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Human Rights Watch: Vereinte Nationen
Konzerne in die Verantwortung nehmen: Neue Impulse für Menschenrechtsverpflichtungen von Unternehmen
Im Neuen Jahr sollten Sie besonders auf eine wichtige Entwicklung achten: In immer mehr Ländern könnte es nationale Gesetze geben, die die Verantwortung von Unternehmen gegenüber Arbeitern, Gemeinden und der Umwelt einfordern.
Millionen Erwachsene und Kinder auf der ganzen Welt werden als Arbeiter Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Sie beschaffen die Rohstoffe, schuften auf den Bauernhöfen und stellen Produkte für den globalen Markt her. Sie sind das letzte Glied in der globalen Lieferketten für sämtliche Produkte, angefangen bei alltäglichen Gütern wie Gemüse und Meeresfrüchten bis hin zu Luxusartikeln wie Schmuck und Designerkleidung, die weltweit in den Verkaufsregalen landen.
„Ruth“, 13 Jahre alt, ist eine von ihnen. Wir trafen sie während unserer Recherchen auf den Philippinen bei der Goldverarbeitung in der Nähe einer Mine. Dort mischte sie mit bloßen Händen giftiges Quecksilber in zermahlenes Golderz. Sie erzählte uns, dass sie seit ihrem 9. Lebensjahr arbeitet. Die Schule hatte sie vorher abgebrochen. Häufig bekommt sie kein Geld von dem Mann, der ihr die Säcke mit Golderz zur Verarbeitung gibt.
Es ist ein gefährliches Leben auf der untersten Stufe dieser globalen Leiter. Im Jahr 2013 starben über 1.100 Arbeiterinnen und Arbeiter und 2.000 wurden verletzt, als das Rana Plaza Fabrikgebäude in Dhaka, Bangladesch zusammenbrach. In dem Gebäude waren fünf Textilfabriken untergebracht. Seitdem gab es einige Fortschritte bei der Sicherheit in den Fabriken in Bangladesch, nachhaltige Reformen gab es jedoch weder dort noch in anderen Ländern. Um mit den Erwartungen der Verbraucher Schritt zu halten, müssen Frauen weiterhin eine ganze Reihe von Arbeiterrechtsverletzungen in Bangladesch und anderen Ländern ertragen. Im Januar 2019 brach der Tailings-Staudamm von Brumadinho in Brasilien. Mindestens 250 Menschen – die meisten davon Arbeiter – kamen hierbei ums Leben und eine Welle von Giftschlamm wurde losgetreten. Der Damm hatte Abfälle aus einem Bergwerk gesammelt, in dem Eisenerz gefördert wird. Dieses wird weltweit im Bauwesen, im Maschinenbau, in der Automobilindustrie und in anderen Industriezweigen verwendet.
Multinationale Unternehmen, einige der reichsten und mächtigsten Akteure der Welt - 69 der 100 reichsten Akteure der Welt sind Unternehmen und keine Länder - haben sich häufig ihrer Verantwortung entzogen, wenn Arbeiter, umliegende Gemeinden oder die Umwelt durch sie zu Schaden gekommen sind. Regierungen wiederum, die in Verbindung mit mächtigen Unternehmen stehen, haben oftmals die Aktivitäten von Unternehmen nicht angemessen reguliert. Oder sie haben bestehende Schutzmaßnahmen für Arbeiter, Verbraucher und die Umwelt nicht durchgesetzt oder sogar abgeschafft.
Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind freiwillige Richtlinien für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen. Diese Richtlinien sind jedoch nicht rechtlich durchsetzbar. Von der Industrie vorangetriebene freiwillige Standards und Zertifizierungssysteme, die in den letzten Jahren zugenommen haben, können nützlich sein, reichen aber nicht aus: Viele Unternehmen werden nur dann handeln, wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Diese Standards decken zudem wichtige Menschenrechts- und Umweltfragen in den Lieferketten der Unternehmen nicht ab, und die Systeme zur Überwachung der Einhaltung der Standards können nicht alle Probleme identifizieren und beheben. Sowohl das Rana Plaza Fabrikgebäude als auch der Staudamm von Brumadinho waren nur wenige Monate vor der jeweiligen Katastrophe von Wirtschaftsprüfern im Auftrag der Unternehmen inspiziert worden.
Die Ära, in der freiwillige Initiativen die einzige Möglichkeit waren, Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte zu bewegen, weicht nun langsam der Erkenntnis, dass neue, rechtlich durchsetzbare Gesetze notwendig sind. Obwohl die Debatten je nach Land unterschiedlich geführt werden, ist die allgemeine Tendenz vielversprechend für die Arbeiter und Gemeinden, die Teil der Lieferketten multinationaler Unternehmen sind. Die Gesetzgeber erkennen zunehmend an, dass Unternehmen die Menschenrechte - einschließlich der Freiheit von unsicheren Arbeitsbedingungen, Zwangsarbeit und Lohndiebstahl - respektieren müssen, und schaffen entsprechende Gesetze, die sie dazu verpflichten.
In den letzten Jahren haben Frankreich, die Niederlande, Australien und Großbritannien Gesetze gegen Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen verabschiedet. Einige der bestehenden Gesetze sind jedoch zahnlose Tiger. Australien und Großbritannien beispielsweise verlangen von den Unternehmen lediglich, ihre Lieferketten transparent zu gestalten und alle Maßnahmen zu melden, die sie zur Bekämpfung von Problemen wie Zwangs- oder Kinderarbeit ergreifen. Die Unternehmen sind jedoch nicht dazu verpflichtet, diesen Problemen vorzubeugen oder sie zu beheben. Darüber hinaus sind keine Strafen für Unternehmen vorgesehen, die sich nicht an das Gesetz halten.
Das französische Gesetz von 2017 ist die derzeit umfassendste und strengste Regelung. Sie verpflichtet Unternehmen dazu, die negativen Auswirkungen ihrer Lieferketten sowohl auf die Menschenrechte als auch auf die Umwelt zu identifizieren und zu vermeiden. Das Gesetz gilt auch für die Unternehmen, die von der Regierung kontrolliert werden und mit denen die Regierung zusammenarbeitet. Unternehmen in Frankreich haben 2018 die ersten „Sorgfaltspläne“ nach diesem Gesetz veröffentlicht. Die Nichteinhaltung kann rechtliche Schritte nach sich ziehen. Die erste Klage nach dem Gesetz zur Sorgfaltspflicht wurde im Oktober 2019 eingereicht. Gesetze wie das in Frankreich, das Handlungsaufforderungen an Unternehmen beinhaltet ebenso wie Konsequenzen, wenn diesen Aufforderungen nicht nachgekommen wird, und die Möglichkeit für Arbeitnehmer, Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, öffnen die Tür für einen stärkeren Schutz von Arbeitern auf der ganzen Welt.
Das Jahr 2020 verspricht weitere Fortschritte für mehr Menschen. Die Parlamente in Deutschland, der Schweiz, Dänemark, Kanada, Norwegen, Finnland und Österreich erwägen Gesetze, die den Umgang von Unternehmen mit den Menschenrechten bei ihren weltweiten Aktivitäten verändern würden. Sie gehen über reine Transparenz und Berichterstattung hinaus und verlangen, dass Menschenrechtsrisiken in den Lieferketten von Unternehmen identifiziert und Maßnahmen zu ihrer Vermeidung ergriffen werden.
In einer damit verbundenen Entwicklung prüft die Internationale Arbeitsorganisation, ob ein neues, verbindliches globales Übereinkommen über „menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten“ erforderlich ist. Um diese Frage zu klären, wird die Organisation im Jahr 2020 ein Treffen mit Regierungs-, Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern abhalten.
Durch eine strengere Regulierung von Lieferketten werden die Staaten eine neue internationale Erwartungshaltung für ein verantwortungsbewusstes Verhalten der Unternehmen schaffen. Zudem werden dadurch die Menschenrechte von Millionen von Arbeitern, wie für Ruth, besser geschützt, die in den Minen, Fabriken und auf den Feldern ums Überleben kämpfen.
UN-Chef soll Angriffe auf syrische Krankenhäuser untersuchen
Aktualisierung: Am 1. August gaben die Vereinten Nationen bekannt, dass UN-Generalsekretär Antonio Guterres eine Untersuchung zu den Angriffen gegen Krankenhäuser in Syrien einleiten wird. Human Rights Watch fordert, dass dabei die Verantwortung für Kriegsverbrechen deutlich gemacht wird, dass der Bericht öffentlich ist und die Täter genannt und geächtet werden.
Zwei Drittel der Mitglieder im UN-Sicherheitsrats haben Generalsekretär Antonio Guterres aufgefordert, Angriffe auf medizinische Einrichtungen und andere geschützte Standorte in Syrien untersuchen zu lassen. Er sollte schnell handeln und an Russland, Syrien und andere Konfliktparteien eine klare Botschaft senden: Angriffe auf Krankenhäuser sind Kriegsverbrechen und die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen.
Humanitäre Hilfsorganisationen behaupten dies seit längerem: Russland und Syrien würden Krankenhäuser mittels Koordinaten angreift, die eigentlich für einen UN-Mechanismus vorgesehen sind, der Angriffe verhindern und zur Sicherheit beitragen soll.
Seit Jahren haben die Vereinten Nationen humanitäre Gruppen in Syrien darin bestärkt, Koordinaten geschützter Standorte zu teilen. Diese wurden anschließend an Russland, die Türkei und die US-geführten Koalitionstruppen weitergeleitet. Doch Krankenhäuser wurden gerade dann häufig bombardiert, nachdem Koordinaten geteilt worden waren. Physicians for Human Rights teilte dem Sicherheitsrat diese Woche mit, dass zwischen März 2011 und Juli 2019, 578 Angriffe auf mindestens 350 unterschiedliche Einrichtungen stattfanden, bei denen mindestens 890 medizinische Mitarbeiter getötet wurden.
Viele Gruppen, wie Ärzte ohne Grenzen, teilen ihre Koordinaten der UN nicht mehr mit. Dutzende Krankenhäuser im Nordwesten Syriens wurden bereits angegriffen. UN-Nothilfekoordinator, Mark Lowcook, berichtete den Mitgliedern des Sicherheitsrats, dass er diese Woche von Russland Informationen dazu eingefordert hat, wie das Land mit den von den UN erhaltenen Koordinaten umgeht. Eine Antwort steht noch aus.
Die syrische Regierung behauptet, dass 119 Krankenhäuser in Idlib legitime Angriffsziele seien, da diese von feindlichen Kämpfern benutzt würden. Doch Lowcook äußert Skepsis und weist darauf hin, dass es sich bei einer der Einrichtungen auf der syrischen Liste tatsächlich um ein funktionierendes, von der UN unterstütztes Krankenhaus handelte.
Eine UN-Untersuchung sollte feststellen, ob der Mechanismus zur Konfliktentschärfung ausgenutzt wurde, wer für Angriffe auf geschützte Standorte verantwortlich ist und wie ein Missbrauch in Zukunft am besten verhindert werden kann. Die Untersuchungsergebnisse sollten nicht nur öffentlich sein, sondern auch mit internationalen Gremien geteilt werden, die Fallakten zu schweren Verbrechen in Syrien aufbauen.
Trotz zahlreicher Präzedenzfälle ist Guterres in der Regel zögerlich, selbst Untersuchungen einzusetzen. Er hat bereits Ermittlungen zum Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi, dem Einsatz chemischer Waffen in Syrien und dem Mord an zwei UN-Experten in der Demokratischen Republik Kongo abgelehnt.
Jetzt hat Guterres jedoch die Gelegenheit, seine Autorität wiederherzustellen. Er kann zeigen, dass die UN den Kriegsverbrechen in Syrien nicht mehr länger zusieht.
Burma: Hilfe muss bei Rohingya ankommen
Aufklappen Rohingya refugees go about their day outside their temporary shelters along a road in Kutupalong, Bangladesh, September 9, 2017. © 2017 Danish Siddiqui/Reuters
(New York, 11. September 2017) – Die Vereinten Nationen (UN), andere multilaterale Organisationen und einzelne Staaten sollen die burmesische Regierung dazu drängen, unverzüglich Hilfe für die stark gefährdete, muslimische Bevölkerungsgruppe der Rohingya in Rakhine-Staat zuzulassen, so Human Rights Watch heute. Sie sollen auch gewährleisten, dass angemessene Hilfe für die mehr als 270.000 Rohingya und andere Personen zur Verfügung gestellt wird, die in den vergangenen Monaten nach Bangladesch geflohen sind.
Das burmesische Militär führt eine menschenrechtswidrige Operation gegen die Rohingya durch, seit die militante Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) am 25. August 2017 Anschläge auf etwa 30 Polizeiposten und einen Armeestützpunkt verübte. Nicht nur in Bangladesch halten sich geflüchtete Rohingya auf, sondern es wurden auch Zehntausende innerhalb von Burma vertrieben. Etwa 12.000 weitere Personen, mehrheitlich Rakhine und andere nicht-muslimische Menschen, mussten ebenfalls aus ihren Wohnorten fliehen.
„Die humanitäre Katastrophe, die die burmesischen Sicherheitskräfte in Rakhine-Staat ausgelöst haben, verschlimmert sich um ein Vielfaches, weil die Behörden Hilfsorganisationen nicht in die Region lassen“, so Philippe Bolopion, stellvertretender Leiter der Advocavy-Abteilung von Human Rights Watch. „Die UN, ASEAN und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit müssen den Druck auf Burma massiv erhöhen und Bangladesch stärker unterstützen, damit den Rohingya und den anderen vertriebenen Menschen schnell geholfen werden kann.“
Nach Bangladesch geflüchtete Rohingya berichteten, dass burmesische Sicherheitskräfte bewaffnete Angriffe auf Dörfer verübt, den Bewohnern Schuss- und Splitterverletzungen zugefügt und ihre Häuser niedergebrannt haben. Die Tötungen, der Beschuss und die Brandanschläge deuten stark auf eine Operation zur „ethnischen Säuberung“ hin.
Maßnahmen der internationalen Hilfe wurden fast überall in Rakhine-Staat ausgesetzt. Schätzungsweise 250.000 Menschen haben keine Nahrung, medizinische Versorgung und andere grundlegende humanitäre Unterstützung. Flüchtlinge berichteten, dass zwar viele Menschen aus der Gemeinde Maungdaw nach Bangladesch entkommen konnten, dass sich aber viele vertriebene Rohingya noch immer im Umland der Gemeinden Rathedaung und Buthidaung verstecken.
Die Rohingya in Burma
Die burmesische Regierung betrachtet die Rohingya, die überwiegend im Norden von Rakhine-Staat leben, seit Jahrzehnten als Staatsbürger von Bangladesch. Knapp über eine Millionen Rohingya leben in Burma, sie stellen einen Großteil der relativ kleinen, muslimischen Minderheit im Land. Die Rohingya werden seit langem systematisch diskriminiert, eben weil sie unter dem Staatsangehörigkeitsgesetz aus dem Jahr 1982 von der burmesischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen sind. Im Ergebnis sind die Rohingya eine der größten staatenlosen Bevölkerungsgruppen der Welt.
Weil die Rohingya keine Staatsangehörigkeit haben, belegen die burmesische Polizei und der Grenzschutz sie mit unzähligen, menschenrechtswidrigen Restriktionen. Gesetze, Richtlinien und Praktiken nehmen den Rohingya ihre Bewegungsfreiheit und das Recht, ihre Dörfer zu verlassen; schränken ihr Recht auf eine Existenzgrundlage ein; greifen in ihre Persönlichkeitsrechte ein, zu heiraten und Kinder zu haben; und verhindern, dass sie Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung und zu Bildung haben.
Schon vor dem jüngsten Gewaltausbruch wiesen die Indikatoren für Nahrungssicherheit und die Zahl unterernährter Kinder in der Gemeinde Maungdaw deutlich auf eine Krisensituation hin, so das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der UN (OCHA) in Burma. In Folge der staatlichen Restriktionen und der wiederholten Militäraktionen gegen Rohingya-Gemeinschaften, derentwegen unzählige Menschen vertrieben wurden, sind die heute betroffenen Personen schon lange abhängig von UN-Instanzen und internationalen Nichtregierungsorganisationen, die sie mit Nahrung und anderer Hilfe versorgen.
Zugleich nehmen die Feindseligkeiten gegen Hilfsorganisationen zu. Die Regierung wirft deren Mitarbeitern vor, Rohingya-Milizen zu unterstützen, da spezielle Zusatznahrung, die das Welternährungsprogramm ausgibt, im Juli 2017 in einem mutmaßlichen Milizen-Lager gefunden wurde. Berichten zufolge wurden einige Lager internationaler Hilfsorganisationen im September geplündert. Die Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission berichtet, dass burmesische und internationale Mitarbeiter der UN und internationaler Nichtregierungsorganisationen eingeschüchtert wurden.
Die Rohingya in Bangladesch
Etwa 34.000 Rohingya sind in Bangladesch offiziell als Flüchtlinge registriert, schätzungsweise 300.00 bis 500.000 halten sich dort ohne Status auf. Etwa 87.000 weitere Personen kamen zwischen Oktober 2016 und März 2017 ins Land, nach Militäroperationen in Rakhine-Staat, die auf Anschläge der ARSA im Oktober folgten. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Bangladesch gehen davon aus, dass wegen der massiven staatlichen Gewalt seit der ARSA-Anschläge im August 2017 mehr als 300.000 neue Flüchtlinge ankommen werden.
Im Angesicht der aktuellen Krise lässt der Grenzschutz von Bangladesch Rohingya informell ins Land. Einige Beamte sagten gegenüber Human Rights Watch, dass sie sich darauf konzentrierten, denjenigen zu helfen, die aus dem staatlichen Niemandsland nach Bangladesch kommen, die Flüchtlinge mit Notrationen und medizinisch versorgten und sie dabei unterstützen, Zugang zu grundlegender Wasser- und Sanitärversorgung zu erhalten. Allerdings könnten sie denjenigen, die nicht über reguläre Grenzübergänge einreisen, nicht helfen.
Den Naf-Fluss während des Monsuns zu überqueren, ist sehr gefährlich. Grenzschützer und andere Quelle gehen davon aus, dass mehr als zwei Dutzend Personen bei dem Versuch ertrunken sind, die Grenze zu überqueren. Diejenigen, die es ans andere Ufer schaffen, können sich nur in behelfsmäßigen Zelten vor dem Dauerregen schützen. Die Krankenhäuser sind stark überfüllt. Angestellte im Gesundheitswesen befürchten, dass wegen der Überbelegung und der schlechten hygienischen Bedingungen Krankheiten ausbrechen werden.
Ein 17-jähriger, geflüchteter Rohingya, der mit einer Schusswunde im Arm in einem Krankenhaus in Bangladesch liegt, sagte, er wisse nicht, was nach seiner Entlassung aus ihm werden solle. Er habe „keine Familie, keine Freunde, keine Kontakte, und kein Geld in Bangladesch“. Grenzschützer berichteten, dass sie bereits zahllosen unbegleiteten Kindern begegnet sind, die sich bei ihrer überstürzten Flucht verirrt haben.
Einige Amtsträger in Bangladesch äußerteten, dass geflüchtete Rohingya nicht willkommen seien, und wiesen auf die schweren Monsun-Überschwemmungen in vielen Teilen des Landes hin. Seit dem Jahr 2016 schlagen die Behörden immer wieder vor, Rohingya, die sich ohne Papiere in Bangladesch aufhalten, auf ein unbewohnbares Atoll im Golf von Bengalen umzusiedeln.
In der Vergangenheit hat Bangladesch internationale Hilfe abgelehnt, aus Angst davor, dass dann noch mehr Rohingya ins Land kommen würden. Allerdings kommen jeden Tag Tausende an, obwohl es keine angemessene Nahrungsversorgung und Unterbringung gibt. Das verdeutlicht, dass die Menschen fliehen, um ihre Leben zu retten. Soweit Human Rights Watch dies feststellen konnte, sieht die Regierung weitestgehend davon ab, aus Burma flüchtende Personen zurückzudrängen. Aber auch deshalb, weil es nicht ausreichend internationale Unterstützung für Bangladesch gibt, sind die Bedingungen in den Grenzregionen schrecklich.
„Die humanitäre Lage in Burma und in Bangladesch wird sich weiter verschlechtern, so lang die burmesischen Sicherheitskräfte in Rakhine-Staat im großen Umfang Gräueltaten begehen“, so Bolopion. „Der UN-Sicherheitsrat soll eine öffentliche Notsitzung einberufen und die burmesischen Behörden dazu auffordern, die Gewalt gegen die Rohingya einzustellen und internationale Hilfe ins Land zu lassen. Andernfalls muss Burma mit Sanktionen belegt werden.“
Geflüchteten weltweit echten Schutz geben
Asylsuchende hinter einem Metallgitter im Lager ‘Hangar 1’ in Röszke, Ungarn. 9. September 2015.
© 2015 Zalmaï for Human Rights Watch(New York) – Die gewaltige Migrationskrise lässt sich nur durch eine beispiellose globale Antwort bewältigen, so Human Rights Watch. Auf den beiden Gipfeltreffen, die am 19. und 20. September 2016 bei den Vereinten Nationen stattfinden, sollen die Staats- und Regierungschefs mutige Maßnahmen ergreifen, um sich gemeinsam ihrer Verantwortung für die Millionen von Menschen zustellen, die durch Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung vertrieben wurden.
Führende Politiker treffen in New York zusammen, um über eine Ausweitung der Hilfen an jene Länder zu beraten, in denen Flüchtlinge zuerst Schutz suchen. Viele dieser Länder befinden sich aktuell an ihrer Belastungsgrenze. Dies gefährdet das Fundament des Flüchtlingsschutzes, das Prinzip des Non-Refoulement, welches Zwangsrückführungen an Orte verbietet, an denen den Betroffenen Verfolgung oder andere schwerwiegende Gefahren drohen. Derzeit befinden sich vor allem Menschen aus Afghanistan, Burma, der Demokratischen Republik Kongo, Eritrea, Honduras, dem Irak, Somalia und Syrien auf der Flucht.
„Millionen Menschen leben in Not und Ungewissheit“, so Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch. „Hier geht es nicht nur um mehr Geld und größere Aufnahmekontingente, sondern auch um die Verteidigung der Rechtsprinzipien zum Flüchtlingsschutz, die mehr denn je unter Beschuss stehen.“
In diesem Jahr hat Human Rights Watch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtlinge dokumentiert: So beschossen türkische Grenzschutzbeamte Zivilisten, die offenbar Asyl suchten, und drängten sie gewaltsam zurück; Jordanien verweigerte syrischen Asylsuchenden an seiner Grenze die Einreise bzw. Unterstützung; Kenia kündigte an, es werde im November das weltweit größte Flüchtlingslager schließen und die dort lebenden Somalier – trotz der möglichen Gefahren – zur Rückkehr in ihre Heimat zwingen; Pakistan und der Iran schikanierten afghanische Flüchtlinge, entzogen ihnen die Registrierung und zwangen sie zur Rückkehr in ihr umkämpftes Land.
Die UN-Vollversammlung hat für den 19. September ein Gipfeltreffen einberufen, „mit dem Ziel, die Staaten für ein menschlicheres und besser koordiniertes Vorgehen [in der Flüchtlingsfrage] zusammenzubringen“. Die bereits als Entwurf vorliegende Schlusserklärung ist eine verpasste Chance, was die Ausweitung der Schutzkriterien angeht, und dämpft die Erwartungen im Hinblick auf neue konkrete Zusagen. Dennoch erkennt die Erklärung die Bedeutung der Flüchtlingsrechte an und fordert eine gerechtere Aufteilung der Verantwortung. Angesichts des Ausmaßes der Flüchtlingskrise und der populistischen Gegenreaktionen in vielen Teilen der Welt sollte dieses Bekenntnis zu den Flüchtlingsrechten die Grundlage für jedes gemeinsame Handeln bilden.
Am 20. September wird US-Präsident Barack Obama den sogenannten Leader’s Summit ausrichten, der die Teilnehmer dazu bewegen soll, mehr humanitäre Hilfe, größere Aufnahmekontingente sowie einen besseren Bildungs- und Arbeitsmarktzugang zu gewährleisten. Die teilnehmenden Regierungen werden aufgefordert, konkrete Zusagen zur Verwirklichung der folgenden Ziele zu geben: Die Kontingente zum Resettlement von Flüchtlingen und für andere Formen der Aufnahme sollen verdoppelt werden; die Mittel für humanitäre Hilfe sollen um 30 Prozent erhöht werden; eine Million Flüchtlingskinder soll eine Schulbildung ermöglicht werden; und eine Million erwachsene Flüchtlinge sollen eine Arbeitserlaubnis erhalten. Obwohl die Teilnehmerliste noch nicht bekanntgegeben wurde, wird erwartet, dass etwa 30 bis 35 Staaten an dem Gipfel teilnehmen werden. Kanada, Äthiopien, Deutschland, Schweden und Jordanien werden den Gipfel gemeinsam mit den USA moderieren.
Ausweitung der humanitären Hilfe an Erstaufnahmeländer
Die überwiegende Mehrheit der 21,3 Millionen Flüchtlinge weltweit befindet sich im globalen Süden, wo sie häufig weiteres Leid sowie Diskriminierung und Vernachlässigung erfahren. Human Rights Watch appelliert an Erstaufnahmeländer wie die Türkei, den Libanon, Jordanien, Thailand, Kenia, den Iran und Pakistan, die Initiativen für einen besseren Bildungs- und Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge zu unterstützen.
Die reichsten Staaten der Welt haben bei der Unterstützung jener Länder, die im Brennpunkt der Flüchtlingskrise stehen, weitgehend versagt. Bis zum 9. September waren die Hilfsaufrufe der UN nur zu 39 Prozent finanziert. Die größten Finanzierungslücken klafften in Afrika. So standen zur Unterstützung der Flüchtlinge aus dem Südsudan nur 19 Prozent der benötigten Mittel zur Verfügung. Die Regionalpläne zur Flüchtlingshilfe im Jemen bzw. in Syrien waren nur zu 22 bzw. 49 Prozent finanziert.
Vergrößerung der Kontingente zur Neuansieldung in anderen Ländern
Die Neuansiedlung von Flüchtlingen aus den Erstaufnahmeländern in anderen Ländern ist entscheidend, um diese zu entlasten und den Geflüchteten den Aufbau neuer Existenzen zu ermöglichen. Dennoch herrscht hier ein eklatanter Mangel an internationaler Solidarität. Im Jahr 2015 vermittelte die UN-Flüchtlingsagentur die Neuansiedlung von nur 81.000 der schätzungsweise 960.000 Flüchtlinge weltweit, die dauerhaft aufgenommen werden müssten. Für 2016 schätzte die Agentur den Bedarf an Plätzen zur Neuansiedlung von Flüchtlingen auf über 1,1 Millionen; es wird jedoch von den Mitgliedstaaten nur eine Zusage über 170.000 Plätze erwartet. Bei einer hochrangigen UN-Konferenz im März verpflichteten sich die 92 teilnehmenden Staaten nur auf eine geringfügige Erhöhung der Kontingente für syrische Flüchtlinge.
Als über einer Million Migranten und Asylsuchenden Europa auf dem Seeweg erreichten und mehr als 3.700 Todesfälle auf hoher See im Jahr 2015 zu beklagen waren, wurde in der Europäischen Union immer deutlicher, dass legale und sicherer Einreisewege für Flüchtlinge, etwa durch Neuansiedlung, absolut notwendig sind. Dennoch konzentrieren sich zahlreiche EU-Staaten, darunter Österreich, Bulgarien und Ungarn, vor allem darauf, spontane Einreisen zu verhindern, ihre Verantwortung auszulagern und die Rechte der Geflüchteten einzuschränken.
Ein im Juli 2015 verabschiedeter europäischer Plan zur dauerhaften Aufnahme von 22.500 Flüchtlingen aus anderen Regionen innerhalb von zwei Jahren führte, laut aktueller Statistiken aus dem Juli 2016, bislang nur zur Neuansiedlung von 8.268 Flüchtlingen. Die meisten EU-Staaten erfüllten ihre Zusagen nicht, zehn Länder nahmen keine einzige Person im Rahmen des Plans auf.
Abschaffung menschenrechtswidriger Systeme und verfehlter Abkommen
Im März schloss die EU ein Abkommen mit der Türkei, welches die Rückführung praktisch aller Asylsuchenden in die Türkei erlaubt – mit der zutiefst verfehlten Begründung, die Türkei biete ein sicheres Asyl. Dieses Abkommen steht nun kurz vor dem Kollaps. In Australien werden Asylsuchende, die auf Booten ankommen, in Aufnahmezentren auf Inseln vor der australischen Küste gebracht, wo es zu Vernachlässigung, unmenschlicher Behandlung und Missbrauch kommt.
Die EU und Australien sollen diese menschenrechtswidrigen Maßnahmen aufgeben. Die EU-Mitgliedstaaten sollen schnellstmöglich den vorliegenden Rahmenplan für das Resettlement von Flüchtlingen verabschieden, welcher ambitioniertere Ziele und eine klare Verpflichtung zu deren Umsetzung vorsieht. Sie sollen die Verantwortung gerecht aufteilen, wenn Asylsuchende unerwartet ankommen, und Italien und Griechenland entlasten.
Viele Regierungen untergraben das Asylrecht, indem sie Asylsuchende in geschlossenen Lagern unterbringen, wie es Kenia und Thailand der Fall ist, oder sie inhaftieren, wie es Australien, Griechenland, Italien, Mexiko und die USA praktizieren.
Die USA, die bei der Neuansiedlung von Flüchtlingen und der Umsetzung von UN-Hilfsaufrufen in vielerlei Hinsicht führend sind, zeigten sich bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge überaus träge und kleinlich. Zudem scheinen sie auf manchen Gebieten andere Maßstäbe anzulegen, etwa beim Umgang mit Kindern und Erwachsenen, die vor Bandengewalt in Mittelamerika fliehen, oder bei der Strategie, Mexiko als Pufferzone zu nutzen, damit Migranten nicht bis zur US-Grenze gelangen können.
Die US-Regierung unter Präsident Obama erreichte in diesem Fiskaljahr trotz des Widerstandes von mehr als der Hälfte der Gouverneure und der Nichtbewilligung von Finanzmitteln durch den Kongress ihr Ziel, 10.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Dennoch könnten die USA eine vielfach höhere Zahl an Flüchtlingen aufnehmen. Die US-Regierung soll sich verpflichten, die Ziele des Leaders’ Summit umzusetzen und ihr diesjähriges Aufnahmekontingent von 85.000 auf 170.000 zu verdoppeln.
Auch viele andere Staaten wären in der Lage, weitaus mehr Flüchtlinge aufzunehmen, etwa Brasilien, Japan und Südkorea. Doch sie taten bedauerlich wenig. Japan nahm im Jahr 2015 nur 19 Flüchtlinge auf, Südkorea nahm – abgesehen von Flüchtlingen aus Nordkorea – 42 Personen auf und Brasilien sogar nur sechs.
Russland nimmt praktisch keine Flüchtlinge auf. Die Golfstaaten reagieren nicht auf die Aufrufe der UN zur Aufnahme von Flüchtlingen, wenngleich Saudi-Arabien die Abschiebung Hunderttausender Syrer ausgesetzt hat, deren Visa abgelaufen sind. Laut einer Untersuchung von Oxfam blieben die meisten Golfstaaten mit Ausnahme Kuwaits auch bei der Finanzierung der UN-Hilfsprogramme für syrische Flüchtlinge weit hinter den Erwartungen zurück.
„Jeder Staat trägt eine moralische Verantwortung dafür, die Würde und die Rechte von Menschen, die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen wurden, zu schützen“, so Roth. „Wenn über 20 Millionen Menschen auf konkrete internationale Maßnahmen warten, reichen hochtrabende Erklärungen nicht aus.“
US-Gipfel: Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern überarbeiten
Die Länder, die an dem von den Vereinigten Staaten geleiteten Gipfel zur Terrorbekämpfung teilnehmen, sollen sicherstellen, dass alle Maßnahmen internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen, die Menschen davon abhalten sollen, sich extremistischen Gruppierungen anzuschließen. Am 29. September 2015 wird US-Präsident Barack Obama am Rande der UN-Vollversammlung zu einem Gipfel treffen empfangen, an dem mehr als 100 Staats- und Regierungschefs teilnehmen.
Mehr als 30 Länder haben Gesetze oder Maßnahmen eingeführt, um gegen sogenannte ausländische Terrorkämpfer vorzugehen. Die meisten dieser Maßnahmen wurden verabschiedet, nachdem der UN-Sicherheitsrat das Thema in seiner Resolution 2178 vom September 2014 behandelt hatte. Recherchen von Human Rights Watch ergaben, dass die zu weit gefasste Terminologie in diesen Gesetzestexten gegen bestimmte religiöse Gruppen gerichtet werden könnte. Ebenso könnte hierdurch die Meinungsfreiheit unterdrückt werden. Auch könnte das Recht auf Freizügigkeit übermäßig eingeschränkt werden und Verdächtigte könnten ohne offizielle Anklage für einen langen Zeitraum in Haft genommen werden.
„Regierungen müssen die Bevölkerung vor Gewalt durch extremistische Gruppen schützen. Doch dies ist kein Freibrief dafür, grundlegende Menschenrechte mit Füßen zu treten”, so Letta Tayler, Expertin für Terrorismus und Terrorbekämpfung von Human Rights Watch. „Die Staats- und Regierungschefs sollen sicherstellen, dass die sogenannten Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern überarbeitet werden, damit diese kein Werkzeug zur Unterdrückung werden.“
Resolution 2178 hält alle UN-Mitgliedstaaten dazu an, Straftatbestände einzuführen für jene Personen, die ins Ausland reisen oder zu reisen beabsichtigen, um sich dort einer ausländischen Terrororganisation anzuschließen oder eine solche zu unterstützen. Die Resolution sieht ebenfalls vor, dass die Mitgliedstaaten die Rekrutierung und Finanzierung von mutmaßlichen ausländischen Terrorkämpfern unter Strafe stellen. Zudem sollen sie Informationen über mutmaßliche ausländische Terrorkämpfer untereinander austauschen und Maßnahmen gegen gewalttätigen Extremismus entwickeln.
Mindestens 33 Länder haben seit 2013 Gesetze, Verordnungen oder Maßnahmen erlassen, um dem Strom von Menschen, die ins Ausland reisen, um sich extremistischen Gruppen anzuschließen, Einhalt zu gebieten. 24 Länder haben diese Maßnahmen eingeführt, nachdem der UN-Sicherheitsrat Resolution 2178 verabschiedet hatte.
Die Staats- und Regierungschefs sollen den Gipfel dazu nutzen, um die Umsetzung der Resolution 2178 zu prüfen, damit das jeweilige Vorgehen der Staaten im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards und humanitärem Völkerrecht steht, so Human Rights Watch.
Resolution 2178 verlangt, dass alle Maßnahmen im Einklang mit dem Menschenrechtsschutz stehen, zu dem sich das jeweilige Land verplichtet hat. Jedoch werden die Begriffe „Terrorismus“ oder „terroristische Handlungen“ nicht definiert, sodass Regierungen viel Spielraum haben, um Definitionen festzulegen oder beizubehalten, die zum Beispiel die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit und anderer Menschenrechte unter Strafe stellen.
So gelten etwa laut Saudi Arabiens 2014 verabschiedeten Gesetzen und Verordnungen zur Terrorbekämpfung auch jene Taten als „terroristisch”, die „dem Ansehen des Staates schaden”, ohne dass bei solchen Taten Gewalt angewendet wird. Gleiches gilt für „die Teilnahme an Konferenzen, Seminaren oder Treffen innerhalb oder außerhalb [des Königreiches], die auf die Sicherheit der Gesellschaft abzielen oder darauf, Unfrieden zu stiften.”
Demokratische Staaten haben ebenfalls Bestimmungen erlassen, die Anlass zur Sorge um die Einhaltung der Menschenrechte geben. Die 2014 und 2015 in Großbritannien erlassenen Gesetze erlauben es den Behörden, eingebürgerten Briten, die aufgrund von Verstößen gegen die Gesetze zu ausländischen Terrorkämpfern verurteilt wurden, die Staatsbürgerschaft zu entziehen, selbst wenn dies die Betroffenen staatenlos macht. Zudem darf der Staat ein maximal zweijähriges Wiedereinreiseverbot gegen jene verhängen, die lediglich im Verdacht stehen, in derartige Aktivitäten verwickelt zu sein. Diese Maßnahmen könnten Menschen willkürlich das grundlegende Recht nehmen, in ihr eigenes Land einzureisen.
Ein 2015 in Deutschland verabschiedetes Gesetz erlaubt es den Behörden, Pässe und Personalausweise jener Bürger, die als ein Sicherheitsrisiko betrachtet werden, durch Ausweispapiere zu ersetzen, auf denen vermekt ist: „Berechtigt nicht zum Verlassen Deutschlands“. Kritiker mahnen, dass diese Ersatzdokumente zu einer Stigmatisierung der Betroffenen führten.
Mehrere Länder haben die Regelungen zu einer verlängerten Haft ohne Anklage oder Prozess ausgeweitet oder wiedereingeführt. Das vage und weit gefasste Sicherheitsgesetz, das 2015 in Malaysia verabschiedet wurde, führt eine Inhaftierung von bis zu zwei Jahren ohne Prozess für all jene Aktivitäten ein, die mutmaßlich in Verbindung zu ausländischen Terrorgruppen stehen wieder ein. Die Haft kann dann unbegrenzt immer wieder für zwei Jahre verlängert werden.
Die Verfügung von 2015 in Tadschikistan, die es allen Bürgern unter 35 verbietet, zu den heiligen Stätten des Islam Mekka und Medina zu reisen, um dort an der jährlichen Pilgerfahrt Haddsch teilzunehmen, schränkt die Religionsfreiheit massiv ein, so Human Rights Watch.
Der Sicherheitsrat soll eine Resolution verabschieden, die vorsieht, dass die Definitionen von „Terrorismus” und „terroristischen Handlungen” im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards, dem Flüchtlingsrecht und dem humanitären Völkerrecht stehen, so Human Rights Watch. Diese Definitionen sollen beispielsweise jene Handlungen ausschließen, die nicht darauf abzielen, Menschen zu töten, ernsthaft körperlich zu verletzen oder als Geiseln zu nehmen.
„Die Resolution des Sicherheitsrats zu ‚ausländischen Terrorkämpfern’ lässt Regierungen freie Hand dabei, was oder wer für sie als terroristisch gilt”, so Tayler. „Anstatt die Welt sicherer zu machen, besteht durch die damit verbundenen repressiven Maßnahmen die Gefahr, dass genau die Menschen, die mit extremistischen Gruppen sympathisieren, verärgert und somit zusätzlich ermutigt werden, sich diesen Gruppen anzuschließen.“
Folgende Länder haben seit 2013 Maßnahmen gegen ausländische Terrorkämpfer verabschiedet:
Ägypten, Australien, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien Irland, Italien, Jordanien, Kamerun, Kanada, Kasachstan, Kenia, Libyen, Malaysia, Marokko, Mazedonien, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Pakistan, Russland, Saudi Arabien, die Schweiz, Spanien, Tadschikistan, Tschad, Tunesien, Usbekistan und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Folgende Ländern haben neue oder zusätzliche Maßnahmen gegen ausländische Terrorkämpfer vorgeschlagen: Albanien, Australien, Bulgarien, China, Großbritannien, Kanada, Kuwait, Lettland, Montenegro, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Serbien.
Deutschland verschließt die Augen vor den Gräueln
Vor zehn Jahren erschossen Sicherheitskräfte in der Stadt Andischan, im Osten Usbekistans, Hunderte Demonstranten. Das Massaker am 13. Mai 2005 war einer der schlimmsten Massenmorde auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion seit dem Ende des Kommunismus. Es sandte eine Schockwelle um die Welt und warf ein Schlaglicht auf die grausamen Menschenrechtsverletzungen unter Usbekistans autoritärem Präsidenten Islam Karimow, der bis heute im Amt ist.
Da Taschkent sich weigerte, eine unabhängige Untersuchung des Massakers zuzulassen, verhängte die Europäische Union, und damit auch Deutschland, zunächst begrenzte Sanktionen gegen Usbekistan. Doch schon wenige Monate später unternahm Berlin den Vorstoß, die Sanktionen wieder aufzuheben. Die Bundesregierung behauptete, das beste Mittel zur Verbesserung der Menschenrechtslage sei es, mit solchen Regierungen in einen Dialog zu treten; offene Kritik würde zu keinem Erfolg führen.
Die meisten Beobachter sahen Deutschlands Haltung jedoch vielmehr in der kontroversen Entscheidung begründet, dass die Bundesregierung den usbekischen Luftwaffenstützpunkt Termes nutzte, um die deutschen Truppen in Afghanistan zu versorgen – eine Vereinbarung, die bis heute gilt.
Die Bundesregierung beteuert, die Förderung der Menschenrechte sei ein zentraler Bestandteil ihrer Außenpolitik. Doch im Hinblick auf Usbekistan und andere autoritär geführte Staaten steht sie vor einer grundsätzlicheren Frage: Wie fördert man die Menschenrechte und wahrt gleichzeitig wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen? Welche Gefahren drohen, wenn man diese Frage falsch beantwortet, illustriert das vergangene Jahrzehnt deutscher Außenpolitik gegenüber Usbekistan. Doch es zeigt auch auf, wo sich etwas ändern muss.
In der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2005 brachen Bewaffnete in das städtische Gefängnis von Andischan ein und ließen 23 Kaufleute frei, die wegen "religiösem Extremismus" angeklagt waren. Am nächsten Morgen strömten deren Unterstützer und Tausende Unzufriedene auf den Bobur-Platz, um ihrem Unmut über die zermürbende Armut und die staatliche Unterdrückung in UsbekistanLuft zu verschaffen.
Die usbekischen Sicherheitskräfte schossen wahllos in die Menge. Später riegelten Soldaten den Platz ab und eröffneten das Feuer. Sie verletzten und töteten unzählige Zivilisten, die größtenteils unbewaffnet waren. Anschließend durchkämmten Sicherheitskräfte das Gebiet und erschossen am Boden liegende Verletzte.
Ungeachtet dieser Brutalität und des harten Vergehens gegen Menschenrechtler und Augenzeugen des Massakers argumentierte die deutsche Diplomatie mit Frank-Walter Steinmeier als damaligem Außenminister an der Spitze, dass die EU-Sanktionen, einschließlich des Waffenembargos und der Visasperre gegen Schlüsselfunktionäre, nichts weiter bewirkten, als Taschkent vor den Kopf zu stoßen.
Von 2005 bis 2009, dem Jahr, in dem die Sanktionen wieder aufgehoben wurden,zahlte Deutschland für die Nutzung von Termes 67,9 Millionen Euro an Taschkent und setzte damit ein ganz und gar falsches Zeichen, wie eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik aussehen sollte. So erstaunt es auch kaum, dass Berlin versuchte, diese Zahlen zurückzuziehen, nachdem sie im Jahr 2011 an die Öffentlichkeit gelangt waren.
Die Bundesregierung hat immer wieder beteuert, die Förderung der Menschenrechte in Usbekistan sei ein vorrangiges Ziel ihrer Außenpolitik. Sie rief Menschenrechtsdialoge ins Leben, initiierte Schulungsprogramme und behauptete, man dränge die usbekische Regierung beharrlich dazu, ihre Menschenrechtsverletzungen abzustellen. Anders als ihr Vorgänger Gerhard Schröder lehnte Angela Merkel es ab, sich mit Präsident Karimow zu treffen.
Es ist eine bittere Ironie, dass der einzige Punkt, in dem deutsche Diplomaten und Menschenrechtsorganisationen sich weitgehend einig sind, die Feststellung ist, dass sich die Menschenrechtslage in Usbekistan im zurückliegenden Jahrzehnt nicht verbessert oder sogar verschlechtert hat. Im Außenministerium argumentiert man, es sei schwierig, derart isolierte und autoritäre Regierungen zu beeinflussen. Wenn es der Bundesregierung jedoch wirklich um die Menschenrechte geht, muss sie sich der Frage stellen, warum ihre Politik in dieser Frage gescheitert ist.
Für Human Rights Watch ist es nicht mehr möglich, in Usbekistan zu arbeiten. Dennoch erhielt ich im November ein Einreisevisum – offenbar ein Versuch, Fortschritte bei den Menschenrechten vorzuspiegeln. Was ich bei meinen Gesprächen mit den wenigen Menschenrechtlern erfuhr, die trotz ständiger Schikanen noch arbeiten können, war niederschmetternd: Die unabhängigen Medien und die politische Opposition sind vollständig zum Schweigen gebracht worden, in den Baumwollfeldern des Landes herrscht Zwangsarbeit, und Kritiker werden verhaftet und gefoltert.
Ich erinnere mich noch lebhaft an mein Treffen mit Osoda Jakubowa, deren Ehemann Asam Farmonow, ein inhaftierter Menschenrechtler, im Gefängnis mit einer geschlossenen Gasmaske gefoltert worden war, die Ersticken simulieren sollte. Osoda hatte gehofft, man werde ihren Mann in diesem Frühjahr nach neun Jahren Haft endlich entlassen. Doch nun deutet alles darauf hin, dass seine Haftdauer wegen fingierter "Verstöße gegen Gefängnisregeln" verlängert wird.
Internationaler Druck kann Wirkung zeigen
Die Kritiker des dialogorientierten Ansatzes in der deutschen Außenpolitik gelangen üblicherweise zu dem Schluss, dass Berlin die Menschenrechte für weniger wichtig erachtet als die Kooperation mit Taschkent, wenn es um die Nutzung von Termes und andere sicherheitspolitische Fragen geht. Deutschlands Unwille, der Führung in Taschkent mit handfesten Konsequenzen zu drohen, falls sie ihre Menschenrechtsbilanz nicht verbessert, erlaubt es Usbekistan, sich gegenüber mahnenden Worten aus Berlin gleichgültig zu zeigen.
Konzertierter internationaler Druck auf Usbekistan kann jedoch Wirkung zeigen. Dass Taschkent im Jahr 2013 entschied, weniger Kinder zur alljährlichen Baumwollernte auf die Felder zu schicken, war ein Ergebnis des Drucks, der von Nichtregierungsorganisationen ausging. Einige Regierungen stützten dieses Vorgehen mit Handelseinschränkungen und drohten mit anderen Sanktionen.
Deutschland könnte nicht nur einen konsequenteren Kurs in seinen bilateralen Beziehungen einschlagen, sondern auch gemeinsam mit anderen EU-Staaten darauf hinwirken, dass der UN-Menschenrechtsrat einen Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Usbekistan ernennt. Dies würde dazu führen, dass Usbekistan zu seiner katastrophalen Menschenrechtsbilanz öffentlich Stellung nehmen müsste, was die Regierung um jeden Preis verhindern will.
Die Bundeswehr hat ihr Engagement in Afghanistan bereits deutlich reduziert. Die Bundesregierung muss jetzt endlich entscheiden, ob der Schutz der Menschenrechte tatsächlich ein Kernelement ihrer Beziehung zu Taschkent ist. Wenn dem so ist, muss Berlin handeln. Heute, zehn Jahre nach Andischan, ist es höchste Zeit dafür.
Deutschland kann aus Bunkern wieder Klassenzimmer machen
„Das ist der Matheraum, aber jetzt ist es kein Unterrichtsraum mehr, jetzt ist es ein Militärbunker", ruft das junge Mädchen aus Südasien, als sie in ein Klassenzimmer blickt. In ihrer Stimme liegt ein Anflug von Verzweiflung, gepaart mit einem Hauch von Abscheu. Schließlich klingt sie enttäuscht, als sie sagt: „Ich war immer sehr stolz auf meine Armee, die Armee, die uns beschützt. Aber wenn ich sehe, was sie mit meiner Schule gemacht haben, dann schäme ich mich für meine Armee."
Eben jenes Mädchen wird jetzt in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Der Augenblick in dem Klassenzimmer ist in der Dokumentation über Malala Yousafzais Leben zu sehen, die 2009 entstand, noch bevor die Taliban ihr nach dem Leben trachteten. In der Szene erfährt Malala, dass die pakistanische Armee eine der Schulen ihres Vaters übernommen hatte, um diese für militärische Zwecke zu nutzen, während sich ihre Familie wegen Kämpfen in ihrer Heimat im Exil aufgehalten hatte.
Bei meinen weltweiten Recherchen für Human Rights Watch habe ich häufig erlebt, dass Schulen von Kriegsparteien zu Militärstützpunkten gemacht werden. Sportplätze werden von Stacheldraht umzäunt, und es werden Feldbetten für die Soldaten in den Klassenzimmern aufgestellt.
Beobachtungsposten auf den Dächern der Schulgebäude dienen der Überwachung, und es werden Scharfschützen an den Fenstern der Klassenzimmer positioniert. In den Fluren werden Gewehre gestapelt, Granaten unter den Schreibpulten versteckt und gepanzerte Fahrzeuge in den Turnhallen abgestellt.
Das bringt Schüler und Lehrer in Gefahr, da ihre Schulen so zu Zielen gegnerischer Angriffe werden. Schüler und Lehrer wurden bereits bei derartigen Angriffen verletzt oder getötet. Auch werden Schüler dem Risiko ausgesetzt, Opfer von sexueller Gewalt, Zwangsarbeit oder Zwangsrekrutierung durch die Soldaten zu werden.
Die Schüler müssen entweder zu Hause bleiben und ihre Ausbildung unterbrechen oder inmitten von bewaffneten Kämpfern lernen, wobei sie jederzeit in die Schusslinie geraten können.
Während der letzten zehn Jahre haben bewaffnete Truppen, darunter sogar Friedenstruppen, Schulen in mindestens 25 Ländern, in denen es zu bewaffneten Konflikten kam, militärisch genutzt. Zu diesen Staaten gehören Länder in Afrika, in Nord-, Mittel und Südamerika, in Asien, Europa und im Nahen Osten. Es handelt sich also um ein globales Phänomen, für das eine globale Lösung gefunden werden muss.
Zwar gibt es internationale Gesetze, die Parteien in bewaffneten Konflikten dazu anhalten, die Zivilbevölkerung so weit wie möglich vor den Kriegsgefahren zu schützen. Es mangelt jedoch an eindeutigen Standards und Normen, damit Schulen nicht für militärische Zwecke missbraucht werden. Dies führt dazu, dass die jeweiligen Kampftruppen häufig Bildungseinrichtungen für verschiedene Zwecke benutzen.
All das soll sich bald ändern.
Bei einer Konferenz der Vereinten Nationen nächste Woche in Genf werden die Botschafter Norwegens und Argentiniens einen Vorschlag vorstellen, wie Schulen besser vor militärischer Nutzung in bewaffneten Konflikten geschützt werden können. Dieser Vorschlag sieht vor, dass sowohl Regierungstruppen als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen sechs klare Richtlinien in ihre Militärpraxis und in die entsprechende Ausbildung aufnehmen.
Diese Richtlinien wurden gemeinsam mit Experten aus allen Teilen der Welt erarbeitet, darunter mit Vertretern von Kampftruppen, Verteidigungsministerien bis hin zu Menschenrechtsorganisationen und UN-Einrichtungen.
Diese Richtlinien zum Schutz von Schulen vor militärischer Nutzung vereinen bereits bestehende Verpflichtungen, die sich aus dem Kriegsrecht und internationalen Menschenrechtsbestimmungen ableiten, und verbinden diese mit bereits von manchen Kampftruppen praktizierten, positiven Beispielen.
Somit erhalten die Richtlinien weder einen naiven noch einen idealistischen Charakter, sondern sind praktisch orientiert und realistisch. Sie berücksichtigen die Tatsache, dass die jeweiligen Parteien in einem bewaffneten Konflikt zwangsläufig mit schwierigen Situationen konfrontiert werden, die pragmatischer Lösungen bedürfen.
Deutschland nahm beim Schutz von Kindern und Schulen in Kriegszeiten immer eine führende Rolle ein. Und es war unter dem Vorsitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, dass die negativen Folgen militärischer Nutzung von Schulen auf die Sicherheit von Kindern vom weltweit höchsten Organ für Frieden und Sicherheit aufgegriffen worden sind.
Bedauerlicherweise hat Deutschland keine konkreten Schritte unternommen, um einen derartigen Schutz für seine eigenen Schulen zu gewährleisten. Gleichzeitig aber forderte Deutschland im Sicherheitsrat lautstark die Etablierung eines solchen Schutzes in anderen Ländern. Bis heute haben 29 Länder weltweit öffentlich ihre Unterstützung für die Entwicklung dieser Richtlinien bekundet. Deutschland gehört jedoch nicht zu diesen Ländern. Dies sollte unverzüglich nachgeholt werden.
Der Einsatz für den Schutz von Schülern und Schulen ist ein Anliegen, bei dem Deutschland sich innerhalb Europas nicht isolieren sollte. Deutschland soll die Konferenz in Genf dazu nutzen, seine Bereitschaft zu verkünden, die Richtlinien im Rahmen einer von Norwegen organisierten internationalen Konferenz 2015 offiziell anzuerkennen.
Ferner soll Deutschland in den Monaten bis dahin die nötigen und angemessenen Mechanismen vorbereiten, um die Richtlinien in die deutsche Militärpolitik aufzunehmen. Auch wenn Deutschland erklären würde, mit Norwegen gemeinsam daran zu arbeiten, die NATO-Politik mit den Richtlinien in Einklang zu bringen, wäre dies ein begrüßenswerter Schritt.
Dass Malala Yousafzai die militärische Nutzung der Schule ihres Vaters verurteilt hat, ist ein klares Signal an alle Armeen: Sogar Kinder erkennen, dass diese verbreiteten und heimtückischen Praktiken falsch sind. Deutschland kann dazu beitragen, das Recht von Kindern überall auf der Welt auf Bildung zu gewährleisten, indem es den in den Richtlinien vorgesehenen Schutz umsetzt und andere Länder dazu anhält, dies ebenfalls zu tun.
Ein sicherer Zugang zu Bildung, auch in Kriegszeiten, ist wesentlich für die Sicherheit der Kinder, für ein Gefühl von Normalität und für ihre Entwicklung. Zudem wird durch den Zugang zu Bildung sichergestellt, dass Länder über die nötigen Mittel verfügen, um nach dem Krieg einen nachhaltigen Frieden etablieren zu können.
Weltweites Abkommen zum Schutz vor Zwangsarbeit verabschiedet
(New York) – Die Verabschiedung eines bahnbrechenden neuen Vertrags durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO am 11. Juni 2014 ist ein wichtiger Beitrag, um Zwangsarbeit zu verhindern und die schätzungsweise 21 Millionen Opfer weltweit zu schützen und zu entschädigen, so Human Rights Watch. Die Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in der ILO stimmten mit überwältigender Mehrheit für die Verabschiedung des Protokolls von 2014 zur Konvention gegen Zwangsarbeit von 1930. Dieses bringt den weithin ratifizierten, jedoch veralteten Vertrag von 1930 auf den neuesten Stand, um den heutigen Missständen besser gerecht zu werden, etwa den Verstößen gegen Migranten im privaten Sektor.
Zu den Opfern von Zwangsarbeit gehören Menschen, die von Menschenhändlern verkauft wurden oder unter sklavenähnlichen Bedingungen Arbeiten, etwa in der Landwirtschaft, als Hausangestellte, in der Güterproduktion oder in der Sexindustrie. Viele Opfer haben sehr lange Arbeitszeiten, arbeiten unter gefährlichen Bedingungen, erhalten wenig bis keinen Lohn, begegnen psychischem, körperlichem und sexuellem Missbrauch und können aufgrund von Gefangenschaft, Schulden, Rachedrohungen oder anderen Umständen ihre Arbeitsstelle nicht verlassen.
„Dass noch immer Millionen Menschen in ausbeuterischen und unmenschlichen Bedingungen gefangen sind, ist ein Schandfleck für unsere moderne Gesellschaft“, so Nisha Varia, leitende Frauenrechtsexpertin von Human Rights Watch. „Die Regierungen sollen diesen Vertrag rasch ratifizieren und umsetzen, um den Missbrauch zu beenden, auch die am schwersten erreichbaren Opfer aufzuspüren und sie zu schützen und ihre Peiniger zu bestrafen.“
Die ILO schätzt, dass 55 Prozent der Opfer Frauen sind. 26 Prozent aller Opfer sind minderjährig. Die Verbrechen gegen sie geschehen häufig im Verborgenen. Die ILO schätzt, dass die Nutznießer der Zwangsarbeit dadurch rund 150 Milliarden US-Dollar Gewinne machen. Gleichzeitig entgehen den betroffenen Staaten Steuereinnahmen und Sozialbeiträge in Milliardenhöhe.
Die durch das neue Protokoll gegen Zwangsarbeit vorgesehenen Präventionsmaßnahmen beinhalten die Schaffung nationaler Aktionspläne, die Ausweitung des Arbeitsrechts auf Branchen mit hohem Risiko der Zwangsarbeit, die Verbesserung der Arbeitsschutzkontrollen und den Schutz von Arbeitsmigranten vor ausbeuterischen Anwerbepraktiken. Der Vertrag verpflichtet Regierungen zudem, eine Sorgfaltspflicht (due dilligence) in der Privatwirtschaft zu fördern, die Unternehmen verpflichtet, Zwangsarbeit in ihrer Geschäftstätigkeit zu verhindern bzw. darauf zu reagieren. Die ILO schätzt, dass 90 Prozent der Zwangsarbeit im Privatsektor stattfindet.
Der Vertrag verpflichtet Regierungen, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Opfer von Zwangsarbeit zu identifizieren, zu befreien, ihnen Hilfe anzubieten und sie vor Racheakten zu schützen.
Artikel 4 des Vertrags verpflichtet Regierungen, dafür zu sorgen, dass alle Opfer, ungeachtet ihres rechtlichen Status und ihres Aufenthaltsortes, in dem Land, in dem sie Opfer von Zwangsarbeit wurden, Zugang zu Justiz und Rechtsmitteln haben, einschließlich der Möglichkeit, eine Entschädigung einzuklagen. Derzeit stehen Migranten, die keinen legalen Status haben oder bereits in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind, aufgrund restriktiver Einwanderungsbestimmungen vor erheblichen Hindernissen, wenn sie Anzeige erstatten, Gerichtsverfahren vorantreiben oder nichtbezahlte Löhne entgegennehmen wollen.
Artikel 4 verpflichtet Regierungen zudem zu einem Ermessensspielraum, der es zulässt, Opfer von Zwangsarbeit nicht wegen unrechtmäßiger Aktivitäten strafrechtlich zu verfolgen, etwa wegen Verstößen gegen Einwanderungsgesetze, sexueller Dienstleistungen, Drogendelikten oder Gewalttaten, zu denen sie als direktr Folge ihrer Zwangsarbeit gezwungen wurden.
„Es ist traurig, dass Opfer von Zwangsarbeit häufig wie Kriminelle behandelt werden und nicht wie Menschen, die ein Recht auf Unterstützung haben”, so Varia. „Es ist ein wichtiger Schritt nach vorne, dass die Bemühungen zur Erkennung von Opfern von Zwangsarbeit bei einwanderungs- und strafrechtlichen Verfahren verbessert werden, damit sie angemessene Unterstützung erhalten und nicht erneut zu Opfern werden.“
Die ILO-Konvention Nr. 29 gegen Zwangsarbeit wurde im Jahr 1930 verabschiedet und von 177 Staaten ratifiziert. Ihre Definition von Zwangsarbeit und die Verpflichtung, Zwangsarbeit strafrechtlich zu verfolgen, wurden in nationale und internationale Standards aufgenommen. Andere Bestimmungen beziehen sich auf Zwangsarbeit in Überseekolonien und sind nicht mehr zeitgemäß. Das neue Protokoll passt die Konvention Nr. 29 an die modernen Gegebenheiten an und streicht die nicht mehr relevanten Bestimmungen aus dem Vertrag.
Damit das Protokoll für ein Land rechtsverbindlich wird, muss es durch die Regierung ratifiziert werden. Die ILO-Mitglieder haben zudem Empfehlungen ausgehandelt, die den Regierungen nicht-bindende Richtlinien zur Verfügung stellen. Dazu gehören die Erhebung verlässlicher Daten, Maßnahmen gegen Kinderarbeit, grundlegende soziale Garantien, die Beseitigung von Rekrutierungsprämien, welche die Arbeitnehmer bezahlen müssen, sowie eine international Kooperation gegen den Einsatz von Zwangsarbeit durch Diplomaten.
Zusätzlich empfiehlt das Papier eine Bedenk- und Erholungszeit, in der Migranten, die Opfer von Zwangsarbeit geworden sind, in dem betreffenden Land bleiben dürfen, bevor über Schutzmaßnahmen oder rechtliche Schritte entschieden wird. Die Empfehlungen stellen klar, dass auch juristische Personen wegen Zwangsarbeit zur Rechenschaft gezogen werden können und etwa durch die Beschlagnahmung von Profiten aus Zwangsarbeit oder anderem Vermögen bestraft werden sollten.
Mitarbeiter von Human Rights Watch, die an den Verhandlungen teilgenommen haben, wiesen darauf hin, dass dabei Gelegenheiten versäumt wurden, um wichtige Schutzmechanismen zu stärken. So werden Regierungen lediglich angehalten, Unternehmen zu „unterstützen“ statt sie zu verbindlich zu „verpflichten“, notwendige Maßnahmen gegen Zwangsarbeit zu ergreifen und darin auch ihre Lieferkette einzuschließen. Vorgeschlagene Empfehlungen, die die Schaffung von Entschädigungsfonds für Opfer sowie Hilfsangebote für Opfer vorgesehen hatten, erhielten nicht die notwendige Unterstützung, um in den finalen Text aufgenommen zu werden. Das Protokoll und die Empfehlungen erwähnen die Entschädigung der Opfer zwar wiederholt, jedoch als möglichen Schritt und nicht als verpflichtende Maßnahme.
„Im Großen und Ganzen ist das Ergebnis dieser Verhandlungen ein starker Vertrag, den alle Regierungen unterstüzten sollten“, so Varia. „Zwangsarbeit geht mit einigen der schwersten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit einher. Regierungen sollten mit höchster Dringlichkeit dafür eintreten, sie zu beseitigen und ihre Opfer zu unterstützen.“
Von den 472 durch Regierungs-, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter abgegebenen Stimmen, befürworteten 437 die Konvention bei 8 Gegenstimmen und 27 Enthaltungen.
Über die vergangenen zehn Jahre hat Human Rights Watch 49 Bericht zum Thema Zwangsarbeit veröffentlicht. Sie dokumentieren Menschenrechtsverletzungen wie erzwungenes Betteln durch Kinder, die Ausbeutung von Hausangestellten, Zwangsarbeit im Bau-, Landwirtschafts- und Bergbausektor, Zwangsarbeit in Drogenhaftzentren sowie die zeitlich unbefristete Pflicht zum Wehrdienst.
UN-Mitgliedstaaten sollen sich gegen Besuch al-Bashirs aussprechen
(New York) – Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und andere UN-Mitgliedstaaten sollen sich öffentlich gegen eine Teilnahme des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir an der UN-Vollversammlung aussprechen, da gegen diesen ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichts (IStGH) wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen in Darfur besteht. Die Regierungen sollen klarstellen, dass sie mit al-Bashir, falls dieser nicht von seinem Besuch absieht, keinerlei Umgang pflegen und nicht an Veranstaltungen teinehmen werden, an denen al-Bashir teilnimmt.
Vertretern der amerikanischen Regierung zufolge hat al-Bashir ein Visum beantragt, um an der UN-Vollversammlung teilzunehmen, deren Generaldebatte für den Zeitraum vom 24. September bis 2. Oktober 2013 anberaumt ist. Gegen al-Bashir bestehen zwei Haftbefehle des IStGH wegen Verbrechen in Darfur, der eine wegen Völkermordes, der andere wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der IStGH hatte Ermittlungen eingeleitet, nachdem der UN-Sicherheitsrat im März 2005 in seiner Resolution Nr. 1593 die Lage in Darfur an den Gerichtshof überwiesen hatte.
„Sollte al-Bashir bei der UN-Vollversammlung erscheinen, würde er die Bemühungen des Sicherheitsrats für die Strafverfolgung der Verbrechen in Darfur in dreister Weise auf die Probe stellen“, so Elise Keppler, stellvertretende Direktorin der Abteilung Internationale Justiz von Human Rights Watch. „Das letzte, was die UN jetzt braucht, ist ein Besuch von einem IStGH-Flüchtling.“
Mit al-Bashirs Besuch würde zum ersten Mal eine Person die USA und die UN besuchen, gegen die ein Haftbefehl des IStGH vorliegt. Bislang vermieden viele Staaten – Unterzeichner und Nicht-Unterzeichner des IStGH-Statuts gleichermaßen – al-Bashirs Besuche, indem sie ihn zur Entsendung anderer Vertreter der sudanesischen Regierung aufforderten, Treffen räumlich und zeitlich verschoben oder seine Visite schlichtweg absagten. Zu diesen Staaten gehören Südafrika, Malaysia, Sambia, die Türkei, die Zentralafrikanische Republik, Kenia und Malawi.
Die USA verurteilten al-Bashirs geplanten Besuch zur UN-Vollversammlung. Am 16. September bezeichnete Samantha Power, die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, diesen als „bedauerlich, zynisch und äußerst unagemessen“.
In Reaktion auf al-Bashirs geplanten UN-Besuch appellierte Human Rights Watch an alle UN-Mitgliedstaaten, die möglichen rechtlichen Konsequenzen zu bedenken. Die Vertragsstaaten des IStGH sind durch das Römische Statut verpflichtet, bei der Verhaftung Strafverdächtiger mit dem Gerichtshof zu kooperieren. Auch die UN-Sicherheitsratsresolution 1593, welche die Lage in Darfur an den IStGH verweist, fordert alle Staaten und die betroffenen regionalen sowie andere internationalen Organisationen auf, uneingeschränkt mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. Die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1949 verlangt in Artikel 4: „Personen, die Völkermord [...] begehen, sind zu bestrafen, gleichviel ob sie Regierungsvertreter, öffentliche Beamte oder private Einzelpersonen sind.“
Die Resolution 1593 verpflichtet den Sudan zur Kooperation mit dem IStGH. Auch in einer Präsidententerklärung des Sicherheitsrats aus dem Jahr 2008 wird der Sudan aufgefordert, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten, damit das Land die Resolution 1593 einhält. Der Rat verfolgte diese Erklärung jedoch nicht angemessen weiter.
Menschenrechtler und Nichtregierungsorganisationen mobilisieren, insbesondere in Afrika, gegen jegliche Reisen al-Bashirs und für seine Auslieferung an den IStGH. Zuletzt reichte die nigerianische Koalition für den IStGH in Nigeria Klage ein, als al-Bashir das Land unerwartet besuchte, um an einer Konferenz der Afrikanischen Union teilzunehmen. Die öffentliche Verurteilung seines Besuchs trug zweifellos zu seiner abrupten Abreise bei.
„Al-Bashir gehört an genau einen Ort: Vor den IStGH, wo er sich wegen der abscheulichen Verbrechen in Darfur verantworten muss“, so Keppler. „Die zahllosen Opfer in Dafur verdienen es, ihn dort zu sehen - und nicht in den Sälen der Vereinten Nationen.“
UN-Menschenrechtsrat richtet Untersuchungskommission zu Nordkorea ein
(Genf) - Der UN-Menschenrechtsrat hat in einer bahnbrechenden Entscheidung eine Untersuchungskomission zu Nordkorea eingerichtet, so Human Rights Watch. Die Kommission wird Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea untersuchen und Empfehlungen aussprechen, wie die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können.
„Diese lang erwartete Untersuchungskommission wird dabei helfen, Jahrzehnte massiver Menschenrechtsverbrechen durch die nordkoreanische Regierung aufzudecken“, sagte Julie de Rivero, Advocacy-Direktorin von Human Rights Watch. „Die Einrichtung dieser Kommission sendet ein deutliches Signal an Pjöngjang, dass die Welt die Lage genau beobachtet und die Menschenrechtsverletzungen beendet werden müssen.“
Die Resolution zur Errichtung der Kommission wurde einstimmig verabschiedet. Durch sie werden schwere, weit verbreitete und systematische Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea verurteilt und die Anwendung von Folter gegen politische Gefangene und zurückgekehrte Bürger der Demokratischen Volksrepublik Korea sowie ihre Entsendung in Zwangsarbeitslager missbilligt. Die Resolution wurde von Japan und der Europäischen Union vorgelegt.
Marzuki Darusman, der bereits früher vom Rat ernannte Experte für die Menschenrechtslage in Nordkorea, wird der Kommission angehören. Sie soll innerhalb eines Jahres die Verletzung des Rechts auf Nahrung, Misshandlung in Gefangenenlagern, Folter und unmenschliche Behandlung, willkürliche Verhaftung, Diskriminierung, Verletzung der Redefreiheit, Verstöße gegen das Recht auf Leben, Verletzung der Bewegungsfreiheit und Entführungen, auch von Angehörigen anderer Staaten, untersuchen. Dabei soll sichergestellt werden, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, besonders wenn die Menschenrechtsverletzungen sich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erweisen.
„Jede Hoffnung, dass der Führungswechsel in Nordkorea Fortschritte für die Menschenrechte bringen könnte, wurde schnell enttäuscht“, sagte de Rivero. „Die überwältigende Unterstützung für die Einrichtung dieser Kommission spiegelt den starken Konsens wider, dass die Zeit gekommen ist, die Menschenrechtsverstöße aufzudecken, die Nordkorea so lange vor der Welt verstecken wollte.“
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hat die Errichtung der Kommission unterstützt und stellte im Januar 2013 fest, dass die eingehende Untersuchung einer der Regionen mit den schlimmsten - aber am wenigsten verstandenen und darüber berichteten - Menschenrechtsverletzungen der Welt nicht nur völlig gerechtfertigt, sondern längst überfällig sei. Sie betonte auch die dringende Notwendigkeit, das Schicksal der vielen von Nordkorea in den letzten Jahren entführten Südkoreaner und Japaner zu klären und ihren leidgeprüften Familien Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu garantieren.
In seinem Bericht an den Rat beschrieb Darusman neun zentrale Bereiche von Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea, darunter extreme Formen der Diskriminierung und Verletzungen des Rechts auf Nahrung. Er sprach weiterhin von der Notwendigkeit, eine Untersuchung der erschütternden Erfahrung der Nordkoreaner in politischen Gefangenenlagern einzuleiten, wo sie am Rande des Verhungerns gehalten und als Zwangsarbeiter eingesetzt werden. Auch Folter sowie unmenschliche und erniedrigende Behandlung gehören in den Lagern zum Alltag.
Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea hatten an den Rat appelliert, Maßnahmen zu ergreifen - unter anderem während einer Veranstaltung des Menschenrechtsrats zu Beginn dieses Monats,alsr Shing Dong Huyk, ein Flüchtling aus einem berüchtigten nordkoreanischen Gefangenenlager, seine Geschichte darstellte. Menschenrechtler zeigten sich bestürzt darüber, dass die Notwendigkeit, Nordkoreas Menschenrechtsverletzungen anzusprechen und zu untersuchen, oft im Schatten der Sorgen über das Atomprogramm verblasse. Nordkorea hat nicht nur die Rechte seiner eigenen Bürger verletzt, es hat auch Tausende von Ausländern, vor allem aus Südkorea und Japan, entführt. Die Entscheidung des Rates, diese Untersuchungskommission einzurichten, ist eine Reaktion auf den Appell der Familien der Entführten, die sich bei den Vereinten Nationen für Informationen über den Verbleib ihrer Angehörigen sowie für ihre sichere Rückkehr eingesetzt haben.
„Die Errichtung dieser Kommission ist eine Errungenschaft für die Opfer", sagte de Rivero. „Dies ist ein entscheidender erster Schritt, um die Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea zur Verantwortung zu ziehen.“
Syrien: UN soll Massaker von Hula untersuchen
(New York) – Kofi Annan soll die syrische Regierung drängen, der UN-Untersuchungskommission Zugang zu dem Land zu gewähren, um das Massaker aufzuklären, bei dem am 25. Mai 2012 mindestens 108 Zivilisten in Hula getötet wurden. Dies fordert Human Rights Watch heute vor dem anstehenden Besuch des UN-Sondergesandten in Damaskus. Bisher hat die syrische Regierung der UN-Kommission den Zutritt ins Land verwehrt. Human Rights Watch wiederholte auch noch einmal seine Fordung an den UN-Sicherheitsrat, die Situation in Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen.
Nach einem Besuch am 26. Mai in Hula, einer Region mit einigen Dörfern, 20 Kilometer nordwestlich der umkämpften Stadt Homs, bestätigten UN-Beobachter das Massaker und verurteilten diese „brutale Tragödie“. Der Leiter der UN-Beobachtermission, Generalmajor Robert Mood, berichtete gegenüber den Medien, dass einige Zivilisten durch Bombardierungen, andere durch Schüsse aus kurzer Entfernung getötet worden waren. Wer für diese Schüsse verantwortlich ist, sagte Mood jedoch nicht. Überlebende, die von Human Rights Watch befragt worden waren, sowie lokale Aktivisten berichteten, dass die syrische Armee die Region am 25. Mai 2012 bombardiert hatte und dass anschließend bewaffnete Männer in Militärkleidung Häuser am Stadtrand angriffen hatten und ganze Familien hingerichtet wurden.
Alle Augenzeugen berichteten, dass die bewaffneten Männer der Regierung nahe standen. Ob sie aber Mitglieder der syrischen Armee oder der shabeeha, einer lokalen regierungsnahen Miliz, waren, wussten die Augenzeugen nicht. Die überwiegend sunnitischen Städte in Hula sind von meist alawitischen oder shiitischen Dörfer umgeben. Seit letztem Jahr sind die Beziehungen zwischen den religiösen Gruppen äußerst angespannt. Während einer Pressekonferenz am 27. Mai hat ein Sprecher des syrischen Aussenministeriums kategorisch jegliche Schuld der Armee an diesem Massaker zurückgewiesen. Zudem gab er bekannt, dass die Regierung eine Militärkommission gebildet habe, um eine strafrechtliche Untersuchung durchzuführen.
„Es ist ausgeschlossen, dass eine syrische Militärkommission glaubwürdig dieses grausame Verbrechen untersucht, wenn so viele Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass regierungsnahe Truppen dafür verantwortlich waren“, so Sarah Leah Whitson, Direktorin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch. „Annan soll darauf bestehen, dass Syrien der UN-Kommission Zugang ins Land gewährt, so dass sie dieses und andere schwere Verbrechen untersuchen kann.“
Anwohner und Überlebende berichteten Human Rights Watch, wie der Angriff auf Hula ablief. Am 25. Mai 2012 versammelten sich gegen Mittag Demonstranten in Taldou, Hulas größter Stadt. Ein Augenzeuge berichtet, dass dann gegen 14 Uhr Soldaten von einem Armeestützpunkt das Feuer eröffent haben, um eine Demonstrantion aufzulösen. Ob zu diesem Zeitpunkt jemand verletzt oder getötet wurde, konnte er nicht sagen. Ein Aktivist aus Hula berichtete, dass bewaffenete Mitglieder der Opposition anschließend den Stützpunkt angriffen, von dem aus die Armee das Feuer eröffnet hatte. Die syrische Armee habe darauf mit intensivem Beschuss verschiedener Gebiete in Hula reagiert.
Ein Bewohner von Taldou erklärte gegenüber Human Rights Watch:
Gegen 14.30 Uhr begann die Armee, die am Stadtrand stationiert war, das Gebiet zu bombardieren. Anfangs benutzten sie dafür noch Panzer, aber nach etwa zwei Stunden setzten sie Granaten ein. Die Bombardierung kam aus der Richtung der Luftwaffenakademie, die sich am Eingang von Hula befindet. Der Beschuss wurde gegen 19 Uhr noch schlimmer und ganze Gebäude wankten. Die Armee begann, mit einer Art von Raketen zu feuern, die ein ganzes Gebiet erschütterten
Drei Überlebende dieser Angriffe berichteten Human Rights Watch, dass gegen 18.30 Uhr, gerade als die Bombardierung in einigen Teilen von Hula intensiver wurde, bewaffnete Männer in Militäruniformen Häuser angriffen, die sich am Stadtrand auf der Straße zum Damm von Hula befanden. Die meisten Getöteten gehörten zur Familie von Abdel Razzak. Lokale Aktivisten übergaben Human Rights Watch eine Liste mit den Namen von 62 getöteten Mitgliedern der Familie von Adbel Razzak. Überlebende berichten, dass ihrer Familie das Land und die Bauernhöfe neben dem nationalen Wasserunternehmen und dem Wasserdamm von Taldou gehört und sie in acht oder neun benachbarten Häusern lebt, jeweils zwei Familien in einem Haus.
Eine ältere Frau der Abdel Razzak-Familie, die die Attacke überlebt hatte, berichtete:
Ich war zu Hause mit meinen drei Enkelsöhnen, drei Enkeltöchtern, meiner Schwägerin, meiner Tochter, meiner Schwiegertochter und meinem Cousin. [Am 25. Mai] gegen 18.30 Uhr, noch bevor die Sonne unterging, hörten wir Schüsse. Ich war alleine in meinem Zimmer, als ich einen Mann hörte. Er brüllte und schrie meine Familie an. Ich versteckte mich hinter der Tür. Ich sah einen anderen Mann draußen an unserer Wohnungstür stehen und einen weiteren in unserem Haus. Sie haben Militärkleidung getragen. Ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Ich dachte, sie wolten das Haus durchsuchen. Sie kamen in unser Haus; ich habe nicht gehört, dass sie eingebrochen sind, da wir nie die Wohnungstür abschließen. Nach drei Minuten hörte ich alle meine Familienmitglieder laut schreien und brüllen. Die Kinder, die alle zwischen zehn und 14 Jahre alt sind, weinten. Ich legt mich auf den Boden und versuchte zu kriechen, um zu sehen, was passierte. Als ich der Tür näher kam, hörte ich mehrere Schüsse. Ich hatte solche Angst, dass ich mich kaum auf meinen eigenen Beinen halten konnte. Dann hörte ich, dass die Soldaten das Haus verließen. Als ich aus dem Raum kam, sah ich dass meine gesamte Familie erschossen worden war. Man hatte ihnen in die Körper und die Köpfe geschossen. Ich hatte zu große Angst, um näher zu kommen und zu sehen, ob sie noch am Leben waren. Ich bin einfach weitergekrochen, bis ich die Hintertür erreicht hatte. Ich ging ins Freie und rannte weg. Ich stand unter Schock, so dass ich nicht mehr weiss, was danach passiert ist.
Ein Zehnjähriger, ebenfalls aus der Familie Abdel Razzak, berichtete Human Rights Watch, dass er einen Mann in Militäruniform gesehen hätte, wie dieser seinen 13-jährigen Freund erschoss.
Ich war zu Hause mit meiner Mutter, meinen Cousins und meiner Tante. Plötzlich hörte ich Schüsse. Es war das erste Mal, dass ich so viele Schüsse auf einmal gehört habe. Meine Mutter packte mich und versteckte mich in einer Scheune. Ich hörte Männer schreien und rufen. Ich hörte, wie Leute weinten, vor allem Frauen. Ich sah aus dem Fenster. Ich guckte nur machmal, da ich Angst hatte, dass sie mich sehen könnten. Männer, die [Uniformen] wie Soldaten trugen, grün mit anderen Farben [Kamouflage] und weissen Schuhen, betraten mein Haus. Nach ungefähr zwei Minuten kamen sie wieder heraus. Dann auf der anderen Seite der Straße sah ich meinen Freund Shafiq, 13 Jahre alt, alleine draussen stehen. Ein bewaffneter Mann in Militäruniform zerrte ihn am Arm in die Ecke eines Hauses. Er nahm seine eigene Waffe und schoss dem Jungen in den Kopf. Seine Mutter und große Schwester, ich denke sie war 14 Jahre alt, kamen aus dem Haus gerannt und begannen, zu schreien und zu weinen. Derselbe Mann schoss auf beide, mehr als nur einmal. Der bewaffnete Mann ging dann weg und die Soldaten der FSA kamen.
Die Mutter des Jungen bestätigte gegenüber Human Rights Watch viele Details:
Zwischen 18.30 Uhr und 19 Uhr hörten wir zum ersten Mal Schüsse. Sie waren sehr nah. Daraufhin liefen wir los und versteckten uns in der Scheune. Als die bewaffneten Männer gingen und ich hörte, dass ihre Autos wegfuhren, gingen meine Schwester und ich nach draußen. Ich sah Shafiq [den 13-jährigen Freund ihres Sohnes] tot auf dem Boden liegen. Ich sah drei Familien: drei Frauen, zwei von ihnen mit Kindern. Alle waren erschossen. Einige war in den Kopf geschossen worden, andere hatten viele Schussverletzungen über den ganzen Körper verteilt. Eines der Kinder überlebte. Sie ist 14 Jahre alt. Man hatte ihr zweimal ins Bein geschossen. Ich sah auch meinen Cousin, dem in die Brust geschossen worden war. Einem 13-jährigen Jungen, der gelähmt war, wurde auch dreimal in die Brust geschossen.
„Solange bewaffnete Killer ungestraft zu Werke gehen können, werden die Schrecken in Syrien weitergehen,“ so Whitson. „Russland soll auffhören, die syrische Regierung im Sicherheitsrat zu decken, und zustimmen, die Situation an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen.“
Human Rights Watch drängt auch andere Länder dazu, sich der Forderungen nach einer Strafverfolgung der Verbrechen anzuschließen und eine Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu unterstützen. Der IStGH ist am besten in der Lage, gründliche Untersuchungen durchzuführen und jene strafrechtlich zu verfolgen, die die größte Verantwortung für die Verbrechen in Syrien tragen.
Frühere Ankündigungen der syrischen Regierung, dass sie Untersuchungen durchführen werde, haben zu keinem sichtbaren Resultat geführt. Am 31. März 2011, nicht einmal einen Monat nach dem Beginn der Aufstände, hat die syrische Regierung ein Komitee einberufen, um alle Todesopfer oder Verletzungen unter Zivilisten und militärischem Personal sowie alle anderen damit verbundenen Straftaten zu untersuchen und um alle entsprechenden Beschwerden aufzunehmen. Doch abgesehen von einigen zusammefassenden Erklärungen Präsident Bashar al-Assads, in denen er versicherte, dass das Komitee an der Arbeit sei und einige Personen bereits festgenommen und strafrechtlich verfolgt wurden, ist sehr wenig über die wirkliche Arbeit des Komitees und die Resultate dieser Arbeit bekannt.
Kambodscha: Untersuchungsrichter im Rote Khmer-Prozess sollen zurücktreten
(New York, 3. Oktober 2011) – Die beiden Untersuchungsrichter der „Außerordentlichen Kammern an den Gerichten von Kambodscha“ (ECCC), an denen die Massenverbrechen der Roten Khmer angeklagt werden und die der Bevölkerung Kambodschas Gerechtigkeit bringen sollen, haben klar gegen ihre Pflichten verstoßen und sollen deshalb zurücktreten, so Human Rights Watch heute.
Die Untersuchungsrichter You Bunleng (Kambodscha) und der von den Vereinten Nationen ernannte Siegfried Blunk (Deutschland) sind ihrer Pflicht nicht nachgekommen, glaubwürdige, unabhängige und wirksame Untersuchungen zu zwei von vier verbleibenden ECCC-Fälle durchzuführen. Es ist zu erwarten, dass beide Anklagen fallen gelassen werden, ohne dass je ernst gemeinte Ermittlungen durchgeführt wurden.
Die ECCC-Fälle 003 und 004 betreffen fünf Angeklagte und wurden im Jahr 2009 vom internationalen Co-Ankläger beim Büro der gemeinsamen Ermittlungsrichter eingereicht. Im April 2011 erklärten die Ermittlungsrichter, sie hätten ihre Ermittlungen im Fall 003 abgeschlossen. Ein formaler Einstellungsbefehl, wonach gegen die Beschuldigten kein Prozess eröffnet werden soll, wird für die nahe Zukunft erwartet. Amtierende und ehemalige ECCC-Mitarbeiter zufolge planen die Richter, ihre Arbeit auch im Fall 004 ohne glaubwürdige, unabhängige und wirksame Ermittlungen einzustellen.
„Die Ermittlungsrichter haben ihre Untersuchung des Falls 003 beendet, ohne die Verdächtigten zu benachrichtigen, wichtige Zeugen zu vernehmen oder an den Tatorten zu ermitteln“, so Brad Adams, Leiter der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Was schon bei einem gewöhnlichen Verbrechen schockierend wäre, ist im Angesicht der schlimmsten Gräueltaten des 20. Jahrhunderts unfassbar. Solange diese Richter beteiligt sind, gibt es für das kambodschanische Volk keine Hoffnung auf Gerechtigkeit.“
Seit seiner Einrichtung wurde das Tribunal regelmäßig zum Ziel politischer Einmischung durch die regierende Kambodschanische Volkspartei. Mehrere amtierende Regierungsmitglieder sind ehemalige Funktionäre der Roten Khmer. Premierminister Hun Sen, dem die kambodschanische Justiz einschließlich der ECCC untersteht, hat wiederholt erklärt, er lehne eine Fortführung der Fälle 003 und 004 ab. Quellen innerhalb der ECCC gaben gegenüber Human Rights Watch an, seine politische Einmischung sei für die mangelhafte Untersuchung der Fälle durch die Ermittlungsrichter sowie zahlreiche Kündigungen von Mitarbeitern des Tribunals verantwortlich.
„Wir haben wiederholt die Befürchtung geäußert, dass den kambodschanischen Richtern im Rote Khmer-Tribunal keine andere Wahl bleiben würde, als zu tun, was Hun Sen und andere Spitzenbeamte von ihnen verlangen“, so Adams. „Damit war klar, dass die ECCC nur so stark sein würde wie sein schwächstes internationales Glied. Dieses schwächste Glied ist Richter Blunk.“
Sollten die Ermittlungsrichter in einem der Fälle die Einstellung der Untersuchungen beantragen, kann der internationale Co-Ankläger bei der Vorverfahrenskammer Berufung einlegen, die jedoch angesichts der politischen Einflussnahme auf das Tribunal, mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewiesen würde.
Laut dem Gesetz über die Einrichtung der ECCC ist es Aufgabe des Tribunals, „Strafverfahren einzuleiten gegen die Führungsspitzen des Demokratischen Kampuchea [des Rote Khmer-Regimes] und gegen die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen und schweren Verstöße gegen das kambodschanische Strafrecht, das humanitäre Völkerrecht und die von Kambodscha anerkannten internationalen Konventionen im Zeitraum vom 17. April 1975 bis 6. Januar 1979“. In dieser Zeit, in der Kambodscha unter der Herrschaft der Roten Khmer stand, wurden bis zu zwei Millionen Menschen getötet oder starben an Krankheit oder Hunger.
Bislang wurde nur im Fall 001, dem Prozess gegen Kaing Guek Eav (bekannt als „Duch“), den Leiter des berüchtigten S-21-Folterzentrums („Tuol Sleng“), ein Urteil gesprochen. Der Angeklagte wurde wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von 35 Jahren verurteilt, die jedoch um die bereits abgeleistete Haftdauer sowie durch einen Straferlass auf 19 Jahre verringert wurde. Im Fall 002, in dem die ehemaligen Spitzen der Roten Khmer Nuon Chea, Khieu Samphan, Ieng Sary und Ieng Thirith wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt sind, soll die Hauptverhandlung im Jahr 2012 eröffnet werden.
Human Rights Watch erklärte, die Richter Blunk und Bunleng hätten durch ihr Versäumnis, angemessene und gutgläubige Untersuchungen durchzuführen, gegen ihre Verpflichtung zu unparteiischem Handeln verstoßen. Die gemeinsamen Ermittlungsrichter sind nach dem Statut der ECCC, internen Bestimmungen und nach internationalem Recht verpflichtet, die durch den Ankläger eingereichten Anklagepunkte zu untersuchen. Gemäß internationaler Rechtsprechung müssen die dazu notwendigen Untersuchungen neben anderen Anforderungen unabhängig, zeitnah, wirksam bei der Identifizierung und Bestrafung der Täter und transparent für die Öffentlichkeit erfolgen.
Während der zur Zeit der Einrichtung der ECCC im Jahre 2003 amtierende UN-Generalsekretär Kofi Annan erkannte, dass die Kontrollfunktion der UN für die erfolgreiche Strafverfolgung der Massenverbrechen der Roten Khmer durch das Tribunal entscheidend ist, haben die derzeit amtierenden UN-Vertreter in dieser Funktion versagt. Human Rights Watch ruft die UN auf, eine ernsthafte und unabhängige Untersuchung des Verhaltens der Ermittlungsrichter zu veranlassen und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Fälle 003 und 004 nicht ohne ordnungsgemäße Ermittlungen abgeschlossen werden.
Das Abkommen zwischen der UN und Kambodscha, in dem eine Strafverfolgung der „Hauptverantwortlichen“ für die Verbrechen der Roten Khmer gefordert wird, zielt in seinen Formulierungen ausdrücklich auf die Art von Personen, die in den Fällen 003 und 004 angeklagt sind. Sollte das Gericht nur gegen die oberste Führungsspitze der Roten Khmer ermitteln, könnten Massenmörder aus niedrigeren Rängen weiter in Freiheit leben – häufig sogar in den gleichen Dörfern wie die Angehörigen ihrer Opfer.
„Die UN steckt den Kopf in den Sand, wenn sie auf die zahlreichen, ernstzunehmenden Vorwürfe über richterliches Fehlverhalten nicht reagiert“, so Adams. „Wenn die UN nicht rasch dafür sorgt, dass diese Fälle vollständig untersucht werden, läuft sie Gefahr, die Glaubwürdigkeit des Tribunals endgültig zu verspielen.“
Im Folgenden finden Sie Details zu den Versäumnissen der ECCC in den Rote Khmer-Prozessen Nr. 003 und 004 sowie Zusammenfassungen der Anklagepunkte in diesen Fällen.
Mangelhafte Untersuchung der Fälle 003 und 004Die ECCC-Fälle 003 und 004 befassen sich nicht mit der obersten Führungsspitze der Roten Khmer, deren Mitglieder im Fall 002 angeklagt sind, sondern mit anderen Führungskräften, die ebenfalls zu den Hauptverantwortlichen für die Gräueltaten der Rote Khmer-Ära gehören. Im Jahr 2008 erhob der internationale Co-Ankläger im Fall 003 Anklage gegen den Luftwaffenkommandeur Sou Met und den Marinechef Meas Muth, denen er Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwarf. In Fall 004 beschuldigte er drei Regionalbeamte der Roten Khmer, Aom An, Yim Tith und Im Chem der gleichen Verbrechen. Die Anklageschriften in den beiden Fällen umfassen mehr als 40 verschiedene Straftatbestände (s. Zusammenfassungen der Anklagen gegen die fünf Beschuldigten weiter unten)
Hun Sen hat sich in zahlreichen Erklärungen ablehnend über die Anklagen 003 und 004 geäußert. Schon 1999, noch vor der Einrichtung des Tribunals, erklärte er, er lehne es ab, gegen mehr als maximal vier bis fünf Mitglieder der Roten Khmer ein Verfahren zu eröffnen. Nach einem Treffen zwischen Hun Sen und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Oktober 2010, sagte Außenminister Hor Namhong, der Premierminister habe „deutlich bekräftigt“, dass keine weiteren Verfahren zugelassen würden. Obwohl der Premierminister nicht berechtigt ist, eine solche Entscheidung für die Richter zu treffen, machten Hun Sen und andere Beamte durch entsprechende Anweisungen ihren Einfluss bei den kambodschanischen Mitarbeitern der ECCC geltend, so Human Rights Watch.
Die Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen in den Fällen 003 und 004 war von Anfang an kontrovers. Der erste internationale Co-Ankläger Robert Petit kam nach einer Prüfung der Fälle zu der Einschätzung, es liege ausreichend Beweismaterial vor, um sie an die Untersuchungsrichter zu übergeben. Die kambodschanische Co-Anklägerin Chea Leang versuchte daraufhin – offenbar in einer politisch motivierten Entscheidung, welche die Haltung Hun Sens widerspiegelte, – die Einreichung der Anklagen zu blockieren. Leang behauptete, die Angeklagten entsprächen nicht der Definition von „Hauptverantwortlichen“ nach dem ECCC-Gesetz. Diese Einschätzung steht in klarem Widerspruch zum Urteil der Kammern im Fall „Duch“, den die Richter – obwohl er nicht zur obersten Führungsriege gehört hatte – wegen seiner direkten Beteiligung an den schwersten Gräueltaten als „Hauptverantwortlichen“ einstuften.
Die Vorverfahrenskammer der ECCC, der drei kambodschanische und zwei ausländische Richter angehören, beurteilte die Beweislage schließlich als ausreichend für eine Fortführung des Verfahrens. Während alle drei kambodschanischen Richter für eine Blockade des Falls stimmten, entschieden die beiden ausländischen Richter zugunsten einer Übergabe der Ermittlungen an die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Die Bestimmungen der ECCC verlangen für die Abweisung einer Anklage eine 4:1-Supermajorität. Diese Regelung geht auf Bedenken der kambodschanischen Öffentlichkeit, der UN und der internationalen Geber zurück, die befürchteten, die Regierung könne den kambodschanischen Richtern politische Vorgaben machen. Da jedoch nur drei Richter gegen die Zulassung der Anklage stimmten, wurde er schließlich den Untersuchungsrichtern übergeben.
Am 7. September 2009 übergab der internationale Co-Ankläger die Fälle der fünf Beschuldigten an die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Die „einleitenden Erklärungen“, in denen die Beweislage umrissen wird, umfassten bereits 200 Seiten sowie Tausende Seiten zusätzlicher, die Anklagen stützender Informationen. Dennoch scheint bis zum 29. April 2011, dem Tag, an dem die Untersuchungsrichter den Abschluss der Ermittlungen im Fall 003 bekanntgaben, keine ernstzunehmende Ermittlungsarbeit mehr stattgefunden zu haben. Die Untersuchungsrichter lieferten keine Erklärung für ihre Entscheidung und behaupteten vielmehr, sie müssten diese nicht begründen.
Eine Woche gab der führende Rote Khmer-Experte Stephen Heder in einem Schreiben an Richter Blunk schriftlich seinen Rücktritt von der Tätigkeit als Berater des Büros der gemeinsamen Untersuchungsrichter bekannt. Er begründete seinen Schritt unter anderem mit „der Entscheidung der Richter, die Untersuchung des Falls 003 zu beenden, ohne tatsächlich ermittelt zu haben, die ich und andere für unvernünftig halten“. Sämtliche UN-Rechtsexperten und andere UN-Mitarbeiter im Büro der Untersuchungsrichter reichten ebenfalls ihre Kündigung ein.
Am 9. Mai legte der internationale Co-Ankläger Andrew Cayley Berufung gegen die Entscheidung der Richter ein und beantragte offiziell weitere Ermittlungen. Cayley legte zudem einen Fahrplan für eine ernsthafte und effektive Untersuchung vor. Darin empfahl er den Richtern Bunleng und Blunk folgende Schritte:
- Vorladung und Befragung der in den einleitenden Erklärungen zur Prozessakte 003 genannten Verdächtigten sowie Benachrichtigung der Beschuldigten, dass gegen sie ermittelt wird;
- Befragung weiterer Personen, die als potentielle Zeugen benannt wurden;
- Befragung bzw. erneute Befragung von Zeugen, die in der Prozessakte 002 genannt sind, mit Schwerpunkt auf den spezifischen, in den einleitenden Erklärungen zur Prozessakte 003 enthaltenen Anschuldigungen;
- weitere Untersuchung der Tatorte (einschließlich Suche nach Massengräbern);
- Aufnahme zusätzlichen Beweismaterials in die Prozessakte, etwa durch Übernahme von Beweismitteln aus der Prozessakte 002; und
- weitere Untersuchung der Rolle der Beschuldigten im Fall 003 bei den ihnen angelasteten Straftaten, einschließlich der Überstellung von Gefangenen, die unter ihrer Befehlsgewalt standen, in das Verhörzentrum S-21, der Annahme von „Geständnissen“ von Gefangenen, die in S-21 ermordet wurden, und der Beteiligung an weiteren Festnahmen.
Auf die ursprüngliche Einreichung bei den Untersuchungsrichtern Bezug nehmend benannte Cayley mutmaßliche Tatorte und Vorfälle, darunter das von „Duch“ geleitete Folterzentrum S-21, die Baustelle des Flughafens Kampong Chhnang, wo es zum massenhaften und oft todbringenden Einsatz von Zwangsarbeitern gekommen sein soll, Säuberungsaktionen innerhalb der Roten Khmer und Vorstöße der Roten Khmer nach Vietnam. Cayley schlug zudem die Untersuchung weiterer Tatorte und Vorfälle vor, darunter:
- Das Sicherheitszentrum S-22 in der Nähe von Phnom Penh;
- Das Sicherheitszentrum Wat Eng Tea Nhien in der Provinz Kampong Som;
- Der Steinbruch und Stung Hav in Kampong Som, in dem angeblich Zwangsarbeit eingesetzt wurde;
- Die Festnahme ausländischer Staatsbürger an der kambodschanischen Küste, ihre unrechtmäßige Inhaftierung, Überstellung in das Verhörzentrum S-21 bzw. ihre Ermordung; und
- die in der Provinz Rattanakiri betriebenen Sicherheitszentren.
Zur Erläuterung seines Antrags schrieb Cayley:
„Der internationale Co-Ankläger wird diese Maßnahmen beantragen, da er der Ansicht ist, dass die in den einleitenden Erklärungen vorgebrachten Straftaten nicht vollständig untersucht wurden. Er [Cayley] ist nach den internen Bestimmungen und dem Gesetz über die ECCC gesetzlich verpflichtet alle angemessenen ermittlerischen Maßnahmen zu benennen und zu beantragen, die von den gemeinsamen Untersuchungsrichtern ergriffen werden sollten, bevor eine Entscheidung darüber getroffen wird, ob gegen bestimmte Personen Anklage erhoben und ein Verfahren eröffnet werden soll.“
Blunk und Bunleng reagierten nicht auf Cayleys Ausführungen. Sie wiesen seinen Antrag am 7. Juni ab und forderten ihn auf, diesen zurückzuziehen. In einem höchst ungewöhnlichen Schritt schlugen sie sogar vor, Cayley wegen Missachtung des Gerichts zu belangen – mit der fadenscheinigen Begründung, er habe mit seiner Zusammenfassung der notwendigen Schritte für eine ernsthafte Untersuchung Amtsgeheimnisse verletzt. Cayley weigerte sich dennoch, seinen Antrag zurückzuziehen.
Diese Versuche, den Ankläger zu zensieren und ihm mit rechtlichen Schritten zu drohen, zeigen wie weit die Richter Blunk und Bunleng zu gehen bereit sind, um eine Untersuchung der Fälle zu verhindern.
Vertreter des Gerichts, die von der Regierung berufen wurden, ließen sowohl privat als auch öffentlich keinen Zweifel daran, dass eine Fortführung der Fälle 003 und 004 nicht zugelassen würde. Am 17. März erklärte der stellvertretende nationale Co-Ankläger der ECCC Chan Dararasmey auf einer Pressekonferenz über Opfer-Partizipation bei den ECCC, es werde keine weiteren Untersuchungen geben. „Es wird keinen Fall 003 und 004 geben“, so Dararasmey.
Am 8. August gaben Blunk und Bunleng bekannt, sie hätten „ernsthafte Zweifel“ daran, dass gegen die Beschuldigten im Fall 004 ein Verfahren eröffnet werde, da keiner von ihnen als „Hauptverantwortlicher“ unter die Rechtsprechung des Gerichts falle. Die Grundlage dieser Zweifel ist unklar, da die ECCC in ihrem Urteil gegen „Duch“, bei dem es sich nicht um einen hochrangigen Rote Khmer-Funktionär handelte, klarstellten, dass der Begriff „Hauptverantwortliche“ auch Mitglieder der unteren Hierarchieebenen einschließt, wenn sie direkt an den schwersten Gräueltaten beteiligt waren. Ein endgültiger Einstellungsbefehl für den Fall 003 wird für die nahe Zukunft erwartet, obwohl – wie die weiter unten gegebenen Zusammenfassungen zeigen – die verfügbare Beweislast gegen die Beschuldigten in den Fällen 003 und 004 auf eine Beteiligung an Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit extrem hohen Opferzahlen hindeutet.
Sollten die Untersuchungsrichter in einem der Fälle einen Einstellungsbefehl erlassen, kann Cayley zwar bei der Vorverfahrenskammer in Berufung gehen, angesichts der Politisierung der ECCC ist jedoch zu erwarten, dass die Fälle abgewiesen werden, da bei Berufungsentscheidungen keine Super-Majorität notwendig ist und sich die kambodschanischen Richter mit ihrer 3:2-Mehrheit in der Kammer durchsetzen können. Die drei kambodschanischen Richter in aus fünf Richtern bestehenden Kammer haben sich seit der Einrichtung der ECCC stets streng an die offizielle Linie der Regierung gehalten.
Missachtung von Opfern und NebenklägernHuman Rights Watch ist besorgt über die empörende Behandlung von Nebenklägern durch die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Das ECCC-Gesetz enthält wegweisende Regelungen, die es den Opfern von Verbrechen der Roten Khmer erlauben, an den Verfahren teilzunehmen, um Beweise einzubringen, Ermittlungsschritte zu beantragen und Entschädigung zu beanspruchen. Die Untersuchungsrichter haben jedoch unverhohlen versucht, sämtliches durch Opfer-Partizipation hervorgebrachte Beweismaterial zu unterdrücken und so eine Einstellung des Verfahrens durchzusetzen. Zu diesem Zweck wiesen sie alle Anträge ziviler Kläger mit fadenscheinigen Begründungen ab, die sowohl dem kambodschanischen Recht als auch der internationalen Rechtsprechung, einschließlich der Urteile des ECCC in den Fällen 001 und 002, widersprechen.
Nach dem Erkenntnisstand von Human Rights Watch gaben die Untersuchungsrichter keinem einzigen der Hunderten Anträge von zivilen Klägern in den Fällen 003 und 004 statt. Damit verweigerten sie nicht nur den Opfern ihr Recht auf Partizipation und sondern behinderten auch die Ermittlungen. Die Richter wiesen mindestens drei Anträge von Personen ab, die als Opfer an den Verfahren teilnehmen wollten. Gegenüber einem der Antragssteller, einer kambodschanischen Frau, deren Ehemann von den Roten Khmer zur Zwangsarbeit gezwungen und später getötet wurde, erklärten die Richter, ihr angeblicher psychologischer Schaden sei „höchst wahrscheinlich nicht echt“. Sie definierten zudem die Voraussetzungen für „direkten“ Schaden so eng, dass alle Personen außer den Opfern selbst ausgeschlossen wurden und keiner der überlebenden Angehörigen Klage einreichen konnte.
Fehlende Reaktion der UNDie Vereinten Nationen haben keine nennenswerten Maßnahmen ergriffen, um den Pflichtverletzungen der Untersuchungsrichter in den Fällen 003 und 004 zu begegnen. Dies ist besonders enttäuschend, wenn man bedenkt, dass die Einbeziehung der UN bei den ECCC die Grundlage für deren Erfolg bei der Strafverfolgung der Massenverbrechen der Roten Khmer bilden sollte. Im Jahr 2002 zogen sich der damalige UN-Generalsekretär Annan und der Leiter des UN-Büros für Rechtsangelegenheiten Hans Corell aus den Verhandlungen mit Kambodscha über die Einrichtung eines Rote Khmer-Tribunals zurück, da sie nach dem vorgesehenen Entwurf einen Mangel an Kompetenz, fehlende richterliche Unabhängigkeit und Korruption befürchteten. Die UN-Vertreter beharrten auf der Einsetzung eines einzigen unabhängigen, internationalen Anklägers anstelle mehrerer Co-Ankläger und einer mehrheitlichen Besetzung des Tribunals mit ausländischen Richtern, um es von der Einflussnahme durch die kambodschanische Regierung abzuschirmen.
Ungeachtet dessen, stimmte die UN-Vollversammlung auf Dringen Japans, Australiens, Frankreichs und der USA einer Resolution zu, die den Generalsekretär zum Abschluss eines Abkommens mit der kambodschanischen Regierung aufforderte. Die Konsequenz war die Einrichtung der ECCC in ihrer heutigen Form mit Co-Anklägern, einer Mehrheit von kambodschanischen Richtern und eine Super-Majoritäts-Formel zur Beilegung von Streitigkeiten. Annan fügte sich zwar, fällte jedoch ein vernichtendes Urteil über die Struktur des Tribunals und die Rolle internationaler Geberstaaten bei der Untergrabung internationaler Standards. In einem Bericht an die UN-Vollversammlung vom 31. März 2003 erklärte er:
„Ich kann nur an die Berichte meines Sonderberichterstatters für Menschenrechte in Kambodscha erinnern, der bei den kambodschanischen Gerichten durchweg auf eine geringe Achtung für die grundlegendsten Merkmale des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren gestoßen ist. Infolgedessen trage ich die Sorge, dass diese wichtigen Regelungen in dem Vertragsentwurf, von den Außerordentlichen Kammern nicht vollständig respektiert werden und dass etablierte internationale Justiz-, Fairness- und Verfahrensrechtsstandards deshalb nicht gesichert sind. Desweiteren hätte ich es, angesichts der eindeutigen Erkenntnis der Vollversammlung […], dass es fortdauernde Probleme im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit und das Funktionieren der Justiz in Kambodscha gibt, die aus der Einmischung der Exekutive in die Unabhängigkeit der Judikative resultieren, vorgezogen, wenn der Vertragsentwurf vorgesehen hätte, dass beide Außerordentlichen Kammern mehrheitlich aus internationalen Richtern bestehen.“
Die Beteiligung und Kontrolle durch die UN wird, aufgrund ihrer Fähigkeit dem Prozess Professionalität und Unabhängigkeit zu verleihen, als entscheidende Voraussetzung betrachtet, um die ECCC zu einem fairen und kompetenten Tribunal zu machen. An dieser Annahme sind nun Zweifel angebracht.
Annan erkennt schon in seinem Bericht aus dem Jahr 2003, dass das Tribunal bei der Gewährleistung einer fairen Rechtsprechung vor großen Schwierigkeiten stehen würde, und legt bereits nahe, dass die UN sich möglicherweise eines Tages aus den ECCC zurückziehen müssten:
„Jede Abweichung der Regierung von den angenommenen Verpflichtungen könnte dazu führen, dass die Vereinten Nationen dem Prozess ihre Zusammenarbeit und Unterstützung entziehen müssten.“
Im Gegensatz zu ihren Vorgängern haben der amtierende Generalsekretär Ban Ki-moon und die Vertreter des UN-Büros für Rechtsangelegenheiten nur eine geringe Bereitschaft gezeigt, die ECCC zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen nach kambodschanischem und internationalem Recht anzuhalten. Trotz wiederholter Hinweise von ECCC-Mitarbeitern, Human Rights Watch und andere NGOs zeigten die UN-Vertreter sich nicht willens, eine glaubwürdige Untersuchung zu veranlassen, um zu gewährleisten, dass der von der UN ernannte Richter Blunk seine richterlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Obwohl die UN bereits zwei Ermittlungsmissionen nach Phnom Penh entsandt hat, ließ sie bislang keine konkreten Schritte folgen.
Statt aktiv für den Schutz der ECCC einzutreten veröffentlichte der Generalsekretär am 14. Juni eine Erklärung, in der er eine Verantwortung der UN für den ECCC-Skandal abstreitet. In der Erklärung heißt es:
„Die Bekanntmachung der gemeinsamen Untersuchungsrichter vom 29. April 2011, wonach diese entschieden haben, ihre Untersuchung im Fall 003 abzuschießen, ist ein prozeduraler Zwischenschritt. Fragen hinsichtlich dieser Entscheidung werden Gegenstand weiterer Prüfung durch die gemeinsamen Untersuchungsrichter, die Co-Ankläger und die Vorverfahrenskammer sein. Jedes andere von den gemeinsamen Untersuchungsrichtern eingeleitete Verfahren wird zudem dem unabhängigen Rechtsprozess unterworfen.“
Die Erklärung des Generalsekretärs übergeht die lange zurückreichende, unverhohlene Einmischung der kambodschanischen Regierung bei den ECCC und das Stillschweigen der gemeinsamen Untersuchungsrichter bezüglich dieser Einmischung.
Zusammenfassung der Fälle 003 und 004Die Informationen in diesem Abschnitt stammen hauptsächlich aus den öffentlich zugänglichen Akten zu den Fällen 003 und 004. Zusätzlich wurde Material aus öffentlichen und privaten Quellen, einschließlich Human Rights Watch-Recherchen, herangezogen. Aus den in diesen Zusammenfassungen erhobenen Anschuldigungen wird deutlich, dass alle Beschuldigten in die Kategorie der „Hauptverantwortlichen“ im Sinne des ECCC-Statuts fallen.
Sou Met, alias Sou Samet, Beschuldigter im Fall 003Der internationale Co-Ankläger wirft Sou Met Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor.
Met, der Sohn eines Ende der 1960er Jahre gestorbenen Rote Khmer-Führers, zählt zu den Veteranen in der Bewegung. Während des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik in den Jahren 1970-75 war Met leitender Kader der Südwestzonen-Division 1, die in den Provinzen Kampong Chhnang und Kampong Speu kämpfte. Teile der Division bzw. andere Einheiten unter ihrem Kommando waren an der Einnahme von Phnom Penh und der Provinzhauptstadt Kampong Chhnang am 17. April 1975, der Zwangsumsiedlung von Stadtbewohnern in den ländlichen Raum und der massenhaften außergerichtlichen Hinrichtung von Offizieren und Beamten der unterlegenen Khmer-Republik beteiligt.
Nach dem 17. April 1975 wurde Met Sekretär der 502. Division, einer der Zentrumsdivisionen der Roten Khmer zu der auch die neu geschaffene Luftwaffe und zugeordnete Spezialeinheiten gehörten. Die Einheit hatte ihr Hauptquartier am Pochentong-Flughafen in Phnom Penh. Met war zudem Assistent beim Zentralkomitee. Die 502. Division unterstand dem Generalstab und dem Militärkomitee der Roten Khmer, denen wiederum Son Sen, ein Mitglied des ständigen Ausschusses, bzw. der Parteisekretär Pol Pol (beide verstorben) vorstanden. Sie bestand aus mehreren Regimentern und anderen untergeordneten Einheiten und hatte eine Gesamtstärke von 5.000 bis 6.000 Kämpfern. Kontingente der Division wurden zu verschiedenen Zeiten in allen Teilen des Landes eingesetzt. Met durchlief eine politische Ausbildung auf der Ebene des Zentralkomitees.
Met besuchte häufig vom Generalstab anberaumte Treffen auf denen die Sekretäre anderer Zentrumsdivisionen und Militäreinheiten über die Aktivitäten ihrer Einheiten berichteten, Anweisungen von der Partei erhielten und Parteirichtlinien zustimmten. Bei den Treffen ging es insbesondere um Methoden und Praktiken der Roten Khmer zur Eliminierung ihrer angeblichen internen und externen Feinde, die als „nationale Verteidigungsarbeit“ bezeichnet wurden und die Exekution interner Feinde sowie grenzüberschreitende Angriffe auf Dörfer in Vietnam beinhalteten.
Met war bis zu seiner Beförderung und Übernahme zusätzlicher Verpflichtungen Ende 1978 direkt für die 502. Division verantwortlich. Anschließend wurde er Mitglied des Generalstabs, Berichten zufolge sogar als Stellvertreter des Vorsitzenden Son Sen. Zudem soll er auch eine formale Mitgliedschaft im Zentralkomitee erhalten und zumindest zeitweise ein wichtiges Feldkommando an der vietnamesisch-kambodschanischen Grenze übernommen haben.
Die 502. Division war – wie andere Militäreinheiten auf allen Hierarchieebenen und in allen Teilen des Landes – dafür verantwortlich, zumindest im Umkreis ihrer Einsatzorte für Sicherheit zu sorgen. Sie verhaftete gewöhnliche Menschen, die für verdächtig gehalten wurden, etwa in der Nähe des Pochentong-Flughafens, um sie anschließend zu verhören und gegebenenfalls zu exekutieren bzw. sie in das Verhörzentrum S-21 zu überstellen. Eine weitere zentrale Aufgabe der Einheit war es, mutmaßliche „Feinde“ in den eigenen Reihen zu identifizieren und sie entweder in das divisionseigene Sicherheitsbüro S-22 für Pochentong-Phnom Penh, an einen anderen Ort zum Verhör oder ins S-21 zu schicken. Als Einheit des zentralen Militärs arbeitete die 502. Division auch darüber hinaus mit dem S-21 zusammen, indem sie Kader und Soldaten der Division, welche als „Feinde“ identifiziert wurden, verhaftete. Diese Festnahmen, die im Jahr 1975 begannen und bis 1978 andauerten, verwickeln Met in die massenhafte Folter und Ermordung im S-21.
Die 502. Division war seit mindestens 1976 auch für die Beaufsichtigung eines Zwangsarbeitslagers in der Provinz Kampong Chhnang verantwortlich, wo ein strategisches Ersatz-Rollfeld gebaut wurde. Das Lager wurde jedoch in zunehmendem Maße als Umerziehungslager genutzt, in dem Militärs, die als „ungute Elemente“ aus ihren Einheiten entfernt wurden, und andere Personen, die für politisch problematisch befunden wurden, inhaftiert und bestraft wurden. Den größten Zuwachs erhielt das Arbeitslager in Kampong Chhnang im Jahr 1978 im Zusammenhang mit einer weitreichenden Säuberungsaktion innerhalb der Roten Khmer und ihrer Streitkräfte in der östlichen Zone. Während einige derer, die willkürlich zu schwerer Strafarbeit gezwungen wurden, schließlich für hinreichend rehabilitiert befunden wurden, um wieder ihren Einheiten zugewiesen zu werden, starben viele andere unter den äußerst unmenschlichen Bedingungen des Lagers, wurden vor Ort von Mitgliedern der 502. Division oder in deren Auftrag in zivilen Sicherheitsbüros in der Umgebung hingerichtet oder in das S-21 geschickt – entweder durch die Division selbst oder auf Anfrage des S-21. Von Ende 1978 bis Anfang 1979 kam es zu einem dramatischen Anstieg der Exekutionen, die vor Ort ausgeführt wurden.
Ende 1978 wurde der frisch beförderte Met schließlich in den 505. Gefechtssektor an der vietnamesischen Grenze entsandt, wo er angeblich an einer neuen Welle von Säuberungen innerhalb des vor stationierten zentralen Militärs und der lokalen Verwaltungskader beteiligt war. Einige der Opfer wurden in das S-21 geschickt, weil sie angeblich vietnamesische Vorstöße auf kambodschanisches Territorium zugelassen hatten.
Meas Muth, alias Achar Nen, Beschuldigter im Fall 003Der internationale Co-Ankläger wirft Meas Muth Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor.
Muths Engagement in der kommunistischen Bewegung Kambodschas reicht bis spätestens in die 1960er Jahre zurück, während derer er einem revolutionären Netzwerk buddhistischer Mönche in Phnom Penh angehörte, deren Mitglieder mehrheitlich aus der Südwestzone stammten und Verbindungen zum späten Chhit Choeun, auch bekannt als Ta Mok, hatten. Mok hatte als Mönch in Phnom Penh gewirkt, bevor er sich in den 1940er Jahren der kommunistischen Bewegung anschloss. In den späten 1960er Jahren wurde er Sekretär der Südwestzone. Er gehörte zudem dem obersten Führungsorgan der Roten Khmer, dem Ständigen Ausschuss, an. Muth wurde schließlich stellvertretender Sekretär des Zentralkomitees der Roten Khmer und stieg damit an die dritthöchste Position in der Parteihierarchie auf.
Nach Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik im Jahr 1970 wurde Muth Vize-Sekretär des 13. Sektors in der Südwestzone, in dem auch Moks Heimatprovinz Takeo lag. Zu dieser Zeit hatte Muth bereits Moks Tochter Khom geheiratet, die als Parteikader im Distrikt Tram Kak aktiv war. Im Jahr 1973 wurde Muth zum Sekretär der 3. Division in der Südwestzone ernannt, die in den Provinezen Takeo, Kampot und Kampong Speu gegen Truppen der Khmer-Republik kämpfte. Am 17. April 1975 marschierten einige Abteilungen der Division nach Phnom Penh ein, während andere auf die Hafenstadt Kampong Som vorrückten. Die 3. Division war an der Zwangsumsiedlung von Bewohnern beider Städte in den ländlichen Raum sowie an der massenhaften außergerichtlichen Hinrichtung von Offizieren und Beamten der unterlegenen Khmer-Republik beteiligt.
Nach dem 17. April 1975 wurde Muth Sekretär der 164. Zetrumsdivision, der die neu geschaffene Marine sowie zugeordnete Spezialeinheiten angehörten. Die Division hatte ihr Hauptquartier im Gebiet von Kampong Saom und unterhielt Stützpunkte an mehreren Häfen entlang der Küste und auf Inseln im Golf von Thailand. Muth war Befehlshaber über 8.000 bis 10.000 Soldaten. Er wurde zudem Sekretär der Stadtverwaltung von der Hafenstadt Kampong Saom, die nach der Zwangsvertreibung ihrer ursprünglichen Bewohner mit mehreren Tausend Hafenarbeitern und anderen zivilen Arbeitern, die den örtlichen Industriebetrieben zugewiesen waren, teilweise neu besiedelt wurde. Berichten zufolge soll Muth die Verantwortung für die neue Arbeiterbevölkerung zwar mit verschiedenen nationalen Ministerien geteilt, für die Sicherheit in Kampong Saom jedoch die Hauptverantwortung getragen haben. Angeblich war Muth außerdem für Teile des 37. Sektors der benachbarten westlichen Zone verantwortlich, in den viele ehemalige Bewohner von Kampong Saom als „neues Volk“ umgesiedelt wurden und wo die Lebensbedingungen zu den härtesten in ganz Kambodscha gehörten. Wie Sou Met war auch Muth Assistent beim Zentralkomitee.
Die 164. Division war dem Generalstab und dem Militärkomitee verantwortlich, die von Son Sen, einem Mitglied des Ständigen Ausschusses, bzw. dem Parteisekretär Pol Pot geleitet wurden. Muth durchlief eine politische Schulung auf der Ebene des Zentralkomitees. Er besuchte häufig vom Generalstab anberaumte Treffen, auf denen die Sekretäre anderer Zentrumsdivisionen und Militäreinheiten über die Aktivitäten ihrer Einheiten berichteten, Anweisungen von der Partei erhielten und Parteirichtlinien zustimmten. Bei den Treffen ging es insbesondere um Methoden und Praktiken der Roten Khmer zur Eliminierung ihrer mutmaßlichen internen und externen Feinde, die als „nationale Verteidigungsarbeit“ bezeichnet wurden und die Exekution interner Feinde sowie grenzüberschreitende Angriffe auf Dörfer in Vietnam beinhalteten.
Muth war bis zu seiner Beförderung und Übernahme weiterer Pflichten Ende 1978 direkt für die 164. Division verantwortlich. Anschließend wurde er Mitglied des Generalstabs und soll zudem eine formale Mitgliedschaft im Zentralkomitee erhalten haben. Darüber hinaus wurde ihm die volle militärische und politische Verfügungsgewalt über einen Teil der kambodschanisch-vietnamesischen Grenze (505. Sektor) sowie das Kommando über die dort stationierten Militäreinheiten übertragen.
Die 164. Division war – wie viele anderen Militäreinheiten auf allen Hierarchieebenen und in allen Teilen des Landes – dafür verantwortlich, zumindest im Umkreis ihrer Einsatzorte im Gebiet von Kampong Saom für Sicherheit zu sorgen. Sie verhaftete Arbeiter, die als „Feinde“ beschuldigt wurden, und nahm angeblich auch im benachbarten 37. Sektor gewöhnliche Menschen, die für verdächtig gehalten wurden, fest, um sie zu verhören und gegebenenfalls zu exekutieren oder um sie an örtliche Sicherheitsbüros zu übergeben. Nach einer Säuberungsaktion im Jahr 1977, die sich gegen gegen Rote Khmer richtete, die nicht der 164. Division angehörten, und an der auch Muth teilnahm, soll die Division sich zunehmend direkt für die „Sicherheit“ der Bevölkerung von Kampong Saom verantwortlich gezeigt haben. Zu ihren Hauptaufgaben gehörte auch das Aufspüren mutmaßlicher „Feinde“ in den eigenen Reihen und ihre Überstellung in das divisionseigene Sicherheitsbüro in Wat Entanhean, in das Zwangsarbeits- und Umerziehungslager in Stung Hav, in andere Strafanstalten unter der Kontrolle der Division oder in das Verhörzentrum S-21.
Muth und seine unmittelbaren Untergebenen sollen Hinrichtungen sowohl von Angehörigen der Division als auch gewöhnlichen Bürgern befohlen haben, ohne sich vorher an höhere Hierarchieebenen zu wenden. Aufgrund der menschenunwürdigen Bedingungen in Einrichtungen wie Stung Hav starben zahlreiche Arbeiter an Unterernährung und Krankheiten. Bei der Verhaftung von Divisionskadern und Soldaten, bei denen es sich nach Informationen aus dem S-21 um „Feinde“ handelte, arbeitete die 164. Division auch eng mit dem Verhörzentrum zusammen. Solche Verhaftungen begannen bereits 1976 und dauerten bis Ende 1978 an. Viele derer, die bei den frühen Säuberungsaktionen ins S-21 geschickt wurden, waren Kader und Kämpfer der 164. Division aus der Ostzone. Ab 1976 wurden Kader der 164. Division anderen zentralen Einheiten zugewiesen, um deren Säuberungen zu unterstützen oder beseitigte Kader zu ersetzen. Muth nahm auch an Treffen des Generalstabs teil, bei denen über Säuberungsaktionen in anderen Landesteilen gesprochen wurde.
Als oberste militärische Instanz der Roten Khmer bei den Marineoperationen nach dem 17. April 1975 war Muth direkt für die Abteilungen der 164. Division verantwortlich, die in weiten Teilen des Golf von Thailand patrouillierten. Dort stießen sie zwar gelegentlich mit Schiffen der vietnamesischen oder thailändischen Marine zusammen, griffen aber weitaus häufiger vietnamesische und thailändische Fischerboote oder Boote mit vietnamesischen Flüchtlingen an, die versuchten ins Ausland zu gelangen. Bei diesen Angriffen wurden thailändische und vietnamesische Zivilisten getötet. Gefangen genommene vietnamesische Soldaten und Zivilisten wurden zur Hinrichtung ins S-21 gebracht, vor allem nach Angriffen der Roten Khmer in Vietnam. Auch eine geringe Anzahl thailändischer und westlicher Staatsbürger, die von der 164. Division vor der Küste aufgegriffen wurden, wurden im S-21 getötet.
Ende 1978 führte Muth mit Autorisierung des Zentralkomitees und des Generalstabs eine Säuberungsaktion in den Reihen der örtlichen Roten Khmer und in der lokalen Bevölkerung durch. Die Opfer wurden teilweise ins S-21 gebracht, teilweise vor Ort hingerichtet. Frei gewordene Posten im 505. Sektor und in den zentralen Divisionen, die in seinem Befehlsgebiet stationiert waren, besetzte Muth mit neuen Kadern.
Aom An, alias Tho An, Beschuldigter im Fall 004Der internationale Co-Ankläger wirft Aom An Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
An schloss sich den Roten Khmer an, nachdem er als buddhistischer Mönch in einer Pagode in der Südwestzone gewirkt hatte, die unter dem Einfluss der Bewegung stand. Nach dem Sieg der Roten Khmer am 17. April 1975 wurde An zum Sekretär des Distrikts Kandal Steung im 25. Sektor der Südwestzone ernannt und unterstand damit dem Zonensekretär Mok. Der 25. Sektor bestand aus Gebieten südlich und östlich von Phnom Penh deren Einwohner nach dem 17. April in Gebiete zwangsumgesiedelt wurden, die bereits unter der Kontrolle der Roten Khmer gestanden hatten.
Anfangs wurde ein großer Teil der Bevölkerung von Phnom Penh als „neues Volk“ nach Kandal Steung und in andere Distrikte des 25. Sektors umgesiedelt, wo viele als Offiziere oder Bemte der Khmer-Republik beschuldigt und in lokalen Sicherheitsbüros exekutiert wurden. Viele andere wurden unmenschlichen Bedingungen und Zwangsarbeit unterworfen und starben an Unterernährung und Krankheiten. Ein großer Teil dieses „neuen Volkes“ und der anderen Bewohner des 25. Sektors wurden Ende 1975 Opfer einer weiteren Welle von Zwangsumsiedlungen, in deren Rahmen sie in großen Zahlen und unter menschenunwürdigen Bedingungen in entlegene Landesteile geschickt wurden. Ein erheblicher Teil der Betroffenen starb bereits auf dem Weg dorthin oder kurz nach der Ankunft.
Im Jahr 1976 wurde An in den 35. Sektor verlegt, wo er als Mitglied des Sektorkomitees tätig war. In dieser Eigenschaft oblag ihm die Aufsicht über die Zwangsarbeit, einschließlich des Baus von Bewässerungsanlagen und anderen Anlagen zur Wasserversorgung auf sektoraler Ebene und in den Distrikten, wo die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu zahllosen Todesopfern durch Hunger und Krankheiten führten. An soll zudem gemeinsam mit anderen Funktionären im 35. Sektor die Befehlsgewalt über die Sektoralen Sicherheitsbüros, die zahlreichen Distrikts-Sicherheitsbüros und kleinere Hafteinrichtungen gehabt haben, die wie ihre Pendants in anderen Teilen Kambodschas für außergerichtliche Hinrichtungen in großem Umfang und für die Folter und unmenschliche Behandlung von Personen verantwortlich waren, die als „Verräter“, „Feinde“ oder „ungute Elemente“ beschuldigt und willkürlich festgenommen wurden.
Während den man den meisten Personen, die zu dieser Zeit im 35. Sektor Opfer der Säuberungen wurden, vorwarf, politische, soziale oder familiäre Verbindungen zur unterlegenen Khmer-Republik zu unterhalten, gerieten ab 1976 auch Personen aus den Reihen der Roten Khmer, ihrer Lokalverwaltung und ihrer Streitkräfte ins Visier der Säuberungen. Sie wurden wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Khmer-Republik, angeblicher Kontakte nach Vietnam oder wegen nicht belegter „verräterischer Tendenzen“ durch die Distrikts-, Sektor- oder Zonenbehörden inhaftiert. Zu den Opfern gehörten auch Mitglieder der örtlichen Cham-Bevölkerung, einer islamischen Minderheit, die ebenfalls zum Ziel der Repression wurde, insbesondere nachdem sie sich mit Aufständen gegen die Verfolgung zur Wehr gesetzt hatte.
Irgendwann zwischen März und Mai 1977 wurde An versetzt und erhielt eine bedeutende Beförderung. Er wurde Sekretär der 41. Sektors in der Nordzone (später Zentralzone). Unter Ke Pork, einem Mitglied des Zentralkomitees der Roten Khmer wurde er zudem zum Vize-Sekretär der gesamten Zone ernannt. In dieser Eigenschaft soll An dem Zonensekretär Pork auch ins Zentralkomitee – das nach dem Ständigen Ausschuss zweithöchste Führungsorgan der Roten Khmer mit landesweiter Befehlsgewalt – gefolgt sein. Das Komitee trat in der Regel mindestens halbjährlich in Phnom Penh zusammen, um dem Ständigen Ausschuss Bericht zu erstatten und dessen Anweisungen entgegenzunehmen.
Als an im 41. Sektor ankam, war dort bereit seine umfangreiche Säuberungsaktion in den Reihen der Roten Khmer im Gange. Auch die Säuberungen unter den Angehörigen des „neuen Volks“, das aus ehemaligen Gebieten der Khmer-Republik umgesiedelt worden war, und innerhalb des alteingesessenen „Veteranenvolks“ nahmen dramatisch zu. All dies geschah auf Befehl des Ständigen Ausschusses unter der Kontrolle von Pork und unter maßgeblicher Beteiligung von An. Zeugenaussagen zufolge, soll An persönlich Anordnungen zur Aufspürung mutmaßlicher „Feinde“ und ähnlicher Elemente gegeben haben.
Viele Opfer der innerparteilichen Säuberungen in der Nord-/Zentralzone wurden in das Gefängnis S-21 in Phnom Penh gebracht, wo sie unter Folter verhört und anschließend exekutiert wurden. Niederrangige Rote Khmer-Kader, „neues Volk“ und Angehörige der lokalen Bevölkerung wurden standrechtlich hingerichtet oder auf unbestimmte Zeit und unter äußerst unmenschlichen Bedingungen vor Ort inhaftiert, zumeist in Distrikts- oder sektoralen Sicherheitsbüros im 41. Sektor und anderswo. Als Sekretär des 41. Sektors hatte An die direkte Befehlsgewalt über die dem Sektor untergeordneten Distrikte und untergeordnete administrative Ebenen. In den Gebieten unter seiner Führung, wurden der Bevölkerung immer unmenschlicherer Praktiken aufgezwungen. Als stellvertretender Zonensekretär war er zumindest mitverantwortlich für die außerhalb des 41. Sektors gelegenen Teile der Zone.
An verwaltete auch den Distrikt Kang Meas, wo in der zweiten Hälfte des Jahres 1977 angeblich der Völkermord an den Cham begann, der sich im folgenden Jahr auf das ganze Land ausweitete. An war auch in die allgemeine Eskalation der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zentralzone und im 41. Sektor verwickelt, der im Jahr 1978 Menschen aus allen Bevölkerungsteilen, einschließlich Mitglieder der Roten Khmer, zum Opfer fielen. Als stellvertretender Zonensekretär war An auch für die wichtigste Zwangsarbeitsstätte der Zone verantwortlich, die Baustelle des „Erster-Januar-Staudamms“ und angeschlossener Bewässerungsanlagen, einem Projekt zur Wasserversorgung der Sektoren 42 und 43. Das Projekt war zwar vor seinem Amtsantritt begonnen worden, wurde jedoch erst unter seiner Führung fertiggestellt. An den Arbeitsstätten wurden zahllose Arbeiter außergerichtlich hingerichtet oder starben an Hunger und Krankheiten.
Yim Tith, Beschuldigter im Fall 004Der internationale Co-Ankläger beschuldigt Yim Tith wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Tith stammt aus dem Distrikt Tram Kak in der Provinz Takeo. Nachdem er zuerst in Takeo, dann in Phnom Penh als buddhistischer Mönch wirkte, engagierte er sich mindestens seit den 1960er Jahren in der kommunistischen Bewegung. Er heiratete schließlich eine Schwester von Mok. Während des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik in den Jahren 1970-75 wurde Tith leitender Kader im Distrikt Kirivong im 13. Sektor der Südwestzone, wo Mok seine Machtbasis hatte. Am 17. April 1975 war Tith bereits zum Parteisekretär für den Distrik Kirivong an der Grenze zu Vietnam aufgestiegen. Zu einem gewissen Zeitpunkt soll Tith zumindest Mitglied des Sektorkomitees im 13. Sektor gewesen sein, was ihm eine gewisse Verantwortung für den gesamten Sektor verliehen hätte.
Als Parteisekretär für Kirivong hatte Tith die direkte Hoheitsgewalt über die Bevölkerung des Distrikts, zu der ab April 1975 auch das aus ehemals von der Khmer-Republik kontrollierten Gebieten zwangsumgesiedelte „neue Volk“ gehörte. Tith unterstanden zudem ein Distrikts-Sicherheitsbüro, das sich schließlich in War Pratheat befand, und untergeordnete Sicherheitsoperationen zur Aufspürung und Hinrichtung ehemaliger Offiziere und Beamter der Khmer-Republik sowie Einheimischer, die für „Verräter“ oder „Feinde gehalten wurden. „Neues Volk“, Einheimische, die beschuldigt wurden, „ungute Elemente“ zu sein oder unerwünschte politische „Tendenzen“ zu haben, und andere Personen wurden festgenommen, in Sicherheitsbüros oder Hafteinrichtungen im gesamten Distrikt inhaftiert und durch schwere Zwangsarbeit „umerzogen“. Viele von ihnen starben. Tith überwachte auch die Distriktsverwaltung von Kirivong, die für unmenschliche Lebensbedingungen und zahllose Todesopfer verantwortlich war.
Mitte 1978 wurde Tith befördert und in die Nordwestzone versetzt, wo er Sekretär des 1. Sektors wurde. Er wurde zudem ein wichtiges Mitglied des Zonenkomitees, in dem Mok in Konkurrenz zu seinen vielen anderen Führungspositionen und nach einer langen Serie blutiger Säuberungen, die praktisch alle ursprünglichen Kader in der Nordwestzone beseitigt hatten, als Sekretär den Vorsitz hielt. Tith hatte zumindest den 1. Sektor sowie dessen untergeordnete Distrikte und Einheiten unter seiner direkten Kontrolle. Man geht davon aus, dass darüber hinaus zumindest bestimmte Gebiete im Nordwesten unter seinem Befehl standen. Tith soll den Abschluss einer Säuberungsaktion alteingesessener lokaler Kader überwacht haben und die „Reinigung“ der Bevölkerung als Ganzes stark ausgeweitet haben. Infolgedessen wurden unzählige Menschen zur Exekution in die Sicherheitsbüros der Distrikte oder des Sektors gebracht oder an anderen Ort getötet.
Bestimmte Gruppen, insbesondere die Minderheit der Khmer Krom und die verbleibende vietnamesische bzw. als vietnamesisch wahrgenommene Bevölkerung, sollten offenbar vollständig eliminiert werden. Auch Personen, die in Verbindung mit den Säuberungen Mitte 1978 aus der Ostzone zwangsumgesiedelt wurden, wurden in großer Anzahl ermordet. Die Lebensbedingungen im Nordwesten verschlechterten sich immer weiter und führten zu einem steilen Anstieg der Opferzahlen, die auf Unterernährung und Krankheit zurückzuführen waren.
Im Chem, alias Srei Chem, Beschuldigte in Fall 004Der internationale Co-Ankläger wirft Im Chem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Chem stammt aus Moks Heimatdistrikt Tram Kak im 13. Sektor der Südwestzone. Ihre Familie engagierte sich spätestens seit den 1960er in der kommunistischen Bewegung Kambodschas. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs 1970 war sie als Kader in der Bewegung aktiv.
Im Jahr 1976 zog Chem als Vertreterin der Kleinbauern in der Südwestzone in die von den Roten Khmer zusammengestellte Volksversammlung ein, während ihr Ehemann Nop Nhen Sekretär eines Distrikts in der Zone wurde. Mitte 1977 wurden Chem und Nhen in den 5. Sektor in der Nordwestzone versetzt, wo Chem Sekretärin des Distrikts Preah Net Preah und Nhen Sekretär des Distrikts Sisophon wurde. Chem behielt diesen Posten bis Ende 1978.
Die Versetzung Chems und ihres Ehemannes in die Nordwestzone fiel mit dem Beginn einer ausufernden Säuberungswelle innerhalb der ursprünglichen Rote Khmer-Kader in der Region sowie mit der Ankunft zahlreicher Rote Khmer-Beamter aus anderen Regionen zusammen, die beseitigte Kader ersetzen sollten. Chem und andere neue Kader waren angeblich an weiteren Säuberungen Anfang 1979 beteiligt.
Die Opfer der Säuberungen im Distrikt Preah Net Preah und in benachbarten Teilen des 5. Sektors wurden – nachdem Chem ihre Führungsposition eingenommen hatte – zum Teil zur außergerichtlichen Hinrichtung in das S-21-Zentrum gebracht, zum Teil vor Ort getötet oder zur Umerziehung und Zwangsarbeit inhaftiert, unter anderem in einer Reihe von Einrichtungen in Preah Net Preah, über die Chem die Aufsicht oder zumindest einen gewissen Einfluss hatte, etwa Phnom Trayoung. Die Säuberungen weiteten sich Mitte 1978 stark aus und eskalierten am Jahresende in blutigen Flügelkämpfen zwischen rivalisierenden Netzwerken innerhalb der Roten Khmer.
Chem soll zudem den Einsatz von Zwangsarbeit beim Bau von Wasserversorgungsanlagen in Verbindung mit dem Trapeang Thmar-Staudammprojekt im 5. Sektor überwacht haben. Die Bauarbeiten hatten zwar bereits vor ihrer Ankunft begonnen, wurden jedoch erst abgeschlossen, nachdem ihr die Verantwortung für den Distrikt Preah Net Preah übertragen wurde. Die äußerst rauen Bedingungen die den unter Chems Kontrolle stehenden Arbeitern zugemutet wurden, forderten zahlreiche Todesopfer. Manche Zwangsarbeiter wurden direkt an der Arbeitsstätte exekutiert, weil sie sich über die Arbeitsbedingungen beklagt hatten oder den Anforderungen nicht mehr gerecht wurden. Die allgemeinen Lebensbedingungen für die Bevölkerung von Preah Net Preah waren unter Chems Führung außerordentlich schlecht. Sie verschlechterten sich in vielen Teilen des Distrikts noch weiter und führten zu zahlreichen Todesfällen durch Hunger und Krankheit. Personen, die sich beklagten oder die für „faul“ befunden wurden, weil sie das geforderte Arbeitspensum nicht erfüllten, wurden in den im gesamten Distrikt verteilten Zwangsarbeits- und Umerziehungsstätten inhaftiert oder exekutiert.
Chem soll als sich die Herrschaft der Roten Khmer angesichts der Vorstöße des vietnamesischen Militärs Ende 1978/Anfang 1979 bereits im Zerfall befand eine Welle von Morden an Personen geleitet haben, denen regimekritische Ansichten unterstellt wurden. Während Chems gesamter Amtszeit als Sekretärin des Distrikts Preah Net Preah wurden Personen, denen Verbindungen zur unterlegenen Khmer-Republik nachgesagt wurden, Personen mit Kontakten zu „beseitigten“ lokalen Kadern und Personen, die für Vietnamesen gehalten wurden, Opfer von Exekutionen und Zwangsarbeit.
UN-Menschenrechtsrat: Jüngste Erfolge fortführen
(Genf, 22. September 2011) – Der UN-Menschenrechtsrat soll auf den Erfolgen der letzten Jahre aufbauen und seine Arbeit zu Menschenrechtsverletzungen weiter verbessern, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Seit Juli 2010 hat der Menschenrechtsrat internationale Untersuchungen in Libyen, Syrien und der Elfenbeinküste veranlasst, einen Experten zur Menschenrechtssituation im Iran ernannt und sich nach Jahren des Schweigens zu Menschenrechtsverletzungen in Weissrussland geäußert.
Der 69-seitige Bericht „Keeping the Momentum: One Year in the Life of the UN Human Rights Council” untersucht die Arbeit des Menschenrechtsrats von Juli 2010 bis Juni 2011. Zudem werden bemerkenswerte Erfolge im fünften Jahr seines Bestehens genannt.
„Der Menschenrechtsrat wird zunehmend seinem Mandat gerecht, indem er schnell auf Menschenrechtskrisen in Ländern wie Syrien und der Elfenbeinküste reagiert hat“, so Juliette de Rivero, Direktorin des Genfer-Büros von Human Rights Watch. „Die Herausforderung besteht nun darin, dass der Menschenrechtsrat diese positive Entwicklung fortführt und nicht wieder rückgängig macht.“
Der Bericht zeigt, wie einzelne Staaten, darunter Argentinien, Brasilien, Chile, die Malediven, Mexiko, die Vereinigten Staaten und Sambia, eine wichtige Rolle gespielt haben, um den Menschenrechtsrat voranzubringen. Zudem wird das Verhalten von Ländern wie China, Kuba, Ägypten, Pakistan und Russland untersucht, die oft versucht haben, diese positive Entwicklung zu behindern. Der Bericht zeigt auch die Mängel auf, einschließlich der unwirksamen und unverhältnismäßigen Behandlung von Menschenrechtsverletzungen in Israel und den besetzen palästinensischen Gebieten. Zudem hat der Menschenrechtsrat unangemessen auf Menschenrechtsverletzungen in anderen Regionen reagiert, die eine größere Beachtung erfordern, so etwa Afghanistan, Bahrain und Sri Lanka.
Die Arbeit des Menschenrechtsrats war dann erfolgreich, wenn Länder über Regionen hinweg zusammengearbeitet haben und dabei die Initiative ergriffen haben, um die Menschenrechte zu schützen. Dadurch wurde eine Polarisierung vermieden und der Menschenrechtsrat konnte sich auf die Lösung von Menschenrechtsfragen konzentrieren, anstatt sich mit rivalisierenden oder widersprechenden Positionen auseinanderzusetzen. Doch einige Länder haben sich dem Versuch widersetzt, den Menschenrechtsrat als eine Institution zu etablieren, die wirkungsvoll auf Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Staaten reagiert. Manche Länder haben sich sogar kategorisch gegen Bemühungen gewandt, Menschenrechtsverletzungen auch dann zu behandeln, wenn die betroffenen Staaten sich widersetzen.
„Der Menschenrechtsrat hat schnell und wirkungsvoll auf mehrere Krisen im vergangenen Jahr reagiert“, so de Rivero. „Dies war ein weiter Weg. Dennoch hat er sich zur Menschrechtslage in vielen Teilen der Welt noch nicht geäußert, wo Menschenrechtsverletzungen ignoriert werden.“
Human Rights Watch fordert die Länder auf, die kürzlich in den Rat gewählt worden sind, wie Benin, Botswana, Costa Rica, Indien, Indonesien, Italien, Kuweit und Peru, diese Entwicklung zu unterstützen. Die neu gewählten Staaten werden mit darüber entscheiden, ob der Menschenrechtsrat den positiven Weg des letzen Jahres fortsetzt oder wieder in frühere Verhaltensmuster zurückfällt. Denn lange Zeit konnten Staaten, zu denen der Menschenrechtsrat arbeiten wollte, eine Entscheidung blockieren, unabhängig davon was dies für die Menschenrechtslage vor Ort bedeutete. Zugleich sollen aber die Länder, die zum Erfolg des Menschenrechtsrats im letzten Jahr beigetragen haben, sich weiter für Verbesserungen einsetzen, so Human Rights Watch.
„Die neuen Mitglieder des Menschenrechtsrats können eine entscheidende Rolle dabei spielen, welche Wirkung das Gremium hat“, so de Rivero. „Sie sollen sich auch mit den Ländern verbünden, die zu den jüngsten Erfolgen beigetragen haben, um diese fortzusetzen und vorhandene Problemen zu lösen.“
Der Bericht untersucht, wie der Menschenrechtsrat auf den jüngsten Erfolgen aufbauen kann, um die Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen. Der Menschenrechtsrat soll seinem Mandat gerecht werden: die Menschenrechte aller Menschen weltweit zu fördern und zu schützen.
Jan Egeland bei Human Rights Watch
(Brüssel, 2. September 2011) -- Jan Egeland, ehemaliger UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und früherer Staatssekretär im norwegischen Außenministerium, ist seit August stellvertretender Executive Director und erster Europa-Direktor von Human Rights Watch.
Egelands Aufgabe wird es sein, die Arbeit von Human Rights Watch in Europa zu stärken, sich für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen und europäische Regierungen und Institutionen auf Menschenrechtsverletzungen weltweit aufmerksam zu machen. Egeland gibt gleichzeitig seinen Posten als Direktor des Norwegischen Instituts für Internationale Angelegenheiten auf.
„Nach den verheerenden Terroranschlägen waren sich die norwegische Bevölkerung und die Regierung einig, dass ein aktiver Schutz der offenen Demokratie und des Rechtsstaats die beste Antwort auf den Terror sind“, so Egeland, der auch schon im Ferienlager von Utoya, einem der Schauplätze der Anschläge vom 22. Juli 2011, Vorträge gehalten hat. „Hoffentlich kann diese Reaktion Norwegens als Modell für andere Gesellschaften dienen. Human Rights Watch muss viel zu oft für den Schutz der Menschenrechte eintreten, wenn Staaten dem Terrorismus den 'Krieg' erklären.“
Als UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten von 2003 bis 2006 setze sich Egeland für die Reform des globalen Systems zur Reaktion auf humanitäre Krisen ein und koordinierte die internationale Antwort auf den Tsunami in Asien sowie die Krisen in Darfur, der Demokratischen Republik Kongo und im Libanon. Das Time Magazine nannte ihn einen der 100 „Menschen, die unsere Welt gestalten“.
Als stellvertretender norwegischer Außenminister war Egeland von 1990 bis 1997 in einer Reihe von Friedensprozessen aktiv. Er war an der norwegischen Vermittlung zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) wesentlich beteiligt, die 1993 in das Oslo-Abkommen mündete. Er leitete außerdem die norwegische Delegation der UN-Friedensgespräche, die zur Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens zwischen der Regierung von Guatemala und den Guerilleros der Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca (URNG) 1996 in Oslo führten. Außerdem leitete er die Delegation Norwegens, als 1997 in Oslo der Ottawa-Vertrag zur Ächtung von Antipersonenminen erfolgreich verhandelt und unterzeichnet wurde.
Von 1999-2002 arbeitete er als Sondergesandter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Kolumbien. Egeland hatte zudem Funktionen beim Norwegischen Roten Kreuz, dem Henry-Dunant-Institut, der Norwegian Broadcasting Corporation und Amnesty International inne.
In Europa unterhält Human Rights Watch Büros in Brüssel, London, Paris, Berlin, Genf, Moskau, Zürich und Amsterdam.
ILO: Bahnbrechendes Abkommen zum Schutz von Hausangestellten
(Genf, 16. Juni 2011) – Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat ein neues, bahnbrechendes Abkommen verabschiedet, das Hausangestellten zentrale Arbeitnehmerrechte garantiert und damit Millionen von Menschen schützt, denen bislang grundlegende Rechtsgarantien vorenthalten wurden, so Human Rights Watch. Die Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen, die in der ILO vertreten sind, stimmten mit überwältigender Mehrheit für das „Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte“, das zum ersten Mal globale Standards für die weltweit schätzungsweise 50 bis 100 Millionen, größtenteils weiblichen Hausangestellten setzt.
Die Mitglieder der ILO benötigten drei Jahre für die Ausarbeitung der Konvention, die der Benachteiligung von Hausangestellten entgegenwirken soll. Diesen werden routinemäßig Rechte vorenthalten, auf die andere Arbeitnehmer einen Anspruch haben, etwa wöchentliche arbeitsfreie Tage, Arbeitszeitbeschränkungen oder Mindestlöhne. Hausangestellte sind einem breiten Spektrum schwerer Menschenrechtsverletzungen und ausbeuterischer Methoden ausgesetzt, etwa extrem langen Arbeitszeiten ohne Pausen, der Einbehaltung von Lohn, körperlichem und sexuellem Missbrauch, Zwangsarbeit, Freiheitsberaubung durch Zwangsunterbringung und Menschenhandel.
„Begünstigt durch die verbreitete Diskriminierung von Frauen und den mangelhaften gesetzlichen Schutz hat der Missbrauch von Hausangestellten in allen Teilen der Welt stark zugenommen“, so Nisha Varia, Frauenrechtsexpertin von Human Rights Watch. „Durch das neue Abkommen werden Haushaltskräfte, Kinderbetreuer und Pflegekräfte endlich als Arbeitnehmer anerkannt, die Respekt und rechtliche Gleichstellung verdienen.“
Das Übereinkommen verpflichtet Regierungen, Hausangestellte im gleichen Maße wie andere Arbeitnehmer arbeitsrechtlich zu schützen. Dazu gehören Arbeitszeitbeschränkungen, Mindestlöhne, Überstundenvergütung, tägliche und wöchentliche Ruhezeiten, Sozialversicherung und Mutterschutz.
Während der zweijährigen Verhandlungsphase gab es hitzige Debatten über Fragen wie Arbeitszeiten, Hausangestellte, die an ihrem Arbeitsplatz wohnen, Sachentlohnung, etwa in Form von Unterbringung, sowie Kontrollen der Arbeitsbedingungen in Privathäusern.
Australien, Brasilien, Südafrika und die USA machten sich an vorderster Front für weitreichende Schutzbestimmungen stark. Sie erhielten dabei die Unterstützung vieler afrikanischer und lateinamerikanischer Regierungen. Die Europäische Union brachte die meisten Bedenken vor und sprach sich häufig für schwächere und flexiblere Regelungen aus.
Swasiland stimmte der Konvention als einziges Land nicht zu. El Salvador, Malaysia, Panama, Großbritannien, Singapur, Sudan, Tschechien und Thailand enthielten sich der Stimme.
Die Mitglieder des Golf-Kooperationsrats (Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate) wie auch Bangladesch, Indonesien und Indien revidierten ihre anfängliche Ablehnung eines rechtlich bindenden Übereinkommens und gaben der Konvention sowohl in der letzten Verhandlungsrunde als auch in der abschließenden Abstimmung ihre Unterstützung.
„In der heutigen Abstimmung wird ein neuer Konsens erkennbar. Regierungen können die Tatsache, dass Hausangestellte ihre Arbeit in Privathäusern verrichten, nicht mehr als Rechtfertigung heranziehen, um sich aus ihrer Verantwortung für den Schutz von Arbeitnehmerrechten zu stehlen“, so Jo Becker, Advocacy-Direktorin in der Kinderrechtsabteilung von Human Rights Watch. „Jede Regierung soll nun ihre nationale Gesetzgebung mit diesem wegweisenden Abkommen in Einklang bringen und es zügig ratifizieren.“
Der ILO zufolge sind 30 Prozent aller Hausangestellten weltweit Kinder. Viele nationale Gesetze über Kinderarbeit schließen häusliche Arbeit aus und lassen zu, dass Kinder schon in jungem Alter viele Stunden lang arbeiten. Durch die Trennung von ihren Familien und die vollständige Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern sind Hausangestellte im Kindesalter besonders verwundbar.
Human Rights Watch-Recherchen über minderjährige Hausangestellte in El Salvador, Guinea, Indonesien, Marokko und Togo ergaben, dass manche Kinder bereits im Alter von sechs Jahren zu arbeiten beginnen und dies bis zu 16 Stunden pro Tag, sieben Tage pro Woche. Eine Untersuchung von Human Rights Watch in Indonesien zeigte, dass nur ein einziges der 45 befragten minderjährigen Hausangestellten eine Schule besuchte. Hausangestellte im Kindesalter sind darüber hinaus auch körperlicher und sexueller Gewalt schutzlos ausgeliefert.
Das neue ILO-Übereinkommen verpflichtet Regierungen, ein Mindestalter für häusliche Arbeit festzulegen und dafür zu sorgen, dass oberhalb dieser Altersgrenze die Schulbildung nicht durch die Erwerbsarbeit beeinträchtigt wird. Eine begleitende Empfehlung fordert Regierungen auf, die Arbeitszeiten für Hausangestellte im Kindesalter streng zu begrenzen und Tätigkeiten zu verbieten, welche die Gesundheit, Sicherheit oder Wertvorstellungen von Kindern gefährden.
„Millionen Mädchen nehmen eine Arbeit als Hausangestellte an, weil sie sich dadurch ein besseres Leben erhoffen. Tatsächlich opfern sie jedoch ihre Schulbildung und Zukunftschancen für geringe Löhne und lange Arbeitszeiten“, so Becker. „Die Konvention wird diesen Kindern eine echte Chance geben, die Schule abzuschließen und der Armut zu entfliehen.“
Migranten stellen einen zunehmend großen Anteil der Hausangestellten. Ihre Einkünfte machen einen bedeutenden Teil der Überweisungen in Entwicklungsländer aus, die sich insgesamt auf mehrere Milliarden US-Dollar pro Jahr belaufen. Aufgrund überzogener Gebühren für die Arbeitsvermittlung, der Konfiszierung von Ausweisen durch den Arbeitgeber, nationaler Richtlinien, die den Aufenthaltsstatus vom Arbeitgeber abhängig machen, sowie Sprachbarrieren ist das Risiko der Ausbeutung für Migranten, die als Hausangestellte arbeiten, besonders hoch.
In ganz Asien und im gesamten Nahen Osten werden Arbeitsvermittlungsagenturen nur unzureichend staatlich kontrolliert. Die Arbeitsvermittler bürden Hausangestellten häufig eine hohe Schuldenlast auf oder informieren irreführend über angebotene Stellen. Menschenrechtsverletzungen in der Personalbeschaffung, die Isolation von Hausangestellten in Privathäusern sowie unzureichende Arbeits- und Einwanderungsgesetze tragen erheblich zu Zwangsarbeit, Menschenhandel und häuslicher Sklaverei bei. Obwohl der Strom von Hausangestellten mittlerweile Millionen von Menschen umfasst und vor kaum einer Grenze Halt macht, ist die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet bislang zaghaft und sporadisch.
Das neue Abkommen gibt den Regierungen detaillierte Empfehlungen, wie sie private Arbeitsagenturen regulieren, Beschwerden untersuchen und die Praxis, Vermittlungsgebühren vom Lohn der Hausangestellten abzuziehen, verbieten können. Die Konvention verlangt zudem, dass Migranten, die als Hausangestellte arbeiten, einen schriftlichen Arbeitsvertrag erhalten, der im Land ihrer Beschäftigung einklagbar ist. Abschließend fordert das Übereinkommen auch eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit.
„In vielen Ländern suchen immer mehr Haushalte nach ausländischen Hausangestellten, die sich um Kinder und Senioren kümmern“, so Varia. „Die neuen ILO-Standards stellen eine hervorragende Ausgangsbasis dar, um der Arbeit von Hausangestellten mehr Anerkennung zu verschaffen und Systeme einzurichten, die nicht nur auf Verstöße reagieren, sondern sie von vornherein verhindern.“
Von den 475 Stimmen, die von Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen abgegeben wurden, sprachen sich 396 für und 16 gegen die Konvention aus. 63 Delegierte enthielten sich.