Menschenrechte

Bundeskanzler Merz in Israel: Ein Test für Deutschlands Glaubwürdigkeit

Click to expand Image Friedrich Merz während seines offiziellen Besuchs als Bundeskanzler im Roten Rathaus, Berlin, Deutschland, 3. Dezember 2025. © 2025 Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopr/picture-alliance/dpa/AP Photo

Bundeskanzler Friedrich Merz reist am 6. Dezember nach Israel und trifft dort unter anderem Premierminister Benjamin Netanjahu. Netanjahu wird vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen gesucht – darunter die gezielte Aushungerung der Zivilbevölkerung und Angriffe auf Zivilist*innen.

Merz setzt damit Deutschlands Glaubwürdigkeit in Fragen der Internationalen Gerechtigkeit aufs Spiel.

Die Bundesrepublik ist Mitglied des IStGH und hat erst in dieser Woche maßgeblich zur Überstellung des ersten Verdächtigen im Rahmen der laufenden Libyen-Ermittlungen nach Den Haag beigetragen. Der Gerichtshof ist darauf angewiesen, dass Staaten Haftbefehle vollstrecken, sobald sich Gesuchte auf ihrem Territorium befinden.

Die Kooperation Deutschlands im Libyen-Fall ist genau die Art von Unterstützung, die die internationale Strafjustiz jetzt dringend benötigt. Insbesondere weil der IStGH massiv unter Druck steht.

So hat Russland Haftbefehle gegen Gerichtsfunktionäre erlassen, und zusätzlich wurden IStGH-Ankläger*innen, Richter*innen sowie Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, von den USA mit Strafmaßnahmen belegt. Letztere explizit wegen des Verfahrens gegen Netanjahu.

Merz wäre der erste deutsche Bundeskanzler, der öffentlich einen vom IStGH gesuchten Politiker trifft – ein Schritt, der Deutschlands klares Bekenntnis zum Gerichtshof massiv in Frage stellen würde.

Der IStGH ist für Tausende Opfer und ihre Familien die letzte Hoffnung auf Gerechtigkeit. Ohne rechtliche Aufarbeitung von Gräueltaten – einschließlich der Verbrechen von Hamas und anderen palästinensischen bewaffneten Gruppen am 7. Oktober und danach sowie der Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordhandlungen durch israelische Behörden in Gaza – werden die Verletzungen und die Ungerechtigkeit weitergehen.

Auch jenseits von Fragen internationaler Gerechtigkeit zeigt die anhaltende Repression gegen Palästinenser trotz des fragilen Waffenstillstands in Gaza, warum Deutschland den Druck auf Israel aufrechterhalten sollte. In den vergangenen zwei Jahren haben israelische Streitkräfte Zehntausende Zivilist*innen getötet, ausgehungert und gewaltsam vertrieben, die zivile Infrastruktur Gazas zerstört und Krankenhäuser, Schutzunterkünfte, humanitäre Helfer*innen und Journalist*innen ins Visier genommen. Im Westjordanland haben Zwangsvertreibungen, exzessive Gewalt, Administrativhaft, Folter, die Ausweitung illegaler Siedlungen und staatlich unterstützte Siedlergewalt zugenommen – Teil der anhaltenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Apartheid und Verfolgung durch israelische Behörden.

Human Rights Watch fordert, dass Netanjahu sanktioniert, untersucht und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt wird.

Es darf kein diplomatisches „Business as usual“ mit Netanjahu oder anderen Personen geben, die wegen Gräueltaten vom IStGH gesucht werden. Deutschland sollte stattdessen Israel auffordern, die Repression gegen Palästinenser*innen zu beenden sowie Waffenexporte stoppen, gezielte Sanktionen gegen israelische Verantwortliche für schwere Menschenrechtsverletzungen verhängen, Handelspräferenzabkommen aussetzen, den Handel mit illegalen Siedlungen verbieten und sich verpflichten, alle Haftbefehle des IStGH zu vollstrecken.

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Eine Chance, weltweite Missstände im Bergbau anzugehen

Click to expand Image Dammbruch in einer Mine von Sino-Metals Leach Zambia in der Nähe von Kitwe, Sambia, aus einem Video vom 19. Februar 2025. © 2025 AP Photo/Richard Kille, file

Als der 29-jährige Norbert Amoya Anfang dieses Jahres Wasser aus einem Fluss im Norden Sambias holen wollte, fand er große Mengen toter Fische vor, und das Wasser hatte einen seltsamen Geruch. Die Ursache dafür war eine schwere Bergbaukatastrophe. Am 18. Februar war ein Damm in einer chinesischen Kupfermine gebrochen und hatte giftige Abfälle in einen Nebenfluss des größten Flusses Sambias gespült – eine Bedrohung für das Ökosystem, die Lebensgrundlage von Millionen Menschen und ein gravierendes Risiko für Krebs und andere Gesundheitsprobleme in den betroffenen Gemeinden.

Solche Katastrophen sind vermeidbar.

In dieser Woche kommen Staaten zur Umweltversammlung der Vereinten Nationen zusammen, dem weltweit wichtigsten Gremium für Umweltpolitik, um über Maßnahmen zur Verhinderung solcher Vorfälle zu beraten. Die kolumbianische Regierung hat die Initiative ergriffen und schlägt einen neuen globalen Vertrag vor, um Umweltrisiken im Bergbau anzugehen – einschließlich Sorgfaltspflichten und Rückverfolgbarkeit in den Lieferketten von Mineralien. Zahlreiche andere Regierungen, darunter Armenien, Ecuador, Oman und das von Verschmutzung betroffene Sambia, schließen sich der Initiative an, die eine „umweltverträgliche Bewirtschaftung von Mineralien und Metallen“ fordert.

Während Umweltstandards in den USA und das EU-Lieferkettengesetz geschwächt werden, ist diese Initiative ein mutiger Schritt, der von zivilgesellschaftlichen Gruppen, darunter Human Rights Watch, begrüßt wird.

Als ersten Schritt schlagen Kolumbien und seine Verbündeten die Einrichtung einer UN-Arbeitsgruppe vor, die Optionen für verbindliche und unverbindliche Maßnahmen prüfen soll. Solche Arbeitsgruppen haben in der Vergangenheit erfolgreich Vertragsprozesse angestoßen.

Doch es gibt Widerstand, und die Verhandlungen auf dem Gipfel dürften schwierig werden, da einige Länder, darunter Saudi-Arabien, Iran und Russland, sich gegen verbindliche Maßnahmen stellen.

Freiwillige Maßnahmen von Unternehmen reichen nicht aus, um Menschenrechte und Umwelt zu schützen, wie Untersuchungen von Human Rights Watch und anderen wiederholt gezeigt haben. In Sambia hat das chinesische Unternehmen zwar einige Entschädigungszahlungen an Gemeindemitglieder geleistet, soll aber gleichzeitig eine Studie über das volle Ausmaß der Katastrophe verhindert haben.

Die Nachfrage nach Mineralien für Energiewende, Verteidigung und andere Technologien steigt rasant. Es ist entscheidend, dass Regierungen weltweit den Schutz der Umwelt und die Sicherung der Menschenrechte in globalen Lieferketten für Mineralien jetzt gewährleisten. Alle Regierungen, die in dieser Woche an der Versammlung teilnehmen, sollten die kolumbianische Initiative für einen verbindlichen Mineralienvertrag unterstützen.

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Russland: Regierung erklärt Human Rights Watch für „unerwünscht“

Click to expand Image Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, Moskau, 2010. © REUTERS/Alexander Natruskin

(Berlin, 28. November 2025) – Die Einstufung von Human Rights Watch als „unerwünschte“ ausländische Organisation durch das russische Justizministerium, die am 28. November öffentlich gemacht wurde, ist ein weiteres Zeichen für die Repression des Kremls, erklärte Human Rights Watch heute. Die Einstufung verbietet der Organisation jegliche Tätigkeit in Russland.

„Seit über drei Jahrzehnten drängt die Arbeit von Human Rights Watch in postsowjetischem Russland die Regierung, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten“, sagte Philippe Bolopion, Exekutivdirektor von Human Rights Watch. „Unsere Arbeit hat sich nicht verändert, aber was sich dramatisch verändert hat, ist die kompromisslose Hinwendung der Regierung zu diktatorischen Maßnahmen, der erschreckende Anstieg der Repression und das Ausmaß der Kriegsverbrechen, die ihre Streitkräfte in der Ukraine begehen.“ 

Die Entscheidung, Human Rights Watch zu verbieten, traf die Generalstaatsanwaltschaft am 10. November, wie aus dem heute aktualisierten Register „unerwünschter“ Organisationen des Justizministeriums hervorgeht. Die offiziellen Gründe für die Einstufung sind nicht bekannt.

Im Jahr 2022, sechs Wochen nach Beginn von Russlands Großinvasion in der Ukraine, entzogen die russischen Behörden der Moskauer Niederlassung von Human Rights Watch die Registrierung. Das Büro, das seit 1992 in Russland tätig war, musste daraufhin schließen, doch unsere Arbeit ging weiter. Human Rights Watch begann seine Arbeit zu Russland 1978, während der Sowjetzeit.

Das Gesetz über „unerwünschte“ Organisationen ist eines der mächtigsten Instrumente im Arsenal repressiver Gesetze, die die russischen Behörden in den letzten Jahren eingeführt haben, um jegliche Kritik an der Regierung zum Schweigen zu bringen und unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen handlungsunfähig zu machen.

Nach der russischen Gesetzgebung von 2015 kann die Staatsanwaltschaft jede ausländische oder internationale Organisation als „unerwünscht“ einstufen, die angeblich die Sicherheit, Verteidigung oder verfassungsmäßige Ordnung Russlands untergräbt. „Unerwünschte“ Organisationen und ihre Materialien sind in Russland verboten. Personen, die weiterhin mit diesen Organisationen in Russland oder im Ausland in Verbindung stehen, können mit Verwaltungs- und Strafmaßnahmen rechnen, einschließlich einer Höchststrafe von sechs Jahren Haft. Die Behörden legen den Begriff „Teilnahme“ weit und willkürlich aus.

Im Jahr 2021 wurde der politische Aktivist Andrei Pivovarov zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er in sozialen Medien Beiträge veröffentlicht hatte, die nach Ansicht der Behörden die als „unerwünscht“ eingestufte Oppositionsbewegung Open Russia förderten. 2024 wurde er von den russischen Behörden freigelassen und aus dem Land ausgewiesen. Im Mai 2025 verurteilte ein Moskauer Gericht den prominenten russischen Menschenrechtsverteidiger und Wahlbeobachter Grigory Melkonyants zu fünf Jahren Haft, nachdem die Behörden die russische Wahlbeobachtungsgruppe Golos fälschlicherweise mit dem Europäischen Netzwerk für Wahlbeobachtung gleichgesetzt hatten, das 2021 als „unerwünscht“ eingestuft wurde.

Das Projekt „Politische Gefangene“ von Memorial, einer führenden russischen Menschenrechtsorganisation, erkannte beide Aktivisten als politische Gefangene an.

Die russischen Behörden haben mindestens 280 Organisationen als „unerwünscht“ eingestuft, und Gerichte haben Verwaltungs- und Strafurteile, auch in Abwesenheit, gegen Hunderte von Personen verhängt. Unter den als unerwünscht eingestuften Organisationen befinden sich prominente zivilgesellschaftliche Stiftungen, Menschenrechtsgruppen, Umweltorganisationen und führende unabhängige russische Medien, deren Mitglieder und Mitarbeitende das Land verlassen und sich im Ausland neu organisieren mussten, um ihre Arbeit fortzusetzen.

Seit seiner Einführung haben internationale Menschenrechtsgremien und Expert*innen das Gesetz über „unerwünschte Organisationen“ wiederholt kritisiert, darunter der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, ein Berichterstatter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Venedig-Kommission, ein beratendes Gremium des Europarats. Der UN-Menschenrechtsausschuss, der den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte auslegt, sowie der UN-Sonderberichterstatter für Russland forderten die russischen Behörden auf, das Gesetz zu überarbeiten oder aufzuheben.

„Menschenrechtsgruppen als unerwünscht einzustufen, ist dreist und zynisch“, sagte Bolopion. „Das bestärkt nur unsere Entschlossenheit, die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen der russischen Behörden zu dokumentieren und sicherzustellen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“

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Ukraine/Russland: Friedensbemühungen sollten Menschen an erste Stelle setzen

Click to expand Image Kundgebung in Kiew, Ukraine, zur Unterstützung ukrainischer Frauen, die sich in russischer Gefangenschaft befinden, 19. Juni 2025. © 2025 Cover Images via AP Images

(Berlin, 27. November 2025) – Die People First-Kampagne hat am 26. November 2025 führende Politiker*innen, die an einem vorgeschlagenen Friedensplan für die Ukraine beteiligt sind, dazu aufgefordert, sicherzustellen, dass jeder Friedensplan im Zusammenhang mit Russlands Krieg gegen die Ukraine die menschliche Dimension ins Zentrum stellt, erklärte Human Rights Watch heute..

Die Kampagne richtete einen offenen Brief an Entscheidungsträger*innen, darunter den Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten, den britischen Premierminister Keir Starmer sowie den Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan.

„Menschen müssen an erster Stelle stehen“, sagte Benjamin Ward, kommissarischer Direktor für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Im Mittelpunkt jeder Friedensinitiative muss die Freilassung kriegsbedingter Gefangener stehen.“

Die People First-Kampagne, die sich für die Freilassung von kriegsbedingten Gefangenen einsetzt, wurde im Januar ins Leben gerufen. Sie besteht derzeit aus 73 ukrainischen, russischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen, darunter Human Rights Watch.

In ihrem Schreiben betonte die People First-Kampagne die Notwendigkeit, ukrainische Zivilist*innen, die von Russland festgehalten werden, Kriegsgefangene auf beiden Seiten, russische politische Gefangene, die wegen ihrer Anti-Kriegs-Ansichten oder -Handlungen verfolgt werden, sowie ukrainische Kinder, die von russischen Behörden deportiert oder zwangsweise überstellt wurden, zu befreien. 

Die Koalition äußerte Besorgnis darüber, dass ukrainische Zivilist*innen und Kriegsgefangene in russischem Gewahrsam weiterhin einem akuten Risiko ausgesetzt sind und brutaler sowie systematischer Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt werden.

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Westjordanland: Israel vertreibt Menschen aus Flüchtlingslager – Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Click to expand Image Frauen tragen Kinder, während israelische Streitkräfte sie am 10. Februar 2025 gewaltsam aus dem Flüchtlingslager Nur Shams im nördlichen Westjordanland vertreiben. Israelische Soldaten sehen zu, einer mit erhobener Waffe. © 2025 Wahaj Bani Moufleh Die Zwangsvertreibung der Bewohner*innen von drei Flüchtlingslagern im Westjordanland durch die israelische Regierung im Januar und Februar 2025 stellt ein Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.Die Genfer Konventionen verbieten die Zwangsvertreibung von Zivilist*innen aus einem besetzten Gebiet, außer vorübergehend aus zwingenden militärischen Gründen oder zur Sicherheit der Bevölkerung. Vertriebenen Zivilist*innen steht Schutz, Unterkunft und ein Rückkehrrecht zu, sobald die Kampfhandlungen in der Umgebung enden.Hochrangige israelische Regierungsvertreter, darunter Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Israel Katz, sollten wegen der Operationen in den Flüchtlingslagern strafrechtlich untersucht und angemessen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich verfolgt werden. Regierungen sollten gezielte Sanktionen verhängen und dringend Maßnahmen ergreifen, um die israelischen Behörden unter Druck zu setzen, ihre repressiven Politiken zu beenden.

(Jerusalem) – Die Zwangsvertreibung der Bewohner*innen von drei Flüchtlingslagern im Westjordanland durch die israelische Regierung im Januar und Februar 2025 stellen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Den rund 32.000 Menschen, die Berichten zufolge vertrieben wurden, wird nicht mehr erlaubt zurückkehren. Viele ihrer Häuser wurden von israelischen Streitkräften vorsätzlich zerstört.

Der 105-seitige Bericht „‚All My Dreams Have Been Erased‘: Israel’s Forced Displacement of Palestinians in the West Bank“ (dt.: Alle meine Träume wurden ausgelöscht: Israels Zwangsvertreibung von Palästinensern im Westjordanland) beschreibt detailliert die „Operation Iron Wall“, eine israelische Militäroperation in den Flüchtlingslagern Jenin, Tulkarem und Nur Shams, die am 21. Januar 2025 begann, wenige Tage nach Bekanntgabe eines vorübergehenden Waffenstillstands im Gazastreifen. Die israelischen Streitkräfte forderten die Zivilbevölkerung abrupt auf, ihre Häuser zu verlassen, unter anderem mit Lautsprechern, die auf Drohnen montiert waren. Zeugen zufolge bewegten sich die Soldaten methodisch durch die Lager, stürmten Häuser, plünderten Grundstücke, verhörten Bewohner*innen und zwangen schließlich alle Familien zur Räumung.

„Anfang 2025 haben israelische Behörden 32.000 Palästinenser gewaltsam aus ihren Häusern in Flüchtlingslagern im Westjordanland vertrieben, ohne Rücksicht auf internationale Rechtsvorschriften zu nehmen, und ihnen die Rückkehr verweigert“, sagte Nadia Hardman, leitende Forscherin für Flüchtlings- und Migrationsrechte bei Human Rights Watch. „Während die Weltöffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit auf Gaza richtete, haben israelische Streitkräfte im Westjordanland Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberung begangen, die untersucht und strafrechtlich verfolgt werden sollten.“

Human Rights Watch hat 31 vertriebene palästinensische Geflüchtete aus den drei Lagern interviewt und Satellitenbilder sowie Abrissverfügungen des israelischen Militärs analysiert, die die weitreichende Zerstörung bestätigen. Darüber hinaus wurden Video- und Fotomaterial der israelischen Militäroperationen geprüft und verifiziert.

Am 21. Januar stürmten israelische Streitkräfte das Flüchtlingslager Jenin und setzten Apache-Hubschrauber, Drohnen, Bulldozer und gepanzerte Fahrzeuge ein, um Hunderte Bodentruppen zu unterstützen, die die Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Bewohner*innen berichteten Human Rights Watch, wie Bulldozer Gebäude zerstörten, während sie vertrieben wurden. Ähnliche Operationen fanden am 27. Januar im Flüchtlingslager Tulkarem und am 9. Februar im nahe gelegenen Lager Nur Shams statt.

Das israelische Militär stellte den vertriebenen Bewohner*innen weder Unterkünfte noch humanitäre Hilfe zur Verfügung. Viele suchten Zuflucht in den überfüllten Häusern von Verwandten oder Freund*innen oder wandten sich an Moscheen, Schulen und Hilfsorganisationen.

Eine 54-jährige Frau berichtetet, wie israelische Soldaten „herumschrien und überall Dinge umherwarfen … Es war wie eine Filmszene – einige trugen Masken und waren mit allen möglichen Waffen ausgerüstet. Einer der Soldaten sagte: ‚Ihr habt hier kein Haus mehr. Ihr müsst gehen.‘“

Seit den Razzien verweigern die israelischen Behörden den Bewohner*innen das Recht auf Rückkehr in die Lager, selbst wenn keine aktiven Militäroperationen in der Nähe stattfinden. Israelische Soldaten haben auf Menschen geschossen, die versuchten, ihre Häuser zu erreichen, und nur wenige durften ihre Habseligkeiten abholen. Das Militär hat Flächen planiert, gerodet und geräumt, offenbar um breitere Zugangswege innerhalb der Lager zu schaffen, und alle Eingänge blockiert.

Eine Analyse von Satellitenbildern durch Human Rights Watch ergab, dass sechs Monate später mehr als 850 Häuser und andere Gebäude in den drei Lagern zerstört oder stark beschädigt waren. Die Bewertung konzentrierte sich ausschließlich auf Gebiete mit massiver Zerstörung, mit vollständig zerstörten oder schwer beschädigten Gebäuden – oft aufgrund der Verbreiterung von Zufahrtswegen und Straßen in den dicht bebauten Lagern.

Eine vorläufige Auswertung von Satellitenbildern durch das Satellitenzentrum der Vereinten Nationen vom Oktober 2025 ergab, dass 1.460 Gebäude in den drei Lagern beschädigt wurden, darunter 652 mit Anzeichen moderater Schäden.

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) errichtete die drei Lager Anfang der 1950er Jahre für Palästinenser*innen, die nach der Gründung Israels 1948 aus ihren Häusern vertrieben worden waren oder fliehen mussten. Diese Flüchtlinge – die Vertriebenen und ihre Nachkommen – lebten seitdem dort.

Gemäß Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention, der in einem besetzten Gebiet gilt, ist die Vertreibung von Zivilist*innen verboten, sofern diese nicht vorübergehend aus zwingenden militärischen Gründen oder zur Sicherheit der Bevölkerung nötig ist. Vertriebene Zivilist*innen haben Anspruch auf Schutz und angemessene Unterbringung. Die Besatzungsmacht hat die Pflicht die Rückkehr der Vertriebenen sicherzustellen, sobald keine Kampfhandlungen mehr in dem entsprechenden Gebiet stattfinden.

Israelische Beamte erklärten in einem Schreiben an Human Rights Watch, dass die Operation „Iron Wall“ „angesichts der von diesen Lagern ausgehenden Sicherheitsbedrohungen und der wachsenden Präsenz terroristischer Elemente in ihnen“ eingeleitet wurde. Allerdings haben die israelischen Behörden nach Feststellungen von Human Rights Watch keinen erkennbaren Versuch unternommen darzulegen, dass ihre einzige praktikable Option die vollständige Vertreibung der Zivilbevölkerung war, um ihr militärisches Ziel zu erreichen, oder warum sie den Bewohner*innen die Rückkehr untersagt haben.

Die israelische Regierung hat auf Anfragen von Human Rights Watch, wann Israel den Palästinenser*innen die Rückkehr gestatten werde, nicht geantwortet. Finanzminister und Minister im Verteidigungsministerium Bezalel Smotrich sagte im Februar, dass die Lager „unbewohnbare Ruinen“ werden würden, wenn die Bewohner*innen „ihre Terrorakte fortsetzen“, und dass „[d]ie Bewohner gezwungen sein werden, auszuwandern und in anderen Ländern ein neues Leben zu suchen“.

Die von den Behörden gewaltsam durchgeführte Vertreibung der Palästinenser*innen aus den Flüchtlingslagern kommt einer ethnischen Säuberung gleich, einem nicht-juristischen Begriff, der die unrechtmäßige Vertreibung einer ethnischen oder religiösen Gruppe aus einem Gebiet durch eine andere ethnische oder religiöse Gruppe beschreibt.

Die Razzien wurden in einer Zeit durchgeführt, in der die gesamte Aufmerksamkeit auf Gaza gerichtet war, wo israelische Behörden Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit – darunter Zwangsvertreibung und Ausrottung – sowie Völkermordhandlungen begangen haben.

Seit den von der Hamas angeführten Angriffen vom 7. Oktober 2023 im Süden Israels haben israelische Streitkräfte fast 1.000 Palästinenser*innen im Westjordanland getötet. Die israelischen Behörden haben den Einsatz von Administrativhaft ohne Anklage oder Gerichtsverfahren, die Zerstörung palästinensischer Häuser und den Bau illegaler Siedlungen verstärkt, während die staatlich unterstützte Gewalt durch Siedler und Folterungen palästinensischer Häftlinge ebenfalls zunehmen. Zwangsvertreibungen und andere Repressionen gegen Palästinenser*innen im Westjordanland sind Teil der Verbrechen gegen die Menschlichkeit der israelischen Behörden in Form von Apartheid und Verfolgung.

Hochrangige israelische Beamte sollten wegen ihres Vorgehens in den Flüchtlingslagern strafrechtlich verfolgt und, sofern sie für schuldig befunden werden, wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einschließlich der Befehlsverantwortung, angemessen strafrechtlich belangt werden. Zu den Personen, gegen die ermittelt werden sollte, gehören Generalmajor Avi Bluth, der Kommandeur des Zentralkommandos, der für die Militäroperationen im Westjordanland verantwortlich war und die Razzien in den Lagern sowie die Abrissbefehle beaufsichtigte; Generalleutnant Herzi Halevi und Generalleutnant Eyal Zamir, die beide als Stabschefs der israelischen Streitkräfte dienten; Minister im Verteidigungsministerium Bezalel Smotrich, der Mitglied des Sicherheitskabinetts ist und auch als Finanzminister fungiert; Verteidigungsminister Israel Katz; sowie Premierminister Benjamin Netanjahu.

Die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) und die Justizbehörden weltweit sollten gemäß dem Grundsatz des Weltrechtsprinzips gegen israelische Amtsträger ermitteln, die nachweislich in Gräueltaten im Westjordanland verwickelt sind, auch im Hinblick auf ihre Befehlsverantwortung.

Regierungen sollten gezielte Sanktionen gegen Bluth, Zamir, Smotrich, Katz, Netanjahu und andere israelische Beamte verhängen, die an den anhaltenden schweren Menschenrechtsverletzungen in den besetzten palästinensischen Gebieten beteiligt sind. Sie sollten außerdem Druck auf die israelischen Behörden ausüben, damit diese ihre repressive Politik beenden, sowie ein Waffenembargo verhängen, Präferenzhandelsabkommen mit Israel aussetzen, den Handel mit illegalen Siedlungen verbieten und die Haftbefehle des IStGH vollstrecken.

„Israels eskalierende Übergriffe im Westjordanland unterstreichen, warum Regierungen trotz des fragilen Waffenstillstands im Gazastreifen dringend verhindern sollten, dass die israelischen Behörden ihre Unterdrückung der Palästinenser weiter verschärfen“, sagte Hardman. „Sie sollten gezielte Sanktionen gegen Premierminister Netanjahu, Verteidigungsminister Katz und andere hochrangige Beamte verhängen, die für schwere Verbrechen gegen Palästinenser verantwortlich sind, und alle Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs vollstrecken.“

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Brüssel zerlegt EU-Gesetz zur Unternehmensverantwortung

Click to expand Image Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber (Mitte), während einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg, Frankreich, am 6. Oktober 2025. © 2025 Philipp von Ditfurth/picture-alliance/dpa/AP Photo

Bei der Abstimmung über die wegweisende EU-Lieferkettenrichtlinie am 13. November hat eine Mehrheit des Europäischen Parlaments den Schutz von Rechten zugunsten von Wirtschaftsinteressen verraten. Damit wurden jahrelange Bemühungen zunichte gemacht, eine umfassende Gesetzgebung zu schaffen, die Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße in ihren globalen Lieferketten zur Rechenschaft zieht.

In den Verhandlungen über die 2024 verabschiedete EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) hat sich die Europäische Volkspartei (EVP) offen auf die Seite rechtsextremer Parteien gestellt, um eine Mehrheit zu bilden, die den Forderungen der Unternehmenslobbys nach Deregulierung nachgab. Ihre Änderungsanträge spiegelten größtenteils die Vorschläge der Lobbyisten wider, darunter auch aus der fossilen Industrie. Unter anderem sehen sie die Streichung von Klimaschutzplänen vor sowie ein Verbot für EU-Mitgliedstaaten, bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht bessere Bestimmungen vorzuschlagen. Leider stützt sich die EVP immer häufiger auf die extreme Rechte, zum Nachteil des Menschenrechtsschutzes.

Die EU-Kommission, der Rat und das Parlament treten nun in die Trilogverhandlungen ein, um die Omnibus-I-Änderungsanträge abzuschließen; da alle drei Institutionen die Meßlatte sehr niedrig ansetzen, besteht die Gefahr, dass die CSDDD nun komplett ausgehöhlt wird. Es ist zu befürchten, dass es keine zivilrechtliche Haftung, keine Klimaschutzpläne und nur begrenzten Zugang zu Gerichten für Opfer geben wird. Selbst wenn Zulieferfirmen in Fälle schwerwiegender Verstöße verwickelt sind, wäre der Abbruch der Geschäftsbeziehungen freiwillig, wenn ein solcher Rückzug die Geschäftsinteressen des Unternehmens erheblich beeinträchtigen könnte.

In der Debatte wird es fälschlicherweise so dargestellt, als ob Menschenrechte und Umweltstandards der Wettbewerbsfähigkeit schaden. Tatsächlich zeigt ein aktueller Bericht des UN-Entwicklungsprogramms und der World Benchmarking Alliance einen positiven Zusammenhang zwischen verbesserten Menschenrechtspraktiken von Unternehmen und einer „gesteigerten Kapitaleffizienz“. Der Bericht bekräftigt, dass menschenrechtliche Sorgfaltspflichten eine „strategische Investition in Resilienz und langfristige Wertschöpfung“ sind, und kein Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit.

Die EU-Institutionen sollten während des Trilogs keine Mühen scheuen, um den risikobasierten Ansatz für die Sorgfaltspflicht in der gesamten Lieferkette beizubehalten und die zivilrechtliche Haftung auf europäischer Ebene wieder einzuführen. Ein erneutes Scheitern würde eine globale Aushöhlung der Menschenrechtsstandards durch Unternehmenslobbys gefährlich normalisieren.

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Myanmar: Geplante Wahlen sind ein Versuch, Glaubwürdigkeit vorzutäuschen

Click to expand Image Eine Werbetafel zeigt den Vorsitzenden der vom Militär unterstützten Union Solidarity and Development Party vor Beginn des Wahlkampfes für die Wahlen der Junta in Yangon am 27. Oktober 2025. © 2025 STR/AFP via Getty Images

(Bangkok, 17. November 2025) – Regierungen sollten die Pläne der Junta in Myanmar, zwischen Ende Dezember 2025 und Januar 2026 Wahlen abzuhalten, ablehnen, da diese weder frei noch fair oder inklusiv sein werden, erklärte Human Rights Watch heute. Seit dem Militärputsch im Februar 2021 hat die Junta systematisch die Rechtsstaatlichkeit und die noch jungen demokratischen Strukturen des Landes zerschlagen. Im Vorfeld der Wahlen hat sie die Repression und Gewalt weiter verschärft.

Die Junta kündigte an, dass die ersten beiden Phasen der mehrstufigen Wahlen am 28. Dezember und 11. Januar stattfinden sollen. Seit dem Putsch hat die Junta Dutzende politische Parteien verboten und schätzungsweise 30.000 politische Gegner inhaftiert, darunter fast 100 Personen, die nach einem drakonischen Wahlgesetz aus dem Juli dieses Jahres festgenommen wurden. Der Anführer der Junta, Generaloberst Min Aung Hlaing, räumte ein, dass die Wahlen nicht in allen Gemeinden stattfinden werden – angesichts der weit verbreiteten Kämpfe mit oppositionellen bewaffneten Gruppen, die von Kriegsverbrechen des Militärs geprägt sind.

„Die Scheinwahlen der Myanmar-Junta sind ein verzweifelter Versuch, nach fast fünf Jahren brutaler militärischer Repression internationale Legitimität zu erlangen“, sagte Elaine Pearson, Asien-Direktorin bei Human Rights Watch. „Regierungen, die diesen Wahlen irgendeine Glaubwürdigkeit verleihen, würden damit ein völliges Fehlen von Unterstützung für eine zivile, demokratische Ordnung in Myanmar signalisieren.“

Am 29. Juli verabschiedete die Junta das „Gesetz zur Verhinderung von Behinderung, Störung und Sabotage der allgemeinen Mehrparteien-Demokratie-Wahl“, das Kritik an der Wahl kriminalisiert, indem es jegliche Äußerungen, Organisationen oder Proteste verbietet, die irgendeinen Teil des Wahlprozesses stören. Zuwiderhandlungen können mit bis zu 20 Jahren Haft und der Todesstrafe bestraft werden.

Unter dem neuen Gesetz haben Behörden der Junta seit August 94 Personen wegen Aktivitäten in sozialen Medien, dem Verteilen von Aufklebern und Flugblättern, dem Halten von Reden und anderen angeblichen Handlungen der „Einmischung“ und „Störung“ der Wahl festgenommen. Darunter auch mindestens vier Kinder. Am 9. September wurde ein Mann in Taunggyi, Shan-Staat, wegen eines Junta-kritischen Facebook-Posts zu sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Am 29. Oktober wurden die Filmemacher Zambu Htun Thet Lwin und Aung Chan Lu festgenommen, weil sie einen Facebook-Post „geliked“ hatten, der einen Wahlpropagandafilm kritisierte.

Seit Februar 2022 haben die Behörden fast 2.000 Menschen wegen Online-Aktivitäten festgenommen, die die Opposition unterstützen oder das Militär kritisieren. Dies ist Teil der systematischen Zerschlagung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit durch die Junta.

Das Militär verfügt nicht über ausreichende territoriale Kontrolle, um glaubwürdige Wahlen abzuhalten. Ein Großteil des Landes ist umkämpft oder von der Opposition kontrolliert, erklärte Human Rights Watch. Die landesweite Volkszählung, die im Oktober 2024 zur Erstellung von Wählerlisten versucht wurde, fand nur in 145 der 330 Gemeinden des Landes statt – weniger als die Hälfte. Die Wahlkommission erklärte im September, dass in 56 Gemeinden, die als „nicht geeignet“ gelten, keine Abstimmung stattfinden werde, während die bisher angekündigten zwei Phasen nur 202 Gemeinden abdecken.

Teil der Bemühungen der Junta, vor den Wahlen Gebiete von der bewaffneten Widerstandsbewegung zurückzuerobern, beinhalten wiederholte Luftangriffe auf Zivilist*innen und zivile Infrastruktur, die mögliche Kriegsverbrechen darstellen. Sowohl China als auch Russland, die Hauptlieferanten von Flugzeugen und Waffen für die Junta, unterstützen die Wahlen. Die beiden Länder haben die Junta seit Langem unterstützt und internationale Maßnahmen gegen militärische Gräueltaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert.

Militärische Übergriffe und eskalierende Konflikte haben über 3,5 Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben und etwa 20 Millionen in humanitäre Not gestürzt. Unabhängige Medien und zivilgesellschaftliche Gruppen berichten, dass die Behörden der Junta vertriebene Menschen und Gefangene unter Druck setzen, ihre Stimme abzugeben, sowie die Zahl der Kontrollpunkte und die digitale Überwachung erhöhen.

Der Putsch von 2021 beendete faktisch den schleppenden und begrenzten demokratischen Übergangsprozess unter der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) von Aung San Suu Kyi. Bei den Parlamentswahlen im November 2020 gewann die NLD 82 Prozent der umkämpften Sitze und besiegte damit deutlich die militärnahe „Union Solidarity and Development Party“ (USDP). Als Reaktion sprach das Militär von weit verbreiteten Wahlbetrug – ein unbegründeter Vorwurf, der von der Wahlkommission der Union sowie internationalen und nationalen Wahlbeobachter*innen zurückgewiesen wurde.

Am frühen Morgen des 1. Februar 2021, als das neue Parlament erstmals zusammentreten sollte, nahm das Militär Präsident Win Myint, Aung San Suu Kyi und zahlreiche andere NLD-Minister*innen, Parlamentsmitglieder und regionale Verwaltungsbeamte fest und beraubte damit die Bevölkerung Myanmars ihres in internationalen Rechtsnormen verankerten Rechts, ihre Regierung frei zu wählen.

In den Monaten nach dem Putsch verhaftete die Junta mindestens 197 Minister*innen und Parlamentsmitglieder sowie 154 Mitglieder der Wahlkommission der Union. Suu Kyi und Win Myint verbüßen Haftstrafen von 27 bzw. 8 Jahren aufgrund einer Reihe konstruierter Anklagen.

Im Januar 2023 verabschiedete die Junta ein neues Gesetz zur Registrierung politischer Parteien, das darauf abzielt, führende Mitglieder der NLD von der Teilnahme an Wahlen auszuschließen und damit internationale Standards zu verletzen, die das Recht politischer Parteien auf Organisation und Kandidatur garantieren. Im März desselben Jahres kündigte die Junta die Auflösung der NLD und 40 weiterer politischen Parteien und anderen Gruppen an, weil sie sich nicht nach dem neuen Gesetz registriert hatten. Im September 2025 löste die Junta vier weitere Parteien auf, weil sie die Anforderungen des Gesetzes nicht erfüllten.

Zuvor hatte die Junta die oppositionelle Nationale Einheitsregierung und deren parlamentarisches Gremium, das Komitee zur Vertretung des Pyidaungsu Hluttaw, als „terroristische Organisationen“ eingestuft. Oppositionsgruppen haben deutlich gemacht, dass sie jede Wahl unter der Junta ablehnen.

Nach dem Putsch ersetzte die Junta die zivile Wahlkommission der Union durch ein vom Militär eingesetztes Gremium. Die Europäische Union hat den am 31. Juli 2025 ernannten Vorsitzenden, Than Soe, sowie andere Mitglieder der Junta-Kommission sanktioniert, weil sie „direkt an Handlungen beteiligt sind, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Myanmar untergraben“. Vor dem Putsch leitete Than Soe den Militärblock im Oberhaus des Parlaments. Nach der Verfassung von 2008 ernennt das Militär 25 Prozent der Parlamentssitze.

Am 31. Juli kündigte die Junta zur Vorbereitung der Wahlen die Bildung der „Kommission für Staatssicherheit und Frieden“ an, die den seit dem Putsch bestehenden „Staatsverwaltungsrat“ ersetzt. Außerdem erklärte sie einen neuen Ausnahmezustand und verhängte Kriegsrecht für 63 Gemeinden in den Staaten Chin, Kachin, Karen (Kayin), Karenni (Kayah), Rakhine und Shan sowie in den Regionen Magway, Mandalay und Sagaing. Diese Anordnungen, die sich hauptsächlich auf Gemeinden unter Oppositionskontrolle beziehen, wurden am 31. Oktober um weitere 90 Tage verlängert. Die Anordnungen übertragen die „Befugnisse und Verantwortlichkeiten der genannten Gemeinden an den Oberbefehlshaber“.

Im November 2024 beantragte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs einen Haftbefehl gegen den Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die 2017 begangen wurden.

Die Junta versucht, jegliche politische Opposition zu zerschlagen, die mögliche Einrichtung einer demokratischen Zivilregierung zu verhindern und Legitimität für einen militärisch kontrollierten Staat zu erlangen, erklärte Human Rights Watch. Sie hat die Voraussetzungen für Wahlen geschaffen, die von der militärnahen USDP dominiert werden. Während die offizielle 60-tägige Wahlkampagne am 28. Oktober begann, war die Kampagne der Militärpartei bereits in vollem Gange. Berichten zufolge hat die Junta Wahlkampfveranstaltungen verboten.

Beim Gipfeltreffen der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN) im Oktober forderte UN-Generalsekretär António Guterres einen „glaubwürdigen Weg zurück zur zivilen Herrschaft“ in Myanmar und erklärte: „Ich glaube nicht, dass irgendjemand denkt, diese Wahlen werden frei und fair sein.“ Volker Türk, der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, bezeichnete die Durchführung der Wahlen im Dezember als „unvorstellbar“.

Während ASEAN betonte, dass Frieden und politischer Dialog „den Wahlen vorausgehen müssen“, fehlt dem regionalen Bündnis die Möglichkeit, einzelne Mitgliedsstaaten daran zu hindern, technische Hilfe oder bilaterale Unterstützung zu leisten.

„Malaysia, Japan und andere asiatische Regierungen, die deutlich gemacht haben, dass diese Wahlen der Bevölkerung Myanmars schaden, sollten ihre Nachbarn auffordern, dasselbe zu tun“, sagte Pearson. „Um jede Unterstützung aus China, Russland und anderen Ländern, die die Wahlen befürworten, auszugleichen, ist eine klare, unmissverständliche Botschaft erforderlich: Diese illegitimen Wahlen werden Myanmars Abstieg in Gewalt, Repression und autokratische Herrschaft nur weiter verfestigen.“

Kategorien: Menschenrechte

Türkei: „Restriktionscodes“ gefährden die Sicherheit von Uigur*innen

Click to expand Image A protester from the Uyghur community living in Türkiye stands with East Turkestan flags in the Beyazit mosque in Istanbul on March 25, 2021, during a protest against the visit of China's foreign minister to Türkiye. © 2021 BULENT KILIC/AFP via Getty Images Türkische Behörden schränken das Aufenthaltsrecht von Uigur*innen, die vor der chinesischen Regierung Schutz suchen, zunehmend ein.Bis vor Kurzem fühlten sich Uigur*innen, die der Repression in ihrer Heimat entkommen waren, in der Türkei sicher. Doch mit der politischen Annäherung zwischen China und der Türkei und dem harten Vorgehen der Erdoğan-Regierung gegen Geflüchtete und Migrant*innen wächst bei vielen die Angst.Die türkische Regierung muss die Abschiebung von Uigur*innen in Drittländer einstellen und sie als Geflüchtete anerkennen. Andere Regierungen sollten die Überstellung von Uigur*innen in die Türkei stoppen und die Umsiedlung von Uigur*innen aus der Türkei in Erwägung ziehen. November 12, 2025 Protected No More

(Istanbul) – Die türkischen Behörden schränken den legalen Aufenthalt von Uigur*innen zunehmend ein, die vor der chinesischen Regierung Schutz suchen, erklärte Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 52-seitige Bericht „Protected No More: Uyghurs in Türkiye“ (dt. etwa: Kein Schutz mehr: Uiguren in der Türkei) stellt fest, dass der bisherige Zugang der Uigur*innen zu internationalem Schutzstatus und sogar eine bevorzugte Behandlung im türkischen Einwanderungssystem aufgehoben wird. Behörden kennzeichnen ihre Polizei- und Einwanderungsakten willkürlich mit so genannten „Restriktionscodes“, die sie als „Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“ einstufen. Die Regierung hält einige Uigur*innen unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen fest und zwingt sie, freiwillige Rückkehrformulare zu unterzeichnen, wodurch sie Gefahr laufen, in Drittländer abgeschoben zu werden, die Auslieferungsabkommen mit China haben.

„Bis vor Kurzem fühlten sich Uiguren, die der Repression in ihrer Heimat entkommen waren, in der Türkei sicher. Doch mit der Verbesserung der Beziehung zwischen den Regierungen in China und der Türkei und dem gleichzeitig harten Vorgehen der Erdoğan-Regierung gegen Geflüchtete und Migranten wächst bei vielen die Angst“, sagte Elaine Pearson, Asien Direktorin bei Human Rights Watch. „Einige Uiguren sagen, sie trauen sich nicht mehr, ihre Häuser zu verlassen, aus Angst vor Festnahmen und der Überstellung in Abschiebezentren, während andere gefährliche Reisen auf sich nehmen, um anderswo Sicherheit zu finden.“

Human Rights Watch hat 13 Uigur*innen, 6 Anwält*innen und einen türkischen Regierungsbeamten mit Kenntnis der Situation interviewt, sowie türkische Regierungsrichtlinien und Dokumente wie Abschiebungsentscheidungen, Fallakten und Rundschreiben überprüft. Außerdem wurden öffentlich zugängliche Fälle von 33 Uigur*innen untersucht, die zwischen Dezember 2018 und Oktober 2025 in Abschiebezentren festgehalten wurden.

„Jetzt kann ich nicht mal mehr rausgehen, nicht einmal zum Einkaufen, da ich keine amtlichen Dokumente habe und weil ich nicht wieder im Abschiebezentrum landen möchte“, sagte ein Uigure, dessen Aufenthaltserlaubnis willkürlich von den türkischen Behörden annulliert wurde.

Im Zuge des harten Vorgehens gegen die Migration werden Uigur*innen – wie andere Geflüchtete und Migrant*innen in der Türkei – häufig mit „Restriktionscodes“ (typischerweise Code „G87“) belegt, was eine Reihe negativer und oft verheerender Konsequenzen nach sich zieht. Dazu gehören die Ablehnung von Anträgen auf internationalen Schutz oder eines anderen Status, der zum Aufenthalt berechtigt, sowie die Verweigerung der Staatsbürgerschaft. Uigur*innen gelten faktisch als „irreguläre Migranten“ und einige werden schließlich zur Abschiebung verurteilt. Bei jeder Interaktion mit Polizei- oder Einwanderungsbeamt*innen droht ihnen die Überstellung in ein Abschiebezentrum.

Die befragten Uigur*innen und Anwält*innen berichteten, dass Uigur*innen in Abschiebezentren misshandelt und häufig unter Druck gesetzt werden, „freiwillige“ Rückkehrformulare zu unterzeichnen, die ihre Rückführung oder Abschiebung in ein anderes Land ermöglichen. Mindestens drei der befragten Uigur*innen hatten das Formular unterzeichnet, und einer von ihnen wurde in die Vereinigten Arabischen Emirate abgeschoben, die ein Auslieferungsabkommen mit China haben.

Anfragen von Human Rights Watch am 23. September und 27. Oktober 2025 an den Präsidenten der Migrationsbehörde, mit der Bitte um Stellungnahmen zu den Ergebnissen des Berichts und Informationen über Uigur*innen in der Türkei blieben unbeantwortet.

Die Zuweisung von Restriktionscodes steht im Zusammenhang mit der Umsetzung des türkischen Gesetzes 6458 über Ausländer*innen und internationalen Schutz. Wie und warum diese Codes vergeben werden, ist unklar, und ihre Anwendung scheint in der Praxis weit über das hinauszugehen, was im Gesetz vorgesehen war. Sie werden oft ohne angemessene Begründung, konkrete Beweise oder einen klaren ursächlichen Zusammenhang mit Fehlverhalten verhängt.

Nach türkischem Recht können Einzelpersonen gegen Abschiebungsentscheidungen Berufung einlegen. Human Rights Watch hat fünf Gerichtsentscheidungen aus den Jahren 2024 und 2025 zu Berufungen gegen Abschiebungsanordnungen von Uigur*innen. In jedem dieser Fälle bestätigte das Gericht die Abschiebungsanordnung, ohne anzugeben, was die Betroffenen getan hatten, um die angebliche Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darzustellen. Besorgniserregend ist, dass das jeweilige Gericht in allen Fällen entschied, dass das Refoulement-Verbot nicht gelte, da der oder die antragstellende Uigur*in nicht nachgewiesen habe, dass ihm oder ihr bei einer Rückkehr nach China Misshandlung und Folter drohten. Eine Anwältin, die viele solcher Berufungen eingelegt hat, sagte, dass Richter*innen oft „eine negative Entscheidung treffen [die Berufung abweisen], wenn sie Restriktionscodes sehen, einfach um auf Nummer sicher zu gehen.“

Die türkische Regierung ist verpflichtet, das völkerrechtliche Prinzip des Non-Refoulement zu achten. Dieses verbietet Staaten, Personen in ein Land zurückzuführen, in dem ihnen ein reales Risiko von Verfolgung, Folter oder anderer schwerer Misshandlung, eine Bedrohung des Lebens oder andere vergleichbare schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Eine einfache Beschwerde eines Nachbarn oder die Verwicklung in ein Strafverfahren kann selbst bei einem späteren Freispruch zur Verhängung von Restriktionscodes führen. Türkische Behörden stützen diese Codes auch auf Informationen anderer Regierungen. In einigen Fällen hat die chinesische Regierung Listen von Personen übermittelt, die sie als „Terroristen“ bezeichnet – ein Begriff, den sie mit friedlichem Aktivismus oder dem Ausdruck uigurischer Identität in Xinjiang gleichsetzt.

Seit 2017 begeht die chinesische Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen an der uigurischen Bevölkerung, die Human Rights Watch und andere unabhängige Rechtsexpert*innen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufen. Wenn Uigur*innen nach China abgeschoben werden, insbesondere aus einem Land wie der Türkei, das die chinesische Regierung als „sensibel“ einstuft, drohen den Uigur*innen Haft, Verhöre, Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen.

„Die türkische Regierung sollte das völkerrechtliche Prinzip des Non-Refoulement respektieren, sofort alle Abschiebungen von Uiguren in Drittländer einstellen und Uiguren prima facie als Geflüchtete anerkennen“, sagte Pearson. „Andere Regierungen sollten die Überstellung von Uiguren in die Türkei stoppen, da sie nicht mehr als sicheres Drittland für Uiguren angesehen werden kann, und die Umsiedlung von Uiguren aus der Türkei in Erwägung ziehen.“

Ausgewählte Zitate:

„Ich wurde behandelt, als wäre ich schuldig. Ich verbrachte ein Jahr in Haft … Ich habe mehrmals versucht, meine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, aber es ist mir nicht gelungen. Die Migrationsbehörde sagte mir, ich hätte zehn Tage Zeit, das Land zu verlassen, nachdem sie mir mitgeteilt hatte, dass mein letzter Antrag auf Aufenthaltserlaubnis abgelehnt wurde. Dann beschloss ich, das Land zu verlassen. Ich hatte meinen chinesischen Pass, also buchte ich einen Flug in ein Drittland, das für mich ein Weg in die Sicherheit in Europa sein sollte. Türkische Behörden nahmen mich am Flughafen fest und verhängten ein zweijähriges Einreiseverbot.“
– Ein Uigure, der willkürlich von türkischen Behörden aufgrund eines Restriktionscodes festgehalten wurde und die Türkei anschließend verließ, Juni 2025

„Die Bedingungen waren sehr schlecht. In einem Fall stellte die Einrichtung neun Tage lang kein richtiges Essen bereit. In einem Abschiebezentrum schlief ich eine Woche lang auf dem Zementboden, wo ich mir eine einzige Decke mit zwei anderen Personen teilte. Es waren 20 Personen in einer kleinen Zelle, in der es keinerlei hygienische Einrichtung gab. Ich habe gesehen, wie Menschen von Läusen befallen wurden.“ – Ein Uigure, der mehrere Monate in verschiedenen Abschiebezentren verbrachte, Mai 2025.

„In einigen Fällen kann schon ein Telefonat mit einer verdächtigen Person dazu führen, dass jemand einen Code zugewiesen bekommt. Zum Beispiel gab es einen Uiguren, der wegen des Verdachts auf ‚Terrorismus‘ festgenommen, aber dann bedingungslos freigelassen wurde, da es an Beweisen mangelte. Während der Ermittlungen erhielten jedoch alle, die ein Telefonat mit dieser Person geführt hatten, einen G87-Code.“ – Ein Anwalt, der Uigur*innen vertritt, Juli 2025.

„Es gibt viele Fälle, in denen die Regierung die langfristigen Aufenthaltserlaubnisse von Uiguren aufgehoben und ihnen stattdessen eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. Die Entscheidung ist willkürlich. Und einige der humanitären Aufenthaltserlaubnisse meiner Mandanten werden ebenfalls aufgehoben oder ihre Verlängerung wird verweigert. In solchen Situationen können Menschen bis zu einem Jahr in diesen Zentren festgehalten werden. Dann werden sie ohne legalen Status entlassen. Nach ein paar Tagen kann eine weitere Polizeikontrolle erneut zu einer Festnahme führen. Es ist … ein schrecklicher Teufelskreis für diejenigen, die keine gültigen Dokumente haben. Die Türkei ist zunehmend zu einem unbewohnbaren Ort für Uiguren geworden.“ – Ein Anwalt, der Uigur*innen vertritt, Juni 2025.

Kategorien: Menschenrechte

In Deutschland lebender Tadschike stirbt in Haft in Tadschikistan

Click to expand Image Eine Mahnwache am 18. Januar 2024 in Dortmund, Deutschland, zum Jahrestag der Abschiebung des tadschikischen Oppositionsaktivisten Abdullohi Shamsiddin. © 2024 Cornelia Suhan

(Berlin) - Vergangenen Monat starb ein 29-jähriger Mann aus Tadschikistan, der seit 2019 in Mitteldeutschland lebte, unter mysteriösen Umständen in einem Gefängnis in Tadschikistan. Saidazam Rahmonov, der mit einer deutschen Frau verheiratet war, war im Juni nach Tadschikistan gereist, um Unterlagen für die Verlängerung seines Visums in Deutschland zu beschaffen.

Die tadschikischen Behörden behaupten, Rahmonov habe in seiner Zelle Selbstmord begangen, doch laut Medienberichten berichten Rahmonovs Angehörige, dass sein Leichnam Spuren von Schlägen und Folter aufwies, als er von Gefängnisbeamten übergeben wurde.

Wie bei jedem Todesfall in Haft besteht die strikte Verpflichtung, eine wirksame Untersuchung des Todes von Rahmonov sicherzustellen, die auch die Frage klären sollte, warum und wie Rahmonov überhaupt im Gefängnis gelandet war.

Rahmonovs Fall ist der jüngste in einer Reihe von Fällen, in denen in Deutschland lebende Tadschiken bei ihrer Rückkehr nach Tadschikistan schweren Menschenrechtsverletzungen – oder gar dem Tod – ausgesetzt sind.

Präsident Emomali Rahmon regiert Tadschikistan, das bergige zentralasiatische Land mit 9,7 Millionen Einwohnern, seit 33 Jahren. Seine autoritäre Regierung lehnt faire Wahlen ab, unterdrückt Oppositionelle und unabhängige Stimmen und verweigert seinen Bürgerinnen und Bürgern Grundrechte.

Zwar war Rahmonovs Rückkehr nach Tadschikistan freiwillig, doch bei mehreren tadschikischen Männern, die seit 2023 aus Deutschland abgeschoben wurden, war dies nicht der Fall. Sie wurden umgehend inhaftiert und erhielten anschließend unter zweifelhaften rechtlichen Gründen lange Haftstrafen.

Zu ihnen gehört auch Abdullohi Shamsiddin, der seit 2009 in Dortmund lebte, dort verheiratet war und Kinder hat. Im Januar 2023 wurde er aus Deutschland abgeschoben und anschließend nach einem Schauprozess zu sieben Jahren Haft verurteilt. Dilmurod Ergashev wurde im November 2024 aus Kleve abgeschoben und Berichten zufolge zu acht Jahren Haft verurteilt. Beide waren Aktivisten, die sich gegen die tadschikische Regierung engagierten. Ihre Haftbedingungen sind nicht bekannt, doch ist Folter in tadschikischen Gefängnissen an der Tagesordnung.

Keiner der beiden Männer hätte abgeschoben werden dürfen, da das Völkerrecht die Abschiebung von Personen an Orte verbietet, an denen ihnen Folter droht.

Leider ist Deutschland bereit, seine internationalen Verpflichtungen zu missachten und kooperiert mit den tadschikischen Behörden bei der Durchführung von Schnellabschiebungen, indem es sich beispielsweise auf die Zusicherungen der tadschikischen Regierung stützt, dass die Menschenrechte der Betroffenen geschützt werden. In Gerichtsverfahren in diesem Jahr in Gelsenkirchen und Münster bezüglich der Abschiebung tadschikischer Staatsbürger versicherte das deutsche Auswärtige Amt den Richtern, dass die von der tadschikischen Regierung vorgelegten Informationen zu den Menschenrechten glaubwürdig seien. Wenn jedoch die Menschenrechtsbilanz eines Landes katastrophal ist, reichen solche Zusicherungen allein nicht aus, um dem Völkerrecht zu genügen.

Deutschland kann zwar durchaus seine Gesetze anwenden, die regeln, wer im Land leben darf, aber nicht so weit, dass dabei die Rechte von Menschen verletzt und das Völkerrecht missachtet werden.

Der Fall Rahmonov sollte für Deutschland ein Weckruf sein, die eigene Rolle in solchen Fällen zu überdenken und seine Beziehungen zur autoritären Regierung in Tadschikistan zu überdenken.

Kategorien: Menschenrechte

Sudan: Massengräuel in eroberter Stadt in Darfur

Click to expand Image Vertriebene Sudanes*innen, die aus El Fasher nach dem Fall der Stadt an die Rapid Support Forces (RSF) geflohen sind, kommen am 28. Oktober 2025 in der Stadt Tawila in Nord-Darfur, Sudan, an. © 2025 Photo by -/AFP via Getty Images

(Nairobi, 29. Oktober 2025) – Dutzende Videos, die in den letzten Tagen in den sozialen Medien gepostet wurden, zeigen, wie die Rapid Support Forces (RSF) außergerichtliche Tötungen und andere schwere Verbrechen an Menschen begehen, die aus der Hauptstadt Nord-Darfurs, El Fasher, fliehen, teilte Human Rights Watch heute mit. 

Tausende Menschen verlassen die Stadt, nachdem die RSF sie am 26. Oktober 2025 eingenommen hatten. Die Einnahme ist der Höhepunkt einer 18-monatigen Belagerung der Stadt und unerbittlicher Angriffe der bewaffneten Gruppe, die zu einer Hungerkrise in den Flüchtlingslagern in und um die Stadt geführt haben. Die rechtswidrigen Angriffe auf flüchtende Menschen lassen über das Schicksal der Zehntausenden Zivilist*innen, die sich letzte Woche noch in der Stadt befanden, Schlimmes befürchten.

„Die entsetzlichen Bilder aus El Fasher tragen die Handschrift der Rapid Support Forces, die für ihre massiven Gräueltaten bekannt sind“, sagte Federico Borello, Interims-Geschäftsführer von Human Rights Watch. „Wenn die Welt nicht sofort handelt, werden weitere grausame Verbrechen begangen werden, unter denen vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden hat. Die Unterstützer der RSF, insbesondere die Vereinigten Arabischen Emirate, sollten deren Führung dazu bringen, ihre Truppen zu zügeln, während die Staats- und Regierungschefs weltweit energische Maßnahmen gegen die Führung der RSF ergreifen sollten.“

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sollte dringend Maßnahmen ergreifen, um weitere Gräueltaten zu verhindern, so Human Rights Watch. Vertreter*innen der Vereinigten Staaten, Saudi-Arabiens, Ägyptens und der Vereinigten Arabischen Emirate, bekannt als die „Quad“, die sich kürzlich in Washington D.C. trafen, sollten klarstellen, dass die Führung der RSF zur Rechenschaft gezogen wird, unter anderem durch sofortiges Einfrieren von Vermögenswerten und Einreiseverbote.

Am 26. Oktober machten Berichte die Runde, dass die RSF die Militärgarnison, in der die 6. Infanteriedivision der sudanesischen Streitkräfte (SAF) von El Fasher stationiert ist, sowie den Flughafen der Stadt eingenommen habe. Die RSF kontrolliert bereits alle anderen größeren Städte in der Region Darfur.

In den letzten Monaten hatte die RSF einen Graben ausgehoben und einen Sandwall um die Stadt herum errichtet, und die Kämpfer der RSF hinderten Händler und Hilfsorganisationen weitgehend daran, in die Stadt zu gelangen, sodass die Zivilbevölkerung gezwungen war, sich von Tierfutter zu ernähren. Die medizinische Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) berichtete, dass 75 Prozent der 165 Kinder unter 5 Jahren, die sie am 18. und 19. Oktober in El Fasher untersucht hatte, akut unterernährt waren.

Örtliche Einsatzkräfte und die Medien berichteten von einer Zunahme der Drohnenangriffe seit September, bei denen zahlreiche Zivilist*innen getötet und verletzt wurden. Am 15. Oktober berichtete ein Aktivist gegenüber Human Rights Watch, dass er einen Drohnenangriff überlebt habe, bei dem zwei Zivilisten getötet und zwei weitere verletzt wurden.

Zivilist*innen, die aus El Fasher geflohen sind, waren unterwegs schweren Übergriffen ausgesetzt, darunter Vergewaltigungen, Raub und Mord.

Diese Übergriffe eskalierten mit dem Sieg der RSF. Videos, die seit dem 26. Oktober in den sozialen Medien kursieren und von Human Rights Watch analysiert und verifiziert wurden, zeigen RSF-Kämpfer, die sich über eine große Anzahl toter Männer und Frauen in Uniform und Zivilkleidung freuen, offenbar Zivilist*innen hinrichten und schwerverletzte Menschen verspotten, misshandeln und töten.

Human Rights Watch hat acht Videos geolokalisiert, die neben dem Wall rund um die Stadt, etwa 8 Kilometer nordwestlich von El Fasher, gedreht wurden. Ein Video, das von oben auf dem Wall gedreht wurde, zeigt Dutzende von Leichen, einige in Militäruniformen, in dem Graben darunter. In einem anderen Video hockt ein RSF-Kämpfer mit einem weißen Schal neben einem Mann in Zivilkleidung mit einem Verband am rechten Oberschenkel, der auf dem Boden liegt. Als der Mann um Gnade fleht, sagt der Kämpfer: „Ich werde keine Gnade mit dir haben ... wir sind hier, um zu töten.“ Dann steht der Kämpfer auf und schießt fünfmal mit einem AK-Gewehr auf den Mann. In einem anderen Video, das in der Nähe des Schutzwalls gedreht wurde, ist ein RSF-Kämpfer zu hören, der ruft: „Wir geben den Gefangenen keine Sicherheiten.“

Click to expand Image Location of the videos verified and geolocated by Human Rights Watch next to the berm encircling the city. © 2025 Human Rights Watch

Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, warnte am 27. Oktober, dass „das Risiko weiterer massiver, ethnisch motivierter Verstöße und Gräueltaten in El Fasher von Tag zu Tag steigt“. Sein Büro teilte mit, dass Berichten zufolge Hunderte von Flüchtenden festgehalten worden seien. Die RSF nahm am 26. Oktober einen Journalisten, Muhammar Ibrahim, gefangen.

Die RSF ist dafür bekannt, nach militärischen Siegen Massengräuel gegen Zivilist*innen zu verüben. Human Rights Watch hatte im Juni 2023 dokumentiert, dass die RSF und ihre Verbündeten das Feuer auf einen kilometerlangen Konvoi von Zivilist*innen und Kämpfer*innen der sudanesischen Streitkräfte und verbündeter bewaffneter Gruppen eröffneten, die aus der Hauptstadt West-Darfurs, El Geneina, flohen, und dabei eine Vielzahl von Menschen töteten. Im November 2023 tötete die RSF Hunderte von Zivilist*innen in Ardamata, einem Vorort von El Geneina, dem letzten Zufluchtsort für Angehörige der ethnischen Gruppe der Massalit, nachdem sie die dortige Armeegarnison eingenommen hatte. Human Rights Watch kam zu dem Schluss, dass die RSF im Rahmen einer Kampagne der ethnischen Säuberung gegen die Massalit und andere nicht-arabische Bevölkerungsgruppen in El Geneina Verbrechen gegen die Menschlichkeit und massive Kriegsverbrechen begangen hatte. Der Kontext und der weit verbreitete, ethnisch motivierte Charakter der Tötungen legen auch die Möglichkeit nahe, dass es sich bei den Tötungen um Völkermordhandlungen handelte.

Im April 2025, als internationale Akteure sich auf eine Konferenz zum Sudan in London vorbereiteten, führte die RSF einen groß angelegten Angriff auf das Flüchtlingslager Zamzam, 15 Kilometer südlich von El Fasher, durch.

Die RSF hat wiederholte Aufforderungen des Sicherheitsrats, ihre Belagerung von El Fasher zu beenden, ignoriert.

Die Einnahme von El Fasher durch die RSF erfolgte, während in Washington, D.C., unter der Schirmherrschaft der Quad-Staaten angeblich informelle Gespräche zwischen den Konfliktparteien stattfanden. Im September forderte die Quad-Gruppe die Konfliktparteien auf, eine zunächst auf drei Monate befristete „humanitäre Feuerpause” einzuhalten, um humanitäre Hilfe im ganzen Land zu ermöglichen.

Seit Ausbruch des Konflikts berichten UN-Sachverständige sowie internationale Medien und Organisationen, dass die RSF trotz ihrer miserablen Menschenrechtsbilanz militärische Unterstützung von den Vereinigten Arabischen Emiraten erhält. Human Rights Watch und France 24 haben dokumentiert, dass die RSF Waffen einsetzt, die zuvor im Besitz des Militärs der Vereinigten Arabischen Emirate waren. Internationale und kolumbianische Medien berichten, dass ein in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässiges Unternehmen ehemalige kolumbianische Militärangehörige rekrutiert und nach Darfur entsandt hat, um RSF-Kämpfer auszubilden und an ihrer Seite zu kämpfen. Von Human Rights Watch verifizierte und geolokalisierte Videos in sozialen Medien zeigen spanischsprachige ausländische Kämpfer, die in El Fasher an schweren Feuergefechten beteiligt sind.

Der UN-Sicherheitsrat sollte sich unverzüglich mit den Menschen aus dem Sudan treffen, die direkt von den Ereignissen in El Fasher betroffen sind, und Sanktionen gegen den Anführer der RSF, Mohamed Hamdan Dagalo (bekannt als „Hemedti“), und seinen Bruder Abdel Raheem Hamdan Dagalo, den stellvertretenden Kommandeur der RSF, wegen schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts verhängen. Abdel Raheem befand sich in Ardamata, als es zu den massiven Übergriffen auf Zivilisten kam, und mobilisierte Truppen in der Umgebung von El Fasher, bevor der entscheidende Angriff auf das Lager Zamzam erfolgte.

Die Europäische Union, das Vereinigte Königreich und andere Länder sollten dringend gezielte Sanktionen gegen beide Männer verhängen. Die Vereinigten Arabischen Emirate sollten unverzüglich ihren Einfluss geltend machen, um von der RSF die Beendigung ihrer Angriffe auf die Zivilbevölkerung zu fordern.

„Die internationale Gemeinschaft muss der Führung der RSF klar machen, dass ihre Angriffe auf die Zivilbevölkerung schwerwiegende Konsequenzen haben werden“, sagte Borello. „Der UN-Sicherheitsrat und Schlüsselstaaten sollten unverzüglich gegen dieses kriminelle Verhalten vorgehen, unter anderem durch Sanktionen gegen die RSF-Führung.“

Kategorien: Menschenrechte

Merz darf Erdoğans Menschenrechtsverstöße nicht ignorieren

Click to expand Image Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (2. von rechts) und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (2. von links) treffen am 16. Mai 2025 zum Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft ein. © 2025 Kay Nietfeld/picture-alliance/dpa/AP Photo

Nach dem Treffen des britischen Premiers Keir Starmer mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan zur Unterzeichnung eines Vertrags über den Kauf von Kampfflugzeugen durch die Türkei wird sich am 30. Oktober der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz auf den Weg zum Präsidentenpalast machen. Während der angekündigte Schwerpunkt auf Außenpolitik, Sicherheit und bilateralen Angelegenheiten liegt, sollte Merz nicht über den zunehmenden Abbau von Demokratie und Menschenrechten in der Türkei hinwegsehen.

Nur wenige Stunden vor Starmers Empfang in Ankara mit allen militärischen Ehren erließ ein Istanbuler Gericht in einer bizarren Wendung der Ereignisse einen neuen Haftbefehl gegen Ekrem İmamoğlu, den bereits inhaftierten Bürgermeister von Istanbul und Rivalen Erdoğans, wegen möglicher Beteiligung an Spionage für Großbritannien.

Merz täte gut daran, Bedenken zu äußern, dass die Inhaftierung und Absetzung gewählter Oppositionspolitiker die Gefahr mit sich bringt, dass die Türkei ihre demokratische Tradition aufgibt und zu einem weitaus weniger stabilen Partner wird. Die Regierung Erdoğan unterdrückt zunehmend die politische Opposition und die Medien und baut gleichzeitig ihre politische Kontrolle über die Gerichte aus.

Die zweifelhaften Spionageermittlungen gegen Imamoğlu sind nur die jüngste Episode in der Serie von Gerichtsverfahren, die die Regierung Erdoğan gegen die wichtigste Oppositionspartei, die Republikanische Volkspartei, und den angesehenen Bürgermeister von Istanbul angestrengt hat. Die neue Ermittlungsaktion stützt sich auf fadenscheinige Behauptungen über Datenlecks nach Großbritannien und anderen Staaten sowie auf die weit hergeholten Anschuldigungen einer Person, die gegen Imamoğlu ausgesagt hat. Sie kommt zu den – unbegründeten – Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft Istanbul hinzu, Imamoğlu sei der Anführer einer kriminellen Vereinigung.

Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten dürfen die autoritären Bestrebungen der Türkei nicht ignorieren, wenn sie versuchen, ihre Allianz mit Erdoğan in den Bereichen Verteidigung, regionale Entwicklungspolitik und Wirtschaftsbeziehungen zu vertiefen.

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Regierung Erdoğan sich nicht nur darauf konzentriert, die politische Opposition zu beseitigen. Ein neuer Gesetzentwurf, der an die Medien durchgesickert ist, deutet darauf hin, dass Bestrebungen im Gange sind, LGBT-Personen zu kriminalisieren, indem ihnen für Äußerungen oder die Förderung von „Einstellungen und Verhaltensweisen, die dem biologischen Geschlecht und der allgemeinen Moral widersprechen” Gefängnisstrafen drohen und der Zugang zu geschlechtsangleichenden Gesundheitsleistungen für Transgender-Personen stark eingeschränkt wird.

Während Erdoğans Regierung sicherlich wichtige Bemühungen zur Beendigung des vier Jahrzehnte andauernden Konflikts mit den Kurden fördert, müssen Merz und andere europäische Staats- und Regierungschefs die gleichzeitigen brutalen Repressionen im eigenen Land anprangern und dürfen diese nicht ignorieren.

Kategorien: Menschenrechte

Neue Deutsche Leitlinien zu Kolonialer Restitution nicht menschenrechtskonform

Click to expand Image Benin-Bronzen, die in der Vergangenheit geplündert und von Deutschland an Nigeria zurückgegeben wurden, werden während einer Übergabezeremonie in Abuja am 20. Dezember 2022 begutachtet.  © 2022 Olamikan Gbemiga/AP Photo

Letzte Woche verabschiedeten Bund, Länder und Kommunen Gemeinsame Leitlinien zum Umgang mit Kulturgütern und menschlichen „Überresten“ aus kolonialen Kontexten. Trotz des begrüßenswerten Erstrebens, die Rückgabe und Rückführungen von Kulturgütern und menschlichen Gebeinen verstorbener Ahn*innen aus kolonialen Kontexten zu regulieren, scheinen sich die Leitlinien deutlich von internationalen Menschenrechtsstandards für koloniale Wiedergutmachung zu distanzieren.

Wie andere europäische Regierungen betrachtet Deutschland solche Rückgaben und Rückführungen im Allgemeinen als freiwillige Gesten des guten Willens und als „zwischenstaatliche (politische) Angelegenheit“ und nicht als Teil einer Verpflichtung zur Wiedergutmachung historischer und anhaltender kolonialer Ungerechtigkeit mit fortbestehenden Auswirkungen auf betroffene Gemeinschaften. Laut der neuen Leitlinien werden betroffene Gemeinschaften in Rückgabe- und Rückführungsprozesse einbezogen. Ihre Rolle wird jedoch durch die erforderliche Zustimmung des Herkunftsstaates für jegliche Rückgaben und Rückführungen, sowie die notwendige Feststellung einer „unrechtmäßigen“ oder „unethischen“ Aneignung der Kulturgüter, eingeschränkt. Viele indigene Völker oder Minderheiten, die von kolonialem Unrecht noch heute betroffen sind, werden von ihren eigenen Regierungen marginalisiert und bleiben damit faktisch ohne Interessensvertretung.

Human Rights Watch empfahl dem UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Deutschlands Einhaltung seiner Verpflichtung zum Schutz des Rechts aller auf Teilhabe am kulturellen Leben zu überprüfen, wozu auch der Zugang zu Kulturgütern und menschlichen Gebeinen aus kolonialen Kontexten gehört. Der Schutz des kulturellen Erbes und der Identität ist für indigene Völker besonders wichtig. Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker von 2007 geht ausdrücklich darauf ein.

Im Jahr 2023 empfahl der UN-Ausschuss für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung, dass Deutschland einen umfassenden und rechtebasierten Ansatz für die „Rückgabe kolonialer Objekte und kultureller Artefakte, insbesondere der menschlichen Gebeine von Vorfahren“, unter effektiver Beteiligung der betroffenen Gemeinschaften verfolgen sollte.

Im Rahmen von Konsultationen für die Leitlinie forderten Human Rights Watch und zivilgesellschaftliche Partner, dass Rückgaben und Rückführungen auf völker- und menschenrechtlichen Verpflichtungen begründet werden. Die neue Leitlinie negiert jedoch ausdrücklich die Anwendbarkeit des Völkerrechts und beschreibt die Grundlage für Rückgaben und Rückführungen als eine „ethisch-moralische“ und nicht als eine rechtliche Verpflichtung.

Die Rückgabe von kolonialen Kulturgütern und Rückführungen von menschlichen Gebeinen verstorbener Ahn*innen sollten als das anerkannt werden, was sie sind: eine Form der Wiedergutmachung auf der Grundlage rechtlicher Verpflichtungen. Rückgaben und Rückführungen sollten daher auf rechtlichen Ansprüchen für Gemeinschaften basieren, um ihre Würde wieder herzustellen und generationsübergreifende Traumata zu heilen.

In einer Zeit, in der weltweit und regional Forderungen nach Wiedergutmachung laut werden, um die anhaltenden Auswirkungen kolonialer Gräueltaten zu adressieren sind die Richtlinien in ihrer jetzigen Form eine verpasste Chance. Die deutsche Regierung sollte sie im Hinblick auf völker- und menschenrechtliche Verpflichtungen erneut prüfen.

Kategorien: Menschenrechte

Afghanistan: Taliban treten die Medienfreiheit mit Füßen

Click to expand Image Regierungsvertreter und Journalisten nehmen an einer Pressekonferenz der Taliban im staatlichen Medien- und Informationszentrum teil, Kabul, Afghanistan, 12. Oktober 2025. © 2025 Siddiqullah Alizai/AP Photo Seit der Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban die afghanische Medienlandschaft mittels Überwachung, Zensur und Bestrafung von Medienschaffenden wegen vermeintlicher Kritik fest unter ihre Kontrolle gebracht.Angesichts der zunehmenden Repression durch die Taliban ist der Bedarf an unabhängigen Nachrichtenmedien in Afghanistan größer denn je. Medienschaffende berichten allerdings von äußerst schwierigen Arbeitsbedingungen im Land als auch von wachsenden Herausforderungen für jene, die im Exil leben.Die Taliban sollten die willkürliche Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Medienschaffenden, geschlechterdiskriminierende Einschränkungen der Tätigkeit von Journalistinnen und die Zensur beenden. Länder, in denen afghanische Journalist*innen im Exil leben, sollten ihre Zwangsrückführung nach Afghanistan beenden.

(New York) – Seit der Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban die Medienlandschaft in Afghanistan fest unter ihre Kontrolle gebracht, erklärte Human Rights Watch heute. Die verbliebenen Nachrichtenagenturen werden Überwachung und Zensur unterworfen und Journalist*innen und andere Medienschaffende für jede vermeintliche Kritik bestraft. Afghanische Journalist*innen im Exil, die vor der Verfolgung durch die Taliban geflohen sind, laufen nun zunehmend Gefahr, nach Afghanistan zurückgeschickt zu werden, wo ihnen Vergeltungsmaßnahmen drohen.

Die Pressefreiheit hat in den letzten vier Jahren unter der Herrschaft der Taliban in ganz Afghanistan abgenommen. Nachrichtenagenturen berichten, dass der Geheimdienst der Taliban alle Inhalte überwacht und die „Sittenpolizei“ dafür sorgt, dass Mitarbeitende die vorgeschriebenen Kleidungsvorschriften und andere Regelungen einhalten. Die lokalen Behörden setzen die offiziellen Regeln willkürlich durch, was zu unterschiedlich starker Zensur in den verschiedenen Provinzen führt. Die strengen Einschränkungen der Taliban für Frauen haben zu einem starken Rückgang der Zahl von Journalistinnen im Land geführt. 

„Taliban-Beamte zwingen afghanische Journalisten zunehmend dazu, ‚sichere‘, vorab genehmigte Berichte zu verfassen, und bestrafen diejenigen, die sich nicht daran halten, mit willkürlicher Inhaftierung und Folter“, sagte Fereshta Abbasi, Afghanistan Researcherin bei Human Rights Watch. „Das gilt zwar für alle afghanischen Journalist*innen – und viele sind aus dem Land geflohen –, doch die Frauen unter ihnen sind am stärksten betroffen.“

Im August 2025 hat Human Rights Watch 18 fernmündliche Interviews mit afghanischen Journalist*innen in Afghanistan sowie 13 persönliche Interviews mit in der Türkei lebenden afghanischen Medienschaffenden und mit afghanischen Flüchtlingsorganisationen durchgeführt. Die Befragten beschrieben einerseits die sehr schwierigen Arbeitsbedingungen in Afghanistan und andererseits die wachsende Gefahr für all jene, die in EU-Ländern, der Türkei und den USA im Exil leben.

Reporter*innen, denen die Taliban vorwerfen, mit Exilmedien zusammenzuarbeiten oder Kontakte zur Oppositionsgruppen zu haben, drohen Haft, Gewalt und Morddrohungen. Ein inhaftierter Journalist berichtete, Taliban-Beamte hätten ihm gesagt: „Wir können dich einfach töten, und niemand kann uns dafür zur Rechenschaft ziehen.“

Das sogenannte Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung des Lasters (PVPV) der Taliban inspiziert regelmäßig Medienbüros. Medienschaffende sind wegen Verstößen gegen das Gesetz des Ministeriums zur Trennung von Arbeitsbereichen für Männer und Frauen, gegen das Verbot der Ausstrahlung von Frauenstimmen und der Wiedergabe von Musik im Fernsehen und Radio inhaftiert worden. 

Bereits im September 2021 verkündete das Medien- und Informationszentrum der Taliban „11 Regeln“ für Medien. Dazu zählen das Verbot, etwas zu senden oder zu veröffentlichen, das „dem Islam widerspricht“, „nationale Persönlichkeiten beleidigt“ oder „die Privatsphäre verletzt“. Medienschaffende sind zu einer „ausgewogenen“ Berichterstattung verpflichtet und dürfen „nur die Wahrheit veröffentlichen“. Allerdings sind die Regeln mit keinerlei Kriterien für die Auslegung dieser Begriffe verknüpft. Die vage Formulierung öffnet damit Willkür Tür und Tor, und zwar auf allen Ebenen.

Die Taliban-Behörden überprüfen Berichte vor der Veröffentlichung und zensieren alles, was ihrer Meinung nach „einen negativen Einfluss auf öffentliche Meinung oder […] Moral hat“. „Sie sagen uns: ‚Stellt sicher, dass ihr uns mit euren Berichten nicht schadet‘“, sagte eine Medienperson. „Wenn ihr das tut, bekommt ihr Ärger.“

Die Taliban haben Medieninhalte, in denen Frauen eine Rolle spielen, eingeschränkt und Medien verboten, Soaps und Dramen zu senden, in denen Frauen auftauchen. Journalistinnen sind gezwungen, einen Hijab zu tragen.

Gemäß dem im August 2024 erlassenen Gesetz zur Verbreitung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters überprüfen Inspektoren, ob Medieninhalte mit der Scharia (dem islamischen Recht) vereinbar sind und keine Bilder von Lebewesen enthalten.

Aufgrund dieser Einschränkungen üben sich Medienschaffende in Selbstzensur und beschränken ihre Berichterstattung auf offizielle Veranstaltungen wie Preisverleihungen, diplomatische Besuche und Entwicklungsprojekte. Aber auch die ausbleibende Berichterstattung über offizielle Veranstaltungen kann zu Verweisen, Drohungen und in einigen Fällen sogar zu Haftstrafen führen. Ein in Kabul ansässiger Journalist berichtete, dass er zweimal inhaftiert worden sei, weil er nicht über solche Veranstaltungen berichtet habe.

Ein anderer Journalist erklärte, dass der Sprecher der Provinzbehörden ihn angerufen habe, um ihm mitzuteilen, dass er bei einer Abschlussfeier der Polizeischule anwesend sein solle. „Ich bin nicht hingegangen, weil es nicht berichtenswert war“, sagte er. „Am nächsten Tag erfuhr ich, dass ich nicht mehr berichten darf.‘“

Medienschaffende, die aus Afghanistan in andere Länder geflohen sind, leben im Exil in Unsicherheit und müssen fürchten, nach Afghanistan abgeschoben und dort verfolgt zu werden.

Länder, die afghanische Geflüchtete aufnehmen, sollten daran festhalten, dass Afghanistan für Rückkehrende unsicher ist, und jederzeit die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung gewährleisten, der die Rückführung von Menschen in Gefahrensituationen verbietet. Schließlich hat sich die Menschenrechtslage in Afghanistan seit der Machtübernahme durch die Taliban weiter verschlechtert.

Kategorien: Menschenrechte

Brasilien: Illegale Farmen zerstören Regenwald und Lebensgrundlagen

Play Video Illegale Viehzucht zerstört Gebiete kleiner Landbesitzer*innen und Indigener Völker im Amazonasgebiet, wo der diesjährige COP30-Klimagipfel stattfinden wird.Der weltweit größte Fleischkonzern JBS verfügt trotz entsprechender Zusagen bislang über kein System zur Nachverfolgung seiner gesamten Lieferketten und bezieht möglicherweise illegal gezüchtete Rinder aus den betroffenen Gebieten.Die brasilianische Regierung muss die illegalen Viehzuchtbetriebe aus dieser Region entfernen. JBS sollte seine Zusagen einhalten und Missstände beseitigen, zu denen der Konzern, möglicherweise unbeabsichtigt, beiträgt.

(São Paulo) – Illegale Viehzucht zerstört die Gebiete von Kleinbäuer*innen und indigenen Völkern in Pará, dem Bundesstaat Brasiliens, in dem dieses Jahr der Klimagipfel COP30 stattfinden wird, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. JBS, der weltweit größte Fleischkonzern, hat möglicherweise Rindfleisch und Leder in die Europäische Union exportiert, die von Rindern von illegalen Farmen in dieser Region stammen.

Der 86-seitige Bericht „Tainted: JBS and the EU’s Exposure to Human Rights Violations and Illegal Deforestation in Pará, Brazil” beschreibt detailliert, wie Viehzüchter illegal Land besetzt und die Lebensgrundlage der rechtmäßigen Bewohner*innen der Kleinbauernsiedlung Terra Nossa und des indigenen Gebiets Cachoeira Seca zerstört haben, wodurch die Rechte der Betroffenen auf Wohnen, Land und Kultur verletzt wurden. Eine Analyse offizieller Quellen durch Human Rights Watch zeigt, dass illegale Farmen in diesen Gebieten Rinder an mehrere direkte Lieferanten von JBS verkauft haben.

„JBS verfügt noch immer nicht über ein System zur Nachverfolgung seiner indirekten Rinderlieferanten, obwohl das Unternehmen bereits 2011 versprochen hatte, ein solches System einzuführen“, sagte Luciana Téllez Chávez, Senior-Umweltforscherin bei Human Rights Watch. „Ohne ein solches System kann das Unternehmen seine Verpflichtung, illegale Abholzung aus seinen Lieferketten bis Ende 2025 zu verbannen, nicht erfüllen.“

Mittels der Analyse der vom Bundesstaat Pará ausgestellten Genehmigungen für den Transport von Rindern hat Human Rights Watch fünf Fälle identifiziert, in denen illegale Farmen in Terra Nossa und Cachoeira Seca Rinder an Farmen außerhalb dieser Schutzgebiete geliefert haben, welche diese anschließend an Schlachthöfe von JBS verkauften. Die in diesen Gebieten untersuchten Rinderfarmen sind nach brasilianischem Bundesrecht illegal.

Die brasilianische Landreformbehörde schuf 2006 die ländliche Siedlung Terra Nossa für Kleinbauern. Die Familien sollten das Land bewirtschaften, Früchte und Nüsse aus dem Regenwald ernten – der ursprünglich 80 Prozent der 150.000 Hektar großen Siedlung ausmachte – und ihre Produkte auf lokalen Märkten verkaufen.

Viehzüchter haben jedoch illegal Land in Terra Nossa besetzt. Hierbei sind sie gewaltsam gegen Menschen vorgegangen, die sich ihnen widersetzten. Bis 2023 waren bereits 45,3 Prozent der Siedlung in Weideland umgewandelt worden.

Ab 2016 untersuchte die Landreformbehörde die Siedlung und stellte schließlich fest, dass 78,5 Prozent illegal besetzt waren. Dennoch unternahm sie jahrelang nichts, um die illegalen Farmen aufzulösen. Die Behörde erwägt nun einen Plan, um die Siedlung aufzuteilen und ihren Status zu ändern, was höchstwahrscheinlich zu einer dauerhaften Straffreiheit für Umweltverbrecher führen würde.

In Cachoeira Seca sind die Arara-Indigenen auf den Regenwald in ihrem 733.000 Hektar großen Gebiet angewiesen. Die brasilianische Bundesregierung ist gesetzlich verpflichtet, nicht-Indigene Bewohner*innen zu entfernen. Stattdessen wurden weitere illegale Viehzuchtbetriebe gegründet, wodurch die Verfügbarkeit von Wild und Waldprodukten verringert, die Bewegungsfreiheit der indigenen Bevölkerung in ihrem eigenen Gebiet eingeschränkt und ihre kulturellen Rechte untergraben wurden. Cachoeira Seca verzeichnete 2024 die größte abgeholzte Fläche in einem indigenen Gebiet im gesamten brasilianischen Amazonasgebiet.

JBS verfolgt seine indirekten Lieferanten nicht systematisch und kann nicht garantieren, dass kein illegal produziertes Rindfleisch in seine Lieferkette gelangt, so Human Rights Watch. Es gibt keine staatliche Verpflichtung, die Herkunft einzelner Rinder zurückzuverfolgen, da sie verschiedene Farmen in Brasilien durchlaufen.

In einem Schriftwechsel mit Human Rights Watch erklärte JBS, dass es die Farmen seiner direkten Lieferanten überwacht, um sicherzustellen, dass diese die Beschaffungsrichtlinien des Konzerns einhalten. Das Unternehmen erklärte außerdem, dass es ab dem 1. Januar 2026 seine direkten Lieferanten dazu verpflichtet, Informationen über ihre Unterlieferanten bereitzustellen.

Die Regierung von Pará kündigte an, bis 2026 ein System zur Rückverfolgbarkeit einzelner Rinder einzuführen, und die Behörden teilten Human Rights Watch mit, dass sie generell keine Genehmigungen mehr für den Transport von Rindern in geschützte Wälder ausstellen werden. Die brasilianische Bundesregierung wiederum kündigte einen Plan zur Einführung eines nationalen Systems zur Rückverfolgbarkeit einzelner Rinder bis 2032 an. Da der illegale Rinderhandel sich über die Grenzen einzelner Bundesstaaten erstreckt, dürfte eine langsame Umsetzung des nationalen Systems mögliche Fortschritte erheblich ausbremsen, so Human Rights Watch.

Die EU-Länder sollten ab Januar 2026 die Verordnung für entwaldungsfreie Produkte umsetzen. Diese Verordnung würde den Verkauf von Rinderprodukten auf dem EU-Markt verbieten, wenn diese aus Gebieten stammen, die nach 2020 abgeholzt wurden, oder wenn die Produktion gegen die nationalen Gesetze des jeweiligen Herkunftslandes verstößt. EU-Abgeordnete diskutieren darüber, die Durchsetzung um ein Jahr zu verschieben. Eine Verzögerung würde es ermöglichen, dass belastete Produkte weiterhin in den Binnenmarkt gelangen, und das Engagement der EU zur Bekämpfung ihres globalen Fußabdrucks in Bezug auf Entwaldung infrage stellen, sagte Human Rights Watch.

Human Rights Watch analysierte Handelsdaten zwischen 2020 und 2025 und stellte fest, dass Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Irland, die Niederlande, Spanien und Schweden Rindfleisch aus den Gemeinden importierten, in denen sich die in diesem Bericht genannten JBS-Betriebe befinden, während Italien ein wichtiger Abnehmer für Lederprodukte war.

Die brasilianische Regierung sollte illegale Farmen schließen und Schadensersatz von denjenigen fordern, die für die rechtswidrige Besetzung und Nutzung von Land in den betroffenen Gemeinden verantwortlich sind. Sie sollte zudem die Einführung und wirksame Durchsetzung eines Systems zur Rückverfolgbarkeit einzelner Rinder beschleunigen.

JBS wiederum sollte Maßnahmen ergreifen, um jeglichen Landbetrug, illegale Abholzung oder Menschenrechtsverletzungen, zu denen das Unternehmen – wenn auch unbeabsichtigt – in Terra Nossa und Cachoeira Seca beigetragen haben könnte, zu beenden.

„Der Kampf gegen Abholzung und Menschenrechtsverletzungen, die in den Lieferketten für Rindfleisch begründet sind, ist eine gemeinsame Verantwortung von Verkäufern und Abnehmern“, sagte Téllez Chávez. „Brasilien und die EU sollten zusammenarbeiten, um den Regenwald zu schützen und die Rechte der Gemeinden zu wahren, die auf ihn angewiesen sind.“

Kategorien: Menschenrechte

UN-Menschenrechtsrat richtet Untersuchungsmechanismus für Afghanistan ein

Click to expand Image Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, Genf, Schweiz, 26. Februar 2024.  © 2024 Hannes Albert/picture alliance/dpa/AP Photo

(Genf) – Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat am 6. Oktober 2025 eine wegweisende Resolution verabschiedet, mit der ein unabhängiger Mechanismus zur Untersuchung vergangener und aktueller Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan geschaffen wird, teilte Human Rights Watch heute mit. Die Resolution signalisiert den Taliban und allen weiteren Verantwortlichen für schwere Verbrechen in Afghanistan, dass Beweise gesammelt und aufbereitet werden, um so eines Tages für Gerechtigkeit zu sorgen.

Die von der Europäischen Union eingebrachte Resolution wurde einstimmig angenommen. Der Mechanismus soll sich unter anderem auf die aktuellen Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen durch die Taliban konzentrieren, die einer geschlechtsspezifischen Verfolgung gleichkommen. Das Gremium wird Beweise für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen sammeln und sichern, Verantwortliche identifizieren und Akten erstellen, um die Ermittlungen durch nationale und internationale Gerichte zu unterstützen. Die Resolution verlängerte auch das Mandat des UN-Sonderberichterstatters für Menschenrechte in Afghanistan, dessen Überwachungs- und Berichterstattungsfunktion nach wie vor von wesentlicher Bedeutung ist und die Arbeit des neuen Mechanismus ergänzen wird.

„Die Mitgliedsstaaten des UN-Menschenrechtsrats haben gemeinsam eine entschlossen Botschaft gesendet, dass die Verantwortlichen für schwere internationale Verbrechen in Afghanistan eines Tages vor Gericht gestellt werden“, sagte Fereshta Abbasi, Afghanistan-Forscherin bei Human Rights Watch. „Es ist von entscheidend, dass der neue Mechanismus schnell einsatzbereit ist, um mit der Sammlung, Aufbereitung und Sicherung von Beweismitteln zu beginnen und Akten über die Verantwortlichen für internationale Verbrechen in Afghanistan anzulegen.“

Die Resolution ist eine Reaktion auf Forderungen afghanischer und internationaler Menschenrechtsgruppen, endlich gegen die notorische Straflosigkeit in Afghanistan vorzugehen. Im August 2025 hat ein Bündnis unter der Führung von HRD+, einem Netzwerk afghanischer Menschenrechtsverteidiger*innen, mit Unterstützung von 108 afghanischen und internationalen Organisationen nach einer vierjährigen Kampagne erneut einen Appell für den Untersuchungsmechanismus veröffentlicht. Im Laufe des vergangenen Jahres schlossen sich UN-Expert*innen und Länder aus verschiedenen Regionen entsprechenden Forderungen zivilgesellschaftlicher Gruppen an die EU an.

Der Untersuchungsmechanismus soll gemäß seinem Mandat und nach dem Vorbild zweier ähnlicher Mechanismen für Syrien und Myanmar einen umfassenden Ansatz zur Untersuchung internationaler Verbrechen verfolgen. Somit könnte gegen alle Personen ermittelt werden, die für die Umsetzung von Anordnungen der Taliban verantwortlich sind, welche die Menschenrechte verletzen oder gegen das Völkerrecht verstoßen. Dazu gehört beispielsweise auch das „Gesetz über die Verbreitung von Tugend und Verhinderung des Lasters“. Entsprechende Beweise würden gesammelt, aufbewahrt und für künftige Strafverfolgungen aufbereitet.

Es wird erwartet, dass der Mechanismus das Vorgehen der Taliban-Führung, der Provinzdirektionen, der Gouverneure und anderer Beamter untersucht, die etwa für Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten verantwortlich sind. Er wird auch gegen Beamte ermitteln, die für die Verweigerung der Rechte von Frauen und Mädchen, insbesondere auf Bildung, Gesundheitsversorgung und Bewegungsfreiheit, verantwortlich sind, was eine geschlechtsspezifische Verfolgung darstellt.

Der Untersuchungsmechanismus wird sich jedoch nicht auf Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban allein beschränken, sondern auch Beamte der ehemaligen Regierung, Warlords und Mitglieder internationaler Streitkräfte, nichtstaatliche bewaffnete Gruppen und andere Personen mit einschließen.

„Die Europäische Union hat mit der Vorlage dieser Resolution für einen Untersuchungsmechanismus zu Afghanistan eine prinzipientreue Führungsrolle übernommen.“, sagte Abbasi. „Mit der einstimmigen Verabschiedung der Resolution haben die Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats ein deutliches Signal gegen Doppelmoral in der Justiz oder eine Hierarchie der Opfer gesetzt und die wachsende internationale Entschlossenheit gezeigt, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für internationale Verbrechen verantwortlich sind.“

Der UN-Generalsekretär wurde beauftragt, das Gremium schnellstmöglich einzurichten und arbeitsfähig zu machen sowie sicherzustellen, dass es trotz der anhaltenden Finanzkrise der UNO mit der Arbeit an seinem Kernmandat beginnen kann. Dies ist vor allem für Frauen und Mädchen von großer Bedeutung, deren Leben und Alltag unter der Herrschaft der Taliban in vielerlei Hinsicht massiv eingeschränkt ist.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Haftbefehle gegen zwei hochrangige Taliban-Funktionäre wegen des Verbrechen gegen die Menschlichkeit der geschlechtsspezifischer Verfolgung erlassen. Die Resolution weist den neuen Mechanismus an, eng mit dem IStGH zusammenzuarbeiten. Sie verurteilt dabei jegliche „Angriffe und Drohungen gegen den Gerichtshof, gewählte Beamte, Mitarbeitende und jene, die mit dem Gerichtshof zusammenarbeiten“, insbesondere im Hinblick auf US-Sanktionen gegen IStGH-Personal und diejenigen, die vor dem Gerichtshof Gerechtigkeit suchen,.

„Die Mitglieder des UN-Menschenrechtsrats haben den Betroffenen, ihren Familien und all jenen, die mutig für Gerechtigkeit in Afghanistan kämpfen, die klare Botschaft gesendet, dass ihre Stimmen gehört wurden und dass ihr Leid weder unsichtbar noch auslöschbar ist“, sagte Abbasi. „Der UN-Generalsekretär sollte sicherstellen, dass der Untersuchungsmechanismus umgehend eingeführt wird, und die UN-Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die finanziellen Mittel für die Aufnahme der Arbeit des Mechanismus bereitgestellt werden.“

Kategorien: Menschenrechte

Angesichts der Ausweitung Israelischer Angriffe sollte Deutschland EU-Maßnahmen zu Gaza unterstützen

Click to expand Image Aktivist*innen stellten am 9. Juli 2025 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin Bilder von Kindern aus Gaza auf, um bei einer Protestaktion ein stärkeres Engagement der deutschen Regierung für die Kinder in Gaza und die Verteidigung des Völkerrechts zu fordern. © 2025 Lisi Niesner/Reuters

Während Israel seine Vernichtungskampagne in Gaza weiter eskaliert, führen die israelische Militäroperation in Gaza-Stadt weiterhin zu massenhaften Tötungen und Vertreibungen von Palästinenser:innen. Hunderttausende Menschen sind inzwischen von Hunger betroffen – eine Folge von Israels gezielter Blockade und der systematischen Verweigerung lebensrettender Hilfe. Laut dem Gesundheitsministerium in Gaza wurden durch Israels Angriffe über 65.000 Palästinenser:innen getötet und mehr als 165.000 verletzt. Die meisten Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser und andere zivile Infrastruktur sind schwer beschädigt oder vollständig zerstört.

Inzwischen besteht weitgehender Konsens über das Ausmaß und die Art der Gräueltaten im Rahmen der israelischen Militäroperationen in Gaza. Doch abgesehen von der Aussetzung neuer Exportgenehmigungen für „Rüstungsgüter, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen können“, beharrt die deutsche Bundesregierung bislang auf dem Standpunkt, dass allein bilaterale Diplomatie ausreiche, um Israel zur Beendigung seiner Gräueltaten zu bewegen und unterstützt weitere konkrete Maßnahmen der Europäischen Union nicht.

Das hat nicht funktioniert.

Deutschland hat sich lange als Verteidiger einer internationalen, regelbasierten Ordnung stilisiert und sich für Rechenschaftspflicht bei Verbrechen in der Ukraine, Syrien, Afghanistan, Myanmar und anderen Orten eingesetzt. Diese Reputation steht nun infrage.

Neben seiner moralischen und historischen Verantwortung hat Deutschland auch eine rechtliche Verpflichtung zu handeln. Alle Vertragsstaaten der UN-Völkermordkonvention, also auch Deutschland, sind verpflichtet, „alle ihnen vernünftigerweise zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um Völkermord soweit wie möglich zu verhindern“.

Die Europäische Kommission hat kürzlich einen Vorschlag für konkrete Maßnahmen vorgelegt: die Aussetzung des Handelskapitels des EU-Israel-Assoziierungsabkommens sowie gezielte Sanktionen gegen israelische Minister, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Beide Maßnahmen erfordern die Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten und Deutschlands Stimme ist entscheidend. Als bevölkerungsreichster EU-Staat könnte Deutschland gemeinsam mit Italien, Ungarn und Tschechien eine „Sperrminorität“ bilden, selbst wenn alle anderen EU-Staaten zustimmen würden.

Der Vorschlag zur Aussetzung folgt auf zahlreiche Dialogversuche Deutschlands und aller EU-Außenminister, die jedoch nicht dazu geführt haben, Israels Vernichtungskampagne zu stoppen. Die Aussetzung des Handelskapitel würde den Handel zwischen der EU und Israel nicht verbieten, sondern lediglich die Zollvergünstigungen aussetzen, bis Israel seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommt.

Die Bundesregierung steht vor einer klaren, wenn auch schwierigen Entscheidung: das Völkerrecht zu wahren und sich mit den meisten EU-Partnern zu positionieren – oder weiterhin EU-Maßnahmen zu blockieren, was zu weiterer Isolation und Reputationsverlust führen würde. Und, noch entscheidender, bei fortgesetzter Unterstützung droht eine Mitverantwortung an Israels Gräueltaten in Gaza.

Kategorien: Menschenrechte

Kambodscha: Mikrokredite schaden Indigenen Gemeinschaften

Click to expand Image Anzeige der Mikrofinanzinstitution Amret an der Hauswand eines Indigenen Kreditnehmers der Tampuan im Dorf Pa Chon Thom, Ratanakiri, Kambodscha, mit der Aufschrift: „Amret hilft Ihnen beim Kauf von landwirtschaftlichen Geräten, auch wenn Sie kein eigenes Geld haben“ [links]; „Amret ist immer bereit, Ihnen und Ihrer Familie zu helfen“ [rechts].  © 2023 Privat Von internationalen Investoren finanzierte Mikrofinanzinstitute (MFIs) in Kambodscha haben Indigenen Gemeinschaften aggressiv Kredite vermarktet und deren Land dabei systematisch als Darlehenssicherheit genutzt.Die räuberischen Kreditvergabe- und Schuldeneintreibungspraktiken dieser MFIs haben zu erzwungenen Landverkäufen, Überschuldung, schuldenbedingten Selbsttötungen und Verletzungen der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte Indigener Gemeinschaften geführt.Die kambodschanischen Behörden, kambodschanische MFI-Kreditgeber und internationale Investoren, darunter die Internationale Finanz-Corporation der Weltbank, sollten den Schutz der Rechte Indigener Gemeinschaften sicherstellen und Zugang zu Abhilfemaßnahmen, einschließlich eines unabhängigen Beschwerdemechanismus, gewähren.

(Bangkok, 25. September 2025) – Die räuberische Kreditvergabe durch Mikrofinanzinstitute in Kambodscha führt zu Landenteignungen und Menschenrechtsverletzungen an Indigenen Gemeinschaften, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Zu den Geldgebern der kambodschanischen Kreditgeber, die an diesen Missständen beteiligt sind, gehören private Investoren, staatliche Entwicklungsbanken und die International Finanz-Corporation der Weltbank, die private Investitionen in einkommensschwachen Ländern fördert.

Der 120-seitige Bericht „Debt Traps: Predatory Microfinance Loans and the Exploitation of Cambodia’s Indigenous Peoples“ (dt. etwa: In der Schuldenfalle: Räuberische Vergabe von Mikrokrediten und die Ausbeutung von Indigenen in Kambodscha) zeigt auf, dass die Überschuldung Indigener Gemeinschaften in den nordöstlichen Provinzen Kambodschas zu erzwungenen Landverkäufen, schuldenbedingten Selbsttötungen, Ernährungsunsicherheit und dem Verlust des Zugangs zu Gesundheitsversorgung und Bildung geführt hat. Kambodschanische Mikrofinanzinstitute (MFIs) haben Indigenen Kreditnehmer*innen regelmäßig Kredite gewährt – in Höhen, die ihre Rückzahlungsfähigkeit weit überstiegen – und die Vertragsunterlagen dabei ausschließlich in Khmer ausgestellt, einer Sprache, die viele Angehörige Indigener Gemeinschaften nicht lesen können.

„Kambodschanische Kreditgeber haben Mikrokredite als Weg aus der Armut angepriesen, aber stattdessen haben sie Indigene Familien in die Überschuldung getrieben“, sagte Bryony Lau, stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch. „Diese Kredite haben vielen Menschen ihr Land, ihre Gesundheit und manchmal sogar ihr Leben gekostet.“

Mikrokredite sollen Menschen in Armut den Zugang zu Kapital erleichtern – vor allem, um kleine Unternehmen aufzubauen, für die sonst kaum oder gar keine Finanzierungsmöglichkeiten bestehen. Mikrokredite entstanden Mitte der 1970er Jahre ursprünglich als Gruppenkredite, die auf gegenseitigem Vertrauen und Verantwortlichkeit basierten und keine Sicherheiten erforderten. Wie in vielen anderen Ländern auch begannen MFIs in Kambodscha zunächst als Non-Profit-Organisationen, die von Spender*innen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) gegründet wurden. In den letzten Jahrzehnten gerieten sie jedoch ins Visier nationaler und internationaler Investoren und entwickelten sich vor diesem Hintergrund zu höchst lukrativen Unternehmungen.

Human Rights Watch hat zwischen Februar und Oktober 2024 mehr als 50 Menschen aus Indigenen Gemeinschaften befragt, die von Überschuldung durch Mikrokredite in und um die kambodschanische Provinz Ratanakiri betroffen sind. Ihre Angaben wurden soweit möglich auf Grundlage von Informationen zivilgesellschaftlicher Gruppen, Journalist*innen, Branchenexpert*innen und Kreditsachbearbeiter*innen mehrerer kambodschanischer Mikrofinanzinstitute sowie durch schriftliche Unterlagen wie Berichte aus dem Mikrofinanzsektor, interne Daten der Mikrofinanzbranche sowie Kreditunterlagen und Bonitätsberichte der Kreditnehmer*innen selbst gegengeprüft. 

Indigene Kreditnehmer*innen berichteten, dass Krediteintreiber sie unter Druck gesetzt beziehungsweise gezwungen hätten, informelle Kredite aufzunehmen oder Land oder Eigentum zu verkaufen, um ihre Schulden zu begleichen. In einigen Fällen seien sie mehrfach gekommen oder hätten rechtliche Schritte oder die Einschaltung lokaler Behörden angedroht. Die Kreditnehmer*innen gaben an, dass sie vor Erhalt ihrer Kredite nicht vollständig verstanden hätten, wie sie diese zurückzahlen sollen, welche Gebühren entstehen und was die Zinssätze bedeuten.

Mikrofinanzinstitute haben häufig informelle Landtitel (sogenannte „soft titles“), die von lokalen Behörden ausgestellt werden, als Sicherheiten akzeptiert. Diese informellen Landtitel überschneiden sich oftmals mit kollektiven Landtiteln der indigenen Bevölkerung, obwohl diese Flächen nach kambodschanischem Recht geschützt sind. Die Nutzung Indigenen Landes als Sicherheit ohne freie, vorherige und informierte Zustimmung birgt die Gefahr einer Verletzung kollektiver Landrechte, insbesondere dann, wenn Kredite mit Landflächen besichert sind, die sich in traditionellem oder gemeinschaftlichem Besitz befinden oder gerade als solche registriert werden.

Da solche informellen Landtitel als Darlehenssicherheiten herangezogen werden, wird das Verfahren zur Beantragung kollektiver Landtitel erschwert. Dieses Verfahren setzt voraus, dass die Mitglieder der betroffenen Gemeinschaften sämtliche dieser informellen Titel zusammentragen und den kambodschanischen Behörden vorlegen, was jedoch nicht möglich ist, wenn diese Titel als Darlehenssicherheit dienen.

Indigene Kreditnehmer*innen berichteten, dass sie von Krediteintreiber unter Druck gesetzt wurden, ihr Land zu verkaufen. Manche verkauften ihr Land teilweise oder in Gänze aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Kreditgeber. Diese räuberischen Kreditvergabe- und Schuldeneintreibungspraktiken gefährden die Identität, die Lebensgrundlagen und das Überleben der Indigenen Bevölkerung.

Human Rights Watch hat Lücken bei der Aufsicht der kambodschanischen Regierung über den Mikrofinanzsektor festgestellt. Außerdem haben ausländische Investoren ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht erfüllt, was gegen ihre eigenen Investitionsstandards und die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte verstößt.

Schon 2015 erkannte die Internationale Finanz-Corporation das Risiko der Überschuldung und des schwachen Verbraucherschutzes im kambodschanischen Mikrofinanzsektor an, was die Organisation jedoch nicht daran hinderte, weiterhin in diesen Sektor zu investieren – zwischen 2016 und 2021 waren es über 438 Millionen US-Dollar. Im Jahr 2022 reichten kambodschanische Menschenrechtsorganisationen eine formale Beschwerde bei der Ombudsstelle der IFC ein, woraufhin eine Untersuchung eingeleitet wurde.

Alle Beteiligten – darunter internationale Investoren, kambodschanische Regulierungsbehörden und die Mikrofinanzinstitute selbst – sollten den Zugang zu Abhilfe sicherstellen, wie etwa Schuldenerlasse und eine umfassende Umschuldung sowie die Rückgabe von indigenem Land, das durch erzwungene Landverkäufe erworben wurde, so Human Rights Watch. 

Abhilfemaßnahmen sollten sich nicht nur auf die aktuelle Kreditvergabe beschränken, sondern auch Investoren und Aktionär*innen einbeziehen, die von räuberischen Kreditgeschäften profitiert und seither nicht versucht haben, die durch sie verursachten Schäden wiedergutzumachen. Diese Akteure sollten Mittel für einen unabhängigen Beschwerdemechanismus bereitstellen, der sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechteorientiert.

„Der Mikrofinanzsektor in Kambodscha wurde von der Internationalen Finanz-Corporation, internationalen Entwicklungsbanken und privaten Investoren gestützt, die die zunehmenden Hinweise auf Schäden und die wiederholten Forderungen kambodschanischer Gruppen und Kreditnehmer nach Maßnahmen und Unterstützung ignoriert haben“, sagte Lau. „Die Internationale Finanz-Corporation und andere Geldgeber sollten dafür sorgen, dass Indigene Menschen nicht länger leiden müssen, während Investoren Gewinne machen.“

Ausgewählte Zitate von Betroffenen:

Eine 62-jährige Indigene Cashew-Bäuerin aus einer Kuy-Gemeinschaft in Ratanakiri beschrieb am 6. März 2024, wie sie unter Druck gesetzt wurde, weitere Kredite aufzunehmen:

„Ich kann weder Khmer noch eine andere Sprache lesen oder schreiben. Ich habe ohnehin ganz schlechte Augen und kann kaum die andere Straßenseite erkennen. Wie soll ich da die Kreditunterlagen verstehen. Ich sagte ihnen, dass ich keine weiteren Kredite mehr aufnehmen wolle, aber sie sagten: „Wie willst du deine anderen Kredite zurückzahlen, wenn du keine weiteren aufnimmst?“ 

Eine Indigene Landarbeiterin der Kachok-Gemeinschaft in Ratanakiri beschrieb am 21. Februar 2024, wie Krediteintreiber ihr – ohne rechtliche Grundlage – mit strafrechtlicher Verfolgung drohten, weil sie ihre Kredite nicht zurückgezahlt hatte:

„Sie lasen uns die Briefe vor, um uns unter Druck zu setzen, zu zahlen. Sie sagten mir, dass ich mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müsse, wenn ich nicht zahle […] dass ich mit ihnen vor Gericht gehen müsse […]. Ich kenne mich mit Gesetzen nicht aus, ich habe nur Angst, dass ich zur Polizeistation gebracht und gezwungen werde, das Geld zu zahlen. Ich hatte Angst, dass ich dafür ins Gefängnis kommen könnte.“

Ein Indigener Cashew-Bauer der Jarai-Gemeinschaft in Ratanakiri beschrieb die körperlichen und psychischen Auswirkungen der Drohungen des Krediteintreibers:

„Ich sagte dem Kreditbeamten: ‚Wenn Sie mich bedrohen und so mit mir sprechen, wird mir schwindlig. Ich habe Herzprobleme, meine Arme und Beine fühlen sich schwach an, mir wird schwindelig, und ich kann den Stress nicht ertragen.‘ Der Kreditbeamte antwortete: ‚Wenn Sie Land haben, verkaufen Sie es. Was auch immer Sie verkaufen müssen, um uns das Geld zurückzuzahlen, zum Beispiel Geld von Ihrer Familie leihen oder Ihr Land verkaufen, tun Sie es, damit Sie uns bezahlen können.‘“

Kategorien: Menschenrechte

Syrien: Gräueltaten vom März erfordern Rechenschaftspflicht auf höchster Ebene

Click to expand Image Syrische Regierungstruppen in der westlichen Stadt Latakia, Syrien, am 9. März 2025. © 2025 OMAR HAJ KADOUR/AFP via Getty Images Die syrische Übergangsregierung hat versprochen, die Gewalttaten vom März 2025 aufzuklären, aber kaum Transparenz darüber geschaffen, ob ihre Ermittlungen auch die Rolle hochrangiger Militärs oder ziviler Führungskräfte untersucht haben oder welche Schritte sie unternehmen wird, um diejenigen mit Befehlsgewalt zur Rechenschaft zu ziehen.Wenn Befehlshaber und Beamte, die für den Einsatz und die Führung missbräuchlicher Streitkräfte verantwortlich sind, nicht zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt das Tor für weitere Repressalien und Gräueltaten in Syrien offen.Die syrischen Behörden sollten sicherstellen, dass in Gerichtsverfahren nicht nur einzelne Straftaten, sondern auch die institutionelle Verantwortung untersucht werden. Sie sollten außerdem den Zugang zu internationalen Mechanismen der Rechenschaftspflicht ermöglichen und Sicherheitsreformen durchführen.

(Beirut, 23. September 2025) – Die Übergangsregierung Syriens hat versprochen, Rechenschaft für die Gewalt in drei Provinzen im März 2025 zu leisten, aber sie hat wenig Transparenz darüber geschaffen, ob ihre Untersuchung die Rolle hochrangiger Militär- oder Zivilverantwortlicher geprüft hat oder welche Schritte sie unternehmen wird, um diejenigen mit Befehlsgewalt zur Rechenschaft zu ziehen, so Human Rights Watch, Syrians for Truth and Justice und Syrian Archive in einem heute veröffentlichten Bericht. 

September 23, 2025 “Are you Alawi?”

Der 51-seitige Bericht „‚Bist du Alawi?’ Identitätsbasierte Tötungen während des Übergangs in Syrien“ dokumentiert weit verbreitete Übergriffe durch Regierungstruppen, regierungsnahe bewaffnete Gruppen und bewaffnete Freiwillige, darunter Massenhinrichtungen, vorsätzliche Zerstörung von Eigentum und Misshandlung von Gefangenen. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Verbrechen im Rahmen einer zentral koordinierten Militäroperation unter der Leitung des Verteidigungsministeriums begangen wurden, dessen Beamte auch nach Bekanntwerden der Massentötungen weiterhin Einsätze koordinierten.

„Die Anerkennung der Gräueltaten durch die Regierung ist ein Schritt nach vorne, reicht jedoch nicht aus, um die Verantwortlichen auf höherer Ebene, die diese Gräueltaten ermöglicht oder nicht verhindert haben, zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte Hiba Zayadin, leitende Syrien- Forscherin bei Human Rights Watch. „Wenn die für den Einsatz und die Führung der missbräuchlichen Streitkräfte verantwortlichen Kommandeure und Beamten nicht zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt das Tor für weitere Repressalien und Gräueltaten in Syrien offen.“

Die Gewalt im März wurde durch eine koordinierte Welle von Angriffen ausgelöst, die am 6. März von bewaffneten Männern begann, die die Regierung als Loyalisten der ehemaligen Regierung von Bashar al-Assad bezeichnete. Bei diesen Angriffen wurden mindestens 200 Regierungsangestellte getötet. Die Regierungstruppen reagierten mit Sicherheitseinsätzen in der gesamten Region, bei denen es zu weit verbreiteten identitätsbasierten Übergriffen und Gräueltaten kam, die sich in erster Linie gegen alawitische Bevölkerung richteten, die als loyal gegenüber der früheren Regierung von Bashar al-Assad gilt.

Auf der Grundlage von mehr als 100 Interviews mit Opfern, Zeug*innen, Kämpfern und Journalist*innen sowie verifizierten audiovisuellen Materialien und Satellitenbildern dokumentierten die Organisationen zwischen dem 6. und mindestens dem 10. März weit verbreitete Gewalttaten in mehr als 24 Städten, Dörfern und Stadtvierteln. Dazu gehörten Massenhinrichtungen, Hausdurchsuchungen, Plünderungen, Brandstiftung und identitätsbasierte Übergriffe.

Die Organisationen fanden zwar keine direkten Befehle zur Begehung von Gräueltaten, bestätigten jedoch, dass das Verteidigungsministerium der neuen Regierung eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung von Einheiten und der Koordinierung ihres Einsatzes spielte. Die Behörden mobilisierten Zehntausende von Kämpfern aus dem ganzen Land und wiesen ihnen gemeinsame Einsatzgebiete zu. Kämpfer berichteten, dass sie über mit dem Ministerium verbundene Kanäle Befehle erhielten, darunter auch den Befehl, die Verantwortung für die von ihnen „gesicherten” Gebiete an die Sicherheitskräfte (Polizei) zu übergeben.

Kämpfer berichteten Human Rights Watch, dass die Militärführung auch noch lange nachdem die Behörden von den Tötungen und Gräueltaten wussten oder hätten wissen müssen, weiterhin Streitkräfte koordinierte und einsetzte.

„Man braucht keinen unterzeichneten Befehl, um hochrangige Beamte und Fraktionskommandeure zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte Bassam al-Ahmed, Mitbegründer und Geschäftsführer von Syrians for Truth and Justice. „Beamte des Verteidigungsministeriums hatten die Macht, Zehntausende Kämpfer zu mobilisieren, Einsatzgebiete zuzuweisen und aufzuteilen und tagelang Operationen in Dutzenden von Städten durchzuführen. Die Frage ist nicht nur, wer die Befehle erteilt hat oder ob sie erteilt wurden, sondern warum niemand in verantwortlicher Position die weit verbreiteten Tötungen und Plünderungen verhindern konnte. Das ist ein Versagen der Führung und ein Versagen des Willens.“

Das syrische Nationale Komitee zur Untersuchung und Aufklärung der Ereignisse an der Küste legte am 22. Juli auf einer Pressekonferenz in Damaskus eine Zusammenfassung seines Abschlussberichts vor, in dem es feststellte, dass mindestens 1.426 Menschen getötet wurden und die Behörden 298 Verdächtige an die Staatsanwaltschaft verwiesen haben. Die Ergebnisse der Untersuchung, die massive Gräueltaten gegen Zivilist*innen bestätigen, markieren eine deutliche Abkehr vom bisherigen Klima der Verleugnung und Straflosigkeit unter der Regierung Assad. Allerdings wurden tiefgreifendere institutionelle Versäumnisse, darunter die Rolle hochrangiger Beamter bei der Ermöglichung oder Nichtverhinderung weit verbreiteter Übergriffe, nicht thematisiert.

Das Komitee stellte die Angriffe als Akte persönlicher Rache dar, aber seine eigenen Untersuchungsergebnisse und die der gemeinsamen Ermittlungen deuten auf eine umfassendere Kampagne kollektiver Bestrafung hin, die sich gegen alawitische Gemeinschaften richtete. Zahlreiche Videos und Zeugenaussagen, die von Forschenden geprüft und verifiziert wurden, zeigen, dass die Opfer vor ihrer Ermordung oft zu ihrer Identität befragt wurden und dass bewaffnete Gruppen bei ihren Überfällen anti-alawitische Beleidigungen benutzten.

Eine Bewohnerin von Brabshbo, einem Dorf im Süden von Latakia, berichtete, dass sie und ihr Mann am 8. März mit ihren drei Kindern zu Hause geblieben seien, nachdem ihnen lokale Beamte und Sicherheitskräfte versichert hatten, dass Zivilpersonen, die in ihren Häusern blieben, nichts passieren würde. Am Abend drangen bewaffnete Männer in ihr Haus ein, fragten sie, ob sie alawitisch seien, und als sie dies bejahten, führten sie ihren Mann nach draußen und erschossen ihn vor der Haustür. „Sie haben nicht nach seiner Arbeit oder irgendetwas anderem gefragt, sie haben ihn einfach erschossen“, sagte sie.

Einige mit dem Ministerium assoziierte Kämpfer gaben zu, dass Menschen allein aufgrund ihrer vermeintlichen Identität hingerichtet wurden. Ein Mitglied einer ehemaligen Fraktion der Syrischen Nationalarmee berichtete, dass bei Hausdurchsuchungen „Menschen allein deshalb getötet wurden, weil sie Alawiten waren.“

Human Rights Watch, Syrians for Truth and Justice und Syrian Archive wiesen ebenfalls darauf hin, dass der Ausschuss selbst eingeräumt hatte, dass die Sicherheitskräfte bereits vor März Verstöße begangen hatten. Die gemeinsame Untersuchung ergab, dass willkürliche Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und identitätsbasierte Übergriffe in alawitischen Gemeinden bereits Wochen zuvor in Homs und im ländlichen Hama begonnen hatten. Die Übergriffe haben seither angedauert, darunter auch im Juli in der südlichen Provinz Sweida, wo örtliche drusische Bewohner*innen von Massenhinrichtungen, Plünderungen und Zerstörung von Eigentum während der jüngsten Sicherheitsoperationen durch Einheiten des Verteidigungs- und Innenministeriums berichtet haben.

Das Engagement des Komitees für die Zivilgesellschaft und internationale Akteure sowie sein erklärtes Bekenntnis zur Justiz stellen eine positive Entwicklung dar, so die Organisationen. Seine Empfehlungen für institutionelle Reformen, Übergangsjustizmaßnahmen, Wiedergutmachungen und die Zusammenführung bewaffneter Gruppen unter transparenten und nachvollziehbaren Strukturen sind konstruktive Vorschläge, die dringend umgesetzt werden müssen.

Allerdings hängt die Glaubwürdigkeit dieser Bemühungen von den nächsten Schritten ab, darunter öffentliche Transparenz und sinnvolle Rechenschaftslegung auf allen Ebenen.

Die syrischen Behörden sollten ihren vollständigen Untersuchungsbericht veröffentlichen, die Identität von Zeug*innen schützen und ein ordnungsgemäßes Verfahren für die Beschuldigten gewährleisten, so die Organisationen. Sie sollten sicherstellen, dass in Gerichtsverfahren nicht nur einzelne Straftaten, sondern auch die institutionelle Verantwortung untersucht werden.

Die Behörden sollten auch den Zugang zu internationalen Mechanismen der Rechenschaftspflicht, einschließlich der Vereinten Nationen, ermöglichen und Sicherheitsreformen durchführen, darunter die Prüfung von Kämpfern, die Ausmusterung missbräuchlicher Kämpfer und die Durchsetzung klarer Befehlsstrukturen und Verhaltenskodizes.

„Hier geht es nicht um eine einzelne Woche im März“, sagte Jelnar Ahmad, Programmmanager bei Syrian Archive. „Es ist ein Indikator für ein umfassenderes Muster, das strukturell und transparent angegangen werden muss.“

Kategorien: Menschenrechte

Vereinte Nationen: Staatschefs sollten sich klar zu Menschenrechten und internationaler Justiz bekennen

Click to expand Image Der Saal der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York City, New York, USA, 21. April 2025. © 2025 UN Photo/Loey Felipe

(New York, 17. September 2025) – Die Staats- und Regierungschefs der Welt, die vom 22. bis 30. September 2025 zur UN-Generalversammlung zusammenkommen, sollten sich dazu verpflichten, die Vereinten Nationen vor jenen mächtigen Regierungen zu schützen, die versuchen, die Organisation finanziell auszutrocknen und ihre Fähigkeit zur Förderung der Menschenrechte und der internationalen Justiz zu untergraben, erklärte Human Rights Watch heute.

Am Vorabend der jährlichen Generaldebatte der Generalversammlung werden die Staats- und Regierungschefs der Welt eine Konferenz zur Lage in Palästina abhalten. Den Vorsitz werden voraussichtlich der französische Präsident Emmanuel Macron und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman übernehmen. 

„Die Menschenrechte und die UN werden in einem noch nie dagewesenen Ausmaß von mächtigen Regierungen bedroht“, sagte Federico Borello, Interims-Geschäftsführer von Human Rights Watch. „Die Staats- und Regierungschefs der Welt sollten sich dafür einsetzen, dass die Weltorganisation über die nötigen Ressourcen und den politischen Rückhalt verfügt, um ihre lebensrettende humanitäre und Menschenrechtsarbeit auf der ganzen Welt zu leisten – in Gaza, der Ukraine, im Sudan, in Haiti und überall dort, wo Menschen in Not sind.“

Die Regierungen sollten zudem Maßnahmen ergreifen, um Israels eskalierende Gräueltaten gegen die Palästinenser*innen in Gaza und im Westjordanland zu stoppen, so Human Rights Watch. Sie sollten die Sanktionen der USA gegen Personal des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), namhafte palästinensische Organisationen und einer UN-Expertin verurteilen und konkrete Schritte zur Beendigung der Gräueltaten unternehmen. Ferner sollten sie sich geschlossen hinter Institutionen wie den IStGH stellen, der gegen die Straflosigkeit von Kriegsverbrechen und anderen Gräueltaten in Myanmar, Israel/Palästina, im Sudan, in der Ukraine und in anderen Teilen der Welt kämpft.

Die Staats- und Regierungschefs der Welt sollten die Palästina-Konferenz am 22. September nutzen, um sich öffentlich zu Maßnahmen zu verpflichten, die darauf abzielen, die jahrzehntelange Straflosigkeit für Verstöße der israelischen Behörden gegen das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte gegenüber Palästinenser*innen zu beenden. Diese Konferenz, eine Reaktion auf das wegweisende Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom Juli 2024 zur Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel, ist die Fortsetzung einer hochrangigen Konferenz im Juli. 

In dem Gutachten hat der IGH festgestellt, dass die jahrzehntelange Besetzung durch Israel rechtswidrig ist, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen verletzt und durch schwere Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Apartheid, gekennzeichnet ist. Frankreich, das Vereinigte Königreich, Australien, Kanada und andere Länder haben angekündigt, auf der Konferenz am 22. September einen palästinensischen Staat anerkennen zu wollen. 

Solche Erklärungen laufen jedoch Gefahr, wirkungslos zu bleiben, wenn sich die Staaten nicht zu konkreten Maßnahmen verpflichten, um Israels Ausrottung der Palästinenser*innen und die Ausweitung der rechtswidrigen Siedlungen zu stoppen. Die Regierungen sollten Waffenlieferungen an Israel aussetzen, den Handel mit illegalen Siedlungen verbieten und gezielte Sanktionen gegen israelische Amtsträger*innen verhängen, die für die anhaltenden Verbrechen gegen Palästinenser*innen verantwortlich sind, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordhandlungen, so Human Rights Watch. Die Staaten sollten auch die Hamas und palästinensische bewaffnete Gruppen dazu drängen, alle zivilen Geiseln freizulassen.

Die Vereinten Nationen befinden sich in einer existenziellen Finanzkrise, die vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Vereinigten Staaten sich weigern, ihre festgesetzten Beiträge – zu deren Zahlung die Länder verpflichtet sind – zu entrichten, und dass sie praktisch alle ihre freiwilligen Zahlungen an eine Vielzahl von UN-Organisationen und -Gremien eingestellt haben. Dies untergräbt die humanitäre Arbeit der Vereinten Nationen sowie die Untersuchungen der Menschenrechtslage u.a. in der Ukraine, Russland, im Sudan, in Syrien, Israel/Palästina, der Demokratischen Republik Kongo, in Afghanistan, Myanmar, Nordkorea und in weiteren Ländern. 

Die USA sind nicht das einzige Land, das seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen nicht nachkommt. China, der zweitgrößte Beitragszahler der UN, hat seine Zahlungen für den regulären Haushalt und die Friedenssicherungseinsätze der Organisation verzögert. Viele weitere Regierungen sind ebenfalls im Zahlungsrückstand. Wohlhabende Regierungen in der Europäischen Union, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, die Schweiz, die Niederlande, Schweden und weitere Länder sind dem Beispiel der USA gefolgt, die ihr nationales Budget für Entwicklungshilfe drastisch gekürzt haben, was sich massiv auf die Finanzierung internationaler Hilfsprogramme auswirkt. Dies verschärft die finanziellen Probleme der Vereinten Nationen zusätzlich.

Regierungen, denen die Menschenrechte am Herzen liegen, sollten ihre festgesetzten Beiträge vollständig und pünktlich zahlen und ihre freiwilligen Beiträge an die UN erhöhen, wobei Programme zum Schutz der Menschenrechte und zur Rettung von Menschenleben oberste Priorität haben sollten. 

Im Jahr 2023 leisteten die USA fast 13 Milliarden US-Dollar an Pflicht- und freiwilligen Beiträgen an die Vereinten Nationen. Diese Zahl ist in diesem Jahr auf fast null gesunken, nachdem US-Präsident Trump eine „Überprüfung” der US-Beiträge an die UN angeordnet hatte. Es bleibt unklar, ob, wann und in welchem Umfang die USA die Finanzierung der Organisation wieder aufnehmen werden. 

Die Führung der Vereinten Nationen sollte nach Wegen suchen, um Kosten zu senken, ohne dabei pauschale Kürzungen vorzunehmen, die sich unverhältnismäßig stark auf die Menschenrechtsarbeit auswirken würden, die ohnehin schon chronisch unterfinanziert ist. Während die Führung der Vereinten Nationen im Rahmen ihrer „UN80”-Initiative ein Paket von Kostensenkungsvorschlägen vorantreibt, sollte sie sicherstellen, dass unabhängige Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen über die notwendigen Ressourcen verfügen, um fortgesetzt werden zu können.  

„Die Überwachung und Untersuchungen durch die Vereinten Nationen können Regierungen, die die Menschenrechte nicht achten, davon abhalten, Gräueltaten gegen Zivilist*innen zu begehen”, sagte Borello. „Mächtige Regierungen, die versuchen, die humanitären und Menschenrechtsprogramme der Vereinten Nationen zu untergraben, sollten verurteilt werden und nicht als Vorbild dienen. Das Leben von Millionen Menschen auf der ganzen Welt hängt davon ab.”

Die Staats- und Regierungschefs sollten auf sinnvolle Maßnahmen zur Bewältigung der schweren Krisen im Sudan und in Haiti drängen. Im Sudan werden Zivilist*innen Opfer von Hungersnot, sexualisierter Gewalt und anderen Gräueltaten. In Haiti weiten kriminelle Gruppen ihre Kontrolle aus, eskalieren Morde und sexualisierte Gewalt, einschließlich Gruppenvergewaltigungen. Millionen Menschen sind zur Flucht gezwungen und es herrscht akute Ernährungsunsicherheit. Unterdessen hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres es abgelehnt, Forderungen von Menschenrechtsverteidiger*innen und Mitgliedstaaten bezüglich der Entsendung einer Schutzmission in den Sudan und nach Haiti zu unterstützen.

Am 6. Februar erließ US-Präsident Trump ein Dekret, welches das Einfrieren von Vermögenswerten und Einreiseverbote für IStGH-Personal und andere Personen, welche die Arbeit des Gerichtshofs unterstützen, genehmigt. Die US-Regierung hat bisher Sanktionen gegen den Ankläger des Gerichtshofs, seine beiden Stellvertreter*innen, sechs Richter*innen, die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete Francesca Albanese, sowie drei führende palästinensische zivilgesellschaftliche Organisationen verhängt. Diese Sanktionen sind ein eklatanter Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit und das internationale Justizsystem. Sie zielen in erster Linie darauf ab, die laufenden Ermittlungen des IStGH in Palästina zu vereiteln, darunter die ausstehenden Haftbefehle des Gerichtshofs gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Gaza. 

Die UN-Mitgliedstaaten sollten ihre Unterstützung für das globale Mandat des IStGH und die wichtige Arbeit der Zivilgesellschaft bekräftigen und die US-Regierung auffordern, die Sanktionen aufzuheben. Die Mitgliedstaaten sollten sich außerdem zu konkreten Maßnahmen zum Schutz des Gerichtshofs vor solchen Sanktionen verpflichten, unter anderem durch Gesetze wie das EU-Blocking-Statut, das europäische Unternehmen vor den Auswirkungen extraterritorialer Sanktionen schützen soll.  

Die Mitgliedstaaten sollten sich weiter für internationale Gerechtigkeit einsetzen, indem sie alle Gutachten des Internationalen Gerichtshofs umsetzen, darunter auch jenes vom Juli, in dem der Klimawandel als existenzielle Bedrohung für den Planeten benannt und in dem argumentiert wird, dass das Versäumnis der Staaten, das Klima zu schützen, rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen wird.

Die Delegierten sollten die Mitgliedstaaten dazu auffordern, die Verhandlungen über ein internationales Abkommen zur Verhütung und Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit voranzutreiben. Das Abkommen wird eine Lücke im Völkerrecht schließen, die zur Straflosigkeit bei schwerwiegenden Verbrechen wie Mord, Folter, Verschleppung, sexualisierter Gewalt und Verfolgung von Zivilist*innen weltweit beiträgt.

Die schrecklichen, systematischen Menschenrechtsverletzungen, welche die Taliban seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2021 weiterhin gegen Frauen und Mädchen in Afghanistan begehen, veranschaulichen, warum Geschlechterapartheid in jedes künftige Abkommen über Verbrechen gegen die Menschlichkeit als ein solches Verbrechen aufgenommen werden sollte, so Human Rights Watch. 

„Die Vereinten Nationen und das internationale Menschenrechtssystem werden auf die Probe gestellt“, sagte Borello. „Um auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, ist es entscheidend, sich gegen mächtige Regierungen zu wehren, die versuchen, internationale Normen zu untergraben und Wege zur Rechenschaftspflicht zu zerstören.“

Kategorien: Menschenrechte

Flotillas unterstreichen Dringlichkeit, Israels Gaza-Blockade aufzuheben

Click to expand Image Die Schiffe der „Global Sumud Flotilla“, die auf dem Weg nach Gaza sind, liegen am 9. September 2025 vor der Küste von Sidi Bou Said in Tunis, Tunesien, vor Anker. © 2025 Anis Mili/AP Photo

Angesichts fehlender internationaler Maßnahmen, um die israelische Regierung davon abzuhalten, ihre schweren Verbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza fortzusetzen, begeben sich Menschen aus aller Welt auf Flotillas, um die rechtswidrige israelische Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen, bitter benötigte Hilfsgüter zu liefern und ein Ende der israelischen Gräueltaten zu fordern.

Diese Woche startete ein Zusammenschluss von Aktivist*innen aus Nordafrika, den Golfstaaten, Frankreich und Malaysia trotz Drohungen und Gefahren die Global Sumud Flotilla.

Am 8. September ereignete sich eine Explosion, die Feuer an Bord des „Familienboots” der Flotilla auslöste. Die Organisatoren gaben an, dass ein von einer Drohne abgeworfener Gegenstand das Boot getroffen habe. Das unter portugiesischer Flagge fahrende Schiff beförderte Mitglieder des Steuerungskomitees der Flotilla in tunesischen Gewässern. Die Organisatoren verurteilten den Vorfall als gezielten Einschüchterungsversuch. Am nächsten Tag meldeten die Organisatoren einen zweiten Drohnenangriff und veröffentlichten Filmmaterial und ein Bild eines verbrannten Gegenstands, der an Deck gefunden wurde.

Mehr als 63.000 Palästinenser*innen wurden in den vergangenen 23 Monaten bei Israels Angriff auf Gaza getötet, darunter über 2.000 beim Versuch, humanitäre Hilfe zu bekommen. Ganze Stadtteile liegen in Trümmern, und da die Bevölkerung unerbittlichen israelischen Bombardements ausgesetzt ist, sind die meisten Menschen mindestens einmal zwangsvertrieben worden.

Jetzt, wo Israels Streitkräfte ihre Operationen in Gaza-Stadt eskalieren und die Zivilbevölkerung unter Missachtung der Anordnungen des Internationalen Gerichtshofs weiter aushungern, müssen die Staaten schleunigst handeln.

Regierungen sollten ihren ganzen Einfluss nutzen, um Völkermord zu verhindern, indem sie Waffenverkäufe an Israel stoppen, Handelsabkommen aussetzen und gezielte Sanktionen gegen israelische Offizielle verhängen, die für die anhaltenden Verbrechen verantwortlich sind.

Die Flottillas finden vor dem Hintergrund der Untätigkeit der Regierungen statt und können die Teilnehmenden großen Risiken aussetzen. Einige Teilnehmende aus der Golfregion berichteten, dass sie von den Behörden an der Reise gehindert wurden und ihnen aus Sicherheitsgründen von einer Teilnahme abgeraten wurde. Israelische Streitkräfte haben frühere Flotillas abgefangen und die meisten Aktivist*innen festgenommen und abgeschoben. Als israelische Streitkräfte 2010 die „Mavi Marmara”, ein türkisches Schiff, das an einer Flotilla teilnahm, abfingen, töteten sie neun Aktivist*innen. Dieser Vorfall ist eine Erinnerung an die internationale Gemeinschaft, die Teilnehmenden der Flotilla zu schützen, die der israelische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, als „Terroristen” bezeichnet hat.

Flottillas sind eine Möglichkeit für normale Leute, sich friedlich auf der Weltbühne gegen Ausrottung auszusprechen. Aber nichts kann sinnvolle Maßnahmen von Regierungen ersetzen, um Missbräuche zu stoppen und Rechenschaftspflicht sicherzustellen. Regierungen sollten dafür sorgen, dass die Teilnehmenden nicht aufgehalten, angegriffen oder zu Unrecht strafrechtlich verfolgt werden, und Israel dazu bringen, seine rechtswidrige Blockade des Gazastreifens zu beenden.

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