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KI im Social-Media-Einsatz

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 10.06.2024 - 13:00

Ohne den Einsatz von Social Media ist eine zeitgemäße Unternehmenskommunikation nicht denkbar. Das gilt vor allem in der Konsumgüterindustrie. Wer seine Kunden erreichen will, der muss sie kennen, finden und Inhalte platzieren, die sie interessieren. Das ist kein neuer Trend, und Juristen beschäftigen die rechtlichen Aspekte von Social-Media-Marketing seit Jahren. So hat es die Influencerin Cathy Hummels schon 2021 bis zum Bundesgerichtshof (BGH) geschafft mit der Frage, ob sie ihre produktbezogenen Posts als 'Werbung' kennzeichnen muss. Muss sie nicht, wenn sie keine Gegenleistung erhält (BGH, Az. I ZR 126/20). Neu ist, dass sich Social-Media-Marketing durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) beliebig skalieren lässt. Ob es um die Analyse von Nutzerverhalten geht oder um die Erstellung von Inhalten: KI verändert die Unternehmenskommunikation. Was ist hier zu erwarten? Worauf sollte man unbedingt achten?

Nutzung von KI-Content

Die Nutzung von KI-generierten Texten und Bildern (Output) eröffnet neue Möglichkeiten der Kommunikation: Die Produktion von Inhalten hat keine personellen Limits mehr, wird schneller und kostengünstiger. Die Kehrseite ist der Kontrollaufwand. Wer KI nutzt, der kennt die Anfälligkeit für inhaltliche Fehler. Die Anbieter von KI weisen mit gutem Grund genau darauf hin. Das führt auch aus rechtlicher Sicht dazu, dass KI-generierte Inhalte gründlich überprüft werden müssen. Wer Unwahrheiten veröffentlicht, der ist dafür rechtlich verantwortlich. Unwahre Angaben in der Unternehmenskommunikation sind oft wettbewerbswidrig. Ansprüche von Wettbewerbern und Verbraucherschutzverbänden können die Folge sein.

Transparenz ist essenziell

Neben der Haftung für inhaltliche Fehler lautet ein Kernthema bei der Output-Nutzung Transparenz. Das Transparenzgebot gilt bei jeder öffentlichen Kommunikation, es ist in etlichen Normen verankert. Es besagt im Kern, dass der Zweck und die Herkunft einer Veröffentlichung erkennbar sein müssen: Wer für ein Produkt wirbt, darf das nicht im Gewand einer redaktionellen Berichterstattung tun; wer einen fremden Text veröffentlicht, darf ihn nicht als eigenen ausgeben; und wer KI-generierte Inhalte wiedergibt, der darf sich nicht als Autor bezeichnen. Das ergab sich schon bisher aus der bestehenden Gesetzeslage.
Im Mai 2024 ist durch mit Verabschiedung der KI-Verordnung der EU (AI Act) das Transparenzgebot jetzt auch speziell für Inhalte geregelt worden, die mit KI generiert sind. Danach muss der künstliche Charakter von Deepfakes offengelegt werden (Art. 52 Abs. 3 AI Act), gleiches gilt bei jeder Interaktion von KI mit Menschen (Art. 52 Abs. 1 AI Act), also auch bei automatisierten Postings und Chatbot-Inhalten. Die Transparenzpflichten nach dem AI Act treten erst im Sommer 2026 in Kraft. Verstöße gegen das Transparenzgebot können aber auch nach aktueller Rechtslage Folgen haben, insbesondere sind wettbewerbsrechtliche Ansprüche wegen irreführender Werbung denkbar.

KI richtig kennzeichnen

Wegen des Transparenzgebots ist es sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein Text oder ein Bild KI-generiert sind, wenn das nicht aus sich heraus erkennbar ist. Ein solcher Hinweis kann beispielsweise nach Art eines Fotocredits lauten 'KI-generiert' oder 'Erstellt unter Einsatz von Dall-E'. In der Praxis taucht häufig die Frage auf, wie mit Mischformen umzugehen ist. Gerade Textautoren arbeiten häufig so, dass sie sich zunächst einen Vorschlag von einer generativen KI-Anwendung machen lassen, ihn dann aber überarbeiten. Ob ein Hinweis auf dieses Vorgehen rechtlich geboten ist, hängt davon ab, wie viel vom KI-Text im Endergebnis noch vorhanden ist. Sind ganze Sätze oder Absätze übernommen, dann muss auf den Ursprung hingewiesen werden. Sind dagegen nur noch Struktur und Information übernommen, dann ist das nicht notwendig – Chat GPT ist dann nur als Recherche-Tool genutzt worden.

Persönlichkeits- und Urheberrechte beachten

Ein weiteres wesentliches Output-Thema betrifft Persönlichkeitsrechte. Kurz gesagt: Finger weg von Deep Fakes in der Werbung! Aber auch die bloße Bezugnahme auf reale Personen, insbesondere Prominente, ist – wie immer in der Unternehmenskommunikation – ein No-Go, es sei denn sie haben eingewilligt. Das gilt selbst dann, wenn transparent gemacht wird, dass es sich um KI-Darstellungen handelt. Denn die Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten löst immer Ansprüche aus, vor allem bei Prominenten. Dabei können auch im deutschen Recht hohe Zahlungsansprüche entstehen. Betroffene können das verlangen, was sie vertraglich vereinbart hätten, wenn sie gefragt worden wären. Weniger Probleme macht das Urheberrecht. Weder die Erstellung von Inhalten durch KI noch die Nutzung dieser Inhalte sind urheberrechtlich relevant. Ausnahmen kann dort geben, wo durch gezieltes Prompting ein Output provoziert wird, der bestehenden Werken zu ähnlich ist (z. B. »Erstelle eine Grafik, die wie ein Siebdruck von Marylin Monroe aus der Hand von Andy Warhol aussieht«).

Influencer und Mitarbeiter briefen

Die Grundsätze zum Output gelten auch für Inhalte, die Influencer oder beauftragte Agenturen erstellen und posten. Gerade hier kann die Versuchung groß sein, Beiträge mit KI-Unterstützung zu produzieren – ein Vorgehen, das nicht im Interesse des Auftraggebers ist. Es ist deshalb ratsam, bestehende Verträge mit Influencern oder Agenturen um eine KI-Klausel zu ergänzen, mit der die Nutzung von KI für vertraglich geschuldete Inhalte untersagt oder eingeschränkt wird. Was das eigene Business Development angeht, so sollten Unternehmen klare Anweisungen zur Erstellung, Kontrolle und Veröffentlichung von KI-Inhalten machen – beispielsweise im Rahmen einer KI-Richtlinie. Im Haftungsfall können solche Vorgaben dabei helfen, ein Verschulden auszuschließen. Das kann Schadensersatzrisiken senken.

Vorsicht bei der Datenanalyse

Soziale Medien bieten riesige Datenschätze, die mit KI-Hilfe analysiert und aufbereitet werden können, um das eigene Marketing zu optimieren. Wer spricht über welche Produkte, welche Memes gehen viral und warum? KI kann diese Datenmengen verarbeiten, Trends nachverfolgen und Ergebnisse analysieren. Die Plattformen selbst weiten zurzeit ihre Möglichkeiten für das Training von KI-Anwendungen aus: Meta hat am 1. Juni 2024 seine Nutzer darüber informiert, dass man ab Ende Juni 2024 Postings für Trainingszwecke der eigenen KIs nutzen werde. Für Unternehmen liegt es nahe, auf Mess- und Analyse-Tools der Plattformanbieter zurückgreifen. Die Gewinnung von Informationen auf eigene Faust ist technisch und rechtlich nicht trivial, vor allem dann, wenn sie nicht nur Inhalte auf eigenen Accounts betreffen. Denn das Auslesen von fremden Accounts zu Analysezwecken, das sogenannte »Scraping«, kann gegen Nutzungsbedingungen der Anbieter verstoßen und ist datenschutzrechtlich sowie urheberrechtlich problematisch. Es ist urheberrechtlich zwar erlaubt, frei zugängliche Inhalte für das KI-Training zu verwenden – wenn nicht der Rechtsinhaber einen Vorbehalt erklärt hat (§ 44b UrhG). Die Ausnahme gilt aber nur für KI-Training und nicht für die Datenauswertung unter Einsatz von KI. Außerdem sind die meisten Plattforminhalte nicht frei zugänglich, sondern erst nach Anmeldung abrufbar. Sofern man über die von Plattformanbietern angebotene Analyse-Tools hinaus Datenanalysen betreiben möchte, sollte man das deshalb über einen spezialisierten Dienstleister tun.

Dr. Holger Weimann

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Magazin markenartikel und im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

Unternehmensnachfolge im Mittelstand – Private Equity, um die Zukunft zu sichern?

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 07.06.2024 - 13:00
Was ist Private Equity?

Unter Private Equity (PE) versteht man eine Investitionsform, bei der private Kapitalgeber Unternehmensanteile erwerben, die nicht an einer Börse gehandelt werden. PE-Investoren beteiligen sich meist mittel- bis langfristig an bereits etablierten Unternehmen, die sich nicht mehr in der Aufbauphase befinden (in Abgrenzung zum Venture Capital) (sog. Buy-Outs). Ein auf den Mittelstand spezialisierter PE-Investor möchte zunächst einmal die Unternehmens-fortführung sichern und das Unternehmen dann Schritt für Schritt modernisieren, um den Wert des Zielunternehmens langfristig zu erhöhen. Der Rückzug (Exit) des Investors aus dem Unternehmen ist zwar schon beim Beteiligungserwerb konkret eingeplant, jedoch im Mittel-stand regelmäßig langfristiger angelegt. Der Anlagehorizont beträgt im Mittelstand häufig acht Jahre. Mit diesem Zeithorizont können Unternehmen ihren Mitarbeitern ehrliche Zukunftsaus-sichten aufzeigen. Aus unserer Erfahrung ist die Mehrheit der Belegschaft erleichtert, wenn ein auf den Mittelstand spezialisierter PE-Investor das Nachfolgeproblem des Unternehmens löst. Denn ein PE-Investor führt mit seiner Erfahrung in Transformationsprozessen das Unternehmen in die Zukunft.

Überblick über den Ablauf einer PE-Transaktion

Zu Beginn einer Unternehmensnachfolge steht die Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Häufig schauen sich familiengeführte Unternehmen für die Planung der Nachfolge im Familienkreis um und ziehen auch das bekannte Management in Erwägung (sog. Management Buy Out). Mittelständische Unternehmen können bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger und Käufer jedoch auch auf einen M&A-Berater zurückgreifen. Dieser hilft dabei, potenzielle Interessenten zu finden, indem er sie im Rahmen eines Bieterprozesses kontak-tiert und zur Abgabe initialer Angebote auffordert. Ein strukturiertes Bieterverfahren soll einen höheren Kaufpreis erzielen, da mehrere Käufer konkurrieren. Mittlerweile gibt es zahlreiche PE-Investoren, die sich insbesondere auf mittelständische Unternehmen in der Nachfolgephase spezialisiert haben.

Üblicherweise unterzeichnen Verkäufer und Kaufinteressent eine schriftliche Absichtserklä-rung, in der sie die Grundsätze der Transaktion festhalten. Diese Absichtserklärung hat regelmäßig keine rechtliche Bindung. Parallel dazu erstellt der Verkäufer ein Datenraum, in dem sich alle für eine Investition wesentlichen Informationen über das Zielunternehmen einsehen lassen. Die Informationen über das Zielunternehmen prüfen Käuferinteressenten im Rahmen einer sog. Due Diligence Prüfung.

Wenn sich unter den Interessenten ein bestimmter Käufer herauskristallisiert, werden die Verkäufer versuchen, sich mit ihm über den Inhalt des Kaufvertrags zu einigen und den Kaufvertrag abzuschließen. Die Übertragung von GmbH-Anteilen bedarf der notariellen Beurkundung (§ 15 Abs. 3, 4 GmbHG). Die Transaktion ist abgeschlossen, wenn die Parteien den Kaufvertrag vollzogen haben, d.h. also der Käufer den Kaufpreis an den Verkäufer bezahlt und der Verkäufer die Anteile dem Käufer übertragen hat.

Beteiligung des Managements

Ein PE-Investor übernimmt das Zielunternehmen normalerweise mitsamt dem Management. Er selbst kann und möchte die Geschäfte regelmäßig nicht selbst führen. Stattdessen verlässt er sich für das Tagesgeschäft auf die Expertise des bisherigen Managements, um eine reibungslose Nachfolge zu ermöglichen. Den Verbleib des Managements im Unternehmen möchte der PE-Investor belohnen. Dieses soll dem PE-Investor langfristig zur Verfügung stehen. Auf Mittelstand spezialisierte PE-Investoren bieten dem bisherigen Management Unterstützung bei "neuen" Themen wie Berichtspflichten gegenüber Banken oder Transfor-mationsprozesse im Unternehmen an.

Um das Management des Zielunternehmens zu incentivieren, bietet der Investor dem Management häufig eine Minderheitsbeteiligung (ca. 5 bis 15 %) an (sog. Managementbeteili-gung). Dadurch nimmt das Management an der Wertsteigerung des Zielunternehmens teil und ist an das Unternehmen gebunden. Zudem wird ein Interessengleichlauf zwischen Management und Unternehmensinhaber erzielt. Das Management arbeitet nämlich nicht mehr nur für fremde Eigentümer, sondern gewissermaßen auch für sein eigenes Unternehmen. Beim Exit profitiert das Management von der Wertsteigerung der eigenen Beteiligung. Die Managementbeteiligung erfolgt im Wege einer Rückbeteiligung an der Erwerbsgesellschaft oder indirekt über eine vermögensverwaltende Management-Gesellschaft.

Finanzierung

Wesentliche Bedeutung hat bei PE-Investitionen die Finanzierung durch Fremdkapitalgeber, typischerweise Banken. Häufig finanzieren sie etwa 50 % des Kaufpreises fremd. Die Zinsen und Raten werden später primär aus den Erträgen des Zielunternehmens getilgt.

Die Finanzierung durch Fremdkapital hat nicht nur den Vorteil, den finanziellen Spielraum des PE-Investors zu vergrößern, indem etwa mehr Eigenkapital für weitere Investitionen bleibt. Darüber hinaus kann sie auch die Rendite des eingesetzten Eigenkapitals durch den sog. Hebeleffekt (Leverage-Effekt) erhöhen. Dies ist der Fall, wenn die Gesamtrendite größer ist als der Zins, der für Fremdkapital in gleicher Höhe hätte aufgebracht werden müssen.

Fremdkapitalgeber wollen Kredite geeignet besichern lassen. Sicherheiten sind primär die Vermögenswerte der Zielgesellschaft, während der Käufer als Investor üblicherweise keine Sicherheiten an seinen eigenen Vermögenswerten bestellt. Denkbar sind insbesondere Grundpfandrechte an Grundstücken oder die Verpfändung von Gesellschaftsanteilen der Zielgesellschaft.
Bei der Besicherung sind die gesetzlichen Vorgaben zur Kapitalerhaltung zu beachten. Besichert die Zielgesellschaft Verbindlichkeiten einer zwischengeschalteten Erwerbsgesell-schaft, darf dies nicht zu einer verbotenen Rückzahlung des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens führen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Etwas anderes gilt aus-nahmsweise, wenn ein wirtschaftlich gleichwertiger Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter (hier die Erwerbsgesellschaft) besteht (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG).

Steuerliche Interessen der Parteien

Steuerliche Aspekte sind bei PE-Transaktionen von großer Relevanz. Der Verkäufer hat das Interesse, die Besteuerung seiner Veräußerungsgewinne zu reduzieren. Dies ist vor allem durch die Verrechnung mit Verlusten oder die Anwendung besonderer Steuertarife möglich.

Der Käufer und PE-Investor möchte den Zahlungsfluss (Cash Flow) des Zielunternehmens nutzen, um Kredite samt Zinsen zu tilgen. Gleichzeitig sollen Finanzierungaufwendungen mit den Gewinnen aus dem operativen Geschäft steuerlich verrechnet werden. Gewinne erwirt-schaftet das Zielunternehmen. Der Finanzierungsaufwand entsteht jedoch auf der Ebene der Erwerbsgesellschaft. Um die steuerliche Verrechnung zu ermöglichen, müssen beide Ebenen zusammengebracht werden (sog. Debt Push Down). Erreicht wird dies etwa durch Ver-schmelzung der Zielgesellschaft auf die Erwerbsgesellschaft. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Zielgesellschaft – sofern diese eine Kapitalgesellschaft ist – mit der Erwerbsgesellschaft eine steuerliche Organschaft errichtet. Dabei wird das Einkommen der Zielgesellschaft der Erwerbsgesellschaft zugerechnet und im Rahmen der Letzteren versteuert.

Fazit

PE kann eine attraktive Option bei der Unternehmensnachfolge sein. Mittelständler schrecken jedoch oft vor den "PE-Heuschrecken" zurück und sorgen sich um ihr Vermächtnis. Jedoch wollen die Investoren in der Regel am derzeitigen Management festhalten, um durch ihre Erfahrung die erfolgreiche Unternehmensfortführung zu gewährleisten. Die Belegschaft ist zudem meist froh, wenn eine solche Unternehmensfortführung gelingt. Denn PE-Investoren können über die Nachfolge hinaus helfen, die heutigen Herausforderungen – insbesondere die Digitalisierung und die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft – zu bewältigen.

Christian Burmeister
Damien Heinrich

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

Verschiedene Nutzungsmodelle für Photovoltaik-Strom auf Mehrfamilienhäusern

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 07.06.2024 - 13:00
Hintergrund

Europa soll der erste klimaneutrale Kontinent werden. Die neue EU-Gebäuderichtlinie (Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, EPDB, s. auch Blogbeitrag zu EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie, abrufbar unter https://www.advant-beiten.com/de/blogs/eu-gebaeudeeffizienzrichtlinie-angenommen-aenderungen-des-geg-zu-erwarten) führt in Art. 9a EPDB eine grundsätzliche "Solarpflicht" für Gebäudedächer ein. Zunächst müssen alle Neubauten so konzipiert sein, dass sie sich für die Installation von PV-Anlagen eignen. Zudem sollen auf Gebäuden der öffentlichen Hand ab 2027 schrittweise PV-Anlagen installiert werden, soweit das technisch, wirtschaftlich und funktionell machbar ist. Aber Deutschland verfolgt auch ohne Europa ambitionierte Klimaschutzziele, insoweit gewinnen die Ausbauziele für Solarenergie zunehmend an Bedeutung (vgl. auch die Neuregelungen im Solarpaket I, vgl. Blogbeiträge zum Solarpaket I, abrufbar unter https://www.advant-beiten.com/de/blogs/solarpaket-i-starker-rueckenwind-fuer-die-dezentrale-gebaeudeversorgung und https://www.advant-beiten.com/de/blogs/solarpaket-i-weitere-verbesserungen-fuer-solaranlagen). In diesem Zuge wird in den jeweiligen Landesbauordnungen der Länder zunehmend die Verpflichtung zur Installation und zum Betrieb von Photovoltaikanlagen auf geeigneten Dachflächen eingeführt. Auch wenn aktuell meist nur Neubauten von Nichtwohngebäuden von dieser Solarpflicht betroffen sind, ist aufgrund der weitreichenden Vorgaben in der EPDB davon auszugehen, dass die Solarpflicht in näherer Zukunft auch auf den Neubau und die Dachsanierung von Wohngebäuden ausgeweitet wird. Beispielsweise sieht die EPDB vor, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, bis 31.12.2032 PV-Anlagen auf Gebäuden zu errichten, die einer größeren Renovierung unterzo-gen werden. Gleichzeitig wächst aber auch von Seiten der Mieter, insbesondere aufgrund der Energiekrise der letzten zwei Jahre, das Interesse an einer zuverlässigen, dezentralen und nachhaltigen Stromversorgung. Aus Sicht der Eigentümer von Mehrfamilienhäusern eröffnen sich verschiedene Chancen zur Nutzung ihres lokal erzeugten Photovoltaikstroms.

Nutzungsmöglichkeiten von PV-Strom

Zu den verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten zählen die Einspeisung ins Netz der allgemeinen Versorgung (hierzu unter 2.1), die Nutzung als Mieterstrom (hierzu unter 2.2), die Nutzung zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung (hierzu unter 2.3), oder zur Deckung des Verbrauchs der Liegenschaft, sog. Eigenversorgung (hierzu unter 2.4). Die Ausführungen beziehen sich nur auf PV-Anlangen, die sich noch in der Förderung befinden. Der Förderungszeitraum beträgt 20 Jahre zuzüglich des Inbetriebnahmejahres der Anlage gem. § 25 Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Zudem sieht § 49 EEG eine lineare Reduzierung der Vergütungshöhe um 1 Prozent alle 6 Monate seit dem 1. Februar 2024 im Bereich der Einspeisung in das Netz der allgemeinen Versorgung und im Mieterstrommodell vor. Ein Wechsel zwischen den verschiedenen Veräußerungsformen ist jeweils zum ersten Kalendertages eines Monats möglich gem. § 21b Abs. 1 S. 2 EEG.

Einspeisung in das Netz der allgemeinen Versorgung

Bei der Einspeisung ins Netz der allgemeinen Versorgung ist grundsätzlich zwischen der sog. festen Einspeisevergütung und der (sonstigen) Direktvermarktung zu unterscheiden.

Bei ersterer erwirbt der Betreiber der PV-Anlage, also diejenige Person die – unabhängig vom Eigentum – die Anlage zur Stromerzeugung nutzt (im Folgenden Anlagenbetreiber), mit einer installierten Leistung von bis zu 100 kWp, einen Anspruch gegen den Netzbetreiber auf Zahlung der Einspeisevergütung gem. §§ 19 Abs. 1 Nr. 2, 21 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 oder Nr. 4 EEG. Der Eigentümer eines Mehrfamilienhauses könnte die PV-Anlage selbst erwerben oder für den Betrieb pachten.

Der Anlagenbetreiber muss dem lokalen Netzbetreiber den gesamten Strom der PV-Anlage zur Verfügung stellen, der nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Anlage verbraucht und nicht durch ein Netz geleitet wird. Eine gleichzeitige Teilnahme am Regelenergiemarkt ist ebenfalls ausgeschlossen. Möglich ist jedoch, dass der Anlagenbetreiber einen Teil des Stroms selbst verbraucht (s. hierzu 2.4), also nur einen etwaigen Überschuss ins Netz einspeist. In diesem Fall erhält er jedoch nicht die um bis zu 50 % erhöhte Förderung für die sog. Volleinspeisung gem. § 48 Abs. 2a EEG.

Grundsätzlich zeichnet sich die feste Einspeisevergütung dadurch aus, dass sie einfach in der Umsetzung und gut kalkulierbar ist. Bei der Frage, ob eine Voll- oder ein Teileinspeisung finanziell vorteilhaft ist, kommt es auf eine Einzelfallbetrachtung bzw. -berechnung an.

Zudem besteht regelmäßig die Option der Direktvermarktung. Hierbei ist nicht der Netzbetreiber, sondern ein Direktvermarkter der Abnehmer. Die Vergütung richtet sich dann nach einen mit dem Direktvermarkter ausgehandelten Preis. Zudem erhält der Anlagenbetreiber eine Marktprämie nach §§ 19 Abs. 1 Nr. 1, 22 EEG. Die Höhe der Marktprämie richtet sich nach der Größe der Anlage und den Zeitpunkt der Inbetriebnahme. Durch die Marktprämie wird zumindest bei Kleinanlagen bis 100 kWp eine Schlechterstellung gegenüber der festen Einspeisevergütung vermieden. Die Direktvermarktung ist üblicherweise aufgrund der höheren technischen Anforderungen an die PV-Anlage gem. § 10b EEG und der regelmäßig mit dem Direktvermarkter vereinbarten Vermarktungspauschale erst bei Anlagen mit einer höheren Leistung lohnend.

Mieterstrom

Neben dem Anlagenbetreiber können auch die Mieter – soweit der Anlagenbetreiber einen günstigeren als den am Markt verfügbaren Stromtarif anbieten kann - von einer PV-Anlage profitieren und gleichzeitig an der Energiewende teilhaben. Hierzu bietet sich der Anspruch des Anlagenbetreibers gegen den Netzbetreiber auf Zahlung des Mieterstromzuschlags, §§ 19 Abs. 1 Nr. 3, 21 Abs. 3 EEG, an. Der Anspruch auf Mieterstromzuschlag besteht für PV-Anlagen, die auf, an oder in einem Gebäude oder einer Nebenlage des Gebäudes installiert sind und der Stromlieferung durch den Anlagenbetreiber oder einem Dritten an den Letztverbraucher dient. Es ist jedoch erforderlich, dass die PV-Anlage sich in demselben Gebäude, Nebengebäude oder Quartier befindet und der Strom ohne Durchleitung durch ein Netz geliefert wird. Eine wesentliche Neuerung des Solarpaketes I ist, das Mieterstrommodell nicht mehr nur auf Wohngebäude zu limitieren. Vielmehr kann das Mieterstrommodell nun auch auf Gebäude und Quartiere mit gewerblichem Bezug angewendet werden. Einschränkungen bestehen hier, soweit verbundene Unternehmen gleichzeitig als Stromlieferant und Stromverbraucher agieren. Zudem wurde die Möglichkeit geschaffen, Mieterstromverträge mit einer Laufzeit von zwei Jahren zu vereinbaren.

Wenn das Mieterstrommodell gewählt wird, ist zudem ein Vermarktungsmodell für die Überschusseinspeisung in das Netz der allgemeinen Versorgung zu wählen, § 21b Abs. 1 S. 3 EEG.

Das Mieterstrommodell kann durch den Anlagenbetreiber in verschiedenen Modellen aufgesetzt werden.

Einerseits kann der Anlagenbetreiber direkt einem Mieterstromvertrag im Sinne des § 42a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) mit dem Mieter schließen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass der Anlagenbetreiber in Zeiten nicht ausreichender Stromproduktion durch die PV-Anlage selbst Strom für die Belieferung seines Mieters einkaufen muss. Der Anlagenbetreiber muss die umfassende Versorgung des Letztverbrauchers sicherstellen, sog. Vollversorgung. Für den zugekauften Stromanteil besteht eine Kennzeichnungspflicht hinsichtlich der verwendeten Energieträger (42a Abs. 5, S. 1, 42 Abs. 3a EnWG) und für den Mieterstromanteil besteht eine Kennzeichnungspflicht als EEG geförderter Strom (42a Abs. 5, S. 3 EnWG). Der Reststrombezug ist aufgrund der Netznutzungsentgelte deutlich teurer als rein dezentral erzeugter Strom; dabei schreibt der Gesetzgeber eine Preisobergrenze vor, wonach der Gesamtstrom 90 Prozent des in dem jeweiligen Netzgebiet geltenden Grundversorgungstarif nicht überschreiten darf.

Ein weiteres Modell stellt das Lieferkettenmodell dar. Hier wird der Strom aus der PV-Anlage durch den Anlagenbetreiber an einen Dritten verkauft. Der Dritte übernimmt dann die Vollversorgung des Letztverbrauchers im Sinne des § 42a Abs. 2, S. 6 EnWG. Dieses Modell birgt jedoch die Unsicherheit, dass die Stromsteuerbefreiung möglicherweise nicht beansprucht werden könnte und ein weitere Stromliefervertrag (onsite-PPA) ist zwischen dem Anlagenbetreiber und dem Dritten erforderlich.

Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung

Im Mai 2024 wurde mit dem Solarpaket I die sog. gemeinschaftliche Gebäudeversorgung in § 42b EnWG eingeführt. Deren zentrale Neuerung ist, dass der Anlagenbetreiber bei dem Vorliegen der Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Gebäudeversicherung einen Gebäudestromnutzungsvertrag mit den Letztverbrauchern schließen kann. Der Gebäudestromnutzungsvertrag sieht gegenüber einem herkömmlichen Stromliefervertrag hinsichtlich des Vertragsinhalts und der Kennzeichnungspflicht einige Erleichterungen vor gem. § 42b Abs. 4 EnWG. Zudem besteht keine Vollversorgungspflicht des Letztverbrauchers durch den Anlagenbetreiber. Der Letztverbraucher kann vielmehr einen ergänzenden Stromliefervertrag mit einem Versorger seiner Wahl schließen.

Ein Letztverbraucher kann den PV-Strom nutzen, wenn die Nutzung ohne Durchleitung durch ein Netz unmittelbar in demselben Gebäude in, an oder auf dem die Erzeugungsanlage installiert ist erfolgt, die Strommengen viertelstündlich gemessen werden, und der Letztverbraucher einen Gebäudestromnutzungsvertrag abgeschlossen hat.

In dem Gebäudestromnutzungsvertrag wird insbesondere ein rechnerischer Aufteilungsschlüssel für die Nutzung des erzeugten PV-Stroms zwischen den Mietern oder, bei einer Wohnungseigentümergesellschaft den Eigentümern, sowie der Preis des Stroms festgelegt. Bei Vertragsbeginn wird der Letztverbraucher auch darüber informiert, dass der Anlagenbetreiber keine Verpflichtung zur Vollversorgung hat und der Letztverbraucher weiterhin einen Strombezugsvertrag mit dem Lieferanten seiner Wahl schließen kann, § 42b Abs. 3 EnWG.

Im Vergleich zum Mieterstrom-Modell liegt also kein Verkauf an die Mieter mehr vor, sondern der erzeugte Strom wird den Letztverbrauchern anteilig zugerechnet und von ihren regulären Strombezügen über das allgemeine Netz, das auch zur Deckung des Restbedarfs dient, abgezogen.

Verbrauch in der Liegenschaft

Ebenfalls kann der von der PV-Anlage erzeugte Strom auch vor Ort durch den Anlagenbetreiber bzw. den Vermieter im Rahmen eines sog. Eigenversorgungsmodells genutzt werden. Ein solcher Fall ist beispielsweise der sog. Allgemein- oder Hausstrom, also der Strom, der von den Bewohnern in gemeinsam genutzten bzw. allgemein zugänglichen Einrichtungen einer Immobilie verbraucht wird. Hierunter fallen insbesondere die Außenbeleuchtung sowie die Beleuchtung von Treppenhäusern und Tiefgaragen, der Betrieb von Aufzügen, und Tür-sprech- bzw. Klingelanlagen. Zwar ist der Begriff des Allgemein- oder Hausstroms nicht gesetzlich definiert, jedoch wird der Begriff zunehmend zur Beschreibung von Kostenpositionen im Rahmen der Betriebskostenabrechnung nach der Betriebskostenverordnung verwendet.

Darüber hinaus kann der in einer PV-Anlage erzeugte Strom auch für die Wärmeversorgung einer Liegenschaft mittels einer Wärmepumpe genutzt werden. Diese Nutzung als Betriebsstrom gewinnt nicht nur mittelbar zur Erreichung der Klimaschutzziele, sondern auch unmittelbar durch das als "Heizungsgesetz" bekannte Gebäudeenergiegesetz (GEG) an Bedeutung. Denn grundsätzlich müssen neue Heizungsanlagen gem. § 71 Abs. 1 GEG 65 Prozent der bereitgestellten Wärme (65-Prozent-EE-Vorgabe) durch den Einsatz erneuerbarer Energien erzeugen. Bei dem Einbau einer elektrischen oder hybriden Wärmepumpe kann ggf. nach Erfüllung weiterer Anforderungen eine gesetzliche Vermutung der gesetzlichen Zielsetzung greifen.

Sofern der eigene PV-Strom für zentrale Wärmeerzeugung durch eine Wärmepumpe genutzt wird, ist die Gesetzeslage derzeit unklar, ob einer Vergütung des Eigenstromes zum Betrieb einer Wärmepumpe über die Betriebskostenabrechnung möglich ist. Wenn der Gesetzgeber hier Klarheit schafft, könnte für einen Vermieter, der gleichzeitig auch Anlagenbetreiber wäre, ein weiterer wirtschaftlicher Anreiz zu Errichtung einer PV-Anlage geschaffen werden. Gleichwohl wäre zu bedenken, dass hier keine preisbildenden Marktmechanismen mehr greifen würden. Wenn der politische Wille vorhanden ist, erneuerbare Energien zu fördern, liegt einerseits nahe, dass der Vermieter durch die oben beschriebene Eigennutzung über die Betriebskostenabrechnung besser zu stellen wäre, als wenn er die allgemeine Einspeisevergütung erhalten hätte. Aus dem Gedanken des Mieterschutzes dürfte der Vermieter jedoch andererseits keine höheren Kosten über die Betriebskostenabrechnung erhalten als er marktüblich hätte aufbringen müssen. Hier ist auf das Solarpaket II zu hoffen, welches dieses Thema ebenfalls aufgreifen soll, nun aber wie das Solarpaket I in zähen Verhandlungen steckt und unklar ist, ob es überhaupt wie angekündigt kommen wird.

Zukünftige Änderungen

Mit Ausblick auf das – noch nicht terminierte – Solarpaket II soll die Nutzung von Dachflächen für die Installation und den Betrieb von PV-Anlagen noch attraktiver gestaltet werden. So sollen insbesondere bauliche und technische Anforderungen an PV-Anlagen weiter optimiert, d.h. im Sinne der wirtschaftlichen Nutzbarkeit angepasst, werden. Hier steht eine Absenkung der erforderlichen Abstandsvorgaben sowie eine Nutzung von größeren Modulen von über zwei Quadratmetern zur Effizienzsteigerung zur Debatte. Hinzukommend sollen die technischen Anschlussbedingungen (TAB) weiter vereinheitlicht werden, was einen schnelleren und transparenteren Anschluss aufgrund der Entbürokratisierung mit sich ziehen würde.

Zudem steht noch die Umsetzung der EU-Richtlinie Richtlinie 2018/2001/EU aus, die es Bürgerenergiegesellschaften nicht nur erlauben würde gemeinsam Erneuerbare-Energien-Anlagen zu betreiben, sondern die dort erzeugte Energie im Wege des "energy sharing" auch selbst zu nutzen.

Fazit

Über die letzten Jahre hinweg hat sich die PV-Stromversorgung zu einem Thema von zentraler Bedeutung für alle privaten und öffentlichen Akteure herauskristallisiert. Die vermehrte Nutzung von Dachflächen für Photovoltaik-Anlangen liegt hierbei im Interesse aller Beteiligten, da Vermietern bzw. Anlagenbetreibern eine weitere Möglichkeit zur Kapitalisierung ihrer Immobilien eröffnet wird, während Mieter, sowohl private als auch gewerbliche, von einer unabhängigen und vergünstigten Stromversorgung profitieren können. Der Gesetzgeber hat, zum Beispiel mit der Einführung der Solarpflicht, aber auch mit der Einführung neuer Absatzmodelle und insbesondere die Erweiterung auf Gewerbeimmobilien, bereits wichtige Impulse für die dezentrale Stromversorgung im Gebäudebereich insgesamt gesetzt. Nichtsdestotrotz fehlt es teilweise, so in Bezug auf die Umlagefähigkeit von Allgemein- bzw. Betriebsstrom in der Betriebskostenabrechnung sowie dem "energy sharing", noch an einer verbindlichen Regelung durch den Gesetzgeber. Nach dem Solarpaket I ist vor dem Solarpaket II.

Dr. Malaika Ahlers
Florian Böhm

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

Stellungnahme der Finanzverwaltung: Begründet die Homeofficetätigkeit eine Betriebsstätte?

Beiten Burkhardt // BLOG - Do, 06.06.2024 - 13:00

Im Anwendungserlass vom 5. Februar 2024 hat sich die Finanzverwaltung erstmals dazu geäußert, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer im Homeoffice eine Betriebsstätte begründet – oder eben nicht.

Spätestens mit der Covid-Krise hat sich das so genannte Homeoffice etabliert und ist heute fester Bestandteil vieler Arbeitnehmer. Aus steuerlicher Sicht ist bei einem regelmäßigen Tätigwerden des Arbeitnehmers in dessen privater Wohnung fraglich, ob hierdurch eine Betriebsstätte des Arbeitgebers begründet wird. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten wären die steuerlichen Folgen beträchtlich: So könnte ein inländischer Arbeitnehmer für ein ausländisches Unternehmen eine beschränkte Steuerpflicht auslösen. Anknüpfend daran folgen umfassende Betriebsstättengewinnermittlungs- sowie Anzeige- und Dokumentationspflichten. Selbst in reinen Inlandsfällen hätte die Annahme einer Betriebsstätte steuerliche Auswirkungen. Unternehmen mit einer Betriebsstätte in Deutschland sind verpflichtet, sich in Deutschland steuerlich zu registrieren und unterliegen der Einkommen- oder Körperschaftsteuer sowie regelmäßig der Gewerbesteuer. Darüber hinaus sind sie zum Lohnsteuerabzug für ihre im Inland beschäftigten Mitarbeiter verpflichtet.

Zur Homeoffice-Betriebsstätte äußerte sich bislang der OECD-Musterkommentar, der den Betriebsstättenbegriff weiter auslegt und etwa bei einer Vereinbarung zur dauerhaften Heimarbeit eine Betriebsstätte des Arbeitgebers begründet. Der OECD-Musterkommentar ist jedoch für die deutsche Finanzverwaltung und -gerichtsbarkeit nicht bindend und stellt vielmehr eine bloße "Auslegungshilfe" dar. Mit den am 20. Februar 2024 veröffentlichten Anpassungen des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) bezieht die Finanzverwaltung selbst nun erstmals Stellung (AEAO zu § 12 Nr. 4): Danach begründet die Tätigkeit eines Arbeitnehmers in dessen häuslichem Homeoffice im Regelfall keine Betriebsstätte.

Hinter der klaren Positionierung der Finanzverwaltung steht der Gedanke, dass der Arbeitgeber typischerweise nicht über eine ausreichende Verfügungsmacht über die häuslichen Räumlichkeiten des Arbeitnehmers verfügt (etwa aufgrund von Eigentum oder Miete). Aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) lässt sich entnehmen, dass lediglich bei einer dauerhaften Nutzungsbefugnis des Arbeitgebers eine Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten des Arbeitnehmers und damit eine Betriebsstätte angenommen werden kann.

Die Grundsätze der Finanzverwaltung gelten selbst dann, wenn der Arbeitgeber die Kosten für das Homeoffice und dessen Ausstattung übernimmt oder der Arbeitgeber als Mieter mit dem Arbeitnehmer als Vermieter einen Mietvertrag über Räume in den Häuslichkeiten des Arbeitnehmers abschließt. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen besteht, sofern der Arbeitgeber befugt ist, die Räumlichkeiten über das Homeoffice seines die Räume bereitstellenden Arbeitnehmers hinaus anderweitig zu nutzen. Eine Betriebsstätte wird auch dann nicht begründet, sofern dem Arbeitnehmer kein anderer Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird.

Die Aussagen der Finanzverwaltung beziehen sich ausdrücklich auf einfache Arbeitnehmer. Für Arbeitnehmer mit Leitungsfunktion trifft die Finanzverwaltung hingegen keine Aussage. Daher trifft etwa im Inland tätige, leitende Angestellte ausländischer Unternehmen (Inbound-Fall) das Risiko, dass die Finanzverwaltung eine Geschäftsleitungsleitungsbetriebsstätte annimmt (§ 12 S. 2 Nr. 1 i.V.m. § 10 AO). In diesem Zusammenhang empfehlen wir, den tatsächlichen Ausübungsort zu dokumentieren, an dem die leitenden Angestellten ihrer Arbeit nachgehen. Damit kann nachgewiesen werden, dass das Tagesgeschäft nicht in Deutschland ausgeübt wird. Darüber hinaus könnte die Finanzverwaltung eine reguläre Betriebsstätte gemäß § 12 S. 1 AO annehmen, indem sie eine Verfügungsmacht des Arbeitgebers bejaht. Insoweit sollte mit entsprechender Vertragsgestaltung ein Recht zum Betreten durch den Arbeitgeber ausgeschlossen werden.

Die klare Positionierung der Finanzverwaltung zur Homeoffice-Betriebsstätte, ist insbesondere für ausländische Unternehmen mit dem Einsatz einfacher Angestellter in Deutschland (Inbound-Fall) begrüßenswert.

Jedoch bleiben die steuerlichen Risiken für inländische Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter aus dem ausländischen Homeoffice heraus tätig werden lassen (Outbound-Fall), überwiegend bestehen. Denn die im ausländischen Homeoffice erbrachten Tätigkeiten sind nach lokalem sowie gegebenenfalls DBA-Recht eigenständig zu beurteilen. Daher kann es zu einem Qualifikationskonflikt kommen, soweit der ausländische Staat den weiteren Betriebsstättenbegriff des OECD-Musterkommentars zugrunde legt, eine Homeoffice-Betriebsstätte bejaht und Deutschland das Vorliegen einer Betriebsstätte ablehnt. Bei Bejahung einer ausländischen Betriebsstätte besteht ein erhöhter Compliance-Aufwand sowie die Gefahr der Doppelbesteuerung: Der ausländische Staat besteuert den Gewinn der Homeoffice-Betriebsstätte, Deutschland sieht mangels Betriebsstätteneigenschaft keine Freistellung vor. Betroffenen Unternehmen empfehlen wir, sich vor Tätigkeitsaufnahme in beiden Staaten über die steuerlichen Folgen des Homeoffice zu informieren.

Darüber hinaus besteht weiterhin Rechtsunsicherheit für leitende Angestellte, eine Geschäftsleitungs- oder, bei entsprechender Verfügungsmacht des Arbeitgebers, eine reguläre Betriebsstätte im Inland zu begründen. Hier wäre eine Aussage der Finanzverwaltung hilfreich gewesen, sodass abzuwarten bleibt, wie sich die Rechtsprechung zu den Kriterien der Verfügungsmacht entwickeln wird.

Markus P. Linnartz
Jakob Gerstung

Regen Regen Regen

Beiten Burkhardt // BLOG - Di, 04.06.2024 - 13:00

Mein Wochenende habe ich zum Teil im Keller verbracht, Wasser rauspumpen, vollgesaugte Kartons entsorgen, Gegenstände trocknen… Das Hochwasser ist in einigen Regionen Deutschlands dramatisch. Menschen kämpfen um ihr Leben und ihre Existenz. Unser Keller in München wurde dabei nur im geringen Umfang vom Wasser überflutet. Bei meiner sonntäglichen Kellerarbeit habe ich mir dennoch Gedanken gemacht, was arbeitsrechtlich im Zusammenhang mit Naturkatastrophen zu beachten ist.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Naturkatastrophen und deren Auswirkungen sind in Standard-Arbeitsverträgen (noch) nicht geregelt. Es wird deshalb auf die allgemeinen (gesetzlichen) Regelungen zurückgegriffen. Dieser Blog zeigt ein paar Grundsätze von Naturkatastrophen wie z.B. Hochwasser auf, die Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben.

Schutz von Besitz und Eigentum der Arbeitnehmer

Arbeitnehmer, die von einer Naturkatastrophe persönlich betroffen sind, möchten / müssen ihren Besitz und ihr Eigentum schützen. Das ist – wie in meinem Fall – unproblematisch, wenn die Schutz- oder Aufräumarbeiten an einem Sonntag, jedenfalls außerhalb der Arbeitszeit erfolgen können. Wenn Tätigkeiten zum Schutz von Besitz und Eigentum oder Leib und Leben im Zusammenhang mit einer Naturkatastrophe und deren Folgen während der Arbeitszeit stattfinden sollen / müssen, stellt sich die Frage, ob eine Freistellungs- und Vergütungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber besteht. 

In § 616 BGB ist die vorübergehende Verhinderung geregelt. Wie bei Arztbesuchen ist ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht nur möglich, wenn der Arztbesuch nicht auch außerhalb der Arbeitszeit stattfinden kann. Bei Naturkatastrophen und deren Folgen bedeutet dieser Grundsatz: Vorbereitende Maßnahmen, beispielsweise das Füllen von Sandsäcken oder die Verlagerung von Gegenständen aus dem Keller in den zweiten Stock bei Ankündigung von stärkeren Regenfällen in den nächsten Tagen und einem möglichen Hochwasser ist nicht ganz so zeitkritisch und kann außerhalb der Arbeitszeit erfolgen. Maßnahmen zur Bekämpfung eines Hochwassers, wenn beispielsweise der Damm gebrochen ist, zum Schutz von Besitz und Eigentum kann häufig nicht warten. Dann wäre eine Freistellung von der Arbeitspflicht zulässig. 
Es gilt der Grundsatz „Kein Lohn ohne Arbeit“. Dies bedeutet, dass ein Vergütungsanspruch nur dann besteht, wenn auch die Arbeitsleistung erbracht wird. § 616 BGB ist bei vorübergehender Verhinderung eine Ausnahme und der Vergütungsanspruch bleibt bestehen, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit – Bei Naturkatastrophen und deren Folgen ist das allenfalls wenige Tage.
  • Aufgrund eines persönlichen Grundes – Naturkatastrophen betreffen nicht nur eine einzelne Person, sondern viele Personen oder ganze Regionen. Ein persönlicher Grund liegt deshalb beispielsweise nicht vor, wenn die allgemeine Infrastruktur betroffen ist, Züge nicht mehr fahren, Autobahnen gesperrt sind, etc. Es wird jedoch angenommen, dass die Folgen einer Naturkatastrophe am Besitz und Eigentum des Arbeitnehmers einen persönlichen Grund darstellen.
  • Verhinderung ohne Verschulden – Bei Naturkatastrophen trifft den Arbeitnehmer regelmäßig kein Verschulden.

Damit besteht in Eilfällen und für einen kurzen Zeitraum bei Naturkatastrophen und deren Folgen eine vorübergehende Verhinderung und damit ein Freistellungs- und Vergütungsanspruch.

Freiwillige Mitarbeiter in einer Organisation

Bei Katastrophen (wie Hochwasser, Schneemassen, Sturm, Erdbeben, etc.) sind zahlreiche Organisationen zum Katastrophenschutz im Einsatz. Beispielsweise das THW, das Deutsche Rote Kreuz, das DLRG oder die Freiwillige Feuerwehr. In diesen Organisationen sind einerseits Arbeitnehmer, im großen Umfang andererseits aber auch freiwillige Helfer / Mitarbeiter tätig. Bei diesen freiwilligen oder ehrenamtlichen Helfern handelt es sich nicht um Arbeitnehmer der jeweiligen Organisationen. Der Einsatz und die Folgen dieser freiwilligen / ehrenamtlichen Helfer sind üblicherweise in Ländergesetzen geregelt. Grundsätzlich gilt, dass im Falle von Katastrophen ein Freistellungsanspruch der ehrenamtlichen / freiwilligen Helfer gegenüber ihrem Hauptarbeitgeber für die Dauer des Einsatzes besteht. Dieser Freistellungsanspruch ergibt sich aus den Feuerwehrgesetzen für Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, für Personen beim THW nach dem THW-Helferrechtsgesetz und für sonstige Organisationen nach Katastrophenschutzgesetzen. In der Regel folgt aus diesen Gesetzen auch ein Vergütungsanspruch gegen den Hauptarbeitgeber. Der Hauptarbeitgeber kann sich die Vergütungsansprüche bei der Organisation üblicherweise erstatten lassen.

Das Wegerisiko trägt der Arbeitnehmer

Arbeitnehmer tragen das sog. „Wegerisiko“. Arbeitnehmer haben dafür zu sorgen, dass sie rechtzeitig zu Arbeitsbeginn am Arbeitsort eintreffen und zur Arbeitsleistung zur Verfügung stehen. Der Arbeitgeber ist nicht verantwortlich für das Wetter, Staus oder Einschränkungen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Arbeitnehmer müssen mögliche und zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Verspätung am Arbeitsplatz zu vermeiden. Dies gilt insbesondere dann, wenn es absehbar ist, dass es zu Behinderungen und / oder Verzögerungen auf dem Arbeitsweg kommen kann. Bei einem plötzlich auftretenden Stau wegen eines Unfalls oder bei einem unerwarteten Schaden am Zug kann keine oder kaum Vorsorge des einzelnen Arbeitnehmers getroffen werden. Streiks bei Bus und Bahn sowie den Arbeitsweg beeinträchtigendes Wetter, wie Schneefälle, Eisglätte oder Hochwasser ist oft mehrere Tage, jedenfalls am Vortag bekannt. Auch beim jetzigen Hochwasser wurde Tage vorher von erheblichen Einschränkungen berichtet. Arbeitnehmern ist in diesem Zusammenhang zuzumuten – und dazu sind sie auch rechtlich verpflichtet – morgens früher loszufahren, um die wahrscheinlichen Behinderungen im Straßenverkehr zeitlich auszugleichen. Zumutbar ist sicher auch der Umstieg von den öffentlichen Verkehrsmitteln auf das Auto und umgekehrt.

Passen Sie auf sich auf.

Mit herzlichen (arbeitsrechtlichen) Grüßen aus München 
Ihr Dr. Erik Schmid

Dieser Blog ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Erik Schmid im Rehm-Verlag (www.rehm-verlag.de) erschienen.

Реформа российского законодательства о банкротстве

Beiten Burkhardt // BLOG - Di, 04.06.2024 - 13:00

29 мая 2024 года вступили в законную силу следующие ключевые изменения в Федеральный закон "О несостоятельности (банкротстве)" (далее – "Закон о банкротстве") и в Арбитражный процессуальный кодекс Российской Федерации (далее – "АПК РФ"):

Увеличен порог для возбуждения банкротства

Ранее минимальный размер денежных требований кредитора, необходимый для инициирования процедуры банкротства в отношении должника - юридического лица, составлял 300 тысяч рублей.

В новой редакции Закона о банкротстве повышено минимальное пороговое значение до 2 миллионов рублей.

Письменное судопроизводство вместо устного слушания по отдельным вопросам

Новая редакция Закона о банкротстве отменяет обязанность суда по проведению судебного разбирательства с вызовом сторон при рассмотрении:

  • заявлений кредиторов о включении требований в реестр;
  • ходатайств о продлении процедуры внешнего управления и конкурсного производства;
  • ходатайств об истребовании документации и ценностей должника;
  • заявлений о распределении судебных расходов и расходов на выплату вознаграждения арбитражным управляющим.

Указанные вопросы разрешаются судьей единолично без проведения судебного заседания. В исключительных случаях арбитражный суд по собственной инициативе или по ходатайству стороны, может назначить судебное заседание с вызовом сторон.

Порядок оспаривания решения, на котором основано требование кредитора к должнику

Если требование конкурсного кредитора, заявленное ко включению в реестр, основано на вступившем в силу решении суда или определении о принудительном исполнении решения третейского суда, то арбитражный управляющий или иные кредиторы вправе обратиться в арбитражный суд с требованием об отмене данного судебного акта по правилам пересмотра по вновь открывшимся обстоятельствам.

Ранее в п. 24 Постановления Пленума ВАС РФ от 22 июня 2012 г. № 35 "О некоторых процессуальных вопросах, связанных с рассмотрением дел о банкротстве", п. 17 Обзора судебной практики Верховного Суда РФ № 2 (2018), утвержденного 4 июля 2018 года, было установлено схожее право лиц, участвующих в деле о банкротстве. Однако был предусмотрен механизм подачи апелляционной жалобы, а не заявления о пересмотре по вновь открывшимся обстоятельствам.

Порядок и сроки обжалования определений

Ранее Законом о банкротстве и АПК РФ были установлены различные сроки для обжалования отдельных видов определений арбитражного суда в процедуре банкротства: 10 дней, 14 дней, 1 месяц.

Действующей редакцией Закона о банкротстве устанавливается единый месячный срок для обжалования определений в суд апелляционной инстанции.

Также установлена возможность кассационного обжалования постановлений арбитражных судов апелляционной инстанции в месячный срок со дня их вступления в законную силу. Исключение составляют следующие постановления судов апелляционной инстанции, которые являются окончательными и не подлежат обжалованию в кассационном порядке:

  • о назначении экспертизы или об отказе в ее назначении;
  • об обязании внести на депозитный счет суда денежные средства в размере, достаточном для погашения расходов по делу о банкротстве;
  • о перечислении денежных средств с депозитного счета суда.

С уважением,

Александр Безбородов
Наталья Богданова
Артем Николаев

В России вводится механизм лишения США, их граждан и юридических лиц прав на имущество

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 03.06.2024 - 13:00

23 мая 2024 года вступил в силу Указ Президента РФ № 4421 ;("Указ"), которым устанавливается концепция лишения США и связанных с ними лиц, то есть американских граждан и юридических лиц прав на имущество в России.

На основании Указа США и американские лица не могут быть лишены имущества, Указ задает лишь вектор и основные черты будущего нормативного регулирования, разработкой которого займется Правительство РФ. На это Правительству предоставлено 4 месяца.

Рассмотрим ключевые элементы концепции лишения имущества, предложенной Президентом РФ, подробнее.

Суть концепции

Первый элемент концепции – это так называемый "ущерб". В Указе дано определение данного термина: под ним предлагается понимать "ущерб", причиненный (1) Российской Федерации или (2) Центральному Банку Российской Федерации в связи с решениями государственных или судебных органов США (по какой-то причине судебные органы выделены отдельно от государственных. – прим.). Из буквального толкования п. 1 Указа можно сделать вывод, что решения указанных американских органов должны приводить к "необоснованному лишению российских правообладателей (то есть России и ЦБ РФ – прим.) прав на имущество".

Следует обратить внимание на использованный термин "ущерб". Согласно п. 2 ст. 15 Гражданского код��кса Российской Федерации ("ГК РФ") (реальный) ущерб представляет собой один из элементов убытков, наряду с упущенной выгодой. Под ущербом в п. 2 ст. 15 ГК РФ понимаются расходы, которые лицо, чье право нарушено, произвело или должно будет произвести для восстановления нарушенного права, утрата или повреждение его имущества.

Таким образом, можно предположить, что внедряемая концепция на упущенную выгоду от так называемого "необоснованного" лишения России и ЦБ РФ имущества распространяться не будет.

Судебная стадия

Указом предполагается, что Россия или ЦБ РФ, в соответствии с правилами подсудности, которые установлены российским
законодательством, будут вправе обратиться с заявлением в суд:

  • об установлении "факта необоснованного лишения" их прав на имущество, а также
  • о компенсации ущерба.

Расчет ущерба истцу необходимо будет предоставить в заявлении в суд.

Приняв к рассмотрению такое заявление суд, как предполагается в Указе, должен оценить представленные истцом сведения и сделать "обоснованное предположение об отсутствии достаточных оснований" для лишения истца прав на имущество. То есть, суду будет достаточно сделать лишь "предположение" о том, что достаточных оснований, для лишения России или ЦБ РФ имущества у государственных (и судебных) органов США не было.

Сделав указанное "предположение" суд направляет в российскую Правительственную комиссию по контролю за осуществлением иностранных инвестиций ("Правительственная комиссия") запрос об имуществе США и связанных лиц, которое может быть использовано для так называемой "компенсации ущерба".

Получив ответ, суд либо принимает решение об установлении факта необоснованного лишения России или ЦБ РФ прав на имущество и о компенсации ущерба, либо об отказе в удовлетворении заявления.

Американское имущество

В ответ на запрос суда Правительственная комиссия должна будетпредоставить список американского имущества, в который по субъектному составу может быть включено следующее:

  • собственно имущество США;
  • имущество лиц, связанных с США.

Категория "лиц, связанных с США" достаточно широкая. Сюда включены:

  • юридические лица с местом регистрации в США;
  • граждане США;
  • резиденты США;
  • лица, зарегистрированные в США;
  • лица, чье место преимущественного ведения хозяйственной деятельности или место преимущественного извлечения прибыли от деятельности является США.

Также в Указе приведены категории имущества, которые включают следующее:

  • движимое и недвижимое имущество, находящееся в России;
  • ценные бумаги, доли в уставных (складочных) капиталах российских юридических лиц;
  • имущественные права.

Правовые последствия судебного решения В случае удовлетворения требований истца, правовым последствием принятого судом решения будет прекращение прав на имущество США или связанных с ними лиц. Затем права на данное имущество будут переданы России или соответственно ЦБ РФ.

ADVANT Beiten оказывает комплексную юридическую поддержку по защите прав и законных интересов иностранных инвесторов в Российской Федерации, в том числе, в судебном и административном порядке.

С уважением,
Александр Безбородов
Илья Титов

1 Указ Президента РФ от 23.05.2024 №442 "О специальном порядке компенсации ущерба, причиненного Российской Федерации и Центральному банку Российской Федерации в связи с недружественными действиями Соединенных Штатов Америки".

Schweigsame Hinweisgeber? Auswirkungen des Hinweisgeberschutzgesetzes auf Vertraulichkeitsvereinbarungen

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 31.05.2024 - 13:00

Neben den viel beachteten Pflichten, insbesondere zur Einrichtung von Meldekanälen, finden sich im neuen Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) vor allem Rechte für die hinweisgebenden Personen (sog. Whistleblower). Sie haben nämlich nunmehr das ausdrückliche Recht, gewisse Rechtsverstöße zu melden. Dabei sollen sie sich zunächst an die internen Meldestellen halten (§ 7 Abs. 1 HinSchG), können sich aber auch direkt an externe Meldestellen wenden, die bei bestimmten Behörden eingerichtet wurden. Gemeldet werden dürfen insbesondere Verstöße, die straf- oder bußgeldbewehrt sind, wobei die bußgeldbewehrten Verstöße wiederum dahingehend eingeschränkt werden, dass nur solche betroffen sind, die dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dienen. Hinzu kommt ein langer Katalog an Verstößen gegen allerlei Spezialgesetze, die in § 2 HinSchG aufgeführt sind.

Dieses Recht, entsprechende Verstöße zu melden, wird unter anderem durch § 39 HinSchG abgesichert. Die Norm regelt: „Vereinbarungen, die die nach diesem Gesetz bestehenden Rechte hinweisgebender Personen oder sonst nach diesem Gesetz geschützter Personen einschränken, sind unwirksam.“

Vereinbarungen, die geeignet sind, das Melden von Verstößen zu verbieten, sind typischerweise Geheimhaltungs- oder Verschwiegenheitsvereinbarungen, auch als Non-Disclosure-Agreements (NDA) bekannt. Sie werden häufig in Arbeitsverträgen, tariflichen oder auch betrieblichen Vereinbarungen zu finden sein. Sie sind aber auch oft in Verträgen mit anderen Unternehmen oder Personen enthalten, die nicht im Arbeitsverhältnis mit demjenigen stehen, dem die Verschwiegenheit zugutekommen soll. Das HinSchG schützt aber nicht nur die Beschäftigten eines Unternehmens, sondern auch diejenigen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangen können (vgl. § 1 Abs. 1 HinSchG). Der Schutzbereich ist also sehr weit gefasst, so dass zunächst alle Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitsvereinbarungen betroffen sein dürften.

Derartige Vereinbarungen gebieten typischerweise, während oder im Vorfeld eines Vertragsverhältnisses erlangte Informationen nur für die vorgesehenen Zwecke zu verwenden, oder untersagen es generell, diese Informationen mit Dritten zu teilen. Es kommt dabei natürlich auf die genaue Gestaltung der Vereinbarung an. Wenn diese etwa Meldungen an interne Stellen nach ihrer Formulierung zulässt, ist das Recht der internen Meldung eines Verstoßes nicht betroffen; externe Meldungen dürften aber jedenfalls betroffen sein. Die allgemeine Beschränkung der Weitergabe von Informationen, also auch intern, beschneidet daher zwangsläufig das Recht aus dem HinSchG, während des Vertragsverhältnisses wahrgenommene Verstöße zu melden. Wenn eine solche Vereinbarung nämlich pauschal verbietet, sich gegenüber anderen über interne Sachverhalte zu äußern, so bleibt von dem Recht, Hinweise über Rechtsverstöße zu geben, nichts mehr übrig.

Zwar stellt § 6 Abs. 2 HinSchG klar, dass Informationen, die einer vertraglichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, unter den Voraussetzungen des HinSchG trotzdem an die zuständige Stelle weitergegeben oder offengelegt werden dürfen. Darüber hinaus kann aber § 39 HinSchG auch die ganze Vertraulichkeitsvereinbarung beseitigen.

Vertraulichkeitsvereinbarungen, welche die Rechte aus dem neuen HinSchG nämlich nicht berücksichtigen, sind gemäß § 39 HinSchG unwirksam und damit nichtig (§ 134 BGB). Dabei wird in den meisten Fällen auch kein Raum für Umdeutungen oder erweiterte Vertragsauslegungen bleiben, um einen Restgehalt der Vereinbarung zu retten. Denn Vertraulichkeitsvereinbarungen sind regelmäßig für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert (§ 305 Abs. 1 BGB). Daher unterliegen sie der AGB-Kontrolle, womit eine geltungserhaltende Reduktion der Vertraulichkeitsvereinbarungen ausscheidet (§ 306 Abs. 2 BGB). Sie können also nicht einfach mit der Maßgabe weiterbestehen, dass der zur Verschwiegenheit Verpflichtete alles, was nach dem HinSchG erlaubt ist, weitersagen darf, über alles andere aber Stillschweigen bewahren muss. Es besteht vielmehr aufgrund des neuen HinSchG das Risiko, dass Vertraulichkeitsvereinbarungen, die den Schutz der hinweisgebenden Person nicht berücksichtigen, insgesamt nichtig sind. Dies hat wiederum zur Folge, dass derjenige, der im Rahmen einer solchen Vereinbarung versprochen hat, Verschwiegenheit zu bewahren, an diese nicht mehr gebunden ist und theoretisch Informationen frei preisgeben kann, sofern dies nicht von anderen Normen (etwa § 4 Geschäftsgeheimnisgesetz oder § 201 StGB) untersagt ist.

Auswirkungen auf bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes abgeschlossene Verträge scheinen nicht gegeben zu sein. Da eine Rückwirkung im Gesetz nicht ausdrücklich angeordnet ist, kann schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht davon ausgegangen werden, dass eine Rückwirkung auf ältere Verträge durch den Gesetzgeber gewollt ist, womit diese nicht betroffen sein dürften. Für zukünftige Vertraulichkeitsvereinbarungen, bzw. Templates oder Muster, auf denen diese basieren, sollte jedoch geprüft werden, ob sie die Rechte aus dem HinSchG ausreichend berücksichtigen, d.h. die Anforderungen des § 6 HinSchG widerspiegeln. Wir gehen derzeit davon aus, dass diese durch geringfügige Anpassungen der Drohkulisse des § 39 HinSchG und der damit einhergehenden Unwirksamkeit der gesamten Vertraulichkeitsvereinbarung entkommen können.

Fabian Eckstein

Споры о банкротстве: обзор практикиВерховного Суда за 2023 год

Beiten Burkhardt // BLOG - Mi, 29.05.2024 - 13:00

15 мая 2024 года Верховный Суд РФ утвердил Обзор судебной практики разрешения споров о банкротстве за 2023 г. (далее –
"Обзор") 1.

Обзор включает в себя позиции о привлечении контролирующих должника лиц к субсидиарной ответственности, разъяснения, касающиеся оспаривания сделок должника и иных вопросов, возникающих при применении положений Федерального закона от 26 октября 2002 г. №127-ФЗ "О несостоятельности (банкротстве)" (далее – "Закон о банкротстве").

Обращаем Ваше внимание на следующие разъяснения.

Субсидиарная ответственность
Если компания уже исключена из Единого государственного реестра юридических лиц, то при рассмотрении заявления кредитора о привлечении контролирующих лиц к субсидиарной ответственности суд обязан оценить возможность кредитора получить сведения о хозяйственной деятельности должника (п. 8 Обзора).

Ситуация: должник ликвидирован, о чем внесена соответствующая запись в ЕГРЮЛ. После этого кредитор обращается в суд с заявлением о привлечении контролирующих должника лиц к субсидиарной ответственности. Нижестоящие суды отказали кредитору в удовлетворении заявления, поскольку кредитор не предоставил доказательств, обосновывающих наличие оснований для субсидиарной ответственности.

Позиция Верховного Суда РФ: нижестоящим судам следовало занять более активную позицию и рассмотреть вопрос о возложении бремени доказывания на ответчика вместо истца ввиду следующего:
- у кредитора имеется объективная невозможность представить документы о хозяйственной деятельности должника;
- ответчик не предоставил отзыв на заявление о привлечении к субсидиарной ответственности;
- ответчик не раскрыл доказательства, отражающие реальное положение дел и оборот в подконтрольном ему обществе.

Таким образом, исключение компании из ЕГРЮЛ само по себе не препятствует кредиторам привлекать контролирующих лиц компаниибанкрота к субсидиарной ответственности. Более того, суд вправе возложить бремя доказывания добросовестного поведения на самих ответчиков, поскольку после ликвидации компании у кредиторов нет возможности истребовать документы о деятельности компании у конкурсного управляющего.

Контролирующее должника лицо, действия которого привели к банкротству компании, может быть привлечено к субсидиарной ответственности при совокупности фактов: (1) привлечение должника к налоговой ответственности в результате действий ответчика и (2) доначисление сумм налога на сумму более 50% размера требований кредиторов третьей очереди (п. 7 Обзора).

Ситуация: конкурсный управляющий обратился с заявлением о привлечении к субсидиарной ответственности бывшего директора должника и бывшего ликвидатора. Управляющий ссылался на то, что из-за действий директора должник был привлечен к ответственности за совершение налогового правонарушения. Нижестоящие суды пришли к выводу о наличии оснований для привлечения бывшего директора к субсидиарной ответственности.

Позиция Верховного Суда РФ: для привлечения ответчика к субсидиарной ответственности необходимо доказать наличие именно совокупности двух обстоятельств:
- привлечение к налоговой ответственности за неуплату или неполную уплату сумм налога в результате занижения налоговой базы или иных неправомерных действий;
- доначисленные суммы налогов составили более 50% совокупного размера основной задолженности перед реестровыми кредиторами третьей очереди.

Таким образом, Верховный Суд РФ обратил внимание на количественный критерий, поскольку небольшой размер задолженности по налогам, по общему правилу, не является основанием для субсидиарной ответственности. Указанная позиция ранее была изложена в Постановлении Пленума Верховного Суда РФ от 21 декабря 2017 г. № 53 "О некоторых вопросах, связанных с привлечением контролирующих должника лиц к ответственности при банкротстве" (п. 26), но не была учтена нижестоящими судами.

Оспаривание сделок должника
Действия по сальдированию договорной неустойки, начисленной заказчиком за просрочку выполнения работ подрядчиком, к стоимости выполненных подрядчиком работ не могут быть квалифицированы в качестве недействительной сделки, направленной на оказание предпочтения заказчику перед иными кредиторами подрядчика (п. 4 Обзора).

Ситуация: заказчик сальдировал свои требования к подрядчику (банкроту), а именно требование о компенсации неустойки за просрочку выполнения работ против встречного требования подрядчика к заказчику о выплате стоимости выполненных работ.

Конкурсный управляющий подрядчика обратился с заявлением об оспаривании сделки, поскольку квалифицировал действия заказчика в качестве зачета, который влечет оказание предпочтения заказчику перед остальными кредиторами подрядчика.

Суды поддержали требование управляющего, указав, что до зачета права требования подрядчика к заказчику были переданы в залог банку. В результате зачета были нарушены права залогового кредитора, а заказчик получил предпочтительное удовлетворение своих требований.

Позиция Верховного Суда РФ: сальдирование неустойки в качестве механизма компенсации потерь заказчика (кредитора), вызванных ненадлежащим исполнением подрядчиком (должником) основного обязательства, не является основанием для признания сальдирования в качестве недействительной сделки с предпочтением.

Если сумма договорной неустойки, подлежащей учету при сальдировании, явно несоразмерна последствиям допущенного нарушения основного обязательства, то права и законные интересы банкрота и его кредиторов подлежат защите посредством применения ст. 333 ГК РФ о снижении неустойки.

При сальдировании недопустимо нарушение ст. 319 ГК РФ, т.е. действия заказчика по установлению сальдо не могут быть направлены на погашение требования заказчика по неустойке до погашения его же требования о возмещении должником реального ущерба. Сказанное подлежит проверке судом при рассмотрении вопроса о включении требований заказчика в реестр требований кредиторов подрядчика.

Таким образом, Верховный Суд РФ вновь поддержал допустимость сальдирования встречных однородных требований сторон из одного договора, указав, что такие действия не являются сделкой с предпочтением перед другими кредиторами.

Александр Безбородов
Наталья Богданова
Артём Николаев

1 https://vsrf.ru/documents/thematics/33548/

Zur Verletzung des Teilnahmerechts von Aktionären

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 27.05.2024 - 13:00

OLG Schleswig, Urteil vom 07.02.2024 – 9 U 41/23

Das Recht der Aktionäre auf Teilnahme an der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft stellt ein grundlegendes Mitgliedschaftsrecht dar und ist grundsätzlich unbeschränkbar. Eine Einschränkung ist nur zulässig, soweit diese erforderlich ist, um den ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptversammlung sicherzustellen.

Hintergrund

Aktionäre müssen ihr Teilnahmerecht nicht persönlich wahrnehmen, sondern können sich auf der Hauptversammlung auch vertreten lassen. Das OLG Schleswig hatte sich in seiner Entscheidung mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen dem Vertreter eines Aktionärs die Teilnahme an der Hauptversammlung verweigert werden kann. Insbesondere hatte es darüber zu entscheiden, ob die Teilnahme des Vertreters von der Vorlage einer Vollmacht abhängig gemacht werden darf.

Sachverhalt

In dem vom OLG Schleswig entschiedenen Fall stritten die Beklagte, eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, und die Klägerin, die Aktionärin der Beklagten im Umfang von 10 % des Grundkapitals ist, um die Wirksamkeit verschiedener Hauptversammlungsbeschlüsse, die in Abwesenheit eines Vertreters der Klägerin gefasst wurden.

Die Beklagte hatte zu dieser Hauptversammlung unter Beifügung der Tagesordnung eingeladen. Am Tag der Hauptversammlung erschien Rechtsanwalt B, der als Vertreter der Klägerin an der Hauptversammlung teilnehmen wollte, kurz vor Beginn der Versammlung an der Eingangstür zu den Geschäftsräumen der Beklagten, in denen die Hauptversammlung stattfinden sollte.

Besondere Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung sah die Satzung der Beklagten nicht vor, insbesondere wurde darin kein schriftlicher Nachweis der Bevollmächtigung gefordert wird. Vielmehr stellte die Satzung lediglich Anforderungen an die Personen, die Vertreter von Aktionären sein können. Hiernach kamen insbesondere Rechtsanwälte in Betracht. Ob Rechtsanwalt B eine schriftliche Vollmacht bei sich hatte, war zwischen den Parteien streitig.

Das Vorstandsmitglied P der Beklagten verweigerte B den Zutritt zu den Geschäftsräumen. An der Hauptversammlung nahm sodann entsprechend weder die Klägerin selbst noch ein Vertreter für sie teil.

Rechtsanwalt B hatte die Klägerin indes schon in der vorangegangenen Hauptversammlung vertreten. Die beklagte Aktiengesellschaft behauptete in diesem Zusammenhang, Rechtsanwalt B habe sich bei dieser Hauptversammlung „ungebührlich verhalten“, insbesondere habe er mehrfach zu schreien begonnen und sich auch nicht durch den Versammlungsleiter beruhigen lassen.

Das Landgericht gab der Anfechtungsklage statt und erklärte die angefochtenen Beschlüsse für nichtig. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein.

Entscheidung des OLG Schleswig

Das OLG Schleswig hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Zur Begründung führte es aus, dass das Teilnahmerecht der Klägerin verletzt worden sei, indem ihr Vertreter zu der Hauptversammlung zu Unrecht nicht zugelassen worden sei.

Die Satzung der Beklagten mache die Teilnahme an der Hauptversammlung weder von einer Anmeldung abhängig noch bestimme sie, wie die Berechtigung zur Teilnahme an der Versammlung oder zur Ausübung des Stimmrechts nachzuweisen sei. In der Satzung heiße es lediglich, dass zur Teilnahme und Abstimmung alle am Tag der Hauptversammlung im Aktienbuch eingetragenen Aktionäre der Gesellschaft oder deren bevollmächtigte Vertreter berechtigt seien. Rechtsanwalt B sei deshalb nicht verpflichtet gewesen, durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht seine Berechtigung zur Teilnahme an der Versammlung nachzuweisen. Zweifel an seiner Identität als anwaltlicher Bevollmächtigter der Klägerin hätten nicht bestanden, zumal das Vorstandsmitglied P Rechtsanwalt B aus der vorangegangenen Hauptversammlung als Vertreter der Klägerin gekannt habe. Es sei daher unerheblich, ob B eine schriftliche Vollmacht dabeihatte oder nicht. Das Teilnahmerecht sei der Regelfall des § 118 Abs. 1 AktG und bestehe ohne Rücksicht auf das Stimmrecht. Lediglich für die Stimmrechtsausübung hätte B gemäß § 134 Abs. 3 S. 1 u. 3 AktG eine Vollmacht in Textform benötigt.

Das OLG führte weiter aus, dass auch sonst kein Grund vorgelegen habe, der die Zutrittsverweigerung hätte rechtfertigen können. Sofern die Beklagte hierfür das von ihr behauptete „ungebührliche Verhalten“ des Rechtsanwalts B in der vorangegangenen Hauptversammlung anführe, stelle das geschilderte rein verbale Verhalten („schreien“), sofern es zutreffen sollte, keinen ausreichenden Grund dar, um das grundlegende Mitgliedschaftsrecht eines Aktionärs auf Teilnahme und Abstimmung in der Hauptversammlung zu beschränken. Zum einen habe von dem vorangegangenen Verhalten nicht zwingend auf eine Wiederholung in der anstehenden Hauptversammlung geschlossen werden können. Zum anderen sei eine Hauptversammlung keine „Wohlfühlveranstaltung“, es könne auch mal „laut werden“, sofern die Grenzen des Strafrechts nicht überschritten würden.

Die Verletzung des Teilnahmerechts der Klägerin als Aktionärin begründe einen selbstständigen und stets relevanten Anfechtungsgrund im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG. Das Landgericht habe daher zu Recht der Anfechtungsklage stattgegeben und die angegriffenen Hauptversammlungsbeschlüsse für nichtig erklärt.

Anmerkungen und Praxistipp

Die Entscheidung des OLG Schleswig verdeutlicht, dass das Recht von Aktionären, an der Hauptversammlung teilzunehmen oder sich auf dieser vertreten zu lassen, nur unter strengen Voraussetzungen eingeschränkt werden kann. Die Teilnahme kann nur dann von einer vorherigen Anmeldung oder einem besonderen Nachweis der Berechtigung zur Teilnahme abhängig gemacht werden, wenn die Satzung entsprechende Regelungen enthält. Das gilt auch hinsichtlich der Teilnahme von Vertretern von Aktionären.

Störungen von Aktionären oder Aktionärsvertretern können einen Ausschluss von der Teilnahme nur dann rechtfertigen, soweit dieser zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptversammlung erforderlich ist. Dass ein Aktionär oder sein Vertreter in der Hauptversammlung in der Vergangenheit laut wurde, genügt für eine Zutrittsverweigerung – wie das OLG zutreffend festgestellt hat – regelmäßig noch nicht. Denn der Versammlungsleiter hat im Falle einer tatsächlichen Störung der Hauptversammlung zunächst mildere Mittel zu ergreifen. Hierzu gehört insbesondere der Entzug des Rederechts nach vorheriger Androhung. Erst wenn der Wortentzug fruchtlos bleibt, kann der Versammlungsleiter sich des äußersten Mittels bedienen und den Störer von der weiteren Teilnahme ausschließen. Auch die Ausschließung ist zunächst anzudrohen.

Die unberechtigte Nichtzulassung eines Aktionärs führt zur Anfechtbarkeit sämtlicher Beschlüsse, die auf der Hauptversammlung gefasst werden. Um die Wirksamkeit der gefassten Beschlüsse nicht zu gefährden, sollte von dem Mittel des Ausschlusses von Aktionären während der Versammlung nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht werden. Versammlungsleiter müssen gegen Störer abgestuft vorgehen und diesen insbesondere zunächst das Rederecht entziehen. Ein Ausschluss kommt erst dann in Betracht, wenn keine der vorherigen Maßnahmen ausgereicht hat, um den ordnungsgemäßen Fortgang der Hauptversammlung zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund dürfte es (mit Ausnahme von aufgrund in der Satzung festgelegten Formalkriterien, etwa zum Nachweis der Bevollmächtigung bei Vertretung eines Aktionärs) schließlich nur in besonders gelagerten Extremfällen zulässig sein, Aktionären oder deren Vertretern den Zutritt zur Versammlung bereits von vornherein zu verweigern.

Dr. Moritz Jenne
Simon Schuler

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

Bei Doppeltätigkeit muss der Makler umfassend informieren

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 27.05.2024 - 13:00

BGH, Urteil vom 21.03.2024 – I ZR 185/22

Umfassende Informationspflichten für Makler – wenn beim Verkauf einer Wohnung oder eines Einfamilienhauses an einen Verbraucher der Makler für beide Kaufvertragsparteien tätig wird.

Der Fall

Der klagende Makler verlangt vom beklagten Käufer einer Doppelhaushälfte die Zahlung des Maklerlohns. Der Kläger war als Makler sowohl für den Beklagten als auch für den Verkäufer tätig geworden. Nachdem der zwischen Verkäufer und Beklagtem vermittelte Kaufvertrag zu Stande gekommen war, verlangte der Kläger vom Beklagten die Zahlung der vereinbarten Provision. Der Beklagte verweigerte die Zahlung und forderte den Kläger zur Vorlage des mit dem Verkäufer geschlossenen Maklervertrages auf. Der Kläger versicherte, mit dem Verkäufer sei eine Provision in gleicher Höhe vereinbart worden, lehnte aber die Vorlage des entsprechenden Vertrages ab. Das erstinstanzlich befasste LG München I wies die Klage des Maklers als derzeit unbegründet ab. Auf die Berufung des Klägers hin verurteilte das OLG München den Beklagten zur Zahlung des Maklerlohns.

Die Folgen

Die Revision des Beklagten hatte Erfolg und führte zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der BGH war der Auffassung, der Kläger sei verpflichtet, den mit dem Verkäufer geschlossenen Maklervertrag vorzulegen. Im Anwendungsbereich des § 656 c BGB habe der Makler nur dann einen Anspruch auf Zahlung der Vergütung, wenn Käufer und Verkäufer in gleicher Höhe verpflichtet seien. Um dies zu prüfen, habe der Beklagte zunächst einen Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) bezüglich der Höhe des Provisionsanspruches. Ohne einen solchen Anspruch könne der verbraucherschützende Zweck des § 656 c BGB nicht effektiv gewährleistet werden. Darüber hinaus habe der Beklagte einen Anspruch auf Vorlage des mit dem Verkäufer geschlossenen Maklervertrages aus § 810 BGB. Aufgrund des in § 656 c BGB niedergelegten Halbteilungsgrundsatzes könne der Beklagte seine Zahlungsverpflichtung erst nach Vorlage des mit dem Verkäufer geschlossenen Maklervertrages prüfen. Diesen Anspruch auf Vorlage des Vertrages könne der Beklagte dem Zahlungsanspruch einredeweise entgegenhalten.

Was ist zu tun?

Ist der Makler beim Verkauf einer Wohnung oder eines Einfamilienhauses an einen Verbraucher sowohl für den Verkäufer als auch für den Käufer tätig, so hat er umfassende Informationspflichten. Er muss dem Käufer zunächst Auskunft über die Umstände erteilen, die für das Entstehen und den Fortbestand der Verpflichtung des Käufers zur Zahlung der Provision relevant sind. Darüber hinaus muss er dem Käufer aber auch den mit dem Verkäufer geschlossenen Maklervertrag vorlegen, damit der Käufer prüfen kann, ob der Verkäufer in gleicher Höhe zur Zahlung verpflichtet ist. Solange der Makler den Kaufvertrag nicht vorlegt, steht dem Käufer eine Einrede zu.

Jakob Bodensteiner

Der Text ist erstmals in der Immobilien Zeitung erschienen.
 

Managerhaftung: Wirksamkeit von Serienschadenklauseln in der D&O Versicherung

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 27.05.2024 - 13:00

Die Serienschadensklausel gehört zu den Standardklauseln zahlreicher Haftpflichtversicherungsverträge und ist in (nahezu) jeder D&O-Police enthalten. Sie bezweckt die Verklammerung einer gesamten Schadensserie zu einem einzigen Versicherungsfall, ungeachtet der Frage, wann der jeweilige Schaden eintritt und dem Versicherer gemeldet wird. Dadurch wird sowohl das Vorliegen eines einzigen Versicherungsfalles als auch das Vorliegen eines einzigen Eintrittszeitpunktes fingiert. Diese doppelte Fiktion der Serienschadenklausel kann – sofern vereinbart – Auswirkungen auf den Selbstbehalt, die Versicherungssumme sowie die einschlägige Versicherungsperiode haben.

So führt die Serienschadenklausel regelmäßig dazu, dass bei mehreren Schäden nur einmal der Selbstbehalt für den Versicherten anfällt. Sie kann allerdings auch dazu führen, dass die vereinbarte Versicherungssumme aufgrund der Zuordnung zu einer einzigen Versicherungs-periode nur einmalig zur Verfügung steht. Die Serienschadenklausel kann somit für den Versicherten sowohl vorteilhaft, aber auch nachteilig sein. In der Regel profitieren aber vor allem die Versicherer davon, nach einmaligem Verbrauch der Versicherungssumme ihre Leistung verweigern zu können.

Weil sie also vornehmlich zu einer Begrenzung der Deckungspflichten von Versicherern führen, werden Serienschadensklauseln von Gerichten und Literatur kritisch betrachtet. Der BGH hat in der Vergangenheit Klauseln für unwirksam erklärt, die alle auf einer "gemeinsamen Fehlerquelle" beruhenden Schadensfälle zusammenführte. Der Verzicht auf jede zeitliche und vor allem sachliche Verknüpfung könne unangemessene Ergebnisse hervorbringen, so der BGH. Seitdem ist in den meisten am Markt erhältlichen Policen ein solcher sachlicher und zeitlicher – teilweise auch rechtlicher – Zusammenhang Voraussetzung für die Verklammerung der Versicherungsfälle. Ob die so ergänzten Serienschadensklauseln nunmehr einer AGB-Prüfung standhalten, ist indes weiterhin streitig.

Das OLG Frankfurt a. M. entschied unlängst (Urt. v. 17.03.2021 – 7 U 33/19), dass die Klausel zur Verklammerung von Versicherungsfällen, die auf "demselben Sachverhalt" beruhen, intransparent und deshalb unwirksam sei. Transparenter werde die Klausel nach Ansicht des OLG Frankfurt a. M. nicht dadurch, dass sie einen zeitlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen zusammengeführten Pflichtverletzungen fordere, da es sich hierbei – insb. beim Erfordernis des zeitlichen Zusammenhangs – um "zu unbestimmte Rechtsbegriffe" handele.

Das LG Düsseldorf entschied im Fall Wirecard kürzlich (Urt. v. 13.07.2023 – 9 a O 154/23), dass die Verklammerung von Versicherungsfällen, die auf "sachlich und zeitlich eng miteinander verbunden[en]" Pflichtverletzungen beruhen, wirksam sei. Zwar beinhalte die infragestehende Serienschadensklausel unbestimmte Rechtsbegriffe, der Gesetzgeber verwende aber auch etwa in § 12 Abs. 4 VersVermG oder § 51 Abs. 2 BRAO solche unbestimmten Begriffe als Kriterium für die Zusammenfassung von Versicherungsfällen. In seinem Kostenfestsetzungsbeschluss, der nach Rücknahme der gegen diese Entscheidung eingelegten Berufung erging, musste sich das OLG Düsseldorf leider nicht zur Wirksamkeit der Serienschadensklausel positionieren (Beschl. v. 20.09.2023 – 4 U 117/23). Eine wegweisende Entscheidung des BGH zu der Frage, ob die neu-formulierte D&O Serienschadensklausel wirksam ist, bleibt aus.

Für mehr Rechtssicherheit könnte theoretisch der Gesetzgeber sorgen. In Frankreich sieht etwa Art. L. 124 1 1 des Versicherungsgesetzbuches (Code des assurances) für alle Haftpflichtversicherungen vor, dass Schadensereignisse, die auf derselben "technischen Ursache" (cause technique) beruhen, zu einem Schadensfall zusammengefasst werden ungeachtet der Anzahl der Inanspruchnahmen. In der französischen Regulierungspraxis spielt also die abstrakte Frage, ob die Verklammerung von Serienschäden zulässig ist, keine Rolle mehr. Dafür wird im Schadensfall umso heftiger darüber gestritten, ob zwei Schadensereignisse tatsächlich auf dieselbe "technische Ursache" zurückzuführen sind.

Mangels gesetzlicher Regelung oder höchstrichterlicher Rechtsprechung bleibt es also aktuell dabei, dass die Wirksamkeit der in deutschen D&O Policen enthaltenen Serienschadensklauseln unsicher ist und weiterhin Stoff für streitige Auseinandersetzungen zwischen Versicherern und Versicherten bietet.

Etienne Sprösser
Florian Weichselgärtner

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

Das Wärmeplanungsgesetz - der neue Rechtsrahmen für die kommunale Wärmeplanung

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 24.05.2024 - 13:00

Nach eingehender Beratung ist das Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze (Wärmeplanungsgesetz - WPG) zum 1. Januar 2024 in Kraft getreten. Hiermit ist erstmalig eine gesetzliche Grundlage für die Einführung einer verbindlichen und systematischen Einführung einer flächendeckenden Wärmeplanung geschaffen worden. Ziel des WPG ist es, einen wesentlichen Beitrag zur treibhausgasneutralen Wärmeversorgung bis spätestens zum Jahr 2045 zu schaffen. Die Errichtung und der Betrieb der Anlagen zur Erzeugung von Wärme aus erneuerbaren Energien, die in ein Wärmenetz gespeist wird, liegen dabei nach § 2 Abs. 3 WPG im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit.

Pflichten und Adressaten des WPG

Mit dem WPG wird den Bundesländern die Aufgabe der Durchführung einer Wärmeplanung für ihr Hoheitsgebiet verpflichtend auferlegt. Die Bundesländer können diese Pflicht auf Rechtsträger ihres Hoheitsgebiets beziehungsweise auf eine zuständige Verwaltungseinheit übertragen. Der Bund gibt mit dem WPG den Rahmen vor, der möglichst viel Flexibilität und Gestaltungsfreiheit bei der Durchführung der Wärmeplanung sowie der Erstellung von Wärmeplänen belässt. Denn es geht darum, auf lokaler Ebene realistische und wirtschaftliche Transformationspfade zur treibhausgasneutralen Wärmeversorgung zu entwickeln und anschließend mit den Akteuren vor Ort umzusetzen. Insoweit haben die Pflichten des WPG zwei verschiedene Adressaten: zum einen richtet sich Teil 2 (§§ 4 bis 28 WPG) unmittelbar an die Länder und deren "planungsverantwortliche Stellen" und zum anderen richtet sich Teil 3 (§§ 29 bis 32 WPG) an die Betreiber von Wärmenetzen.

Wesentliche Inhalte und Stichtage des WPG

Für das Gebiet aller Bundesländer sind gem. § 4 Abs. 1 WPG Wärmepläne anhand des WPG zu erstellen. Die Durchführung der Wärmeplanung nach dem WPG umfasst den Beschluss oder die Entscheidung der planungsverantwortlichen Stellen über die Durchführung der Wärmeplanung, die Eignungsprüfung, die Bestandsanalyse, die Potentialanalyse, die Entwicklung und Beschreibung eines Zielszenarios, die Einteilung des beplanten Gebietes in voraussichtliche Wärmeversorgungsgebiete sowie die Darstellung der Versorgungsarten und die Entwicklung einer Umsetzungsstrategie mit konkreten Umsetzungsmaßnahmen. Die planungsverantwortliche Stelle fasst die wesentlichen Ergebnisse der Wärmeplanung im Wärmeplan zusammen (Anlage 2 des WPG beschreibt die Darstellungen im Wärmeplan). Der Wärmeplan ist für Gemeinden, in denen zum Stichtag des 1. Januar 2024 mehr als 100.000 Einwohner gemeldet sind, bis zum Ablauf des 30. Juni 2026, für Gemeinden, in denen unter 100.000 Einwohner gemeldet sind, bis zum 30. Juni 2028 zu erstellen. Sofern bestehende Gemeindegebiete zum Stichtag unter 10.000 Einwohnern haben, können sie sich gem. § 4 Abs. 3 WPG im Rahmen des sog. "Konvoi-Verfahren" zur gemeinsamen Wärmeplanung zusammenschließen. Gute Nachrichten gibt es für die Länder, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes oder spätestens bis zum Ablauf der Fristen aus § 4 Abs. 2 WPG Wärmepläne aufgestellt haben: diese werden gem. § 5 Abs. 1 WPG anerkannt und bleiben wirksam. Auch für den Fall, dass für ein Gebiet zum 1. Januar 2024 keine landesrechtliche Regelung besteht, aber ein Beschluss zur Erstellung eines Wärmeplans, der im Wesentlichen mit den Anforderungen des WPG vergleichbar ist und bis zum 1. Juli 2026 erstellt und veröffentlicht wird, vorliegt, bleibt dieser gem. § 5 Abs. 2 WPG wirksam. Grundsätzlich soll der Anteil von Wärme aus erneuerbaren Energien, aus unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination hieraus an der jährlichen Nettowärmeerzeugung in Wärmenetzen im bundesweiten Mittel ab dem 1. Januar 2030 50 Prozent betragen. Zudem wird in § 29 Abs. 1 WPG festgeschrieben, dass die jährliche Nettowärmeerzeugung in allen Wärmenetzen ab dem 1. Januar 2030 zu mindestens 30 Prozent, ab dem 1. Januar 2040 sogar zu mindestens 80 Prozent, aus erneuerbaren Energien, unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination daraus erfolgen muss. Bei den Anforderungen an neue Wärmenetze kommt das Gesetz den Betreibern im Vergleich mit dem Referentenentwurf entgegen: Die Vorgabe aus § 30 Abs. 1 WPG, dass mindestens 65 Prozent der Nettowärmeerzeugung auf erneuerbaren Energien, unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination daraus basieren, ist nunmehr erst zum 1. März 2025 – nicht bereits zum 1. Januar 2024 – zu erfüllen.

Die Querverbindung zum GEG

Durch die umstrittene Novelle des Gebäudeenergiegesetzes ("GEG") – allgemein besser bekannt als "Heizungsgesetz" – und der in § 71 GEG enthaltenen Verpflichtung für Gebäudeeigentümer, dass 65% der durch Heizungsanlagen bereitgestellten Wärme durch erneuerbare Energien oder unvermeidbare Abwärme erzeugt werden müssen (sog. 65%-EE-Vorgabe) erlangt das WPG als eine Art Gegenstück besondere Bedeutung. Allen voran gilt die 65%-EE-Vorgabe gem. § 71 Abs. 8 GEG erst ab dem Zeitpunkt, in dem die Frist zur Fertigstellung der kommunalen Wärmeplanung endet. Wird ein Gebiet jedoch noch vor Ablauf dieser Frist als Gebiet zum Neu- oder Ausbau von Wärmenetzen oder als Wasserstoffnetzausbaugebiet nach § 26 WPG ausgewiesen, so gilt die 65%-EE-Vorgabe bereits einen Monat nach der entsprechenden Bekanntgabe. Darüber hinaus existieren noch spezifische Vernetzungen durch Vorschriften wie § 71 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 71b GEG, wonach die Vorgabe als erfüllt gilt, wenn ein Gebäudeeigentümer seinen Wärmebedarf durch Anschluss an ein Wärmenetz deckt. Insgesamt berührt die Wärmeplanung die Belange von Bürgern nicht unmittelbar, obwohl diese auch am Prozess der Wärmeplanung teilnehmen können (vgl. § 7 WPG), sondern bietet ihnen vielmehr eine Grundlage zur Planung von Investitionen in eine zukunftsfähige Energieversorgung.

Weitere Regelungen für Wärmenetze und Wärmenetzbetreiber

Weiterhin ist der Wärmenetzbetreiber, sofern das Wärmenetz nicht bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des WPG vollständig mit Wärme aus erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme gespeist wird, gem. § 32 Abs. 1 S. 1 WPG verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2026 einen sog. Dekarbonisierungsfahrplan vorzulegen. Auf diese Weise soll transparent und nachvollziehbar dargestellt werden, dass sowohl die Weiterentwicklung von bestehenden aber auch der Bau von neuen Wärmenetzen im Einklang mit den gesetzlichen Zielen und Vorgaben stehen. Die Anforderungen an diese Pläne werden in Anlage 3 des WPG detailliert dargelegt. Grundsätzlich enthalten die Pläne fünf aufeinander aufbauende Abschnitte: eine Darstellung des Ist-Zustands des bestehenden Wärmenetzes (oder des neuen Wärmenetzes) einschließlich der Umgebung, die Darstellung zukünftiger Potenziale für die Nutzung erneuerbarer Energie oder unvermeidbarer Abwärme, Entwicklungspfade bis zum Dekarbonisierungsziel im Jahr 2045, den geplanten Ausbau des Wärmenetzes sowie die hierzu erforderlichen Einzelmaßnahmen. Ebenfalls ist der Wärmenetzbetreiber – vergleichbar mit der entsprechenden Pflicht der planungsverantwortlichen Stellen bei der Fortschreibung des Wärmeplans gem. § 25 Abs. 1 WPG – auch gem. § 32 Abs. 1 S. 5 WPG dazu verpflichtet, den von ihm erstellten Plan spätestens alle fünf Jahre zu überprüfen.

Eine weitere Abweichung vom Referentenentwurf findet sich in Bezug auf den zur Wärmeerzeugung zulässigen Anteil eingesetzter Biomasse. Ursprünglich war dieser ab dem 1. Januar 2024 in Wärmenetzen mit einer Länge von 20 Kilometern bis 50 Kilometer auf maximal 35 Prozent limitiert – diese Beschränkung fand jedoch keinen Eingang in die finale Gesetzesfassung. Die in § 31 Abs. 2 WPG vorgesehene Beschränkung des Einsatzes von Biomasse ab dem 1. Januar 2045 in Wärmenetzen dieser Länge auf maximal 25 Prozent ist ebenfalls entfallen. Wärmenetze ab einer Länge von 50 Kilometern bleiben allerdings weiterhin auf einen Biomasseanteil von 25 Prozent bzw. 15 Prozent ab den jeweiligen Stichtagen beschränkt.

Die Rolle der Kommunen, Kosten und Fördermittel

Zwar sind die Länder nach dem WPG unmittelbar verpflichtet, sicherzustellen, dass auf ihrem Hoheitsgebiet eine fristgerechte Wärmeplanung erfolgt. Das WPG sieht hierzu in § 7 eine Beteiligung aller Gemeinden, deren Gebiet von der konkreten Planung betroffen ist, sowie der aktuellen und zukünftigen Wärme- und Energieversorgungsnetzbetreiber vor, solange diese sich innerhalb des beplanten Gebiets befinden. Nicht zuletzt haben die planungsverantwortlichen Stellen auch die Möglichkeit, Großverbraucher und weitere angrenzende Netzbetreiber und Kommunen zu beteiligen.

Die Kosten der Wärmeplanung für die einzelnen Kommunen fallen sehr unterschiedlich aus, maßgeblich sind hier die verfügbaren Daten und etwaige bereits vorhandene Konzepte sowie der Umfang der Beauftragung von externen Dienstleistern. Beispielhaft rechnet das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen mit Kosten von circa 124.000 Euro für eine Kommune mit 100.000 Einwohnern.

Zur Bewältigung dieser Kosten wird der Bund den Ländern bis 2028 Fördermittel in Höhe von 500 Millionen Euro zur Verfügung stellen, die aus einem erhöhten Anteil der Länder an der Umsatzsteuer stammen. Die hierzu notwendige Änderung des Finanzausgleichsgesetzes soll noch im Jahr 2024 verabschiedet werden.

Dr. Malaika Ahlers
Anton Buro

Ausschreibung einer befristeten Stelle als Organisationsentscheidung

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 24.05.2024 - 13:00

Bundesarbeitsgericht vom 29.02.2024 – 8 AZR 187/23

Entscheidet sich ein öffentlicher Arbeitgeber, eine Stelle befristet auszuschreiben und in die Bewerberauswahl nur solche Bewerber einzubeziehen, bei denen nicht die naheliegende Möglichkeit besteht, dass eine weitere Sachgrundbefristung des Arbeitsverhältnisses einen institutionellen Rechtsmissbrauch darstellt, so gehört dies zu der dem Auswahlverfahren nach Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsentscheidung. Ein öffentlicher Arbeitgeber muss sich bei Ausübung seines Organisationsermessens nicht dem Risiko eines institutionellen Rechtsmissbrauchs aussetzen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten darüber, ob ein Bewerber, der von einem Auswahlverfahren ausgeschlossen wurde, weil er nicht ein weiteres Mal mit Sachgrund befristet angestellt werden könnte, ohne dass der Arbeitgeber sich des Risikos einer unwirksamen Befristung infolge eines institutionellen Rechtsmissbrauchs aussetzt, auf der ausgeschriebenen Stelle eingesetzt werden muss.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat einen Anspruch auf Übertragung der begehrten Stelle abgelehnt, weil die Voraussetzungen hierfür gemäß Art. 33 Abs. 2 GG nicht vorlägen.

Der Arbeitgeber durfte den klagenden Bewerber von der Auswahl für die ausgeschriebene Stelle ausnehmen, weil bei ihm im Fall des Abschlusses eines weiteren befristeten Arbeitsverhältnisses die naheliegende Möglichkeit bestanden hätte, dass die Befristung wegen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam wäre. Das BAG grenzt die Organisationsentscheidung von dem eigentlichen Auswahlverfahren ab und ordnet die vorliegende Entscheidung dem Organisationsermessen des öffentlichen Arbeitgebers zu. Es lägen auch keine besonderen Umstände vor, die die Organisationsentscheidung unsachlich erscheinen lassen. Die Entscheidung sei auch hinreichend dokumentiert. In der Gesamtschau von Stellenausschreibung und begründeter Absage bestehe nicht die Gefahr der nachträglichen Veränderung der Grundlagen der Auswahlentscheidung zulasten des Bewerbers.

Weiter führt das BAG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum institutionellen Rechtsmissbrauch aus, dass in der vorliegenden Konstellation die naheliegende Möglichkeit bestünde, dass die Befristung eines weiteren Arbeitsverhältnisses mit dem klagenden Bewerber die Schwelle zum Rechtsmissbrauch überschreiten könnte.

Im Ergebnis habe der öffentliche Arbeitgeber den Bewerber daher auf Grundlage der getroffenen Organisationsentscheidung nicht in die Auswahl einbeziehen müssen.

Praxisrelevanz

Die Abgrenzung zwischen der Organisationsentscheidung und der sich anschließenden Bewerberauswahl ist zu begrüßen. Öffentliche Arbeitgeber, die gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind, müssen sich nicht sehenden Auges dem Risiko einer wegen institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksamen Befristung aussetzen und insofern rechtwidrig handeln. Durch eine entsprechende Organisationsentscheidung kann eine objektiv kritische weitere Befristung von vornherein verhindert werden.

Um sich im Fall einer Klage durch einen nicht berücksichtigten Bewerber verteidigen zu können, ist zu empfehlen, die Organisationsentscheidung neben ihrer konsequenten Durchsetzung so zu dokumentieren, dass eine nachträgliche Veränderung der Auswahlgrundlagen zulasten eines Bewerbers ausgeschlossen ist. Dies gilt ebenso für die ernsthafte naheliegende Möglichkeit eines institutionellen Rechtsmissbrauchs im Fall eines weiteren befristeten Vertragsschlusses mit einem Bewerber.

Dr. Sebastian Kroll

Haftung des Geschäftsführers trotz erteilter Entlastung?

Beiten Burkhardt // BLOG - Do, 16.05.2024 - 13:00

OLG Brandenburg, Urteil vom 24.01.2024 – 7 U 2/23

Ein Geschäftsführer haftet der Gesellschaft persönlich, soweit er seine Pflichten fahrlässig oder vorsätzlich verletzt und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht. Maßstab für eine Pflichtverletzung ist stets die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes. Die Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss entlastet wurde. Soweit Entlastung erteilt wurde, kann die Gesellschaft im Umfang der Entlastung keine Ansprüche mehr gegen den Geschäftsführer geltend machen (sogenannte Präklusionswirkung). Entscheidend für den Umfang der Haftung des Geschäftsführers ist daher der Umfang seiner Entlastung.

Zeitlich umfasst die Entlastung den Zeitraum, der sich aus dem Entlastungsbeschluss ergibt und hinsichtlich derer der Geschäftsführer Rechnung gelegt hat. Das betrifft grundsätzlich ohne weitere Angaben die Vorgänge aus dem abgeschlossenen Geschäftsjahr. Die Entlastung befreit den Geschäftsführer aber nicht von seinen bestehenden, zukunfts- und gegenwartsbezogenen Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Diese Pflichten bestehen insbesondere auch dann, wenn neue Nachteile wegen eines für die Vergangenheit von der Entlastung erfassten Vorgangs drohen.

Inhaltlich bezieht sich die Entlastung auf alle Tatsachen, die die Gesellschafter aufgrund der Berichterstattung durch den Geschäftsführer oder aus den vorgelegten Unterlagen kannten oder bei sorgfältiger Prüfung hätten erkennen können. Für die Erkennbarkeit ist entscheidend, ob sich aus der Berichterstattung des Geschäftsführers oder den Unterlagen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel oder Fragen ergeben, die die Gesellschafter durch Nachrechnen, Nachfragen oder durch Ausüben ihres Informationsrechts hätten aufklären können. Eine Erkennbarkeit ist demgegenüber ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer den Gesellschaftern nicht hinreichend Gelegenheit zur Ausübung ihrer Einsichts-, Informations- und Auskunftsrechten gegeben hat – sei es absichtlich oder unabsichtlich. Vereitelt der Geschäftsführer Nachfragen der Gesellschafter, verschweigt er Tatsachen oder verschleiert diese, ist er nicht schutzbedürftig. Denn durch solche Maßnahmen erschleicht sich der Geschäftsführer seine Entlastung. Eine derart erschlichene Entlastung führt regelmäßig nicht zu einem Haftungsausschluss zu seinen Gunsten.

Mit Fragen rund um die Haftung und Entlastung hat sich jüngst das OLG Brandenburg beschäftigt.

Hintergrund (vereinfacht dargestellt)

In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH eigenmächtig über Jahre hinweg zusätzlich zu seinem Gehalt und seiner Tantieme diverse Zahlungen an sich selbst veranlasst, um sein Geschäftsführergehalt zu erhöhen. Die Gesellschafterversammlung stellte in all den Jahren die Jahresabschlüsse fest und erteilte dem Gesellschafter-Geschäftsführer – mit Ausnahme der letzten zwei Jahre seiner Organstellung – Entlastung. Ob die Zahlungen in den Bilanzen der Jahresabschlüsse erkennbar waren, blieb zwischen den Parteien streitig.

Nach Abberufung und außerordentlicher Kündigung beschloss die Gesellschafterversammlung, den (ehemaligen) Gesellschafter-Geschäftsführer persönlich auf Rückzahlung in Anspruch zu nehmen. Dieser berief sich darauf, dass sein im Anstellungsvertrag vereinbartes Gehalt unangemessen niedrig und deshalb nichtig gewesen sei. Durch die zusätzlichen Zahlungen habe er insgesamt ein Gehalt bezogen, das dem Wert seiner Leistungen entsprochen habe. Deshalb sei der Gesellschaft kein Schaden entstanden. Des Weiteren sei seine Haftung aufgrund der ihm erteilten Entlastungen ausgeschlossen. Entsprechendes gelte für die letzten zwei Jahre seiner Organstellung als Geschäftsführer aufgrund der Billigung bzw. Feststellung der Jahresabschlüsse, in denen die Zahlungen jeweils erkennbar waren.

Das OLG Brandenburg gab dem Gesellschafter-Geschäftsführer teilweise Recht:

Die eigenmächtigen Veranlassungen der Zahlungen sind zwar jeweils als Pflichtverletzung des Gesellschafter-Geschäftsführers einzustufen. Denn über die Höhe des Gehalts eines Geschäftsführers entscheidet allein die Gesellschafterversammlung. Der Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht berechtigt, seine Bezüge einseitig anzupassen, selbst wenn sein Gehalt objektiv betrachtet als unangemessen niedrig einzustufen ist.

Ein Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft besteht jedoch nicht mehr für die Jahre, für die dem Gesellschafter-Geschäftsführer Entlastung erteilt wurde. Denn inhaltlich sind von der Entlastung alle Geschäftsvorgänge erfasst, die für die Gesellschafter bei sorgfältiger Prüfung aufgrund der ihnen vorgelegten Unterlagen erkennbar waren. Das war der Fall: die eigenmächtigen Zahlungen waren in den Bilanzen erkennbar und dem Gesellschafter-Geschäftsführer wurde ungeachtet dessen Entlastung erteilt.

Demgegenüber führen die Feststellungen der Jahresabschlüsse nicht zu einer "Entlastung" und damit zu einem Haftungsausschluss zu Gunsten des Gesellschafter-Geschäftsführers für die letzten beiden Jahre seiner Organstellung als Geschäftsführer. Zwar waren diese Zahlungen in den Bilanzen der festgestellten Jahresabschlüsse der beiden letzten Jahre erkennbar. Die Feststellung des Jahresabschlusses entfaltet vorliegend aber keine entlastende Wirkung dergestalt, dass die eigenmächtigen Zahlungen von allen Gesellschaftern anerkannt und nicht zurückgefordert werden könnten. Denn die Gesellschafter geben mit der Feststellung des Jahresabschlusses im Hinblick auf Drittverbindlichkeiten lediglich eine Erklärung ab, welche Ausgaben tatsächlich getätigt worden sind. Dazu, ob die Höhe der Drittverbindlichkeiten angemessen war und ob wegen einer Überzahlung Rückforderungsansprüche der Gesellschaft bestehen können, enthält der Jahresabschluss regelmäßig keine Angaben.

Zwar hat die Feststellung des Jahresabschlusses im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft und zwischen den Gesellschaftern untereinander grundsätzlich die Bedeutung einer Verbindlicherklärung der Bilanz, mit der die Gesellschafter dessen Richtigkeit anerkennen. Bei dem in Streit stehenden eigenmächtig erhöhten Geschäftsführergehalts handelt es sich jedoch um eine sogenannte Drittverbindlichkeit, die ihren Ursprung nicht im internen Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern hat. Bei Drittverbindlichkeiten ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass die Höhe der Drittverbindlichkeit, die aus der Bilanz ersichtlich ist, von den Gesellschaftern geprüft und als angemessen eingestuft worden ist. Eine derartige Entlastungswirkung durch Feststellung des Jahresabschlusses in Bezug auf Drittverbindlichkeiten kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, beispielsweise wenn die Parteien es vereinbaren oder wenn allen Beteiligten bewusst ist, dass Uneinigkeit in Bezug auf bestimmte Verbindlichkeiten besteht. Fehlt es aber an jeglicher Diskussion, werden lediglich die geleisteten Zahlungen, nicht aber eine diesbezügliche „Entlastung“ des Gesellschafters von der Rückforderung geleisteter Überzahlungen festgestellt.

Anmerkungen und Praxistipp

Weder die Feststellung des Jahresabschlusses noch die Entlastung der Geschäftsführer einer GmbH sind reine Formalien, die gedankenlos beschlossen werden sollten. In beiden Fällen sollten im Vorfeld Fragen, Zweifel und Unstimmigkeiten – ggfs. unter Hinzuziehung fachlicher Unterstützung – geklärt und ausgeräumt werden.

Denn die Entlastung schließt die Geltendmachung etwaiger Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer im Umfang der Entlastung in der Regel aus. Inhaltlich bezieht sich der Haftungsausschluss auf alle Geschäftsvorgänge, die für die Gesellschafter aufgrund der Berichterstattung durch den Geschäftsführer oder aus den vorgelegten Unterlagen bei sorgfältiger Prüfung erkennbar waren. Erfasst sind also nicht nur die Umstände, die den Gesellschaftern bei der Beschlussfassung bekannt waren, sondern auch alle Umstände, die die Gesellschafter durch Nachrechnen oder Nachfragen in Erfahrung hätten bringen können. Verzichten die Gesellschafter trotz konkreter Anhaltspunkte und bei Zweifeln auf weitere Aufklärung, führt das regelmäßig zu einer Präklusion etwaiger Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer. Bei Zweifeln sollten die Gesellschafter daher aktiv nachfragen oder den Sachverhalt in anderer Art und Weise aufzuklären versuchen. 

Dasselbe gilt für die Feststellung des Jahresabschlusses. Denn mit Feststellung des Jahresabschlusses werden die gesellschaftsinternen Forderungen und Verbindlichkeiten verbindlich festgestellt. Damit sind nachträglich geltend gemachte Ansprüche in der Regel ausgeschlossen. Das gilt, wie soeben aufgezeigt, in Ausnahmefällen auch für Drittverbindlichkeiten. Um keine (Rückforderungs-)Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer zu verlieren, ist daher Vorsicht geboten. Wenn Fragen offen sind, sollte der Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Entlastung der Geschäftsführer zurückgestellt werden.

Dr. Barbara Mayer
Lisa Werle

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

Der doppelte Mensing: Pirouetten bei der Differenzbesteuerung im Kunsthandel - Versteht das noch jemand?

Beiten Burkhardt // BLOG - Do, 16.05.2024 - 13:00

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 22. November 2023 (Az. XI R 22/23) entschieden, dass die Umsatzsteuer aus dem Vorerwerb eines Kunstgegenstandes nicht bei der Berechnung der Marge berücksichtigt werden darf. Letztlich wird damit Umsatzsteuer auf Umsatzsteuer fällig, woraus eine Verteuerung des Kunstgegenstandes von bis zu 3,6 % resultieren kann. Dies führt dazu, dass der Handel mit Kunst in Deutschland für den Erwerber unattraktiver wird. Einen anknüpfenden Beitrag zur Steuerermäßigung für die Lieferung von Kunstgegenständen finden Sie unter diesem Link.

Was ist geschehen?

Der klagende Kunsthändler hatte Kunstgegenstände von mehreren Künstlern aus dem EU-Ausland erworben. Diesen Erwerb hatte er nach § 12 Abs. 2 Nr. 13 Bstb. a) UStG mit dem ermäßigten Steuersatz besteuert. Den Weiterverkauf hatte er ebenfalls als Lieferung besteuert. Denn im Falle eines Vorerwerbs aus einem EU-Ausland in Form der innergemeinschaftlichen Lieferung kann nach deutschem Recht keine Differenzbesteuerung geltend gemacht werden. Das Finanzgericht Münster legte diese Frage dem EuGH vor, der mit Urteil vom 29. November 2018 entschied, dass ein innergemeinschaftlicher Erwerb die Anwendung der Differenzbesteuerung nach Art. 316 Abs. 1 MwStSystRL nicht auszuschließen vermag. Darüber hinaus stellte der EuGH klar, dass ein Vorsteuerabzug bei Anwendung der Differenzbesteuerung ausgeschlossen ist. Das Finanzgericht Münster wendete die Differenzbesteuerung an und zog die Umsatzsteuer aus dem Vorerwerb nach § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG ab. Damit gab sich das Finanzamt nicht zufrieden und legte Revision ein. Der XI. Senat des BFH legte die Frage des Abzugs der Umsatzsteuer aus dem Vorerwerb noch einmal dem EuGH vor. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass als Einkaufspreis nach dem Verständnis von Art. 312 und 315 MwStSystRL nur die Kostenbestandteile gemeint sein können, die der Erwerber an den Verkäufer zahlt; dazu gehört die an den Staat gezahlte Umsatzsteuer aber gerade nicht. Auf dieser Grundlage entschied der XI. Senat des BFH, dass § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG unionsrechtswidrig sei und verweigerte damit den Abzug der Umsatzsteuer aus dem Vorerwerb.

So weit so gut: erstaunlich an dieser Entscheidung ist aber, dass der Senat offensichtlich in der Entscheidung einen Bruch des Systems der Differenzbesteuerung erblickt. Denn der Senat hat – was aus Sicht der Beraterschaft erstaunlich ist – am Ende seiner Entscheidung dem Steuerpflichtigen zwei Wege aufgezeigt, wie er der Differenzbesteuerung wieder entkommen kann. Zum einen wäre ein Verzicht auf die Differenzbesteuerung möglich, so dass ein Vorsteuerabzug möglich wäre. Damit hätte er dann ggf. auch beim Weiterverkauf vom ermäßigten Steuersatz profitieren können. Interessanter scheint aber die vom Senat aufgezeigte Möglichkeit eines Teilerlasses der Doppelbesteuerung („Steuer auf die Erwerbsteuer“). Dieser Billigkeitserlass wird mit der zweckwidrigen Doppelbesteuerung begründet. Es könne nicht sein, dass durch den fehlenden Abzug der Erwerbsteuer die Neutralität der Umsatzsteuer gefährdet bzw. gegen diesen Grundsatz verstoßen werde. Im Klartext: eine systemwidrige Besteuerung kann selbst dann, wenn diese gesetzlich geregelt ist, nicht hingenommen werden.

Was ist die Konsequenz?

Diese Hilfestellung des XI. Senats des BFH ist zwar zu begrüßen. Allerdings ist es auf europäischer und der nationalen Ebene angezeigt, eine Änderung der derzeitigen Rechtslage vorzunehmen. Andernfalls könnte der Kunstmarkt national und im Gemeinschaftsgebiet tatsächlich nicht mehr konkurrenzfähig sein.

Für alle, die von dieser Entscheidung unmittelbar betroffen sind, kann es nur heißen: Stellung eines Erstattungsantrags nach § 163 AO!

Marcus Mische

Steuerermäßigung für die Lieferung von Kunstgegenständen

Beiten Burkhardt // BLOG - Do, 16.05.2024 - 13:00

Wer ist eigentlich Urheber eines Kunstwerkes und unterfällt daher dem ermäßigten Steuersatz, wenn der Künstler nicht selbst, sondern eine GbR ein Kunstwerk nach den Vorgaben des Künstlers erstellen lässt? Mit dieser Frage hat sich der BFH in seinem Urteil vom 18. Oktober 2023 (Az.: XI R 15/20) auseinandergesetzt und damit letztlich verdeutlicht, dass eine steuerliche Ungleichbehandlung von Künstlern und Galerien dringend geändert werden muss, um den Kulturstandort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten. Unter folgendem Link finden Sie einen anknüpfenden Beitrag zur Differenzbesteuerung im Kunsthandel.

Was war passiert?

Geklagt hat eine GbR, gegründet durch einen Künstler und eine Galerie. Zweck dieser Gesellschaft ist es, bis zu drei Skulptureninstallationen herzustellen, zu vermarkten sowie zu veräußern. Gefertigt wurden die Skulpturen nach den künstlerischen Vorgaben des Künstlers selbst im Auftrag der GbR. Die GbR gab die Herstellung der Skulptureninstallationen bei einem Dritten in Auftrag.

In der Folge verkauften die GbR und der Künstler zwei der Skulpturen. Die Klägerin nahm dabei an, dass die Lieferung einer der beiden Skulpturen im Jahr 2015 dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliege. Das Finanzamt war anderer Auffassung. So seien die Voraussetzungen einer Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 13 UStG nicht erfüllt. Diese sind dann gegeben, wenn die Lieferung eines Kunstgegenstands entweder (i) direkt von seinem Urheber oder dessen Rechtsnachfolger erfolgt oder (ii) der Kunstgegenstand zunächst von seinem Urheber oder dessen Rechtsnachfolger an einen Unternehmer geliefert wurde, der den Kunstgegenstand sodann einem Dritten liefert, sofern der liefernde Unternehmer kein Wiederverkäufer i.S.d. § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG ist. Als Wiederverkäufer gilt danach derjenige, der gewerbsmäßig mit beweglichen körperlichen Gegenständen handelt oder solche Gegenstände im eigenen Namen öffentlich versteigert. Das Finanzamt unterwarf die Lieferung der zweiten Skulptureninstallation daher dem Regelsteuersatz und die GbR klagte daraufhin vor dem Finanzgericht Düsseldorf. Dieses wies die Klage mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 13 UStG nicht erfüllt seien, da die Klägerin weder Urheberin noch Rechtsnachfolgerin des Urhebers sei und die Skulptureninstallation nicht vom Künstler an die GbR geliefert worden war.

In der Revision wandte die GbR als Klägerin ein, dass sie die Kunstwerke nach den Vorstellungen und Plänen des Künstlers als Urheber geschaffen habe. Der Begriff des Urhebers in § 12 Abs. 2 Nr. 13 UrhG sei weit zu verstehen. Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 13 UrhG liegen nicht vor. Die Klägerin ist weder Urheberin noch Rechtsnachfolgerin des Urhebers des gelieferten Gegenstandes. Der BFH führt aus, dass sich der Begriff des Urhebers nach den Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes richtet und begründet dies unter anderem damit, dass der Begriff nicht anders zu verstehen ist als in § 12 Abs. 2 Nr. 7 c UStG, in dem ausdrücklich auf das Urhebergesetz verwiesen wird.

Nach § 7 UrhG ist Urheber der Schöpfer eines Werkes. Zu den geschützten Werken gehören nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG insbesondere Werke der bildenden Kunst, wobei ein Werk nur eine persönliche geistige Schöpfung sein kann (§ 2 Abs. 2 UrhG). Eine persönliche geistige Schöpfung ist dabei eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauung einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Das Urheberrecht ist zwar vererblich, jedoch nach § 29 Abs. 1 UrhG nicht übertragbar, es sei denn, es wird in Erfüllung einer Verfügung von Todes wegen oder an Miterben im Wege der Erbauseinandersetzung übertragen. Die Auffassung der GbR, sie sei umsatzsteuerrechtlich als Urheberin der streitgegenständlichen Skulptureninstallation anzusehen, obwohl sie nach dem Urheberrechtsgesetz nicht deren Urheberin ist, geht fehl. Auch wenn die Klägerin in Erfüllung des Gesellschaftszwecks die Kunstwerke nach den künstlerischen Vorgaben des Künstlers als Urhebers hat herstellen lassen, vermag dies nichts daran zu ändern, dass die streitgegenständliche Skulptureninstallation keine eigene geistige Schöpfung der Klägerin, sondern eine des Künstlers verkörpert. Die GbR ist daher weder Urheberin noch Miturheberin.

Auch ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, dass die hier dargestellte Situation tatsächlich in der Praxis durchaus von Relevanz und nicht immer eindeutig ist. Alte Meister wie Tizian haben nicht selten ihre Werke ausschließlich eigenhändig geschaffen, sondern Schüler mit der Ausführung beauftragt. Die Werke sind jedoch heutzutage in der Kunstgeschichte ausschließlich unter dem Namen des Meisters bekannt. Auch in der zeitgenössischen Kunst gibt es ähnliche Szenarien, so fertigt beispielsweise Jeff Koons nicht jedes seiner Werke alleine und eigenhändig an, sondern bedient sich einer Vielzahl von Mitarbeiter. Dennoch handelt es sich in der Kunstwelt um Werke von Jeff Koons.

Der BFH hat weiter geurteilt, dass die GbR auch keine Rechtsnachfolgerin sei. Rechtsnachfolgerin im Sinne der Vorschrift ist der Gesamtrechtsnachfolger. Auch dies ergibt sich daraus, dass das Urheberrecht nach § 28 Abs. 1 UrhG vererblich, nicht aber übertragbar ist.

Auch eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 13 b UStG kommt nicht in Betracht, da bereits eine Regelungslücke nicht ersichtlich ist. So heißt es in der Gesetzesbegründung, dass der ermäßigte Steuersatz im gewerblichen Kunsthandel (z.B. Galeristen und Kunsthändler) nicht mehr regelmäßig Anwendung finden soll.
Im Ergebnis verdeutlicht diese Gerichtsentscheidung somit, dass der Begriff des Urhebers nicht anders auszulegen ist als im Urhebergesetz und erteilt damit einer autonomen steuerrechtlichen Auslegung eine Absage. Der ermäßigte Steuersatz von 7 % gilt nur, wenn die Lieferung vom geistigen Schöpfer oder dessen Rechtsnachfolger selbst stammt. Damit beseitigt die Entscheidung eine rechtliche Unsicherheit für die Fälle, in denen Künstler ihr Werk nicht selbst schaffen, sondern den Schaffensprozess auf einen Zusammenschluss von Künstlern und Galerie auslagern.

Rechtliche Unsicherheiten bestehen zwar in den Fällen nicht, in denen Künstler ihre eigenen Werke selbst verkaufen, da sie auch unter Zugrundelegung des „engen“ Urheberbegriffs aus dem UrhG in den Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes fallen. Ebenso unproblematisch sind die Fälle, in denen nicht der Künstler, sondern sein Käufer sein Werk weiterverkauft, denn entweder ist auch hier der ermäßigte Umsatzsteuersatz anwendbar oder es finden, sofern der weiterveräußerende Käufer als Wiederverkäufer einzustufen ist, die Regeln zur Differenzbesteuerung nach § 25a UStG Anwendung.

Die Entscheidung des BFH betraf das Streitjahr 2015, in dem aufgrund der alten unionsrechtlichen Grundlage, nämlich Art. 103 Abs. 2 Mehrwertsteuersystem-Richtlinie alte Fassung, nach der seit dem 1.1.2014 geltenden Neufassung des § 12 Abs. 2 Nr. 13 UStG nur noch die Lieferungen von Kunstwerken des „Urhebers“ und dessen „Rechtsnachfolgers“ dem ermäßigten Steuersatz unterlagen.

Dies führte in der Kunstwelt zu erheblicher Kritik, da auf diese Weise Galerien eine massive Ungleichbehandlung erfahren, auch gegenüber dem Ausland. So liegt in Frankreich die Mehrwertsteuer bei 5,5 Prozent, in der Schweiz bei 8,1 Prozent und in England ebenfalls bei 5,5 Prozent.

Aber es besteht Grund zur Hoffnung: Ab dem 1.1.2025 erlaubt die Neufassung von Art. 98 Abs. 1 UAbs. 2 i.V.m. Nr. 26 Anhang III MwStSystRL den Mitgliedsstaaten die generelle Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Lieferungen von Kunstwerken, ohne dabei explizit darauf abzustellen, dass diese vom „Urheber“ oder von dessen „Rechtsnachfolger“ geliefert werden sollen. Insofern besteht nun die vom Kunsthandel mit Vehemenz eingeforderte Möglichkeit, dass der nationale Gesetzgeber zur Rechtslage vor 2014 zurückkehrt und dadurch wieder sämtliche Lieferungen von Kunstwerken, unabhängig von der Person des Verkäufers, unter dem ermäßigten Steuersatz fallen können.

Bislang hat der nationale Gesetzgeber im Zuge des derweil kursierenden Jahressteuergesetzes 2024 von dieser Steilvorlage zur Änderung von § 12 Abs. 2 Nr. 13 UStG aber keinen Gebrauch gemacht. Damit wird das Urteil des BFH zum Begriff des “Urhebers” für die Frage der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes beim Verkauf von Kunstwerken weiterhin Relevanz haben.

Adrienne Bauer
Markus P. Linnartz

Tod des Alleingesellschafters einer MVZ-GmbH

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 10.05.2024 - 13:00
Gesellschaftsrechtliche Folgen des Todes

Der Tod des Alleingesellschafters kann zur Handlungsunfähigkeit einer GmbH führen, wenn der Alleingesellschafter nicht rechtzeitig vorgesorgt hat. Zwar geht der Geschäftsanteil gem. §§ 1922 BGB, 15 Abs. 1 GmbHG im Erbfall automatisch auf den Erben über, doch gilt dieser gem. § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG gegenüber der Gesellschaft erst nach Eintragung in die im Handelsregister hinterlegte Gesellschafterliste als Inhaber des geerbten Geschäftsanteils. Der Erbe kann bis zur Eintragung in die Gesellschafterliste gegenüber der Gesellschaft nicht wirksam handeln, insbesondere keine wirksamen Gesellschafterbeschlüsse fassen.

Dieser Umstand ist besonders problematisch, wenn der einzige Gesellschafter zugleich einziger Geschäftsführer der Gesellschaft war, da auch sein Amt als Geschäftsführer mit dem Tod erloschen ist. Da die Einreichung der neuen Gesellschafterliste durch den Geschäftsführer erfolgen muss, ist zunächst die Bestellung eines neuen Geschäftsführers erforderlich. Der Erbe kann den erforderlichen Gesellschafterbeschluss jedoch erst dann wirksam fassen, wenn er in die Gesellschafterliste eingetragen wurde. Durch die gegenseitige Blockade der gesellschaftsrechtlichen Erfordernisse wird die Gesellschaft führungslos und somit handlungsunfähig.

Sofern der Alleingesellschafter für diesen Fall keine Vorsorge getroffen hat, muss in aller Regel ein Notgeschäftsführer durch das Registergericht bestellt werden, der sodann die neue Gesellschafterliste zum Handelsregister einreichen kann. Dieser Vorgang ist jedoch – insbesondere mit Blick auf den Nachweis der Erbenstellung – oftmals zeitaufwändig.

Vertiefendes zu dieser Thematik und den infrage kommenden Lösungsmöglichkeiten finden Sie in folgendem Beitrag: Link.

Vertragsarztrechtliche Folgen des Todes

Neben den gesellschaftsrechtlichen Herausforderungen kann der Tod des Alleingesellschafters und -geschäftsführers auch in vertragsarztrechtlicher Hinsicht weitreichende Folgen mit sich bringen. Gem. § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V ist einem MVZ die Zulassung grundsätzlich ohne Übergangsfrist zu entziehen, wenn die Zulassungsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das MVZ nicht mehr über einen ärztlichen Leiter verfügt. Trotz des eindeutigen Wortlauts ("ist … zu entziehen") geht das Bundessozialgericht davon aus, dass vor dem Entzug eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist. Sofern das MVZ zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung wieder fachübergreifend besetzt oder dies in angemessener Frist zu erwarten ist, wäre es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, die Zulassung zu entziehen (BSG Urt. v. 19.07.2023, B 6 KA 5/22 R, Rn. 41).

Die Zulassung ist auch in Gefahr, wenn die MVZ-GmbH nicht mehr über eine selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung verfügt. Dieser Umstand dürfte in der Praxis jedoch selten zum Entzug der Zulassung führen, da der Erbe, der in die Bürgschaftsverpflichtungen des Erblassers einrückt, auch für die Verbindlichkeiten aus der Bürgschaft haftet. Nach § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V ist dem MVZ die Zulassung auch dann zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzungen länger als sechs Monate nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn der Erbe des Alleingesellschafters selbst kein zugelassener Arzt ist. Da die Gründung eines MVZ nur durch den in § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V aufgeführten Gründerkreis erfolgen kann, muss der Erbe seine Beteiligung an der MVZ-GmbH innerhalb der sechsmonatigen Übergangsfrist an einen Gründungsberechtigten abtreten.

Denkbare Lösungsmöglichkeiten

Der MVZ-GmbH stehen mehrere Wege zur Verfügung, um sowohl die gesellschaftsrechtlichen als auch die vertragsarztrechtlichen Probleme zu vermeiden. Zum einen besteht die Möglichkeit einen weiteren Geschäftsführer der Gesellschaft zu bestellen. Hierbei ist zu beachten, dass in einigen Bundesländern die Geschäftsführung aufgrund berufsrechtlicher Regelungen mehrheitlich durch Ärzte besetzt sein muss (z.B. § 23a Abs. 1 S. 4 BO Hessen). Gegen diese Lösungsmöglichkeit spricht allerdings, dass es zumeist eine bewusste Entscheidung des Alleingesellschafters ist, die Geschäfte der Gesellschaft allein zu führen.

Als zweite Möglichkeit kommt die Bestellung eines Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten in Betracht. Sofern dieser gleichzeitig ärztlicher Leiter des MVZs ist, kann er die Geschäfte mit der Kassenärztlichen Vereinigung fortführen. Allerdings können weder der Prokurist noch der Handlungsbevollmächtigte einen neuen Geschäftsführer bestellen, sodass jedenfalls für die Einreichung der neuen Gesellschafterliste zum Handelsregister ein Notgeschäftsführer erforderlich ist.

Die dritte Lösungsmöglichkeit ist die Erteilung einer transmortalen Vollmacht durch den Alleingesellschafter. Mit einer solchen Vollmacht kann der Bevollmächtigte die Gesellschafterrechte des Gesellschafters auch nach dessen Tod ausüben. Da der verstorbene Gesellschafter noch in die Gesellschafterliste eingetragen ist, kommt es zu keinem Konflikt mit § 16 Abs. 1 GmbHG. Der Bevollmächtigte kann durch Gesellschafterbeschluss einen neuen Geschäftsführer bestellen, der dann sowohl die MVZ-GmbH nach außen vertreten als auch – nach entsprechender Legitimation durch den Erben – die neue Gesellschafterliste beim Handelsregister einreichen kann. So bleibt die MVZ-GmbH auch nach dem Tod des Alleingesellschafters und -geschäftsführers handlungsfähig.

Fazit und Handlungsempfehlung

Da die Erteilung einer transmortalen Vollmacht der einzig verlässliche und praktikable Weg zur Vermeidung der gesellschaftsrechtlichen Problematiken ist, sollte jeder Alleingesellschafter einer MVZ-GmbH eine derartige Vollmacht erteilen.

Des Weiteren ist unbedingt darauf zu achten, dass die Gründungsvoraussetzungen innerhalb der sechsmonatigen Frist schnellstmöglich wiederhergestellt werden. Darüber hinaus kann es erforderlich sein, das Zulassungsentziehungsverfahren durch die Einlegung von Rechtsbehelfen möglichst lange hinauszuzögern, um in der Übergangszeit einen neuen ärztlichen Leiter ernennen zu können. Da dieses Vorgehen jedoch Risiken birgt, sollte das Fortbestehen einer ärztlichen Leitung bereits zu Lebzeiten des Alleingesellschafters durch die Erteilung einer Handlungsvollmacht oder Prokura abgesichert werden.

Dr. Silke Dulle
Andreas Scheffold
Stepan Strubinger

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Boykott des Aufsichtsrats durch dauerhaftes Fernbleiben? – BGH erteilt gerichtlicher Ergänzung eine Absage

Beiten Burkhardt // BLOG - Fr, 10.05.2024 - 13:00

Die Blockade des Aufsichtsrats durch wiederholtes Fernbleiben eines Aufsichtsratsmitglieds führt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht zu einem Anspruch auf gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats, selbst wenn der Aufsichtsrat dadurch dauerhaft beschlussunfähig ist. Mit seinem Beschluss vom 9. Januar 2024 (Az. II ZB 20/22) bestätigt der BGH die Entscheidung eines Registergerichts. Stattdessen, so der BGH, ist auch in einem dreiköpfigen Aufsichtsrat ein Beschluss über die Antragstellung auf gerichtliche Abberufung eines boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds nach § 103 Abs. 3 AktG ohne Teilnahme des dauerhaft boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds an der Abstimmung mit den Stimmen der beiden anderen Aufsichtsratsmitglieder wirksam möglich. Ob dies in der Praxis ausreichend ist, die Blockade durch passive Aufsichtsratsmitglieder zu unterbinden, erscheint sehr fraglich.

Hintergrund

Bleibt ein Mitglied eines dreiköpfigen Aufsichtsrats einer Sitzung fern, ist der Aufsichtsrat nicht beschlussfähig. Dies kann den Aufsichtsrat funktionsunfähig machen. Die Aktionäre können ein solches Aufsichtsratsmitglied zwar – auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes – jederzeit abberufen, es bedarf jedoch der gesetzlich oder satzungsmäßig hierfür vorgesehenen, meist qualifizierten Mehrheiten. Der Aufsichtsrat selbst kann bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds – das dauerhafte Fernbleiben dürfte einen solchen wichtigen Grund darstellen – einen Antrag auf gerichtliche Abberufung stellen, sofern er beschlussfähig ist und wiederum die entsprechenden Mehrheiten gegeben sind. Die gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats ist hingegen nur möglich, wenn der Aufsichtsrat über eine gewisse Zeit unterbesetzt ist, da ihm nicht die erforderliche Anzahl an Mitgliedern angehört.

Mit seiner Entscheidung beendet der BGH eine Diskussion in der Literatur, ob und inwieweit ein Aufsichtsratsmitglied, das die Arbeit des Gremiums durch Fernbleiben boykottiert, einem ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglied gleichgesetzt und der Aufsichtsrat gerichtlich ergänzt werden kann. So begrüßenswert diese Klarheit erscheinen mag, so sehr kann sie die Praxis vor unübersehbare Schwierigkeiten stellen und die Gesellschaft dauerhaft handlungsunfähig machen.

Sachverhalt

Eine Aktiengesellschaft mit einem dreiköpfigen Aufsichtsrat hatte zwei Aktionäre, zwei Gesellschaften, die hälftig beteiligt waren. Ein Aufsichtsratsmitglied war die Mutter der Gesellschafter einer der Aktionäre und somit nahestehende Person. Diese Gesellschafter und das Aufsichtsratsmitglied bildeten eine Erbengemeinschaft. Als die Aktiengesellschaft Ansprüche gegenüber dieser Erbengemeinschaft geltend machen wollte, wozu der Vorstand der Zustimmung des Aufsichtsrats bedurfte, blieb das Aufsichtsratsmitglied den Aufsichtsratssitzungen fern. Damit war der Aufsichtsrat beschlussunfähig und die Gesellschaft handlungsunfähig.

Beschlussfähigkeit

Gemäß § 108 Abs. 2 Satz 2 AktG ist der Aufsichtsrat vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen oder satzungsmäßigen Bestimmung nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen er nach Gesetz oder Satzung zu bestehen hat, an der Beschlussfassung teilnimmt. Auf den ersten Blick würden demnach zwei Mitglieder für die Beschlussfassung ausreichen. Wie nachfolgender Satz 3 der genannten Bestimmung jedoch zwingend festlegt, haben immer mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfassung des Aufsichtsrats teilzunehmen. Umgekehrt gesprochen: Ein einzelnes Mitglied kann jede Beschlussfassung des Aufsichtsrats blockieren, indem es an der Beschlussfassung nicht teilnimmt, insbesondere den Sitzungen fernbleibt.

Selbst in größeren Gremien können dauerhaft abwesende Aufsichtsratsmitglieder die Beschlussfassung boykottieren, wenn Satzung oder Geschäftsordnung über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende oder sehr spezielle Teilnahme- und Mehrheitserfordernisse vorsehen.

Schwächen der Abhilfemöglichkeiten in der Praxis

1. Die Abberufung durch die Hauptversammlung

Ein Aufsichtsratsmitglied, das seinen Aufgaben nicht nachkommt, insbesondere an Sitzungen und Beschlussfassungen nicht teilnimmt, kann durch die Hauptversammlung jederzeit abberufen werden, § 103 Abs. 1 AktG. Auf die Untätigkeit kommt es dabei nicht einmal an, es bedarf also für die Abberufung keines Grundes. Eine – oftmals unüberwindbare – Hürde liegt lediglich darin, dass Mitglieder des Aufsichtsrats zwar mit einfacher Mehrheit gewählt, jedoch von Gesetzes wegen nur mit Dreiviertel der Stimmen abberufen werden können, sofern nicht die Satzung eine andere Mehrheit und weitere Erfordernisse bestimmt, was äußerst selten der Fall ist; es soll ein beliebiges "Hinein-Hinaus" vermieden werden. Verfügt ein Aktionär oder ein Aktionärslager also über die einfache Mehrheit, kann der Aufsichtsrat zwar allein nach deren Vorstellung besetzt werden, eine Abberufung ist hingegen nur mit entsprechender Unterstützung weiterer Aktionäre möglich. Selten wird der Aufsichtsrat, insbesondere von kleinen Aktiengesellschaften jedoch allein nach dem Willen des über die einfache Mehrheit verfügenden Mehrheitsaktionärs besetzt. Die Aktionäre versuchen vielmehr die Verhältnisse der Kapitalbeteiligungen oder Familienstämme und dergleichen abzubilden.

In der Konstellation mit zwei paritätisch beteiligten Aktionären wird neben zwei Repräsentanten dieser Anteilseigner oftmals ein neutrales Aufsichtsratsmitglied gewählt; alternativ teilen sich die Aktionärslager in entsprechenden Verabredungen die Besetzung des Aufsichtsrats einerseits und die des Vorstands andererseits auf. Der Boykott des Aufsichtsrats durch Fernbleiben von seinen Sitzungen stört diese Machtbalance empfindlich und kann in Streitfällen wegen der von Gesetzes wegen erforderlichen Dreiviertel-Mehrheit gerade nicht (mehr) durch die Abberufung dieses Mitglieds mittels Hauptversammlungsbeschluss gelöst werden.

2. Der Antrag des Aufsichtsrats auf gerichtliche Abberufung

Darüber hinaus bietet das Gesetz nur eine Abhilfemaßnahme an. Liegt in der Person des Aufsichtsratsmitglieds ein wichtiger Grund vor, kann dieses vom Gericht abberufen werden, § 103 Abs. 3 AktG. Die gerichtliche Abberufung setzt jedoch einen Antrag des Aufsichtsrats selbst voraus. Damit steht bereits die rechtliche Frage im Raum, wie der Aufsichtsrat diese Antragstellung beschließen soll, wenn er aufgrund des Fernbleibens eines Mitglieds gar nicht beschlussfähig ist. Ungeachtet dessen stellt sich weiter die praktische Frage, wie in den vorgenannten Konstellationen eine Mehrheit innerhalb des Aufsichtsrats zustande kommen soll, wenn ein entsprechender Teil der Aufsichtsratsmitglieder im Lager des boykottierenden Mitglieds steht. Damit ist auch dieses Schwert in den meisten Fällen wohl viel zu stumpf und scheidet als Abhilfemöglichkeit aus.

3. Die gerichtliche Ergänzung bei Unterbesetzung

Somit kommt es zu der hier entschiedenen Frage, ob und inwieweit der Aufsichtsrat gemäß § 104 Abs. 1 AktG gerichtlich ergänzt werden kann. Den Antrag hierzu kann nämlich unter anderem auch der Vorstand, ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied oder ein einzelner Aktionär stellen. Bei einem Dauerboykott wird nach dieser Auffassung angenommen, dass dem Aufsichtsrat zumindest faktisch nicht die zur Beschlussfähigkeit nötige Zahl von Mitgliedern angehört.

Dieser Annahme ist der BGH nun entgegengetreten. Das dauerhafte Fernbleiben ist nicht mit dem Ausscheiden, etwa durch Tod oder Niederlegung, zu vergleichen. Damit bleibt nur die Möglichkeit der Abberufung durch die Hauptversammlung oder – bei Annahme eines wichtigen Grundes und Zustandekommen eines Antrags des Aufsichtsrats – durch das Gericht. Im Wege teleologischer Reduktion weitet der BGH im Zuge seiner Entscheidung die Beschlussfähigkeit des § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG über seinen ausdrücklichen Wortlaut hinaus aus, indem er dem Aufsichtsrat zubilligt, über diesen Antrag auf gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund auch ohne Beteiligung des boykottierenden Mitglieds, d.h. durch nur zwei Mitglieder beschließen zu können. Ähnliche pragmatische, wenngleich dogmatisch nicht überzeugende Lösungen hatte der BGH bereits im Falle eines Stimmverbots eines Aufsichtsratsmitglieds geschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2007, Az. II ZR 325/05).

Bedeutung der Entscheidung für die Praxis

Die Auffassung des BGH ist konsequent und entspricht dem Wortlaut und der Intention des Gesetzes. Gleichwohl hilft sie betroffenen Gesellschaften, die das boykottierte Aufsichtsratsmitglied nicht einfach abwählen und durch ein neues ersetzen können, sondern stattdessen auf gerichtliche Hilfe angewiesen sind, kaum.

Letztlich klafft in diesen Fällen eine Lücke im Gesetz, die der BGH durch seine Entscheidung gerade nicht geschlossen hat - ob bewusst oder unbewusst, wird nicht klar. Letzteres erscheint nicht ausgeschlossen. So verweist der BGH ausdrücklich darauf, dass der Blockade des Aufsichtsrats durch Abberufung des boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds zu begegnen sei. Des Weiteren, so der BGH, könnten die verbleibenden Aufsichtsratsmitglieder einen Antrag zu Gericht stellen, das boykottierende Aufsichtsratsmitglied aus wichtigem Grund abzuberufen. Dies kommt in vielen Fällen jedoch nicht in Betracht, da die Stimm- oder Interessenverhältnisse unter den Aktionären oder Aufsichtsratsmitgliedern dies nicht zulassen. Umgekehrt gesprochen: Vorstand und Aufsichtsrat nehmen gerichtliche Hilfe in der Regel erst dann in Anspruch, wenn die Aktionäre oder der Aufsichtsrat als Gremium sich gerade nicht auf die Abberufung des boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds oder einen Antrag zu Gericht auf Abberufung aus wichtigem Grund verständigen können. Der Antrag auf Ergänzung des Aufsichtsrats dürfte im Fall eines dauerhaft boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds Ultima Ratio sein. Anders als der BGH meint, dürfte die vom BGH beschriebene Lösung in einer Vielzahl der Fälle gerade nicht in Betracht kommen.

Oftmals sind die Machtverhältnisse wohlaustariert und jede Störung dieser Machtbalance kann substanziellen Streit auslösen und damit Schaden verursachen. Hierunter hat in erster Linie die Gesellschaft, allen voran der Vorstand zu leiden; man denke insbesondere an Geschäfte, für die er nach Gesetz, Satzung oder Geschäftsordnung der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf. Welcher Schaden entstehen kann, wenn ein Aufsichtsrat aufgrund dessen über längere Zeit nicht handlungsfähig ist und wichtige Beschlüsse nicht fassen kann oder aber unliebsame Aufsichtsratsmitglieder dies bis an die Grenze der Strafbarkeit missbrauchen, hat der BGH offensichtlich nicht bedacht.

Konfliktvermeidung

Stattdessen sollte, soweit es möglich ist, bereits in der Satzung oder – sofern aus Gründen der Rechtssicherheit nicht möglich – in einer Aktionärsvereinbarung Vorsorge für den Fall getroffen werden, dass ein Aufsichtsratsmitglied mittels Fernbleibens die Aufsichtsratstätigkeit boykottiert, d.h. bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in seiner Person abberufen werden kann, im Zweifel durch bestimmte Aktionäre, insbesondere durch das "gegnerische" Lager. Zumindest jedoch sollte ein Anspruch darauf vereinbart werden, dass die Hauptversammlung es abberuft und durch ein neues ersetzt. Außerdem kommt die Festlegung einer von § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG abweichenden Dreiviertel-Stimmenmehrheit in der Satzung in Betracht.

Roland Startz

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EU Company Certificate: der europäische Handelsregisterauszug kommt

Beiten Burkhardt // BLOG - Mo, 06.05.2024 - 13:00

Im grenzüberschreitenden Verkehr sind zuverlässige Informationen über Gesellschaften von Bedeutung. Wer bisher nach Name, Sitz, Rechtsform oder gesetzlichen Vertretern einer Gesellschaft sucht, muss auf die nationalen Handelsregisterdaten zurückgreifen. Dabei gibt es allerdings große Unterschiede. So stellen etwa Malta, Zypern und Irland keine zuverlässigen Angaben über die Vertretungsbefugnis zur Verfügung. Der europäische Gesetzgeber möchte die divergierenden Standards harmonisieren. Beruhend auf einem Richtlinienvorschlag der Kommission haben sich der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament im März 2024 auf den Entwurf für eine Richtlinie zur Ausweitung und Optimierung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (kurz: GesRRL-E) verständigt. Herzstück der Richtlinie ist die EU-Gesellschaftsbescheinigung (EU Company Certificate) (kurz: EUGB; engl.: EUCC), die künftig als "Ausweis" für Kapital- und Personengesellschaften im grenzüberschreitenden Verkehr dienen soll. Die EUGB ist vergleichbar mit dem aktuellen Abdruck aus dem deutschen Handelsregister.

Inhalt der EUGB

Die EUGB dient als Nachweis für die Existenz von Kapitalgesellschaften (in Deutschland: AG, KGaG, GmbH) und Personenhandelsgesellschaften (in Deutschland: OHG, KG). Darüber hinaus enthält die EUGB insbesondere folgende Informationen (Art. 16b Abs. 2 GesRRL-E):

  • Name der Gesellschaft
  • Rechtsform
  • Sitz der Gesellschaft
  • Kontaktanschrift der Gesellschaft, z.B. Postanschrift oder E-Mailadresse
  • Tag der Eintragung der Gesellschaft
  • Betrag des gezeichneten Kapitals (nur bei Kapitalgesellschaften)
  • Angaben zu den vertretungsberechtigten Personen und deren Vertretungsmacht
  • Zweck und Dauer der Gesellschaft
  • Status der Gesellschaft (Insolvenz, Liquidation, wirtschaftlich aktiv/inaktiv)

Angaben über die Gesellschafter sind bei Kapitalgesellschaften nicht vorgesehen. Bei Personenhandelsgesellschaften werden hingegen Angaben zu den vertretungsberechtigten Gesellschaftern enthalten sein. Bei Kommanditgesellschaften wird die EUGB Auskunft zu den Komplementären und Kommanditisten geben. Zudem werden die Einlagen der Kommanditisten ersichtlich sein.

Ausstellung auf Antrag

Die Ausstellung der EUGB erfolgt – auf Antrag - durch die nationalen Register elektronisch und in Papierform. Daneben soll eine elektronische Fassung der EUGB auch über das System der Registervernetzung (Business Registers Interconnection System – BRIS) erhältlich sein. Über das BRIS sind seit 2017 die Unternehmensregister aller EU-Mitgliedstaaten miteinander vernetzt. Informationen aus dem BRIS sind über das Europäische Unternehmensregister öffentlich abrufbar.
Jede Gesellschaft soll ihre EUGB beantragen können. Unklar ist nach dem Richtlinienentwurf, ob auch Dritte (auf Antrag) Zugang zur EUGB erhalten sollen und ob ein berechtigtes Interesse erforderlich sein wird. Der Richtlinienentwurf verhält sich dazu nicht explizit. Unter Verweis auf den weiten Wortlaut des Richtlinienentwurfs ist derzeit richtigerweise von einer Zugangsmöglichkeit für Dritte ohne berechtigtes Interesse auszugehen (siehe Art. 16b Abs. 4 GesRRL-E). Dies sollte der europäische Gesetzgeber noch klarstellen.

Anerkennung und Publizität

Der Richtlinienentwurf sieht die zwingende Ausstellung und Anerkennung der EUGB in allen Mitgliedstaaten vor (Art. 16b Abs. 1 GesRRL-E). Grundsätzlich dürfen nationale Stellen (z.B. eine Behörde oder ein Gericht) die in der EUGB enthaltenen Informationen nicht überprüfen. Lediglich bei begründeten Zweifeln über den Ursprung oder die Echtheit der EUGB können die nationalen Stellen die Anerkennung verweigern. Vor der Verweigerung müssen nationalen Stellen jedoch ein begründetes Informationsersuchen an die ausstellende Behörde richten. Kann die Authentizität nicht bestätigt werden, können die nationalen Stellen die Anerkennung verweigern (Art. 16e GesRRL-E). Dasselbe gilt bei Anhaltspunkten für Missbrauch oder Betrug. In diesen Fällen ist das ausstellende Register zu kontaktieren (Art. 16ea GesRRL-E).

Ob Dritte auf die Richtigkeit der in einer EUGB enthaltenen Angaben vertrauen dürfen, ist nicht ausdrücklich geregelt, dürfte aber aufgrund der Erwägungsgründe des Richtlinienentwurfs anzunehmen sein (siehe etwa Ewg. 24a S. 1-3 GesRRL-E).

Wie aktuell sind die Informationen aus der EUGB?

Die in einer EUGB enthaltenen Angaben sind nur dann verlässlich, wenn sie regelmäßig aktualisiert werden. Daher müssen Gesellschaften alle Änderungen der relevanten Informationen innerhalb von höchstens 15 Arbeitstagen dem nationalen Register, also in Deutschland dem elektronischen Handelsregister, mitteilen (Art. 15 Abs. 1, 2a) GesRRL-E). Kommen Gesellschaften ihrer Aktualisierungspflicht nicht oder nicht fristgerecht nach, sollen die Mitgliedstaaten wirksame und verhältnismäßige Sanktionen sicherstellen (Art. 28 Satz 1 b) GesRRL-E). Wie solche Sanktionen konkret aussehen, lässt der Richtlinienentwurf allerdings offen.

Sprache

Die Kommission wird ein Muster für die EUGB in allen Amtssprachen veröffentlichen, sodass Einheitlichkeit gewährleistet ist. Nicht geregelt ist, ob nationale Behörden die EUGB auch in allen Amtssprachen der EU ausstellen müssen. Derartige Einzelheiten werden erst den nationalen Umsetzungsregelungen oder ggf. einer europäischen Durchführungs-Verordnung zu entnehmen sein.

Kosten

Jede Gesellschaft soll ihre EUGB grundsätzlich kostenfrei elektronisch erhalten können. Ausnahmsweise dürfen die Verwaltungskosten verlangt werden, wenn die Ausstellung der EUGB bei Registern einen schwerwiegenden finanziellen Schaden verursachen würde. Mindestens einmal jährlich soll die Gesellschaft ihren Auszug in jedem Fall kostenfrei erhalten können (Art. 16b Abs. 5 GesRRL-E).

Anmerkungen für die Praxis

Die neue EUGB kann dazu beitragen, den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr in der EU zu vereinfachen und birgt Einsparungspotential für Bürokratiekosten. Zudem erhöhen die geplanten Mindestkontrollstandards bei der Erfassung von Gesellschaftsinformationen das Vertrauen in die Richtigkeit der veröffentlichen Daten.

In der Praxis bleibt das Risiko einer ungenügenden Kontrolle der Aktualität der Gesellschafts-daten. Das gilt insbesondere für Mitgliedsstaaten, deren Registerinformationen weiter von den Vorgaben der neuen EUGB entfernt sind. Hier sollte nach der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht beobachtet werden, wie streng die Mitgliedsstaaten Verstöße gegen die Aktualisierungspflichten ahnden. Wünschenswert wäre eine ausdrückliche Regelung, wonach sich jeder Geschäftspartner auf die Richtigkeit der Angaben in der EUGB verlassen kann.

Dr. Barbara Mayer
Damien Heinrich

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