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Brasilien: Pestizid-Vergiftungen auf dem Land

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Bernardo wuchs in einer quilombo (afro-brasilianische) Gemeinde mit etwa 60 Personen - Männer, Frauen, Kinder - in Minas Gerais im südwestlichen Brasilien auf. Bernardo berichtete Human Rights Watch, dass er sich machtlos fühle, wenn es um die Verbreitung von Pestiziden in der Luft geht. "Wir haben mehrere Klagen bei der lokalen Polizeistation und der Militärpolizei eingereicht. Niemand kümmert sich darum - es gibt keine Gerechtigkeit."

© 2018 Marizilda Cruppé für Human Rights Watch (São Paulo) – In ländlichen Regionen in Brasilien werden Bewohner mit Pestiziden vergiftet, die in der Nähe von Wohnhäusern, Schulen und Arbeitsplätzen versprüht werden, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Viele fürchten Vergeltungsakte von reichen und politisch einflussreichen Landwirten, wenn sie Vergiftungen anprangern oder sich für bessere Gesetze oder Schutzvorschriften aussprechen.

Der 50-seitige Bericht „You Don’t Want to Breathe Poison Anymore“ dokumentiert akute Vergiftungsfälle durch Pestizide an sieben Orten in Brasilien. Dazu zählen landwirtschaftliche Gemeinden, indigene Gruppen, quilombo-(afro-brasilianische-)Gemeinschaften und Schulkinder in ländlichen Gebieten. Sie werden Pestiziden ausgesetzt, wenn der Sprühnebel beim Ausbringen vom Zielbereich abdriftet oder wenn die Pestizide in den Tagen nach dem Ausbringen verdampfen und sich in nahe gelegene Gebiete verbreiten.

Juli 20, 2018 Report “You Don’t Want to Breathe Poison Anymore”

The Failing Response to Pesticide Drift in Brazil’s Rural Communities

„Überall in Brasilien vergiften Pestizide, die auf großen Plantagen versprüht werden, Kinder in Klassenräumen und Dorfbewohner in Höfen“, so Richard Pearshouse, stellvertretender Leiter der Abteilung Umwelt und Menschenrechte bei Human Rights Watch und Autor des Berichts. „Die brasilianischen Behörden müssen dem ein Ende setzen und die Sicherheit derer gewährleisten, die sich dagegen wehren, dass ihre Familien und Gemeinden durch Pestizide geschädigt werden.“

Viele Menschen in den betroffenen Gemeinden fürchten Vergeltungsmaßnahmen von Großgrundbesitzern. Personen in fünf der sieben besuchten, ländlichen Gemeinden sagten, dass sie bedroht worden seien oder Angst vor Racheakten hätten, wenn sie die Pestizidvergiftung anzeigen würden, die sie für ihr Gesundheitsprobleme verantwortlich machten. Im Jahr 2010 wurde ein politisch aktiver Bauer erschossen, nachdem er bei der Kommunalverwaltung darauf gedrängt hatte, das Sprühen von Pestiziden aus der Luft zu verbieten.

Die Besitzer großer Plantagen ignorieren häufig die landesweit vorgeschriebene „Pufferzone“ zwischen Ausbringungsort und Wohngebieten, die beim Pestizid-Sprühen aus der Luft eingehalten werden muss. Eine entsprechende „Pufferzone“ für das Sprühen am Boden gibt es nicht. Amtliche Daten zu Pestizid-Vergiftungen bilden das tatsächliche Ausmaß des Problems nicht ab. Ebenso schwach ist das System, mit dem die Regierung Pestizidrückstände in Trinkwasser und Lebensmitteln überwacht.

Zu den Symptomen einer akuten Pestizid-Vergiftung zählen Erbrechen, Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel während oder unmittelbar nach dem Ausbringen von Pestiziden im Umfeld der betroffenen Person. Zudem wird die dauerhafte Aufnahme selbst geringer Dosen von Pestiziden mit Unfruchtbarkeit, Entwicklungsstörungen bei Föten, Krebs und anderen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Verbindung gebracht. Für schwangere Frauen, Kinder und andere anfällige Personen sind die Gefahren besonders groß.

„Ich hatte starke Kopfschmerzen, Magenschmerzen und das Gefühl, ich müsste mich übergeben“, sagt ein 10-jähriges Mädchen, das in der Gemeinde Cascavel im Bundesstaat Paraná zur Schule geht. „[Der Lehrer] sagte, 'lasst uns aus dem Klassenraum gehen, es riecht zu schlecht'. Wir gingen früher nach Hause. Als ich zuhause ankam, war mir schlecht, ich fühlte mich krank, hatte starke Kopfschmerzen. Ich musste mich zweimal übergeben.“

Brasilien darf nicht zulassen, dass Pestizide mit Flugzeugen über Wohnhäusern oder mit Traktoren neben Schulen versprüht werden. Die Regierung soll unverzüglich das Sprühen aus der Luft verbieten und Pufferzonen für das Sprühen am Boden vorschreiben.

In den kommenden Monaten wird der Kongress über einen Gesetzesentwurf beraten, der den regulativen Rahmen für das Ausbringen von Pestiziden weiter schwächen soll. Eine parlamentarische Sonderkommission verabschiedete den Entwurf im Juni 2018. Die gesamte Abgeordnetenkammer muss über den Entwurf abstimmen, bevor er dem Bundessenat vorgelegt wird.

Zu den zahlreichen Neuerungen im Gesetzesentwurf zählen, dass der Einfluss des Gesundheits- und Umweltministeriums stark beschränkt werden soll, also genau der Ministerien mit Fachexpertise zu den Auswirkungen von Pestiziden. Der Entwurf schlägt auch vor, den Rechtsbegriff agrotóxicos (Pestizide) durch produtos fitosanitários (Pflanzenschutzmittel) zu ersetzen, was die Gesundheits- und Umweltgefahren von Pestiziden verschleiert.

Brasilien ist einer der weltweit größten Anwender von Pestiziden: Die jährlichen Verkäufe belaufen sich auf rund 8,5 Milliarde Euro. Dieser gewaltige Verbrauch geht auf den zunehmenden großflächigen Anbau von Monokulturen zurück. Etwa 80 Prozent der Pestizide werden auf Sojabohnen-, Mais-, Baumwoll- und Rohrzucker-Plantagen verwendet. Von den zehn im Jahr 2016 in Brasilien am häufigsten genutzten Pestiziden sind vier in Europa nicht zugelassen, was darauf hindeutet, für wie gefährlich sie andere Regierungen halten.

„Brasilien braucht keine schwächeren Gesetze, sondern engmaschigere Kontrollen und einen nationalen Aktionsplan zur Begrenzung des Pestizid-Einsatzes“, so Pearshouse. „Der Kongress soll gegen den Gesetzesentwurf stimmen. Er soll zudem die relevanten Ministerien damit beauftragen, die Auswirkungen von Pestiziden auf die Gesundheit der Bevölkerung und die Umwelt landesweit zu untersuchen.“

Ausgewählte O-Töne:

„Ich wurde krank, litt unter Übelkeit und Kopfschmerzen. Ich musste mich oft übergeben, wenn das anfing, hörte es nicht mehr auf. Ich musste meinen Mann um Hilfe bitten. Ich bin schwanger und mache mir Sorgen um meinen Sohn. Ich habe Angst, dass das alles seiner Gesundheit schadet.“ – Eduarda, eine schwangere Frau, Mitte 20, die in einer landwirtschaftlichen Gemeinde wenige Stunden von Satarem im Bundesstaat Pará entfernt lebt.

Das Flugzeug hat neben der Schule gespritzt und der Wind hat das in die Schule geweht. Man konnte es nicht riechen, aber spüren, wie der Nebel zum Fenster reinkam. Die vier- bis siebenjährigen Kinder klagten, dass ihre Gaumen und Augen brennen.“ – Marelaine, Mitte 20, ist Lehrerin in einer ländlichen Gemeinde südlich von Bahia.

“Ich fühlte mich plötzlich schlecht, mir war übel. Ich versuchte, Wasser zu trinken, damit es besser wird, aber das half nicht. Ich musste mich mehrfach übergeben, bis ich nichts mehr im Magen hatte und nur noch würgte.” – Carina, eine erwachsene Frau, die an einer Landschule in der Gemeinde Primavera do Leste im Bundesstaat Mato Grosso studiert.

Man konnte die weiße Flüssigkeit [in der Luft] sehen. Wenn man es riecht, geht das direkt in den Kopf. Man hat einen bitteren Geschmack im Mund. Man will kein Gift mehr einatmen – man will eine andere Art von Luft einatmen – aber die gibt es nicht.“ – Jakaira, ein Angehöriger der indigenen Gruppe der Guarani-Kaiowá, Mitte 40, der in einer Gemeinde wenige Autostunden entfernt von Campo Grande im Bundesstaat Mato Grosso do Sul lebt.

Diese Woche flog [ein Pestizid-Flugzeug] mit eingeschaltetem Sprüher über das Haus [eines Nachbarn]. Man spürt, wie die Pestizide auf der Haut landen. So was passiert immer, wenn gesprüht wird. Wir haben diese Probleme seit zehn Jahren. Wir haben mehrere Beschwerden bei der [örtlichen Zivil-]Polizei und bei der Miltärpolizei eingereicht. Niemand kümmert sich darum – es gibt keine Gerechtigkeit.“ – Bernardo, ein etwa 30-jähriger Mann aus einer quilombo-Gemeinschaft wenige Autostunden entfernt von Belo Horizonte im Bundesstaat Minas Gerais.

[Das Pestizid-Sprühen] stört uns und es löst Übelkreit aus; ich bekomme Kopfschmerzen davon. Ich versuche, auf der anderen Seite des Klassenzimmers zu sitzen [als auf der, die am nächsten am Sprühnebel ist]. Wir haben einen Ventilator [im Klassenzimmer], der hilft ein bisschen, aber der Geruch geht nicht weg. Mir ist davon schlecht und schwindelig geworden. Das ist schlimm, weil man sich übergeben will, aber es bleibt einem im Hals stecken.“ – Danilo, ein 13-jähriger Junge, der eine Landschule wenige Autostunden außerhalb von Goiânia, der Hauptstadt des Bundesstaates Goiás, besucht.

***Alle Namen wurden zum Schutz der Personen geändert

Kategorien: Menschenrechte

Libanon: Abfallkrise birgt Gesundheitsrisiken

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Brennender Müll in Majadel, Süd-Libanon.

© 2017 Human Rights Watch

(Beirut) – Die Behörden im Libanon unternehmen nicht genug, um das Verbrennen von Müll unter freiem Himmel zu stoppen. Dies gefährdet die Gesundheit der Menschen, die in der Nähe solcher Verbrennungsstätten leben. Damit wird ihr Recht auf Gesundheit verletzt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Betroffene berichteten über Gesundheitsprobleme, die durch häufiges und fortwährendes Einatmen von Rauch aus einer offenen Müllverbrennungsstätte verursacht werden.  

Der 67-seitige Bericht „‘As If You’re Inhaling Your Death’: The Health Risks of Burning Waste in Lebanon” kommt zu dem Schluss, dass die ausbleibenden Maßnahmen der Behörden, um das weitverbreitete Problem der offenen Müllverbrennungen anzugehen, gegen Libanons Pflichten gemäß internationalem Recht verstoßen. Gleiches gilt für die unzureichenden Überwachungsmechanismen dieser Praxis und den Mangel an Informationen über die Gesundheitsrisiken. Das offene Verbrennen von Abfall ist gefährlich und vermeidbar; es ist eine Folge des jahrzehntelangen Versagens der Regierung, einen umweltverträlichen Umgang mit Müll zu etablieren, der keine Gesundheitsrisiken birgt, und entsprechende Gesetze zu verabschieden, die die Menschen schützen. Wissenschaftliche Studien haben dokumentiert, welche Gefahren der Rauch mit sich bringt, der beim offenen Verbrennen von Hausmüll für die Gesundheit entsteht. Dabei sind besonders Kinder und ältere Menschen gefährdet. Der Libanon soll den offenen Müllverbrennungen ein Ende setzen und eine nachhaltige, nationale Lösung für den Umgang mit Müll entwickeln, die im Einklang mit internationalem Recht steht und sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit der Menschen bestmöglich schützt.

„Jeder einzelne Sack Müll, der offen verbrannt wird, schadet der Gesundheit der Anwohner. Dennoch unternehmen die Behörden praktisch nichts, um diese Krise unter Kontrolle zu bringen”, so Nadim Houry, geschäftsführender Direktor des Beiruter Büros von Human Rights Watch. „Die Leute glauben zwar, dass diese Müllkrise erst im Jahr 2015 begonnen hat. Tatsächlich aber dauert sie schon Jahrzehnte an, da die Regierung sich immer nur von einem Notfallplan zum nächsten hangelt und hierbei die Situation außerhalb von Beirut und in den umliegenden Gegenden größtenteils ignoriert.“

Der mangelhafte Umgang mit Abfall im Libanon wurde 2015 öffentlich, als sich der Müll in den Straßen der Hauptstadt türmte. Human Rights Watch fand jedoch heraus, dass im Rest des Landes schon seit Jahrzehnten eine stille Krise herrscht. Im Libanon gibt es keine einheitliche Strategie für den Umgang mit Abfall, die für das ganze Land gilt. In den 90er Jahren führte die Zentralregierung die Müllsammlung und –entsorgung in Beirut und im Libanongebirge ein. Hierbei wurden jedoch andere Regionen sich selbst überlassen, ohne dass sie hierfür angemessene Kontrollmöglichkeiten und finanzielle oder technische Unterstützung erhielten. So kam es zu immer mehr offenen Verbrennungsstätten im ganzen Land. Laut Forschern der American University in Beirut werden 77 Prozent des Mülls im Libanon entweder offen abgeladen oder deponiert, obwohl nur geschätzte 10 bis 12 Prozent davon nicht recycelt oder kompostiert werden könnten.

Human Rights Watch führte über 100 Interviews, darunter mit Menschen, die in der Nähe von offenen Mülldeponien leben, Gesundheitsexperten, Regierungsbeamten, Ärzten, Apothekern und Aktivisten. Mitarbeiter von Human Rights Watch besuchten zudem 15 Orte, an denen mutmaßlich Müll verbrannt wird. Hier nutzten sie Drohnen, um Luftaufnahmen von drei großen Müllhalden zu machen. Die entstandenen Aufnahmen zeigen Ruß von kürzlich erfolgten Verbrennungen und Ascheablagerungen, die von länger zurückliegenden Verbrennungen zeugen. Human Rights Watch dokumentierte zudem drei Fälle von offenen Abfallverbrennungen in unmittelbarer Nähe von Schulen und einen Fall in der Nähe eines Krankenhauses.   

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (englisch United Nations Development Programme, UNDP) stellte Human Rights Watch eine Karte zur Verfügung, auf der 617 nicht offiziell kontrollierte Müllhalden im Libanon verzeichnet sind. Auf mehr als 150 von ihnen wird mindestens einmal wöchentlich Müll verbrannt. Laut des Civil Defense, der nationalen Feuerwehr des Libanon, ist auch die Zahl der offenen Verbrennungen in Beirut und im Libanongebirge gestiegen, nachdem das Abfallentsorgungssystem in diesen Gebieten 2015 kollabiert war. Hierbei kam es u.a. zu einem um 330 Prozent erhöhten Müllaufkommen im Libanongebirge. Die Karte des UNDP zeigt, dass die Müllverbrennungen zu einem überwältigenden Großteil in Regionen stattfinden, in denen die Einkommen niedrig sind.  

Die meisten Anwohner, mit denen Human Rights Watch Interviews führte, berichteten von gesundheitlichen Problemen, die sie auf die Müllverbrennungen und das Einatmen des dabei entstehenden Rauches zurückführten. Hierzu gehörten Beschwerden der Atemwege, darunter die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Husten, Halsschmerzen und Asthma. Diese Symptome entsprechen jenen, die in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten als Folgen von offenen Müllverbrennungen dokumentiert wurden.

„Es ist, als läge ein Nebel über der ganzen Stadt”, so Othman, ein Bewohner des Dorfes Kfar Zabad, der nur beim Vornamen genannt wird. „Wir müssen ständig husten, können kaum atmen und manchmal ist Asche in unserem Speichel, wenn wir aufwachen.“

Die Menschen, die in der Nähe der Verbrennungsstätten leben, gaben an, sich nicht über längere Zeit im Freien aufhalten zu können. Die Luftverschmutzung bereite ihnen zudem Schlafprobleme oder sie müssten ihre Häuser während der Müllverbrennungen verlassen. Einige sagten, sie seien umgezogen, um mögliche Gesundheitsschäden zu vermeiden.

Familien gaben an, die Unsicherheit, ob die Müllverbrennungen ihrer Gesundheit oder der ihrer Kinder schaden und z.B. Krebs verursachen könnten, sei eine schwerwiegende psychische Belastung für sie. Fast alle gaben an, dass ihre Gemeinde sie nicht informiert habe über Risiken oder Vorsichtsmaßnahmen bezüglich der Müllverbrennungen. Die libanesische Regierung soll die Menschen angemessen über die Gefahren von offenen Müllverbrennungen aufklären und sie darüber informieren, was sie tun können, um sich vor dem Rauch zu schützen, so Human Rights Watch.

Anwohner zeigten sich zudem frustriert darüber, dass die Müllverbrennungen fortgesetzt werden, ohne dass hierfür jemand zur Rechenschaft gezogen wird, obwohl sich die Menschen wiederholt bei der Gemeinde beschwert hätten. Kommunalbeamte außerhalb von Beirut und dem Libanongebirge sagten, die Zentralregierung würde keine angemessene finanzielle oder technische Unterstützung leisten für einen verantwortungsvolleren Umgang mit dem Müll. Zudem sei die Regierung in den letzten Jahren im Verzug bei der Auszahlung des entsprechenden Anteils des Independent Municipal Fund an die Gemeinden.   

Laut Umweltministerium verstoßen offene Müllverbrennungen gegen die nationalen Umweltschutzgesetze. Das Versagen der Regierung, dieses Problem effektiv anzugehen und zu beheben, verstößt zudem gegen Libanons Pflichten gemäß internationalem Recht. Hiernach gehört es zu den Pflichten der Regierung, das Recht auf Gesundheit zu respektieren, zu schützen und umzusetzen. Das Umweltministerium verfügt anscheinend weder über das Personal noch über die finanziellen Mittel, um die Umweltsituation im Land effektiv zu überwachen. 

Die libanesische Regierung verabschiedete 2012 eines Gesetzesentwurfs, der die Schaffung eines zentralen Abfallentsorgungsgremiums vorsah. Vorstehen sollte diesem Gremium das Umweltministerium. Dieses Gremium sollte Entscheidungen auf nationaler Ebene treffen und auch die Müllentsorgung national regeln, während die lokalen Behörden weiterhin für die Müllsammlung verantwortlich sein sollten. Das Parlament hat diesem Gesetzentwurf jedoch noch nicht zugestimmt.  

Der Libanon soll einen nationalen Langzeitplan für die Abfallentsorgung entwickeln und umsetzen, in dem auch die damit verbundenen Folgen für die Umwelt und die Gesundheit berücksichtigt werden, so Human Rights Watch.

Im Fokus der jüngsten Diskussionen bezüglich eines solchen Langzeitplans steht der Einsatz von Müllverbrennungsanlagen. Human Rights Watch selbst bezieht zwar keine Stellung dazu, welchen Ansatz der Libanon bei der Müllentsorgung verfolgen sollte, einige Gesundheitsexperten und Aktivisten äußerten jedoch Bedenken bezüglich der unabhängigen Überwachung, des möglichen Schadstoffausstoßes und der hohen Kosten.   

„Besonders beunruhigend an dieser Krise ist, dass die Anwohner quasi überhaupt keine Informationen erhalten über die Gesundheitsrisiken, denen sie in der Nähe von Verbrennungsstätten ausgesetzt sind“, so Houry. „Die Menschen haben ein Recht darauf, über potentielle Gefahren in ihrer Umgebung aufgeklärt zu werden. Die libanesische Regierung soll die Auswirkungen der Abfallkrise auf die Luft, den Boden und das Wasser untersuchen und die Untersuchungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen.“

Kategorien: Menschenrechte

UN: Opfer von Bleivergiftung im Kosovo entschädigen

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Spielende Roma-Kinder im Flüchtlingslager Cesmin Lug in Mitrovica, im nördlichen Kosovo. Cesmin Lug ist eines der Lager, die von den UN errichtet wurden und bekanntermaßen schwer bleibelastet ist. In der Nähe befindet sich ein stillgelegtes Bleibergwerk. 12. Dezember 2007.

© 2007 Carsten Koall/Getty Images (New York, 7. September 2017) – Die Opfer von Bleivergiftung in UN-geleiteten Camps im Kosovo wurden bislang noch nicht von den Vereinten Nationen entschädigt. Die betroffenen Familien können somit nur schwer für ihre kranken Angehörigen sorgen, die dem Schwermetall ausgesetzt waren, so Human Rights Watch heute.

Etwa 8.000 Menschen aus den Bevölkerungsgruppen der Roma, Aschkali und ägyptischen Minderheiten wurden nach dem Kosovokrieg 1998-1999 aus ihrer Heimat Mitrovica vertrieben. Die UN, die damals de facto im Kosovo regierte, siedelte etwa 600 von ihnen in Camps an, die durch ein nahegelegenes Bergwerk stark mit Blei belastet waren. Dort mussten die Betroffenen über zehn Jahre lang ausharren. 2016 befand ein UN-Beratungsausschuss für Menschenrechte, dass die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (engl. United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, kurz UNMIK) die Rechte der Betroffenen auf Leben und Gesundheit verletzt hatte. Laut dem Ausschuss war die UNMIK „auf die Gesundheitsrisiken hingewiesen worden, denen die [Campbewohner] seit November 2000 ausgesetzt waren“. Dennoch wurden diese erst mehr zehn Jahre später in eine sichere Umgebung umgesiedelt. Der Ausschuss empfahl der UNMIK, sich zu entschuldigen und individuelle finanzielle Wiedergutmachung zu leisten.

Trotz der Empfehlung des Auschusses verkündeten die Vereinten Nationen im Mai 2017, sie würden lediglich einen freiwilligen Treuhandfonds für Gemeindehilfsprojekte einrichten, „um den Roma, Aschkali und ägyptischen Bevölkerungsgruppen allgemein zu helfen”. Eine öffentliche Entschuldigung oder ein Schuldeingeständnis blieb somit aus.

„Die UN soll endlich auf den Rat ihrer eigenen Experten hören und die Menschen entschädigen, die durch Fehler der UN dauerhaft geschädigt oder beeinträchtigt sind”, so Katharina Rall, Umwelt-Expertin bei Human Rights Watch. „Wie kann die UN von Regierungen erwarten, Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen zu übernehmen, wenn sie dies nicht auch selbst tut?”

September 7, 2017 Video Video: UN Should Compensate Kosovo Lead Poisoning Victims

The United Nations’ failure to compensate victims of widespread lead poisoning at UN-run camps in Kosovo has left affected families struggling to care for sick relatives who were exposed to the contamination.

Im Juni sprach Human Rights Watch mit 19 Opfern von Bleivergiftung und Familienmitgliedern, die in UN-Camps gelebt hatten. Zudem führte Human Rights Watch Interviews mit Medizinern, Juristen und Organisationen, die sich für die betroffenen Gruppen einsetzen.

Viele Betroffenen, darunter auch Kinder, leiden an zahllosen Gesundheitsproblemen, unter anderem Krämpfe, Nierenleiden und Gedächtnisverlust, alles typische Langzeitfolgen einer Bleivergiftung. Blei ist ein hochgiftiges Schwermetall, das dem menschlichen Körper neurologische, biologische und kognitive Schäden zufügen kann. Kinder und schwangere Frauen sind hierbei besonders gefährdet. Eine 33-jährige Frau, die in einem bleibelasteten Camp gelebt hatte, bevor sie in den Roma-Bezirk in Mitrovica umzog, berichtete, dass sie sich Sorgen um ihren 16-jährigen Sohn mache. Bei ihm wurde im Alter von neun Monaten eine Bleivergiftung festgestellt. „Bis er sieben Jahre alt war, hatte er regelmäßig Krämpfe. Heute hat er… Probleme in der Schule. Er ist oft unruhig und kann sich nur schwer etwas merken. Als Mutter ist es sehr schwer für mich, meine Kinder so zu sehen und ihnen nicht helfen zu können.“

Launch Gallery Der UN-Ausschuss untersuchte Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen durch die UNMIK, seit 1999 Interims-Regierung im Kosovo. Der Ausschuss stellte gravierende Menschenrechtsverletzungen fest, darunter Verletzungen des Rechts auf Leben, Gesundheit und Nichtdiskriminierung. Die Ankündigung des Pressebüros des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres, einen Fonds einrichten zu wollen, anstatt die Opfer einzeln zu entschädigen, bedeutet, dass nichts unternommen wird, solange die Mitgliedstaaten nicht in den Fonds einzahlen. Eine baldige Abhilfe für die Opfer ist somit mehr als ungewiss.  

Im Juli 2017 rief Guterres die Mitgliedstaaten dazu auf, in den Fonds einzuzahlen und so „die dringendsten Probleme der betroffenen Gemeinden” zu bekämpfen. Die UN sagt zwar, sie „tut alles, um finanzielle Ressourcen zu mobilisieren“, nannte jedoch keine Einzelheiten dazu, ob Regierungen bereits in den Fonds eingezahlt haben.

2016 beschloss die UN, einen ähnlichen Fonds für Haiti einzurichten. Ziel war es, 400 Millionen US-Dollar zu sammeln, um „materielle Unterstützung” zu leisten und Cholera zu behandeln und zu bekämpfen. Mehr als 9.000 Haitianer waren damals an Cholera gestorben, weitere 800.000 daran erkrankt. Die Epidemie wurde auf UN-Friedenstruppen zurückgeführt, die nach dem verheerenden Erdbeben 2010 ins Land gekommen waren. Bis jetzt wurden in den Fonds jedoch lediglich 2,7 Millionen US-Dollar eingezahlt, weniger als 1 Prozent der angestrebten Summe.

„Einen leeren Fonds zur Entschädigung der Opfer einzurichten, dies ist so, als würde man ein leeres Bankkonto für jemanden eröffnen, um sein Leben wiederaufzubauen”, so Rall. „Wie in Haiti sind es auch hier wieder die Opfer der UN-Fahrlässigkeit, die am Ende auf den Kosten sitzenbleiben und keine Möglichkeit auf Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung haben.”

Einen leeren Fonds zur Entschädigung der Opfer einzurichten, dies ist so, als würde man ein leeres Bankkonto für jemanden eröffnen, um sein Leben wiederaufzubauen. Katharina Rall

Umwelt-Expertin

Laut internationalen Menschenrechtsbestimmungen verlangt das Recht auf Wiedergutmachung eine individuelle Entschädigung der Opfer für entstandene materielle und immaterielle Schäden. Die UN hat sich wiederholt in Form von Verträgen, Resolutionen der Generalversammlung und Berichten des Generalsekretärs dazu verpflichtet. Im Kosovo hat die UNMIK jedoch Gesetze verabschiedet, durch die ihr selbst Immunität verliehen werden sollte und sie sich somit rechtlichen Konsequenzen entziehen wollte, obwohl sie de facto die Regierung im Kosovo war.

Die Ankündigung des UN-Generalsekretärs im Mai verspricht bestenfalls Gemeindehilfsprojekte. Somit soll das Geld aus dem Fonds ausschließlich dafür genutzt werden, allgemeine Hilfe zu leisten. Die Mittel kommen demnach nicht spezifisch den Opfern der Bleivergiftung zugute und können somit nicht als Entschädigung gewertet werden. Die Entscheidung der UN, einen Treuhandfonds einzurichten, anstatt die Betroffenen einzeln zu entschädigen und somit Verantwortung für die Langzeitfolgen von Bleivergiftungen zu übernehmen, bedeutet, dass viele Familien weiterhin nur schwer für kranke Angehörige sorgen können, die Opfer von Bleivergiftung wurden. „Es interessiert niemanden, dass wir 12, 13 Jahre lang in den Camps gelitten haben”, so ein ehemaliger Leiter eines Camps in Cesmin Lug. „Niemand fragt: ,Wie geht es Ihrem Sohn? Ist er wieder gesund? Hat er irgendwelche Probleme oder Beeinträchtigungen?‘“

Viele Roma, Aschkali und ägyptische Familien, mit denen Human Rights Watch im Norden des Kosovo sprach, brauchen finanzielle und soziale Unterstützung. Einige Eltern sagten, sie könnten sich weder Medikamente noch gesundes Essen für ihre kranken Kinder leisten. Andere Familien beklagten den Mangel an Unterstützung für Kinder, die Probleme in der Schule haben aufgrund von Lernschwierigkeiten, die durch die Bleivergiftung ausgelöst wurden.

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Hazbije (rechts), 50 Jahre, Mutter von neun Kindern, sagte, ihr Mann sei vor zwei Jahren verstorben. Seitdem kümmert sie sich allein um die Kinder. Mitrovica, 27. Juni 2017.

© 2017 Human Rights Watch Samir H., 40 Jahre alt und Vater von neun Kindern, lebte in bleibelasteten Camps in Zitcovac und Osterode. Er sagte: „Mein zweitältester Sohn wurde in ein Krankenhaus in Serbien gebracht, da seine Bleiwerte so hoch waren… Danach sagte man uns, dass er Medikamente nehmen solle, um die Krämpfe zu behandeln. Wir mussten selbst für die Medikamente aufkommen. Das war schwierig. Auch heute ist er immer noch sehr unruhig…Er ist kein guter Schüler, weil er sich nichts merken kann… Wir müssen uns um ihn kümmern, da wir keine Unterstützung von der Schule bekommen.”

Die medizinischen Experten, mit denen Human Rights Watch sprach, äußerten sich besorgt darüber, dass es keine fortlaufenden Tests gibt und die betroffenen Gruppen nicht unterstützt werden. Nach Recherchen von Human Rights Watch wurden die jüngsten Tests und Behandlungen von Bleivergiftungen durch den dänischen Flüchtlingsrat finanziert. Diese Tests waren jedoch sehr begrenzt und wurden schließlich im Mai 2017 eingestellt, da die Test-Sets ausgingen.

Die UN sollte den Opfern der Bleivergiftung individuelle Entschädigungen zahlen, so dass diese die Langzeitfolgen der Vergiftung bekämpfen können. Zudem forderten Eltern die UN auf, für eine gute medizinische Versorgung und Bildung für alle betroffenen Kinder zu sorgen. Beides ist derzeit für viele nicht gegeben. Die UN soll zudem mit der Regierung des Kosovo und Opfervertretern zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass alle Betroffenen angemessen medizinisch versorgt werden und Kinder die nötige Unterstützung erhalten, um ihr Recht auf Bildung wahrnehmen zu können.

„Das Kosovo, das einst von der UN regiert wurde, gehört zu den Orten, wo die Vereinten Nationen wirklich etwas bewirken können“, so Rall. „Die UN sollen den Empfehlungen ihrer eigenen Experten folgen und den Opfern und ihren Familien die Entschädigung zahlen, die ihnen zusteht.“

Chronik

1999: Roma, Aschkali und ägyptische Minderheiten werden von den UN in bleiverseuchte Lager umgesiedelt.

2000: Ein interner Bericht der UNMIK dokumentiert die Bleibelastung in der Region und in Blutproben der Bevölkerung.

2004: Die WHO führt Blutuntersuchungen in den Camps durch und fordert die UNMIK auf, umgehend alle Kinder und schwangeren Frauen aus den Camps zu evakuieren.

2010: Die UNMIK bringt die ersten Menschen aus der belasteten Region weg.

2013: Das letzte Camp wird geschlossen.

2016: Der Beratungsausschuss für Menschenrechte veröffentlicht eine Stellungnahme mit der Empfehlung, dass die UN eine öffentliche Entschuldigung ausspricht und die Opfer finanziell entschädigt.

May 2017: UN-Generalsekretär Guterres kündigt die Einrichtung eines freiwilligen Treuhandfonds an, um Gemeindeprojekte zu unterstützen und „Roma, Aschkali und ägyptischen Gemeinden” allgemein zu helfen. Individuelle Entschädigungen bleiben aus.

Kategorien: Menschenrechte

Tansania: Gefährliches Leben für Kinder in Goldminen

(Daressalam) – Kinder im Alter von gerade einmal acht Jahren arbeiten in Tansania im Kleinbergbau zur Goldgewinnung und setzen dabei nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihr Leben aufs Spiel, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die tansanische Regierung soll Kinderarbeit im Kleinbergbau, einschließlich in informellen Minen ohne Schürflizenz, eindämmen. Auch die Weltbank und Geberländer sollen diese Bemühungen unterstützen.

Der 96-seitige Bericht Toxic Toil: Child Labor and Mercury Exposure in Tanzania’s Small-Scale Gold Mines“dokumentiert, wie Tausende Kinder in Tansania, Afrikas viertgrößtem Goldproduzenten, im Kleinbergbau arbeiten – in zugelassenen und nicht zugelassenen Minen. Sie schürfen und bohren in tiefen, instabilen Schächten, arbeiten bis zu 24 Stunden lang unter Tage, transportieren schwere Säcke und zerkleinern das Golderz. Die Kinder sind durch einstürzende Schächte und das Hantieren mit Werkzeug einem hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Zudem können der Kontakt mit Quecksilber, das Einatmen von Staub und das Tragen schwerer Lasten zu langfristigen gesundheitlichen Schäden führen. Ein 17-jähriger Junge, der ein Grubenunglück überlebt hat, sagte zu Human Rights Watch: „Ich dachte, ich sei tot, ich hatte solche Angst.“

„Jungen und Mädchen in Tansania lassen sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Goldminen locken und finden sich in einer gefährlichen, ausweglosen Sackgasse wieder“, so Janine Morna, Research Fellow in der Abteilung Kinderrechte von Human Rights Watch. „Die Regierung und die Geberländer müssen dafür sorgen, dass diese Kinder die Schule besuchen oder eine Ausbildung machen, anstatt in den Minen zu arbeiten.“

Bei vielen Kindern, die im Bergbau arbeiten, handelt es sich um Waisen oder andere schutzbedürftige Kinder, denen es am Notwendigsten fehlt. Mädchen sind an den Minenstandorten sexueller Belästigung ausgesetzt und werden dazu gedrängt, sich zu prostituieren. Manche Mädchen werden Opfer sexueller Ausbeutung und können sich mit HIV oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten anstecken.

Human Rights Watch besuchte elf Minenstandorte in den Distrikten Geita, Shinyanga und Mbeya und befragte mehr als 200 Personen, darunter 61 Kinder, die im Kleingoldbergbau arbeiten. Nach internationalen Abkommen, die auch Tansania unterzeichnet hat, gehört die Beschäftigung von Kindern im Bergbau zu den schlimmsten Formen von Kinderarbeit.

„In Tansania gibt es, zumindest auf dem Papier, strenge Gesetze, die Kinderarbeit im Bergbau verbieten, doch die Regierung hat bisher viel zu wenig für deren Durchsetzung getan“, so Morna. „Arbeitsinspektoren müssen Minen mit und ohne Schürflizenz regelmäßig kontrollieren und dafür sorgen, dass gegen Arbeitgeber, die Kinder beschäftigen, Sanktionen verhängt werden.“

Arbeitende Kinder, aber auch Kinder, die in der Nähe von Minenstandorten leben, sind einem hohen Risiko von Quecksilbervergiftung ausgesetzt. Quecksilber greift das zentrale Nervensystem an und kann bei Kindern zu lebenslangen Behinderungen führen, da das Schwermetall ihre körperliche Entwicklung stark beeinträchtigt. Die Minenarbeiter, einschließlich Kinder, mischen Quecksilber mit dem zerkleinerten Roherz und verbrennen das daraus entstehende Gold-Quecksilber-Amalgam, um das Gold herauszulösen. Dabei setzen sie sich giftigen Quecksilberdämpfen aus. Oft sind sogar Kleinkinder bei diesem Verfahren anwesend, das mitunter Zuhause durchgeführt wird.

Die meisten Minenarbeiter, Erwachsene wie Kinder, sind sich des Gesundheitsrisikos nicht bewusst. Zudem fehlt es an Schulungen und Einrichtungen für medizinisches Personal und an der nötigen Ausstattung zur Diagnose und Behandlung von Quecksilbervergiftungen. Bestehende Gesetze und Initiativen, um die Verwendung von Quecksilber zu reduzieren, sind weitgehend fehlgeschlagen.

Tansania war an der Ausarbeitung eines neuen globalen Abkommens zur weltweiten Eindämmung von Quecksilberemissionen beteiligt, auf das sich im Januar 2013 mehr als 140 Regierungen verständigt haben. Das Minamata-Übereinkommen,benannt nach dem Ort in Japan, an dem es vor einem halben Jahrhundert zu einer der schwersten Quecksilber-Katastrophen gekommen war, soll im Oktober in der Nähe von Minamata unterzeichnet werden.

„Tansania hat sich aktiv für das Zustandekommen des Minamata-Übereinkommens eingesetzt“, so Morna. „Um die Zukunft seines eigenen Volkes und seiner wachsenden Bergbauindustrie zu sichern, muss das Land jetzt eine Vorreiterrolle einnehmen und seine Kinder schützen, indem sie aus den Minen geholt werden und ihre Belastung mit Quecksilber überwacht, getestet und behandelt wird.“

Die Arbeit in den Minen wirkt sich auch auf die Schulbildung aus. Kinder, die im Bergbau arbeiten, bleiben dem Unterricht manchmal fern oder brechen die Schule ganz ab. Lehrer berichteten Human Rights Watch, dass die Anwesenheitsquote sank und die schulischen Leistungen abnahmen, sobald in der Nähe eine neue Goldmine in Betrieb genommen wurde. Zudem suchen viele Jugendliche eine Vollzeitbeschäftigung, auch im Bergbau, weil sie keinen Zugang zu einer weiterführenden Schule oder Ausbildung haben.

Welchen Einfluss der Bergbau auf sein Leben hat, brachte ein 15-jähriger Junge im Geita-Distrikt auf den Punkt: „Es ist schwierig, Bergbau und Schule miteinander zu vereinbaren. Ich habe keine Zeit für den Nachhilfeunterricht, [der am Wochenende stattfindet]. Ich denke an die Mine, bin abgelenkt … Einmal … bin ich krank geworden, [nachdem ich in der Mine gearbeitet habe und dann den Unterricht versäumte]. Mein ganzer Körper schmerzte.“

Die tansanische Regierung soll den Schutz der Kinder und ihren Zugang zu weiterführenden Schulen und zu einer Berufsausbildung verbessern, so Human Rights Watch. Die Regierung und Geberländer sollen den neuen Aktionsplan für besonders schutzbedürftige Kinder finanziell und politisch unterstützen und auch Waisenkinder aus den Bergbauregionen im Förderprogramm des Tanzania Social Action Fund berücksichtigen, das Zuwendungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen vorsieht.

Die Weltbank und andere Geldgeber des Bergbausektors sollen außerdem Maßnahmen unterstützen, durch die Kinderarbeit im Bergbauzu beenden und die Quecksilberexposition von Kindern und Erwachsenen zu verringern, so Human Rights Watch. Sie sollen beispielsweise Kindern, die in nicht zugelassenen Minen arbeiten, dabei helfen, auf eine Schule zu wechseln, und sicherstellen, dass neu zugelassene Minen nicht auf Kinderarbeit zurückgreifen. Ein laufendes 55-Millionen-Dollar-Projekt der Weltbank zur Unterstützung des Bergbausektors zielt nicht direkt auf das Problem der Kinderarbeit ab.

Die Goldindustrie muss sicherstellen, dass sie weder direkt noch indirekt von rechtswidriger Kinderarbeit profitiert. Die meisten Goldhändler, die Human Rights Watch in Tansania befragt hat, verfügten über keine geeigneten Maßnahmen, um Gold, das von Kindern geschürft wird, aus ihrer Zulieferkette auszuschließen.

Kleine Händler kaufen das Gold in der Regel direkt in den Minen oder in den Bergbauorten und verkaufen es dann an größere Händler in Tansania weiter. Manchmal geht das Gold durch die Hände mehrerer Zwischenhändler, bevor es die Exporteure erreicht. Angaben der tansanischen Regierung zufolge wurden 2012 im Kleinbergbau etwa 1,6 Tonnen Gold im Wert von 85 Millionen US-Dollar produziert.

Hauptabnehmer für Gold aus dem Kleinbergbau in Tansania sind die Vereinigten Arabischen Emirate(VAE). Das Gold wird außerdem in die Schweiz, nach Südafrika,Chinaund in das Vereinigte Königreichexportiert.

„Unternehmen – ob groß oder klein, ob in Tansania oder anderswo auf der Welt – sollen eine Verstrickung mit rechtswidriger Kinderarbeit in ihrer Zulieferkette vermeiden“, so Morna. „Als Käufer haben die Goldhändler großen Einfluss auf ihre Lieferanten. Sie sollen diesen Einfluss zum Schutz der Kinder nutzen, aber auch, um die Verbraucher davor zu schützen, Gold zu kaufen, das durch Kinderarbeit gewonnen wurde.“

Kategorien: Menschenrechte

Russland: Aktivisten und Journalisten vor Sotschi unter Druck

(Moskau) – Russische Lokalbehörden setzen Aktivisten und Journalisten unter Druck, die sich kritisch über die Vorbereitung der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi geäußert haben, so Human Rights Watch. Diese Woche sind es nur noch sechs Monate bis zur Eröffnung der Spiele in Sotschi.

Human Rights Watch hat dokumentiert, wie die Regierung versucht, Privatpersonen und Organisationen einzuschüchtern, die über Menschenrechtsverletzungen gegen Arbeitsmigranten, die Folgen der olympischen Bauprojekte für Umwelt und Gesundheit oder unfaire Entschädigungen für die Opfer von Zwangsräumungen recherchiert hatten bzw. diese Themen öffentlich ansprechen. Human Rights Watch beobachtete auch, wie die Behörden Journalisten offenbar als Vergeltung für ihre Berichterstattung unter Druck setzten und strafrechtlich belangten.

„Aktivisten und Journalisten so lange zu belästigen, bis sie schweigen, ist falsch und befleckt das Image der Olympischen Spiele nur noch mehr“, so Jane Buchanan, stellvertretende Direktorin der Europa- und Zentralasienabteilung von Human Rights Watch. „Die Pressefreiheit ist eine nicht verhandelbare Voraussetzung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele. Die Versuche der Behörden, Kritiker mundtot zu machen, sind ein klarer Verstoß gegen dieses Prinzip.“

Das Internationale Olympische Komitee (IOK) hat sich verpflichtet, der Ausbeutung von Arbeitsmigranten sowie anderen Menschenrechtsverletzungen, die in klarem Zusammenhang mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele stehen, nachzugehen. Die Olympische Charta schützt die Pressefreiheit und widmet dem Thema „Medienberichterstattung über die Olympischen Spiele“ einen ganzen Absatz. Das IOK ist verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine möglichst vollständige Berichterstattung durch die verschiedenen Medien zu gewährleisten. Andere Bestimmungen verlangen, dass die Berichterstattung über die Olympischen Spiele in keiner Weise behindert werden darf.

Human Rights Watch hat seit 2008 dokumentiert, wie Bürgerrechtler, Journalisten und andere Personen eingeschüchtert und unter Druck gesetzt wurden, wenn sie zu den Olympischen Spielen in Sotschi gearbeitet oder sich dazu geäußert haben.

„Die Vorbereitung für die Spiele in Sotschi wurde von schweren Menschenrechtsverletzungen und anderen Problemen überschattet, von denen viele nur dank des Engagements von Bürgerrechtlern und Journalisten ans Licht kamen“, so Buchanan. „Wenn das IOK diese Probleme erst nimmt, soll es es die russischen Behörden auffordern, die Schikanierung von Aktivisten, Organisationen und Journalisten unverzüglich zu beenden und Berichten über Menschenrechtsverletzungen nachzugehen.“

Die Polizei hat in einigen Fällen zwar friedliche Proteste zu Umweltproblemen und anderen Themen zugelassen, in anderen wurden Umweltschützer, Menschenrechtler und Bürgerrechtler jedoch zum Ziel von Übergriffen, Verhaftungen und Durchsuchungen. Bei zwei Nichtregierungsorganisationen, die aktiv an der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Olympiavorbereitungen beteiligt sind, fanden weitreichende behördliche Inspektionen statt, bei mindestens einer Organisation wurden Email-Konten überprüft.

Die Medienberichterstattung über die Olympiavorbereitungen ist durchaus vielschichtig – einige Medien berichten kritisch, andere meiden Kritik. Dennoch teilten Redakteure, Journalisten, Blogger und Angestellte von Medienkanälen Human Rights Watch mit, dass sie bedroht oder eingeschüchtert wurden, nachdem sie Beiträge über Verstöße und Missstände bei Olympia oder andere Probleme in Sotschi veröffentlicht hatten. Derzeit bestehen Strafanzeigen gegen mindestens zwei Journalisten und den Generaldirektor einer Zeitung. Dabei handelt es sich offenbar um Vergeltungsmaßnahmen für ihre journalistische Arbeit.

Einige Journalisten erklärten gegenüber Human Rights Watch, die Lokalbehörden versuchten, negative oder kritische Informationen über Sotschi zu kontrollieren, indem sie Redakteure unter Druck setzten, die Olympiavorbereitungen ausschließlich in einem „positiven“ Licht darzustellen. Bei einigen unabhängigen Online-Nachrichten-Portale und Blogs, die kritische Materialien über die Olympiavorbereitungen bereitstellten, wurden die Websites zeitweilig lahmgelegt.

„Die Pressefreiheit ist ein zentraler Grundsatz der Olympischen Charta. Wenn Journalisten davor Angst haben, über Themen von legitimem öffentlichem Interesse zu berichten, können die Spiele nicht erfolgreich stattfinden“, so Buchanan. „Das IOK soll darauf bestehen, dass die russischen Behörden jedem einzelnen Journalisten, der nach Sotschi reist oder von dort berichtet, eine absolut freie Berichterstattung garantieren.“

Die Schikanierung und Einschüchterung der Zivilgesellschaft in Sotschi ist vor dem Hintergrund der seit der Amtseinführung von Präsident Wladimir Putin vor 15 Monaten fortschreitenden Einschränkung der Menschenrechte in Russland zu sehen.

In dieser Zeit wurden Gesetze verabschiedet, die das Versammlungsrecht einschränken, den Straftatbestand der Verleumdung wiedereinführen, religiöse Beleidigung zu einem Straftatbestand erheben, Restriktionen für Internetinhalte festschreiben, die Definition des Hochverrats ausdehnen und „Propaganda für nicht-traditionelle Sexualbeziehungen“ verbieten. Eine landesweite Kampagne der Regierung zwingt Nichtregierungsorganisationen, die Gelder aus dem Ausland erhalten und unklar definierte „politische Aktivitäten“ betreiben, sich als „Auslandsagenten“ registrieren zu lassen. Damit versucht die Regierung, ein breites Spektrum unabhängiger Organisationen in ihrer Arbeit einzuschränken.

„Wenn Aktivisten Missstände aufdecken, so stehen sie in ganz Russland unter beispiellosem Druck. Sotschi ist da keine Ausnahme“,  so Buchanan. „Das IOK kann sich jetzt für den Schutz der Menschenwürde einsetzen – ein zentrales Ziel der Olympischen Bewegung. Es soll die russischen Behörden auffordern, grundlegende Rechte aller Aktivisten – Kritiker wie Befürworter – zu schützen. Zudem sollen Einzelpersonen und Organisationen das Recht haben, ihre Ansichten ohne Angst vor Repressalien zu vertreten.“

Kategorien: Menschenrechte

Quecksilbervertrag: Letzte Gelegenheit für Gesundheitsschutz

Im internationalen Quecksilbervertrag sollen spezifische Vorschriften zum Schutz der Gesundheit von Kindern und anderen gefährdeten Bevölkerungsgruppen aufgenommen werden, so Human Rights Watch heute. Ab 13. Januar 2013 treffen sich Regierungsvertreter in Genf zur fünften und letzten Verhandlungsrunde über das Vertragswerk. Quecksilber ist ein giftiges Metall, das das Nervensystem schädigt und besonders für Kinder gefährlich ist.

Der Vertragsentwurf konzentriert sich bislang auf Umweltaspekte, während vernachlässigt wird, welch wichtige Rolle der Gesundheitssektors bei den von Quecksilber verursachten Problemen spielt. Westliche Regierungen sperren sich gegen stärkere Gesundheitsvorschriften.

„Bei den anstehenden Verhandlungen haben die Delegierten zum letzten Mal die Chance, wirkungsvolle Strategien zur Prävention und Behandlung von Quecksilbervergiftung zu entwickeln“, so Juliane Kippenberg, Kinderrechtsexpertin von Human Rights Watch. „Weltweit sind Millionen Menschen täglich Quecksilber ausgesetzt, etwa im Kleinbergbau. Wir brauchen dringend eine bessere Vorbeugung gegen und Behandlung von Quecksilbervergiftungen.“

Untersuchungen von Human Rights Watch haben dokumentiert, dass Arbeiter im Kleinbergbau Quecksilber benutzen, um Gold aus Erz zu gewinnen, und so Vergiftungen riskieren. Weltweit arbeiten mindesten 13 Millionen Menschen in Goldminen des Kleinbergbaus, darunter viele Kinder. Nur die wenigsten wissen, wie gefährlich Quecksilber ist.

In Mali befragte Human Rights Watch Kinder im Alter von gerade einmal elf Jahren zu ihrer täglichen Arbeit mit Quecksilber. In Papua-Neuguinea beschrieb ein Arzt die Auswirkungen von Quecksilber auf Goldarbeiter im Kleinbergbau: „Wir haben Dutzende Fälle von Quecksilbervergiftung... Sie starren nur noch an die Wand. Wir können nicht mit ihnen reden, sie können gar nicht mehr sprechen, nichts. Sie sind wie Zombies. Und einige werden nie wieder gesund.“

In vielen Gesundheitssystemem fehlen die Mittel, um Quecksilbervergiftungen zu behandeln. In Tansania äußerte ein Militärarzt in einer Bergbauregion seine Sorge, dass medizinisches Personal Quecksilbervergiftungen oft „nicht diagnostiziert“, weil es darin nicht geschult sei.

Einen Schritt in die richtige Richtung unternahmen lateinamerikanische Regierungen, als sie vorschlugen, einen eigenständigen Gesundheitsartikel in den Quecksilbervertrag aufzunehmen. Dadurch sollen mehr öffentlich zugängliche Informationen, mehrForschung, Überwachung, Tests, eine bessere Behandlung und Kapazitätsaufbau im Gesundheitswesen sichergestellt werden, um auf Probleme mit Quecksilber reagieren zu können. Human Rights Watch hat den Regierungen spezifische Formulierungen für einen Gesundheitsartikel vorgeschlagen.

Human Rights Watch begrüßt, dass der aktuelle Vertragsentwurf im Artikel über Kleingoldbergbau vorsieht, Maßnahmen zur Gesundheitsfürsorge in den betroffenen Gemeinden zu ergreifen. Dies reicht jedoch nicht aus. Quecksilber wird in unterschiedlichen Bereichen verwendet und gefährdet viele verschiedene Bevölkerungsgruppen. Genutzt wird es zum Beispiel bei der Produktion von Chlor, Polyvinylchlorid (PVC), einer Plastikart, und von Batterien sowie in der Zahnmedizin. Zur Quecksilberemission trägt besonders die Verbrennung fossiler Energien, vor allem von Kohle, bei.

In der letzten Verhandlungsrunde im Juli 2012 lehnten westliche Regierungen - insbesondere Kanada, die Vereinigten Staaten und Mitgliedstaaten der Europäischen Union- einen eigenständigen Gesundheitsartikel ab und betonten, bei dem Vertrag gehe es vor allem um Umweltaspekte.

Sie deuteten an, Maßnahmen zur Gesundheitsfürsorge könnten in den Gesundheitssektor eingreifen und die Kosten für die Implementierung des Vertrags erhöhen. Sie behaupteten außerdem, die vorhandenen Hinweise auf Gesundheitsstrategien im Vertragsentwurf seien ausreichend. Dadurch verursachten sie eine hitzigeAuseinandersetzung mit lateinamerikanischen und afrikanischen Regierungen, deren Vertreter einen starken Gesundheitsartikel forderten.

„Die Positionen der USA, Kanadas und der Europäischen Union waren enttäuschend“, so Kippenberg. „Wohlhabendere Länder sollen anerkennen, dass Umwelt- und Gesundheitsstrategien gegen Quecksilber Hand in Hand gehen, und sie beide Bereiche finanziell unterstützen.“

Der Vertrag soll Ende 2013 in Japan als „Minamata Konvention“ verabschiedet werden. In der japanischen Stadt Minamata ereignete sich in den 1950er Jahren eine der schwersten Quecksilber-Katastrophen. Mehr als 1.700 Menschen starben an Vergiftungen und viele andere trugen lebenslange Krankheiten und Behinderungen davon. Dennoch hält sich Japan bei der Diskussion über einen Gesundheitsartikel im Hintergrund.

„Heute hat Japan die Chance, ‚nie wieder‘ zu sagen“, so Kippenberg. „Die Regierung muss aus Minamata lernen und sich aktiv dafür einsetzen, dass Gesundheitsstrategien in den Quecksilbervertrag aufgenommen werden.“

Überall auf der Welt führt Umweltzerstörung - auch durch die Belastung mit Quecksilber - zu Verletzungenvon Menschenrechten, auch des Rechts auf Gesundheit. Die Regierungen sollen die internationalen Menschenrechtsnormen in der Präambel des Vertrags würdigen und Menschenrechte in das Umweltrecht integrieren.

Quecksilbervergiftungen können zu vielfältigen Gesundheitsproblemen führen. Quecksilber greift das Herz-Kreislauf-System an, die Nieren, den Magen-Darm-Trakt, das Immunsystem und die Lungen. Die Vergiftungssymptome umfassen Tremores, Zuckungen, Sehstörungen, Kopfschmerzen, Gedächtnisverluste und Konzentrationsstörungen. Ständiger Kontakt mit Quecksilber kann zu Nierenversagen, Atemstillstand und zum Tod führen.

Besonders gefährlich ist Quecksilber für ungeborene Kinder und Kleinkinder. Es kann während der Schwangerschaft und durch die Muttermilch übertragen werden und die kindliche Entwicklung irreversibel schädigen. Wissenschaftler haben Quecksilbervergiftungen als eine „unsichtbare Epidemie“ bezeichnet.

Weitere Human Rights Watch-Berichte über die Gefahren von Quecksilber finden Sie unter:
https://www.hrw.org/dangers-of-mercury

Den Human Rights Watch-Bericht über Quecksilberverwendung in Mali finden Sie unter:
https://www.hrw.org/reports/2011/12/06/poisonous-mix

Den Human Rights Watch-Bericht über Quecksilberverwendung in Papua-Neuguinea finden Sie unter:
https://www.hrw.org/reports/2011/02/01/gold-s-costly-dividend

Kategorien: Menschenrechte

Bangladesch: Gerbereien schaden Arbeitern und vergiften Gemeinden

Arbeiter in zahlreichen Gerbereien im Hazaribagh-Viertel in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, unter ihnen auch elfjährige Kinder, erkranken, weil sie gefährlichen Chemikalien ausgesetzt sind, oder werden durch Unfälle am Arbeitsplatz schwer verletzt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Gerbereien, die Leder für Luxusprodukte im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar exportieren, verschmutzen die umliegenden Gemeinden mit Schadstoffen.

Der Bericht „Toxic Tanneries: The Health Repercussions of Bangladesh’s Hazaribagh Leather” dokumentiert, wie Arbeiter in den Gerbereien unter Gesundheitsproblemen leiden und gefährlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Diese trifft Männer gleichermaßen wie Frauen. Sie leiden u.a. an Haut- und Atemwegserkrankungen, die durch Chemikalien verursacht werden, und verlieren durch Unfällen an gefährlichen Gerbereimaschinen Arme und Beine. Die überwiegend arme Bevölkerung des Hazaribagh-Viertels klagt wegen der Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung über Erkrankungen wie Fieber, Hautkrankheiten, Atemprobleme und Durchfall. Die Regierung hat bisher nichts unternommen, um das Recht der Arbeiter und Anwohner auf Gesundheit zu schützen, und hat darüber hinaus die Anordnungen des Obersten Gerichtshof ignoriert, die Gerbereien säubern zu lassen.

„Die Gerbereien in Hazaribagh lassen schädliche Chemikalien einfach in die Umgebung abfließen”, so Richard Pearshouse, Experte für Gesundheit und Menschenrechte von Human Rights Watch. „Während die Regierung untätig zusieht, erkranken Anwohner und Arbeiter, weil sie tagtäglich schädlichen Chemikalien ausgesetzt sind.”

Regierungsbeamte berichteten Human Rights Watch, dass Umwelt- und Arbeitsrecht im Fall der Gerbereien in Hazaribagh nicht durchgesetzt würden. Diese Gerbereien machen etwa 90 Prozent der landesweiten Gerbereien aus und beschäftigen ca. 15.000 Arbeiter.

Ein hoher Beamter aus Bangladeschs Umweltministerium sagte: „Wir tun nichts für Hazaribagh.” Die Untätigkeit der Regierung ist das Ergebnis einer de-facto Übereinkunft des Umweltministeriums, geltende Umweltschutzgesetze in Hazaribagh nicht durchzusetzen, während die Regierung plant, die Gerbereien an einen anderen Ort zu verlegen. Zudem leidet die Gewerbeaufsichtsbehörde an schlechter Personalausstattung und ist sehr um gute Beziehungen mit dem Management der Firmen interessiert. Nach internationalen Standards muss die Regierung jedoch ernsthafte Schritte unternehmen, um das Recht auf Gesundheit der Menschen in Bangladesch zu schützen.

Englisches Youtube-Video zum Thema:

In den vergangenen zehn Jahren ist der Export von Leder aus Bangladesch um jährlich etwa 41 Millionen US-Dollar gestiegen. Zwischen Juni 2011 und Juli 2012 hat Bangladesch Leder und Lederwaren, wie beispielsweise Schuhe, im Wert von etwa 663 Millionen US Dollar exportiert. Das Leder wird in etwa 70 verschiedene Länder weltweit geliefert, hauptsächlich jedoch nach China, Südkorea, Japan, Italien, Deutschland, Spanien und in die USA.

Jahaj, 17, hat in einer Gerberei gearbeitet, seit er 12 war. Er leidet heute unter Asthma, Hautausschlägen,JuckreizundVerätzungen. Jahaj klagte besonders über die Arbeit in den Gruben, in denen die Tierhäute aufbewahrt und mit verdünnten Chemikalien behandelt werden.

„Das Wasser in den Gruben brennt, wenn ich es mit der bloßen Haut berühre“, sagte er. „Aber wenn ich Hunger habe, spielt Säure keine Rolle.- Ich muss essen.“

Arbeiter berichteten Human Rights Watch das viele Gerbereien weder angemessene Schutzausrüstung bereitstellen noch ausreichend ausbilden, um mit den gefährlichen Chemikalien und alten Maschinen sicher zu arbeiten. Manche Unternehmensleiter verweigern bei der Arbeit erkrankten oder verletzten Angestellten sogar Krankentage und Entschädigungszahlungen und verletzen damit nationales Gesetz.

Human Rights Watch hat Kinder, die in Gerbereien arbeiten, interviewt, einige darunter im Alter von nur elf Jahren. Sie mussten gefährliche Arbeiten verrichten, wie das Einweichen von Tierhäute in Chemikalien, das Zurechtschneiden gegerbter Häute mit Rasierklingen oder das Bedienengefährlicher Gerbereimaschinen.Das Abflusswasser, das von den Gerbereien in Hazaribaghs offene Kanalisation und damit später in Dhakas Hauptfluss geleitet wird, ist unter anderem mit Tierfleisch, Schwefelsäure, Chrom und Blei verschmutzt. Die Regierung schätzt, dass in Hazaribagh täglich etwa 21.000 m3 ungefilterten Abwassers austreten.

Regierungsbeamte und Repräsentanten der Gerbereiindustrie berichteten Human Rights Watch, dass keine einzige Gerberei in Hazaribagh ein Anlage besitzt, um die Abwasser zu filtern, die teilweise das tausendfache der erlaubten Schadstoffmenge beinhaltet.

Seit 2001 übergeht die Regierung einen Beschluss des Obersten Gerichtshofs, der die Gerbereien in Hazaribagh verpflichtet, wirksame Abfallentsorgungsanlagen zu errichten. Die Regierung hatte außerdem zunächst eine Verlängerung der Frist veranlasst, bis die Gerbereien aus Dhaka verlegt werden müssen; diese spätere Frist verstrich jedoch auch, ohne dass es zu einer Veränderung kam. Der Regierungsplan, die Gerbereien bis 2005 ins Umland Dhakas zu verlegen, ist bisher immer wieder an bürokratischen Hürden gescheitert. Gleichzeitig erhalten zwei der größten Gerbereien Dhakas sogar noch höhere Entschädigungszahlungen für die geplante Umsiedlung, als zunächst von der Regierung beschlossen.

„Die Gerbereien in Hazaribagh agieren praktisch in einer rechtsfreien Zone, und die Regierung lässt eine Frist nach der anderen verstreichen, anstatt das  Problem zu lösen“, so Pearshouse. „Ausländische Unternehmen, die Leder aus Hazaribagh importieren, sollen sicherstellen, dass ihre Zulieferer nicht Gesundheits- und Arbeitsschutzrecht verletzen oder die Umwelt verschmutzen.“

Kategorien: Menschenrechte

Äthiopien: Viehzüchter wegen Zuckerplantagen von ihrem Land vertrieben

Die äthiopische Regierung zwingt indigene Landbewohner in Äthiopiens Omo-Tal ohne angemessene Rücksprache oder Kompensierung zur Umsiedelung, um Platz für staatlich betriebene Zuckerplantagen zu schaffen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Der Bericht enthält bisher unveröffentlichtes Kartenmaterial der Regierung, die die für das Omo-Tal geplanten Entwicklungen aufzeigen, einschließlich dem Bau von Bewässerungskanälen, Zuckerverarbeitungsfabriken und der Verwendung von 100.000 Hektar Land für anderweitige kommerzielle Landwirtschaft.

Der 73-seitige Bericht, „’What Will Happen if Hunger Comes?’: Abuses against the Indigenous Peoples of Ethiopia’s Lower Omo Valley” dokumentiert, wie Sicherheitskräfte der Regierung die Gemeinden mit Hilfe von Gewalt und Einschüchterung zwingen, ihr angestammtes Land zu verlassen, und somit ihre gesamte Lebensform bedrohen, ohne Kompensation oder Alternativen um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Regierungsbeamte führten willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen durch und wendeten Schläge und andere gewaltsame Methoden gegen die Bewohner des Omo-Tals an, die die Entwicklungspläne in Frage stellten oder sich ihnen widersetzten.

„Äthiopiens ehrgeizige Pläne für das Omo-Tal ignorieren offensichtlich die Rechte der Menschen, die dort leben“, so Ben Rawlence, Afrika-Experte bei Human Rights Watch. „Es gibt keine einfach Lösung für Entwicklung; doch die Eigentumsrechte der Menschen, deren Existenzgrundlage seit langem auf diesem Land beruht, müssen respektiert werden, einschließlich genauer Absprachen und Kompensation.“

Das Omo-Tal, eines der abgelegensten und kulturell vielfältigsten Gegenden der Welt, ist die Heimat für rund 200.000 Menschen von acht einzigartigen agro-pastoralen Gemeinschaften, die dort seit Menschengedenken leben. Ihre Lebensform und Identität ist eng mit dem Land und dem Zugang zum Omo-Fluss verbunden. Das Omo-Tal befindet sich in Äthiopiens Region der südlichen Nationen, Nationalitäten und Völker (SNNPR), nahe der Grenze zu Kenia, und wurde 1980 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt.

Die weitreichenden Veränderungen, die für das Omo-Tal geplant sind, stehen in Zusammenhang mit dem Bau von Afrikas größtem Damm, dem kontroversen Gibe III Hydropower Projekt, entlang dem Omo-Fluss. Flussabwärts werden die Zuckerplantagen auf Bewässerungskanäle angewiesen sein. Obwohl es einige unabhängige Gutachten zum Gibe-Damm-Projekt gab, hat die äthiopische Regierung bislang keine Gutachten zu den Auswirkungen der Zuckerplantagen und anderer Entwicklungen der kommerziellen Landwirtschaft auf die Umwelt und das soziale Umfeld im Omo-Tal veröffentlicht.

Human Rights Watch befragte im Juni 2011 mehr als 35 Bewohner; ebenso wurden seitdem zehn Gläubiger und mindestens 30 andere Zeugen befragt. Zur Zeit des Besuchs von Human Rights Watch vor Ort kamen regelmäßig Militäreinheiten in die Dörfer, um die Bewohner einzuschüchtern und jeglichen Widerstand gegen die Zuckerplantagen zu unterdrücken. Die Soldaten stahlen oder töteten regelmäßig Vieh.

„Was werde ich essen?“, fragte ein Mann der ethnischen Gruppe Mursi Human Rights Watch. „Sie sagten mir, ich solle all mein Vieh nehmen und es verkaufen, und nur eins an meinem Haus anbinden. Was kann ich mit nur einem anfangen? Ich bin ein Mursi. Wenn der Hunger kommt, schieße ich in den Nacken eines Rinds und trinke sein Blut. Wenn wir sie alle verkaufen, wie sollen wir uns ernähren?“

Das von Human Rights Watch seit dem Besuch zusammengetragene Material zeigt, dass Kommunalbeamte und Sicherheitskräfte im vergangenen Jahr gewaltsam Land von indigenen Einwohnern, die das Gebiet bewohnen und bewirtschaften, für die Zuckerproduktion beschlagnahmt haben. Berichte über Zwangsumsiedelungen und Räumungen landwirtschaftlicher Flächen haben erheblich zugenommen.

Der Zugang zum Omo-Fluss ist entscheidend für die Ernährungssicherheit und die Lebensform der Viehhalter, die in dem Tal leben. Mehrere Gemeindevertreter erzählten, dass Staatsfunktionäre ihnen – ohne jegliche Diskussion – gesagt hätten, dass die Gemeinden die Anzahl ihres Viehs reduzieren, an einen anderen Ort umziehen müssten und sie den Zugang zum Omo-Fluss verlieren würden.

Seit Juni 2012 wurden Bewässerungskanäle gegraben, Land geräumt und die Zuckerproduktion entlang des östlichen Flussufers begonnen. Landkarten der Regierung, die von Human Rights Watch photographiert wurden, deuten darauf hin, dass die Region, in der derzeit der Zuckeranbau durchgeführt wird, nur ein Bruchteil dessen ist, was als „Zucker-Block 1“ deklariert ist. Zwei weitere „Blöcke“ Land, die für den Zuckeranbau bestimmt sind, werden folgen. Die existierenden äthiopischen Gutachten über die Auswirkungen des Gibe-Damms beinhalten nicht die Auswirkungen des Zuckeranbaus und der Bewässerung auf den Verlauf des Omo-Flusses oder die Auswirkungen auf den Turkana-See stromabwärts. Das gewaltige Netzwerk von Bewässerungskanälen, das auf den Karten eingezeichnet ist, deutet darauf hin, dass die bisherigen Gutachten unzureichend sind.

Die vollständige Umsetzung des Planes könnte mindestens 200.000 Menschen im Omo-Tal betreffen, und zusätzlich 300.000 Kenianer, die jenseits der Grenze rund um den Turkana-See leben, welcher bis zu 90 Prozent seines Wassers vom Omo-Fluss bezieht. Human Rights Watch sagte, dass Kenia sich für neue Gutachten zu den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt einsetzen soll, die den kumulativen Effekt des Gibe-III-Damms und der bewässerten kommerziellen Landwirtschaft untersuchen.

Diese Entwicklungen, die die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der indigenen Bevölkerung im Omo-Tal bedrohen, werden entgegen nationaler und internationaler Menschenrechtsstandards durchgeführt, die die Anerkennung von Eigentumsrechten einfordern, inklusive sinnvoller Absprachen, der Zustimmung der Bewohner und Kompensation für verlorenes Land, Lebensunterhalt und Nahrungssicherheit. Diese Menschenrechtsstandards legen auch fest, dass die Umsiedelung, besonders von indigenen Bevölkerungsgruppen, von ihrem historischen Heimatland nur als absolut letzter Ausweg in Betracht gezogen werden soll.

Die Rechte indigener Völker werden von Äthiopiens eigener Verfassung und Gesetzen aufgegriffen, genauso wie von der UN Deklaration zu den Rechten Indigener Völker sowie regionalen Menschenrechtsabkommen und – mechanismen, wie zum Beispiel der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker, die entsprechend der Afrikanischen Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker interpretiert wird. Nach diesen Gesetzen und Abkommen besitzen indigene Völker Eigentumsrechte über das Land, das sie historisch bewohnt haben, und diese Eigentumsrechte müssen vom Staat anerkannt werden. Sie können nur mit ihrer auf einer freien, vorab durchgeführten und auf fundierten Informationen basierenden Zustimmung umgesiedelt werden. Auch wenn solch eine Zustimmung vorliegt, müssen sie vollständig für den Verlust von Land, Eigentum oder Lebensunterhalt entschädigt werden.

Tatsächlich erkennt Äthiopien die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen über ihr Land in diesem Gebiet nicht an. Das Land hat weder Schritte unternommen, um angemessene Rücksprache mit den indigenen Bewohnern des Omo-Tals zu halten noch um deren Zustimmung einzuholen, insbesondere unter Berücksichtigung der mangelhaften Bildung der meisten Einwohner.

Die äthiopische Regierung hat auf die Bedenken, die von Human Rights Watch geäußert wurden, geantwortet, dass die indigene Bevölkerung von den Plantagen profitieren wird, indem sie ihnen Arbeitsplätze bieten. Arbeit mag ein willkommener Nutzen für die betroffenen Gemeinden sein. Aber die Aussicht auf einige Arbeitsplätze hebt nicht die dringende Notwendigkeit auf, dass die Regierung die Bepflanzung suspendieren muss, bis eine gründliche Untersuchung durchgeführt wurde, die Rechte der indigenen Gemeinden über ihr Land anerkannt wurden und ihre Zustimmung eingeholt wurde. Jede Umsiedelung oder Aneignung von Land muss sich als absolut notwendig und verhältnismäßig erweisen, und es muss eine Entschädigung angeboten werden.

Viele internationale Nichtregierungsorganisationen haben Bedenken über mögliche Auswirkungen des Gibe III Hydropower Projekts auf die Natur und das soziale Umfeld geäußert und haben die äthiopische Regierung für den Mangel an Transparenz und unabhängiger Untersuchungen kritisiert. Die äthiopische Regierung hat ihren Antrag auf Finanzierung des Gibe-Damm-Projekts bei der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank zurückgezogen, hat aber ihre Gründe für dieses Vorgehen nicht veröffentlicht. Das UNESCO Komitee für das Erbe der Welt hat empfohlen, das Projekt bis zu einer weiteren unabhängigen Evaluierung der Auswirkungen auf den Turkana-See zu suspendieren.

Die äthiopische Regierung ist zu einem großen Teil ihres Staatsbudgets auf internationale Entwicklungsgelder angewiesen. Sicherheitskräfte und Beamten der kommunalen und regionalen Verwaltung sind dabei, die Pläne für die Zuckerplantagen umzusetzen und den ortsansässigen Bewohnern zu erzählen, dass sie umziehen müssen, ohne jegliche Rücksprachen oder Anerkennung ihrer Rechte. Ein von mehreren Geldgebern finanziertes Projekt mit dem Namen Protection of Basic Services (PBS) liefert Hunderte Millionen Dollar um die Gesundheit, Bildung und andere Sektoren des Landes zu unterstützen, und finanziert die Gehälter von Regierungsbeamten auf Distriktebene in ganz Äthiopien, einschließlich der betroffenen SNNPR-Region. Die wichtigsten Geldgeber des PBS-Projekts sind die Weltbank, Großbritannien, die Europäische Union, Niederlande und Deutschland.

Human Rights Watch forderte die äthiopische Regierung dazu auf, den Bau des Gibe-III-Damms und der angegliederten Zuckerplantagen zu suspendieren, bis diese Entwicklungen auf eine Weise ausgeführt werden können, die im Einklang mit nationalen Gesetzen und internationalen Menschenrechtsstandards steht. Die äthiopische Regierung soll die Rechte der indigenen Gemeinden über ihre historischen Heimstätten im Omo-Tal anerkennen und mit ihnen in einen konstruktiven Dialog über die zukünftige Nutzung des Landes und ihre Kompensation treten, bevor die industrielle Entwicklung in der Süd-Omo-Region fortgeführt wird. Geldgeber sollen sicherstellen, dass ihre Mittel eine Zwangsumsiedlung oder unrechtmäßige Enteignung von indigenem Land nicht unterstützen, so Human Rights Watch.

„Äthiopiens Wunsch, seine wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen, ist lobenswert, aber die jüngsten Vorfälle im Omo-Tal fordern einen unverhältnismäßigen Tribut für die Rechte und Existenzgrundlagen der indigenen Bevölkerungsgruppen“, so Rawlence. „Die Regierung soll den Entwicklungsprozess suspendieren, bis minimale Standards eingehalten werden, und Geldgeber sollen sicherstellen, dass sie keine Menschenrechtsverletzungen unterstützen.“

Ausgewählte Zitate aus „What Will Happen if Hunger Comes?”:

„Die Leute sind anderer Meinung als die Regierung, was den Zucker angeht, aber sie haben Angst vor einer möglichen Gewaltanwendung, um die Menschen umzusiedeln, darum sagen sie nicht viel. [Wir haben] große Angst vor der Regierung hier. Wenn man Bedenken äußert, landet man im Gefängnis.“
– Mann vom Stamm der Bodi, Juni 2011.

„Während der Trockenzeit wird es Probleme geben. Jetzt gibt es noch Wasser, aber wenn es keins mehr gibt und wir nicht mehr zurück zum Omo-Fluss gehen können, wird die Regierung uns Wasser bringen müssen. Wenn sie das nicht tun, werden [wir] und unser Vieh sterben. Wir werden auf jeden Fall zum Omo-Fluss gehen, denn wenn nicht, werden wir sterben; wenn sie wollen, können sie uns dort töten.“
– Mursi Dorfbewohner, Juni 2011.

„Was werde ich essen? Sie sagten mir, ich solle all mein Vieh nehmen und es verkaufen und nur eins an meinem Haus anbinden. Was kann ich mit nur einem anfangen? Ich bin ein Mursi. Wenn der Hunger kommt, schieße ich in den Nacken eines Rinds und trinke sein Blut. Wenn wir sie alle verkaufen, wie sollen wir uns ernähren? Wenn wir heiraten, heiraten wir mit dem Vieh zusammen. Was werden wir nun mit in die Ehe nehmen? Was werden wir essen? Wenn der Hunger kommt, womit werden wir unsere Kinder ernähren? Wenn wir nur Hühner halten, werden wir Suppe essen oder sie melken? ‚Dieses Land ist mein Land’ sagen die Äthiopier aus dem Hochland. ‚Rennt in den Wald wie die Trottel.’“
– Mann der Mursi beschreibt die Bedeutung von Vieh, Dezember 2011.

„Sie[die Regierungsbeamten] haben ihre [Kwegu and Bodi] Gärten geräumt. Sie haben sie großflächig geräumt und ihre Hirse ausgegraben. Die Hirse war fast reif; ein Traktor durchpflügte das Land und entsorgte die Hirse. Die Kwegu-Gärten wurden umgegraben und einige Kwegu haben nun gar nichts mehr. Wenn ihre Hirse zerstört wurde, was sollen sie essen? Was sollen sie ihren Kindern geben?“
– Ein Mann beschreibt, was mit dem Ackerland der Bodi und Kwegu geschehen ist, das im Dezember 2011 geräumt wurde.

„Es wird große Probleme in den Gebieten geben, wenn alles Vieh der Regierung gegeben wird. Was werden diese Menschen essen, jetzt da die Dürre sich wirklich schlimm auf das Horn von Afrika auswirkt? Jetzt da der Damm gebaut wurde, der Fluss kein Wasser hat, das Land weggenommen und das Vieh an die Regierung gegeben wurde, was wird mit den armen Menschen geschehen in Zeiten der Hungersnot? Diese Leute, die die Viehhirten auslöschen wollen, essen drei Mal am Tag. Was wird passieren, wenn der Hunger kommt?“
– Mann der Mursi, Mai 2011.

Kategorien: Menschenrechte

Japan: Ein Jahr nach Fukushima offizielle Reaktion unzureichend

(Tokio) – Viele Bewohner der Präfektur Fukushima verfügen immer noch nicht über grundlegende Informationen und klare Antworten zur Strahlenbelastung ihrer Nahrung und Umwelt, so Human Rights Watch heute bei der Veröffentlichung einer Fotostrecke zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011. Die Fotos porträtieren Personen, die von der Katastrophe unmittelbar betroffen sind.

Obwohl die Explosion in Fukushima Daiichi zu den weltweit schwersten Strahlenunfällen seit Tschernobyl zählt, berichten viele Bewohner der Präfektur Fukushima, es sei ihnen nicht möglich gewesen, ihre Kinder auf eine mögliche Strahlenbelastung testen zu lassen. Andere erklärten, die Regierung liefere widersprüchliche Informationen über die Auswirkungen der Strahlung radioaktiver Substanzen auf die menschliche Gesundheit.

„Unmittelbar nach der Erdbeben-, Tsunami- und Nuklearkatastrophe war die japanische Regierung überfordert, wie es wohl jede andere Regierung in einer solchen Situation auch gewesen wäre“, so Kanae Doi, Japan-Direktorin von Human Rights Watch. „Heute, ein Jahr später haben die Bewohner von Fukushima jedoch das Recht zu wissen, ob ihre Lebensmittel sicher und ihre Kinder weiter gefährlicher Strahlung ausgesetzt sind.“

Human Rights Watch befragte Personen in vier Städten außerhalb der evakuierten Zone, um ihren Zugang zu medizinischer Versorgung und Informationen, ihre aktuellen Lebensbedingungen und die Auswirkungen der Katastrophe auf ihre Lebensgrundlage zu untersuchen. Human Rights Watch nahm zudem Portraits der Interviewten auf, die zusammen mit ihren Aussagen veröffentlicht wurden. Viele der Befragten schilderten Schwierigkeiten beim Zugang zu Informationen hinsichtlich der Gesundheit ihrer Kinder und zur Sicherheit von Nahrungsmitteln und Trinkwasser.

Ein Vater sagte im Gespräch mit Human Rights Watch: „Wenn ich an meine Kinder denke, will ich diese Tests so schnell wie möglich hinter mich bringen, damit ich ihnen sagen kann, dass sie gesund sind. Aber bestimmte Dinge kann ich alleine nicht tun. Ich wünschte, die Behörden würden entschlossener handeln.“
Am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 9,0 die japanische Nordostküste und erzeugte eine Tsunami-Welle, die bis zu zehn Kilometer weit ins Landesinnere vordrang. Der Tsunami unterbrach die Stromversorgung des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi und überflutete die Anlagen zur Notstromversorgung, sodass es zu einer Überhitzung der Reaktoren kam. Die anschließende Kernschmelze in drei der Reaktoren führte zur Freisetzung von Strahlung.

Die japanische Regierung ließ daraufhin eine 20 Kilometer breite Zone um das Kraftwerk evakuieren und drängte die Bewohner aller umgebenden Gebiete, in der Strahlenwerte über 20 mSv/Jahr gemessen wurden, ihre Häuser ebenfalls zu verlassen. Obwohl die Regierung erklärte, alle Gebiete außerhalb der evakuierten Zone seien sicher, wurden selbst in einer Entfernung von über 200 Kilometern von den Reaktoren noch Cäsium-137-Werte gemessen, die denen innerhalb der 20-Kilometer-Zone entsprachen.

Ein besonderer Anlass zur Sorge für Bewohner der Präfektur Fukushima ist die Belastung ihrer Lebensmittel. Die Bezirksverwaltung versicherte den Bewohnern zwar, alle Nahrungsmittel würden vor ihrem Verkauf getestet. Sie hat bislang jedoch noch nicht dafür gesorgt, dass diese Messergebnisse systematisch an die Öffentlichkeit übermittelt werden.

Die von Human Rights Watch befragten Bewohner der Präfektur Fukushima erklärten, viele Bürger hätten begonnen, ihre eigenen Strahlentests durchzuführen:

„Weder die Zentralregierung noch die Bezirksregierung gibt den Menschen ausreichende Informationen, um etwaige Gefahren verstehen zu können“, so Doi. „Die Regierung verkündet einerseits, Leitungswasser sei sicher. Andererseits empfiehlt sie, Kinder sollten nur in Flaschen verkauftes Wasser trinken. Auf die Frage, wie hoch das Risiko tatsächlich ist, erhalten besorgte Eltern keine klare Antwort.“

Die von Human Rights Watch befragten Eltern erklärten, viele Schulen überwachten zwar die aktuellen Strahlungswerte. Es sei jedoch zugleich sehr schwierig, die zurückliegende Strahlenbelastung ihrer Kinder festzustellen. Die Bezirksregierung kündigte zwar an, für ca. 360.000 Bewohner im Alter von unter 19 Jahren Schilddrüsentests anzubieten. Wie die Tests in der gesamten Präfektur durchgeführt werden sollen, bleibt jedoch unklar. Statt einen Plan zu entwickeln, um alle Kinder der Region testen zu lassen, verschickte die Regierung Bögen an die Bewohner der Präfektur Fukushima, in denen Fragen zu Aktivitäten nach dem Erdbeben beantwortet werden sollten. Anhand der Angaben sollte anschließend das Gefährdungsniveau für jedes einzelne Kind festgestellt werden. Inwieweit Eltern sich jedoch an einzelne Mahlzeiten und bestimmte, Monate zurückliegende Tätigkeiten erinnern können und inwieweit ihre Angaben aussagekräftig sind, ist nach Einschätzung von Human Rights Watch fraglich.

Die Pläne zur Dekontaminierung der betroffenen Gebiete würden Schätzungen zu Folge bis zu 1 Billion Yen (rund 10 Milliarden Euro) kosten. Die Regierung legte bislang jedoch noch keine Informationen vor, aus denen hervorgeht, wo, wann und wie die Pläne umgesetzt werden sollen. Viele Bewohner der Präfektur Fukushima betrachten das Vorgehen der Behörden als unzureichend und fordern eine Entschädigung für gesundheitliche Schäden, den Verlust ihres Zuhauses und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage.

Viele Eltern fordern zudem direktere Diagnoseverfahen, um festzustellen, welche Auswirkungen die Strahlenexposition auf die Gesundheit ihrer Kinder hatte. Dazu gehören Untersuchungen wie Urintests und Ganzkörper-Strahlenmessungen, die eindeutige Informationen über die Höhe der Strahlenbelastung liefern.
Japan ist als Vertragsstaat des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie des Übereinkommens über die Rechte des Kindes verpflichtet, die Gesundheit von Kindern zu schützen, für gesundheitliche Aufklärung zu sorgen und den Zugang zu medizinischer Versorgung zu gewährleisten. Während das Niveau der bereitgestellten medizinischen Versorgung abhängig von den verfügbaren Ressourcen variieren darf, dürfen Gesundheitsinformationen nach internationalem Recht nicht willkürlich zensiert oder zurückgehalten werden.

„Eigentlich sollte die japanische Regierung der Gesundheit und Sicherheit von Kindern höchste Priorität geben. Doch sie lässt besorgte Bewohner über ihre Pläne zur Dekontaminierung und Gesundheitsvorsorge im Dunkeln“, so Doi. „Um das Vertrauen in die Regierung wiederherzustellen, sind mehr Transparenz und Verantwortlichkeit nötig, angefangen mit einer transparenten Informationspolitik über zurückliegende und gegenwärtige Gesundheitsrisiken.“

Aussagen von Befragten:

„Strahlungstests in privaten Einrichtungen sind teuer und mir wurde gesagt, dort gebe es bereits Wartelisten mit 200 bis 300 Terminen. Deshalb habe ich keine Ahnung, wann diese Untersuchungen bei meinen Kindern durchgeführt werden können. Wenn ich an meine Kinder denke, will ich diese Tests so schnell wie möglich hinter mich bringen, damit ich ihnen sagen kann, dass sie gesund sind. Aber bestimmte Dinge kann ich alleine nicht tun. [...] Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft meiner Töchter.“
– Vater von Zwillingstöchtern im Alter von zwölf Jahren, deren Zuhause in Koriyama, etwa 60 Kilometer vom Kernkraftwerk Fukushima Daiichi entfernt, liegt.

„Einige Mütter beschlossen, fortzuziehen, andere zogen um und kamen zurück. Wieder andere entschieden sich, einfach in Fukushima zu bleiben. Gleich welche Entscheidung man trifft, keiner weiß, ob es die richtige war. Manche Leute sagten: ‚Sind Sie bereit, in Fukushima zu bleiben und ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen?‘ Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob meine Entscheidung richtig war. Ich glaube gar nichts mehr.“
– Mutter eines Fünfjährigen, die in Fukushima (Stadt), etwa 60 Kilometer vom Kernkraftwerk Fukushima Daiichi entfernt, lebt.

„Die Leute bekommen nicht genug Informationen. Die Lokalzeitungen geben sich regelmäßig damit zufrieden, was die Präfektur sagt. Die überregionalen Zeitungen informieren besser, aber sie erreichen die Leute hier nicht wirklich. Und im Internet wimmelt es von unseriösen Informationen.“
– Arzt in einem Krankenhaus in Minami Soma, das etwa 30 Kilometer vom Kernkraftwerk Fukushima Daiichi entfernt liegt.

Kategorien: Menschenrechte

China: Kindern mit Bleivergiftung wird Behandlung verweigert

(Hong Kong, 15. Juni 2011) – Chinesische Regierungsbeamte in Provinzen mit starker industrieller Schadstoffbelastung beschränken den Zugang zu Bleitests, unterschlagen oder verfälschen deren Ergebnisse und verweigern betroffenen Kindern medizinische Behandlung, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Angehörige und Journalisten, die sich über das Problem informieren wollen, werden eingeschüchtert und schikaniert. Dieses Vorgehen verletzt chinesisches Recht und verurteilt Tausende Kinder zu dauerhafter geistiger und körperlicher Behinderung.

Der 75-seitige Bericht „‘My Children Have Been Poisoned’: A Public Health Crisis in Four Chinese Provinces“ stützt sich auf Recherchen in Dörfern mit hoher Bleibelastung in den Provinzen Henan, Yunnan, Shaanxi und Hunan. Er dokumentiert, wie die Lokalbehörden trotz zunehmender Regulierung und sporadischer Kontrollen von Fabriken die unmittelbaren und langfristigen gesundheitlichen Folgen der Bleiverseuchung ignorieren. So wächst eine Generation von Kindern heran, die fortwährend lebensbedrohlichen Mengen von Blei ausgesetzt sind.

„Kindern mit gefährlich hohen Bleiwerten im Blut wird die Behandlung verweigert. Anschließend schickt man sie zurück in kontaminierte Häuser und verseuchte Dörfer“, so Joe Amon, Leiter der Abteilung Gesundheit und Menschenrechte bei Human Rights Watch. „Eltern, Journalisten und engagierte Bürger die ihre Stimme erheben, werden verhaftet, schikaniert und zum Schweigen gebracht.“

In den vergangenen zehn Jahren wurden im ganzen Land zahlreiche Fälle von Bleivergiftungen gemeldet. Daraufhin äußerten Vertreter des Umweltministeriums sich stärker zu dem Thema und wiesen die Lokalbehörden an, verstärkt Fabriken zu überwachen und bestehende Umweltgesetze durchzusetzen. Das Ministerium erklärte zudem, es werde Firmen und Lokalbeamte, die gegen die Umweltbestimmungen verstoßen, strafrechtlich belangen.

Diese Versprechungen reichen jedoch nicht aus, um den gesundheitlichen Folgen der Bleivergiftungen zu begegnen. Die Behörden müssen dafür sorgen, dass den direkten und langfristigen medizinischen Bedürfnissen der Menschen in den kontaminierten Dörfern entsprochen wird und die verseuchten Gebiete gereinigt werden.

„Es reicht nicht aus, Fabrikbesitzer und Behörden zu bestrafen, nachdem ein Dorf verseucht wurde“, so Amon. „Die Regierung muss die medizinische Versorgung der Betroffenen gewährleisten und sicherstellen, dass Kinder anschließend nicht wieder gefährlichen Mengen von Blei ausgesetzt sind.“

Der Bericht dokumentiert, wie der Zugang zu Bluttests durch die Lokalbehörden in den bleiverseuchten Gebieten willkürlich eingeschränkt wird, etwa indem nur Menschen, die in einem kleinen Umkreis in der Nähe der untersuchten Fabrik leben, zugelassen wurden. Wenn Tests durchgeführt wurden, waren die Ergebnisse häufig widersprüchlich oder sie wurden den Opfern und ihren Familien vorenthalten. Kindern mit erhöhten Bleiwerten im Blut, die eine Behandlung entsprechend nationaler Richtlinien benötigen, wurde die Behandlung verweigert oder es wurde ihnen schlichtweg empfohlen, nur gewisse Nahrungsmittel wie Äpfel, Knoblauch, Milch oder Eier zu essen.

Blei ist hochgiftig und kann neurologische, biologische und kognitive Körperfunktionen beeinträchtigen. Die Aufnahme größerer Mengen Blei kann Gehirn-, Leber-, Nieren-, Nerven- und Magen-Schäden verursachen und zu Blutarmut, Koma, Krämpfen und sogar zum Tod führen. Kinder sind besonders empfindlich. Erhöhte Bleiwerte im Blut können dauerhafte geistige Behinderung und Entwicklungsschäden zur Folge haben. Dazu zählen Lese- und Lernschwächen, Verhaltensprobleme, Gehörverlust, Konzentrationsschwäche sowie Störungen der Entwicklung des Sehvermögens und der Motorik.

Der Bericht beschreibt die Erfahrungen Dutzender Eltern, deren Kinder an den akuten und chronischen Folgen einer Bleivergiftung leiden. Eine Mutter aus Yunnan sagte:

„Der Arzt sagte uns, alle Kinder in diesem Dorf hätten eine Bleivergiftung. Einige Monate später sagten sie, alle Kinder seien gesund. Sie ließen uns die Testergebnisse nicht sehen.“

Eine Großmutter aus der Provinz Shaanxi beschreibt ihre Versuche, die Behandlung ihres Enkels zu erreichen:

„Die Regierung gab uns etwas Knoblauch und sagte, wir sollten unserem Enkel besonders viel Knoblauch geben. Wir fragen nach Medikamenten – etwas, was ihm helfen würde. Sie sagten, sie würden uns keine geben, weil Medikamente bei Bleivergiftungen nicht wirkten.“

In den vergangenen Jahren hat die chinesische Regierung eine Reihe von Umweltbestimmungen vorangetrieben, um die weit verbreitete industrielle Verschmutzung mit Blei zu begrenzen und Umwelt und Öffentlichkeit zu schützen. Die Regeln wurden jedoch uneinheitlich durchgesetzt, und es wurde beinahe nichts unternommen, um die Bleibelastung in Dörfern, die bereits schwer belastet sind, zu reduzieren. Durch den mangelhaften Schutz der Rechte der Menschen in diesen Dörfern auf Gesundheitsversorgung und eine gesunde Umwelt verletzt China seine Verpflichtungen nach dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und der UN-Kinderrechtskonvention.

Human Rights Watch machte eine Reihe von Empfehlungen für den Umgang mit der Bleiproblematik. So soll das Gesundheitsministerium gewährleisten, dass wissenschaftlich erprobte Methoden angewandt werden, um die Risikozone zu bestimmen, innerhalb derer das Risiko einer gefährlichen Bleiexposition besteht. Es soll zudem sicherstellen, dass allen Menschen in dieser Zone ein kostenloser Bluttest angeboten wird. Den Opfern von Bleivergiftungen sollen die Gesundheitsbehörden medizinische Behandlungen, deren Wirkung empirisch belegt ist, und eine Einzelfallbetreuung anbieten. Das Umweltministerium soll unverzüglich die Bleibelastung im Umfeld von Fabriken, die sich in der Nähe von Wohngebieten befinden, testen und die Umweltgesetzgebung reformieren. Fabriken, die eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen, sollen geschlossen werden, bis sie die nationalen Emissionsstandards erfüllen. Die Regierung soll ihrer Ankündigung, Beamte und Fabrikbesitzer strafrechtlich zu verfolgen, die gegen die Umweltbestimmungen verstoßen, konkrete Schritte folgen lassen.

„Der chinesischen Regierung wird allmählich klar, dass die ökologischen Folgen massiver toxischer Verschmutzung nicht hinnehmbar sind“, so Amon. „Leider hat sie es bislang versäumt, sich um die Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Betroffenen zu kümmern, die mit den gesundheitlichen Folgen der Gleichgültigkeit ihrer Regierung zu kämpfen haben.“

Von Human Rights Watch gesammelte Aussagen von Eltern, deren Kinder Opfer von Bleivergiftungen geworden sind:

„[Mein Sohn] hatte sich schon lange krank gefühlt und wir wussten nicht, was ihm fehlte. Im August, als viele Kinder auf Bleivergiftungen getestet wurden, brachten wir ihn für einen Test zum Arzt. Sein Ergebnis war 8 μg/dL. Im September brachten wir ihn in eine andere Stadt, um einen weiteren Test zu machen. Das Ergebnis war 22 μg/dL.“
- eine Mutter aus der Provinz Henan

„Wir lassen unsere Kinder mit dem Bus in eine Schule in der Stadt bringen, damit sie nicht in der Verschmutzung zur Schule gehen. Trotzdem leben, schlafen und essen sie hier. Und die Fabrik wurde wiedereröffnet und verschmutzt immer noch alles. Wenn die Regierung unseren Kindern wirklich helfen wollte, würden sie die Fabrik schließen.“
- eine Mutter aus der Provinz Shaanxi

„Die Lokalbehörden sagen, dass alle Kinder in diesem Dorf getestet wurden, dass sie ein bisschen bleivergiftet sind und mehr Äpfel essen und Milch trinken sollten. Ich verstehe das nicht – sind unsere Kinder trotzdem krank? Niemand antwortet auf unsere Fragen.“
- eine Mutter aus der Provinz Yunnan

„Wir haben Angst, über Bleivergiftungen oder die Fabrik zu reden, oder darüber, was wir tun sollen, weil wir keine Probleme mit den Lokalbehörden haben wollen.“
- ein Dorfbewohner auf der Provinz Shaanxi

„Mein Sohn ist krank, aber ich habe kein Geld, um ihn zum Arzt zu bringen. Der Arzt sagte, ich soll ihm mehr Milch geben, das war alles. Die Fabrik ist immer noch in Betrieb. Was sollen wir tun? Ich habe Angst, zu den Lokalbehörden zu gehen und um Hilfe zu bitten, weil ich nicht verhaftet werden will.“
- ein Vater aus der Provinz Henan

„Sie betreiben die Fabrik weiter und zwingen uns umzuziehen. An dem Ort, an den wir ziehen sollen, haben wir nichts, wovon wir leben könnten, weil es dort kein Land für uns gibt, das wir bewirtschaften können. Die Regierung sagt, dass sie uns zurückbringen werden, damit wir etwas anbauen und unser Auskommen sichern können – aber unser Land ist immer noch voller Blei.“
- ein Dorfbewohner aus der Provinz Shaanxi

Kategorien: Menschenrechte

Papua-Neuguinea: Schwere Missbrauchsfälle bei Barrick Gold

(Toronto, 1. Februar 2011) – Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes in einer Goldmine in Papua-Neuguinea werden mit mutmaßlichen Gruppenvergewaltigungen und anderen brutalen Missbrauchsfällen in Verbindung gebracht, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Porgera-Mine hat seit ihrer Inbetriebnahme vor 20 Jahren Gold im Wert von mehreren Milliarden Dollar produziert. Sie wird von dem weltweit größten Goldproduzenten, der kanadischen Gesellschaft Barrick Gold betrieben, die 95 Prozent der Anteile hält.

Der 94-seitige Bericht „Gold’s Costly Dividend: Human Rights Impacts of Papua New Guinea’s Porgera Gold Mine“ zeigt systemimmanente Versäumnisse seitens des in Toronto ansässigen Unternehmens auf, wodurch Barrick Gold die Missbrauchsrisiken nicht erkannt und auf entsprechende Vorwürfe nicht reagiert hat. Der Bericht untersucht die Auswirkungen, die sich aus dem Versäumnis der kanadischen Regierung ergeben, die Tätigkeit eigener Unternehmen im Ausland zu regulieren. Darüber hinaus fordert Human Rights Watch Barrick auf, für mehr Transparenz in Umwelt- und Gesundheitsfragen zu sorgen.

„Wir haben mit Frauen gesprochen, die von brutalen Gruppenvergewaltigungen durch Sicherheitsbedienstete der Mine berichteten“, so Chris Albin-Lackey, Experte für Wirtschaft und Menschenrechte von Human Rights Watch. „Barrick hätte schon längst etwas unternehmen müssen und nicht erst nach den Untersuchungen von Human Rights Watch aktiv werden sollen.“

Human Rights Watch zufolge hat Barrick inzwischen geeignete Maßnahmen ergriffen, um früheren Missbrauchsfällen nachzugehen und ähnliche Fälle in der Zukunft möglichst auszuschließen.

Die meisten weltweiten Bergbau- und Förderunternehmen haben ihren Sitz in Kanada. Die kanadische Regierung hat bisher jedoch keine geeigneten Kontroll- oder Regulierungsmaßnahmen für die Auslandsaktivitäten kanadischer Unternehmen, so Human Rights Watch. Der Gesetzesentwurf C 300, ein kleiner, aber wichtiger Schritt für mehr staatliche Kontrolle, wurde im Oktober 2010 im Unterhaus abgelehnt. Barrick hatte seinen ganzen Einfluss dagegen geltend gemacht.

„Die kanadische Regierung schläft mit offenen Augen“, so Albin-Lackey. „Wenn Barrick ein verantwortungsbewusstes Unternehmen sein will, soll es geeignete staatliche Kontroll- und Regulierungsmaßnahmen für kanadische Unternehmen unterstützen.“

Die riesige Porgera-Goldmine in Papua-Neuguinea hat seit ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1990 mehr als 16 Millionen Unzen Gold im Wert von über 20 Milliarden US-Dollar produziert, legt man den aktuellen Goldpreis zugrunde. Im Jahr 2010 war das weltweit operierende Unternehmen Barrick auf dem besten Wege, über 7,5 Millionen Unzen Gold im Wert von 9,7 Milliarden US-Dollar zu produzieren.

Papua-Neuguinea ist reich an Bodenschätzen, doch aufgrund schlechter Regierungsführung und Korruption profitiert die einfache Bevölkerung nicht von diesem Reichtum. Die Regierung hat bisher weder die wirtschaftlichen Möglichkeiten genutzt noch die wichtigsten staatlichen Dienstleistungen in Porgera bereitgestellt. Stattdessen ist die Region weiterhin von Armut und Gewalt geprägt.

Barrick unterhält in Porgera einen eigenen Sicherheitsdienst mit 450 Mitarbeitern. Sie sind mit außergewöhnlichen sicherheitstechnischen Herausforderungen konfrontiert, einschließlich gewaltsamen Überfällen von Gruppen illegaler Schürfer. Die Fälle von skrupellosem und gewalttätigem Missbrauch, die mutmaßlich von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes verübt wurden, stehen jedoch damit in keinerlei Zusammenhang.

Täglich suchen Hunderte Menschen in den Abraumhalden rund um die Minen nach winzigen Spuren von Gold und schlagen sich damit mehr schlecht als recht durch. Im Gegensatz zu den Personen, die an den gewalttätigen Überfällen beteiligt sind, gehen diese Menschen einer zwar unlizenzierten Tätigkeit nach, wenden in der Regel aber keinerlei Gewalt an. Werden sie erwischt, droht ihnen die Festnahme durch den Sicherheitsdienst des Unternehmens.

Human Rights Watch untersuchte sechs mutmaßliche Fälle von Gruppenvergewaltigungen durch Sicherheitsbedienstete. In allen Fällen wurden die Frauen offenbar nach ihrer Festnahme auf den Abraumhalden vergewaltigt. Alle von Human Rights Watch befragten Frauen sprachen von übermäßiger Gewaltanwendung. Eine Frau berichtete von einer Vergewaltigung durch sechs Sicherheitsleute. Einer der Täter war ihr zuvor mit dem Fuß ins Gesicht getreten und hatte ihr dabei das Gebiss zertrümmert. Human Rights Watch dokumentiert weitere Fälle, bei denen die Opfer angaben, von den Wachleuten, die sie auf den Abraumhalden festgenommen hatten, geprügelt oder auf andere Weise misshandelt worden zu sein.

Keine der von Human Rights Watch befragten Frauen hatte die mutmaßliche Vergewaltigung bei den lokalen Behörden oder beim Unternehmen angezeigt. Einige Frauen berichteten, ihre Angreifer hätten ihnen mit Verhaftung gedroht, wenn sie versuchten, sich zu beschweren. Erschwerend kommt hinzu, dass Barrick den Betroffenen keine Möglichkeit bot, einen Missbrauchsfall auf sicherem Weg zur Anzeige zu bringen.

Barrick reagierte entschlossen auf die Vorwürfe von Human Rights Watch. Das Unternehmen veranlasste eine breit angelegte interne Untersuchung, unterstützte die strafrechtlichen Ermittlungen der Polizei von Papua-Neuguinea und verpflichtete sich, für eine bessere Kontrollen zu sorgen und die Sicherheitskräfte in Porgera zur Rechenschaft zu ziehen.

Die mutmaßlichen Gruppenvergewaltigungen sind offenbar Teil eines größeren Problems, so Human Rights Watch. Durch die Ermittlungen der Polizei und die unternehmensinternen Untersuchungen infolge der Enthüllungen von Human Rights Watch wurden weitere mutmaßliche Fälle von sexueller Gewalt aufgedeckt.

In einer öffentlichen Stellungnahme bezeichnete Barrick die Ergebnisse der unternehmensinternen Untersuchungen als „erschreckend“ und kündigte die Entlassung mehrerer Sicherheitsbediensteter aufgrund ihrer Beteiligung an mutmaßlichen Fällen von sexueller Gewalt oder der unterlassenen Meldung solcher Fälle an. Die Polizei nahm im Januar 2011 drei ehemalige und aktuelle Mitarbeiter der Porgera Joint Venture fest. Zwei wurden wegen Vergewaltigung, der dritte wegen schwerer Körperverletzung angeklagt.

Am 17. Januar teilte die Polizei mit, dass im Zuge der Ermittlungen mit weiteren Anklagen zu rechnen sei und dass die Festnahmen eine Warnung sein sollen; schwerer Missbrauch werde nicht geduldet. Dies ist eine wichtige Botschaft, aber es wird einiges an Überzeugungsarbeit kosten, bis sie wirklich ernst genommen wird, so Human Rights Watch.

Angehörige der Polizeikräfte von Papua-Neuguinea sind regelmäßig in Fälle von Folter und Vergewaltigung verwickelt. Die Menschen zögern deshalb, sich bei Missbrauchsfällen an die Polizei zu wenden. Wenn die Regierung etwas gegen die Straflosigkeit bei Vergewaltigung und anderen schweren Verbrechen unternehmen will, muss sie zuerst sicherstellen, dass auch Angehörige der Polizei für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden, so Human Rights Watch.

Human Rights Watch untersuchte auch die Auswirkungen der Porgera-Mine auf Umwelt und Gesundheit. Täglich werden 16.000 Tonnen flüssiger Abfälle in den nahegelegenen Fluss Porgera geleitet. Diese umstrittene Praxis steht nicht im Einklang mit den aktuellen Branchenrichtlinien. Kritiker befürchten ein mögliches Gesundheitsrisiko für die weiter flussabwärts lebenden Menschen.

Human Rights Watch forderte Barrick auf, aussagekräftige Daten aus unterschiedlichen Quellen zu veröffentlichen, um eine unabhängige Beurteilung zu ermöglichen. Das Unternehmen erklärte sich jetzt bereit, erstmalig einen Jahres-Umweltbericht zu veröffentlichen. Dies sei ein wichtiger erster Schritt, so Human Rights Watch.

Darüber hinaus appellierte Human Rights Watch an die Regierung Papua-Neuguineas sowie an internationale Geber, eine Untersuchung auf mögliche Gesundheitsschäden durch Quecksilber bei der Bevölkerung um Porgera zu unterstützen. Arme und illegale Schürfer mischen dem Golderz regelmäßig Quecksilber bei und erhitzen das Gemenge dann über offener Flamme, was äußerst gefährlich ist. Die lokalen Ärzte gehen davon aus, dass dies der Grund für eine erschreckende Anzahl unbehandelter Fälle von Quecksilbervergiftung in den Gemeinden sei.

Den Human Rights Watch-Bericht „Gold’s Costly Dividend: Human Rights Impacts of Papua New Guinea’s Porgera Gold Mine“ finden Sie unter:
https://www.hrw.org/node/95776

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:
In Toronto, Chris Albin-Lackey (Englisch, Französisch): +1-347-886-7733 (mobil)
In Washington, D.C., Arvind Ganesan (Englisch): +1-202-612-4329 oder +1-202-255-8305 (mobil)
In Bangkok, Phil Robertson (Englisch): +66-85-060-8406 (mobil)
In Perth, Elaine Pearson (Englisch): +61 415 489 428 (mobil)

Zeugenaussagen aus dem Bericht „Gold’s Costly Dividend: Human Rights Impacts of Papua New Guinea’s Porgera Gold Mine“:

„Ein Wachmann hielt mich an meinem Kleid zurück und zerriss es. Ein anderer drückte mich fest an sich – es waren keine Frauen, sondern Männer, sodass ich mich nicht wehren konnte. Sie stießen mich zu Boden und rissen mir alle Kleider vom Leib. Einer hielt mir die Hand vor die Augen, als er mich vergewaltigte ….“
– Eine Frau über eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung im Februar 2010 in der Nähe der Mine.

„Ich kniete mich hin und hielt meinen Rock fest. Ein Wachmann trat mir mit dem Fuß ins Gesicht. Ich habe unten fünf und oben drei Zähne verloren. Danach haben mich diese Sicherheitsleute vergewaltigt.“
– Eine Frau über eine Gruppenvergewaltigung Anfang 2009.

„Die Tatsache, dass sich diese Fälle möglicherweise ereignet haben, dass die Ermittlungen der PJV [Porgera Joint Venture] diese nicht aufdecken konnten und dass die Frauen die Vorfälle bei der PJV nicht angezeigt haben, aber offen mit Human Rights Watch darüber gesprochen haben, zeigt uns klar und unmissverständlich, dass wir unsere eigenen Standards und Erwartungen in dieser Hinsicht nicht erfüllen konnten.“
– Brief vom 23. Dezember 2010 von Barrick Gold an Human Rights Watch.

„Das Maß ist voll. Gewalt gegen Andere, egal in welcher Form, wird unter meiner Führung nicht geduldet ... Die Warnung ist ernst gemeint: Wer die Menschenrechte nicht achtet und sich nicht an die Gesetze unseres Landes hält, wird sich ohne Wenn und Aber vor Gericht verantworten müssen.“
– Mitteilung des Polizeipräsidenten Tony Wagambie zu den laufenden Ermittlungen zu Fällen sexueller Gewalt durch Bedienstete der Porgera Joint Venture am 17. Januar 2011.

Kategorien: Menschenrechte

Konzerne in die Verantwortung nehmen: Neue Impulse für Menschenrechtsverpflichtungen von Unternehmen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51

Im Neuen Jahr sollten Sie besonders auf eine wichtige Entwicklung achten: In immer mehr Ländern könnte es nationale Gesetze geben, die die Verantwortung von Unternehmen gegenüber Arbeitern, Gemeinden und der Umwelt einfordern.

Millionen Erwachsene und Kinder auf der ganzen Welt werden als Arbeiter Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Sie beschaffen die Rohstoffe, schuften auf den Bauernhöfen und stellen Produkte für den globalen Markt her. Sie sind das letzte Glied in der globalen Lieferketten für sämtliche Produkte, angefangen bei alltäglichen Gütern wie Gemüse und Meeresfrüchten bis hin zu Luxusartikeln wie Schmuck und Designerkleidung, die weltweit in den Verkaufsregalen landen.

„Ruth“, 13 Jahre alt, ist eine von ihnen. Wir trafen sie während unserer Recherchen auf den Philippinen bei der Goldverarbeitung in der Nähe einer Mine. Dort mischte sie mit bloßen Händen giftiges Quecksilber in zermahlenes Golderz. Sie erzählte uns, dass sie seit ihrem 9. Lebensjahr arbeitet. Die Schule hatte sie vorher abgebrochen. Häufig bekommt sie kein Geld von dem Mann, der ihr die Säcke mit Golderz zur Verarbeitung gibt.  

Es ist ein gefährliches Leben auf der untersten Stufe dieser globalen Leiter. Im Jahr 2013 starben über 1.100 Arbeiterinnen und Arbeiter und 2.000 wurden verletzt, als das Rana Plaza Fabrikgebäude in Dhaka, Bangladesch zusammenbrach. In dem Gebäude waren fünf Textilfabriken untergebracht. Seitdem gab es einige Fortschritte bei der Sicherheit in den Fabriken in Bangladesch, nachhaltige Reformen gab es jedoch weder dort noch in anderen Ländern. Um mit den Erwartungen der Verbraucher Schritt zu halten, müssen Frauen weiterhin eine ganze Reihe von Arbeiterrechtsverletzungen in Bangladesch und anderen Ländern ertragen. Im Januar 2019 brach der Tailings-Staudamm von Brumadinho in Brasilien. Mindestens 250 Menschen – die meisten davon Arbeiter – kamen hierbei ums Leben und eine Welle von Giftschlamm wurde losgetreten. Der Damm hatte Abfälle aus einem Bergwerk gesammelt, in dem Eisenerz gefördert wird. Dieses wird weltweit im Bauwesen, im Maschinenbau, in der Automobilindustrie und in anderen Industriezweigen verwendet.

Multinationale Unternehmen, einige der reichsten und mächtigsten Akteure der Welt - 69 der 100 reichsten Akteure der Welt sind Unternehmen und keine Länder - haben sich häufig ihrer Verantwortung entzogen, wenn Arbeiter, umliegende Gemeinden oder die Umwelt durch sie zu Schaden gekommen sind. Regierungen wiederum, die in Verbindung mit mächtigen Unternehmen stehen, haben oftmals die Aktivitäten von Unternehmen nicht angemessen reguliert. Oder sie haben bestehende Schutzmaßnahmen für Arbeiter, Verbraucher und die Umwelt nicht durchgesetzt oder sogar abgeschafft.

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind freiwillige Richtlinien für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen. Diese Richtlinien sind jedoch nicht rechtlich durchsetzbar. Von der Industrie vorangetriebene freiwillige Standards und Zertifizierungssysteme, die in den letzten Jahren zugenommen haben, können nützlich sein, reichen aber nicht aus: Viele Unternehmen werden nur dann handeln, wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Diese Standards decken zudem wichtige Menschenrechts- und Umweltfragen in den Lieferketten der Unternehmen nicht ab, und die Systeme zur Überwachung der Einhaltung der Standards können nicht alle Probleme identifizieren und beheben. Sowohl das Rana Plaza Fabrikgebäude als auch der Staudamm von Brumadinho waren nur wenige Monate vor der jeweiligen Katastrophe von Wirtschaftsprüfern im Auftrag der Unternehmen inspiziert worden.

Die Ära, in der freiwillige Initiativen die einzige Möglichkeit waren, Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte zu bewegen, weicht nun langsam der Erkenntnis, dass neue, rechtlich durchsetzbare Gesetze notwendig sind. Obwohl die Debatten je nach Land unterschiedlich geführt werden, ist die allgemeine Tendenz vielversprechend für die Arbeiter und Gemeinden, die Teil der Lieferketten multinationaler Unternehmen sind. Die Gesetzgeber erkennen zunehmend an, dass Unternehmen die Menschenrechte - einschließlich der Freiheit von unsicheren Arbeitsbedingungen, Zwangsarbeit und Lohndiebstahl - respektieren müssen, und schaffen entsprechende Gesetze, die sie dazu verpflichten.

In den letzten Jahren haben Frankreich, die Niederlande, Australien und Großbritannien Gesetze gegen Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen verabschiedet. Einige der bestehenden Gesetze sind jedoch zahnlose Tiger. Australien und Großbritannien beispielsweise verlangen von den Unternehmen lediglich, ihre Lieferketten transparent zu gestalten und alle Maßnahmen zu melden, die sie zur Bekämpfung von Problemen wie Zwangs- oder Kinderarbeit ergreifen. Die Unternehmen sind jedoch nicht dazu verpflichtet, diesen Problemen vorzubeugen oder sie zu beheben. Darüber hinaus sind keine Strafen für Unternehmen vorgesehen, die sich nicht an das Gesetz halten.

Das französische Gesetz von 2017 ist die derzeit umfassendste und strengste Regelung. Sie verpflichtet Unternehmen dazu, die negativen Auswirkungen ihrer Lieferketten sowohl auf die Menschenrechte als auch auf die Umwelt zu identifizieren und zu vermeiden. Das Gesetz gilt auch für die Unternehmen, die von der Regierung kontrolliert werden und mit denen die Regierung zusammenarbeitet. Unternehmen in Frankreich haben 2018 die ersten „Sorgfaltspläne“ nach diesem Gesetz veröffentlicht. Die Nichteinhaltung kann rechtliche Schritte nach sich ziehen. Die erste Klage nach dem Gesetz zur Sorgfaltspflicht wurde im Oktober 2019 eingereicht. Gesetze wie das in Frankreich, das Handlungsaufforderungen an Unternehmen beinhaltet ebenso wie Konsequenzen, wenn diesen Aufforderungen nicht nachgekommen wird, und die Möglichkeit für Arbeitnehmer, Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, öffnen die Tür für einen stärkeren Schutz von Arbeitern auf der ganzen Welt.

Das Jahr 2020 verspricht weitere Fortschritte für mehr Menschen. Die Parlamente in Deutschland, der Schweiz, Dänemark, Kanada, Norwegen, Finnland und Österreich erwägen Gesetze, die den Umgang von Unternehmen mit den Menschenrechten bei ihren weltweiten Aktivitäten verändern würden. Sie gehen über reine Transparenz und Berichterstattung hinaus und verlangen, dass Menschenrechtsrisiken in den Lieferketten von Unternehmen identifiziert und Maßnahmen zu ihrer Vermeidung ergriffen werden.

In einer damit verbundenen Entwicklung prüft die Internationale Arbeitsorganisation, ob ein neues, verbindliches globales Übereinkommen über „menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten“ erforderlich ist. Um diese Frage zu klären, wird die Organisation im Jahr 2020 ein Treffen mit Regierungs-, Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern abhalten.

Durch eine strengere Regulierung von Lieferketten werden die Staaten eine neue internationale Erwartungshaltung für ein verantwortungsbewusstes Verhalten der Unternehmen schaffen. Zudem werden dadurch die Menschenrechte von Millionen von Arbeitern, wie für Ruth, besser geschützt, die in den Minen, Fabriken und auf den Feldern ums Überleben kämpfen.

Kategorien: Menschenrechte

UN-Chef soll Angriffe auf syrische Krankenhäuser untersuchen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51

Aktualisierung: Am 1. August gaben die Vereinten Nationen bekannt, dass UN-Generalsekretär Antonio Guterres eine Untersuchung zu den Angriffen gegen Krankenhäuser in Syrien einleiten wird. Human Rights Watch fordert, dass dabei die Verantwortung für Kriegsverbrechen deutlich gemacht wird, dass der Bericht öffentlich ist und die Täter genannt und geächtet werden.

Zwei Drittel der Mitglieder im UN-Sicherheitsrats haben Generalsekretär Antonio Guterres aufgefordert, Angriffe auf medizinische Einrichtungen und andere geschützte Standorte in Syrien untersuchen zu lassen. Er sollte schnell handeln und an Russland, Syrien und andere Konfliktparteien eine klare Botschaft senden: Angriffe auf Krankenhäuser sind Kriegsverbrechen und die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen.

Humanitäre Hilfsorganisationen behaupten dies seit längerem: Russland und Syrien würden Krankenhäuser mittels Koordinaten angreift, die eigentlich für einen UN-Mechanismus vorgesehen sind, der Angriffe verhindern und zur Sicherheit beitragen soll.

Seit Jahren haben die Vereinten Nationen humanitäre Gruppen in Syrien darin bestärkt, Koordinaten geschützter Standorte zu teilen. Diese wurden anschließend an Russland, die Türkei und die US-geführten Koalitionstruppen weitergeleitet. Doch Krankenhäuser wurden gerade dann häufig bombardiert, nachdem Koordinaten geteilt worden waren. Physicians for Human Rights teilte dem Sicherheitsrat diese Woche mit, dass zwischen März 2011 und Juli 2019, 578 Angriffe auf mindestens 350 unterschiedliche Einrichtungen stattfanden, bei denen mindestens 890 medizinische Mitarbeiter getötet wurden.

Viele Gruppen, wie Ärzte ohne Grenzen, teilen ihre Koordinaten der UN nicht mehr mit. Dutzende Krankenhäuser im Nordwesten Syriens wurden bereits angegriffen. UN-Nothilfekoordinator, Mark Lowcook, berichtete den Mitgliedern des Sicherheitsrats, dass er diese Woche von Russland Informationen dazu eingefordert hat, wie das Land mit den von den UN erhaltenen Koordinaten umgeht. Eine Antwort steht noch aus.

Die syrische Regierung behauptet, dass 119 Krankenhäuser in Idlib legitime Angriffsziele seien, da diese von feindlichen Kämpfern benutzt würden. Doch Lowcook äußert Skepsis und weist darauf hin, dass es sich bei einer der Einrichtungen auf der syrischen Liste tatsächlich um ein funktionierendes, von der UN unterstütztes Krankenhaus handelte.

Eine UN-Untersuchung sollte feststellen, ob der Mechanismus zur Konfliktentschärfung ausgenutzt wurde, wer für Angriffe auf geschützte Standorte verantwortlich ist und wie ein Missbrauch in Zukunft am besten verhindert werden kann. Die Untersuchungsergebnisse sollten nicht nur öffentlich sein, sondern auch mit internationalen Gremien geteilt werden, die Fallakten zu schweren Verbrechen in Syrien aufbauen.

Trotz zahlreicher Präzedenzfälle ist Guterres in der Regel zögerlich, selbst Untersuchungen einzusetzen. Er hat bereits Ermittlungen zum Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi, dem Einsatz chemischer Waffen in Syrien und dem Mord an zwei UN-Experten in der Demokratischen Republik Kongo abgelehnt.

Jetzt hat Guterres jedoch die Gelegenheit, seine Autorität wiederherzustellen. Er kann zeigen, dass die UN den Kriegsverbrechen in Syrien nicht mehr länger zusieht.

 

Kategorien: Menschenrechte

Burma: Hilfe muss bei Rohingya ankommen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51

Aufklappen Rohingya refugees go about their day outside their temporary shelters along a road in Kutupalong, Bangladesh, September 9, 2017.    © 2017 Danish Siddiqui/Reuters

(New York, 11. September 2017) – Die Vereinten Nationen (UN), andere multilaterale Organisationen und einzelne Staaten sollen die burmesische Regierung dazu drängen, unverzüglich Hilfe für die stark gefährdete, muslimische Bevölkerungsgruppe der Rohingya in Rakhine-Staat zuzulassen, so Human Rights Watch heute. Sie sollen auch gewährleisten, dass angemessene Hilfe für die mehr als 270.000 Rohingya und andere Personen zur Verfügung gestellt wird, die in den vergangenen Monaten nach Bangladesch geflohen sind.

Das burmesische Militär führt eine menschenrechtswidrige Operation gegen die Rohingya durch, seit die militante Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) am 25. August 2017 Anschläge auf etwa 30 Polizeiposten und einen Armeestützpunkt verübte. Nicht nur in Bangladesch halten sich geflüchtete Rohingya auf, sondern es wurden auch Zehntausende innerhalb von Burma vertrieben. Etwa 12.000 weitere Personen, mehrheitlich Rakhine und andere nicht-muslimische Menschen, mussten ebenfalls aus ihren Wohnorten fliehen.

„Die humanitäre Katastrophe, die die burmesischen Sicherheitskräfte in Rakhine-Staat ausgelöst haben, verschlimmert sich um ein Vielfaches, weil die Behörden Hilfsorganisationen nicht in die Region lassen“, so Philippe Bolopion, stellvertretender Leiter der Advocavy-Abteilung von Human Rights Watch. „Die UN, ASEAN und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit müssen den Druck auf Burma massiv erhöhen und Bangladesch stärker unterstützen, damit den Rohingya und den anderen vertriebenen Menschen schnell geholfen werden kann.“

Nach Bangladesch geflüchtete Rohingya berichteten, dass burmesische Sicherheitskräfte bewaffnete Angriffe auf Dörfer verübt, den Bewohnern Schuss- und Splitterverletzungen zugefügt und ihre Häuser niedergebrannt haben. Die Tötungen, der Beschuss und die Brandanschläge deuten stark auf eine Operation zur „ethnischen Säuberung“ hin.

Maßnahmen der internationalen Hilfe wurden fast überall in Rakhine-Staat ausgesetzt. Schätzungsweise 250.000 Menschen haben keine Nahrung, medizinische Versorgung und andere grundlegende humanitäre Unterstützung. Flüchtlinge berichteten, dass zwar viele Menschen aus der Gemeinde Maungdaw nach Bangladesch entkommen konnten, dass sich aber viele vertriebene Rohingya noch immer im Umland der Gemeinden Rathedaung und Buthidaung verstecken.

Die Rohingya in Burma
 

Die burmesische Regierung betrachtet die Rohingya, die überwiegend im Norden von Rakhine-Staat leben, seit Jahrzehnten als Staatsbürger von Bangladesch. Knapp über eine Millionen Rohingya leben in Burma, sie stellen einen Großteil der relativ kleinen, muslimischen Minderheit im Land. Die Rohingya werden seit langem systematisch diskriminiert, eben weil sie unter dem Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahr 1982 von der burmesischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen sind. Im Ergebnis sind die Rohingya eine der größten staatenlosen Bevölkerungsgruppen der Welt.

Weil die Rohingya keine Staatsangehörigkeit haben, belegen die burmesische Polizei und der Grenzschutz sie mit unzähligen, menschenrechtswidrigen Restriktionen. Gesetze, Richtlinien und Praktiken nehmen den Rohingya ihre Bewegungsfreiheit und das Recht, ihre Dörfer zu verlassen; schränken ihr Recht auf eine Existenzgrundlage ein; greifen in ihre Persönlichkeitsrechte ein, zu heiraten und Kinder zu haben; und verhindern, dass sie Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung und zu Bildung haben.

Schon vor dem jüngsten Gewaltausbruch wiesen die Indikatoren für Nahrungssicherheit und die Zahl unterernährter Kinder in der Gemeinde Maungdaw deutlich auf eine Krisensituation hin, so das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der UN (OCHA) in Burma. In Folge der staatlichen Restriktionen und der wiederholten Militäraktionen gegen Rohingya-Gemeinschaften, derentwegen unzählige Menschen vertrieben wurden, sind die heute betroffenen Personen schon lange abhängig von UN-Instanzen und internationalen Nichtregierungsorganisationen, die sie mit Nahrung und anderer Hilfe versorgen.

Zugleich nehmen die Feindseligkeiten gegen Hilfsorganisationen zu. Die Regierung wirft deren Mitarbeitern vor, Rohingya-Milizen zu unterstützen, da spezielle Zusatznahrung, die das Welternährungsprogramm ausgibt, im Juli 2017 in einem mutmaßlichen Milizen-Lager gefunden wurde. Berichten zufolge wurden einige Lager internationaler Hilfsorganisationen im September geplündert. Die Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission berichtet, dass burmesische und internationale Mitarbeiter der UN und internationaler Nichtregierungsorganisationen eingeschüchtert wurden.

Die Rohingya in Bangladesch
 

Etwa 34.000 Rohingya sind in Bangladesch offiziell als Flüchtlinge registriert, schätzungsweise 300.00 bis 500.000 halten sich dort ohne Status auf. Etwa 87.000 weitere Personen kamen zwischen Oktober 2016 und März 2017 ins Land, nach Militäroperationen in Rakhine-Staat, die auf Anschläge der ARSA im Oktober folgten. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Bangladesch gehen davon aus, dass wegen der massiven staatlichen Gewalt seit der ARSA-Anschläge im August 2017 mehr als 300.000 neue Flüchtlinge ankommen werden.

Im Angesicht der aktuellen Krise lässt der Grenzschutz von Bangladesch Rohingya informell ins Land. Einige Beamte sagten gegenüber Human Rights Watch, dass sie sich darauf konzentrierten, denjenigen zu helfen, die aus dem staatlichen Niemandsland nach Bangladesch kommen, die Flüchtlinge mit Notrationen und medizinisch versorgten und sie dabei unterstützen, Zugang zu grundlegender Wasser- und Sanitärversorgung zu erhalten. Allerdings könnten sie denjenigen, die nicht über reguläre Grenzübergänge einreisen, nicht helfen.

Den Naf-Fluss während des Monsuns zu überqueren, ist sehr gefährlich. Grenzschützer und andere Quelle gehen davon aus, dass mehr als zwei Dutzend Personen bei dem Versuch ertrunken sind, die Grenze zu überqueren. Diejenigen, die es ans andere Ufer schaffen, können sich nur in behelfsmäßigen Zelten vor dem Dauerregen schützen. Die Krankenhäuser sind stark überfüllt. Angestellte im Gesundheitswesen befürchten, dass wegen der Überbelegung und der schlechten hygienischen Bedingungen Krankheiten ausbrechen werden.

Ein 17-jähriger, geflüchteter Rohingya, der mit einer Schusswunde im Arm in einem Krankenhaus in Bangladesch liegt, sagte, er wisse nicht, was nach seiner Entlassung aus ihm werden solle. Er habe „keine Familie, keine Freunde, keine Kontakte, und kein Geld in Bangladesch“. Grenzschützer berichteten, dass sie bereits zahllosen unbegleiteten Kindern begegnet sind, die sich bei ihrer überstürzten Flucht verirrt haben.

Einige Amtsträger in Bangladesch äußerteten, dass geflüchtete Rohingya nicht willkommen seien, und wiesen auf die schweren Monsun-Überschwemmungen in vielen Teilen des Landes hin. Seit dem Jahr 2016 schlagen die Behörden immer wieder vor, Rohingya, die sich ohne Papiere in Bangladesch aufhalten, auf ein unbewohnbares Atoll im Golf von Bengalen umzusiedeln.

In der Vergangenheit hat Bangladesch internationale Hilfe abgelehnt, aus Angst davor, dass dann noch mehr Rohingya ins Land kommen würden. Allerdings kommen jeden Tag Tausende an, obwohl es keine angemessene Nahrungsversorgung und Unterbringung gibt. Das verdeutlicht, dass die Menschen fliehen, um ihre Leben zu retten. Soweit Human Rights Watch dies feststellen konnte, sieht die Regierung weitestgehend davon ab, aus Burma flüchtende Personen zurückzudrängen. Aber auch deshalb, weil es nicht ausreichend internationale Unterstützung für Bangladesch gibt, sind die Bedingungen in den Grenzregionen schrecklich.

„Die humanitäre Lage in Burma und in Bangladesch wird sich weiter verschlechtern, so lang die burmesischen Sicherheitskräfte in Rakhine-Staat im großen Umfang Gräueltaten begehen“, so Bolopion. „Der UN-Sicherheitsrat soll eine öffentliche Notsitzung einberufen und die burmesischen Behörden dazu auffordern, die Gewalt gegen die Rohingya einzustellen und internationale Hilfe ins Land zu lassen. Andernfalls muss Burma mit Sanktionen belegt werden.“

Kategorien: Menschenrechte

Geflüchteten weltweit echten Schutz geben

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51
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Asylsuchende hinter einem Metallgitter im Lager ‘Hangar 1’ in Röszke, Ungarn. 9. September 2015.

© 2015 Zalmaï for Human Rights Watch

(New York) – Die gewaltige Migrationskrise lässt sich nur durch eine beispiellose globale Antwort bewältigen, so Human Rights Watch. Auf den beiden Gipfeltreffen, die am 19. und 20. September 2016 bei den Vereinten Nationen stattfinden, sollen die Staats- und Regierungschefs mutige Maßnahmen ergreifen, um sich gemeinsam ihrer Verantwortung für die Millionen von Menschen zustellen, die durch Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung vertrieben wurden.

Führende Politiker treffen in New York zusammen, um über eine Ausweitung der Hilfen an jene Länder zu beraten, in denen Flüchtlinge zuerst Schutz suchen. Viele dieser Länder befinden sich aktuell an ihrer Belastungsgrenze. Dies gefährdet das Fundament des Flüchtlingsschutzes, das Prinzip des Non-Refoulement, welches Zwangsrückführungen an Orte verbietet, an denen den Betroffenen Verfolgung oder andere schwerwiegende Gefahren drohen. Derzeit befinden sich vor allem Menschen aus Afghanistan, Burma, der Demokratischen Republik Kongo, Eritrea, Honduras, dem Irak, Somalia und Syrien auf der Flucht.

„Millionen Menschen leben in Not und Ungewissheit“, so Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch. „Hier geht es nicht nur um mehr Geld und größere Aufnahmekontingente, sondern auch um die Verteidigung der Rechtsprinzipien zum Flüchtlingsschutz, die mehr denn je unter Beschuss stehen.“

In diesem Jahr hat Human Rights Watch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtlinge dokumentiert: So beschossen türkische Grenzschutzbeamte Zivilisten, die offenbar Asyl suchten, und drängten sie gewaltsam zurück; Jordanien verweigerte syrischen Asylsuchenden an seiner Grenze die Einreise bzw. Unterstützung;  Kenia kündigte an, es werde im November das weltweit größte Flüchtlingslager schließen und die dort lebenden Somalier – trotz der möglichen Gefahren – zur Rückkehr in ihre Heimat zwingen; Pakistan und der Iran schikanierten afghanische Flüchtlinge, entzogen ihnen die Registrierung und zwangen sie zur Rückkehr in ihr umkämpftes Land.

Die UN-Vollversammlung hat für den 19. September ein Gipfeltreffen einberufen, „mit dem Ziel, die Staaten für ein menschlicheres und besser koordiniertes Vorgehen [in der Flüchtlingsfrage] zusammenzubringen“. Die bereits als Entwurf vorliegende Schlusserklärung ist eine verpasste Chance, was die Ausweitung der Schutzkriterien angeht, und dämpft die Erwartungen im Hinblick auf neue konkrete Zusagen. Dennoch erkennt die Erklärung die Bedeutung der Flüchtlingsrechte an und fordert eine gerechtere Aufteilung der Verantwortung. Angesichts des Ausmaßes der Flüchtlingskrise und der populistischen Gegenreaktionen in vielen Teilen der Welt sollte dieses Bekenntnis zu den Flüchtlingsrechten die Grundlage für jedes gemeinsame Handeln bilden.

Am 20. September wird US-Präsident Barack Obama den sogenannten Leader’s Summit ausrichten, der die Teilnehmer dazu bewegen soll, mehr humanitäre Hilfe, größere Aufnahmekontingente sowie einen besseren Bildungs- und Arbeitsmarktzugang zu gewährleisten. Die teilnehmenden Regierungen werden aufgefordert, konkrete Zusagen zur Verwirklichung der folgenden Ziele zu geben: Die Kontingente zum Resettlement von Flüchtlingen und für andere Formen der Aufnahme sollen verdoppelt werden; die Mittel für humanitäre Hilfe sollen um 30 Prozent erhöht werden; eine Million Flüchtlingskinder soll eine Schulbildung ermöglicht werden; und eine Million erwachsene Flüchtlinge sollen eine Arbeitserlaubnis erhalten. Obwohl die Teilnehmerliste noch nicht bekanntgegeben wurde, wird erwartet, dass etwa 30 bis 35 Staaten an dem Gipfel teilnehmen werden. Kanada, Äthiopien, Deutschland, Schweden und Jordanien werden den Gipfel gemeinsam mit den USA moderieren.

Ausweitung der humanitären Hilfe an Erstaufnahmeländer
Die überwiegende Mehrheit der 21,3 Millionen Flüchtlinge weltweit befindet sich im globalen Süden, wo sie häufig weiteres Leid sowie Diskriminierung und Vernachlässigung erfahren. Human Rights Watch appelliert an Erstaufnahmeländer wie die Türkei, den Libanon, Jordanien, Thailand, Kenia, den Iran und Pakistan, die Initiativen für einen besseren Bildungs- und Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge zu unterstützen.

Die reichsten Staaten der Welt haben bei der Unterstützung jener Länder, die im Brennpunkt der Flüchtlingskrise stehen, weitgehend versagt. Bis zum 9. September waren die Hilfsaufrufe der UN nur zu 39 Prozent finanziert. Die größten Finanzierungslücken klafften in Afrika. So standen zur Unterstützung der Flüchtlinge aus dem Südsudan nur 19 Prozent der benötigten Mittel zur Verfügung. Die Regionalpläne zur Flüchtlingshilfe im Jemen bzw. in Syrien waren nur zu 22 bzw. 49 Prozent finanziert.

Vergrößerung der Kontingente zur Neuansieldung in anderen Ländern
Die Neuansiedlung von Flüchtlingen aus den Erstaufnahmeländern in anderen Ländern ist entscheidend, um diese zu entlasten und den Geflüchteten den Aufbau neuer Existenzen zu ermöglichen. Dennoch herrscht hier ein eklatanter Mangel an internationaler Solidarität. Im Jahr 2015 vermittelte die UN-Flüchtlingsagentur die Neuansiedlung von nur 81.000 der schätzungsweise 960.000 Flüchtlinge weltweit, die dauerhaft aufgenommen werden müssten.  Für 2016 schätzte die Agentur den Bedarf an Plätzen zur Neuansiedlung von Flüchtlingen auf über 1,1 Millionen; es wird jedoch von den Mitgliedstaaten nur eine Zusage über 170.000 Plätze erwartet. Bei einer hochrangigen UN-Konferenz im März verpflichteten sich die 92 teilnehmenden Staaten nur auf eine geringfügige Erhöhung der Kontingente für syrische Flüchtlinge.

Als über einer Million Migranten und Asylsuchenden Europa auf dem Seeweg erreichten und mehr als 3.700 Todesfälle auf hoher See im Jahr 2015 zu beklagen waren, wurde in der Europäischen Union immer deutlicher, dass legale und sicherer Einreisewege für Flüchtlinge, etwa durch Neuansiedlung, absolut notwendig sind. Dennoch  konzentrieren sich zahlreiche EU-Staaten, darunter Österreich, Bulgarien und Ungarn, vor allem darauf, spontane Einreisen zu verhindern, ihre Verantwortung auszulagern und die Rechte der Geflüchteten einzuschränken.

Ein im Juli 2015 verabschiedeter europäischer Plan zur dauerhaften Aufnahme von 22.500 Flüchtlingen aus anderen Regionen innerhalb von zwei Jahren führte, laut aktueller Statistiken aus dem Juli 2016, bislang nur zur Neuansiedlung von 8.268 Flüchtlingen. Die meisten EU-Staaten erfüllten ihre Zusagen nicht, zehn Länder nahmen keine einzige Person im Rahmen des Plans auf.

Abschaffung menschenrechtswidriger Systeme und verfehlter Abkommen
Im März schloss die EU ein Abkommen mit der Türkei, welches die Rückführung praktisch aller Asylsuchenden in die Türkei erlaubt – mit der zutiefst verfehlten Begründung, die Türkei biete ein sicheres Asyl. Dieses Abkommen steht nun kurz vor dem Kollaps. In Australien werden Asylsuchende, die auf Booten ankommen, in Aufnahmezentren auf Inseln vor der australischen Küste gebracht, wo es zu Vernachlässigung, unmenschlicher Behandlung und Missbrauch kommt.

Die EU und Australien sollen diese menschenrechtswidrigen Maßnahmen aufgeben. Die EU-Mitgliedstaaten sollen schnellstmöglich den vorliegenden Rahmenplan für das Resettlement von Flüchtlingen verabschieden, welcher ambitioniertere Ziele und eine klare Verpflichtung zu deren Umsetzung vorsieht. Sie sollen die Verantwortung gerecht aufteilen, wenn Asylsuchende unerwartet ankommen, und Italien und Griechenland entlasten.

Viele Regierungen untergraben das Asylrecht, indem sie Asylsuchende in geschlossenen Lagern unterbringen, wie es Kenia und Thailand der Fall ist, oder sie inhaftieren, wie es Australien, Griechenland, Italien, Mexiko und die USA praktizieren.

Die USA, die bei der Neuansiedlung von Flüchtlingen und der Umsetzung von UN-Hilfsaufrufen in vielerlei Hinsicht führend sind, zeigten sich bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge überaus träge und kleinlich. Zudem scheinen sie auf manchen Gebieten andere Maßstäbe anzulegen, etwa beim Umgang mit Kindern und Erwachsenen, die vor Bandengewalt in Mittelamerika fliehen, oder bei der Strategie, Mexiko als Pufferzone zu nutzen, damit Migranten nicht bis zur US-Grenze gelangen können.

Die US-Regierung unter Präsident Obama erreichte in diesem Fiskaljahr trotz des Widerstandes von mehr als der Hälfte der Gouverneure und der Nichtbewilligung von Finanzmitteln durch den Kongress ihr Ziel, 10.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Dennoch könnten die USA eine vielfach höhere Zahl an Flüchtlingen aufnehmen. Die US-Regierung soll sich verpflichten, die Ziele des Leaders’ Summit umzusetzen und ihr diesjähriges Aufnahmekontingent von 85.000 auf 170.000 zu verdoppeln.

Auch viele andere Staaten wären in der Lage, weitaus mehr Flüchtlinge aufzunehmen, etwa Brasilien, Japan und Südkorea. Doch sie taten bedauerlich wenig. Japan nahm im Jahr 2015 nur 19 Flüchtlinge auf, Südkorea nahm – abgesehen von Flüchtlingen aus Nordkorea – 42 Personen auf und Brasilien sogar nur sechs.

Russland nimmt praktisch keine Flüchtlinge auf. Die Golfstaaten reagieren nicht auf die Aufrufe der UN zur Aufnahme von Flüchtlingen, wenngleich Saudi-Arabien die Abschiebung Hunderttausender Syrer ausgesetzt hat, deren Visa abgelaufen sind. Laut einer Untersuchung von Oxfam blieben die meisten Golfstaaten mit Ausnahme Kuwaits auch bei der Finanzierung der UN-Hilfsprogramme für syrische Flüchtlinge weit hinter den Erwartungen zurück.

„Jeder Staat trägt eine moralische Verantwortung dafür, die Würde und die Rechte von Menschen, die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen wurden, zu schützen“, so Roth. „Wenn über 20 Millionen Menschen auf konkrete internationale Maßnahmen warten, reichen hochtrabende Erklärungen nicht aus.“

Kategorien: Menschenrechte

US-Gipfel: Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern überarbeiten

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51

Die Länder, die an dem von den Vereinigten Staaten geleiteten Gipfel zur Terrorbekämpfung teilnehmen, sollen sicherstellen, dass alle Maßnahmen internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen, die Menschen davon abhalten sollen, sich extremistischen Gruppierungen anzuschließen. Am 29. September 2015 wird US-Präsident Barack Obama am Rande der UN-Vollversammlung zu einem Gipfel treffen empfangen, an dem mehr als 100 Staats- und Regierungschefs teilnehmen.

Mehr als 30 Länder haben Gesetze oder Maßnahmen eingeführt, um gegen sogenannte ausländische Terrorkämpfer vorzugehen. Die meisten dieser Maßnahmen wurden verabschiedet, nachdem der UN-Sicherheitsrat das Thema in seiner Resolution 2178 vom September 2014 behandelt hatte. Recherchen von Human Rights Watch ergaben, dass die zu weit gefasste Terminologie in diesen Gesetzestexten gegen bestimmte religiöse Gruppen gerichtet werden könnte. Ebenso könnte hierdurch die Meinungsfreiheit unterdrückt werden. Auch könnte das Recht auf Freizügigkeit übermäßig eingeschränkt werden und Verdächtigte könnten ohne offizielle Anklage für einen langen Zeitraum in Haft genommen werden.

„Regierungen müssen die Bevölkerung vor Gewalt durch extremistische Gruppen schützen. Doch dies ist kein Freibrief dafür, grundlegende Menschenrechte mit Füßen zu treten”, so Letta Tayler, Expertin für Terrorismus und Terrorbekämpfung von Human Rights Watch. „Die Staats- und Regierungschefs sollen sicherstellen, dass die sogenannten Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern überarbeitet werden, damit diese kein Werkzeug zur Unterdrückung werden.“ 

Resolution 2178 hält alle UN-Mitgliedstaaten dazu an, Straftatbestände einzuführen für jene Personen, die ins Ausland reisen oder zu reisen beabsichtigen, um sich dort einer ausländischen Terrororganisation anzuschließen oder eine solche zu unterstützen. Die Resolution sieht ebenfalls vor, dass die Mitgliedstaaten die Rekrutierung und Finanzierung von mutmaßlichen ausländischen Terrorkämpfern unter Strafe stellen. Zudem sollen sie Informationen über mutmaßliche ausländische Terrorkämpfer untereinander austauschen und Maßnahmen gegen gewalttätigen Extremismus entwickeln.

Mindestens 33 Länder haben seit 2013 Gesetze, Verordnungen oder Maßnahmen erlassen, um dem Strom von Menschen, die ins Ausland reisen, um sich extremistischen Gruppen anzuschließen, Einhalt zu gebieten. 24 Länder haben diese Maßnahmen eingeführt, nachdem der UN-Sicherheitsrat Resolution 2178 verabschiedet hatte.

Die Staats- und Regierungschefs sollen den Gipfel dazu nutzen, um die Umsetzung der Resolution 2178 zu prüfen, damit das jeweilige Vorgehen der Staaten im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards und humanitärem Völkerrecht steht, so Human Rights Watch.

Resolution 2178 verlangt, dass alle Maßnahmen im Einklang mit dem Menschenrechtsschutz stehen, zu dem sich das jeweilige Land verplichtet hat. Jedoch werden die Begriffe „Terrorismus“ oder „terroristische Handlungen“ nicht definiert, sodass Regierungen viel Spielraum haben, um Definitionen festzulegen oder beizubehalten, die zum Beispiel die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit und anderer Menschenrechte unter Strafe stellen.  

So gelten etwa laut Saudi Arabiens 2014 verabschiedeten Gesetzen und Verordnungen zur Terrorbekämpfung auch jene Taten als „terroristisch”, die „dem Ansehen des Staates schaden”, ohne dass bei solchen Taten Gewalt angewendet wird. Gleiches gilt für „die Teilnahme an Konferenzen, Seminaren oder Treffen innerhalb oder außerhalb [des Königreiches], die auf die Sicherheit der Gesellschaft abzielen oder darauf, Unfrieden zu stiften.”

Demokratische Staaten haben ebenfalls Bestimmungen erlassen, die Anlass zur Sorge um die Einhaltung der Menschenrechte geben. Die 2014 und 2015 in Großbritannien erlassenen Gesetze erlauben es den Behörden, eingebürgerten Briten, die aufgrund von Verstößen gegen die Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern verurteilt wurden, die Staatsbürgerschaft zu entziehen, selbst wenn dies die Betroffenen staatenlos macht. Zudem darf der Staat ein maximal zweijähriges Wiedereinreiseverbot gegen jene verhängen, die lediglich im Verdacht stehen, in derartige Aktivitäten verwickelt zu sein. Diese Maßnahmen könnten Menschen willkürlich das grundlegende Recht nehmen, in ihr eigenes Land einzureisen.

Ein 2015 in Deutschland verabschiedetes Gesetz erlaubt es den Behörden, Pässe und Personalausweise jener Bürger, die als ein Sicherheitsrisiko betrachtet werden, durch Ausweispapiere zu ersetzen, auf denen vermekt ist: „Berechtigt nicht zum Verlassen Deutschlands“. Kritiker mahnen, dass diese Ersatzdokumente zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führten.

Mehrere Länder haben die Regelungen zu einer verlängerten Haft ohne Anklage oder Prozess ausgeweitet oder wiedereingeführt. Das vage und weit gefasste Sicherheitsgesetz, das 2015 in Malaysia verabschiedet wurde, führt eine Inhaftierung von bis zu zwei Jahren ohne Prozess für all jene Aktivitäten ein, die mutmaßlich in Verbindung zu ausländischen Terrorgruppen stehen wieder ein. Die Haft kann dann unbegrenzt immer wieder für zwei Jahre verlängert werden.

Die Verfügung von 2015 in Tadschikistan, die es allen Bürgern unter 35 verbietet, zu den heiligen Stätten des Islam Mekka und Medina zu reisen, um dort an der jährlichen Pilgerfahrt Haddsch teilzunehmen, schränkt die Religionsfreiheit massiv ein, so Human Rights Watch.

Der Sicherheitsrat soll eine Resolution verabschieden, die vorsieht, dass die Definitionen von „Terrorismus” und „terroristischen Handlungen” im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards, dem Flüchtlingsrecht und dem humanitären Völkerrecht stehen, so Human Rights Watch. Diese Definitionen sollen beispielsweise jene Handlungen ausschließen, die nicht darauf abzielen, Menschen zu töten, ernsthaft körperlich zu verletzen oder als Geiseln zu nehmen.

„Die Resolution des Sicherheitsrats zu ‚ausländischen Terrorkämpfern’ lässt Regierungen freie Hand dabei, was oder wer für sie als terroristisch gilt”, so Tayler. „Anstatt die Welt sicherer zu machen, besteht durch die damit verbundenen repressiven Maßnahmen die Gefahr, dass genau die Menschen, die mit extremistischen Gruppen sympathisieren, verärgert und somit zusätzlich ermutigt werden, sich diesen Gruppen anzuschließen.“

Folgende Länder haben seit 2013 Maßnahmen gegen ausländische Terrorkämpfer verabschiedet:
Ägypten, Australien, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien Irland, Italien, Jordanien, Kamerun, Kanada, Kasachstan, Kenia, Libyen, Malaysia, Marokko, Mazedonien, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, Russland, Saudi Arabien, die Schweiz, Spanien, Tadschikistan, Tschad, Tunesien, Usbekistan und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Folgende Ländern haben neue oder zusätzliche Maßnahmen gegen ausländische Terrorkämpfer vorgeschlagen: Albanien, Australien, Bulgarien, China, Großbritannien, Kanada, Kuwait, Lettland, Montenegro, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Serbien.
 

Kategorien: Menschenrechte

Deutschland verschließt die Augen vor den Gräueln

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51

Vor zehn Jahren erschossen Sicherheitskräfte in der Stadt Andischan, im Osten Usbekistans, Hunderte Demonstranten. Das Massaker am 13. Mai 2005 war einer der schlimmsten Massenmorde auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion seit dem Ende des Kommunismus. Es sandte eine Schockwelle um die Welt und warf ein Schlaglicht auf die grausamen Menschenrechtsverletzungen unter Usbekistans autoritärem Präsidenten Islam Karimow, der bis heute im Amt ist.

Da Taschkent sich weigerte, eine unabhängige Untersuchung des Massakers zuzulassen, verhängte die Europäische Union, und damit auch Deutschland, zunächst begrenzte Sanktionen gegen Usbekistan. Doch schon wenige Monate später unternahm Berlin den Vorstoß, die Sanktionen wieder aufzuheben. Die Bundesregierung behauptete, das beste Mittel zur Verbesserung der Menschenrechtslage sei es, mit solchen Regierungen in einen Dialog zu treten; offene Kritik würde zu keinem Erfolg führen.

Die meisten Beobachter sahen Deutschlands Haltung jedoch vielmehr in der kontroversen Entscheidung begründet, dass die Bundesregierung den usbekischen Luftwaffenstützpunkt Termes nutzte, um die deutschen Truppen in Afghanistan zu versorgen – eine Vereinbarung, die bis heute gilt.

Die Bundesregierung beteuert, die Förderung der Menschenrechte sei ein zentraler Bestandteil ihrer Außenpolitik. Doch im Hinblick auf Usbekistan und andere autoritär geführte Staaten steht sie vor einer grundsätzlicheren Frage: Wie fördert man die Menschenrechte und wahrt gleichzeitig wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen? Welche Gefahren drohen, wenn man diese Frage falsch beantwortet, illustriert das vergangene Jahrzehnt deutscher Außenpolitik gegenüber Usbekistan. Doch es zeigt auch auf, wo sich etwas ändern muss.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2005 brachen Bewaffnete in das städtische Gefängnis von Andischan ein und ließen 23 Kaufleute frei, die wegen "religiösem Extremismus" angeklagt waren. Am nächsten Morgen strömten deren Unterstützer und Tausende Unzufriedene auf den Bobur-Platz, um ihrem Unmut über die zermürbende Armut und die staatliche Unterdrückung in UsbekistanLuft zu verschaffen.

Die usbekischen Sicherheitskräfte schossen wahllos in die Menge. Später riegelten Soldaten den Platz ab und eröffneten das Feuer. Sie verletzten und töteten unzählige Zivilisten, die größtenteils unbewaffnet waren. Anschließend durchkämmten Sicherheitskräfte das Gebiet und erschossen am Boden liegende Verletzte.

Ungeachtet dieser Brutalität und des harten Vergehens gegen Menschenrechtler und Augenzeugen des Massakers argumentierte die deutsche Diplomatie mit Frank-Walter Steinmeier als damaligem Außenminister an der Spitze, dass die EU-Sanktionen, einschließlich des Waffenembargos und der Visasperre gegen Schlüsselfunktionäre, nichts weiter bewirkten, als Taschkent vor den Kopf zu stoßen.

Von 2005 bis 2009, dem Jahr, in dem die Sanktionen wieder aufgehoben wurden,zahlte Deutschland für die Nutzung von Termes 67,9 Millionen Euro an Taschkent und setzte damit ein ganz und gar falsches Zeichen, wie eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik aussehen sollte. So erstaunt es auch kaum, dass Berlin versuchte, diese Zahlen zurückzuziehen, nachdem sie im Jahr 2011 an die Öffentlichkeit gelangt waren.

Die Bundesregierung hat immer wieder beteuert, die Förderung der Menschenrechte in Usbekistan sei ein vorrangiges Ziel ihrer Außenpolitik. Sie rief Menschenrechtsdialoge ins Leben, initiierte Schulungsprogramme und behauptete, man dränge die usbekische Regierung beharrlich dazu, ihre Menschenrechtsverletzungen abzustellen. Anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder lehnte Angela Merkel es ab, sich mit Präsident Karimow zu treffen.

Es ist eine bittere Ironie, dass der einzige Punkt, in dem deutsche Diplomaten und Menschenrechtsorganisationen sich weitgehend einig sind, die Feststellung ist, dass sich die Menschenrechtslage in Usbekistan im zurückliegenden Jahrzehnt nicht verbessert oder sogar verschlechtert hat. Im Außenministerium argumentiert man, es sei schwierig, derart isolierte und autoritäre Regierungen zu beeinflussen. Wenn es der Bundesregierung jedoch wirklich um die Menschenrechte geht, muss sie sich der Frage stellen, warum ihre Politik in dieser Frage gescheitert ist.

Für Human Rights Watch ist es nicht mehr möglich, in Usbekistan zu arbeiten. Dennoch erhielt ich im November ein Einreisevisum – offenbar ein Versuch, Fortschritte bei den Menschenrechten vorzuspiegeln. Was ich bei meinen Gesprächen mit den wenigen Menschenrechtlern erfuhr, die trotz ständiger Schikanen noch arbeiten können, war niederschmetternd: Die unabhängigen Medien und die politische Opposition sind vollständig zum Schweigen gebracht worden, in den Baumwollfeldern des Landes herrscht Zwangsarbeit, und Kritiker werden verhaftet und gefoltert.

Ich erinnere mich noch lebhaft an mein Treffen mit Osoda Jakubowa, deren Ehemann Asam Farmonow, ein inhaftierter Menschenrechtler, im Gefängnis mit einer geschlossenen Gasmaske gefoltert worden war, die Ersticken simulieren sollte. Osoda hatte gehofft, man werde ihren Mann in diesem Frühjahr nach neun Jahren Haft endlich entlassen. Doch nun deutet alles darauf hin, dass seine Haftdauer wegen fingierter "Verstöße gegen Gefängnisregeln" verlängert wird.

Internationaler Druck kann Wirkung zeigen

Die Kritiker des dialogorientierten Ansatzes in der deutschen Außenpolitik gelangen üblicherweise zu dem Schluss, dass Berlin die Menschenrechte für weniger wichtig erachtet als die Kooperation mit Taschkent, wenn es um die Nutzung von Termes und andere sicherheitspolitische Fragen geht. Deutschlands Unwille, der Führung in Taschkent mit handfesten Konsequenzen zu drohen, falls sie ihre Menschenrechtsbilanz nicht verbessert, erlaubt es Usbekistan, sich gegenüber mahnenden Worten aus Berlin gleichgültig zu zeigen.

Konzertierter internationaler Druck auf Usbekistan kann jedoch Wirkung zeigen. Dass Taschkent im Jahr 2013 entschied, weniger Kinder zur alljährlichen Baumwollernte auf die Felder zu schicken, war ein Ergebnis des Drucks, der von Nichtregierungsorganisationen ausging. Einige Regierungen stützten dieses Vorgehen mit Handelseinschränkungen und drohten mit anderen Sanktionen.

Deutschland könnte nicht nur einen konsequenteren Kurs in seinen bilateralen Beziehungen einschlagen, sondern auch gemeinsam mit anderen EU-Staaten darauf hinwirken, dass der UN-Menschenrechtsrat einen Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Usbekistan ernennt. Dies würde dazu führen, dass Usbekistan zu seiner katastrophalen Menschenrechtsbilanz öffentlich Stellung nehmen müsste, was die Regierung um jeden Preis verhindern will.

Die Bundeswehr hat ihr Engagement in Afghanistan bereits deutlich reduziert. Die Bundesregierung muss jetzt endlich entscheiden, ob der Schutz der Menschenrechte tatsächlich ein Kernelement ihrer Beziehung zu Taschkent ist. Wenn dem so ist, muss Berlin handeln. Heute, zehn Jahre nach Andischan, ist es höchste Zeit dafür.

Kategorien: Menschenrechte

Deutschland kann aus Bunkern wieder Klassenzimmer machen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51

„Das ist der Matheraum, aber jetzt ist es kein Unterrichtsraum mehr, jetzt ist es ein Militärbunker", ruft das junge Mädchen aus Südasien, als sie in ein Klassenzimmer blickt. In ihrer Stimme liegt ein Anflug von Verzweiflung, gepaart mit einem Hauch von Abscheu. Schließlich klingt sie enttäuscht, als sie sagt: „Ich war immer sehr stolz auf meine Armee, die Armee, die uns beschützt. Aber wenn ich sehe, was sie mit meiner Schule gemacht haben, dann schäme ich mich für meine Armee."

Eben jenes Mädchen wird jetzt in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Der Augenblick in dem Klassenzimmer ist in der Dokumentation über Malala Yousafzais Leben zu sehen, die 2009 entstand, noch bevor die Taliban ihr nach dem Leben trachteten. In der Szene erfährt Malala, dass die pakistanische Armee eine der Schulen ihres Vaters übernommen hatte, um diese für militärische Zwecke zu nutzen, während sich ihre Familie wegen Kämpfen in ihrer Heimat im Exil aufgehalten hatte.

Bei meinen weltweiten Recherchen für Human Rights Watch habe ich häufig erlebt, dass Schulen von Kriegsparteien zu Militärstützpunkten gemacht werden. Sportplätze werden von Stacheldraht umzäunt, und es werden Feldbetten für die Soldaten in den Klassenzimmern aufgestellt.
Beobachtungsposten auf den Dächern der Schulgebäude dienen der Überwachung, und es werden Scharfschützen an den Fenstern der Klassenzimmer positioniert. In den Fluren werden Gewehre gestapelt, Granaten unter den Schreibpulten versteckt und gepanzerte Fahrzeuge in den Turnhallen abgestellt.

Das bringt Schüler und Lehrer in Gefahr, da ihre Schulen so zu Zielen gegnerischer Angriffe werden. Schüler und Lehrer wurden bereits bei derartigen Angriffen verletzt oder getötet. Auch werden Schüler dem Risiko ausgesetzt, Opfer von sexueller Gewalt, Zwangsarbeit oder Zwangsrekrutierung durch die Soldaten zu werden.

Die Schüler müssen entweder zu Hause bleiben und ihre Ausbildung unterbrechen oder inmitten von bewaffneten Kämpfern lernen, wobei sie jederzeit in die Schusslinie geraten können.

Während der letzten zehn Jahre haben bewaffnete Truppen, darunter sogar Friedenstruppen, Schulen in mindestens 25 Ländern, in denen es zu bewaffneten Konflikten kam, militärisch genutzt. Zu diesen Staaten gehören Länder in Afrika, in Nord-, Mittel und Südamerika, in Asien, Europa und im Nahen Osten. Es handelt sich also um ein globales Phänomen, für das eine globale Lösung gefunden werden muss.

Zwar gibt es internationale Gesetze, die Parteien in bewaffneten Konflikten dazu anhalten, die Zivilbevölkerung so weit wie möglich vor den Kriegsgefahren zu schützen. Es mangelt jedoch an eindeutigen Standards und Normen, damit Schulen nicht für militärische Zwecke missbraucht werden. Dies führt dazu, dass die jeweiligen Kampftruppen häufig Bildungseinrichtungen für verschiedene Zwecke benutzen.

All das soll sich bald ändern.

Bei einer Konferenz der Vereinten Nationen nächste Woche in Genf werden die Botschafter Norwegens und Argentiniens einen Vorschlag vorstellen, wie Schulen besser vor militärischer Nutzung in bewaffneten Konflikten geschützt werden können. Dieser Vorschlag sieht vor, dass sowohl Regierungstruppen als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen sechs klare Richtlinien in ihre Militärpraxis und in die entsprechende Ausbildung aufnehmen.

Diese Richtlinien wurden gemeinsam mit Experten aus allen Teilen der Welt erarbeitet, darunter mit Vertretern von Kampftruppen, Verteidigungsministerien bis hin zu Menschenrechtsorganisationen und UN-Einrichtungen.

Diese Richtlinien zum Schutz von Schulen vor militärischer Nutzung vereinen bereits bestehende Verpflichtungen, die sich aus dem Kriegsrecht und internationalen Menschenrechtsbestimmungen ableiten, und verbinden diese mit bereits von manchen Kampftruppen praktizierten, positiven Beispielen.

Somit erhalten die Richtlinien weder einen naiven noch einen idealistischen Charakter, sondern sind praktisch orientiert und realistisch. Sie berücksichtigen die Tatsache, dass die jeweiligen Parteien in einem bewaffneten Konflikt zwangsläufig mit schwierigen Situationen konfrontiert werden, die pragmatischer Lösungen bedürfen.

Deutschland nahm beim Schutz von Kindern und Schulen in Kriegszeiten immer eine führende Rolle ein. Und es war unter dem Vorsitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, dass die negativen Folgen militärischer Nutzung von Schulen auf die Sicherheit von Kindern vom weltweit höchsten Organ für Frieden und Sicherheit aufgegriffen worden sind.

Bedauerlicherweise hat Deutschland keine konkreten Schritte unternommen, um einen derartigen Schutz für seine eigenen Schulen zu gewährleisten. Gleichzeitig aber forderte Deutschland im Sicherheitsrat lautstark die Etablierung eines solchen Schutzes in anderen Ländern. Bis heute haben 29 Länder weltweit öffentlich ihre Unterstützung für die Entwicklung dieser Richtlinien bekundet. Deutschland gehört jedoch nicht zu diesen Ländern. Dies sollte unverzüglich nachgeholt werden.

Der Einsatz für den Schutz von Schülern und Schulen ist ein Anliegen, bei dem Deutschland sich innerhalb Europas nicht isolieren sollte. Deutschland soll die Konferenz in Genf dazu nutzen, seine Bereitschaft zu verkünden, die Richtlinien im Rahmen einer von Norwegen organisierten internationalen Konferenz 2015 offiziell anzuerkennen.

Ferner soll Deutschland in den Monaten bis dahin die nötigen und angemessenen Mechanismen vorbereiten, um die Richtlinien in die deutsche Militärpolitik aufzunehmen. Auch wenn Deutschland erklären würde, mit Norwegen gemeinsam daran zu arbeiten, die NATO-Politik mit den Richtlinien in Einklang zu bringen, wäre dies ein begrüßenswerter Schritt.

Dass Malala Yousafzai die militärische Nutzung der Schule ihres Vaters verurteilt hat, ist ein klares Signal an alle Armeen: Sogar Kinder erkennen, dass diese verbreiteten und heimtückischen Praktiken falsch sind. Deutschland kann dazu beitragen, das Recht von Kindern überall auf der Welt auf Bildung zu gewährleisten, indem es den in den Richtlinien vorgesehenen Schutz umsetzt und andere Länder dazu anhält, dies ebenfalls zu tun.
Ein sicherer Zugang zu Bildung, auch in Kriegszeiten, ist wesentlich für die Sicherheit der Kinder, für ein Gefühl von Normalität und für ihre Entwicklung. Zudem wird durch den Zugang zu Bildung sichergestellt, dass Länder über die nötigen Mittel verfügen, um nach dem Krieg einen nachhaltigen Frieden etablieren zu können.

Kategorien: Menschenrechte

Weltweites Abkommen zum Schutz vor Zwangsarbeit verabschiedet

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51

(New York) – Die Verabschiedung eines bahnbrechenden neuen Vertrags durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO am 11. Juni 2014 ist ein wichtiger Beitrag, um Zwangsarbeit zu verhindern und die schätzungsweise 21 Millionen Opfer weltweit zu schützen und zu entschädigen, so Human Rights Watch. Die Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in der ILO stimmten mit überwältigender Mehrheit für die Verabschiedung des Protokolls von 2014 zur Konvention gegen Zwangsarbeit von 1930. Dieses bringt den weithin ratifizierten, jedoch veralteten Vertrag von 1930 auf den neuesten Stand, um den heutigen Missständen besser gerecht zu werden, etwa den Verstößen gegen Migranten im privaten Sektor.

Zu den Opfern von Zwangsarbeit gehören Menschen, die von Menschenhändlern verkauft wurden oder unter sklavenähnlichen Bedingungen Arbeiten, etwa in der Landwirtschaft, als Hausangestellte, in der Güterproduktion oder in der Sexindustrie. Viele Opfer haben sehr lange Arbeitszeiten, arbeiten unter gefährlichen Bedingungen, erhalten wenig bis keinen Lohn, begegnen psychischem, körperlichem und sexuellem Missbrauch und können aufgrund von Gefangenschaft, Schulden, Rachedrohungen oder anderen Umständen ihre Arbeitsstelle nicht verlassen.

„Dass noch immer Millionen Menschen in ausbeuterischen und unmenschlichen Bedingungen gefangen sind, ist ein Schandfleck für unsere moderne Gesellschaft“, so Nisha Varia, leitende Frauenrechtsexpertin von Human Rights Watch. „Die Regierungen sollen diesen Vertrag rasch ratifizieren und umsetzen, um den Missbrauch zu beenden, auch die am schwersten erreichbaren Opfer aufzuspüren und sie zu schützen und ihre Peiniger zu bestrafen.“

Die ILO schätzt, dass 55 Prozent der Opfer Frauen sind. 26 Prozent aller Opfer sind minderjährig. Die Verbrechen gegen sie geschehen häufig im Verborgenen. Die ILO schätzt, dass die Nutznießer der Zwangsarbeit dadurch rund 150 Milliarden US-Dollar Gewinne machen. Gleichzeitig entgehen den betroffenen Staaten Steuereinnahmen und Sozialbeiträge in Milliardenhöhe.

Die durch das neue Protokoll gegen Zwangsarbeit vorgesehenen Präventionsmaßnahmen beinhalten die Schaffung nationaler Aktionspläne, die Ausweitung des Arbeitsrechts auf Branchen mit hohem Risiko der Zwangsarbeit, die Verbesserung der Arbeitsschutzkontrollen und den Schutz von Arbeitsmigranten vor ausbeuterischen Anwerbepraktiken. Der Vertrag verpflichtet Regierungen zudem, eine Sorgfaltspflicht (due dilligence) in der Privatwirtschaft zu fördern, die Unternehmen verpflichtet, Zwangsarbeit in ihrer Geschäftstätigkeit zu verhindern bzw. darauf zu reagieren. Die ILO schätzt, dass 90 Prozent der Zwangsarbeit im Privatsektor stattfindet.

Der Vertrag verpflichtet Regierungen, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Opfer von Zwangsarbeit zu identifizieren, zu befreien, ihnen Hilfe anzubieten und sie vor Racheakten zu schützen.

Artikel 4 des Vertrags verpflichtet Regierungen, dafür zu sorgen, dass alle Opfer, ungeachtet ihres rechtlichen Status und ihres Aufenthaltsortes, in dem Land, in dem sie Opfer von Zwangsarbeit wurden, Zugang zu Justiz und Rechtsmitteln haben, einschließlich der Möglichkeit, eine Entschädigung einzuklagen. Derzeit stehen Migranten, die keinen legalen Status haben oder bereits in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind, aufgrund restriktiver Einwanderungsbestimmungen vor erheblichen Hindernissen, wenn sie Anzeige erstatten, Gerichtsverfahren vorantreiben oder nichtbezahlte Löhne entgegennehmen wollen.

Artikel 4 verpflichtet Regierungen zudem zu einem Ermessensspielraum, der es zulässt, Opfer von Zwangsarbeit nicht wegen unrechtmäßiger Aktivitäten strafrechtlich zu verfolgen, etwa wegen Verstößen gegen Einwanderungsgesetze, sexueller Dienstleistungen, Drogendelikten oder Gewalttaten, zu denen sie als direktr Folge ihrer Zwangsarbeit gezwungen wurden.

„Es ist traurig, dass Opfer von Zwangsarbeit häufig wie Kriminelle behandelt werden und nicht wie Menschen, die ein Recht auf Unterstützung haben”, so Varia. „Es ist ein wichtiger Schritt nach vorne, dass die Bemühungen zur Erkennung von Opfern von Zwangsarbeit bei einwanderungs- und strafrechtlichen Verfahren verbessert werden, damit sie angemessene Unterstützung erhalten und nicht erneut zu Opfern werden.“

Die ILO-Konvention Nr. 29 gegen Zwangsarbeit wurde im Jahr 1930 verabschiedet und von 177 Staaten ratifiziert. Ihre Definition von Zwangsarbeit und die Verpflichtung, Zwangsarbeit strafrechtlich zu verfolgen, wurden in nationale und internationale Standards aufgenommen. Andere Bestimmungen beziehen sich auf Zwangsarbeit in Überseekolonien und sind nicht mehr zeitgemäß. Das neue Protokoll passt die Konvention Nr. 29 an die modernen Gegebenheiten an und streicht die nicht mehr relevanten Bestimmungen aus dem Vertrag.

Damit das Protokoll für ein Land rechtsverbindlich wird, muss es durch die Regierung ratifiziert werden. Die ILO-Mitglieder haben zudem Empfehlungen ausgehandelt, die den Regierungen nicht-bindende Richtlinien zur Verfügung stellen. Dazu gehören die Erhebung verlässlicher Daten, Maßnahmen gegen Kinderarbeit, grundlegende soziale Garantien, die Beseitigung von Rekrutierungsprämien, welche die Arbeitnehmer bezahlen müssen, sowie eine international Kooperation gegen den Einsatz von Zwangsarbeit durch Diplomaten.

Zusätzlich empfiehlt das Papier eine Bedenk- und Erholungszeit, in der Migranten, die Opfer von Zwangsarbeit geworden sind, in dem betreffenden Land bleiben dürfen, bevor über Schutzmaßnahmen oder rechtliche Schritte entschieden wird. Die Empfehlungen stellen klar, dass auch juristische Personen wegen Zwangsarbeit zur Rechenschaft gezogen werden können und etwa durch die Beschlagnahmung von Profiten aus Zwangsarbeit oder anderem Vermögen bestraft werden sollten.

Mitarbeiter von Human Rights Watch, die an den Verhandlungen teilgenommen haben, wiesen darauf hin, dass dabei Gelegenheiten versäumt wurden, um wichtige Schutzmechanismen zu stärken. So werden Regierungen lediglich angehalten, Unternehmen zu „unterstützen“ statt sie zu verbindlich zu „verpflichten“, notwendige Maßnahmen gegen Zwangsarbeit zu ergreifen und darin auch ihre Lieferkette einzuschließen. Vorgeschlagene Empfehlungen, die die Schaffung von Entschädigungsfonds für Opfer sowie Hilfsangebote für Opfer vorgesehen hatten, erhielten nicht die notwendige Unterstützung, um in den finalen Text aufgenommen zu werden. Das Protokoll und die Empfehlungen erwähnen die Entschädigung der Opfer zwar wiederholt, jedoch als möglichen Schritt und nicht als verpflichtende Maßnahme.

„Im Großen und Ganzen ist das Ergebnis dieser Verhandlungen ein starker Vertrag, den alle Regierungen unterstüzten sollten“, so Varia. „Zwangsarbeit geht mit einigen der schwersten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit einher. Regierungen sollten mit höchster Dringlichkeit dafür eintreten, sie zu beseitigen und ihre Opfer zu unterstützen.“
Von den 472 durch Regierungs-, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter abgegebenen Stimmen, befürworteten 437 die Konvention bei 8 Gegenstimmen und 27 Enthaltungen.

Über die vergangenen zehn Jahre hat Human Rights Watch 49 Bericht zum Thema Zwangsarbeit veröffentlicht. Sie dokumentieren Menschenrechtsverletzungen wie erzwungenes Betteln durch Kinder, die Ausbeutung von Hausangestellten, Zwangsarbeit im Bau-, Landwirtschafts- und Bergbausektor, Zwangsarbeit in Drogenhaftzentren sowie die zeitlich unbefristete Pflicht zum Wehrdienst.

Kategorien: Menschenrechte

UN-Mitgliedstaaten sollen sich gegen Besuch al-Bashirs aussprechen

Human Rights Watch: Vereinte Nationen - Di, 26.05.2020 - 20:51

(New York) – Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und andere UN-Mitgliedstaaten sollen sich öffentlich gegen eine Teilnahme des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir an der UN-Vollversammlung aussprechen, da gegen diesen ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichts (IStGH) wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in Darfur besteht. Die Regierungen sollen klarstellen, dass sie mit al-Bashir, falls dieser nicht von seinem Besuch absieht, keinerlei Umgang pflegen und nicht an Veranstaltungen teinehmen werden, an denen al-Bashir teilnimmt.

Vertretern der amerikanischen Regierung zufolge hat al-Bashir ein Visum beantragt, um an der UN-Vollversammlung teilzunehmen, deren Generaldebatte für den Zeitraum vom 24. September bis 2. Oktober 2013 anberaumt ist. Gegen al-Bashir bestehen zwei Haftbefehle des IStGH wegen Verbrechen in Darfur, der eine wegen Völkermordes, der andere wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der IStGH hatte Ermittlungen eingeleitet, nachdem der UN-Sicherheitsrat im März 2005 in seiner Resolution Nr. 1593 die Lage in Darfur an den Gerichtshof überwiesen hatte.

„Sollte al-Bashir bei der UN-Vollversammlung erscheinen, würde er die Bemühungen des Sicherheitsrats für die Strafverfolgung der Verbrechen in Darfur in dreister Weise auf die Probe stellen“, so Elise Keppler, stellvertretende Direktorin der Abteilung Internationale Justiz von Human Rights Watch. „Das letzte, was die UN jetzt braucht, ist ein Besuch von einem IStGH-Flüchtling.“

Mit al-Bashirs Besuch würde zum ersten Mal eine Person die USA und die UN besuchen, gegen die ein Haftbefehl des IStGH vorliegt. Bislang vermieden viele Staaten – Unterzeichner und Nicht-Unterzeichner des IStGH-Statuts gleichermaßen – al-Bashirs Besuche, indem sie ihn zur Entsendung anderer Vertreter der sudanesischen Regierung aufforderten, Treffen räumlich und zeitlich verschoben oder seine Visite schlichtweg absagten. Zu diesen Staaten gehören Südafrika, Malaysia, Sambia, die Türkei, die Zentralafrikanische Republik, Kenia und Malawi.

Die USA verurteilten al-Bashirs geplanten Besuch zur UN-Vollversammlung. Am 16. September bezeichnete Samantha Power, die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, diesen als „bedauerlich, zynisch und äußerst unagemessen“.

In Reaktion auf al-Bashirs geplanten UN-Besuch appellierte Human Rights Watch an alle UN-Mitgliedstaaten, die möglichen rechtlichen Konsequenzen zu bedenken. Die Vertragsstaaten des IStGH sind durch das Römische Statut verpflichtet, bei der Verhaftung Strafverdächtiger mit dem Gerichtshof zu kooperieren. Auch die UN-Sicherheitsratsresolution 1593, welche die Lage in Darfur an den IStGH verweist, fordert alle Staaten und die betroffenen regionalen sowie andere internationalen Organisationen auf, uneingeschränkt mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. Die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1949 verlangt in Artikel 4: „Personen, die Völkermord [...] begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie Regierungsvertreter, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind.“

Die Resolution 1593 verpflichtet den Sudan zur Kooperation mit dem IStGH. Auch in einer Präsidententerklärung des Sicherheitsrats aus dem Jahr 2008 wird der Sudan aufgefordert, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten, damit das Land die Resolution 1593 einhält. Der Rat verfolgte diese Erklärung jedoch nicht angemessen weiter.

Menschenrechtler und Nichtregierungsorganisationen mobilisieren, insbesondere in Afrika, gegen jegliche Reisen al-Bashirs und für seine Auslieferung an den IStGH. Zuletzt reichte die nigerianische Koalition für den IStGH in Nigeria Klage ein, als al-Bashir das Land unerwartet besuchte, um an einer Konferenz der Afrikanischen Union teilzunehmen. Die öffentliche Verurteilung seines Besuchs trug zweifellos zu seiner abrupten Abreise bei.

„Al-Bashir gehört an genau einen Ort: Vor den IStGH, wo er sich wegen der abscheulichen Verbrechen in Darfur verantworten muss“, so Keppler. „Die zahllosen Opfer in Dafur verdienen es, ihn dort zu sehen - und nicht in den Sälen der Vereinten Nationen.“

Kategorien: Menschenrechte