oder auch zwischen einzelnen Häusern.

Der Raubzug wird wegen einer Bergesgrenze unternommen, einer Almgrenze oder Weide oder wegen anderen Unrechts, durch das Dorf oder Stamm oder Haus ein anderes Haus, ein Dorf, einen Stamm oder einen Einzelnen beleidigte.

Beim Beutezug auf dem Berg muß das Vieh unbedingt dem Besitzer ersetzt werden.

Beim Beutezug auf eine Hürde muß der Besitz dem Besitzer erstattet werden. Und 500 Groschen für Verletzung der Ehre der Hürde.

Wurde eine fremde Herde auf der Straße, auf dem Berg oder der Alpe um der Grenze willen erbeutet, steht Dorf wie Stamm dem Beutenehmer bei.

Der grundlose Beutezug verlangt die Erstattung der Beute an den Herrn und 500 Groschen Buße. Nach der Vermittlung der Herzensfreunde und der Männerschaft des Gebietes wird die Buße erlassen.

Machst du ungerechten Beutezug, Dorf und Stamm stehen dir aber trotzdem bei, so geben die Vermittler Pfänder, und der Fall wird durch die Ältesten abgewogen, nach dem Kanun.

Je nach Schwere der Schuld wird Buße gezahlt und das Vieh dem Besitzer erstattet.

Steht dem Beutenehmer sein Dorf und Stamm zur Seite, hat der Geschädigte das Recht, einen Beutezug gegen irgend jemanden aus des Beutenehmers Dorf oder Stamm zu unternehmen, wie er es vermag, um seine Ehre wiederherzustellen und sich Ersatz für sein Vieh zu verschaffen.

Der Beraubte darf aber Beute weder an Dorf noch Stamm nehmen, wenn diese den Beutenehmer ausgeschellt haben (also ihn nicht schützen); dann darf er sich Ersatz nur Haus gegen Haus verschaffen. Der Kanun sagt: „Entweder das Vieh dem Besitzer erstattet – oder den Weg frei!“ (daß er es sich zurückhole).

Das auf dem Berg erbeutete Vieh gibt nicht das Recht auf das Zwei-für-Eins, sondern nur auf Rückerstattung.

„Die Glocke der Herde darf niemals als Beute genommen werden.“ Wurde die Glocke des Leithammels zur Beute genommen, auf dem Berg oder in der Hürde – an ihr hängt die Ehre der ganzen Herde und der Hürde; der Erbeuter wird dem Besitzer 500 Groschen Buße zahlen, und wenn er nicht ein einziges Stück zur Beute nahm95.

Weder Leithammel noch Kettenhund dürfen je zur Beute genommen werden – auch dort, wo man nach dem Kanun zum Beutenehmen verpflichtet ist. „Beute wird nicht für eine Verpflichtung (Schuld) genommen. Geschah es dennoch, schellen Dorf und Stamm den Beutemacher aus (me legite)“ – d. h. sie tun ihn in Acht und Bann, brandmarken ihn als treulos, falls er sich nicht bereitfindet, das Vieh zu erstatten96.

Hat der Beutemacher die Beute verbraucht, wird er am Tag der Erstattung dem Besitzer Stück für Stück Ersatz leisten, indem er diese Tiere aus den eigenen Herden wählt.

4. Die schändliche Schuld

Wer Haus und Beutel des Freundes bestiehlt, dem hat der Kanun als Buße „das geschwärzte Antlitz“ auferlegt, die Schande; er ist aus Männerrat und Gericht hinausgeworfen.

Bestahl den Freund eines Hauses eine fremde Hand – aus anderem Hause –, so wird von dieser der bestohlenen Freund und das zerbrochene Haus gefordert.

5. Das Zwei-für-Eins

Allüberall, wo der Kanun gilt, hat das gestohlene Gut das Recht auf das Zwei-für-Eins. „Zwei für eins, so daß es zu Fuß gehen kann.“

Das Zwei-für-Eins wird nicht nur für das Großvieh gegeben, sondern auch für Kleinvieh oder den gestohlenen Gegenstand.

Das Zwei-für-Eins wird auch gefordert für das schmähliche Niederbrennen des Hauses, der Hütte, des Schuppens, des Heuschobers und Strohhaufens, des Berges aus dürrem Laub, der Hecke.

Der bestohlene Garten, Weinberg und Acker hat das Zwei-für-Eins.

Der gestohlene oder getötete Hahn hat das stehende Urteil: 500 Groschen dem Besitzer, denn „der Hahn ist die Uhr der Armen.“

Das gemästete Schwein, gestohlen oder getötet (es sei denn auf dem Schaden betroffen), hat 500 Groschen, denn das gemästete Schwein „ist der Unterhalt des Hauses“.

Diese beiden letzterwähnten Tiere haben also nicht das Zwei-für-Eins, weder der Hahn den Hahn, noch das Schwein das Schwein, sondern 500 Groschen baren Geldes.

Für Bauernwerkzeuge, z. B. die gestohlene und ermittelte Pflugschar, wird der Dieb dem Besitzer so viele Arbeiter bezahlen, als ihm Tage verloren gingen und für die Pflugschar außerdem die Pflugschar.

6. Das Recht des Besitzers des gestohlenen Viehes und Gutes

„Wo der Herr sein Vieh findet (seine Sache), nimmt er es (sie).“

Nach dieser Vorschrift ist der Besitzer des gestohlenen Viehes (Gegenstandes) nicht verpflichtet, sich lange herumzustreiten; wo immer er seinen Besitz auskundet, hat er das Recht, ihn zu nehmen.

Wurden Nahrungsmittel gestohlen, wird durch Nahrungsmittel ersetzt. Wurde aus dem Vorratsschrank gestohlen, wird der Vorratsschrank ersetzt. (Für den Diebstahl im Keller hast du Gleiches mit Gleichem zu ersetzen.)

Wurde die Fährte verfolgt, wird der Besitzer dort Fuß fassen und durch Fuß und Hand Rechenschaft geben (Beweis geben).

Kaufte jemand einen gestohlenen Gegenstand, auch ohne Wissen, daß er gestohlen war, so hat der Besitzer das Recht, ihn sich zu nehmen, und der Verkäufer (der Dieb) wird dem Käufer bis zum letzten Deut ersetzen, was er durch den Verkauf erhalten hatte; außerdem gibt er dem Besitzer das Zwei-für-Eins.

Was den Diebstahl in Kirche oder Priesterhaus betrifft, hat der Dieb Dorf oder Stamm keine Buße zu zahlen.

Wurde etwas aus der Hürde gestohlen, wird der Dieb das Zwei-für-Eins zahlen und 500 Groschen Buße für die zerbrochene Hürde.

Wurde das Vieh auf dem Berg gestohlen, zahlt der Dieb das Zwei-für-Eins.

Wurde etwas im Haus gestohlen, zahlt der Dieb das Zwei-für-Eins und 500 Groschen für das erbrochene Haus.

3. Kapitel: Der Mord

1. Der Hinterhalt

Mit Hinterhalt (prita) bezeichnet das Hochland jenes Vorgehen, bei dem sich ein Bluträcher (oder andere Menschen) mit Tötungsabsicht auf die Lauer legt (in den Hinterhalt legen, im Hinterhalt lauern, einen Hinterhalt stellen, in den Hinterhalt geraten).

„Der Böse wird sich vor jenem verantworten, der ihn im Hinterhalt erwartet97.“

Innerhalb des eigenen Stammes darf niemand Gefährten nehmen, um jemandem einen Hinterhalt zu stellen; tut er es und jemand aus dem Stamm wird erschlagen, so fallen alle unter das Blut.

Wird jemandem außerhalb des Stammes ein Hinterhalt gelegt, jemand aus fremdem Stamm wird erschlagen, fällt nur der Anführer ins Blut und nicht seine Helfer. „Wer führt, nimmt das Blut auf sich!“

„Wer die Patrone gibt, macht sich das Blut zu eigen.“

Stand jemand auf, sammelte Gefährten und Herzensfreunde und stellte jemandem einen Hinterhalt, indem er sagte: „Alle abgeschossenen Büchsen gehören mir“, und jemand wird getötet, so nahm der Führer jenes Blut auf sich.

„Die Büchse bringt das Blut über das Haus.“ „Die Büchse läßt dich im Blut“ (läßt dich in Blut fallen).

„Der nicht im Blut stehende Helfer fällt unter das Blut.“ Entlieh jemand jemandes Büchse und legte sich ohne Wissen des Herrn der Büchse in den Hinterhalt und tötete jemanden, so fällt der Hinterzieher der Büchse ins Blut, nicht deren Besitzer.

Nahm jemand jemandes Büchse, indem er dem Besitzer sagte, daß er die Absicht habe, einen Hinterhalt zu stellen und jemanden zu töten – und er tötet wirklich, wie er sagte, so fällt der Besitzer der Büchse ins Blut, denn „die Büchse bringt das Blut über das Haus.“

„Der nicht im Blut stehende Helfer fällt ins Blut.“

Zog Einer aus und versammelte Helfer und Herzensfreunde, und stellte jemandem einen Hinterhalt, ohne diesem weder Blut noch Wunden zu schulden, und er tötet ihn, so fällt der Führer mit allen Helfern ins Blut.

Stellt aber jemand einen Hinterhalt demjenigen, der ihm ein Blut schuldet, wieviele Helfer und Herzensfreunde er auch mit sich habe, so nimmt er nur sein eigenes Blut (jenes, das ihm nach dem Kanun gebührt), er fällt nicht ins Blut (denn er hat nur das Urteil des Ältestenrates vollzogen).

Stellte eine Männerschar einen Hinterhalt und die Büchse ging los auf Seite der im Hinterhalt Liegenden, aber niemand wurde getötet; in diesem selben Augenblick geht auch die Büchse auf der anderen Seite, der in den Hinterhalt Gefallenen, los, aber keiner der Hinterhaltleger wird getötet, so fallen nach dem Kanun doch die Hinterhaltleger ins Blut, denn sie begannen das Schießen (wenn die Hinterhaltleger keine durch Ratsurteil berechtigte Rache ausübten).

Der Hinterhalt wird schießen, aber nicht auf Kinder, Frauen, Häuser und Vieh. Schoß der Hinterhalt auf eine Frau, ein Kind, ein Haus oder Rind, handelt er gegen den Kanun, und wenn dies der Stamm der Hinterhaltleger nicht in Rechnung zieht und sie nicht nach dem Kanun bestraft, so wird sogleich der Kampf Haus gegen Haus beginnen, Sippe gegen Sippe, Dorf gegen Dorf, Stamm gegen Stamm.

Jener, der beschließt, einen Hinterhalt zu stellen, wird Brot mit sich nehmen, für sich und seine Helfer. Geht jemand von diesen in ein Haus, ehe noch der Hinterhalt bezogen ist, setzt sich, trinkt Kaffee oder ißt Brot, oder er und seine Genossen nehmen Brot mit sich aus fremdem Haus, legen sich in den Hinterhalt, töten jemanden – so wird das Haus des Getöteten sein Blut auch von dem Haus fordern, das jenen Brot gab.

„Die Büchse und das Brot, das am Tage des Totschlages gegeben wird, bringt das Blut auf jenen, der sie gab.“

Stellt Einer auf, um einem Dorf(Stammes-)genossen Hinterhalt zu stellen, und nimmt Dorf(Stammes-)genossen zu Helfern, und sie töten jenen Dorf(Stammes-)genossen, so fallen Anführer wie Helfer ins Blut mit jenem Haus (d. h. sie verfallen jener Familie und ihrer Rache) – es sei denn, sie seien öffentlich (berechtigt) gegeneinander gezogen.

Stand jemand aus der Mirdita auf und legte Hinterhalt jemandem in Thkelle oder aus den Bergen von Alessio oder von anderswo, und zu Helfern nimmt er Gefährten aus besagten Stämmen, so fällt, der sie führt, ins Blut.

Sagte jemand einem anderen, er solle jemandem einen Hinterhalt stellen, indem er ihm das Wort (die Treue) verpfändete, daß er am Tage der Befriedung jenes Blutes für ihn den Blutpreis zahlen werde, und jener, auf dies gegebene Wort hin, geht und tötet den, so dieser ihn töten hieß, dieser aber läßt ihn im Sumpf und verantwortet sich nicht für ihn mit seiner Habe, so sei der Täter im Blut, jener aber, der ihn anstiftete, dem sei das Haus verbrannt für den Wortbruch und er büße mit 100 Hammeln und seinen Ochsen98.

2. Der Täter

Der Täter ist jener, der mit eigener Hand tötet. Der Täter wird, sobald er jemanden tötete, Bescheid senden, daß er ihn tötete, damit die Familie des Getöteten nicht in Irrtum falle.

Der Täter wird senden und um Gottesfrieden bitten.

Kann der Täter selbst den Getöteten hereinbringen, so ist es gut. Sonst muß er jenem, dem er begegnet, sagen, daß er gehen soll, jenen zu bergen und ihm die Waffe ans Haupt zu legen.

Der Täter darf nicht wagen, selbst die Waffe des Erschlagenen zu nehmen; tut er diese Schandtat, so fällt er in zwei Blute.

Der Täter der eigenen Eltern wird durch Sippe oder Dorf hingerichtet.

Der Täter hat die Nacht zur Flucht und dort, wo ihn der Tag ereilt, wird er sich verbergen.

3. Der Friedensbringer

Friedensbringer heißen jene, die zu den Eltern und Vettern des Getöteten gehen, um für den Täter und sein Haus den Gottesfrieden zu erlangen. Sie sind die Schützer des Täters und seines Hauses, damit diesen kein Übel geschehe innerhalb des Gottesfriedens.

„Bürge und Friedensbringer (Treueverpflichter) wird niemand für Geld.“ Da es eine gegenseitige Notwendigkeit ist, so will der Kanun nicht, daß jene Opanken nehmen, die für jemanden den Gottesfrieden erlangen.

4. Der Gottesfriede

Der Gottesfriede (besa) ist eine Frist der Freiheit und Sicherheit, die das Haus des Getöteten dem Täter und seinen Hausgenossen gewährt, um ihn nicht sofort und vor einer bestimmten Frist für das Blut zu verfolgen (ehe noch die Ältesten den Fall untersuchen konnten). Jemanden um Gottesfrieden zu senden, ist Kanun; den Gottesfrieden zu gewähren, Pflicht der Männlichkeit.

Wenn das Haus des Erschlagenen dem Täter Gottesfrieden gewährte, so wird dieser, obschon er ihn erschlug, an Totenfeier und Klage teilnehmen und ihn zu Grabe geleiten und zum Totenessen bleiben. Dieser Gottesfrieden währt 24 Stunden99.

Ging der Täter, nachdem ihm Gottesfriede gewährt wurde, nicht zu Klage und Totenschmaus, wird dies dem Haus des Erschlagenen nicht zur Schande angerechnet, wenn auch daraus ersichtlich ist, daß ihnen der Täter kein Vertrauen schenkt – der Täter vielmehr häuft dadurch Schmach auf Schmach.

Nachdem der Erschlagene in der Erde liegt, hat nach dem Kanun das Dorf das Recht, dem Täter und seinen Hausgenossen den Gottesfrieden zu entziehen.

Der Gottesfriede des Dorfes währt 30 Tage.

Versteinte sich das Haus des Erschlagenen und ließ sich nicht bereitfinden, dem Dorf den Gottesfrieden zu gewähren, so muß der Täter mit seinen Hausgenossen und den hausgetrennten Vettern eingeschlossen bleiben (d. h. er kann sein Haus ohne Lebensgefahr nicht verlassen). Niemand anderer darf eindringen und dem Täter den Gottesfrieden rauben, und das Haus des Erschlagenen darf niemandem Gottesfrieden gewähren, ohne sich mit dem eigenen Dorf zu verständigen.

Sobald sich das eigene Dorf mit dem Haus des Erschlagenen verständigte, ist der Weg frei für Freunde und Herzensfreunde, um für den Täter den Gottesfrieden zu erbitten.

Sobald das Haus des Erschlagenen den Gottesfrieden auf die Sippe erstreckte, wo viele Sippen im Dorf des Täters sind, so vielen wird der Gottesfriede gewährt, nicht einer einzigen weniger, oder mehr.

Stand ein Freund auf und ging zum Haus des Erschlagenen um Gottesfrieden, und dieses Haus empfängt ihn mit: „Komme mir nicht wieder“ und gewährte ihm den Gottesfrieden nicht, kann er nicht nochmals dafür hingehen.

Stand aber ein Freund auf und ging um Gottesfrieden zum Hause des Erschlagenen, und dieses empfängt ihn mit: „Für jetzt gewähre ich dir den Gottesfrieden nicht, denn mir scheint der Anlaß nicht gegeben“, so werden sie den ersten Gottesfrieden, den sie zu gewähren beschließen, diesem Freunde gewähren, indem sie Freunde und Herzensfreunde beiseite lassen (also nicht mit den letzteren aus Vorliebe den Gottesfrieden abschließen).

Wurde dem Täterhaus Gottesfriede gewährt, mögen seine Bewohner mit Verstand und guter Art ihrer Arbeit nachgehen, sich hütend – sowohl die Männer als die Frauen – Schäden und Wirren zu verursachen, besonders wenn ihr Haus dem Haus des Erschlagenen nahegelegen ist, daß sie sich nicht brüsten (und damit die anderen reizen).

Benahm sich das Haus des Täters schlecht gegen das des Erschlagenen, wird ihm das Dorf gemeinsam mit dem Bürgen den Tadel aussprechen und, so die Notwendigkeit es heischt, sogar strafen, ja ihm den Gottesfrieden entziehen.

Das Gesetz aber auch die Pflicht der Mannesehre fordert, daß niemand aus dem Haus des Erschlagenen verspottet werde, denn es ist unglücklich und an einem Arm verdorrt.

Es nehme sich niemand heraus, den Täter anzustiften und mit ihm über Dorf und Haus des Erschlagenen zu lachen. Der Kanun sagt: „Hüte den Bluttäter und bringe ihn nicht ins Angesicht des Hauses des Erschlagenen.“ Der Täter kann sich nachts frei herumbewegen, dort aber, wo ihn das Tageslicht betrifft, soll er sich verbergen. „Wenn der Mann ins Blut fällt, wird ihm Flucht und Verbergen zur Pflicht.“

Der vom Herd Geteilte wird nach 24 Stunden nicht mehr vor dem Bluträcher geschützt.

Die vom Herd getrennte Vetternschaft des Täters wird sich die ersten 24 Stunden nach der Tat in Obacht nehmen, denn wenn sie in dieser Zeit das Haus des Erschlagenen tötet, nahm es nur sein Blut. Sind sie aber nach 24 Stunden am Leben, werden sie sich mit dem Haus des Getöteten durch Bürgen verständigen und frei an ihre Arbeit gehen können.

Tötet Einer aus dem Haus des Erschlagenen jemanden der vom Herd geteilten Vetterschaft nach den ersten 24 Stunden, so nimmt er nicht das ihm zustehende Blut, sondern fällt unter das Blut.

5. Der Gottesfriede für Vieh und Hirten

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Der Gottesfriede für Vieh und Hirten ist jener, den 2 oder mehr Stämme unter sich abschließen im gegenseitigen Einverständnis. Indem sie diesen Gottesfrieden abschließen, die Banner (Stämme), deren Häuptlinge und Jungmannschaften, bestimmen sie den Tag für die Reisenden, die Boten und die Hirten mit dem Vieh.

Der Reisende und Bote eines Stammes, der im fremden Stammesgebiet zu tun hat, darf die durch die beiden Stämme im Gottesfrieden bestimmten Örtlichkeit nicht verlassen.

Reisende und Boten, außer daß sie den Weg nicht verlassen dürfen, sobald sie den Fuß auf das fremde Stammesgebiet setzen, dürfen sie auch kein anderes Haus betreten, sondern geradeaus zum Häuptlingshof werden sie sich verfügen.

Hat der Reisende eine persönliche Sache zu erledigen oder der Bote die Angelegenheit seines Stammes, kann er auf dem fremden Stammesgebiet nicht herumlaufen, er wird vielmehr durch den Bannerträger oder einen von diesem bezeichneten Mann begleitet. Beim Herumgehen werden Reisender und Bote die Hauptstraße benützen, ohne die durch die Stämme im Gottesfrieden der Herden und Hirten festgesetzten Örtlichkeiten zu verlassen.

Betrifft Reisenden oder Boten Übles, oder den Hirten, ehe sie den fremden Stamm verlassen, obwohl sie das Vieh nur auf den bezeichneten Stellen weiden ließen, werden sie durch den Gottesfrieden der Hirten und Herden beschützt (evtl. gerächt).

Der Verletzer dieses Gottesfriedens hat folgende Strafen und Bußen:

a) der Täter wird dem Haus des Getöteten 22 Malter Getreide fürs Blut geben;
b) der Stamm des Täters verbrennt dem Täter drei Wohntürme (kulle). Hat er selbst nicht 3, so den Wohnturm des Täters und 2 der nahen Vetternschaft, sei die Vetternschaft auch schon seit 100 Geschlechterfolgen weggeteilt, so werden dieser dennoch 2 Wohntürme verbrannt.

Der Stamm des Täters vernichtet die Habe des Täters nach Pflanze und Erde, mit dem Rind und all seinem Besitz.

Verließ der Reisende oder Bote den Weg, oder überschritt der Hirt mit der Herde die ausgemachten Punkte, wenn sie dann jemand tötet, ist ihnen der Gottesfriede der Herden und Hirten nicht Freund, aber jener, aus dessen Haus sie kommen, fällt mit dem Haus des Täters ins Blut, wie nach dem Kanun.

Tastete jemand die Viehherde an auf dem Berg, innerhalb der ausgemachten Örtlichkeiten, fällt der Missetäter in die erwähnten Strafen und Bußen, denn er brach den Gottesfrieden der Herden und Hirten.

Die Bürgen für den Gottesfrieden der Herden und Hirten sind die Häuptlinge, die Führer und die Jungmannschaften der Stämme, die den Gottesfrieden beschließen101.

6. Das Blut

In den albanischen Bergen, so viele Söhne geboren werden, so viele gelten für gut und werden nicht von einander unterschieden.

Der Preis des menschlichen Lebens ist gleich, für den Guten wie Bösen. Jeder hält sich für gut und sagt zu sich selbst; „Ich bin Mann!“ und sie sagen zu ihm; „Bist du ein Mann?“

Ließe man einen Unterschied im Blute gelten, wüßte das Gesetz den Schlüssel für diese Sache nicht mehr richtig zu finden, auch nicht durch Altenrat, oder Pfand, im Abwägen des Guten gegen den Büsen, denn jeder hält sich für einen Gipfel.

Ließe man den Ausweg von Unterschieden im Blut gelten, würde man den nach Anschein Minderwertigen und den Ängstlichen auch grundlos töten. Die Totschläge würden überhandnehmen, wenn für den Totschlag des Schlechten und etwa des Angsthasen niemand Rechenschaft forderte. Darum büßt Leka jedes Blut gleicherweise; es kommt der Gute ja auch aus dem Bösen und der Böse aus dem Guten. „Seele für Seele, denn das Aussehen schenkt uns Gott der Herr.“

Wer also jemanden erschlägt, sei er Mann oder Frau, Knabe, Mädchen oder Wickelkind, oder ein Scheusal nach dem Aussehen, Führer, Altester und Häuptling, arm oder reich, adlig oder feige – die Strafe ist dieselbe. Für den Mord des Männlichen: 6 Malter Getreide, 100 Hammel und ein halber Ochse Buße.

Wer jemanden anschießt, für den gilt die Hälfte der genannten Buße, für Mann wie Weib.

Die Wunde geht nach dem Stand der Wohlhabenheit, oder wie sie der Arzt bestimmt (die Kosten der Heilbehandlung nach der Forderung des Arztes). Die Befriedung des Blutes oder der Verwundung102, die am Kopf eines Jünglings geschieht, hat keine andere Einzelheit: 6 Malter für den Tod, 3 für die Wunde. Die Befriedung des Blutes und der Wunde, die durch Vermittlung der Herzensfreunde geschieht, noch mehr als 6 und 3 Malter, sie fordern auch die Auslagen für die Heilbehandlung.

Bei ins Blut Gefallenen, wenn es sich um einen Totschlag im Dorf handelt, muß der Täter wie auch alle Männlichen seines Hauses bis zum letzten Wiegenkinde auswandern; sie werden das Dorf verlassen und zu Fremden gehen, um der Gefahr der Tötung zu entkommen.

Mit der Frauenschaft aus dem Haus des Täters hat das Haus des Erschlagenen nichts zu schaffen, „denn die Frau und der Priester fallen nicht ins Blut“.

Auch die Unmündigen sind in Sicherheit; nie kam es vor, daß sie getötet wurden.

7. Das Blut geht mit dem Finger

Im alten Kanun der albanischen Berge fiel nur der Täter selbst unter das Blut, also jener, der trug, lud, abdrückte die Büchse oder jede andere Waffe benützte gegen den Menschen.

Das Haus des Erschlagenen konnte weder verfolgen, noch töten einen der Brüder, Neffen und Vettern des Bluttäters, nur den Finger – den Täter.

Der spätere Kanun begreift die Männerschaft des Mörderhauses (auch das Wiegenkind, so es herangewachsen war) in das Blut mit ein. Die nahen Vettern und Neffen, wenn auch vom Hause getrennt, aber nur für 24 Stunden; nach 24 Stunden wird ihnen das Haus des Getöteten Bürgen zugestehen103.

In der großen Malcija (Hoti, Gruda, Kastrati, Kelmendi) fallen alle jene ins Blut, die für einen Toten die Trauerkleider tragen müßten, dies gilt auch im Dukagjin (also Shala, Shoshi, Nikaj, Dushmani und Merturi).

8. „Blut bleibt für Blut“

Wenn zwei sich gegenseitig töten, nachdem sie in Streit gerieten, beide sterben, dann sei Kopf für Kopf, Blut für Blut. Dies muß aber, um Weiterungen zu hindern, durch Vermittler befriedet werden. In diesem Fall können die Häuser der Getöteten voneinander keine Entschädigung fordern. Sie werden nach dem Kanun durch Bürgschaft gebunden.

Bleibt jedoch der eine tot, der andere nur verletzt, dann muß der Verwundete für den Überschuß an Blut aufkommen, den der Getötete vergoß. Erschlug jemand meinen Bruder, ich erhob mich, traf einen aus dem Haus des Täters und verletzte ihn einmal, vielleicht 20mal, danach ließ ich abermals die Büchse spielen und tötete den Bruder des Täters oder diesen selbst, so kommen die vielen Wunden vor den Altenrat und müssen durch mich gebüßt werden – der Erschlagene aber gilt für den Kopf des Bruders.

Doch tötete ich jenen, den ich zuerst 20mal verletzte, dann gehen die Wunden verloren, denn sein ganzes Blut gilt gegen das meines Bruders.

Habe ich aber, über den Getöteten hinaus, jemanden auch nur am Kopf geritzt, bin ich ihm die 3 Malter für Verwundung schuldig.

Traf ich ihn aber am Fuß, bin ich ihm 750 Groschen schuldig.

Die Wunde vom Gürtel aufwärts wird mit den 3 Maltern abgegolten, die vom Gürtel abwärts mit 750 Groschen104.

9. „Blut sei nicht für eine Schuld“

Jede Schuld, die ein Albaner gegen einen Albaner verübt, hat er das Recht, durch Altenrat und Pfänder zu ahnden; der Betroffene darf aber für solche Schuld nicht töten. „Denn das Blut sei nicht für die Schuld.“

Beschimpfte mich einer und ich tötete ihn dafür, bin ich ihm sein Blut schuldig.

Kam einer und legte Feuer an mein Haus, meine Hütte oder Unterkunft – lauere ich ihm auf und töte ihn, bin ich ihm sein Blut schuldig. Kam einer, um mich zu bestehlen, ich sehe ihn, wie er die Tür öffnet, und töte ihn – ich bin ihm sein Blut schuldig.

Kam einer, meine Hürde auszurauben, ich sehe ihn, der meine Herde vor sich hertreibt, überfalle ihn, um ihm mein Vieh zu entreißen, er will es nicht lassen und ich erschlage ihn – ich fiel ins Blut.

Wenn jemand sich anschickte (zum Schlage ausholte), dich zu schlagen, oder er schlug dich, du aber tötetest ihn, du schuldest ihm ein Blut. (Dennoch wird sich nur der Ehrlose schlagen lassen, ohne dafür zu töten.)

Wenn dich jemand angreift, obwohl 2 Hände für einen Kopf (zum Schutz eines Kopfes) da sind, du aber tötest ihn, du schuldest ihm ein Blut. Jemand sprang dir an die Kehle, weil 2 Hände für einen Kopf sind, wenn du ihn erschlugst, schuldest du ihm ein Blut105.

Diese Fälle werden nach der Schwere der Schuld beurteilt.

10. „Das Blut wird niemals (dient nicht zur) Buße“

„Das Blut ist Blut, die Buße Buße“, sagt der Kanun.

Das Blut geht nie verloren.

Bei jeder Schuld, in die das Haus des Erschlagenen gegen das Haus des Täters verfällt, wird mit Altenrat und Pfändern gerichtet, wenn es die Notwendigkeit erheischt. Da Schuld immer Schuld bleibt, wird das Haus des Erschlagenen das Haus des Täters entschädigen, je nachdem es die Alten bestimmen.

Bei jeder Buße, in die das Haus des Erschlagenen verfällt, zahlt die Buße die Buße, aber das Blut können sie nicht verlieren und dies kann dem Haus nicht auferlegt werden (daß die Buße für die Schuld sei).

11. Das Blut für die schlechte Tat

Jene, die Körper und Schande gemeinsam haben und werden gemeinsam auf ihrer Tat erschlagen, verlieren ihr Blut (Ehebrecher und ähnliche).

Die Vorschrift: „Blut sei nicht für Schuld“ verliert ihre Gültigkeit bei der Schändung der Frau.

„Der geschworene Feind, die geschändete Waffe und Frau fallen nicht unter den Kanun.“

Dem Schänder und der Geschändeten geht nur dann das Blut verloren, wenn sie auf der Tat durch dieselbe Büchse getötet werden. Die Eltern der Geschändeten können ihr Blut nicht fordern, sie werden dem Täter vielmehr die Patrone ersetzen mit einem: „Deine Hand sei gesegnet!“

Sie werden Bürgen dafür stellen, daß sie das Blut der Geschändeten niemals fordern werden.

Haben aber die Eltern der Erschlagenen den Verdacht, daß der Täter sie nicht auf der bösen Tat tötete, schiebt ihm der Richter den Eid zu, nach dem Kanun.

Kam ihm der Eideshelfer nicht zu Hilfe, ist der Täter zwei Blute schuldig und die Buße nach dem Kanun.

Rettete sich der eine Teil und floh, kann ihn der Täter, der ihn auf der schändlichen Tat ertappte, späterhin nicht mehr töten, oder er fällt ins Blut, und dem dennoch getöteten Teil wird er das Blut ersetzen.

Erweisen sich in Schande Frau, Mädchen oder kleines Mädchen und, ohne getötet worden zu sein, können sie fliehen auf fremde Erde, so schellt sie der Stamm für Lebenszeit aus.

Wird jener ausgekundet. der die Schande brachte, und sie kreisten ihn samt der Geschändeten ein, richtet Sippe, Dorf und Stamm beide hin, indem sie ihnen ihr Blut als Buße auferlegen.

Frau, Witwe oder Mädchen, die sich als geschändet erweisen, werden lebendig auf dem Misthaufen verbrannt, oder sie stellen sie zwischen zwei (brennenden) Scheiterhaufen und zwingen sie so, den Namen des Mitschuldigen zu nennen, oder sie lassen sie für ihre Schande zwischen zwei Feuern verbrennen. Gelingt es, ihr den Namen des Schänders zu entreißen, dann wird auch dieser umstellt, und man richtet beide hin106.

12. Der unbeabsichtigte Totschlag

Der Totschlag ohne Absicht wird nicht mit der Büchse verfolgt. Der Täter büßt das Blut und wird verbürgt (durch Bürgen gesichert).

So lange das Blut heiß ist (die Erregung dauert), wird der Täter versteckt, bis die Sache gut untersucht ist.

Die ruhigen, vernünftigen Leute mischen sich ein, und bestätigt sich, daß wirklich der Totschlag unbeabsichtigt war, zahlt der Täter die Blutbuße und wird durch Bürgschaft gesichert.

Tötet jemand – auch unbeabsichtigt – eine schwangere Frau, so zahlt er, außer den 3 Maltern für die Frau, auch 3 für die Leibesfrucht. Wurde der Täter zu den 3 Maltern für die Leibesfrucht verurteilt, erlaubt der Kanun, daß die Erschlagene geöffnet wird, um zu erfahren, ob sie mit Knaben oder Mädchen schwanger war.

Ging sie mit einem Knaben, wird der Täter die 3 Malter für die Frau geben und 6 für das Blut des Knaben; ging sie mit einem Mädchen, dann außer den 3 Maltern für die Frau 3 Malter für das Mädchen.

Für den unbeabsichtigten Totschlag wird keine Geldbuße gezahlt107.

13. Der Totschlag mit Bürgschaft

Geraten das Haus des Erschlagenen und das des Täters in Streit nach dem versöhnten Blut, müssen sich die Bürgen einsetzen, sie dürfen nicht dulden, daß die Bürgschaft geschändet werde.

Spielte die Büchse zwischen ihnen, werden die Bürgen das Blut ihres Freundes (des nach dem versöhnten Blut Erschlagenen) von jenem Hause fordern, das mit dem Schießen begann.

14. Die Büchse verfolgt den Bluttäter

„Die beginnende Büchse zahlt Buße. “ „Die erste Büchse hat die Buße.“ „Das Losgehen der Büchse hat die Buße.“

Gerieten zwei in Streit und der eine schießt auf den anderen, drückt ab, der Schuß geht aber nicht los, und er wird bei diesem Streit nicht getötet, zahlt er als der erste, der schoß, die Buße.

Schoß aber der erste und sein Schuß ging nicht los, der zweite jedoch zeigte sich in Bereitschaft und erschoß ihn, so fällt er ins Blut, nicht aber unter Buße, „denn der spätere Schuß gilt nicht wie der erste“108.

Geht mir die Büchse ungewollt los, falle ich dennoch ins Blut, so ich jemanden tötete oder verwundete.

Drang einer in jemandes Haus und die Büchse geht los, während er sie an den Büchsenhalter hängt, weil etwa der Riemen reißt, und jemand im Haus wird getötet, fällt der Besitzer der Büchse ins Blut. Der Fall kommt indes sofort vor den Ältestenrat, der sich um die Befriedung bemühen wird.

Duldete der Freund, daß die Büchse gespannt wurde, sie ging los und tötete jemanden, fällt der Besitzer der Büchse ins Blut. Hängte der Freund die Büchse an den Büchsenständer, dieser aber brach so, daß die Büchse auf die Erde fiel, losging und jemanden tötete, fällt der Besitzer des Büchsenhalters ins Blut. Auch dieser Fall, wie die vorherigen, kommt sofort vor den Altenrat. Keil und Halter sind dazu da, um die Büchse aufzuhängen, also muß der Besitzer von Keil und Halter dafür sorgen, daß sie nicht wurmzernagt seien.

Wurde jemand auf der einen Seite getötet, auf der andern aber zwei verwundet, dann steht Blut für Blut; 1 Toter ist gleich 2 Verwundeten.

Die für den geschworenen Freund abgeschossene Büchse bringt dich ins Blut, nicht aber in Buße.

Die für die geschändete Frau, das geschändete Mädchen abgeschossene Büchse hat weder Blut noch Buße.

Die für die geschändete Waffe abgeschossene Büchse bringt in Blut, nicht aber in Buße.

Die Büchse, die ungewollt tötet, hat Blut für das Blut, sie hat nicht Buße oder Strafe.

Die auf irgendetwas abgeschossene Büchse hat Buße.

Für jeden Totschlag 6 Malter Getreide für das Blut. 100 Hammel und ein Ochse Buße dem Stamm; dem Haus der Gjonmarkaj von Oroshi aber 500 Groschen Buße (letzteres gilt für die Mirdita, deren Führergeschlecht die Gjonmarkaj sind109.

15. Wer sich selbst tötet, verliert sein Blut

Tötet jemand sich selbst, verliert er sein Blut.

Das Haus des Selbstmörders fällt nicht in Buße; es büßt sich selbst durch den Verlust eines Menschen und die Ausgaben des Totenmahles.

Tötete der Bruder den Bruder, verlieren sie ihr Blut, aber sie werden dem Stamm Buße zahlen, nach dem Kanun.

Erschlägt der Sohn den Vater, verfolgt ihn niemand, aber der Sohn, der Täter, wird durch Sippe oder Dorf hingerichtet.

Erschlägt der Sohn die Mutter, fällt er ins Blut mit den Eltern der Mutter.

Erschlägt der Mann seine Frau, fällt er ins Blut mit deren Eltern.

Erschlägt die Gattin den Gatten, fallen ihre Eltern ins Blut. (Es kam vor, daß die Eltern die Tochter hinrichteten, die diese Scheußlichkeit beging.)

16. Die Vermittlung des Blutes

Vermittler des Blutes ist jener, der sich im Haus des Erschlagenen bemüht, es mit dem Täter auszusöhnen.

Gelang dem Vermittler des Blutes sein Werk, hat er Recht auf Schuhe (den Vermittlerlohn). Schuhe oder Opanken des Vermittlers bestehen in 500 Groschen. Die Schuhe des Vermittlers des Blutes zahlt das Haus des Täters.

17. Die Versöhnung des Blutes

Die Versöhnung des Blutes geschieht auf zweierlei Weise:

a) indem die Herzensfreunde ins Haus des Erschlagenen und des Pfarrers gehen;
b) durch den Auszug der Häuptlinge, der Familie des Gjonmarkaj und der Jungmannschaft des Stammes. In diesem Fall erhält der Gjonmarkaj für den Totschlag 500 Groschen.

In beiden Fällen ist unerläßlich, gesetzliche Bürgen aufzustellen.

Der Herr des Blutes hat außer auf die für das Blut festgesetzte Summe das Recht auf die Büchse vom Arm irgendeines Mannes, der sein Auge fesselte; der Täter ist verpflichtet, sie ihm zu bringen.

Ehe die Blutangelegenheit befriedet wird und die gesetzlichen Bürgen ihr Amt antreten, bevor die Frist des Geldes für das befristete Blut bestimmt wird, wird der Tisch für das Versöhnungsessen nicht gedeckt, und das Essen wird nicht gegessen.

18. Die Bürgen des Blutes

Die Bürgen des Blutes wählt das Haus des Täters.

Bürgen des Blutes sind jene, die eingreifen, um jede Erneuerung von Haß und Brand zu verhindern, die sich zwischen dem Haus des Erschlagenen und des Täters neu entzünden könnten.

Sind die Bürgen des Blutes in ihr Amt eingetreten, ziehen sie sich nicht mehr zurück.

Die Bürgen des Blutes haben das Recht, jene zu zügeln, für die sie sich einsetzen. Und wenn die freundschaftlichen Ratschläge und der Freundestadel nicht gebührend beachtet werden, haben sie auch das Recht, strenge Saiten aufzuziehen und zu drohen, falls mit ihnen gespielt würde.

19. Die Bürgen des Geldes für das Blut

110Die Bürgen für das Geld des Blutes wählt das Haus des Erschlagenen.

Die Frist für die Zahlung des Geldes für das Blut bestimmen die Ältesten und die angesehenen, vernünftigen Männer des Dorfes.

Die einmal für das Geld für das Blut festgesetzte Frist kann weder verlängert noch sonst verändert werden.

Den Täter zu anderem Entschluß zu bringen oder zu versuchen, die Bürgen des Geldes für das Blut zu beeinflussen, sie auf heute oder morgen hinzuhalten, wird dem Herrn des Blutes mitgeteilt, und den Schuldigen werden sie vor das Dorf bringen, das den schlechten Zahler drängt, sich seiner Pflicht zu entledigen; fordert es der Anlaß, können sie ihn in Strafe nehmen.

Das Geld für das Blut wird dem Haus des Erschlagenen durch die Hand der Bürgen ausgezahlt und niemals geradezu durch den Täter.

20. Das Mahl des (versöhnten) Blutes

Das Mahl des Blutes ist jenes, das stattfindet, wenn die Unterhändler des befriedeten Blutes mit einigen aus der Verwandtschaft der Gefährten und Herzensfreunde des Herrn des Blutes zur Tür des Täters gehen zur Befriedung des Blutes und also das Mahl des versöhnten Blutes essen.

21. Das Kreuz an der Türe

Kanun ist, daß – ist die Befriedung des Blutes gelungen – während man das Mahl des versöhnten Blutes zubereitet, die Bürgen des Blutes wie des Geldes, durch den Herrn des Blutes an die Tätertüre das Kreuz eingegraben wird.

Das Kreuzzeichen an der Türe ist das Zeichen des versöhnten Blutes. Das Kreuz wird in den Schwellenstein an der Haustüre eingezeichnet und auf den Balken zwischen den Türflügeln. Das Kreuz in der Türe wird die Hand des Herrn des Blutes einzeichnen.

Das Eisen (der Meißel), mit dem das Kreuz eingezeichnet wurde – so fordert der Kanun –, wird über das Dach des Täters geworfen111.

22. Die Blutsbruderschaft, das Bluttrinken

Wenn sich die Herzen des Täters und die Häuser des Täters und des Erschlagenen versöhnen, trinken sie wechselseitig ihr Blut112. Sie nehmen zwei kleine Gläser, füllen sie halb mit Branntwein, halb mit Wasser. Einer der Freundschaft erhebt sich, verbindet die beiden kleinen Finger (des Herrn des Blutes und des Täters), durchsticht sie mit einer Nadel und läßt zwei Blutstropfen einzeln in die Gläser fallen. Danach vermischen sie das Blut (mit dem Wasser und Branntwein), schütteln die Gläser gut, tauschen die Gläser und reichen sie sich gegenseitig mit überkreuzten Händen, so daß jeder das Blut des andern trinkt. Mit 100 Freudenrufen schießen sie die Büchsen ab, und sie werden neue Brüder desselben Vaters, derselben Mutter.

11. Buch: Der Altenrat

1. Kapitel: Recht und Pflicht der Ältesten

Die Ältesten (pleq) des Pfandes können Lossprechung und Urteil des Gesetzes nicht fordern, ohne die Angelegenheit geordnet zu haben.

Die Ältesten sind entweder die Vorsteher der Bruderschaften oder die Häupter der Sippen, deren Amt sich auf die gesetzlichen Vorschriften stützt. Ohne sie kann kein neues Gesetz gemacht werden und kein Gericht oder Alten (Ältesten)-rat stattfinden, die eine Sippengemeinschaft, ein Dorf, oder einen Stamm binden.

Älteste heißen auch die Männer, die für ihre Klugheit bekannt und in Gericht und Ältestenrat erfahren sind.

Für Privatangelegenheiten oder Privatstreitigkeiten können die Erwähnten auch zu Ältesten der Pfänder genommen werden, und das durch sie gefällte Urteil wird durch den Kanun anerkannt, wenn sich ihr Spruch nach ihm richtete.

Die Ältesten des Kanun haben das Recht, jede Drohung durchzuführen, jeden Streit zu schlichten, jeden aus Totschlag erwachsenen Anspruch, das eine Mal durch Güte, das andere Mal durch Gewalt, in Gemeinsamkeit mit dem Dorfe, und bei sehr ernster Bedrohung (der Ordnung) werden sie die Unterstützung der Männer des Stammes fordern, um die außer Rand und Band Geratenen zur Vernunft zu bringen.

Die Ältesten haben das Recht, das Dorf zu versammeln, wenn einer sich ihrem gesetzentsprechenden und unparteiischen Spruch nicht fügen will.

Für den kleinen Ältestenrat werden die Greise des Dorfes genommen, nach Bruderschaften und Sippen.

Die für irgendeinen Ältestenbeschluß gewählten Ältesten haben das Recht, sobald sie von den Streitenden gewählt wurden, Urteil zu sprechen und die Angelegenheit bis zu ihrem Abschluß zu bringen.

Nicht nur die Ältesten und Häupter des Kanun haben dieses Recht, sondern auch die Ältesten der Privatangelegenheiten; sobald sie jemand zum Ältesten erwählte, steht ihnen dies Recht zu113.

Sobald den Ältesten das Pfand für die Unterwerfung (unter ihren Spruch) eingehändigt ist – und bereuten es selbst die Streitenden später, kann ihnen das Pfand nicht mehr genommen werden –, gilt ihr Spruch; die Ältesten können nicht ausgewechselt werden.

Die Vorschrift des Kanun lautet: Ältesten über den Ältesten, Urteil über das Urteil, Eid über Eid gibt es nicht.“

In schwerwiegenden Angelegenheiten, die die Ehre von Dorf und Stamm trüben, wird durch die Dorfältesten und Stammeshäupter bestimmt. Die Ältesten und Häupter des Stammes können nie ein Urteil fällen, ohne sich die Ältesten und Überältesten des Dorfes zuzugesellen, in dem der Schuldige wohnt.

Geschieht es, daß ein ganzes Dorf mit seinen Ältesten und seinem Volk außer Rand und Band geriet, beraten die Stammesführer mit den Greisen und Ältesten der Bruderschaften und Sippen und mit dem ganzen Dorf und bringen das außer Rand und Band geratene Dorf zur Vernunft.

Steht ein Dorf auf gegen die Führer, Alten, Ältesten und Volk des Stammes (Banners), unter dem es sich befindet, wird es dem Haus der Gjonmarkaj mitgeteilt, in dessen Namen auch andre Stämme aufstehen werden, und unter der Führung des genannten Hauses wird das außer Rand und Band geratene Dorf angegriffen und zur Vernunft gebracht mit Strafe und Buße, durch das Verstoßen aus seinem Grund – oder auch Hinrichtung durch das Dorf, falls einer von dort eine Schuld beging, auf der Hinrichtung durch das Volk steht.

Dieses Vorgehen, diese Strafen treffen auch einen ganzen Stamm, wenn ein solcher außer Rand und Band geraten sein sollte, nur mit dem Unterschied, daß ein ganzer Stamm niemals von seiner Erde vertrieben werden darf, aber er wird in den anderen Stammschaften ausgeschellt, daß er sein Pfand gebe.

Gesetze, die ein Dorf mit Ältesten und Dorf für sich selbst annahm, z. B. über Hehlerei, Untreue, Mord oder Diebstahl, kann ihm der Stamm und auch das Haus der Gjonmarkaj nicht umstoßen, wenn sie sich nur nichts Neues ausdachten, das den uralten Bestimmungen des Kanun der Berge zuwidersteht114.

Bei allen Ältestenbeschlüssen, die ein ganzes Dorf oder einen Stamm betreffen, haben die Privatältesten nicht das Recht, die Sache in die Hand zu nehmen. Solches wird durch die gesetzlichen Ältesten des Dorfes oder Stammes erwogen.

Fiel ein Dorfältester in Schuld, wird er sein Pfand in die Hand des Dorfvolkes legen.

Findet er sich nicht bereit, sein Pfand abzugeben, ruft das Dorfvolk die Häupter des Stammes, gemeinsam bringen sie ihn zur Vernunft.

Fiel jemand aus dem Hause Gjonmarkaj in Schuld, werden ihm die Häuptlinge und das Volk aller Stämme das Urteil sprechen.

Fiel in Schuld einer der Stammeshäuptlinge, wird erwogen durch die Häupter der Stämme und deren Volk, und der schuldige Stammeshäuptling wird von den Stammeshäuptlingen, den anderen Stammesführern und dem Stammvolk abgeurteilt.

Und wenn auch ein Ältester oder Führer, oder sogar einer aus dem Haus der Gjonmarkaj – sein Pfand wird er lassen in der Hand der Ältesten und des Volkes, wenn jemand gegen ihn Klage erhebt.

Die Ältesten werden ohne Parteilichkeit und ohne sich durch Gerede und die unter der Hut Befindlichen beeinflussen zu lassen, ihr Urteil fällen.

Wurde ausgekundet, daß ein Ältester sein Urteil mit Parteilichkeit und ungesetzlich sprach, weil er sich beeinflussen ließ durch die Schützer der Gegenseite – außer daß er ehrlos geworden ist, wird ihn auch niemand mehr jemals zum Ältesten wählen.

2. Kapitel: Die Pfänder

„Das einmal gegebene Pfand wird nicht mehr zurückgenommen“.

Das Pfand (peng) ist ein hölzernes Zeichen, das in die Hand des wichtigsten Ältesten gelegt wird, wodurch er das Recht erhält, über die Klage zweier Gegner Urteil zu fällen.

Das Pfand heißt „Pfand der Unterwerfung“, „Einwilligungspfand“ oder „Pfand des Brotfassers“, was bedeutet, daß, indem man dieses Pfand in die Hand der Ältestenrichter legte, man bereit ist, sich ihrem Spruch und Urteil zu unterwerfen.

Das ohne Pfand gefällte Urteil (Spruch) hat vor dem Kanun keine Gültigkeit.

Ehe das Gericht begonnen wird, müssen sich die Pfänder in den Händen der Ältesten befinden und die an der Verhandlung Interessierten können sich nicht nur nicht mehr anders entschließen, sie sind auch verpflichtet, die Opanken oder den Ältestenspruch zu bezahlen, wie im Kanun bestimmt.

Zum Pfand wird genommen: die Waffe, der Patronengürtel oder auch die Tabakbüchse, wenn sie nur ein Pfand ausmachen, das an Wert der umstrittenen Summe gleichkommt.

Beim Ältestenrat zur Klage, Anzeige, oder gegen Verleumdung wird das Wort nicht zum Pfand genommen, es bedarf eines Zeichens.

„Das Wort als Pfand“ gilt nur dann, wenn jemand jemandem so und so viel verspricht, falls es ihm gelingt, eine Sache in Ordnung zu bringen.

Gelang es jenem, die Angelegenheit zu ordnen, so schuldet der Auftraggeber das Versprochene.

Falls die Ältesten, die das Pfand übernahmen, jeder auf seiner Meinung beharrt, werden noch andere Älteste zugezogen, aber die Ausgaben für diese können den Streitenden nicht auferlegt werden (den Besitzern der Pfänder)115.

Die Opanken der Ältesten werden die Besitzer der Pfänder bezahlen, der eine so viel wie der andere.

Die Opanken der Ältesten werden nicht nach dem Geschmack der Ältesten bezahlt, sondern nach der Wichtigkeit der Angelegenheit, des Ältestenspruches: „Nach dem Pfand richten sich die Opanken (Schuhe).“

Der Ältestenrat eines Vormittags kostet 5 Groschen (früher wurde nachmittags keine Ältestensitzung abgehalten)116.

Für einen „mit dem Stern“ entschiedenen Spruch werden die Streitenden 10 Groschen bezahlen.

Ehe die Ältesten zum Urteil schreiten, werden sie folgenden Eid leisten: „Auf dieses Gut Gottes (auf ein Zeichen des Glaubens), so wie es mir helfe, ich werde nicht mit Hinterhältigkeit und Parteilichkeit urteilen, und so gut es meine Seele und mein Geist versteht, werde ich den Kanun nicht verdrehen, sonder ein gerechtes Urteil fällen.“

Niemand hat das Recht, seinen Ältesten außerhalb des Dorfes zu wählen.

Will aber jemand einen Ältesten vom Stamm haben, unter dem er und sein Dorf lebt, wird er zum Ältesten eins der Häupter und nicht jemanden aus dem Volk wählen.

3. Kapitel: Die Berufung

„Urteil auf Urteil, Ältesten über Ältesten, erkennt der Kanun nicht an.“

„Gefällt dir das Urteil nicht – dort ist der heilige Paulus!“

„Wenn dir das Urteil nicht gefällt – dort ist die Schlucht von Oroshi!“

„Das Haus der Gjonmarkaj ist der Grundstein des Kanun.“117

Hast du dem Ältesten dein Pfand gegeben, kannst du aus keinem Grunde mehr Ältesten oder Urteil verlangen (anderes Urteil oder anderen Ältesten).

Überzeugte dich der Spruch des Ältesten nicht, den doch du erwähltest und anerkanntest, so hast du dennoch kein Recht, sein Pfand zurückzunehmen, noch einen anderen Ältesten zu erwählen.

Wenn aber die Besitzer der Pfänder glauben, daß ein parteiliches, ungerechtes Urteil gefällt wurde, haben sie das Recht, dem Spruch nicht zu gehorchen.

Die ersten Ältesten geben ihnen die Pfänder nicht zurück, aber sie sind verpflichtet, sich reinzuwaschen, indem sie deren Pfänder in die Hand anderer, durch sie selbst gewählter Ältesten legen und, nachdem sie diesen den gefällten Spruch darlegten, wird dieser von den zweiten Ältesten erwogen.

Halten die zweiten Ältesten den Spruch für schlecht, so nehmen diese Zweiten die Pfänder der Streitenden und, da sie ohne Opanken sind, werden die ersten Ältesten die Opanken der zweiten zahlen.

Die Ältesten können auf diese Weise bis auf drei Abteilungen vermehrt werden; falls auch das dritte Mal das Urteil nicht gefällt werden kann, obliegt das Urteil dem Hause Gjonmarkaj; darüber hinaus gibt es kein Urteil – dieses Haus ist die Grundlage des Kanun.

Erwies sich das Urteil der ersten Ältesten als gut, werden die ersten Pfänder die zweite Abteilung (und evtl. die dritte) bezahlen, jene der ersten, zweiten (und dritten) Ältesten.

Handelt es sich um schwerwiegende Ältestensprüche und Urteile, wird eine Frage bis zum Hause Gjonmarkaj berufen.

4. Kapitel: Der Eideshelfer

Eideshelfer (porote oder poronike) nennt der Mund des Kanun jene, die durch den Finger des Richters bezeichnet werden, um den Eid zu leisten und jemanden aus dem Übel zu ziehen. Eideshelfer können sein:

a) die nie beim Meineid Betroffenen;
b) die keinerlei Haß beseelt, sowohl gegen jene, die den Eid leisten, wie gegen die Partei, die den Eid betrachtet (zum Eid veranlaßt);
c) die nicht leichtsinnig sind, keinesfalls Leute, die die Seele an den Stock hängen für einen Bissen Brot;
d) Leute, die ohne Kummer über eine Sache Bescheid erfahren können oder die sie am leichtesten auskunden können;
e) es können keine Frauen sein, denn Frauen erkennt der Kanun nicht an;
f) die den Parteien weder verschworen, noch gehässig sind.

Im allgemeinen kann kein Eid ohne Eideshelfer gelten.

Die Vorschrift des Kanun ist: „Der Eid hat den Eideshelfer.“ Der Eideshelfer hat die Mühe des Erkundens und der Verpflichtung.

Der Priester wird nicht zum Eid gefordert; geschieht es, daß ihm der Eid gefordert wird, sei es, um sich selbst zu entlasten, sei es als Eideshelfer, so gilt sein Eid für 24 Eide.

Wird ein Stammeshäuptling zum Eid der 24 gerufen, so nennt ihm der Richter 12 davon, für 12 steht er selbst (sein Eid gilt 12 Eide).

Wer die Eideshelfer zum Eide führt, wird als Eideshelfer nicht anerkannt. Vorschrift des Kanun ist: „100 Eideshelfer – aber ihr Herr wird nicht gezählt.“

„Der Eideshelfer schreitet nicht zum Eide, ehe der Herr des Eides dafür haftet.“ Der Herr des Eides ist, wer darauf beharrt, daß die Eideshelfer in Eid genommen werden, weil er zu ihnen kein volles Vertrauen hat.

Der sie zum Eide führt, wird sich dem Eideshelfer verpflichten, da er, sollte der Eid falsch sein, die Buße für die Kirche zahlt als Strafe für den Falscheid, die Buße an den Stamm oder das Dorf nach der Zahl der Eideshelfer; und das Zwei-für-Eins fällt ohnedies auf den Herrn des Eides.

Der Richter wird als Eideshelfer anerkennen: Leute aus Bruderschaft und Dorf desjenigen, der sie zum Eide führt.

Der Herr des Eides wird dem anerkannten Eideshelfer zur Türe gehen, um ihm mitzuteilen, daß das Gericht ihn als Eideshelfer anerkannte.

Die vom Gericht nicht zugewiesenen Eideshelfer, die der Herr des Eides selbst bestellt, wird dieser, Namen nach Namen, den Ältesten bezeichnen, wie ihm dort auch die vom Gericht zugewiesenen Eideshelfer genannt werden.

Auch den nicht vom Gericht zugewiesenen Eideshelfern wird der Herr des Eides vor die Türe gehen, um ihnen mitzuteilen, daß er sie zu Mitschwörern wählte.

Die Hälfte der Eideshelfer weist dem Gericht zu, die Hälfte findet der Herr des Eides.

Je nachdem die Ältesten die Eideshelfer zuwiesen, werden die Ältesten dem Herrn des Eides sagen, daß, falls er einen Zweifel hätte über einen der Zugewiesenen, er sich nicht durch Haß oder Zorn bestimmen lassen dürfe; er möge nun aber sogleich seiner Befürchtung seinem Zweifel Ausdruck gehen.

Begründet der Herr des Eides seine ungünstige Meinung über die Zugewiesenen, sind Älteste und Richter verpflichtet, sie auszuwechseln.

Der Austausch kann nicht mehr als 3 derselben betreffen. Den Eideshelfern wird der Tag des Eides bezeichnet, und der Herr des Eides ist verpflichtet, sie zu versammeln.

Ehe der Eideshelfer zum Eid schreitet, wird er sich um Nachforschung bemühen und den Herrn des Eides ausforschen, um nicht Gefahr zu laufen, einen Meineid zu leisten.

Der Eideshelfer ist zu eigenen Nachforschungen berechtigt. Ist die Frage der Anzeige gar zu verwickelt, ist er auch berechtigt, den Eid hinauszuschieben, bis auf 6 Monate, in denen er seine Nachforschungen fortsetzt.

Sind sehr große Verwicklungen, die viele Schritte erfordern, darf der Eideshelfer sogar den Eid ein Jahr verschieben.

Hat dann der Eideshelfer seine Nachforschungen angestellt, da er es in der Hand hat, den Verleumdeten entweder durch seinen Eid zu befreien oder gebunden zu lassen, darf er nicht gedrängt (gezwungen) werden; eines oder das andere wird er dem Herrn des Eides mitteilen (ob er den Eid leisten will oder nicht).

Wenn auch nur einer der Eideshelfer nicht bereit ist, den Eid zu leisten, bleibt der Herr des Eides gebunden (wird nicht freigesprochen).

Kanun ist, daß ein Eideshelfer oder seien es mehrere, die den Eid nicht leisten wollen, dem Herren des Eides das Herz stärken sollen (sogar mit einem Eid, wenn der Herr des Eides es fordern sollte), daß sie ihn nicht gebunden lassen aus Haß oder Bosheit, sondern aus Angst oder Zweifel, einen Meineid zu leisten.

„Aß der Eideshelfer das Mahl, hat er den Eid geleistet.“ Sammelten sich die Eideshelfer und aßen das Eidesmahl, ist der Herr des Eides befreit, denn nun bleibt den Eideshelfern nur übrig, den Eid zu leisten.

Ließ der Eideshelfer das Mahl ungegessen, ist der Herr des Eides schuldig.

Bequemt sich am Tag des Eides der Ankläger nicht zu kommen und den Eid zu hören, kann der Verleumdete ruhig schlafen, denn mit dem durch die Eideshelfer gegessenen Mahl ist er schon unschuldig erwiesen.

Der Eideshelfer wird dem Ankläger sagen, daß er komme, den Eid zu hören oder den geheimen Anzeiger zu nennen.

Sollte sich auch der Ankläger einige Tage verzögern, schließlich wird er doch kommen müssen, den Eid zu hören oder den geheimen Ankläger zu nennen.

Versammeln sich die Eideshelfer, um den Eid an einem anderen als dem bestimmten Tag zu leisten – es gibt kein anderes Eideshelfermahl –, dann kommt er zum Eide und danach geht er an die eigene Arbeit.

Am Tage, da der Eid geleistet wird, werden auch die Ältesten und ihr Spruch anerkannt.

Der Eid wird in folgender Reihenfolge geleistet:

a) Zuerst kommt der Herr des Eides, um den Eideshelfern das Herz zu stärken.
b) Nach ihm schwören jene, die ihm nach dem Blut am nächsten stehen.
c) Dann schwören die durch das Gericht bestellten Eideshelfer.
d) Zum Schluß die nicht vom Gericht bestellten Eideshelfer. Die Eidesworte werden ohne Veränderung gesprochen, so

wie der Richter sie aufgesetzt und anerkannt hat.

So viele Eideshelfer sein mögen, werden schwören, indem sie die Hand auf das Glaubenszeichen legen, wenn auch aus Ehrerbietung der Herr des Eides selbst diesen oder jenen ausnehmen und ihm den Eid schenken sollte118.

5. Kapitel: Der geheime Ankläger

Geheimer Ankläger (kepucar) heißt jener, der jemandes Schuld anzeigt, z. B. einen geheimen Diebstahl oder Mord, auf Nachforschungen, die er gemacht hat.

Der geheime Ankläger tritt meist nicht offen hervor; es geschieht aber auch, daß er öffentlich vorgeht.

Der geheime Ankläger wird seine „Schuhe“ (kepuce = Angeberlohn) erhalten, nach dem Versprechen des Besitzers der gestohlenen Sache, des verlorenen Blutes (verloren, weil bis jetzt der Täter nicht bekannt war); ehe er mit dem Angeber über seinen Angeberlohn Abmachungen trifft, wird er in das Dorf des Verdächtigen gehen mit 2 Gefährten, und mit diesen den Verdächtigen vor der Türe in dessen Dorf aufsuchen und von ihm Rechenschaft fordern.

Gibt ihm diese der Verdächtige nicht, sagt ihm der Herr der Sache, daß er hinter seinem Rücken mit dem Angeber sprechen wird.

Sagt der Verdächtige, er sei frei, mit dem Angeber zu sprechen, wie er nur wolle, und erweist er sich später als schuldig, muß er den Angeberlohn bezahlen.

Sprach aber jemand mit dem Angeber, ohne es dem Verdächtigen mitzuteilen, so muß er, auch wenn sich jener schuldig erweist, das mit dem Angeber abgemachte Angebergeld zur Hälfte selbst zahlen.

Der Lohn des Angebers gilt mit der Hand auf dem Eide, auf daß der Verdächtige nicht mit einem Übermaß gegenüber dem Abgemachten belassen werde, auch wenn er sich schuldig erweist.

Der allgemeine Kanun ist, daß der Angeberlohn den Wert der gestohlenen Sache nicht übersteigen darf.

Die Frau nimmt der Kanun nicht als geheimen Angeber an.

Der frühere Angeberlohn, mit der Hand am Eide, war zwischen 50 und 100 Groschen.

Der als Lügner befundene Angeber wird das fremde Gut an Stelle des Diebes bezahlen (Dukagjin).

6. Kapitel: Der Angeberlohn

Dem Angeber wird als Schuhe (Lohn) bezahlt:

für verlorenes Blut 1500 Groschen
für Haus, Hürde, erbrochen 500 Groschen
für Maultier 1000 Groschen
für Pferd 500 Groschen
für Hammel 500 Groschen
für Zugochsen 400 Groschen
für Mastschwein 500 Groschen
für Lastkuh 150 Groschen
für Esel 150 Groschen
für Stier 100 Groschen
für Schaf und Ziege 25 Groschen
für neugeborenes Kalb 25 Groschen
für Schwein 23 Groschen
für Zicklein und Lämmchen 10 Groschen119

„Der Angeberlohn ruft den Eid.“ Erweist sich als Angeber ein ehrenhafter Mann, wird dem Verdächtigen der Eid nicht gewährt; er wird Rechenschaft geben.

„Der Angeber bringt das verlorene Gut.“ Wird der Ankläger von den Anklageempfängern angenommen, dann gilt der Verdächtige als schuldig und wird dem Besitzer die Sache nach dem Kanun erstatten.

7. Kapitel: Die Anklageempfänger

Anklageempfänger sind jene, deren Amt es ist, die nötigen Nachforschungen anzustellen, den Angeber eifrig auszufragen, indem sie ihm vorstellen, ja keine Hinterhältigkeit in seinen Angaben zu begehen und niemanden falsch zu belasten.

Die Anklageempfänger müssen ehrenhafte Leute sein, ruhig und gescheit und erfahren in Nachforschung und Verhör.

Die Anklageempfänger werden unter denen gewählt, die das Gericht auch als Eideshelfer anerkennt.

Da das Gesetz nicht verlangt, daß der Ankläger öffentlich hervortrete, ist es Recht des Angebers, als Eideshelfer solche zu erbitten, denen er am meisten vertraut, daß sie ihn (seinen Namen) nicht verraten.

Ehe die Anzeigeempfänger ihre Nachforschung beginnen, werden sie den Angeber vereidigen, daß er ohne Haß und Parteilichkeit die Wahrheit angegeben hat.

Bis zu 3 Abteilungen Anklageempfänger können den Angeber ausfragen.

So oft auch die Anklageempfänger mit dem Angeber sprechen, tun sie es im Geheimen.

Sagt der Angeber, daß die gestohlene Sache verkauft ist, werden die Anklageempfänger Leute auf Erkundung aussenden.

Sagt der Angeber, daß das gestohlene Gut zerschnitten wurde, werden die Anklage(Anzeige-)empfänger von ihm ein Zeichen fordern, z. B. ein Stück der Haut, die Hörner oder ein anderes Glied.

Werden die Angaben des Angebers von den Anzeigeempfängern angenommen, kann doch niemand die Ableugnung des Diebes oder Bluttäters aufhalten und sein Verlangen, zum Eid zu gehen, aber die Anzeigeempfänger haben das Recht, ihm die Hand anzuhalten, um ihn nicht in Meineid fallen zu lassen.

Falls die Wahrhaftigkeit des Angebers von den Anzeigeempfängern (Untersuchungsrichtern) bezweifelt wird, wiewohl er (der Angeber) im Recht ist, und faßt er Diebe und Mörder dann am Arm (überführt er sie), so gebühren ihm die Schuhe (der Angeberlohn) in Höhe von 500 bis 1500 Groschen120.

Die Anzeigeempfänger werden beschwören, daß sie den Angeber bei dessen Lebzeiten nie nennen werden, außer er will selbst hervortreten.

8. Kapitel: Die Männer der albanischen Berge in der Beratung

Der Männerrat ist eine Gemeinschaft der Sippe oder der Sippen mit Vorstehern, Alten und Ältesten und dem niederen Volke und der Männerschaft der Gegend, zum Zweck der Beratung einer Frage oder zum Abschluß eines Gottesfrieden (zur Übernahme einer Verpflichtung).

Der Rat wird als Teilrat oder als allgemeiner Rat abgehalten.

Teilrat ist der Rat der Dörfer, an dem die Ältesten, Überältesten und das Volk eines Dorfes teilnehmen; Teilrat heißt auch jener, in dem sich vereinigen die Greise und Ältesten samt dem Volk verschiedener Sippen, die aber unter einem Haupte stehen.

Allgemeine Beratungen sind jene, in denen zusammenkommen die Ältesten, Überältesten und das Volk mit den Häuptlingen und dem Haus der Gjonmarkaj.

An diesen Beratungen, Gerichtssitzungen, Untersuchungen nehmen teil: a) das Haus Gjonmarkaj; b) die Sippenhäupter; c) die Ältesten der Sippen und Dörfer; d) die Überältesten der Sippen und Dörfer e) die Jungmannschaft und das Volk aller Sippen; f) die Sippenboten; g) die Bußeinnehmer.

9. Kapitel: Ort der Beratung

Ratsvereinigungen werden in den Gottesäckern abgehalten, auf den Ruinen alter Heiligtümer, im Herzen eines Stammesgebietes:

  1. in der Mirdita bei Sankt Paul oder in der Schlucht von Oroshi;
  2. in Luria bei der Kirche im alten Dorf;
  3. in Thkelle bei der Quelle des Feigenbaumes in Perlataj;
  4. in der Matja in Lis;
  5. für die Berge von Alessio (Zhuba), in Molung bei Dardha Kerbuce;
  6. für die Berge von Kruja in Bende;
  7. für die Berge von Tirana in Martanesh;
  8. für die Arbenija in Larushk;
  9. für Kurbini in Djerr von Selites;
  10. für Luma in Bicaj;
  11. für die Berge von Djakova bei den Gräbern von Shala (Abbat im Dukagiin);
  12. für das Dukagjin auf dem Berge von St. Georg, in Shosh (Ruine der berühmten Benediktinerabtei des frühen Mittelalters);
  13. für Puka in der Stadt Puka bei der Burg;
  14. für Postripa bei der Moschee von Drishti;
  15. für Mbishkodra bei der Kirche von Brigja-Rapshe;
  16. für Kelmendi am Paß von Berdeleci;
  17. für Capa (Zadrima) in Daj?;
  18. für Nikaj und Merturi bei der Kirche von Nikaj;
  19. für Merturi und Krasniqe bei der Beratungslinde von Selimaj.

Die zum Rat (der pleqni) versammelten Männer ordnen sich im Halbkreis, so daß sie sich gegenseitig sehen können und daß, wenn einer gerufen wird, Platz sei, damit er sich zeige vor den Häuptern und Ältesten.

Die zur Beratung versammelte Männerschaft ist bewaffnet.

Solange die Männer einer Gegend im Rat sind, darf sich niemand aus anderer Gegend unter sie mischen.

Bei Spruch und Beratung sind die Häupter unter sich und das Volk unter sich.

Die Häupter und Ältesten sitzen im Rat nach Führerschaft und Rechten.

Solange im Rat einer spricht, schweigen und hören die anderen.

Die unwichtigen Fragen und den Streit, den der Gefährte mit dem Gefährten hat, haben Älteste und Überälteste des Dorfes mit samt dem Volk zu entscheiden (sie zu entlasten).

Die wichtigen Fragen, die eine ganze Sippe (den fis) angehen, werden im Rat der Sippe mit ihren Häuptern, gemeinsam mit Ältesten, Überältesten und Volk beraten121.

Fragen, die eine ganze Gegend betreffen oder den Stamm (bajrak), werden erwogen in den allgemeinen Beratung „ein Mann für jedes Haus“. Weder öffentliche, noch private Fragen können unbewaffnet entschieden werden122.

Grobe Worte werden in der Beratung nicht gesprochen.

Der Kanun duldet nicht, daß jemand im Rat geschmäht werde; tut dies jemand, wird er mit 5 Hammeln gebüßt.

Sagt jemand einem anderen, daß er lügt, im Rat, wird er mit 500 Groschen gebüßt.

Erhebt jemand im Rate gegen einen anderen die Waffe, wird ihm das Haus verbrannt, und der Träger der Waffe wird hingerichtet und verliert sein Blut (d. h. Tötung wird nicht gerächt).

10. Kapitel: Das Haus Gjonmarkaj

„Das Haus der Gjonmarkaj ist die Grundlage des Kanun.“

Es nimmt den Ehrenplatz in jedem Ort und jedem Rat. Es kann nicht ausgeschellt (vogelfrei erklärt) werden (me legite).

Es kann nicht ausgewiesen werden.

Es kann nicht vernichtet werden.

Über dies Haus hinaus gibt es kein Verfolgen einer Frage.

Es hat das Recht, Häupter und Volk zur allgemeinen Beratung zu versammeln.

So oft nötig, kann es Boten aussenden, um die Erde aufzubieten – „ein Mann für jedes Haus“ – und sie nach St. Paul berufen.

In jedem Gericht und Rat hat es das Recht auf das entscheidende Wort.

Es hat das Recht, zu vernichten und zu verbannen.

Es hat das Recht, zum Tode zu verurteilen: „Die Glieder sind der Sippe, das Haupt des Gjonmarkaj!“

Es hat das Recht, Führung und Vorsitz jenem zu entziehen, der bei Landesverrat betroffen wird. Führung kann aber nicht außerhalb der Bruderschaft verliehen werden, da sie ein bodenverbundenes Hausrecht ist.

Es hat Anteilrecht an jeder Buße.

Es hat Recht auf 500 Groschen bei der Befriedung jeden Mordes.

Ehe es ausrückt mit den Häuptlingen und dem Volk, um die Strafgesetze zu beraten, wird es Pfand geben; wird es in Schuld betroffen, wird es sich verantworten (wie jeder freie Mann der Berge).

Es wird mit Buße belegt, wie jeder andere123.

Zieht es aus zur Befriedung der Erde (des Landes), hat es Recht auf rasogj (zwei Essensportionen).

Wird jemand aus dem Haus Gjonmarkaj zum Eideshelfer gebeten, gilt sein Eid für 12 Eide.

Rückt es mit den Bewaffneten aus, hat es Recht auf Führung und Oberbefehl.

Für eine Schuld, die den Feuerbrand nach sich zieht, betrifft auch dieses Haus (Gjonmarkaj) die „Feile“, d. h. es untersteht dem Kanun, wiewohl die volle Strenge des Gesetzes für dieses Haus, wie oben erwähnt, nicht in Anwendung kommt.

11. Kapitel: Die Sippenhäupter

Die Häupter sind die Obersten der Sippen.

Die Häupter hängen am Landgut, sie müssen seßhaft sein (Haus und Hof haben).

Jedes Haupt hat das Recht (die Gewalt) über seine Sippe. „Die Glieder gehören den Sippen, die Führung dem Gjonmarkaj!“

In Urteilsspruch und Beratung im Umkreis eines Stammeshauptes können ihm Häupter anderer Sippen nicht hineinreden.

Das Sippenhaupt, zusammen mit den Ältesten und dem Volk der Bruderschaft, hat das Recht, Beratungen abzuhalten, den Gottesfrieden abzuschließen, Urteil zu sprechen, zu büßen und auszuschellen.

Das Sippenhaupt kann nicht von anderen Sippenhäuptern angezeigt werden; niemand kann es bedrängen wegen eines Urteils, das es fällt in seiner Sippe; das Sippenhaupt kann keine Bestimmung treffen, über Vorschrift des Kanun hinaus.

Beklagt sich jemand über die Häupter, so wird diese Klage von Ältesten und Volk des ganzen Ortes erwogen, auch durch das Haus der Gjonmarkaj.

Das Haupt einer Sippe hat nicht das Recht, niederzubrennen, zu vertreiben, zu vernichten und hinzurichten. Dazu braucht es das Haupt der Gjonmarkaj oder Häupter und Volk anderer Sippen (des gesamten Ortes).

Um ein Sippenhaupt zu büßen oder auszuschellen, genügen die Ältesten, Überältesten und die Gemeinen des Volkes eines Ortes.

Steht einer aus dem Volke auf und tötet einen Häuptling (Bannerträger des Stammes) oder einen Gjonmarkaj, so fällt er ins Blut wie für jeden anderen Totschlag auch.

Das Sippenhaupt, wie jeder Mann aus dem Volke, kann gebüßt werden, niedergebrannt, ausgeschellt (für vogelfrei erklärt), hingerichtet, verbannt werden.

Was Bodenbesitz und andere Habe betrifft, sei sie in der Ebene, auf Berghang oder Alpe, ist das Recht auf Bodenbesitz eines jeden wohl im Auge zu behalten.

Weder das Haus des Gjonmarkaj, noch die Sippenhäupter, noch die Dorfältesten, können ein Recht auf eines anderen Mannes Besitz geltend machen.

Das Sippenvolk hat weder seinem Sippenhaupt, noch dem Haus der Gjonmarkaj Verpflichtung zu Abgaben124.

12. Kapitel: Die Dorfältesten

Jedes Dorf hat die Ältesten seiner Sippen.

Die Dorfältesten haben das Recht, das Dorf zu Beratungen zusammenzurufen.

Die Ältesten des Dorfes haben nicht das Recht, jemanden zu büßen oder auszuschellen, ohne Zustimmung des Volkes und der Überältesten (aus anderen Dörfern des Stammes).

Die Dorfältesten sind von den Pflichtämtern des Dorfes nicht ausgenommen, weder von den Fronarbeiten, noch von den gemeinsamen Arbeiten.

Die Dorfältesten sind vom Dienst mit der Waffe nicht ausgenommen.

Fällt der Dorfälteste in eine Schuld, wird er dem Überältesten und dem Dorf sein Pfand geben.

Wurde das Dorf durch die Ältesten einer Sippe belastet, kann der Älteste dieser Belasteten es in Schutz nehmen, auch durch die Ältesten anderer Sippen.

13. Kapitel: Die Überältesten

„Die Überältesten vertreten das Volk.“

Die Überältesten haben das Recht, ihre Stimme zu erheben, wenn sie sehen, daß das Volk durch ungesetzliche Urteile und Beschlüsse bedrückt wird.

Die Überältesten sind, gemeinsam mit dem Volk und der Jungmannschaft, Bußeinnehmer.

14. Kapitel: Die Bußeinnehmer

Bußeinnehmer werden jene genannt, die im Namen des ganzen Rates sich in die Viehhürde des Gebüßten begeben, um so viele Hammel und Ochsen zu nehmen, wie das Urteil von Häuptern, Ältesten und Volk bestimmte.

Der Besitzer der Hürde kann nicht wagen, die Bußeinnehmer am Betreten seiner Hürde zu hindern; wagt er es doch, werden alle Männer des Rates seine Türe bestürmen125.

Geschieht es, daß der Besitzer des Viehes böse Worte macht, so können sie ihm die Buße vergrößern.

Die Bußeinnehmer wählen selbst die Hammel und Ochsen für die Buße, und der Besitzer des Viehes kann sie nicht hindern.

15. Kapitel: Die Stimme des Volkes beim Gericht

Gefällt dem Volk die Entscheidung der Häupter und Ältesten nicht, so hat es das Recht, sich ihr nicht anzuschließen. Dann werden Häupter und Älteste die Angelegenheit neu beraten.

Nimmt das Volk die Entscheidung der Häupter und Ältesten an, so ist Kanun, daß es einstimmig rufe: „Fremde Füße, aber unser Kopf!“

16. Kapitel: Das Ausschellen

Ausschellen (in Acht und Bann tun, vogelfrei erklären) heißt im Mund des Kanun: ein Haus, eine Familie ausschneiden, aus der Fürsorge entlassen, aus der Sippen- und Stammesgemeinschaft verjagen, ein Haus herabsetzen, indem ihm jedes Recht entzogen wird, jede Gnade und Ehre, sowohl vom Dorf aus wie vom Stamm.

Das Dorf hat das Recht auszuschellen, aber nicht vom Ort zu jagen. Niederzubrennen, zu vernichten (me sodume) und hinzurichten hat das Dorf kein Recht ohne den Stamm, und der Stamm nicht ohne das Dorf.

Der Anlaß, jemanden auszuschellen, zu vernichten, ist mehrerlei:

a) wenn jemand sich Dorf oder Stamm nicht in Treuen verbinden will;
b) wenn jemand sein Dorf durch Hehlerei oder Verrat verkauft;
c) wenn jemand einem Spruch des allgemeinen Dorfrates nicht nachkommt;
d) wenn jemand in Dorf oder Stamm oder außerhalb derselben eine schmähliche Schuld begeht und sich dem Gericht nicht unterwirft;
e) für eine außerhalb Dorf oder Stamm begangene Schandtat. Findet sich der Schuldige nicht bereit, sein Pfand seinem Dorf oder Stamm zu geben, ziehen diese die Hand von ihm ab, indem sie allen jenen den Weg offenlassen, die sich über ihn beschweren, so daß sie mit ihm tun können, was sie wollen.

Versteift sich das Dorf und hindert es dem Stamm die Hand im Verbrennen oder Vernichten eines Übeltäters, der Dorf oder Stamm mit Schande bedeckte durch Niedertracht besonders schmählicher Art, dann hat der Stamm das Recht, jenes Dorf auszuschellen oder die anderen Dörfer zu versammeln, um es wieder zu Vernunft zu bringen.

Der Stamm läßt es allein durch das Ausschellen; weder nimmt er von ihm, noch gibt er, bis es sich Urteilsspruch und Buße unterwirft. Wenn das so verlassene Dorf dem Stamm sein Pfand einhändigt, büßt der Stamm das Dorf, nachdem er dessen Schuld wohl erwogen hat.

Das Haus der Schuldigen wird verbrannt, sie wüsten es mit Pflanze und Erde, und den Verursacher der schmählichen Schandtat richten sie mit der Dorfmannschaft hin; sein Blut geht verloren, seine Angehörigen werden vom Ort vertrieben.

War die Schandtat ganz besonders niederträchtig und schmählich, außer dem Verbrennen, Verwüsten, Hinrichten, Vertreiben schneidet ihm der Stamm auch das Haus ab126.

Das Abschneiden des Hauses besteht darin, daß die vier Ecksteine bis zur Grundwurzel ausgegraben werden. Dies geschieht, nachdem das Haus niedergebrannt wurde.

Das Abschneiden des Hauses zeigt nach dem Kanun an, daß die Bewohner dieses Hauses aus dem Ort vertrieben wurden mit Sack und Pack für immer und daß sie für den Stamm als ausgestorben gelten.

Die bewegliche Habe wird als Buße genommen, die unbewegliche bleibt Brache, als Weide des Stammes.

Mit dem Ausgeschellten kann niemand im Dorf geben oder nehmen; gab oder nahm jemand, sei auch er ausgeschellt, er verfalle denselben Strafen wie der Ausgeschellte.

Der Spruch für das Ausschellen ist: „jemanden von Tod und Nahrung abtrennen“, „jemanden ausschellen von Beerdigung und Hochzeit und von dem Ausleihen des Mahles“.

17. Kapitel: Das Feuer (Verbrennen), das Verwüsten und Hinrichten

Es wird verbrannt, verwüstet, durch das Dorf hingerichtet und mit Sack und Pack vertrieben:

a) wer in wichtiger Sache den Priester verleumdet, die Hand an ihn legt, ihn erschlägt;
b) wer den Freund, dem er Treue schuldet, erschlägt, der wird verbrannt, hingerichtet, gebüßt, aus dem Ort vertrieben;
c) wer in der eigenen Sippe erschlägt, wird verbrannt, gebüßt und vom Ort vertrieben;
d) wer nach Befriedung des Blutes erschlägt, wird verbrannt, gebüßt und vom Ort vertrieben;
e) wer grundlos erschlägt – „erschlage und verliere“ –, wird verbrannt, gebüßt und vom Ort vertrieben;
f) wer den Bluttäter, dem man den Gottesfrieden gewährte, erschlägt, der wird hingerichtet, verbrannt, gebüßt, vom Ort vertrieben;
g) wer den Vetter erschlagt, um in Besitz seines Reichtums zu kommen, wird hingerichtet, verbrannt, gebüßt, vom Ort vertrieben;
h) wer die Schuldigen des Stammes aufnimmt, wird verbrannt, gebüßt, vom Ort vertrieben;
i) jene Sippe, die gegen die eigenen Schuldigen nicht anführt, wird gebüßt und ausgeschellt.

Fällt jemand in eines dieser Verbrechen, so wird er hingerichtet, durch das Dorf gebüßt, verbrannt, die Obstbäume werden ihm abgeschnitten, der Garten und Weinberg verwüstet, mit Sack und Pack wird er vom Ort vertrieben.

Für das Erschlagen des Priesters wird der Schuldige für immer vom Ort vertrieben, für die anderen angeführten Verbrechen für 15–20 Jahre.

Feuerstahl und Axt darf ihm nicht beschäftigt werden; weder das Dorf noch der Stamm und auch nicht das Haus Gjonmarkaj – und schon gar nicht jene des Herrn des Hauses, daraus er in jenes Verbrechen fiel, dürfen sie beschäftigen.

Die Hand des Übeltäters wird ihr Zeichen geben beim Verbrennen und Verwüsten, während ihm die Worte vorgesprochen werden: „Ich möchte das Übel von Dorf und Stamm auf mich ziehen (nehmen), es möge auf mich fallen!“

Findet sich dieser nicht bereit, sein Zeichen beim Brand zu geben, und auch kein anderer aus dem Haus des Schuldigen, so wird der Älteste der Sippe einen solchen, der dem Verbrecher am nächsten verwandt ist, rufen, und die Pflicht dieses Mannes ist es dann, den Feuerbrand und die Axt zu nehmen und dem Dorf und Stamm das Werk der Vernichtung auszuführen, als Anführer, worauf das ganze Dorf und der ganze Stamm Hand an das Werkzeug der Vernichtung legen wird127.

18. Kapitel: Der Abgesandte

„Der Abgesandte tut keine Schuld, er wird nicht gefaßt.“ Abgesandter heißt jener, der den Auftrag des Senders übermittelt:

a) von einem Privathaus zum andern;
b) von einem Dorf zum andern;
c) von einem Stamm zum andern.

Der Abgesandte spricht für ein Haus, ein Dorf, einen Stamm.

Der Abgesandte nimmt die Antwort nicht auf sich, weder vom Haus, das ihn sendet, noch des Hauses (der Wohnstätte), dahin er gesendet wird; er überbringt nur die bestellte Rede.

Der Abgesandte wird auf halbem Wege frei sein.

Dem Abgesandten wird das gesprochene Wort nicht zur Schuld gerechnet, denn er spricht im Namen dessen, der ihn sendet.

Der Abgesandte ist ein Freund des Senders, was immer ihn betrifft in seinem Amt, der Sender dient ihm zum Freunde.

Wird der Abgesandte eines Hauses überfallen, fällt der Überfallende ins Blut mit dem Hause, das den Abgesandten gesendet hat.

Wird der Abgesandte eines Dorfes überfallen, so fällt der Überfallende ins Blut mit dem ganzen Dorfe.

Wird der Abgesandte eines Stammes überfallen, fällt der Überfallende ins Blut mit dem sendenden Stamme.

Wird der Abgesandte auf das Wort eines anderen Stammes überfallen, so fällt Stamm mit Stamm ins Blut.

Überfällt den Abgesandten einer aus seinem eigenen Dorfe, wird der Überfallende durch das Dorf hingerichtet.

19. Kapitel: Der Bote

Bote (lajms) oder Botschafter heißt, wer die Befehle des Sippenhauses mitteilt oder verbreitet, entweder Tür für Tür oder auf einem (Kampf)felde, das der Sippenälteste, der Ältestenrat oder das Volk bezeichnet hatte.

Das Botenamt ist erblich und an ein Grundstück geknüpft.

Der Sippenbote wird Ruf und Vorladung für die gesamte Sippe auf das festgesetzte Feld bringen.

Die Dorfboten gehen von Tür zur Türe, wenn aufgerufen werden soll: „von jedem Haus ein Mann!“

In jeder Gefahr oder Bedrohung wird der Bote in Bereitschaft sein, um der Sippe jederzeit den Alarm (den kushtrim = „wer ist tapfer?“ „wer ist ein Mann?“) zu überbringen.

Der Bote und sein ganzes Haus sind vom Waffendienst befreit; von den gemeinsamen Arbeiten und Ämtern des Dorfes kann sich aber der Bote nicht fernhalten.

Sollte der Bote beschäftigt sein durch sein Amt bei Sippe und Dorf, werden die Leute seines Hauses zur Arbeit des Dorfes gehen.

12. Buch: Befreiung und Ausnahmen

1. Kapitel: Teilhaber der Ausnahmen

Das Gesetz der albanischen Berge befreit und nimmt aus:

  1. die Kirche: a) von jedem Almosen; b) vom Zehent der Erde und der Herden; c) von den Bußen und jeder Strafe; d) von jeder Fronarbeit für Dorf und Stamm; e) sie erhält Anteil von jeder Buße; f) Obhut und Vermittlung verteidigt es ihr (das Dorf der Kirche);
  2. den Priester. Er ist a) vom Dienst mit der Waffe ausgenommen; b) wird der Eid von ihm gefordert, gilt er 24 Eide; c) erschlug er jemanden, wird er für das Blut nicht verfolgt, seine Eltern und Angehörigen werden verfolgt;
  3. die Stammeshäupter (Bannerträger, Bajraktars): wurde einer der Häuptlinge als Eideshelfer bestellt, gilt sein Eid für 12 Eide oder 12 freie Eideshelfer;
  4. die Boten: sie sind vom Waffendienst befreit;
  5. die Schmiede: sie ist vom Waffendienst befreit;
  6. den Waisenknaben: der Waisenknabe, der Haus und Mutter zu versorgen hat, ist vom Waffendienst befreit;
  7. die Frau: ihre Nichtannahme durch den Kanun als a) Älteste; b) geheimer Angeber; c) Eideshelfer; ihr Eid wird nicht angenommen; d) sie hat weder Sitz noch Stimme im Rat; e) sie hat Erbteil weder bei Eltern noch Gatten; f) sie wird für Blut nicht verfolgt; g) ihre Vermittlung kann nicht erzwungen werden;
  8. die Jungfrauen (sog. virgjinat, das sind Mädchen, die Männerkleidung tragen). Sie werden von den anderen Frauen nicht gesondert behandelt, nur sind sie frei, sich unter den Männern aufzuhalten, aber ohne Stimme (wenn auch Sitz) im Rate;
  9. der Tod: Jene, die den Tod im Hause haben, sind ausgenommen von jeder Pflichtarbeit für Dorf und Stamm wie auch von der Pflege der Berieselungsrinne, der Mühle. Dies Recht haben sie nach dem Kanun für 1 Woche (7 Tage hintereinander)128. Ist die Woche vorüber, werden sie ihren Verpflichtungen gegen Dorf und Stamm wieder nachkommen, und handle es sich um das Haus der Gjonmarkaj.

2. Kapitel: Der Tod

Der Kanun der Berge will nicht, daß jemand Prüfung auf Prüfung erduldet.

Stirbt in einem Haus im Dorfe jemand, so kann durch eine Woche ihm niemand zur Türe kommen, um irgendeine Arbeitsleistung, die dem Ort dorfweise obliegt.

Er ist mit seinem ganzen Hause ausgenommen von jeder Fronpflicht, sei es gegen Dorf oder Stamm, wie auch von der Pflege der Berieselungsrinne und des Mühlwassers.

Will aber jemand „für Kopf und Gesundheit“ zur Totenfeier länger als 1 Woche Gäste empfangen, so empfange er sie, aber am 8. Tage fordert der Kanun von ihm wieder Arbeit – und gehöre er zum Hause Gjonmarkaj.

Stirbt jemand, werden die Abgesandten ausgeschickt, um zur Totenfeier zu laden.

Indes die Männer stöhnen, zerkratzen sie sich und bewegen sich hin und her (von der Mitte ab)129.

Die Frauen klagen, zerkratzen sich aber nicht130.

Sobald sie das Dorf des verstorbenen Freundes betreten, stülpen sich die Männer Joppen und Janker über den Kopf.

Kanun ist, beim Toten 3 mal zu stöhnen, mit den Worten „ich Unglücklicher (qyqe une!)“ Diese Worte also 9mal (3 mal 3 mal).

Die Männer schreien nicht über den Tod ihrer Frauen, aber wohl stöhnt und schreit der Sohn über den Tod der Mutter, der Bruder über den Tod der Schwester.

Bricht jemand zur Totenfeier auf, so sagt er nicht: „Bleibt im Wohlsein!“, wie auch niemand antwortet: „Glückliche Reise!“

Indem man am Grab vorübergeht, sagt man den Arbeitern, die das Grab öffnen, nicht: „Glückliche Arbeit!“

Sind es Freunde, grüßt man sie mit dem Kopf; sind es Dorfgenossen, sagt man ihnen: „Habt ihr euch ermüdet, ihr Lieben?“

Sowohl die Dorfgenossen des Toten wie auch seine Freunde werden beim Kaffeetrinken die Tassen auf den Boden stellen, indem sie sagen: „Gott gebe euch Herzenskraft!“ „Zu eurem Wohlsein!“ wird nicht gesagt.

Am 3. Tage nach dem Tode, wer immer zur Totenfeier („Kopf und Gesundheit“) kommt, wird nach dem Kaffee und nach dem Essen sagen: „Gott gebe euch Herzenskraft!“, „Zum Guten nach heute!“ Man sagt nicht: „Es sei zu eurem Wohle!“

Die Stöhner (Trauergäste) reihen sich im Halbkreis, das Gesicht zum Toten.

Die Trauerbegleiter mit dem Toten dürfen nicht am Haus (der Türe) vorübergehen, außer es steht an der Haupt- und Dorfstraße.

Indem man von den Gräbern umkehrt, darf niemand unterwegs stehenbleiben; man geht geradenwegs in das Haus der Toten.

Wenn sie in den Hof gehen, gehen sie den Hausgenossen voran, geben die Waffen, gießen sich Wasser auf die Hände, noch ehe sie das Haus betreten, und gehen zum Tisch voraus, um das Mahl zu essen.

Ehe nicht alle mit dem Essen fertig sind, steht niemand vom Mahle auf.

Stehen sie vom Mahle auf, gehen sie alle hinaus, waschen sich die Hände vor der Haustüre im Holzzuber, der mit Wasser gefüllt sein wird.

Die Freunde, die sich beim Tode des Freundes das Gesicht zerkratzten, waschen die blutbefleckten Gesichter nicht, weder im Haus noch Dorf des Toten, noch unterwegs, sondern erst, wenn sie ihr eigenes Haus erreichen.

Die Trauer für den Toten des Hauses (für die Männer, nicht aber für die Frauen) wird 1 Jahr getragen.

Für Kinder wird keine Trauer getragen.

Die Trauer wird abgelegt, entweder für ein Fest, das mit den Freunden gefeiert wird, oder für einen Jahrestag.

Zum Trauermahl bereitet die Witwe die Speise.

Eine Frau, deren Mann lebt, kann nicht das Totenmahl zubereiten, noch das Wasser für die Hände herrichten, noch den Branntwein schenken, noch das Brot brechen.

Will eine Frau, deren Mann lebt, das Totenmahl zubereiten, darf sie kein Hochzeitsmahl mehr herrichten.

Die Witwe kann kein Hochzeitsmahl zubereiten, noch das Wasser zum Händewaschen beim Hochzeitsmahl herrichten, noch den Branntwein schenken oder das Brot brechen, auch die Braut weder ankleiden, noch ihr nahe kommen.

Kommt die verheiratete Frau zurpasi (dem ersten Besuch nach der Hochzeit) in ihr Elternhaus und stirbt sie dort, werden ihr die Eltern das Totenmahl richten131. Die Ausgaben für dieses Mahl haben die Eltern und nicht auch das Haus des Mannes (immer im Fall, daß sie beim Besuch im Elternhause stirbt).

Gab ein befreundetes Haus dazu eine Beisteuer, so gilt dies als Ehrbezeugung im Kanun – es ist keine Verpflichtung.

Senden die Eltern die Leiche der Tochter in das Haus des Mannes, so büßt sie der Kanun für dies unehrenhafte Betragen.

Haben die Eltern nicht, womit sie die Tochter ehrenhaft begraben, wird ihnen Bruderschaft und Sippe dazu ein Darlehen geben132.

Die Auslagen und das Darlehen für das Totenmahl werden innerhalb eines Jahres zurückgezahlt, länger darf man nicht damit zögern.

  • *. Die Fußnoten entsprechen der übersetzten Fassung von Godin; die mit "Gjeçovi:" einleitenden, sind seiner Kodifikation entnommen.
  • 1. Kanun i Papazhulit: Der Pope bzw. der Hodzha – genauer: seine Familie – untersteht dem Stammesgesetz (er, als Mitglied seiner Familie) zum Unterschied vom kath. Priester. Für die Kirche und ihren Besitz tritt der Stamm ein, wie im Norden. Ist der Pope oder Hodzha unverheiratet oder nicht aus dem Stamm, dessen Pope oder Hodzha er ist, so gelten die Bestimmungen wie im Norden.
  • 2. Kanun i Papazhulit: Jeder, der durch den Stamm Recht auf Wohnstätte erhielt, hat auch Recht auf ein Grab, für das er nichts zu entrichten hat. Lud er schwere Schuld auf sich, so wird ihm das Grab im Stammesgebiet verweigert (besonders bei Verletzung der Gastfreundschaft).
  • 3. Kanun i Papazhulit: Neben Popen oder Hodzha ist ein Sachwalter zu ernennen; beide müssen zeitweilig dem Altenrat Rechenschaft ablegen.
  • 4. Da Pope und Hodzha Familie haben, fällt diese für sie ins Blut.
  • 5. Da für den Hodzha des Südens kein Beichtgeheimnis gilt, verfällt er dem Eide.
  • 6. Kanun i Papazhulit: Sowohl der Pope wie der Hodzha verfällt dem Blut, wenn er getötet hat.
  • 7. Kanun i Papazhulit: Der Eid von Pope oder Hodzha gilt so viel wie der Eid eines Häuptlings.
  • 8. Im ganzen ist die Stellung des katholischen Priesters viel gewichtiger als die Stellung des Popen oder Hodzha im Süden. Der kath. Priester ist sozusagen der Vater uud Mittelpunkt des Stammes; die Stellung des Popen und Hodzha ist im Süden nur die eines angesehenen Stammesmitgliedes.
  • 9. Der Kanun i Papazhulit kennt in diesem Fall die Todesstrafe nicht.
  • 10. Gjeçovi: Nach dem Kanun kann die Geldbuße durchjederlei Gut abgegolten werden, indem die Oka Getreide 1 Groschen, die Oka Branntwein 5 Groschen, der Ochse 400 Groschen gilt.
  • 11. Wird unter dem Kanun i Papazhulit der Pope oder Hodzha öffentlich beschimpft, werden die Anwesenden die Beschimpfung auf sich nehmen und ahnden.
  • 12. Gjeçovi: Diese Strafen sind entnommen dem in der Mirdita und den 7 Stämmen von Puka gültigen Kanun.
  • 13. Unter dem Kanun i Papazhulit beteiligen sich die Söhne nicht am Urteil über den Vater.
  • 14. Unter dem Kanun i Papazhulit nimmt das jeweilige Feudalherrngeschlecht keine Buße.
  • 15. Dieses Kapitel befindet sich im albanischen Text im 5. Buch hinter dem 3. Abschnitt („Das Recht der Vetternschaft“) des 2. Kapitels, ist dort aber fehl am Platze und daher hierher übernommen worden, wohin es systematisch besser paßt
  • 16. Der Kanun i Papazhulit ordnet an, daß der Herr dem Totschläger Asyl gebe.
  • 17. Unter dem Kanun i Papazhulit hat sie diese Rechte nur, wenn sie im eigenen Hause lebt, nicht im Haus der Brüder; dort bestimmen diese für sie.
  • 18. Nach dem Kanun i Papazhulit verfällt der Geliebte oder Mädchenräuber der Rache der Sippe des Mädchens, seine Sippe aber darf nicht belangt werden.
  • 19. Nach dem Kanun i Papazhulit kann das Zeichen auch ein anderes Schmuckstück sein.
  • 20. Nach dem Kanun i Papazhulit darf das Mädchen heiraten, wenn der Jüngling sich verheiratet.
  • 21. Nach dem Kanun i Papazhulit muß der Bräutigam, der die ungetreue Braut tötete, sich rechtfertigen, und je nach dem Spruch des Altenrates ihres Stammes (ihrer Sippe) geht ihr Blut verloren oder nicht.
  • 22. Der Ausdruck im Kanun i Papazhulit ist: „Den Tag schneiden.“
  • 23. Nach dem Kanun i Papazhulit ist der Preis etwas höher; der Süden ist wohlhabender.
  • 24. Nach dem Kanun i Papazhulit wird das Blut nicht gekauft, doch kann es gegen ein anderes Blut oder gegen Boden getauscht werden.
  • 25. Nach dem Kanun i Papazhulit sind diese Bestimmungen nach Gegenden verschieden.
  • 26. Gjeçovi: Ehedem statt Branntwein: Wein.
  • 27. Kanun i Papazhulit: nach der Gegend verschieden.
  • 28. Gjeçovi: Der durch Heirat Verwandte ist Schwager, gehört somit nicht der Sippe der Blutsverwandtschaft an, und das Gesetz läßt uns freie Bahn, ihn zu necken (aufzuziehen!), obwohl er unsern Herdstein besetzt hält, d. h. sich jederzeit bei uns aufhalten kann (cara = der Herdstein, d. h. die beiden größten Steinblöcke, die rechts und links vom offnen Herd in das Erdreich gerammt sind, damit das zwischen sie gelegte Brennholz nicht auseinanderfalle). Mancher faule und zugleich gefräßige Mann geht zur verschwägerten Familie, setzt sich neben den Herdstein und rührt sich (besonders winters) nicht von der Stelle, außer dann, wenn man ihn zu Tische ruft. Hier der Grund, warum es niemandem zur Schande gerechnet wird, den Hochzeitsbegleiter zu tratzen. Das Hochzeitsgeleit kommt und bringt mit sich Fleisch, gebratenes Eingeweide, Branntwein (Wein), das Übernachtungsgeld und anders; nach dem Kanun ißt der Hochzeitsbegleiter sein eigen Brot unter meinem Dache, er ist also in gewissem Sinne nicht mein Gast, den ich der Gastfreundschaft wegen nicht necken darf.
  • 29. Der Kanun i Papazhulit kennt das Übernachtungsgeld nicht.
  • 30. Da der Süden reicher ist, kennt der Kanun i Papazhulit diese genauen Vorschriften nicht.
  • 31. In Oroshi (Mirdita) gilt: Ist Jahr und Tag vergangen seitdem die Braut die Schwelle des Bräutigams übertrat, und diese stirbt, so trennen sich die Eltern von der Tochter mitsamt ihren Kleidern und sonstigem Zubehör (Schmuck usw.), und es besteht keinerlei Pflicht, etwas vom Brautpreise dem Haus des Bräutigams zurückzuerstatten.
  • 32. Diese Gesetze sind im wesentlichen gleich von Mitrowitza bis Prevesa (also in ganz Albanien); die Gebräuche sind mitunter verschieden, auch je nach der Religion.
  • 33. Im Geltungsbereich des Kanun i Papazhulit gilt es als Schande für eine Witwe, zur verheirateten Tochter zu ziehen.
  • 34. Gjeçovi: Quasten sind die Haarbüschel, die die verheirateten Frauen tragen, besonders bei den Mirditen.
  • 35. Gjeçovi: Der Mann, der die Frau entläßt, sagt: „Gehe aus meinem Hause, denn Du bist nichts wert. Habest Du schlechten Weg!“
  • 36. Dies gilt im Süden, außerhalb der Einflußgebiete der römischen Kirche, nicht.
  • 37. Dies kommt im Geltungsbereich des Kanun i Papazhulit niemals vor; im Norden geschah es vorübergehend nur als Folge des seit der Türkenherrschaft, bis ins 19. Jahrhundert, eingetretenen großen Priestermangels, der in vielen Gegenden die Trauung jahrelang unmöglich machte.
  • 38. Der Kanun i Papazhulit fordert, daß diese Strafen der engste Familienkreis – nicht nur der Vater – ausspricht.
  • 39. Der Kanun i Papazhulit erlaubt dem Sohne nur, die Mutter in ihr Elternhaus zu schicken.
  • 40. Gjeçovi: Solange ein Haus ungeteilt bleibt, wird der Onkel der Söhne des ältesten Bruders das Amt in Dorf oder Stamm bekleiden; teilt es sich, so haben weder der Onkel noch seine Söhne ein Recht, sich in die obengenannten Ämter zu mischen, denn sie gebühren den Söhnen des ältesten Bruders.
  • 41. Kanun i Papazhulit: dem ältesten Bruder.
  • 42. Gjeçovi: Dem armen Ältesten werden die Ausgaben für das Essen ersetzt, noch ehe das Haus verteilt ist. Dem unverheirateten Bruder werden die Ausgaben für seine Heirat gegeben, noch ehe das Haus verteilt ist.
  • 43. Gjeçovi: Der Kanun des Lek kennt kein Testament, und wenn etwa jemand nach Zuneigung hinterlassen will, bedarf er unbedingt der Zustimmung der Vetternschaft.
  • 44. Der Kanun i Papazhulit kennt solche Legale auch für die Mohammedaner.
  • 45. Der Kanun i Papazhulit bestimmt für die Orthodoxen und Mohammedaner, daß die Vetternschaft die Kosten für Totenfeier und Grab zu erlegen hat.
  • 46. Gjeçovi: Für das erbrochene Haus wird genommen, wenn ein Übeltäter insgeheim, ungesehen, hingeht, die Haustüre öffnet in böser Absicht oder die Mauer durchlöchert, so daß man zum Stehlen eindringen kann.
  • 47. Der Kanun i Papazhulit bestimmt kein Geld zur Buße; meist wird solche Schuld durch öffentliche Abbitte gesühnt und durch den Tadel des Altenrates, Schäden durch das Zwei-für-Eins.
  • 48. Im Norden, unter dem Kanun i Leke Dukagjinit sind im allgemeinen Geldbußen weit mehr üblich als im Bereich des Kanun i Papazhulit, der Geldbußen so gut wie überhaupt nicht gelten läßt. Dies ist auf den großen Einfluß der katholischen Priesterschaft in Nordalbanien zurückzuführen. Diese Geistlichkeit strebte danach, die Kapitalstrafe (das Blutnehmen) möglichst einzuschränken, und hat diese Anschauungsweise im Lauf der letzten Jahrhunderte auch im Wortlaut des Kanun zur Geltung bringen können.
  • 49. Gjeçovi: „Wurde ein Rind gestohlen, so wird es der Hirt dem Herrn melden, auch wo und wann es gestohlen wurde; er hat keine andre Pflicht“ (Gesetz des Manu).
  • 50. Der Kanun i Papazhulit legt ihm das Zwei-für-Eins auf; weil er aber die Treue verletzte, wird er vor dem Altenrat als bälash (scheckiges Vieh) erklärt, worauf er nie mehr eine Stelle findet.
  • 51. Zur „Hälfte“, Gjeçovi: Zur Nutznießung und Zucht verliehene Tiere. Ärmere Leute leihen sich von Wohlhabenden Tiere aus (Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine), deren Produkte (Käse, Butter, Wolle, die Jungen) zur Hälfte mit dem Besitzer geteilt werden. Zum Vieh: Kanun i Papazhulitbestimmt dasselbe, wenn die Weide dem Besitzer gehört; sonst wird der Wert der Weide zuerst abgezogen, dann er Ertrag geteilt.
  • 52. Kanun i Papazhulit: „Wenn mutwillig getötet, wird der Hund zur Ehrensache und unterliegt deren Gesetzen.“
  • 53. Kanun i Papazhulit: Der Altenrat der Gemeinde muß um Erlaubnis angegangen werden.
  • 54. Kanun i Papazhulit: Wer sein Haus 30 Jahre vernachlässigt, verliert es.
  • 55. Kanun i Papazhulit: Seine Söhne aber werden Sitz und Stimme im Rat haben.
  • 56. Kanun i Papazhulit verlangt den Stein im Nacken statt in der Armbeuge.
  • 57. Schwur des Kanun i Papazhulit: „Ich schwöre auf Erde und auf diesen Himmel. Ihr mögt mich zerstückeln (me thert), falls ich unredlich handle!“ Mitunter wird statt mit Stein und Scholle mit einer Münze im Mund geschworen; die Münze stellt den Wert des Bodens dar.
  • 58. Im Bereich des Kanun i Papazhulit wurde seit 100 Jahren aus diesem Grunde nicht mehr hingerichtet.
  • 59. Gjeçovi: Das Gesetz Mänava Dharmasästra hat viele Punkte über die Grenzen, von denen behauptet wird, daß sie mit denen unsres Kanun übereinstimmen.
  • 60. Unter dem Kanun i Papazhulit: kleine Pyramidensteine.
  • 61. Kanun i Papazhulit nennt diese blutgewonnene neue Grenze: kufi e gjakut (die Blutgrenze). Gjaku shton token („Das Blut vermehrt den Grund“).
  • 62. Gjeçovi: Vor langer Zeit, als es noch keine Büchse gab, wurde bei der Bestimmung naher Grenzen der Gewichtstein gebraucht und für entfernte Grenzen eine Steinplatte hergerichtet, die man sich auflud, indem man sagte: „Wer kann sie bewältigen?“
  • 63. Dies gilt unter dem Kanun i Papazhulit noch heute im Gebiet von Kurvelesh.
  • 64. Gjeçovi: Die durch Blut gewonnenen Grenzen, die durch Gewichtstein oder das Einschlagen der Axt eroberten, werden vom Gesetz anerkannt als Männertat, denn zu ihrem Gewinn hat Mut und Kraft gedient, um Schande und Schmach zu vertreiben. Dies wird noch klarer verstanden werden, wenn wir die Sitten unsrer Berge im einzelnen dartun.
  • 65. In der Laberia, im Süden, wird zur Erringung des Waldes noch heute die Streitaxt geworfen, die sonst heut eine Waffe der Frauen ist. Sie heißt naxhake.
  • 66. Kanun i Papazhulit: In der Müseqe ist die Straße zum W asser für das Vieh viel breiter, niemand darf dort ackern, auch wenn sie sehr breit ist.
  • 67. Im Süden gibt es in den Dörfern keine Schmiede, nur in den großen Siedlungen.
  • 68. Die Bestimmungen im Kanun i Papazhulit betreffen nur die Küstenfischerei; die Dörfer des Landesinnern fischen im Süden nicht.
  • 69. Der Kanun i Papazhulit verbietet das Fischen mit Pulver; es heißt „Fischen mit der Patrone“.
  • 70. Der Kanun i Papazhulit verbietet das Fischen mit Gift.
  • 71. Gjeçovi: Es ist in unseren Bergen so gut wie nie vorgekommen, daß ein Grundstück oder die Reihenfolge an Berieselungsrinne oder Mühle außerhalb des Dorfes verkauft wurde. Können sich weder Vetternschaft noch Sippe oder Anrainer entschließen, jenen Grund oder Reihenfolgerecht zu erwerben, so wird das Dorf sein Möglichstes tun, denn es gehört sich nicht, daß der Fernstehende kauft und sich dem Dorf in die Nase setzt.
  • 72. Unter dem Kanun i Papazhulit wird die Hand zum Verkauf so gegeben, daß der Daumen des Käufers den Daumen des Verkäufers umschlingt. Ein Dritter trennt die Hände mit der Handseite.
  • 73. Unter dem Kanun i Papazhulit ist es Schande, Waffen zu kaufen; man kann sie nur durch Tausch erwerben. Das Kaufen der Waffe gilt als so schändlich, daß eine Verwünschung lautet: „Mögest du so verarmen, daß du die Waffe des Gürtels verkaufen mußt!“
  • 74. Der Kanun i Papazhulit setzt die Preise nicht fest; der Süden ist ungleich reicher.
  • 75. Die türkische Regierung hat 1856 für Südalbanien zur Befriedung vergossenen Blutes ein Gesetz erlassen und den Kopfpreis auf 1000 Piaster festgesetzt; kein Mensch hat sich daran gehalten; ist der Fall nicht besonders schwer – wie Verletzung der Gastfreundschaft und Ehre –, so kann er durch Vermittlung der engeren Verwandtschaft befriedet werden, durch Abtretung von Grund, und dieser Grund heißt dann „der durch Blut erworbene“ wie jener weiter oben beim Grunderwerb geschilderte.
  • 76. Gjeçovi: Bis zuletzt – bis zur Kommunistenzeit – ist eine Blutschuld meist durch das Blut abgegolten worden. Der Kanun des Leke Dukagjini, der im 15. Jahrhundert modifiziert, nicht etwa aber geschaffen wurde, sagt, das Rind sei das Geld der Alten gewesen (F. Konica, Albania, 1907, XI, Nr. 3, S. 58).
  • 77. Unter dem Kanun i Papazhulit kann vom Fremden (und besonders vom Besiegten) Abgabe genommen werden, und zwar geschaht dies bei den orthodoxen Christen besonders in solchem Maße, daß es zwischen 1300 und 1700, der Zeit der Albanerwanderung nach Griechenland, sich zu einem richtigen System ausgewachsen hat, das selem genannt wurde. Beispiel: Albanische Orthodoxe überfielen eine griechische Gegend, legten ihr Kriegssteuer von z. B. 100 Schafen auf, mit Termin; konnten die Griechen nach Ablauf des Termins nicht zahlen, so wurden nun 100 Kühe gefordert, abermals mit Termin; konnten auch diese nicht geliefert werden, so wurde ein Sohn als Leibeigener gefordert, schließlich aber – immer die Nichtzahlung vorausgesetzt – das ganze Haus. Auf diese Weise wurde der Albaner Bodenherr in Griechenland, bis 1768 die türkischen Truppen, gemeinsam mit der griechischen Bevölkerung, die Albaner bei Tripolica geschlagen haben. Derselbe albanische Christ, der auf diese Weise die Griechen durch Wucher vernichtete, konnte seinem Stammesgenossen nach dem Kanun unter keinen Umständen Zins abfordern – genau wie unter dem Kanun des Leke Dukagjini – denn der selem ist kein Friedens-, sondern ein Kriegsrecht.
  • 78. Der Kanun i Papazhulit duldet, daß die Frist nicht an einen Tag geknüpft wird, z. B. „Du wirst es zurückgeben, wenn du geerntet hast.“
  • 79. Gjeçovi: Nach den erwähnten Vorvordern und dem Zeugnis der Greise (Ältesten) wußten die Albaner unserer Berge früher nichts davon, Darlehen gegen Zins zu geben; dieser abscheuliche Mißbrauch ist erst später in unsere Berge eingedrungen.
  • 80. Gjeçovi: Die Bedeutung und Macht des gesprochenen Wortes zur Anstiftung des Totschlages und was es bedeutet: „Das Wort als Pfand“, wird sich späterhin ergeben.
  • 81. Unter dem Kanun i Papazhulit kann auf Erde, Himmel, Feuer und Brot geschworen werden; die Formeln sind festgesetzt. Hier zeigt sich gerade ein Unterschied zwischen dem Kanun i Papazhulit und dessen späterer Form, dem Kanun Idris Suli. Während der Kanun i Papazhulit die erwähnten Eidesformeln zuläßt, verlangt Idris Suli in dem von ihm dem heutigen Leben angepaßten Kanun – ebenso wie der Kanun i Leke Dukagjinit – den Eid auf Glaubenszeichen. Die ältere Form ist auch heute noch mehr im Gebrauch.
  • 82. Weder Christentum noch Islam konnten in Albanien völlig die Spur des Heidentums verlöschen. So glaubt der (unverdorbene) Albaner noch heutzutage, daß nach dem Tode sein Schatten überallhin kommen wird, wohin er zu seinen Lebzeiten kam. Damit der Schatten sich bei dieser Wanderung nicht allzusehr erschöpfe, legte der reisende Albaner bei seiner Wanderung auf einen Baum an unauffälliger Stelle Steine, die dem Schatten als Zeichen für Ruhe und Rast dienen sollten.
  • 83. Unter dem Kanun i Papazhulit: Dorf oder Stamm.
  • 84. Der Kanun i Papazhulit fordert, daß er so weit weg sei, daß man den Knall des Schusses nicht mehr hört.
  • 85. Der Kanun i Papazhulit sagt zusammenfassend: „Alles, was im Schatten des Hauses geschieht, betrifft den Hausherrn. Der Schatten reicht, so weit die Stimme aus dem Haus gehört werden kann.“
  • 86. Der Kanun i Papazhulit sagt: „Er steht unter deiner Glocke.“
  • 87. Im Kanun i Papazhulit nur dann, wenn er keine Sippe hat und wenn der Täter nicht erkannt ist.
  • 88. Gjeçovi: Augenblicks, wenn man den Freund nicht fordert (d. h. die Bestrafung des dem Freunde zugefügten Unrechts nicht übernimmt), ist man mit Schmach bedeckt. Der Albaner, der unter das Blut fällt, ohne Blut vergossen zu haben, indem er den Totschlag am Freunde bestrafen muß und den Täter tötet – wenn er es nicht in die Hand nimmt, ist er ehrlos.
  • 89. Kanun i Papazhulit: das Hinterteil mit dem als Delikatesse geltenden Schweif.
  • 90. Gjeçovi: Diese Betragensvorschriften scheinen wie Spiel, sie haben aber solchen Totschlag verursacht, daß das Blut den Tisch wie Regen netzte.
  • 91. Unter dem Kanun i Papazhulit verfällt weder Schuldner noch Bürge der Schande, wenn nicht zum festgesetzten Termin bezahlt wird (se gdo dite eshte e Zotit – jeder Tag ist Gottes), sondern nur, wenn er die Schuld ableugnet. Als die Staatsbank unter König Zog errichtet wurde, erschraken die Direktoren, da die Fristen für Rückzahlung nie eingehalten wurden; Landeskundige beruhigten sie, weil die Schuldner ihre Schuld niemals ableugneten. Tatsache ist, daß die Bank in 15 Jahren in Darlehnsgeschäften nicht einen einzigen Lek einbüßte.
  • 92. Kanun i Papazhulit: Auch dem Mädchen kann ein Mann die Haare schneiden.
  • 93. Kanun i Papazhulit: „Denn der Hehler ist das Bett des Stehlers“.
  • 94. Kanun i Papazhulit: Oder der Herr jenes Hauses muß die Spur „weiterbringen“, d. h. den Dieb auskunden.
  • 95. Unter dem Kanun i Papazhulit verfällt, wer die Glocke des Leittieres raubte, der Rache, denn die Glocke ist Ehrensache.
  • 96. Unter dem Kanun i Papazhulit gilt Raub nicht als ehrlos, da er den Einsatz des Lebens – also Mut – voraussetzt. Auch der Kanun i Leke Dukagjinit straft zwar den Raub, spricht dem Räuber aber die Ehre nicht ab. Manche Bergstämme des Nordens geben die Tochter nur dem Bewerber, der nachweist, daß er zwei bis drei Stiere geraubt hat; da die Hirten bewaffnet sind, kann in der Tat nur ein ganzer Kerl solches Unternehmen ausführen.
  • 97. Unter dem Kanun i Papazhulit: Muß ein Mann durch ein Dorf gehen, wo er einen Blutfeind vermutet, und er nimmt eine kleine Beeinträchtigung seiner Manneswürde auf sich; begegnet er einer Frau aus diesem Dorf, so sagt er ihr: „Schwester, führe mich durch dein Dorf’, so muß die Frau ihn führen, geht ihm mit einem Zeichen (z. B. einem grünen Zweig) voraus, und er ist in Sicherheit, auch wenn er am Hause des Blutfeindes vorübergeht; in Begleitung einer Frau darf auch der Vogelfreie nie getötet werden.
  • 98. Unter dem Kanun i Papazhulit ist es schwere Schande, im Zusammenhang mit einer Blutsache Geld anzunehmen. „Wenn du dem Freund hilfst, sein Blut zu nehmen, bist du sein Bruder!“
  • 99. Auch unter dem Kanun i Papazhulit wird der Täter die ersten 24 Stunden nicht verfolgt; er wird also zur Totenfeier gehen können, es ist aber weder Kanun noch Sitte; eher wird dies ein solcher tun, der den Verdacht von sich ablenken will.
  • 100. Gjeçovi: Nach den Zeugnissen, die von den Hochlandsalbanern überliefert werden, geht klar hervor, daß der Gottesfriede der Herden und Hirten sehr alt ist und schon eingehalten wurde, ehe die Büchse in unsere Berge kam. Vielerorts wird auch noch heute der Gottesfriede von Herden und Hirten eingehalten, z. B. in den Bergen von Djakova, in Nikaj, Merturi, Gash, Krasniqe und anderwärts. In den Bergen von Dukagjin: in Shala, Shoshi, Kir, Gjaj, Plan und Toplan. In den Bergen von Puka; in der Mirdita, in Thkelle; den Bergen von Alessio und gegen Kurbin, und wenn dort – wie uns einige Älteste berichten – nicht mehr überall dieser Gottesfriede üblich ist, so kannten ihn früher doch auch diese Gegenden.
  • 101. Unter dem Kanun i Papazhulit galt dieser Gottesfriede bis 1906.
  • 102. Kanun i Papazhulit zieht nicht die Wunde, sondern die Erniedrigung in Betracht; der Täter verfällt der Rache.
  • 103. Der Kanun i Papazhulit: Stirbt der Täter, geht die Blutschuld über auf den Nächstverwandten.
  • 104. Im Kanun i Papazhulit wird die Blutschuld nie durch Geld oder Sache geregelt; der Altenrat bestimmt, Pflicht ist, für eine Wunde eine Wunde zuzufügen; das fordert die Ehre.
  • 105. Der Kanun i Papazhulit erkennt das Recht zu, für einen Schlag zu töten, denn der Schlag ist eine tödliche Beleidigung.
  • 106. Weder im Süden noch im Norden seit Menschengedenken vorgekommen.
  • 107. Unter dem Kanun i Papazhulit keine Sachentschädigung, außer in einigen Gegenden durch Erde; der unbeabsichtigte Totschlag wird auf Vermittlung des Altenrates verziehen.
  • 108. Unter dem Kanun i Papazhulit muß der Täter in das Haus desjenigen gehen, auf den er zielte, das Haupt mit seinem Janker oder der Guna (dem Lodenmantel) bedeckt, wie bei der Totenklage (von Vermittlern begleitet) und sagten: „Ich tat es und gebe mich dir in die Hand“, worauf der andere verzeiht vor aller Öffentlichkeit und ihm sofort den Ehrenplatz im Hause einräumt. Dieselbe Formalität besteht bei Versöhnung des Blutes. Beispiel: 10 werden aus Haus 1 getötet, 10 aus Haus 2, 15 aus Haus 1 verwundet und 13 aus Haus 2. Altenrat und Vermittler mischen sich ein, sie sagen: „Genug jetzt!“, messen die Wunden nach ihrer Schwere – auch wiegen 10 erschlagene amvis (Hausvorsteher) schwerer als 11, ja 12, die nicht amvis waren –, und jener Teil, der weniger gelitten hat, wird die oben beschriebene Formalität erfüllen. Alle jene des weniger betroffenen Teiles ziehen in oben beschriebener Haltung vor das Haus des Mehrgeschädigten, und einer ruft den Hausherrn (amvis): „Oh, Hausherr, mach uns auf!“; der antwortet nicht, einer aus dem Haus aber öffnet die Türe, und die Befriedung geht durch die Ältesten und Vermittler vor sich.
  • 109. Unter dem Kanun i Papazhulit hat der Ermordete keine Totenfeier; niemand darf weinen. Am Tage, da er gerächt wurde – und sei es 20 Jahre später – wird zuerst Kaffee mit Süßigkeiten kredenzt, die Mädchen des Hauses singen und tanzen (wenige Minuten), als ginge es dem Toten nichts an, es zeigt die Freude des Hauses für die wiedergewonnene Ehre. Dann beginnt Totenklage und Totenfeier.
  • 110. Unter dem Kanun i Papazhulit ist all dies geradeso, nur wird mit Boden gezahlt.
  • 111. Unter dem Kanun i Papazhulit sendet das Haus des Getöteten zum Versöhnungsmahl einen Hammel in feierlichem Geleite; bei den Orthodoxen wird auch hier das Kreuz eingezeichnet (in der Lunxheria, Zagoria) und das Messer, mit dem es eingezeichnet wurde, wird auf das Dach geworfen.
  • 112. Im Süden ist dies nicht Kanun, sondern geschieht freiwillig.
  • 113. Im Süden galt dies bis zur Kommunistenherrschaft, besonders bei den Sulioten, in der Tschameria, bei den Himarioten.
  • 114. Soll unter dem Kanun i Papazhulit ein neues Gesetz beschlossen werden, das noch nirgendwo gültig ist, muß neben dem Altenrat des Stammes und Dorfes der Älteste jeder Sippe zugegen sein beim Rate; nur dann wird es gültig.
  • 115. Unter dem Kanun i Papazhulit bekommen die richtenden Ältesten keine „Opanken“, die Ältesten gelten als durch die Ehre belohnt, die ihnen widerfuhr, als man sie zu Ältesten einer Streitsache wählte.
  • 116. Unter dem Kanun i Papazhulit gibt es nachmittags nie Ältestensitzung.
  • 117. Oroshi ist der Sitz des Hauses Gjonmarkaj, der hl. Paulus sein Patron. Das Haus der Gjonmarkaj ist das Führergeschlecht der Mirdita seit dem frühen Mittelalter, noch heute im katholischen Hochland – besonders freilich in der Mirdita – hochangesehen. Ihm gehört der berühmte Prenk Pascha (Prenk Bib Doda) an. Heute ist sein Haupt Markagjoni. Die Pforte erkannte die Führerschaft der Gjonmarkaj an, indem sie das erbliche Haupt vielfach zum Pascha ernannte, obschon es sich um Katholiken handelte.
  • 118. Gjeçovi: Das Dukagjin, die Berge von Djakova und einige andere Gegenden kennen einige Eideshelfer als „Schwurhand’ in der Kirche, einige andere bestimmen sie, um den Eid zu hören.
  • 119. Lokal verschieden.
  • 120. Etwa 80–100 Mark.
  • 121. Im Norden wie im Süden erteilt nicht der Häuptling oder Vorsitzende das Wort: die Männer sprechen nach der Reihenfolge ihrer Würde, zuerst die weniger Gewichtigen; die Jungmannen sprechen nicht mit. Die W ichtigsten sprechen zuletzt, denn ihre Meinung kann schon als Entscheidung gelten.
  • 122. Als am 17.3.1903 Essad Pascha Toptani Kurt Beg Cela mit Soldaten und Gendarmen und Ndoc Ndreca (aus dem Hause Gjonmarkaj) den Peshkash von Thkelle überfielen, um einzukreisen und zu Verstand zu bringen Marka Kuli Kurbini, der sich gegen die türkische Regierung erhoben hatte, hatte Kurt Beg zu Ndoc gesagt: „Führe die Mirditen und lasse sie sich auf Mark stürzen.“ Ndoc antwortete ihm: „Erwarten wir Essad, daß er uns anführe“ (Essad war Haupt des Führergeschlechts von T irana, der Toptani, und türkischer General). Kurt entgegnete: „Führe die Mirditen, wie du stets in Albanien geführt hast, dir steht die Führung zu, und erst nach dir kommt der Toptani und dann, wer will. „Im Januar 1911, in einem Ratsfall des Deda Gjolluli von Traboine, sagte der erwähnte Deda: „Seit jemand sich erinnert in Albanien, hat das Haus Gj onmarkaj in der Mirdita die Führung und damit im Hochland; nach der Mirdita kam stets (der Stamm von) Hoti (das später zu 4/5 an Jugoslawien fiel).
  • 123. Im Süden zahlen die großen Geschlechter (die Vlora, Libohova, Bitschaku) kein Blut; oxhak s ’pagon gjak („der Herrenherd zahlt kein Blut“). Sie waren erbliche Sultanstellvertreter und damit Vertreter des Staatsoberhauptes. Unter dem Kanun i Papazhulit hat der Ältestenrat das Recht, falls sich der Bey schuldig gemacht hatte, sich um seine Bestrafung an den Sultan zu wenden (bis vor etwa 100 Jahren).
  • 124. Gjeçovi: Die Häuptlinge, Bannerträger (flamurtaret) der Berge von Djakova, Nikaj, Merturi, Gash und Krasniqe haben Recht auf eine Reihenfolge an der Berieselungsrinne, außer derjenigen, die ihnen wie jedem anderen zusteht.
  • 125. Im Kanun i Papazhulit ist der Ausdruck: „Sie stoßen ihm das Dach ein.“
  • 126. Der Kanun i Papazhulit sagt: i gkulen themelin, „sie reißen ihm den Grundstein aus“.
  • 127. Früher brachte nicht jeder (unberechtigte) Totschlag die Verbrennung, dies kam erst später in Anwendung. Die türkische Regierung hat dies zur Übung erhoben, und manch mächtiges Haus hat sich dem nur sehr ungern gefügt. Das Fordern des Blutes vom gesamten Hause des Täters hat es früher auch nicht gegeben; das beweist auch das Wort des Kanun: „das Blut geht mit dem Finger“, aber, um ein Blut leichter nehmen zu können, begreift der Kanun jetzt alle Mitglieder des Täterhauses und die herausgeteilten Sippenangehörigen für 24 Stunden mit ein. Mancherorts wird auch das Ausschellen für das gesamte Blut (die ganze Sippe) angewendet, so daß es die gesamte Bruderschaft einbegreift. Für jeden Totschlag wird das Haus des Täters die Buße zahlen, wird der Jungmannschaft des Stammes die Mahlzeit geben und in der Mirdita überdies dem Haus Gjonmarkaj 500 Groschen bezahlen. Der Geldmangel veranlaßte einige Häuptlinge, der Jungmannschaft des Stammes in Gemeinschaft mit den Ältesten gewisse Dinge zu verschärfen, um Beutel und Magen zu füllen.
  • 128. Der Kanun i Papazhulit befreit das Haus des Toten nur 3 Tage.
  • 129. Da dieses Zerkratzen ausartete, bis die Teilnehmer an einer Leichenfeier blutüberströmt waren, hat die katholische Kirche dies seit etwa 60 Jahren mit schweren Kirchenstrafen verboten, da solche Verzweiflung dem Auferstehungsglauben zuwiderlaufe; seitdem kam dieser Mißbrauch bei den katholischen Stämmen außer Schwang.
  • 130. Viele Frauen improvisierten herrliche Klagegesänge; ich habe Mütter um ihre Söhne, auch Gattinnen über ihre Gatten, durch die ergreifendsten Gesänge klagen hören. Manche dieser Frauenklagen überlieferten sich ob ihrer Schönheit von Mund zu Mund.
  • 131. Unter dem Kanun i Papazhulit wird der Kaffee beim Totenmahl ungezuckert getrunken.
  • 132. Unter dem Kanun i Papazhulit führen den Totenzug klagende, singende befreundete Frauen; dann erst folgen der Tote und hinter diesem die Männer. Bei der Beerdigung selbst entfernen sich die Frauen.