Menschenrechte
Türkei: Syrer durch Abschiebungen in Lebensgefahr
Die türkischen Behörden haben über den Grenzübergang Cilvegozu - Bild vom 3. März 2015 - syrische Flüchtlinge abgeschoben.
© 2015 Getty Images(Beirut) – Die türkischen Behörden in Istanbul und Antakya haben zwischen Januar und September 2019 trotz Kriegshandlungen in Nordsyrien Dutzende von Syrern und möglicherweise noch viele weitere willkürlich inhaftiert und eben dorthin abgeschoben, so Human Rights Watch heute. Deportierte Syrer sagten, türkische Beamte hätten sie gezwungen, Formulare zu unterschreiben, die sie vorher nicht lesen durften. In einigen Fällen seien die Betroffenen vorher geschlagen oder bedroht worden, bevor sie schließlich nach Syrien gebracht wurden.
Ende Juli dementierte der türkische Innenminister Süleyman Soylu „Abschiebungen“ von Syrern durch die Türkei. Zugleich sagte er jedoch, dass alle, „die freiwillig nach Syrien zurückkehren wollen“, von Verfahren profitieren können, die es ihnen ermöglichen, in nicht näher genannte „sichere Gebiete“ zurückzukehren. Die Recherchen von Human Rights Watch widersprechen dem direkt und kommen zu dem Schluss, dass die Türkei Syrer illegal in das Gouvernement Idlib, eine der gefährlichsten Regionen Syriens, abgeschoben hat. Bei Angriffen der syrisch-russischen Militärallianz auf Idlib und die umliegenden Gebiete sind nach Angaben der Vereinten Nationen seit April mindestens 1.089 Zivilisten ums Leben gekommen, darunter mindestens 20, die bei einem Luftangriff vom 16. August auf ein Flüchtlingslager starben.
„Die Behauptungen türkischer Beamter, alle in ihr Land zurückkehrenden Syrer seien glücklich über ihre Rückkehr, klingen wie blanker Hohn angesichts der Fakten, die das Gegenteil belegen“, sagte Gerry Simpson, stellvertretender Leiter der Abteilung Krisengebiete bei Human Rights Watch. „Die Türkei hat viermal so viele Syrer aufgenommen wie die Europäische Union, das gibt ihr jedoch nicht das Recht, Flüchtlinge in ein Kriegsgebiet abzuschieben.“
Am 24. September teilte Präsident Recep Tayyip Erdoğan der UN-Generalversammlung mit, dass die Türkei versuchen werde, eine Sicherheitszone im Nordosten Syriens in Gebieten einzurichten, die zu diesem Zeitpunkt von der kurdisch geführten autonomen Verwaltung kontrolliert werden. In diese Sicherheitszone könnten zwischen einer Million und 3 Millionen syrische Flüchtlinge zurückkehren. Nach dem Abzug der US-Streitkräfte und einem türkischen Militärangriff vereinbarten die Türkei und Russland am 22. Oktober gemeinsame Patrouillen an den meisten syrisch-türkischen Grenzen, die früher von kurdischen Streitkräften kontrolliert wurden. Human Rights Watch sagte, dass „Sicherheitszonen“, die während anderer Konflikte eingerichtet wurden, selten sicher waren und dass die Einrichtung einer solchen Zone nicht als Rechtfertigung für Zwangsrückführungen von Flüchtlingen dienen kann.
Die Türkei hat 3,65 Millionen Syrer aufgenommen im Rahmen einer Verordnung über den „vorübergehenden Schutz“. Laut türkischen Behörden gilt dieser Schutz automatisch für alle Syrer, die einen Asylantrag stellen. Dies spiegelt die Position der UN-Flüchtlingsagentur wider, dass „die überwiegende Mehrheit der syrischen Asylbewerber weiterhin ... internationalen Flüchtlingsschutz benötigt“ und dass „Staaten syrische Staatsangehörige und Menschen, die ihren festen Wohnsitz in Syrien hatten, nicht gewaltsam zurückführen [sollten]“.
Human Rights Watch sprach telefonisch mit 12 Syrern über ihre Festnahme und Inhaftierung in der Türkei und die Abschiebung nach Idlib. Weiterhin wurden mit zwei Syrern persönliche Gespräche geführt, die nach ihrer Abschiebung aus Idlib geflüchtet und in die Türkei zurückkehrt sind, sowie mit der Frau eines aus Istanbul abgeschobenen Mannes.
Dreizehn gaben an, dass sie zwischen Juli und September per Bus abgeschoben wurden. Drei sagten, dass die anderen Menschen im Bus, insgesamt etwa 100, ihnen erzählten, sie würden gegen ihren Willen nach Syrien zurückgebracht. Human Rights Watch sagte, dies gebe Anlass zur Sorge, dass die Türkei in den letzten Monaten eine beträchtliche Anzahl von Syrern aus Istanbul und Antakya nach Idlib abgeschoben hat.
Ein Syrer aus Idlib, der seit 2013 in der Türkei war, sagte, dass er am 17. Juli in Antakya verhaftet wurde, als er seine persönlichen Daten aktualisieren wollte. Er gab an, türkische Einwanderungsbeamte hätten ihm ins Gesicht geschlagen und ihn gezwungen, ein Formular zur freiwilligen Rückkehr zu unterschreiben. Am nächsten Tag setzten sie ihn mit etwa 30 anderen Personen in einen Bus Richtung Grenze. „Alle sagten, sie seien unter Druck gesetzt worden, ein Formular zu unterschreiben, und eine der Frauen weinte und sagte, dass die Beamten ihr ins Gesicht geschlagen hätten, um sie zur Unterschrift zu zwingen“, sagte er. „Niemand in diesem Bus wollte zurück nach Syrien.”
Keiner der 15, von denen einige bis zu sechs Wochen vor ihrer Abschiebung inhaftiert waren, wurde wegen einer Straftat angeklagt oder durfte die Inhaftierung bei den Behörden oder vor einem Richter anfechten. Trotz türkischer Gesetze, die jedem, dem eine Abschiebung droht, einen Rechtsbeistand zusprechen, gab nur eine der befragten Personen an, einen Anwalt gefunden zu haben, der seine Abschiebung verhindern konnte. Einige hatten keine Zeit, nach einem Anwalt zu verlangen, da sie so schnell abgeschoben wurden. Anderen wurde von Einwanderungsbeamten gesagt, dass sie keinen Anwalt bräuchten oder sie konnten sich die Anwaltskosten nicht leisten. Die meisten derjenigen, welche die Anwaltskosten gezahlt haben, sagten, sie hätten die Anwälte nie wieder gesehen.
Das türkische Innenministerium sollte sicherstellen, dass Polizisten und Einwanderungsbeamte keine Gewalt gegen Syrer oder andere inhaftierte Ausländer anwenden. Alle Beamte, die Gewalt anwenden, sollten zur Rechenschaft gezogen werden, so Human Rights Watch. Die Türkei sollte dem Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) den freien Zugang zu Rückführungszentren gestatten, den Prozess der Einholung des Einverständnisses von Betroffenen überwachen, die nach Syrien zurückkehren möchten, sodass sichergestellt werden kann, dass es sich tatsächlich um eine freiwillige Maßnahme handelt. Zudem sollten Befragungen und Rückführungsverfahren überwacht werden, um zu gewährleisten, dass Polizeibeamte oder Beamte der Einwanderungsbehörde keine Gewalt gegen Syrer oder andere ausländische Staatsangehörige anwenden.
Am 15. Oktober teilte Human Rights Watch die Ergebnisse der Recherchen dem türkischen Innenministerium mit. Auf die Bitte um eine Stellungnahme hat das Ministerium bislang nicht reagiert.
Die Türkei ist Vertragspartei des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention, die sowohl willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen als auch unmenschliche und erniedrigende Behandlung verbieten. Wenn die Türkei eine Person festnimmt und inhaftiert, um sie abzuschieben, es jedoch keine realistische Aussicht darauf gibt, etwa weil die Person in ihrem Land Schaden erleiden würde oder nicht in der Lage ist, ihre Abschiebung anzufechten, dann ist die Inhaftierung willkürlich. Jeder Syrer, der verdächtigt wird, gegen das türkische Zivil- oder Strafrecht verstoßen zu haben, sollte nur dann verfolgt werden, wenn er formell angeklagt wird und die Möglichkeit hat, sich vor Gericht zu verteidigen. Andernfalls sollte der Betroffene freigelassen werden.
Die Türkei ist außerdem an das internationale Gewohnheitsrecht der Nichtzurückweisung gebunden, das die Rückkehr von Personen an einen Ort verbietet, an dem sie einem tatsächlichen Risiko der Verfolgung, Folter oder anderer Misshandlungen ausgesetzt wären oder ihr Leben in Gefahr wäre. Die Türkei darf keine Gewalt oder die Androhung von Gewalt oder Inhaftierung anwenden, um Menschen zur Rückkehr an Orte zu zwingen, wo ihnen Schaden droht. Dazu gehören auch syrische Asylbewerber, die nach türkischem Recht Anspruch auf automatischen Schutz haben, einschließlich solcher, die seit Ende 2017 von der Registrierung für den vorübergehenden Schutz ausgeschlossen sind.
Im Rahmen ihres Abkommens vom März 2016 mit der Türkei behauptet die EU, die Türkei sei ein sicheres Land, in das syrische Asylbewerber zurückgeführt werden könnten. Die Türkei hat die Kriterien der EU für sichere Drittländer nie erfüllt, und die jüngsten Abschiebungen aus Istanbul zeigen noch einmal deutlich, dass jeder Syrer nach seiner Zwangsrückführung aus Griechenland mit der Gefahr einer weiteren Abschiebung nach Syrien konfrontiert wäre.
Die EU hat zwischen 2011 und 2015 mindestens 55 Mio. EUR zur Unterstützung türkischer Aufnahme- und Hafteinrichtungen für Migranten ausgegeben. Diese Unterstützung beim Thema Migration wurde im Rahmen des Abkommens von 2016 fortgesetzt. Die EU sollte zwar weiterhin die Registrierung und den Schutz syrischer Flüchtlinge in der Türkei unterstützen, aber die Europäische Kommission sollte auch öffentlich über die Abschiebungen der Türkei nach Syrien berichten und zusammen mit den EU-Mitgliedstaaten die Türkei öffentlich auffordern, die Abschiebungen einzustellen und dem UNHCR erlauben, zu überwachen, ob inhaftierte Syrer in der Türkei bleiben oder freiwillig nach Syrien zurückkehren wollen.
„Da der Konflikt in Syrien vor kurzem eine weitere tödliche Wendung genommen hat, sollte die EU der Türkei helfen, auf eine Realität zu reagieren, die einen kontinuierlichen Schutz für Millionen von Flüchtlingen erfordert“, sagte Simpson. „Das bedeutet, Syrer zu schützen, die die EU-Ufer erreichen, Syrer aus der Türkei in die EU umzusiedeln und die Türkei aufzufordern, ihre Ressourcen, einschließlich der finanziellen Unterstützung der EU, zum Schutz der Flüchtlinge einzusetzen, anstatt sie zurück in Gefahrengebiete zu schicken.”
Die zunehmend restriktive syrische Flüchtlingspolitik der Türkei
Seit 2011 hat die Türkei Millionen von Syrern aufgenommen und ihnen Schutz gewährt, wobei fast alle der derzeit 3,65 Millionen registrierten Syrer des Landes bis Anfang 2017 einen vorübergehenden Schutzstatus erhielten. Die jüngsten Abschiebungen von Syrern aus Istanbul und Antakya durch die Türkei resultieren jedoch aus einer Politik, die vielen syrischen Asylbewerbern zunehmend den Schutz verweigert.
In den letzten vier Jahren hat die Türkei ihre Grenze zu Syrien abgeriegelt, wobei Hunderttausende von Syrern heute mit geringer Unterstützung in Flüchtlingslagern und Dörfern auf der anderen Seite der geschlossenen Grenze festsitzen. Türkische Grenzschutzbeamte haben Massen-Pushbacks durchgeführt und Syrer getötet und verletzt, als diese versuchten, die Grenze zu überqueren. Ende 2017 und Anfang 2018 haben Istanbul und neun Provinzen an der Grenze zu Syrien die Registrierung von neu eingereisten Asylbewerbern ausgesetzt. Das türkische Reisegenehmigungssystem verbietet es Syrern, die Grenzprovinzen, über die sie das Land erreichen, zu verlassen, um sich anderswo im Land registrieren zu lassen.
Am 22. Juli gab der Gouverneur der Provinz Istanbul eine Erklärung ab, laut der Syrer, die sich in Istanbul aufhalten, jedoch in einer der anderen Provinzen des Landes registriert sind, dorthin zurückkehren müssen. Zudem werde das Innenministerium nicht registrierte Syrer in andere Provinzen schicken, um sich dort registrieren zu lassen. Die Behörden haben seitdem weder Informationen darüber veröffentlicht, wie viele Personen weggeschickt wurden, noch wo diese letztendlich registriert wurden.
Die Erklärung vom Juli erfolgte inmitten einer zunehmend fremdenfeindlichen Stimmung im gesamten politischen Spektrum gegen syrische und andere Flüchtlinge in der Türkei, wobei einige Politiker und Teile der Wählerschaft verstärkt forderten, dass Syrer in ihr Land zurückkehren sollten.
Detaillierte Berichte von abgeschobenen Syrern
Human Rights Watch sprach telefonisch mit 12 Syrern über ihre Festnahme und Inhaftierung in der Türkei und die Abschiebung nach Idlib. Weiterhin wurden mit zwei Syrern persönliche Gespräche geführt, die nach ihrer Abschiebung aus Idlib geflüchtet und in die Türkei zurückkehrt sind, sowie mit der Frau eines aus Istanbul abgeschobenen Mannes.
Dreizehn der Befragten wurden zwischen Juli und September abgeschoben, darunter ein Mann, der zusammen mit drei seiner Söhne abgeschoben wurde. Einer der Befragten wurde im Januar abgeschoben, ein anderer im April. Alle bis auf einen wurden über den Grenzübergang Cilvegözü/Bab al-Hawa nach Idlib gebracht.
Die Betroffenen sagten, dass die Polizei sie in oder nahe Istanbul und Antakya festgenommen und dann in den meisten Fällen an die Einwanderungsbehörden übergeben habe. Diese hätten sie dann zwischen mehreren Stunden und 42 Tagen ohne Anklage festgehalten und dann schließlich abgeschoben.
Die Syrer gaben an, Polizei- oder Einwanderungsbeamte hätten ihnen gesagt, dass sie aus einer Vielzahl von Gründen festgehalten würden, u.a. weil sie keine Schutzgenehmigungen besaßen, ihre Genehmigungen abgelaufen seien oder Schreibfehler enthielten, weil ihre Genehmigungen außerhalb von Istanbul registriert wurden, ihnen Arbeitserlaubnisse fehlten oder weil es Streitigkeiten mit Nachbarn gegeben hätte. Elf der Befragten waren registriert, die vier anderen nicht. Angesichts des anhaltenden bewaffneten Konflikts, der allgemeinen Gewalt und der weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen in Syrien rechtfertigt der Ablauf oder das Fehlen eines vorübergehenden Schutzstatus keine Abschiebungen von Syrern aus der Türkei, so Human Rights Watch.
Die befragten Personen sagten, sie seien gezwungen worden, Formulare auf Polizeistationen oder in Abschiebehafteinrichtungen zu unterschreiben, und dass sie vermuteten, die Formulare hätten besagt, dass sie nach Syrien zurückkehren wollten. Sie sagten, die Beamten hätten ihnen nicht erlaubt, die Formulare zu lesen und hätten ihnen auch nicht erklärt, was in den Formularen stand. Einige sagten, Beamte hätten Teile der Formulare, die auf Arabisch waren, mit ihren Händen abgedeckt. Die meisten sagten, die Behörden in diesen Einrichtungen seien mit anderen Syrern genauso umgegangen.
Diese Rechercheergebnisse spiegeln eine Stellungnahme der Istanbuler Anwaltskammer wider, wonach sie zwischen Anfang Juli und 20. August etwa 180 Beschwerden über den polizeilichen Missbrauch von Formularen für die freiwillige Rückkehr erhalten hatte, die besagten, dass die betroffene Person nach Syrien zurückkehren möchte. Die Ergebnisse decken sich zudem mit den Berichten von vier weiteren abgeschobenen Syrern, mit denen Human Rights Watch im Juli gesprochen hatte.
Fünf abgeschobene Syrer sagten, Beamte hätten sie geschlagen, um sie zu zwingen, ein Formular zu unterschreiben, dessen Zweck ihnen nicht mitgeteilt wurde. Zwei sagten, sie hätten gesehen, wie Beamte andere Syrer schlugen, während sie ihnen sagten, sie sollten ein Formular unterschreiben. Drei sagten, Beamte hätten sie wiederholt angeschrien, einige hätten ihnen auch Gewalt angedroht oder damit gedroht, sie bis zur Unterzeichnung einzusperren. Ein Betroffener, sagte, ein Beamter habe seine Hand festgehalten und ihn physisch zur Unterschrift gezwungen. Zwei sagten, sie hätten gesehen, wie Beamte andere Syrer in einem Bus von Istanbul zur syrischen Grenze schlugen.
Zwei Syrer sagten, dass sie innerhalb weniger Stunden nach ihrer Inhaftierung abgeschoben wurden, so dass sie keine Zeit hatten, nach einem Anwalt zu verlangen. Vier sagten, sie hätten nicht nach einem Anwalt gefragt, weil die Beamten gelogen und gesagt hätten, dass sie nicht abgeschoben werden würden. Weitere acht sagten, sie konnten es sich nicht leisten, Anwälte zu bezahlen, die bis zu 1.500 US-Dollar verlangten, wobei einige ihre Forderung auf 350 US-Dollar reduzierten. Drei Syrer sagten, sie konnten die Anwaltskosten zwar zahlen, die Anwälte seien danach jedoch einfach verschwunden oder hätten sie trotz Zahlung nicht vertreten.
Alle Befragten sagten, dass sie in einem Kleinbus oder in einem großen Bus voller Syrer an die syrische Grenze gebracht wurden. Sie sagten, dass sie aufgrund von Gesprächen, die sie in der Abschiebehafteinrichtung belauscht hatten, bevor sie in den Bus gesetzt wurden, sowie aufgrund von Gesprächen im Bus glaubten, dass viele abgeschoben wurden. Nur drei sagten jedoch, dass sie aus ausführlichen Gesprächen während der langen Reise wussten, dass alle Menschen in ihrem Bus wie sie gegen ihren Willen nach Syrien zurückgebracht wurden.
Ein Mann aus der Stadt Hama, der seit drei Jahren in der Türkei war und am 24. Juli aus Istanbul abgeschoben wurde, sagte:
Ich wurde mit etwa 35 Syrern in einem großen Bus abgeschoben. Sie fesselten uns mit Handschellen und die Fahrt nach Bab al-Hawa (Grenzübergang) dauerte 21 Stunden. Sie schlugen einige der Männer im Bus mit Knüppeln, als diese auf Toilette gehen wollten oder um Wasser baten. Wir haben alle immer wieder miteinander gesprochen, und wir alle haben gesagt, dass wir abgeschoben werden. Keiner wollte nach Syrien zurück.
Die meisten der befragten Personen konnten die Polizeistation oder die Abschiebehafteinrichtung, in der sie festgehalten wurden, nicht nennen, aber einige sagten, dass sie in Hafteinrichtungen in Çatalca und Pendik in Istanbul festgehalten wurden. Einige derjenigen, die in Antakya festgehalten wurden, sagten, sie wurden aus einer Einrichtung der Einwanderungsbehörde abgeschoben, die bei Syrern unter dem Namen „Amniyat [Emniyet] 500“ bekannt ist.
Fünf sagten, Beamte hätten Gewalt angewendet, um sie zur Unterzeichnung eines Formulars zu zwingen, zwei sagten zudem, sie hätten gesehen, wie Beamte andere Syrer schlugen, die dazu gedrängt wurden, ein Formular zu unterschreiben.
Mitte Juli nahm die Polizei einen 25-jährigen Mann aus der Stadt Idlib in Antakya fest und brachte ihn zur Einrichtung „Amniyat [Emniyet] 500“. Er sagte:
Dort sollten alle ein Papier unterschreiben, in dem stand, dass wir nach Syrien zurückkehren wollten. Die meisten taten es, aber einige andere und ich lehnten ab. Ich sagte, dass mein Leben in Idlib in Gefahr sein würde, und der Beamte sagte: ‚Du hast Glück, dass wir dich nach Idlib schicken und nicht zu Assad. ... Ich bat um einen Anwalt, aber sie reagierten nicht und sagten, dass wir alle an die Grenze gebracht würden, sobald der Gouverneur die Papiere unterzeichnet habe.
Gegen Mittag riefen sie dann die Namen aller auf, die sich geweigert hatten zu unterschreiben. Wir gingen in einen anderen Raum, einer nach dem anderen. Die Beamten im anderen Raum schrien andere an, die vor mir reingegangen waren, und einige der Syrer weinten. Ich sprach mit einigen von ihnen, als sie herauskamen, und sie sagten, dass die Beamten sie so lange angeschrien hätten, bis sie schließlich unterschrieben.
Sie riefen meinen Namen auf, und ich ging hinein, und zwei Männer schrien mich an, ich solle das Formular auf dem Tisch unterschreiben, und dass ich nach Syrien zurückgebracht würde, weil ich illegal in der Türkei war. Einer von ihnen hat mir ins Gesicht geschlagen. Als er wieder seine Hand hob, um mich zu schlagen, hob ich meine, um mein Gesicht zu schützen. Er schrie mich an: ‚Ich bin ein Beamter, erhebe deine Hand nicht gegen mich.‘ Sie behandelten mich und alle anderen wie Kriminelle. Ich weigerte mich weiterhin, das Dokument zu unterschreiben, aber sie haben mich trotzdem abgeschoben.
Ein Mann aus Homs, der im Mai in die Türkei eingereist war und am 6. August in Istanbul verhaftet wurde, sagte, die Polizei habe ihn zu einer Abschiebehafteinrichtung in der Nähe von Istanbul in Çatalca gebracht, wo er einen Türkischen Roten Halbmond und eine EU-Flagge an den Wänden sah. Er sagte:
Am nächsten Tag, einem Freitag, sollten einige von uns Erklärungen unterschreiben. Einer der Männer, der seit fünf Jahren in der Türkei war, weigerte sich, zu unterschreiben. Zwei Gendarmen [Landpolizei], die rote Kleidung trugen, auf deren Rücken ‚Jandarma‘ stand und die Schlagstöcke hielten, holten ihn aus unserem Zimmer. Sie prügelten ihn fast tot. Als er zurückkam, konnte er nicht mehr laufen. Er weigerte sich immer noch, zu unterschreiben. Eine Person sagte, sie hätten in seinem Namen Dokumente unterzeichnet. Eine Woche später schoben sie ihn ab, an einem Freitag.
Drei weitere Syrer schilderten, wie Beamte sie wiederholt anschrien, um sie zum Unterschreiben zu bringen. Einige drohten ihnen Gewalt an, andere drohten damit, sie bis zur Unterzeichnung festzuhalten.
Ein 34-jähriger Mann aus Aleppo, der Anfang Juli aus Istanbul abgeschoben wurde, sagte, dass seine schwangere Frau und zwei Töchter noch in Istanbul seien. Er lebte in einem Flüchtlingslager in der Nähe des Dorfes Atma, nahe der türkischen Grenze, und teilte sich ein Zelt mit acht weiteren Menschen. Er sagte:
Anfang Juni verhaftete mich die Polizei vor meinem Arbeitsplatz und brachte mich zu einem Einwanderungszentrum in Çatalca und hielt mich dort einen Monat lang fest. Vom ersten Tag an sagten sie mir ganz oft, ich solle ein Dokument unterschreiben, aber ich lehnte ab. Jedes Mal sagten sie: ‚Du wirst unterschreiben und nach Syrien zurückkehren.‘ Während der vier Wochen sagte der Chef dort Dinge wie: ‚Du wirst für den Rest deines Lebens hierbleiben, wenn du nicht unterschreibst‘ und, ‚Ob du unterschreibst oder nicht, die Entscheidung ist bereits getroffen und ich werde für dich unterschreiben.‘
Zuerst müssen im Mittelmeer Leben gerettet werden
Migrants are seen onboard the charity ship Lifeline at Boiler Wharf in Senglea, in Valletta's Grand Harbour, Malta June 27, 2018.
© 2018 Reuters Nach seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel letzte Woche tweetete der französische Präsident Macron, das Mittelmeer solle als Chance wahrgenommen werden und nicht als Grund zur Sorge. Doch wen oder was meint Macron mit seiner Aussage, Philippe Dam?Macron hat dabei jedoch nicht deutlich gemacht, für wen das Mittelmeer eine Sorge ist: Für Europäer, deren Ängste vor Ausländern oftmals von Politikern instrumentalisiert werden? Oder für Asylsuchende, die den furchtbaren Gefahren ins Gesicht sehen, entweder auf dem Meer zu sterben oder in einen ewigen Kreis aus Gefangenschaft und Folter in Libyen zurückgeschickt zu werden? Und für wen ist das Mittelmeer eine Chance? Ist es eine Chance für Europäer, das Meer als Barriere gegen Asylsuchende zu nutzen? Oder ist es eine Chance für Migranten und Asylsuchende, um Schutz zu finden?
Die Zahl der Migranten, die in Europa ankommen, ist auf dem niedrigsten Stand seit dem Jahr 2014. Dennoch hat sich der italienische Innenminister nun in die Riege derjenigen eingereiht, die angesichts der Bootsmigration über das Mittelmeer Panik verbreiten und eine Krise heraufbeschwören. Wenn Macron und Merkel entschlossen sind, dieser Politik der Angst ein Ende zu setzen, dann sollten sie sich jetzt unmissverständlich äußern und sich auf praktische und menschliche Lösungen konzentrieren.
Die folgenden Punkte sollten sie den anderen Mitgliedstaaten auf dem informellen EU-Treffen am 20. September in Salzburg vorschlagen.
Erstens: EU-Politiker sollten die Rettung von Menschenleben zur obersten Priorität machen und gewährleisten, dass Gerettete an Land gehen können.
Mindestens 1.600 Menschen sind in diesem Jahr im Mittelmeer gestorben oder werden vermisst. Die Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen schätzt, dass eine von 18 Personen die Überfahrt nicht überlebt. Manche führende Köpfe der EU kritisierten die italienische Regierung dafür, die Häfen zu schließen. Doch zugleich schlossen sie selbst die Augen und waren nicht bereit, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Frankreich hat keinem einzigen Schiff das Anlegen erlaubt; und Deutschland muss seinen Ankündigungen, mehr Verantwortung zu übernehmen, erst noch Taten folgen lassen. Es ist schwer, keinen Zusammenhang zwischen dem massiven Anstieg der Todesfälle seit April zu sehen und einer europäischen Politik, die Seenotrettung erschwert oder gar aktiv verhindert.
Heute kann nur noch ein einziges, privates Rettungsschiff, die Aquarius, Rettungseinsätze in den internationalen Gewässern vor der libyschen Küste durchführen. Kein Schiff kann sich sicher sein, dass es gerettete Migranten an Land bringen kann. Die europäischen Regierungschefs können nicht von Ländern des südlichen Mittelmeerraums erwarten, dass diese Gerettete aufnehmen, während sie selbst alle Verantwortung von sich weisen.
Deshalb müssen Italien und Malta davon überzeugt werden, dass andere EU-Mitglieder sie mit konkreten und verlässlichen Gegenleistungen für Gerette unterstützen, wenn sie Schiffe in ihre Häfen lassen. Sollten Italien und Malta ihrer Verantwortung jedoch weiterhin nicht nachkommen, dann müssen Länder wie Frankreich und Spanien ihren Mut und ihre Großherzigkeit unter Beweis stellen, wie sie dies mit der Aquarius im Juli bereits getan haben.
Zweitens: Merkel und Macron sollten sicherstellen, dass in neuen Aufnahmezentren auf europäischem Boden die europäischen Menschenrechtsstandards garantiert sind. Die vorgeschlagenen „kontrollierten Zentren“, die auf dem EU-Gipfel im Juni vorgeschlagen wurden, könnten ein Teil der Antwort sein. Doch ohne diese Standards besteht die Gefahr, dass sich in diesen Zentren die katastrophalen Bedingungen wiederholen, wie wir sie in den EU-„Hotspots“ auf den griechischen Inseln beobachten.
Dafür sind Garantien nötig, dass es keine automatische Inhaftierung in geschlossenen Einrichtungen gibt, die über den notwendigen Zeitraum hinausgehen, der für Registrierung und Identifizierung nötig ist. Kinder dürfen überhaupt nicht interniert werden. Bei jeder neuen Einrichtung muss verhindert werden, dass sie überfüllt ist. Verletzliche Menschen müssen besonders geschützt werden. Faire Verfahren und Verfahrensgarantien gegen eine Abschiebung in Länder, in denen den Betroffenen Folter oder unmenschliche Behandlung droht, müssen sichergestellt werden.
Drittens: Die EU-Staats- und Regierungschefs sollten Schritte unternehmen, damit Migranten und Asylsuchende nicht der Hölle ausgesetzt werden, die sie derzeit in Libyen erleben.
Seit 2017 hat die Europäische Union bereits 266 Millionen Euro für den Schutz von Flüchtlingen, besonders verletzlichen Migranten und Binnenflüchtlingen in Libyen ausgegeben. Sie hat Einheiten der libyschen Küstenwache ausgebildet, die nominell der Übergangsregierung unterstellt sind. Italien stellte Schiffe und Ausrüstung zur Verfügung. Doch zugleich erschwerte die EU die Seenotrettungsmissionen von Nichtregierungsorganisationen. Wenn Menschen nach Libyen zurückgebracht werden, dann werden sie automatisch von Gefängnisbehörden inhaftiert, die für schwere Übergriffe verantwortlich sind, und landen in schmutzigen, überfüllten Haftlagern, werden gefoltert, ausgebeutet, sexuell missbraucht und Opfer von Menschenhandel.
Asylsuchende und Migranten, die Human Rights Watch im Juli in Haftlagern in Westlibyen befragt hat, berichteten davon. Indem die EU-Mitgliedstaaten die libysche Küstenwache unterstützen und sich von ihrer Verantwortung, Leben zu retten, wegducken, unterstützen sie möglicherweise schwere Menschenrechtsverletzungen. Macron und Merkel sollten von den libyschen Behörden einfordern, willkürliche Inhaftierungen zu beenden. Die Bedingungen und die Behandlung der Menschen in den Hafteinrichtungen muss nachhaltig und deutlich verbessert werden. Der französische Präsident und die Bundeskanzlerin sollten außerdem eine klare Richtung vorgeben, indem sie die Umsiedlung von Flüchtlingen und Asylsuchenden durch das Evakuierungsprogramm des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) unterstützen.
Natürlich werden diejenigen Regierungschefs widersprechen, die den Tod im Meer und die unmenschliche Behandlung in Libyen als Preis dafür akzeptieren, dass sich die Zahl der an den Küsten ankommenden Migranten verringert. Doch Merkel und Macron sollten nicht erlauben, dass Salvini und Orban ihre Vision einer humanen Migrationspolitik in Geiselhaft nehmen. Wenn Europa den Kreislauf der Angst auf dem Mittelmeer durchbrechen will, sollten die Regierungschefs Europa die Chance geben, verantwortungsbewusst zu agieren – und Migranten und Asylsuchenden die Chance auf Rettung und Schutz.
EU/Italien/Libyen: Streit um Rettungsmissionen gefährdet Leben
Mitarbeiter von SOS MEDITERRANEE retten Migranten von einem überfüllten Schlauchboot im Mittelmeer, 9. Juni 2018.
© 2018 Kenny Karpov/SOS MEDITERRANEE(Milan) – Dass die Europäische Union nichtstaatliche Rettungsmissionen behindert und die Verantwortung an die libysche Küstenwache übergibt, ist ein Rezept für noch mehr Tote im Mittelmeer. Zudem sitzen dadurch die in Libyen gestrandeten Migranten in einem Teufelkreis des Missbrauchs fest, so Human Rights Watch.
„Dass die EU Rettungsmissionen blockiert und keine Klarheit schafft, in welche Häfen gerettete Menschen gebracht werden können, führt zu mehr Todesfällen auf Hoher See und größerem Leid in Libyen. Diese Politik wird durch das harte und herzlose Vorgehen Italiens befördert“, so Judith Sunderland, stellvertretende Leiterin der Abteilung Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Statt Nichtregierungsorganisationen, Handels- und sogar Militärschiffe zu entmutigen, Leben zu retten, sollen die EU-Mitgliedstaaten und -Institutionen gewährleisten, dass gerettete Menschen sichere Häfen erreichen, wo ihre Schutz sichergestellt ist.“
Bei einem Libyen-Besuch Anfang Juli befragte Human Rights Watch Angehörige der libyschen Küstenwache, Dutzende inhaftierte Geflüchtete und Migranten in vier staatlichen Internierungseinrichtungen in Tripoli, Zuwara und Misrata sowie Mitarbeiter internationaler Organisationen. Die inhaftierten Asylsuchenden und Migranten warfen dem Wachpersonal und Schleppern schwere Misshandlungen vor. Einige berichteten von aggressivem Verhalten der libyschen Küstenwache bei Rettungsmissionen auf dem Mittelmeer. Insgesamt bestätigen die Befunde des Besuchs, dass die Küstenwache nicht in der Lage ist, sichere und wirksame Such- und Rettungsmissionen durchzuführen.
Seit seinem Amtsantritt Anfang Juni führt Italiens stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister Matteo Salvini eine Kampagne gegen nichtstaatliche Organisationen der Seenotrettung durch, die im Mittelmeer aktiv sind. Er verweigerte Schiffen, Hunderte aus dem Mittelmeer gerettete Menschen in Italien an Land zu bringen oder verzögerte deren Einlaufen massiv. Dies betraf auch Militär- und Handelsschiffe. Am 23. Juli gab die italienische Regierung bekannt, dass Militärschiffe, die sich an EUNAVFOR MED, der Anti-Schlepper-Operation der EU, beteiligen, fünf Wochen lang nicht in Italien anlegen dürfen, während ihr Einsatzplan neu verhandelt wird.
In den vergangene Wochen patrouillierte nur die spanische Gruppe Proactiva internationale Gewässer vor der libyschen Küste. Alle anderen Seenotrettungsorganisationen sitzen entweder nach juristischen Verfügungen in italienischen oder maltesischen Häfen fest oder planen neue Arbeitsabläufe, weil große Unsicherheit darüber herrscht, wie zukünftige Einsätze koordiniert und ob und in welchen Häfen Rettungsschiffe anlegen können. Obwohl der Bedarf an Seenotrettungseinsätzen immer größer wird, dürften Handelsschiffen davor zurückschrecken, Menschen in Not zu retten, da für sie die Gefahr besteht, dass ihre Schiffe beschlagnahmt werden, ihnen selbst strafrechtliche Verfolgung droht oder sie finanzielle Verluste erleiden, weil ihre Landung stark verzögert wird.
Rettungsboot der libyschen Küstenwache in Sebratha, 65km westlich der Hauptstadt Tripolis, Juli 2018.
© 2018 Human Rights Watch
Die Zahl der Todesfälle im zentralen Mittelmeer – zwischen Libyen/Tunesien und Italien/Malta – ist explodiert, obwohl die Abfahrten aus Libyen deutlich zurückgegangen sind. Allein im Juni sind schätzungsweise 600 Menschen gestorben oder gelten als vermisst, womit seit dem 1. Januar mehr als 1.100 Todesfälle zu beklagen sind. Angaben des UNHCR zufolge, der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen, ist im Juni eine von sieben Personen, die versucht hat, nach Europa überzusetzen, ums Leben gekommen. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres war es eine von 19 Personen und in den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 eine von 38 Personen.
AufklappenJosefa aus Kamerun kurz nach ihrer Rettung von einem zerstörten Schlauchboot durch die spanische Gruppe Proactiva im Mittelmeer, 17. Juli 2018. Die Organisation barg auch die Leichen einer Frau und eines Kindes.
© 2018 ProactivaAm 21. Juli lief Proactiva mit zwei Leichen – einer Frau und einem Kleinkind – und einer Überlebenden in den Hafen von Palma de Mallorca in Spanien ein. Die Mitarbeiter der Organisation hatten die Toten und die Überlebende auf einem zerstörten Schlauchboot 80 Seemeilen von der libyschen Küste entfernt entdeckt. Proactiva wirft der libyschen Küstenwache vor, die drei Personen zum Sterben zurückgelassen zu haben, nachdem sie die anderen Passagiere an Bord genommen und nach Libyen zurückgebracht hatte. Die libyschen Behörden weisen die Vorwürfe zurück.
Dass die EU-Mitgliedstaaten keine angemessenen Such- und Rettungskapazitäten im zentralen Mittelmeerraum gewährleisten, widerspricht dem Geist des internationalen Seerechts. Dies könnte sie unter bestimmten Umständen verantwortlich machen für vermeidbare Todesfälle und direkte Verletzungen des Refoulement-Verbots, durch das Personen nicht an Orte zurückgeschickt werden dürfen, an denen ihnen Verfolgung, Folter und Misshandlung drohen.
Einheiten der libyschen Küstenwache dazu zu befähigen, Menschen auf Hoher See abzufangen, könnte als Beihilfe zu oder Unterstützung von schweren Menschenrechtsverletzungen gewertet werden. Denn es ist bekannt, dass die Küstenwache diese Menschen in Einrichtungen in Libyen zurückbringt, in denen sie willkürlich inhaftiert und grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind – diese Haftbedingungen sind gut dokumentiert. Ebenso verletzt es das internationale Flüchtlingsrecht, wenn schutzsuchende Migranten abgefangen und zwangsweise nach Libyen verbracht werden. Libyen hat die Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 nicht unterzeichnet und verfügt über kein Asylrecht oder Asylverfahren. Zurückgedrängte Migranten haben deshalb keinen wirksamen Rechtsbehelf, um ihre Schutzansprüche durchzusetzen.
Bedauerlicherweise hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO), eine UN-Organisation, im Juni anerkannt, dass Libyen eine große Such- und Rettungszone eingerichtet hat. Obwohl die libysche Küstenwache nur über begrenzte Kapazitäten verfügt und bekannt ist, welches Schicksal diejenigen erwartet, die in das Land zurückgebracht werden, konnte Italien die ausdrückliche Unterstützung von EU-Staatsoberhäuptern für seine mindestens seit Mai 2017 erprobte Praxis gewinnen, die Verantwortung auch in internationalen Gewässern an die libysche Küstenwache zu übertragen.
Die Zahl der in Libyen inhaftierten Menschen ist deutlich gestiegen, nachdem die libysche Küstenwache begonnen hat, vermehrt Boote abzufangen. Brigadegeneral Mohamed Bishr, Leiter des libyschen Direktorats für illegale Migration, sagte am 12. Juli gegenüber Human Rights Watch, dass sich 8.672 Personen in staatlichen Hafteinrichtungen befänden, im Mai waren es noch 5.200. Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass 9.300 Menschen in staatlichen Hafteinrichtungen in Libyen festgehalten werden. Zudem gibt es keinerlei Zahlen darüber, wie viele Personen in informellen Lagern festsitzen, die von bewaffneten Gruppen oder Schleppern und Menschenhändlern betrieben werden.
AufklappenEine Frau auf einer Matratze am Boden des Tajoura Haftzentrums, Tripolis, 8. Juli 2018.
Die Mitgliedstaaten und Institutionen der EU sollen sich einstimmig gegen Salvinis Forderung wenden, die „Regeln zu ändern“, wodurch Libyen zu einem sicheren Ort für Flüchtlinge und Migranten erklärt würde. Angesichts dessen, wie Migranten derzeit in Libyen behandelt werden, würde eine solche Entscheidung die Realität leugnen. Der UNHCR soll seinen Aufruf an alle Staaten aus dem Jahr 2015 erneuern, „Zivilisten (libyschen Staatsbürgern, Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Libyen und Angehörigen von Drittstaaten), die aus Libyen fliehen, Zugang zu ihrem Territorium zu gewähren“.
Die EU-Mitgliedstaaten sollen unverzüglich aktiv werden, um Menschenleben auf Hoher See zu schützen und zu gewährleisten, dass Schiffe mit geretteten Personen zuverlässig in sichere Häfen einlaufen können. Sie sollen die Rettungsmissionen nichtstaatlicher Gruppen unterstützen, statt sie zu sabotieren, und sicherstellen, dass eine angemessene Zahl an Schiffen im Mittelmeer präsent ist, die dafür ausgerüstet und dazu in der Lage sind, Booten in Seenot zu helfen.
Solange die libyschen Behörden nicht ihre Praxis beenden, Migranten willkürlich zu inhaftieren, die Bedingungen und die Behandlung in Haft nicht nachhaltig und bedeutend verbessern und nicht über ausreichend eigene Kapazitäten verfügen, um ihrer Verantwortung dafür gerecht zu werden, Boote in Seenot zu suchen und zu retten, sollen die EU-Mitgliedstaaten diese Aufgabe in den internationalen Gewässern vor der libyschen Küste wieder übernehmen. Das gilt auch für den Bereich, den Libyen zu seiner Such- und Rettungszone erklärt hat.
Die EU-Mitgliedstaaten sollen dringend ein regionales Übereinkommen über das Anlegen von Schiffen, die gerettete Menschen an Bord haben, schließen, das Garantien gegen die automatische Inhaftierung der Geretteten enthält. Zudem soll es gewährleisten, dass Menschen in sichere Häfen gebracht und rasch in andere EU-Staaten verbracht werden können, die die Verantwortung für das weitere rechtliche Verfahren übernehmen. So ein Übereinkommen ist unerlässlich, um die Rettungsoperationen sowohl von nichtstaatlichen Organisationen als auch von Handelsschiffen im Mittelmeer dauerhaft abzusichern und wiederholte Auseinandersetzungen darüber, wo die Schiffe anlegen dürfen, zu vermeiden. Die EU-Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission sollen Druck auf Italien und Malta ausüben, die vom zentralen Such- und Rettungsgebiet aus am schnellsten zu erreichen sind, Rettungsschiffen unverzüglich das Einlaufen zu erlauben.
AufklappenMigranten in einem Boot der libyschen Küstenwache im Mittelmeer vor der Küste Libyens, 15. Januar 2018.
© 2018 Hani Amara/ReutersAuch unabhängig von Notfällen soll nur dann erwogen werden, gerettete Personen in ein Nicht-EU-Land zu bringen, wenn spezifische Schlüsselbedingungen erfüllt sind. Diese umfassen mindestens Verfahrensgarantien gegen willkürliche Inhaftierung und Refoulement, Zugang zu fairen und effizienten Asylverfahren sowie faire Abschiebeverfahren für diejenigen, die keinen Bleibeanspruch haben. Kein Staat außerhalb der EU hat bislang Interesse an irgendeinem Übereinkommen über das Anlegen von Schiffen gezeigt, die gerettete Menschen an Bord haben.
Die libyschen Behörden sollen klare und einheitliche Verfahren entwicklen, um die Rettungen durch Handelsschiffe, nichtstaatliche und andere Schiffe in ihren Hoheitsgewässern zu koordinieren oder in dem Gebiet, das sie als ihre Such- und Rettungszone in internationalen Gewässern betrachten. Die libysche Küstenwache kann und soll eine wichtige Rolle dabei spielen, rasche Hilfe für in Seenot geratene Boote zu leisten und das sichere Einlaufen in Häfen außerhalb von Libyen zu arrangieren.
„Der italienische Innenminister hat Recht, dass die Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwache scheinheilig ist, wenn gleichzeitig Libyen nicht als sicherer Hafen angesehen wird“, so Sunderland. „Aber Wunschdenken wird Libyen in absehbarer Zeit nicht zu einem sicheren Ort machen, in den gerettete Flüchtlinge und Migranten gebracht werden können.“
Griechenland: Asylsuchende Kinder erhalten keine Schulbildung
Greece is denying thousands of asylum-seeking children their right to an education because of a European Union-backed migration policy that traps them on the Aegean islands.
(Athen) – Griechenland verweigert Tausenden von asylsuchenden Kindern ihr Recht auf Bildung. Der Grund dafür ist eine von der Europäischen Union unterstützte Migrationspolitik, durch die sie auf den ägäischen Inseln festsitzen, so Human Rights Watch heute.
Der 51-seitige Bericht „‘Without Education They Lose Their Future’: Denial of Education to Child Asylum Seekers on the Greek Islands“ zeigt, dass weniger als 15 Prozent der mehr als 3.000 schulpflichtigen Kinder auf den Inseln zum Ende des Schuljahres 2017-2018 in einer öffentlichen Schule angemeldet waren und dass in den von der Regierung verwalteten Camps auf den Inseln nur etwa 100 Kinder, alle im Vorschulalter, Zugang zu formaler Bildung hatten. Den asylsuchenden Kindern auf den Inseln werden die Bildungsmöglichkeiten auf dem Festland verwehrt. Die meisten derjenigen, die zur Schule gehen konnten, durften die von der Regierung geführten Lager verlassen. Sie wurden dann in Unterkünften untergebracht, die von den lokalen Behörden und Freiwilligen betreut werden.
„Griechenland soll seine Politik aufgeben, Asylsuchende und ihren Familien auf den Inseln festzusetzen, da sich die Regierung seit zwei Jahren als unfähig erwiesen hat, diesen Kinder dort eine Schulbildung zu ermöglichen“, so Bill Van Esveld, Kinderrechtsexperte von Human Rights Watch. „Kinder auf den Inseln zu lassen, wo sie nicht zur Schule gehen können, schadet ihnen und verstößt zudem gegen griechisches Recht.“
Human Rights Watch führte Interviews mit 107 schulpflichtigen Kindern von Asylsuchenden und Migranten auf den Inseln und befragte Beamte des Bildungsministeriums, UN-Mitarbeiter und lokale Hilfsgruppen. Zudem wurde die entsprechende Gesetzgebung geprüft.
Die griechische Regierung verfolgt eine von der EU unterstützte Politik, Asylsuchende, die auf dem Seeweg aus der Türkei ankommen, auf den Inseln festzuhalten, bis über ihre Asylanträge entschieden wurde. Die Regierung behauptet, dies sei nach dem Migrationsabkommen zwischen der EU und der Türkei vom März 2016 notwendig. Der Prozess soll schnell vonstattengehen, und besonders schutzbedürftige Menschen sollen hiervon ausgenommen werden. Human Rights Watch sprach jedoch mit Familien, die bis zu elf Monate in den Lagern festsaßen, oft wegen langer Wartezeiten auf ihre Asylanhörungen oder weil sie gegen ihre Ablehnung Widerspruch eingelegt hatten.
Zwar hat die Regierung seit November mehr als 10.000 Asylbewerber auf das Festland überführt, sie weigert sich jedoch, die Eindämmungspolitik zu beenden. Das höchste Gericht Griechenlands hat die Vorgehensweise für Neuankömmlinge im April 2018 abgelehnt. Anstatt dieses Urteil umzusetzen, erließ die Regierung jedoch eine Verwaltungsentscheidung und verabschiedete ein Gesetz zur Wiedereinführung der Politik.
Nach griechischem Recht ist der Unterricht für Kinder im Alter von 5 bis 15 Jahren kostenlos und obligatorisch. Dies gilt auch für asylsuchende Kinder. Das Völkerrecht garantiert allen Kindern das gleiche Recht auf Primär- und Sekundarschulbildung, frei von Diskriminierung. Kinder in Camps auf dem griechischen Festland, die nicht unter die Eindämmungspolitik fallen, konnten sich für eine formale Schulbildung anmelden.
Nach Angaben der Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission (ECHO), ist „Bildung entscheidend“ für Mädchen und Jungen, die von Krisen betroffen sind. Demnach könne Bildung ihnen ein Gefühl von Normalität und Sicherheit zurückgeben und wichtige Lebenskompetenzen vermitteln. Bildung sei eine der bestmöglichen Investitionen in ihre langfristige Zukunft und in den Frieden, die Stabilität und das Wirtschaftswachstum ihrer Heimatländer.
Ein 12-jähriges Mädchen aus Afghanistan, das seit sechs Monaten in einem von der Regierung geführten Lager auf den Inseln ausharrte, sagte, sie sei sieben Jahre lang zur Schule gegangen, bevor sie vor dem Konflikt geflohen sei. Ihr Wunsch sei es, wieder eine Schule zu besuchen. „Ohne Schulbildung haben wir keine Zukunft, und wir werden nicht erfolgreich sein, weil wir keine Bildung erhalten und keine anderen Sprachen sprechen können“, sagte sie.
Mehrere nichtstaatliche Gruppen bieten Kindern, die auf den Inseln Asyl suchen, eine nicht formale Bildung an. Aber die Mitarbeiter sagten, dies sei kein Ersatz für eine reguläre Schulbildung. Eine dieser provisorischen Schulen darf einen einzigen Container im staatlichen Lager Moria auf Lesbos in Teilzeit nutzen. Dies bedeutet, dass die Kinder nur 1,5 Stunden am Tag unterrichtet werden können. „Sie tun ihr Bestes und wir sind dankbar dafür, aber es ist keine richtige Schule“, sagte ein Vater.
Andere bieten den Transport zu externen Schulen an, können aber keine Kinder mitnehmen, die zu jung sind, um allein dorthin zu fahren. Einige Schüler, die außerhalb der von der Regierung geführten Lager leben, erhalten eine nicht formale Schulbildung und werden zudem von Freiwilligen oder nichtstaatlichen Gruppen unterstützt, um sich in öffentlichen Schulen anzumelden. So halfen Freiwillige einem 13-jährigen kurdischen Jungen, der im Flüchtlingscamp Pikpa auf Lesbos lebt, dem jetzt die Schließung droht, sich in einer öffentlichen Schule anzumelden, wo er bereits am Unterricht auf Griechisch teilnehmen kann.
Eltern und Lehrer sagten, dass die Routine des Schulbesuchs Asyl suchenden Kindern helfen könne, sich von traumatischen Erfahrungen in ihren Heimatländern und während ihrer Flucht zu erholen. Aber der fehlende Zugang zu Schulbildung, verbunden mit Lücken in der psychologischen Betreuung, verschärft den Stress und die Angst, die durch den monatelangen Aufenthalt in den unsicheren, überfüllten Lagern entstehen. Ein 17-jähriges Mädchen, das in Marokko vergewaltigt worden war, sagte, dass die Verhältnisse im Lager von Samos „mich daran erinnern, was ich durchgemacht habe. Ich hatte gehofft, in Sicherheit zu sein.“
Das griechische Ministerium für Migrationspolitik, das für die Eindämmungspolitik und die Camps auf den Inseln verantwortlich ist, beantwortete keine Fragen von Human Rights Watch zur Schulbildung von Kindern von Asylsuchenden und Migranten auf den Inseln. Mehrere Bildungsanbieter sagten, dass es keine ausreichende Transparent gebe, welche Rolle das Migrationsministerium bei Bildungsfragen auf den Inseln spiele. Ein Ausschuss des Bildungsministeriums für Flüchtlingsbildung berichtete 2017, dass das Migrationsministerium einige Pläne zur Verbesserung des Zugangs zu Bildung auf den Inseln blockiert habe.
Das Bildungsministerium hat zwei Schlüsselprogramme eingerichtet, um asylsuchenden Kindern in ganz Griechenland zu helfen, die kein Griechisch sprechen und die vielleicht schon seit Jahren keine Schule mehr besucht haben, damit diese sich in die formalen Bildungsstrukturen integrieren und erfolgreich sein können. Beide Programme schließen jedoch die meisten Kinder in staatlich geführten Lagern auf den Inseln aus.
Im Jahr 2018 eröffnete das Ministerium in einigen Lagern auf den Inseln Vorschulen, und im Mai konnten sich 32 Kinder in einem Lager einer lokalen Gemeinde auf Lesbos in Grundschulen anmelden, obwohl das Schuljahr bereits im Juni endete. Das Ministerium teilte mit, dass im Schuljahr 2017-2018 mehr als 1.100 asylsuchende Kinder in Schulen auf den Inseln angemeldet waren. Viele darunter verließen die Inseln offenbar noch vor Ende des Jahres.
Ein im Juni verabschiedetes Gesetz schafft mehr Klarheit über das Recht der Asylsuchenden auf Bildung, und am 9. Juli teilte das Bildungsministerium Human Rights Watch mit, dass es im Schuljahr 2018-2019 15 zusätzliche Klassen für asylsuchende Kinder auf den Inseln eröffnen wolle. Dies wäre ein positiver Schritt, wenn er, anders als in den Vorjahren angekündigt, auch fristgerecht umgesetzt wird. Jedoch könnten auch dann die meisten schulpflichtigen Kinder von Asylsuchenden und Migranten auf den Inseln nicht zur Schule gehen, es sei denn, die Anzahl der Kinder ginge zurück.
„Griechenland hat weniger als zwei Monate Zeit, um sicherzustellen, dass Kinder, die auf der Reise ihr Leben riskiert haben, zu Beginn des Schuljahres zur Schule gehen können - eine Frist, die bislang nie eingehalten wurde“, so Van Esveld. „Die Europäische Union soll Griechenland ermutigen, dass den Kindern ihr Recht auf Bildung gewährt wird. Die Eindämmungspolitik soll beendet und asylsuchenden Kinder und ihren Familien ermöglicht werden, die Inseln zu verlassen. Nur so können sie die Ausbildung und die Leistungen erhalten, die sie benötigen.“
EU: Gipfel soll Migration angemessen anpacken
Ein Mädchen bei einer Demonstration von Flüchtlingen und Migranten für eine Öffnung der Grenzen in einem provisorischen Lager an der griechisch-mazedonischen Grenzen in der Nähe von Idomeni, 23. März 2016.
© 2016 ANDREJ ISAKOVIC/AFP/Getty Images (Brüssel) – Die Regierungen und Institutionen der Europäischen Union haben noch immer keine wirksame und auf Rechten basierende politische Antwort auf die Migration entwickelt. Dies verursacht Leid und schürt ein Gefühl der politischen Krise, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich am 28. und 29. Juni 2018 in Brüssel, um über die Migrations- und Asylpolitik zu diskutieren.Der Bericht „Toward an Effective and Principled EU Migration Policy: Recommendations for Reform“ enthält konkrete Empfehlungen, um die weltweite Führungsrolle der EU beim Flüchtlingsschutz zu sichern, das Recht auf Asyl zu wahren und die Verantwortung unter den EU-Mitgliedstaaten gerechter aufzuteilen. Die politischen Empfehlungen von Human Rights Watch zielen darauf ab, die Rechte aller Migranten zu schützen und gleichzeitig den EU-Regierungen die Kontrolle ihrer Grenzen zu ermöglichen.
„Die EU-Regierungen können sich offensichtlich nur auf das Outsourcing von Verantwortung und das Insourcing von Elend einigen“, so Judith Sunderland, stellvertretende Direktorin der Europa- und Zentralasien-Abteilung von Human Rights Watch. „Die Staatschefs sollen den Gipfel nutzen, um eine auf Rechten basierende Migrationspolitik zu unterstützen, die humaner und effizienter als das bisherige Vorgehen ist.“
Human Rights Watch legt eine Strategie vor für eine grundlegende Neuausrichtung der Migrationspolitik in einer Zeit, in der die EU die Verantwortung von ihren Grenzen fernhält. Die EU macht es immer schwieriger, in Europa Asyl zu suchen, schafft ein feindseliges Umfeld für Migranten und Asylbewerber und bedroht die Integrität des internationalen Flüchtlingssystems. Ein wirksamer und prinzipienorientierter Ansatz zur Migrationsfrage soll die Menschenrechte und das Asylrecht achten.
Die jüngste Weigerung der italienischen Regierung, ein nichtstaatliches Rettungsschiff anlegen zu lassen, spiegelt den neuen harten Ansatz und die Bereitschaft des Landes wider, seine internationalen Verpflichtungen zu missachten. Das Vorgehen zeigt aber auch den Zusammenbruch der regionalen Zusammenarbeit und Solidarität.
Zudem wir deutlich, wie wichtig verlässliche und gerechte Systeme zur Aufteilung der Verantwortung sind, nicht nur für die Rettung auf See und die Landung in einem Hafen, sondern auch für den rechtlichen Umgang mit ankommenden Migranten und Asylbewerbern.
Doch die Verhandlungen zur Reform des Dublin-Systems, das die Zuständigkeit für die Bearbeitung von Asylanträgen regelt, sind ins Stocken geraten. Viele Vorschläge dürften den derzeitigen Druck auf eben jene EU-Länder erhöhen, die bei der Flüchtlingskrise ohnehin an vorderster Front stehen, anstatt die Verantwortung gerechter aufzuteilen. Related Content
Zahlreiche EU-Staaten haben bereits in ihren Ländern rechtliche oder politische Änderungen beschlossen bzw. vorgeschlagen, die das Recht von Asylbewerbern und Flüchtlingen auf Berufung im Asylverfahren und Familienzusammenführung sowie die Unterstützung einschränken. Gleichzeitig versuchen die EU-Länder verstärkt, Einreisen zu verhindern und Asylsuchende abzuschrecken, wobei schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschenrechte weitestgehend außer Acht gelassen wurden.
Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei aus dem Jahr 2016 hat zu einer Politik geführt, bei der Tausende von Asylbewerbern unter unzumutbaren Bedingungen auf den griechischen Inseln untergebracht wurden, ohne nennenswerte Verbesserungen beim Schutz der Flüchtlinge in der Türkei oder Umsiedlungen in EU-Länder. Die Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden, insbesondere mit den libyschen Küstenwachen, könnte einen Kreislauf der Gewalt und der Inhaftierung fördern. Jedoch wird gleichzeitig auch versucht, gefährdete Flüchtlinge nach Niger zu evakuieren, damit sie an einen anderen Ort umgesiedelt oder - wenn sie keinen Schutz benötigen - in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden,.
Die Staats- und Regierungschefs der EU sollen sich bei dem Gipfeltreffen auf Strategien konzentrieren, durch die verhindert wird, dass sich Migranten auf gefährliche Fluchtrouten begeben. Doch zugleich muss das Recht der Migranten respektiert werden, jedes Land verlassen zu können. Zudem sollen sie die vielfältigen Auslöser für Migration, einschließlich Gewalt und Verfolgung, anerkennen.
Die Rettung von Leben auf See und an Land sollen Priorität haben. Die EU soll sichere und geordnete Kanäle wie die Umsiedlung von Flüchtlingen und legalen Zugang zu Beschäftigung und Studium ausbauen. Auch soll die sichere Rückkehr irregulärer Migranten sichergestellt werden, jedoch ohne den Menschenrechtsschutz in Frage zu stellen. Die Regierungen der EU sollen diplomatisches und wirtschaftliches Kapital so investieren, dass Menschenrechtsverletzungen bekämpft werden, die Migration fördern, und sie sollen den Schutz in den Herkunftsregionen verbessern. Diese Verbesserungen in den Herkunftsländern sollen auf Lösungen beruhen, die die Menschenrechte fördern, die Flüchtlinge schützen und eine effektive Entwicklung fördern.
Um die EU als Schutzraum für Bedürftige aufrechtzuerhalten, bedarf es einer vorausschauenden Reform des Dublin-Systems, durch die Verantwortung gerechter aufgeteilt wird und die den Asylbewerbern Anreize bietet, sich an die Vorgaben des Systems zu halten. Ebenso bedarf es effizienter und fairer Asylverfahren in allen EU-Ländern. Die Anwendung nationaler Vorschriften zur Ablehnung von Asylbewerbern soll begrenzt sein und strengen Schutzmaßnahmen unterliegen, um potentiell unsichere Rückführungen zu verhindern.
Da die EU-Länder darauf hinarbeiten, abgelehnte Asylbewerber und Migranten, die nicht bleiben dürfen, verstärkt zurückzuführen, sollen sie sicherstellen, dass ihre Verfahren fair sind, wobei strenge Menschenrechtsbestimmungen in Rückübernahmeabkommen enthalten sein müssen und jede Inhaftierung bis zur Abschiebung auf die kürzeste erforderliche Zeit beschränkt bleiben muss. Kinder sollen grundsätzlich nicht inhaftiert werden. Die EU soll den Herkunftsländern eher mit Anreizen als mit Drohungen begegnen, wenn es um die Zusammenarbeit bei der Rückführung ihrer eigenen Staatsangehörigen geht. So sollen etwa mehr Visa für Studenten und Arbeiter aller Qualifikationsstufen angeboten werden.
„Die gespaltene politische Debatte in Europa darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein prinzipienorientierter Ansatz sowohl die Menschenrechte wahren als auch die Migration steuern könnte“, sagte Sunderland. „Die Staats- und Regierungschefs der EU sollen wahre Führungsstärke zeigen und für ihre gemeinsamen Werte und Verpflichtungen eintreten.“.
Frauen in Deutschland vor Gewalt schützen
Messages of mourning, candles and flowers are placed by people for Susanna F., the teenager who was found dead two days ago, in Wiesbaden-Erbenheim, Germany, June 8, 2018.
© 2018 ReutersDie Ermordung eines 14-jährigen Mädchens Ende Mai in Wiesbaden hat viele Menschen in Deutschland tief getroffen. Nach Informationen der Polizei hat ein 20-jähriger Mann aus dem Irak, dessen Asylantrag abgelehnt worden war, das Verbrechen am Wochenende gestanden, nur Tage nachdem die Leiche des Mädchens gefunden worden war.
Der Fall rief auch deshalb ein großes Medienecho hervor, weil der Mord an Susanna F. einer von mehreren Fällen in den letzten Monaten war, die in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wurden und bei denen Mädchen und Frauen von ausländischen Männern getötet worden waren. Einige Täter kamen als Asylsuchende nach Deutschland. Die deutschen Medien haben sich nun auf diese Fälle konzentriert, nachdem sie lange Zeit dafür kritisiert worden waren, dass sie Gewaltverbrechen durch Asylsuchende ignoriert hätten.
Die Themen Asyl, Integration und Verbrechen führen in Deutschland zu starken Diskussionen in der Öffentlicheit, seit die Regierung 2015 aus humanitären Gründen die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hat.
Doch wie es unredlich ist, zu behaupten, dass Asylsuchende keine Verbrechen begehen können, so sollten auch nicht einzelne Fälle herausgegriffen werden, bei denen die Täter Asylsuchende oder Muslime sind. Denn dann besteht die Gefahr, dass dies eine fremdenfeindliche Agenda nährt, die sich gegen Muslime oder Flüchtlinge richtet. Dies ignoriert auch die Tatsache, dass in Deutschland – wie in anderen Ländern auch – Frauen und Mädchen unter Gewalt von Tätern leiden, die aus verschiedensten Glaubensrichtungen und Milieus kommen. Etwa 22% der deutschen Frauen werden in ihrem Leben Opfer von häuslicher Gewalt, 7% werden von Fremden sexuell missbraucht.
Deutschland hat das Recht, ausländische Kriminelle abzuschieben, so lange dies nicht dazu führt, dass ihnen Folter und Verfolgung drohen oder das Recht auf Familie verletzt wird. Im Fall des mutmaßlichen Täters von Susanna F. hat Deutschland richtigerweise entschieden, das Verfahren im eigenen Land durchzuführen, und nicht im Irak, wo ihm möglicherweise die Todesstrafe gedroht hätte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte diese Woche, dass der Mord an Susanna F. zeige, wie wichtig es sei, dass Menschen, die keinen Aufenthaltsstatus haben, schnell ihr Verwaltungsgerichtsverfahren bekommen und dann auch schnell wieder nach Hause geschickt werden können. Schnelle Rückführungen nach einem fairen Verfahren senden ein klares Signal, dass das Asylsystem funktioniert.
Am wichtigsten ist jetzt jedoch, dass Susanna F.s Mörder – und alle anderen, die für Gewalt gegen Frauen verantwortlich sind – vor Gericht gestellt werden, ohne Rücksicht auf die Herkunft des Täters und des Opfers. Zudem muss deutlich sein, dass die Strafverfolgung funktioniert, fair und effizient.
Türkei: Massenabschiebungen von Syrern
Aufklappen Ein türkischer Soldat überwacht die Grenze zwischen der Türkei und Syrien nahe der Stadt Kilis, 2. März 2017. © 2017 Reuters/Murad Sezer (Brüssel) – Türkische Sicherheitskräfte haben seit Dezember 2017 wiederholt Hunderte, bisweilen sogar Tausende, Asylsuchende an der türkisch-syrischen Grenze abgefangen und sie in das vom Krieg verwüstete Gouvernement Idlib abgeschoben, so Human Rights Watch heute. Türkische Grenzkontrollen haben auf Asylsuchende geschossen, die auf Schleuserrouten in die Türkei gelangen wollten und diese getötet oder verletzt. Zudem wurden Syrer nach Idlib abgeschoben, die in der türkischen Stadt Antakya, 30 Kilometer entfernt von der syrischen Grenze, angekommen waren.
Die Offensive des russisch-syrischen Militärbündnisses vom Dezember gegen regierungsfeindliche Kräfte in Idlib hat laut der Vereinten Nationen über 400.000 Zivilisten vertrieben. Sie gehören zu den mehr als 1,3 Millionen anderen, die in Idlib in unsicheren, überfüllten, provisorischen Camps nahe der geschlossenen türkischen Grenze ausharren. Dort sind sie permanent von potentiellen Angriffen bedroht. Es fehlt an Nahrung, sauberem Wasser, Unterbringungsmöglichkeiten, medizinischer Versorgung und Unterstützung. Bei dem Gipfeltreffen am 26. März in Bulgarien soll die Europäische Union die Türkei dazu drängen, syrischen Zivilisten, die Schutz in der Türkei suchen, diesen auch zu gewähren. Zudem sollen mehr Hilfsmittel für syrische Flüchtlinge in der Türkei und der Region zugesichert werden.
„Nun, da türkische Grenzwächter versuchen, auch die letzten verbliebenen Übergänge an der türkischen Grenze dichtzumachen, sitzen Hunderttausende Syrer auf syrischer Seite fest, wo sie Bombenangriffen schutzlos ausgeliefert sind”, so Gerry Simpson, Senior Researcher & Advocate der Abteilung Flüchtlinge von Human Rights Watch. „Die EU soll die Türkei dazu drängen, ihre Grenzen für Menschen in Not zu öffnen und sie sinnvoll unterstützen. Die EU darf nicht einfach nur dabei zusehen, wie die Türkei die Rechte von Flüchtlingen ignoriert und Tausende Menschen zurück in die Kriegsmassaker schickt.“
Als Reaktion auf diese Vorwürfe hat die Generaldirektion für Migrationsmanagement (DGMM) des türkischen Innenministeriums Human Rights Watch eine umfangreiche Stellungnahme zukommen lassen, in der es heißt: „Zwar schützt die Türkei ihre Grenzen gegen terroristische Organisationen, sie nimmt jedoch nach wie vor Syrer in Not auf, die an die Grenzen kommen, und eröffnet niemals das Feuer auf sie oder wendet Gewalt gegen sie an.“
Die DGGM teilte mit, dass sie im Jahr 2017 510.448 Syrer registrierte, die über die ausgewiesenen Grenzübergänge ins Land kamen und diesen vorübergehenden Schutz gewährte. 2018 seien es bislang 91.866 gewesen. Wie aus den Zahlen hervorgehe, so heißt es in der Stellungnahme der DGMM, entsprächen „Behauptungen, dass Syrer nicht registriert werden, nicht der Wahrheit“. Es scheint, dass die türkischen Behörden keine Untersuchungen bezüglich der konkreten Rechercheergebnisse von Human Rights Watch durchgeführt haben.
Mitte Februar sprach Human Rights Watch telefonisch mit 21 Syrern über ihre wiederholt gescheiterten Versuche, mithilfe von Schleusern in die Türkei zu gelangen. Achtzehn von ihnen sagten, dass die verstärkten russisch-syrischen Luftangriffe in Deir al-Zour und in Idlib sie mehrfach vertrieben hätten, bis sie schließlich beschlossen, dass sie keine andere Wahl hätten, als ihr Leben zu riskieren und in die Türkei zu flüchten.
Die Befragten schilderten 137 Vorfälle, fast alle ereigneten sich zwischen Mitte Dezember und Anfang März, bei denen türkische Grenzschutzbeamte sie kurz nach dem Grenzübertritt mit Schleusern abgefangen hatten. Human Rights Watch sprach mit weiteren 35 Syrern in Idlib, die nicht versucht hatten zu fliehen, aus Angst, von Grenzsoldaten erschossen zu werden.
Neun Personen beschrieben zudem 10 Vorfälle zwischen September und Anfang März, bei denen türkische Grenzschutzbeamte auf sie oder andere vor ihnen schossen, als sie versuchten, die Grenze zu überqueren. Hierbei wurden 14 Menschen, darunter 5 Kinder, getötet, 18 weitere wurden verletzt.
Auch geraten Zivilisten in Idlib seit Beginn der Offensive der Türkei in der kurdischen Stadt Afrin in Syrien immer wieder in das Kreuzfeuer zwischen kurdischen und türkischen Truppen.
Im November kam das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge in ihrer jüngsten Länderleitlinie zu Syrien zu dem Schluss, dass „alle Teile Syriens direkt oder indirekt von einem oder mehreren Konflikten betroffen sind“ und hielt daher an ihrer langjährigen Aufforderung an alle Länder fest, „die Syrer nicht gewaltsam zurückzuführen“.
Syrer, die versuchten, in die Türkei einzureisen, sagten, dass sie abgefangen wurden, nachdem sie den Fluss Orontes überquert hatten oder in der Nähe des Lagers für Binnenvertriebene in al-Dureyya. Sie sagten, dass türkische Grenzschutzbeamte sie zusammen mit Hunderten und manchmal Tausenden anderer Syrer, die sie abgefangen hatten, deportierten. Sie gaben an, von den Wachen gezwungen worden zu sein, über einen inoffiziellen Grenzübergang in Hatya oder über einen kleinen Damm am Orontes-Fluss, nach Syrien zurückzukehren. Dieser Damm ist als Friendship Bridge bekannt und wird auch von Hilfsorganisationen genutzt.
Aufklappen Eine türkische Sicherheitsbasis etwa 250 Meter von der türkisch-syrischen Grenze entfernt, 2 Kilometer südlich des türkischen Dorfes Saribük. Die Basis verfügt über ein Basketballfeld und ein großes Zelt, wie in Aussagen von abgeschobenen syrischen Asylsuchenden beschrieben, die sagten, sie seien vor ihrer Abschiebung an einem solchen Ort festgehalten worden. © 2018 Digital Globe Human Rights Watch liegen Satellitenbilder von beiden Grenzübergängen und von vier Sicherheitsposten mit großen Zelten vor, die auf Basketballfeldern im unmittelbaren Grenzgebiet aufgestellt wurden. Asylsuchende sagten, dass sie dort festgehalten wurden, bevor sie nach Syrien zurückgeschickt wurden.
Die Ergebnisse folgen einem Bericht von Human Rights Watch vom 3. Februar über die Tötungen und Massenzurückweisungen an den Grenzen der Türkei zwischen Mai und Dezember 2017 sowie ähnlichen Rechercheergebnissen vom November 2015 und Mai 2016.
Als Reaktion auf den Bericht vom 3. Februar wiederholte ein hoher türkischer Beamter die seit langem gleichbleibende Reaktion seiner Regierung auf solche Berichte und wies darauf hin, dass die Türkei Millionen syrischer Flüchtlinge aufgenommen hat. Human Rights Watch hat am 15. März in einem Brief an den türkischen Innenminister um Stellungnahme bis zum 21. März gebeten.
Nach Angaben des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge hat die Türkei über 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Die Türkei verdient Anerkennung und Unterstützung für ihre Großzügigkeit und hat das Recht, ihre Grenze zu Syrien zu sichern.
Allerdings ist die Türkei genauso dazu verpflichtet, den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu respektieren, der es den Ländern verbietet, Personen an einen Ort zurückzuschicken, an dem sie reell Gefahr laufen, verfolgt, gefoltert oder unmenschlich und erniedrigend behandelt oder bestraft zu werden. Dazu gehört auch ein Verbot der Ablehnung von Asylbewerbern an den Grenzen, sofern diese die Betroffenen solchen Bedrohungen aussetzen würde. Die Türkei ist zudem verpflichtet, die internationalen Normen über die Anwendung tödlicher Gewalt sowie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit einzuhalten.
Die Türkei versichert weiterhin, den Grundsatz der Nichtzurückweisung zu respektieren. „Syrer, die egal auf welchem Wege in die Türkei kommen, werden aufgenommen und ihnen wird Schutz gewährt. Sie werden auf keinen Fall zurückgeschickt und Syrer, die irgendwie in die Türkei eingereist sind und Schutz verlangen, werden definitiv nicht zurückgeschickt. Das Aufnahme- und Registrierungsverfahren wird ordnungsgemäß durchgeführt“, heißt es in der Stellungnahme der DGMM zu diesem Bericht. „Syrer, die in die Türkei kommen, werden unter keinen Umständen gezwungen, in ihr Land zurückzukehren; ihre Registrierung geht weiter, und diesen Menschen stehen viele Rechte und Leistungen in der Türkei zu.“
Bis Dezember hatte die Türkei fast 800 Kilometer einer geplanten, 911 Kilometer langen Grenzbarriere mit Syrien fertiggestellt, die aus einer raketenfesten Betonmauer und einem Stahlzaun besteht. Auf den Satellitenbildern, die Human Rights Watch aus der Region vorliegen, von der Syrer berichteten, dort die Grenze mit Schleusern passiert zu haben, sind Bereiche ohne Mauer zu sehen.
Die seit mindestens Mitte 2015 anhaltende Weigerung der Türkei, syrischen Asylbewerbern den legalen Grenzübertritt zu gestatten, wurde durch ein umstrittenes EU-Türkei-Migrationsabkommen vom März 2016 zur Eindämmung der Flüchtlings- und Migrationsströme in die Europäische Union verstärkt. Die EU soll stattdessen mit der Türkei zusammenarbeiten, um ihre Grenzen für Flüchtlinge offen zu halten, die Flüchtlingsbemühungen der Türkei finanziell zu unterstützen und die Verantwortung zu teilen, indem sie die Umsiedlung von Flüchtlingen aus der Türkei verstärkt, so Human Rights Watch.
„Die EU darf die Massenabschiebungen der Türkei nicht länger ignorieren“, sagte Simpson. „Das Treffen in Bulgarien ist eine eindeutige Gelegenheit für die Regierungen und Institutionen der EU, den Kurs zu ändern und die Bemühungen um den Schutz der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu verstärken, auch durch eine verstärkte Umsiedlung von Flüchtlingen“.
VIDEO: Aquarius - Ein Rettungsschiff, Das im Mittelmeer Leben Rettet
Seit 2014 haben Nichtregierungsorganisationen (NGOs) eine tödliche Lücke in der Seenotrettung geschlossen und patrouillieren in internationalen Gewässern in Nähe der 12-Seemeilen-Linie, die die libyschen Hoheitsgewässer markiert - es ist genau das Gebiet, in dem überfüllte, seeuntaugliche Boote am wahrscheinlichsten in Seenot geraten.
Nachdem 2015 immer mehr Menschen über das Mittelmeer kamen, wurden von den europäischen Regierungen Maßnahmen beschlossen, durch die Menschen unter dem Deckmantel der Rettung von Menschenleben in katastrophalen Bedingungen festgehalten werden. Im Oktober 2016 begannen europäische Einheiten, Truppen der libyschen Küstenwache, die von der Regierung der nationalen Einheit (GNA) kontrolliert werden, zu trainieren. Diese Regierung gehört zu einer der beiden miteinander konkurrierenden Allianzen, die Regierungsansprüche in Libyen geltend machen. Im Februar verstärkte Italien, mit Unterstützung der EU, die Bemühungen, libysche Einsatzkräfte so auszustatten und auszubilden, dass sie Boote abfangen und Menschen nach Libyen zurückführen können. Zugleich schränkten sie auch die Arbeit von NGOs ein, die lebenswichtige Such- und Rettungseinsätze durchführten.
Leben retten auf See
EU: Menschenrechte nur als Option
„Rettungskräfte der SOS MEDITERRANEE helfen einer Frau aus Somalia aus einem Schlauchboot, um an Bord der Aquarius zu kommen. 11. Oktober 2017.“
© 2017 ANTHONY JEAN/SOS MEDITERRANEE (Brüssel) – Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben die Menschenrechte im Jahr 2017 zu oft bereitwillig beiseitegeschoben. Zugleich gab es aber auch Ansätze eines prinzipientreueren Vorgehens, so Human Rights Watch im heute veröffentlichten World Report 2018.Im Rückblick auf ein Jahr, das von der Sorge geprägt war, dass populistische, extremistische Parteien immer einflussreicher werden, untersucht der World Report die Entwicklungen in zehn EU-Mitgliedstaaten und der EU insgesamt in den Bereichen Migration und Asyl, Diskriminierung und Intoleranz, Terrorismus und Terrorismusbekämpfung und EU-Außenpolitik.
„Im Jahr 2017 wurde deutlich, dass populistischen Extremisten und ihren Ideen nicht die Stirn geboten werden kann, indem die Menschenrechte in der Europäischen Union als optionales ‚Extra‘ behandelt werden“, so Benjamin Ward, stellvertretender Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Die Regierungen und Institutionen der EU stimmten jedoch zugleich immer mehr darüber ein, dass sie gegen Polens Angriffe auf die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit vorgehen müssen. Dies zeigt, dass ein Ansatz, der auf den Grundwerten der EU beruht, fruchtbar sein kann.“
„In dem 643-seitigen World Report, der in diesem Jahr zum 28. Mal erscheint, fasst Human Rights Watch die wichtigsten Entwicklungen beim Menschenrechtsschutz in mehr als 90 Ländern weltweit zusammen. In seiner Einleitung schreibt Executive Director Kenneth Roth, dass Politiker, die sich für die Menschenrechte einsetzten, gezeigt haben, dass autoritäre Populisten in die Schranken gewiesen werden können. War dies verbunden mit einer mobilisierten Öffentlichkeit und wirksamem Handeln multilateraler Akteure, bewies dieser Einsatz, dass der Aufstieg rechtsextremer Regierungen nicht unausweichlich ist.“
Die EU und ihre Mitgliedstaaten versuchten immer stärker, Asylsuchende und irreguläre Migranten von der Einreise abzuhalten und die Verantwortung für die Migrationskontrolle auf Länder außerhalb der EU abzuschieben, unter anderem auf Libyen. Diese Maßnahmen führten zu vielfältigen Menschenrechtsverletzungen.
Obwohl extremistische Parteien bei einigen Wahlen in europäischen Ländern weniger erfolgreich waren als prognostiziert, beeinflussten Populisten die europäische Politik stark. In Deutschland zog die AfD in den Bundestag ein.
Bei schrecklichen Terroranschlägen in Belgien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Schweden und Spanien, zu denen sich überwiegend der Islamische Staat (auch bekannt als ISIS) bekannte, starben insgesamt mehr als 60 Menschen, Hunderte wurden verletzt. Einige Sicherheitsmaßnahmen, die im Jahresverlauf eingeführt oder verschärft wurden, schränkten die Menschenrechte ein. Dazu zählen eine neue EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung, die die Meinungsfreiheit nicht ausreichend schützt, und problematische Maßnahmen in einzelnen EU-Mitgliedstaaten.
Rassistische, xenophobe und islamophobe Einstellungen und Gewalt blieben überall in der EU weit verbreitet. In ganz Europa waren Muslime mit Anfeindungen und Intoleranz konfrontiert. Auch Antisemitismus und antisemitische Hassverbrechen sind weiterhin ein ernstes Problem.
Die Bereitschaft der EU, sich für die Menschenrechte im Rahmen ihrer Außenpolitik einzusetzen, wurde häufig von anderen Interessen unterminiert, darunter nationale Sicherheit, Zugang zu natürlichen Ressourcen und Migrationskontrolle. Zudem geht auch der Europäische Auswärtige Dienst mit Blick auf die Menschenrechte nicht mit gutem Beispiel voran.
Länderspezifische Entwicklungen, die der World Report hervorhebt, sind unter anderem Frankreichs Entscheidung, menschenrechtsfeindliche Notstandsregelungen in reguläre Gesetze zu übertragen; Ungarns Vorgehen gegen Menschenrechtsorganisationen und unabhängige Universitäten; der Abbau von Korrektiven und Kontrollen der Exekutive in Polen; die andauernde Krisensituation, von der Asylsuchende auf den griechischen Inseln betroffen sind; und der Umstand, dass die britische Regierung im Brexit-Prozess keinen Menschenrechtsschutz garantierte.
Burma: Militär verübt Verbrechen gegen die Menschlichkeit
(New York) – Die Sicherheitskräfte in Burma verüben Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen die Volksgruppe der Rohingya, so Human Rights Watch heute. Das Militär geht mit Zwangsabschiebungen, Mord, Vergewaltigung und Verfolgung gegen Rohingya-Muslime im nördlichen Teil der Provinz Rakhaine vor. Dies hat zu unzähligen Todesopfern und massenhafter Vertreibung gefhrt.
Der UN-Sicherheitsrat und alle betroffenen Staaten sollen umgehend gezielte Sanktionen und ein Waffenembargo gegen das burmesische Militär verhängen, um weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern. Der Sicherheitsrat soll Burma auffordern, Hilfsorganisationen Zugang zu den hilfsbedürftigen Menschen zu gewähren, eine UN-Ermittlermission zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzung ins Land zu lassen und die sichere und freiwillige Rückkehr der Vertriebenen zu ermöglichen. Der Rat soll auch Maßnahmen erörtern, um die Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen, etwa vor dem Internationalen Strafgerichtshof.
„Das burmesische Militär vertreibt die Rohingya brutal aus dem nördlichen Rakhaine“, so James Ross, Leiter der Rechtsabteilung von Human Rights Watch. „Die Massaker an Dorfbewohnern und die massenhafte Brandstiftung, mit denen die Menschen vertrieben werden, stellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.“
Als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind nach internationalem Recht Verbrechen definiert, die „im Rahmen einen ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs“ erfolgen. Die Angriffe des burmesischen Militärs auf die Rohingya erfolgen ausgedehnt und systematisch. Aus den Erklärungen des Militärs und einiger Regierungsvertreter geht zudem hervor, dass diese Bevölkerungsgruppe gezielt angegriffen wird.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit fallen unter die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag und unterliegen dem Prinzip der Universellen Justiz. Solche Akte können folglich auch von nationalen Gerichten außerhalb Burmas verfolgt werden, selbst wenn weder Opfer noch Täter Staatsbürger des betreffenden Landes sind.
Die Recherchen von Human Rights Watch in der Region und die Auswertung von Satellitenfotos belegen Deportationen und Zwangsumsiedlungen, Morde und versuchte Morde, Vergewaltigungen und andere sexuelle Übergriffe sowie das Verbrechen der „Verfolgung“ im Sinne der Definition als „absichtliche und schwere Beraubung grundlegender Rechte im Bruch des internationalen Rechts aufgrund der Identität der Gruppe oder Kollektivgemeinschaft“. Die verübten Verbrechen können zudem als ethnische Säuberungen gewertet werden, wenngleich dieser Begriff im internationalen Recht nicht definiert ist.
Seit dem 25. August 2017, als die Arakan-Rohingya-Befreiungsarmee (ARSA) rund 30 Polizeiposten im nördlichen Rakhaine-Staat angriff, haben die burmesischen Sicherheitskräfte massenhafte Brandstiftung, Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen verübt, Hunderte Dörfer zerstört und mehr als 400.000 Rohingya zur Flucht ins Nachbarland Bangladesch gezwungen. Human Rights Watch stellte bereits 2012 fest, dass die burmesische Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen die Rohingya in der Provinz Rakhaine verübte.
„Es mag unbedeutend erscheinen, den entsetzlichen Verbrechen, die das burmesische Militär gegen Rohingya-Familien verübt, ein juristisches Etikett anzuheften“, so Ross. „Doch wenn die Welt anerkennt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gange sind, sollte dies die UN und Regierungen veranlassen, gegen Burmas Militär vorzugehen, um diesen Verbrechen ein Ende zu setzen.“
Nicht nur China: COVID-19 könnte ganz Asien verwüsten
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Was bereitet Ihnen am meisten Sorgen bezüglich des Coronavirus in Asien?
Da die Testmöglichkeiten in den meisten Teilen Asiens sehr schlecht sind, haben wir keinen Überblick darüber, wie viele Infizierte es wo gibt. Überfüllte Städte, in denen soziale Distanzierung nur schwer oder gar nicht möglich ist, haben auch eine sehr schlechte öffentliche Gesundheitsinfrastruktur. Im Verhältnis zur Bevölkerung gibt es viel zu wenig Ärzte und Pflegepersonal und die Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet. Und das an Orten, wo massive Armut herrscht, wo Menschen einen Großteil ihrer Gesundheitsversorgung aus eigener Tasche bezahlen müssen. Wir alle befürchten, dass es in weiten Teilen der Region zu einem explosionsartigen Anstieg von Krankheits- und Todesfällen kommen könnte.
Welche Reaktionen von Regierungen auf das Virus gibt es, die im Einklang mit den Menschenrechten stehen?
Das Recht auf Leben ist das grundlegendste Recht und das Recht auf Gesundheit ist von zentraler Bedeutung, um die Ausbreitung dieser Krankheit einzudämmen und die Erkrankten zu behandeln. Auch wenn uns nicht wohl dabei ist, wenn wir sehen, wie die Freizügigkeit und die Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden, so können Ausgangssperren, wenn sie richtig durchgeführt werden, viele Menschenleben retten. Singapur hat das Recht auf Gesundheit ernst genommen und ist führend in der Unterstützung von Arbeitern in diesen Zeiten. Indien befindet sich mitten in einem 21-tägigen Lockdown, was nicht einfach ist, wenn man bedenkt, dass dort über eine Milliarde Menschen leben. Viele von ihnen leben von der Hand in den Mund. Taiwan hat sofort gehandelt, um die öffentliche Gesundheit zu schützen. Südkorea korrigierte seine anfangs nachlässige Reaktion. Großveranstaltungen wurden verboten, die Tests wurden ausgeweitet. Da die Infektions- und Todeszahlen in Südkorea drastisch zurückgegangen sind, betrachten viele Menschen das Land als Vorbild.
People in protective face masks pull carts through a narrow alley in a fresh market in Bangkok, Thailand, April 9, 2020.
© 2020 AP Photo/Gemunu AmarasingheWelche Reaktionen von Regierungen auf das Virus verletzten die Menschenrechte?
Viele Länder haben im Bereich der öffentlichen Gesundheit versagt, oft weil sie die Interessen der Wirtschaft über jene der öffentlichen Gesundheit gestellt haben. Der pakistanische Premierminister Imran Khan sagte zum Beispiel, dass er aufgrund der Auswirkungen auf die vielen armen Menschen des Landes keine Geschäftsschließungen anordnen würde, egal wie schlimm die Pandemie werde. Inzwischen hat er seine Strategie zwar geändert. Aber er hätte schon früher vernünftige Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit ergreifen sollen, um die Menschen zu schützen. Gleichzeitig hätte er finanzielle Hilfen zur Verfügung stellen sollen, damit arbeitslose Arbeiter die Krise überstehen können. Thailand hatte schon früh viele Fälle, aber die Regierung hat die Zahlen frisiert, um den Tourismus nicht einbrechen zu lassen. Und jetzt ist die Insel Phuket buchstäblich abgeriegelt - man kommt weder hin noch weg.
Außerdem gibt es in der Region viele autoritär geführte Staaten und Diktaturen. Solche Regierungen könnten eine Chance wittern, ihre Macht zu festigen oder auszubauen. In Kambodscha begrüßte Hun Sen, einer der dienstältesten Autokraten der Welt, ein Kreuzfahrtschiff, das zuvor in keinem anderen Hafen hatte anlegen können. Er ließ die Menschen von Bord gehen, ohne sie angemessen testen zu lassen. Er hielt Pressekonferenzen ab, schüttelte Hände, umarmte Passagiere und kritisierte Journalisten, die Gesichtsmasken trugen. Ende Februar sagte er im Grunde immer noch, das Coronavirus existiere nicht wirklich.
Als nächstes schlug Hun Sen ein Notstandsgesetz vor, das ihm nahezu grenzenlose Befugnisse für einen unbegrenzten Zeitraum einräumt. Dazu gehören auch Kriegsbefugnisse. Das Gesetz erlaubt der Regierung außerdem, sämtliche E-Mails zu lesen und Telefongespräche abzuhören. Solche Maßnahmen dienen nicht dem Schutz der öffentlichen Gesundheit.
Ähnliche Reaktionen sehen wir in Thailand, Kambodscha und China, wo die Regierungen versuchen, Kritiker zum Schweigen zu bringen.
Von überall auf der Welt erreichen uns Berichte über einen dramatischen Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt. Die Familien sitzen zuhause fest, sind gestresst, hocken auf engem Raum aufeinander und kämpfen mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Opfer sind zuhause mit den Tätern gefangen, und die Regierungen haben wenig getan, um den Opfern zu helfen. Die malaysische Regierung verfolgte einen besonders sexistischen Ansatz und riet Frauen, es zu vermeiden, ihren Männern auf die Nerven zu gehen, um „eine positive Familienbeziehung aufrechtzuerhalten, während die Männer von zu Hause aus arbeiten“.
Indians, some wearing protective masks as a precaution against COVID-19, wait to buy train tickets at Chhatrapati Shivaji Terminus in Mumbai, India, March 20, 2020.
© 2020 AP Photo/Rajanish KakadeWas passiert, wenn die Fabriken in Asien schließen?
Asien ist im Grunde Produktionsstätte für die ganze Welt. Seit Jahren wandern Massen von Menschen aus ländlichen Gebieten ab, um in den großen Städten zu arbeiten. Jetzt gibt es in vielen Regionen wegen der Abriegelungen keine Arbeit mehr. Ende März drängten sich 80.000 Menschen in Bangkok in einem einzigen Busbahnhof zusammen, um in ihre Heimatprovinzen im Norden und Nordosten des Landes zurückzukehren. Manche hatten Angst vor einem Lockdown, andere fürchteten, aufgrund der Pandemie ihre Arbeit zu verlieren. In Indien kehrten Zehntausende Wanderarbeiter in ihre Dörfer zurück; einigen blieb nichts anderes übrig als zu Fuß nach Hause zu gehen, nachdem der Lockdown angekündigt und der öffentliche Verkehr ausgesetzt worden waren. Niemand weiß, wie viele von ihnen mit dem Virus infiziert waren und wie viele weitere Menschen sich in der Folge angesteckt haben. Da in den ländlichen Gebieten Asiens eigentlich gar nicht getestet wird, werden wir, wenn überhaupt, sehr lange nicht erfahren, wie sich die Situation in verschiedenen Ländern abgespielt hat.
Die Menschen, die in Textilfabriken arbeiten, etwa in Bangladesch, Kambodscha, Myanmar und Indonesien sind meist Frauen, die in überfüllten Unterkünften leben. Angesichts der Auftragsstornierungen großer Modeunternehmen haben jedoch viele Fabriken geschlossen, ohne die Arbeiterinnen und Arbeiter für die bereits geleistete Arbeit zu bezahlen. Mehr als eine Million Arbeiterinnen und Arbeiter in Textilfabriken in Bangladesch wurden aufgrund des Coronavirus entlassen, die meisten ohne irgendeine Abfindung.
Aus Gründen der öffentlichen Gesundheit ist die Schließung von Fabriken ein richtiger Schritt. Die Konsequenz ist jedoch, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter ohne die nötigen sozialen Hilfsmaßnahmen nicht genug zu essen haben werden, ebenso wie die Familien, die sie versorgen müssen. Auch das wird zu einer Krise der öffentlichen Gesundheit führen. Die Herausforderung besteht darin, einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit zu implementieren und gleichzeitig die vorhersehbaren wirtschaftlichen Folgen für die gefährdeten Menschen abzuschwächen.
Die Regierungen sollten mit internationalen Gebern, Bekleidungsunternehmen und Finanzinstitutionen wie der Weltbank zusammenarbeiten, um den Arbeitern und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern. Die Unternehmen sollten zumindest für bereits hergestellte Waren bezahlen, damit die Arbeiterinnen und Arbeiter hierfür ihren Lohn erhalten.
People stand in a queue to get their refills of cooking gas cylinders in Mumbai, India, March 26, 2020.
© 2020 AP Photo/Rajanish KakadeChina hat die COVID-19-Krise stark geprägt, zunächst durch das Zurückhalten von Informationen über die Gefährlichkeit des Virus, aber auch durch sein aggressives Vorgehen, um die Ausbreitung einzudämmen. Was sagen Sie dazu?
Wir haben jetzt erlebt, was in einer Einparteiendiktatur während einer Krise des öffentlichen Gesundheitswesens passiert. Die meisten Experten sind sich einig, dass die Zahl der Infektionen und Todesfälle in China grob unterschätzt wird. Hätte die erste Reaktion der chinesischen Regierung auf die Krise in Wuhan darin bestanden, offen und transparent zu kommunizieren, anstatt die unabhängige Nachrichtenberichterstattung zu zensieren, und hätte sie Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben, anstatt Ärzte zu bestrafen, die Alarm schlugen, wären die Folgen in China und weltweit weitaus weniger dramatisch. Es ist sogar möglich, dass es dann zu keiner globalen Pandemie gekommen wäre.
Sobald diese Krise vorüber ist, müssen Präsident Xi Jinping und die Führung der Kommunistischen Partei Chinas zur Rechenschaft gezogen werden.
Ausgangssperren können verhängt werden, aber sie müssen absolut notwendig und verhältnismäßig sein. Die Menschen brauchen Lebensmittel, Medikamente und andere Unterstützung. Die Quarantäne, die China über rund 60 Millionen Menschen verhängte, war übermäßig breit angelegt und die Rechte der Menschen wurden hierbei kaum respektiert. Trotz strenger Zensur gab es viele Berichte über Menschen in Quarantäne, die Schwierigkeiten hatten, medizinische Versorgung und Dinge des täglichen Bedarfs zu erhalten, und es gab erschreckende Berichte über Todesfälle und Krankheiten während der Quarantäne.
Gleichzeitig verurteilen wir aufs Schärfste die rassistische, antiasiatische Rhetorik, mit der US-Präsident Donald Trump und US-Außenminister Mike Pompeo über das Virus sprechen, eine Rhetorik, die ihnen und ihrer fremdenfeindlichen Politik billige Pluspunkte einbringen soll. Wir verurteilen auch den Rassismus, den Asiaten in vielen Ländern der Welt erleben.
Wie sind die Länder Asiens in Bezug auf die Infrastruktur auf den Umgang mit COVID-19 vorbereitet?
In Asien findet man praktisch jedes Stadium von Infrastruktur und wirtschaftlicher Entwicklung. Da gibt es Japan, Singapur, Taiwan und Südkorea, das sind vollentwickelte Volkswirtschaften. Dann gibt es Länder mit mittlerem Einkommen wie Malaysia und Thailand, die über eine ziemlich gute Infrastruktur in städtischen Gebieten verfügen, aber über eine weniger gute in ländlichen Regionen. Und dann sind da noch Länder wie China, Indien, Pakistan, Bangladesch und Indonesien, die bevölkerungsreichsten Länder Asiens. Hier hat die Elite Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung, die unteren und mittleren Bevölkerungsschichten werden jedoch nur durch ein schwaches öffentliches Gesundheitssystem versorgt.
Afghanistan steht vor besonderen Herausforderungen. Das Gesundheitssystem ist sehr labil und die anhaltenden Kämpfe hindern die Regierung daran, auf die Pandemie zu reagieren.
Aber das größte Problem in dieser Krise, das nicht nur Asien betrifft, sind fehlende Tests auf COVID-19. In einigen Ländern Asiens wurden nur sehr wenige Menschen getestet.
Rohingya refugees stand at the Kutupalong refugee camp, Cox’s Bazar, Bangladesh, April 1, 2020.
© 2020 AP Photo/Suzauddin RubelWer ist in Asien am meisten durch das Virus gefährdet?
Ältere Menschen und Menschen mit chronischen Grunderkrankungen sind am stärksten betroffen. Wenn sie sich infizieren, wird es zu mehr Fällen mit schwerem Krankheitsverlauf und zu mehr Todesfällen komme. Allgemein betrachtet sind die Auswirkungen unverhältnismäßig stark unter den Armen und sozial Ausgegrenzten zu spüren. Das können ethnische und sprachliche Minderheiten sein, die möglicherweise keinen Zugang zu Informationen oder Gesundheitsversorgung haben. Dazu gehören auch Flüchtlinge, Gefangene, Menschen mit Behinderungen - insbesondere diejenigen, die eingesperrt oder fixiert sind - und viele weitere.
Nach der ethnischen Säuberungskampagne der Armee von Myanmar im Jahr 2017 leben nun rund eine Million muslimische Rohingya-Flüchtlinge in Lagern in der Nähe von Cox's Bazar in Bangladesch. Schon vor der COVID-19-Krise lebten Flüchtlinge dort in Armut auf engstem Raum, die Kinder konnten keine Schule besuchen. Es ist schwierig genug, sanitäre Einrichtungen, Unterkünfte und Gesundheitsstandards aufrechtzuerhalten, Abstandsregelungen einzuhalten ist praktisch unmöglich. Darüber hinaus weigert sich Bangladesch, Rohingya zu erlauben, SIM-Karten für Mobiltelefone zu besitzen. Der Internetempfang in den Lagern ist eingeschränkt, was den Zugang der Flüchtlinge zu Informationen über COVID-19 behindert. Die Situation ist also hochexplosiv.
Viele asiatische Länder haben eine hohe Zahl an Gefängnisinsassen. Die Haftanstalten und Gefängnisse sind überfüllt und unhygienisch. Die Philippinen haben mit einer Überbelegungsrate von 464 Prozent das am stärksten überfüllte Gefängnissystem der Welt - einige der Gefängnisse im Land sind um 500 Prozent überlastet. Wir haben eine Reihe von Regierungen dazu aufgerufen, die Gefangenen sowohl medizinisch als auch psychologisch angemessen zu versorgen. Wir haben sie auch aufgefordert, diejenigen freizulassen, denen geringe Vergehen vorgeworfen werden, ebenso Gefangene mit gesundheitlichen Problemen und andere, um eben diese Menschen zu schützen und das Ansteckungsrisiko zu verringern.
Menschenrechte bei Vorgehen gegen COVID-19 achten
Mitarbeiterinnen einer Schule verladen Essenspakete, die sie an Schülerinnen und Schüler der Fairfield Middle School in Richmond, Virginia, verteilen. 18. März 2020.
© 2020 AP Photo/Steve Helber(New York) – Bei ihren Maßnahmen gegen COVID-19 sollten Regierungen dem Recht aller Menschen auf Gesundheit und den anderen Menschenrechten oberste Priorität geben, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der Bericht „Human Rights Dimensions of the COVID-19 Response“ untersucht, welche Verpflichtungen Regierungen angesichts der Ausbreitung des Coronavirus tragen und welche Menschenrechtsfragen die Pandemie aufwirft. Zudem werden die bisherigen Reaktionen anhand von Beispielen analysiert. Human Rights Watch gibt Empfehlungen ab, wie Regierungen der Pandemie entgegentreten und gleichzeitig grundlegende Menschenrechte achten können, insbesondere das Recht auf Gesundheit, die freie Meinungsäußerung, das Diskriminierungsverbot und das Recht auf Freizügigkeit.
„Viele Regierungen weiten derzeit ihre Maßnahmen im Gesundheitswesen aus. Wir sollten die Bedrohung durch COVID-19 zum Anlass nehmen, die universellen Menschenrechte nicht etwa aufzugeben, sondern zu bekräftigen“, so Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch. „Dies bedeutet, der Wissenschaft Vorrang gegenüber politischen Erwägungen zu geben, Zensur zu verhindern, Ausgangssperren zu begrenzen und das nötige öffentliche Vertrauen aufzubauen, um wirksame Gegenmaßnahmen zu ermöglichen.“
Regierungen sollten pauschale und unverhältnismäßige Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der persönlichen Freiheiten vermeiden. Sie sollten auf freiwillige soziale Distanzierung setzen und verpflichtende Einschränkungen erst verhängen, wenn diese wissenschaftlich notwendig sind, und die Versorgung der Betroffenen gewährleistet werden kann. Falls eine Quarantäne oder Ausgangssperre verhängt wird, ist die Regierung verpflichtet, den Zugang zu Lebensmitteln, Trinkwasser, medizinischer Versorgung und Pflegeangeboten sicherzustellen. Der Staat sollte zudem den besonderen Anforderungen von Insassen in Gefängnissen und von Migranten in Haftlagern gerecht werden und auf die Bedürfnisse von Senioren und Menschen mit Behinderungen eingehen, die in Einrichtungen leben.
In zahlreichen Ländern wurden durch die COVID-19-Pandemie Mängel im Gesundheitswesen und in den sozialen Schutzsystemen erkennbar, die den Schutz von Risikogruppen und die Eindämmung der Krankheit erschweren. Regierungen sollten ihre Aufklärungskampagnen ausweiten, damit jeder Zugang zu notwendiger medizinischer Versorgung hat, insbesondere auch Migranten, Asylsuchende und Geflüchtete. Sie sollten gezielte Hilfen für Geringverdiener anbieten und Auswirkungen der Krise, welche Frauen und Mädchen überproportional treffen, entgegenwirken. Die Behörden sollten gezielte Maßnahmen entwickeln und umsetzen, damit auch bei vorübergehenden Schulschließungen das Recht auf Bildung gewahrt wird.
Seit der ersten Identifizierung des Coronavirus im Dezember in Wuhan, China, hat Human Rights Watch über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Coronakrise berichtet, darunter die autoritäre Reaktion der chinesischen Regierung; die Gefahren für Inhaftierte und Strafgefangene in Syrien, dem Iran und den USA; die Auswirkungen für ältere Menschen; Schulschließungen in Großbritannien; den Kollaps des Gesundheitsystems in Venezuela und andere Menschenrechtsfolgen des Krankheitsausbruchs bzw. der Gegenmaßnahmen.
„Die beste Art COVID-19 zu bekämpfen, ist es, gegenüber der Öffentlichkeit kompromisslos ehrlich zu sein, die Bewegungsfreiheit nur soweit einzuschränken, wie zur Eindämmung der Übertragungen nötig, und sich um besonders gefährdete Menschen zu kümmern“, so Roth. „Das Coronavirus kennt keine Grenzen und hat gezeigt, dass die eigene Gesundheit nur so stark ist, wie die der Person neben uns. Die rasche Ausbreitung des Virus erinnert uns an unsere globale Verbundenheit und geteilte Verantwortung.“
Weitere Berichte von Human Rights Watch zu COVID-19 finden Sie unter:
https://www.hrw.org/tag/coronavirus
Iran: Sanktionen gefährden Gesundheit
USA sollen gewährleisten, dass humanitäre Ausnahmen funktionieren
(Washington DC) – Wegen der umfangreichen Sanktionen der Trump-Regierung ist der Iran kaum noch in der Lage, humanitäre Importe, darunter auch Medikamente, zu finanzieren. Das stellt die iranische Bevölkerung vor große Probleme und bedroht ihr Recht auf Gesundheit, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die US-Regierung soll unverzüglich Schritte einleiten, damit der Handel mit humanitären Gütern mit Iran möglich ist.
Der 47-seitige Bericht „‘Maximum Pressure’: US Economic Sanctions Harm Iranians’ Right to Health“ dokumentiert, dass iranische Unternehmen und staatliche Stellen wegen der weitreichenden Einschränkungen finanzieller Transaktionen und der aggressiven Rhetorik der USA kaum mehr humanitäre Importe finanzieren können. Dies betrifft auch lebenswichtige Medikamente und medizinische Ausrüstung. Zwar sind humanitäre Importe von den Sanktionen der US-Regierung ausgenommen, aber diese Ausnahmen erweisen sich in der Praxis als wirkungslos. US-amerikanische und europäische Unternehmen und Banken befürchten Sanktionen und rechtliche Schritte, wenn sie eigentlich nicht von den Sanktionen betroffene humanitäre Güter exportieren und finanzieren. Dadurch verliert die iranische Bevölkerung Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten und ihr Recht auf Gesundheit wird beeinträchtigt. Völkerrechtliche Bestimmungen verpflichten die USA dazu, die Auswirkungen ihrer Sanktionen auf die Menschenrechte der iranischen Bevölkerung zu prüfen und bei Beeinträchtigungen Abhilfe zu schaffen.
„Mitarbeiter der Trump-Regierung behaupten, sie stünden an der Seite der Iraner. Aber das viel zu weitreichende und belastende US-Sanktionsregime verletzt das Recht der Iraner auf eine angemessene Gesundheitsversorgung, etwa den Zugang zu lebenserhaltenden Medikamenten“, sagt Sarah Leah Whitson, Leiterin der Abteilung Naher Osten bei Human Rights Watch. „Wegen des lückenlosen Sanktionsnetzes der USA nehmen Banken und Unternehmen auch vom humanitären Handel mit dem Iran Abstand. Iraner mit seltenen oder komplexen Erkrankungen erhalten nicht mehr die Medikamente und die Behandlung, die sie brauchen.“
Zwischen November 2018 und Oktober 2019 befragte Human Rights Watch 21 Personen, darunter iranische Ärzte, ehemalige und aktuelle Mitarbeiter iranischer und internationaler Arzneimittelimporteure sowie Anwälte und Nichtregierungsorganisationen mit Fachkenntnis über humanitäre Maßnahmen im Iran. Einige Befragte leben im Iran, viele lebten entweder bislang im Iran und/oder reisen regelmäßig dorthin, leben aber in einem anderen Land. Zudem befragte Human Rights Watch Experten für US-Regierungspolitik, die direkt oder indirekt mit dem Iran befasst sind. Auch flossen Aussagen mehrerer Iraner in den Bericht ein, die sich in sozialen Netzwerken darüber beklagt hatten, keine Medikamente für sich oder Familienangehörige mehr bekommen zu können. Einbezogen wurden auch die verfügbaren offiziellen Stellungnahmen der US-amerikanischen und der iranischen Regierung. Außerdem analysierte Human Rights Watch Wirtschafts- und Handelsdaten der iranischen Zentralbank, der iranischen staatlichen Gesundheitsorganisation Sazman-e-Ghaza-va-Daroo und von Eurostat, der Statistikbehörde der Europäischen Union mit Sitz in Luxemburg.
Seit die US-Regierung im Mai 2018 offiziell aus dem internationalen Atomabkommen ausstieg, reaktivierte sie zuvor ausgesetzte Wirtschaftssanktionen unter anderem auf den Öl-Export und erließ weitere Sanktionen. Das US-Finanzministerium prognostizierte, dass die Sanktionen zu zunehmender finanzieller Isolation des Irans und zum wirtschaftlichen Stillstand führen würden. „Sanktionen, die so umfassend sind wie die der Trump-Regierung und auf unbestimmte Zeit erlassen werden, wirken sich negativ auf die humanitäre Versorgung von Millionen Iranern aus. Zudem beeinträchtigen sie deren Recht auf Gesundheit“, sagt Human Rights Watch.
Als am 25. Oktober 2019 neue Sanktionen gegen Iran angekündigt wurden, sagte Finanzminister Steven T. Mnuchin, dass sich die amerikanische Regierung weiter für den uneingeschränkten Handel mit humanitären Gütern für die iranische Bevölkerung einsetzen werde. Die Menschen in dem Land hätten 40 Jahre lang unter dem Mismanagement des korrupten Regimes gelitten. Doch andere Vertreter der amerikanischen Regierung haben entgegengesetzte Signale gesendet. Demnach sei es die Strategie der USA, genug Leid in der Bevölkerung zu verursachen, damit die iranische Regierung ihr Verhalten ändere – was die wirtschaftlichen Rechte der Bevölkerung verletzen würde. Am 14. Feburar 2019 sagte US-Außenminister Mike Pompeo gegenüber CBS News: „Die Lage der Menschen im Iran hat sich [angesichts der US-Sanktionen] deutlich verschlechtert. Wir sind überzeugt, dass die Menschen aufstehen und das Verhalten des Regimes ändern werden.“
„Das US-Finanzministerium und das Außenministerium haben vor kurzem einen neuen humanitären Mechanismus für den Handel mit Iran angekündigt. Dies ist ein seltenes und stillschweigendes Eingeständnis, dass die weitreichenden Sanktionen den Zugang zu humanitären Gütern im Iran eingeschränkt haben“, so Whitson. „Die amerikanische Regierung sollte endlich das Leid anerkennen, dass sie durch ihr grausames Sanktionsregime verursacht hat und einen praktikablen Finanzierungskanal öffnen. Dieser soll vernünftige Kriterien für Unternehmen, Banken und andere Einrichtungen erhalten, damit die Bevölkerung im Iran mit humanitären Gütern versorgt werden kann – aber nicht neue Hürden errichten.“
Am 25. Oktober wurde Iran unter dem Abschnitt 311 des USA PATRIOT Act als eine Jurisdiktion bezeichnet, in der Geldwäsche ein großes Problem sei. Dies stellt eine Verschärfung der amerikanischen Sanktionen gegen Iran dar. Zu den damit verbundenen Maßnahmen gehören ein neuer Mechanismus, um die Transparenz für zulässigen Handel mit Iran zu erhöhen. Dies dürfte zu weiteren Hürden für Unternehmen führen. Es ist auch unklar, ob die Einhaltung der neue Kriterien das Handelsverbot, auch für humanitäre Güter, mit spezifischen Einrichtungen gemäß den Anti-Terror-Verordnungen ersetzt. Ein früherer US-Beamter, der mit dem Sanktionsregime befasst war, sagte dazu, dass die meisten wohl den Mechanismus nicht mit dem Handel für humanitären Gütern in Verbindung bringen dürften. Vielmehr dürften sie ihn dafür nutzen, um Informationen für weitere Sanktionen zu erhalten. Für diejenigen, denen es um die humanitären Güter gehe, sei dies nicht der richtige Weg.
Die Wirtschaftssanktionen verursachen trotz der humanitären Ausnahmen unnötiges Leid bei Iranern, die unter unterschiedlichen Krankheiten und Beeinträchtigungen leiden. Am stärksten betroffen sind Iraner mit seltenen Krankheiten, die besonderer Behandlung bedürfen und ihre bisherigen Medikamente und Versorgung nun nicht mehr erhalten. Dazu zählen unter anderem Patienten mit Leukämie, Epidermolysis bullosa (EB, eine Hautkrankheit), Epilepsie und chronischen Augenkrankheiten, die von chemischen Kampfstoffen im Iran-Irak Krieg verursacht wurden.
Menschen mit einer schweren Form von EB bekommen ihre Spezialverbände nicht mehr, wodurch sie einem deutlich erhöhten Infektions- und Blutvergiftungsrisiko ausgesetzt sind. Kinder mit Epilepsie, die nicht auf die verbreitete Behandlung ansprechen und nun keine importierten Medikamente mehr bekommen, erleiden häufiger unkontrollierte Anfälle, bei denen sie sich verletzen und die im Laufe der Zeit zu schweren, dauerhaften Hirnschäden führen können.
Im Verlauf des letzten Jahres erweiterte das US-Finanzministerium die Liste der zu sanktionierenden „Specially Designated Nationals and Blocked Persons“ um zahlreiche Institutionen, darunter staatliche und private iranische Banken. US-amerikanische und andere Unternehmen und Finanzinstitute, die Geschäftsbeziehungen zu gelisteten Institutionen unterhalten, können in den USA strafrechtlich verfolgt werden. Wenn internationale Unternehmen Geschäftsbeziehungen zum Iran unterhalten, müssen sie sehr umfangreiche regulatorische Anforderungen und Sorgfaltspflichten erfüllen. Ausreichend Kapazitäten dafür, Handel mit dem Iran zu finanzieren und die zunehmenden wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken in Kauf zu nehmen, haben nur wenige Unternehmen und Banken.
Zudem handeln Banken und Pharmazieunternehmen übervorsichtig und in vorauseilendem Gehorsam. Beispielsweise weigerte sich ein europäisches Unternehmen trotz der humanitären Ausnahmen, die Spezialverbände zu verkaufen, die EB-Patienten benötigen. Aus Schriftwechseln geht hervor, dass es auch zwei Banken ablehnten, Geldverkehr für humanitäre Güter mit dem Iran zu genehmigen.
Darüber hinaus gefährden die weitreichenden „Terrorismus“-Einstufungen der Trump-Regierung den Handel mit dem Iran. Im April wurde die Islamische Revolutionsgarde, ein Teil der iranischen Streitkräfte, offiziell als ausländische terroristische Organisation klassifiziert. Davon können laut Berichten der New York Times bis zu 11 Millionen Iraner betroffen sein. Solche Einstufungen betreffen zwar Medikamente nicht, aber sie erhöhen das Risiko für Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen mit gelisteten Individuen und Körperschaften unterhalten. Zudem erließ die US-Regierung am 20. September weitere Sanktionen gegen die iranische Zentralbank. Diese schränken das letzte verbliebene iranische Finanzinstitut massiv ein, das in der Lage ist, Devisengeschäfte etwa für humanitäre Importe durchzuführen. Dadurch sind die „humanitären Ausnahmen“ praktisch bedeutungslos.
„Wir haben ein ganzes Jahr lang versucht, Banken zu finden, die fähig und bereit dazu sind, Gelder [für unsere humanitären Maßnahmen] zu überweisen“, sagte Jan England, Generalsekretär des norwegischen Flüchtlingsrats, der Tausende afghanische Flüchtlinge im Iran unterstützt, im August. „Aber wir rennen gegen Mauern. Norwegische und internationale Banken fürchten die US-Sanktionen, wenn sie Gelder überweisen, die Regierungen uns für unsere lebenswichtige Arbeit zur Verfügung gestellt haben.“
Das Völkerrecht sieht vor, dass ein Staat oder ein Staatenbündnis, das Wirtschaftssanktionen durchsetzt, deren Folgen für die Menschenrechte der betroffenen Bevölkerung berücksichtigen muss, insbesondere den Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Medikamente und Nahrung. Human Rights Watch spricht sich gegen Sanktionen aus, die unverhältnismäßig negative Auswirkungen auf die Menschenrechte haben oder unnötiges Leid verursachen, insbesondere bei verletzlichen Bevölkerungsgruppen.
Die US-Regierung soll funktionierende Finanzkanäle für humanitären Handel mit dem Iran schaffen und unverzüglich Schritte einleiten, um sicherzustellen, dass die humanitäre Ausnahmen funktionieren. Insbesondere soll sie ermöglichen, dass die iranische Bevölkerung wieder Medikamente und medizinisches Equipment erhält.
„Die iranische Bevölkerung trägt die ganze Last des amerikanischen Sanktionsregimes. Und sie wird diejenigen, die für das Leid verantwortlich sind, nicht vergesssen“, so Whitson.
Zwar führen die Sanktionen dazu, dass die iranische Regierung den Bedarf ihrer Bevölkerung nicht mehr decken kann, aber das entbindet sie nicht von ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen. Die iranische Regierung soll gewährleisten, dass alle Staatsbürger und Bewohner des Landes ihr Recht auf Gesundheit ohne Diskriminierung ausüben können. Zudem soll sie alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um die negativen Auswirkungen der Sanktionen auf verletzliche Gruppen abzumildern. Das umfasst auch die Pflicht der Regierung, Korruption und Ressourcenmissbrauch zu verhindern.
Irak: Wasserkrise in Basra
Ein Fluss in Basra, verschmutzt mit Abwasser und Müll, der in den Shatt al-Arab mündet, das wichtigste Wasserreservoir der Stadt. 12. September 2018.
© 2018 Alaa al-Marjani/Reuters
(Bagdad) – Seit fast 30 Jahren sind die irakischen Behörden nicht in der Lage, den Bewohnern von Basra ausreichend sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Dies hat zu ernsten Gesundheitsproblemen geführt und gipfelte in einer akuten Wasserkrise, die 2018 mindestens 118.000 Menschen ins Krankenhaus brachte und zu gewaltsamen Protesten führte. Juli 22, 2019 Report Basra is Thirsty
Iraq’s Failure to Manage the Water Crisis
Der 128-seitige Bericht „Basra is Thirsty: Iraq’s Failure to Manage the Water Crisis“ kommt zu dem Schluss, dass die Krise das Ergebnis komplexer Faktoren ist. Sollte nichts dagegen unternommen werden, wird es höchstwahrscheinlich durch verunreinigtes Trinkwasser zu Seuchen und einer anhaltenden wirtschaftlichen Notlage kommen. Die Behörden auf lokaler und nationaler Ebene haben nur wenig getan, um die Lage zu verbessern.
„Kurzsichtige Politiker geben erhöhte Niederschläge als Begründung dafür an, warum sie sich nicht mit Basras anhaltender Krise befassen müsse“, sagte Lama Fakih, stellvertretende Leiterin der Abteilung Naher Osten bei Human Rights Watch. „Basra wird jedoch auch in den kommenden Jahren mit akuter Wasserknappheit und -verunreinigung zu kämpfen haben. Diese Krisen werden dramatische Folgen haben, wenn die Regierung nicht umgehend in gezielte, nachhaltige und dringend notwendige Verbesserungen investiert.“
Human Rights Watch führte Interviews mit 58 Einwohnern von Basra, Arbeitern in privaten und öffentlichen Wassereinrichtungen und medizinischem Fachpersonal. Auch wurden Wasserproben aus dem Schatt al-Arab Fluss sowie aus Kläranlagen und Wasserhähnen in Privathaushalten untersucht. Human Rights Watch sprach zudem mit Vertretern des Provinzrats von Basra, des Gouverneurbüros und der Ministerien für Wasserressourcen, der Gemeinden und der Ressorts Wasser- und Abwasser sowie Gesundheit- und Umwelt und Landwirtschaft. Akademische und gesundheitspolitische Daten sowie über 20 Jahre hinweg entstandene wissenschaftliche und kommerzielle Satellitenbilder der Region wurden analysiert, um die Ergebnisse des Berichts zu untermauern.
Basras wichtigste Wasserquellen sind der Schatt al-Arab Fluss und seine Süßwasserkanäle. Die irakischen Behörden haben die Wasserressourcen des Irak jedoch nicht ordnungsgemäß verwaltet und reguliert. Die vier Millionen Menschen im Gouvernement Basra, im Süden des Irak, wurden somit über Jahrzehnte hinweg ihres Rechts auf sauberes Trinkwasser beraubt. Dies gilt auch für die Besatzungszeit durch die von den USA und Großbritannien geführte Coalition Provisional Authority. Wiederholtes staatliches Versagen seit den 1980er Jahren, darunter die schlechte Bewirtschaftung stromaufwärts gelegener Wasserquellen, die unzureichende Regulierung von Verschmutzung und Abwässern sowie die chronische Vernachlässigung und Misswirtschaft der Wasserinfrastruktur, haben dazu geführt, dass sich die Qualität dieser Wasserwege verschlechtert hat.
Aufgrund der Wasserverschmutzung und des Wassermangels müssen die Bewohner von Basra Trinkwasser kaufen. Die hohen Kosten hierfür, insbesondere während der Krise, treffen den ärmeren Teil der Bevölkerung am härtesten und machen diese Menschen besonders anfällig für Gefahren und Risiken durch unsicheres Leitungswasser.
Jaafar Sabah, ein Landwirt aus Abu al-Khasib, einer armen Stadt im Südosten von Basra, sagte gegenüber Human Rights Watch: „Jedes Jahr bekam ich 50 Prozent der Ernte des Vorjahres raus, und dann im Jahr 2018 überlebte fast gar nichts. Im Jahr 2018 war der Salzgehalt im Wasser so hoch, dass ich das Salz mit meinen bloßen Händen aus dem Wasser holen konnte. Ich verdurste und meine Kinder auch. Es gab vier Vergiftungsfälle in meiner Familie. Ich habe kein Geld und kann sie nicht ins Krankenhaus bringen. Woher soll ich das Geld nehmen?“
Verschärft wurde die Krise durch weniger Süßwasser in den Flüssen, weil das Wasser stromaufwärts gestaut wurden. Die hängt mit Zuckerplantagen und anderen landwirtschaftlichen Entwicklungen, insbesondere im Iran, zusammen. Auch die geringeren Niederschläge in den letzten Jahrzehnten verschärften die Krise. Durch höhere Temperaturen, die durch den Klimawandel verursacht werden, wird das Wasser in der Region voraussichtlich noch knapper werden. Es gibt jedoch keine angemessenen Maßnahmen zur Minderung der schädlichen Auswirkungen. Hinzu kommt die nicht nachhaltige Wassernutzung in der Landwirtschaft und für Haushalte. Der Wassermangel hat dazu geführt, dass Meerwasser in den Schatt al-Arab eingedrungen ist. Dies führt dazu, dass das Wasser für die Menschen untrinkbar wird und auch nicht für die Bewässerung vieler Kulturpflanzen verwendet werden kann. Aufklappen
Human Rights Watch hat Belege dafür, dass starkes Algenwachstum im Shatt al-Arab mitten in Basra zur Gesundheitskrise im Sommer 2018 beigetragen hat. Satellitenbilder zeigen auch Müll entlang des Kanals, der in den Shatt al-Arab in Zentrum von Basra mündet. Satellitenbild vom 28. Oktober 2018.
© 2019 DigitalGlobe-Maxar Technologies; Source: European Space Imaging.Die öffentlichen Wasserwerke von Basra verfügen nicht über die nötige Technologie, um Salzwasser trinkbar zu machen. Dadurch wird der Einsatz von Chlor, einer Chemikalie, die häufig zur Wasseraufbereitung verwendet wird, weniger effektiv. Darüber hinaus sagen Experten, dass die Wasserbehörden Schwierigkeiten hatten, ausreichende Mengen an Chlor zu erhalten und zu verwenden. Grund hierfür sind strenge Kontrollen, die verhindern sollen, dass die Chemikalie in die Hände von Gruppen fällt, die sie bereits als Waffe eingesetzt haben.
Selbst wenn Chlor zugesetzt wird, können starke Trübungen oder ein hoher Salzgehalt im Wasser die Chlorierung weniger effektiv für die Abtötung von Bakterien machen. Darüber hinaus ist das Rohrleitungsnetz von Basra brüchig und fäkalienbelastetes Grundwasser gelangt in das Netz, so dass die zugeführte Chlormenge die in das System eintretenden neuen Schadstoffe wahrscheinlich nicht effektiv bekämpfen wird.
Auch verschließen die Behörden die Augen vor Aktivitäten, welche die Wasserressourcen von Basra belasten. Bei der Sichtung von Satellitenbildern dokumentierte Human Rights Watch zwei Stellen, bei denen es sich höchstwahrscheinlich um Ölteppiche handelt, die den Schatt al-Arab im Zentrum von Basra im Jahr 2018 belasteten. Auch wurden zwei Pipelines entdeckt, die regelmäßig große Mengen an Abfällen ins Wasser abgeben.
Im Sommer 2018 wurden mindestens 118.000 Menschen aufgrund von Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert, die Ärzte in Verbindung mit der Wasserqualität gebracht hatten. Noch immer haben die Behörden keine offiziellen Untersuchungen zur Ursache dieser Gesundheitskrise veröffentlicht.
Mögliche Ursachen für die Krankheitsfälle im Jahr 2018 sind unter anderem Viren (z.B. das Norovirus), Parasiten (Giardien oder Kryptosporidien), Bakterien (z.B. Coli) und toxische Metalle aus Abwässern sowie Wasserverschmutzung durch Landwirtschaft und Industrie. Der hohe Salzgehalt des Wassers kann ebenfalls zum Ausbruch der Krise beigetragen haben, so die Experten, die zu der Zeit an Untersuchungen von entnommenen Wasserproben beteiligt waren.
Human Rights Watch fand zudem Beweise für eine wahrscheinlich große Algenblüte im Schatt al-Arab während des Ausbruchs der Gesundheitskrise. Wasserverunreinigungen durch Abfälle und klimawandelbedingt höhere Temperaturen können zu dieser Situation beitragen. Die Regierung hat sich damit jedoch offenbar nicht beschäftigt. Die damals entnommenen Wasserproben wurden von den entsprechenden Laboren nicht auf schädliche Algen getestet.
Der Gesundheitssystem im Irak verfügt über kein Beratungssystem, um die Bewohner über Verunreinigungen des Trinkwassers sowie über Maßnahmen zu informieren, die gegen entsprechende Schäden ergriffen werden können. Aufklappen
Satellitenbilder zeigen Ölverschmutzung im Shatt al-Arab nahe der Öl- und Gasfelder von Nahr Bin Umar, 25 km flussaufwärts von Basra. Das Öl und Gas wird von der Basra Oil Company ausgebeutet, die im Besitz der Regierung ist. Das Öl floss mindestens 10 Tage lang in den Fluß. Satellitenbilder vom 15. Juli 2018.
© Planet Labs 2019.Regierungsprojekte zur Verbesserung der Wasserqualität sind aufgrund von Misswirtschaft und Korruption ausgeblieben. Jahrelang nutzten Landwirte und Unternehmen die Süßwasserkanäle, so dass für die öffentlichen Trinkwasseraufbereitungsanlagen von Basra nicht genügend Wasser vorhanden war.
All dies verletzt die Rechte der Einwohner von Basra auf sauberes Wasser, Sanitäranlagen, Gesundheit, Informationen und Eigentum (Land und Pflanzen), die in internationalem und nationalem Recht verankert sind.
Die Landwirtschaft ist die Haupteinnahmequelle für die ländlichen Gemeinden im Gouvernement Basra. Die Bewässerung mit salzhaltigem Wasser, das den Boden schädigt und Pflanzen tötet, und die Entwicklungen stromaufwärts haben die Pflanzenproduktion jedoch erheblich reduziert.
Um das Recht auf Wasser umzusetzen sind Regierungen dazu verpflichtet, auf einen uneingeschränkten Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen für alle, ohne Diskriminierung, hinzuarbeiten. Hierbei müssen die Bedürftigsten stets Vorrang haben. In Basra sind jedoch über 300.000 Einwohner nicht an das Wasser- und Kanalisationsnetz angeschlossen. Dies führt dazu, dass einige Bewohner die Wasserversorgung illegal anzapfen. Hierdurch kommt es zu Verunreinigungen, vermindertem Wasserdruck und Wasserverschwendung.
Am 22. Juli hat der bekannte Komiker Ahmed Waheed aus Basra gemeinsam mit Human Rights Watch ein Video veröffentlicht. Darin fordert er alle Iraker auf, von ihrer Regierung einen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser einzufordern. Zudem sollen die Iraker in den sozialen Medien Selfies posten, auf denen sie ein Glas Wasser in der Hand halten. Der Hashtag dazu lautet #CleanWaterForBasra – in Solidarität mit den Bewohnern der Stadt.
Die Behörden im Irak sollten unverzüglich ein Beratungssystem für das Gesundheitswesen einrichten. Sie sollten die Anwohner über Verunreinigungen des Trinkwasser und über Maßnahmen informieren, die zur Schadensminderung ergriffen werden können. Zudem sollten Protokolle für Regierungsbeamte erstellt werden, um auf Ratschläge zu reagieren und Schäden zu beheben.
Die lokalen und nationalen Behörden sollten eine landes- und ressortübergreifende, unabhängige Task Force für Wasser und Umwelt bilden, welche die Lage überwacht, Maßnahmen verschiedener Behörden koordiniert und die betroffenen Bevölkerungsgruppen konsultiert. Sie sollte die Ergebnisse der Berichte, die während der Gesundheitskrise 2018 in Auftrag gegeben wurden, und die langfristigen Pläne zur Vermeidung künftiger Wasserkrisen und zur Reaktion auf potenzielle Krisen veröffentlichen. Auch sollte sie die Entschädigung derjenigen sicherstellen, deren Lebensgrundlagen bedroht sind.
„Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist nicht nur überlebenswichtig, sondern auch ein Grundrecht für alle“, sagte Fakih. „Eine Lösung der Wasserkrise von Basra erfordert zwar ernsthafte Planung, Zeit und Geld. Doch sie ist möglich, wenn die Behörden ihre Verantwortung ernst nehmen. Die Alternative kostet Menschenleben.“
Indonesien: Hartes Vorgehen gegen LGBT verschärft Gesundheitskrise
Polizisten bewachen den Eingang zum Club T1 am 9. Oktober 2017 in Jakarta nach einer Razzia, bei der zehn Personen wegen angeblicher Verletzung des Anti-Pornographie-Gesetzes verhaftet worden waren.
© 2017 Beawiharta/ReutersDie indonesischen Behörden befeuern die HIV-Epidemie, weil sie sich an der Diskriminierung lesbischer, schwuler, bisexueller und Trans-Personen (LGBT) beteiligen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Regierung lässt zu, dass die Polizei und militante Islamisten willkürliche und rechtswidrige Razzien bei privaten LGBT-Versammlungen durchführen. Viele Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge erreichen deshalb verletzliche Gruppe nicht.
Der 70-seitige Bericht „‘Scared in Public and Now No Privacy’: Human Rights and Public Health Impacts of Indonesia’s Anti-LGBT Moral Panic“ dokumentiert, wie Hass-Rhetorik den Weg ebnet für rechtswidrige Handlungen der indonesischen Behörden gegen mutmaßliche LGBT – teilweise in Zusammenarbeit mit militanten islamistischen Gruppen. Auf Grundlage von ausführlichen Interviews mit Opfern und Zeugen, Angestellten im Gesundheitswesen und Aktivisten aktualisiert der Bericht eine im August 2016 veröffentlichte Analyse. Diese dokumentierte einen deutlichen Anstieg von Angriffen auf und öffentlicher Rede gegen LGBT in Indonesien in diesem Jahr. Der jetzt veröffentlichte Bericht untersucht zentrale Vorfälle zwischen November 2016 und Juni 2018. Er zeigt, wie weitreichend die Folgen der „moralischen Panik“ vor LGBT für das Leben von Angehörigen sexueller und Gender-Minderheiten sowie für das Gesundheitswesen im Land sind.
„Dass die indonesische Regierung nichts gegen die moralische Panik vor LGBT tut, hat schwere Konsequenzen für das Gesundheitswesen“, sagt Kyle Knight, Experte für LGBT-Rechte bei Human Rights Watch und Autor des Berichts. „Die Regierung muss erkennen, dass es ihren Kampf gegen HIV unterminiert, wenn sie sich an Menschenrechtsverletzungen gegen LGBT beteiligt.“
Seit Anfang des Jahres 2016 äußern sich Politiker, Regierungsangehörige und staatliche Stellen vermehrt LGBT-feindlich. Sie fordern alles: von der Kriminalisierung über die „Heilung“ von Homosexualität bis zur Zensur von Informationen mit LGBT-Bezug oder positiven Berichten über Aktivitäten von LGBT.
Die Maßnahmen der Regierung gegen die HIV-Epidemie in Indonesien haben in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen, dass die Zahl der Neuinfektionen zurückging. Allerdings führen die weitverbreitete Stigmatisierung und Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen mit höherem Infektionsrisiko sowie von HIV-positiven Menschen dazu, dass einige Angehörige von Risikogruppen sich nicht mehr trauen, Präventions- oder Behandlungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Im Ergebnis ist die HIV-Rate unter Männern, die Sex mit Männern haben, seit dem Jahr 2007 um das Fünffache gestiegen, von 5 Prozent auf 25 Prozent. Zwar geht die Mehrzahl von Neuinfektionen mit HIV in Indonesien auf heterosexuelle Übertragung zurück, aber ein Drittel auf Übertragung von Mann zu Mann.
Die LGBT-feindliche, moralische Panik und die rechtswidrigen Polizeirazzien machen es für das Gesundheitswesen sehr schwer, die wichtigste Risikogruppe zu erreichen, und befördern so eine weitere Verbreitung des Virus.
Über das ganze Jahr 2017 hinweg führte die indonesische Polizei Razzien in Saunas, Clubs, Hotelzimmern, Friseursalons und Privatwohnungen durch, wenn der Verdacht bestand, in ihnen hielten sich LGBT auf. Insgesamt nahm die Polizei im Jahr 2017 mindestens 300 Personen allein wegen ihrer angenommenen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität in Gewahrsam – eine deutliche Zunahme im Vergleich zu den Vorjahren und die höchste jemals im Land dokumentierte Zahl.
Nigrat L., eine 47-jährige Trans-Frau und Sozialarbeiterin in der Community in Jakarta, sagt: „Gewalt wird es immer geben – sie hat uns immer begleitet. Das ist einfach ein Teil unseres Lebens. Es ist normal. Für uns heißt das, dass wir an manchen Tagen Pech haben, vielleicht auch morgen. Oder es wird morgen besser.“
Vor den Razzien überwachte die Polizei zum Teil Nutzerprofile in sozialen Netzwerken, um Veranstaltungsorte zu identifizieren. Bei einigen Razzien präsentierten Polizisten den Medien nackt ausgezogene Gefangene, demütigten diese öffentlich oder zeigten Kondome als Beweis für illegales Verhalten. Drei Polizeirazzien im Jahr 2017 führten zur Schließung von wichtigen HIV-Beratungsstellen, in denen Sozialarbeiter regelmäßig Männer, die Sex mit Männer haben, berieten, Kondome verteilten und freiwillige HIV-Tests durchführten. Bei mindestens zwei der medial intensiv begleiteten Razzien, einer in Surabaya und einer in West Java, benutzten Polizisten Kondome, um ihre Gefangenen in den Medien bloßzustellen und zu demütigen.
„Es ist erschütternd, dass diese Clubs geschlossen wurden – das waren die einzigen Orte, an denen wir die Community erreichen konnten“, sagt ein Sozialarbeiter in Jakarta. „Clubs waren für uns zentrale Orte, weil wir wussten, dass sich sogar die sehr im Verborgenen lebenden Männer dort mit ihrer Sexualität sicher fühlten. Dort konnten wir HIV-Tests machen und Kondome ausgeben und sie trauten sich, mitzumachen.“ Ein anderer Sozialarbeitet fügt hinzu, dass ihm „immer mehr schwule Männer begegnen, die sich erst dann Hilfe suchen oder überhaupt anfangen, Fragen über HIV zu stellen, wenn sie schon schwer krank sind“.
Im Dezember 2017 wies das indonesische Verfassungsgericht eine Petition zurück, mit der erreicht werden sollte, außerehelichen Sex und insbesondere einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Erwachsenen zu kriminalisieren. Das Gericht bezeichnete den Vorschlag als „juristisch schlecht fundiert“ und warnte vor einer Überkriminalisierung. Trotzdem zirkulieren seit Anfang Januar 2018 Fassungen eines Entwurfs für das Strafgesetzbuch in diversen parlamentarischen Komitees, die besorgniserregende Vorschriften zur Kriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen enthalten. Der Regierungsvertreter in der Gruppe, die für Gesetzesentwürfe verantwortlich ist, hat sich seitdem gegen eine direkte Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Handlungen ausgesprochen, aber außerehelicher Sex ist bis heute als Straftatbestand im Entwurf enthalten.
Nach seinem Indonesien-Besuch im Februar sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, dass LGBT in Indonesien zunehmend stigmatisiert, bedroht und eingeschüchtert würden. Die Hass-Rhetorik gegen diese Community verfolge offenbar zynische politische Zwecke. Sie werde das Leid dieser Menschen nur verstärken und die Gesellschaft grundlos spalten, so der Hochkommissar.
„Die beißende Hass-Rhetorik gegen LGBT durch indonesische Amtsträge seit 2016 schafft ein Klima, in dem Gewalt und Diskriminierung sozial akzeptiert und politisch gedeckt sind“, so Knight. „Die Regierung muss ihren Kurs korrigieren und ihrer Verpflichtung auf ‚Einheit in Vielfalt‘ gerecht werden, indem sie rechtswidrige Polizeirazzien verhindert und untersucht. Und sie muss gewährleisten, dass sie nicht Diskriminierung in ihren Gesetzen festschreibt.“
Libanon: Abfallkrise birgt Gesundheitsrisiken
Brennender Müll in Majadel, Süd-Libanon.
© 2017 Human Rights Watch(Beirut) – Die Behörden im Libanon unternehmen nicht genug, um das Verbrennen von Müll unter freiem Himmel zu stoppen. Dies gefährdet die Gesundheit der Menschen, die in der Nähe solcher Verbrennungsstätten leben. Damit wird ihr Recht auf Gesundheit verletzt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Betroffene berichteten über Gesundheitsprobleme, die durch häufiges und fortwährendes Einatmen von Rauch aus einer offenen Müllverbrennungsstätte verursacht werden.
Der 67-seitige Bericht „‘As If You’re Inhaling Your Death’: The Health Risks of Burning Waste in Lebanon” kommt zu dem Schluss, dass die ausbleibenden Maßnahmen der Behörden, um das weitverbreitete Problem der offenen Müllverbrennungen anzugehen, gegen Libanons Pflichten gemäß internationalem Recht verstoßen. Gleiches gilt für die unzureichenden Überwachungsmechanismen dieser Praxis und den Mangel an Informationen über die Gesundheitsrisiken. Das offene Verbrennen von Abfall ist gefährlich und vermeidbar; es ist eine Folge des jahrzehntelangen Versagens der Regierung, einen umweltverträlichen Umgang mit Müll zu etablieren, der keine Gesundheitsrisiken birgt, und entsprechende Gesetze zu verabschieden, die die Menschen schützen. Wissenschaftliche Studien haben dokumentiert, welche Gefahren der Rauch mit sich bringt, der beim offenen Verbrennen von Hausmüll für die Gesundheit entsteht. Dabei sind besonders Kinder und ältere Menschen gefährdet. Der Libanon soll den offenen Müllverbrennungen ein Ende setzen und eine nachhaltige, nationale Lösung für den Umgang mit Müll entwickeln, die im Einklang mit internationalem Recht steht und sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit der Menschen bestmöglich schützt.
„Jeder einzelne Sack Müll, der offen verbrannt wird, schadet der Gesundheit der Anwohner. Dennoch unternehmen die Behörden praktisch nichts, um diese Krise unter Kontrolle zu bringen”, so Nadim Houry, geschäftsführender Direktor des Beiruter Büros von Human Rights Watch. „Die Leute glauben zwar, dass diese Müllkrise erst im Jahr 2015 begonnen hat. Tatsächlich aber dauert sie schon Jahrzehnte an, da die Regierung sich immer nur von einem Notfallplan zum nächsten hangelt und hierbei die Situation außerhalb von Beirut und in den umliegenden Gegenden größtenteils ignoriert.“
Der mangelhafte Umgang mit Abfall im Libanon wurde 2015 öffentlich, als sich der Müll in den Straßen der Hauptstadt türmte. Human Rights Watch fand jedoch heraus, dass im Rest des Landes schon seit Jahrzehnten eine stille Krise herrscht. Im Libanon gibt es keine einheitliche Strategie für den Umgang mit Abfall, die für das ganze Land gilt. In den 90er Jahren führte die Zentralregierung die Müllsammlung und –entsorgung in Beirut und im Libanongebirge ein. Hierbei wurden jedoch andere Regionen sich selbst überlassen, ohne dass sie hierfür angemessene Kontrollmöglichkeiten und finanzielle oder technische Unterstützung erhielten. So kam es zu immer mehr offenen Verbrennungsstätten im ganzen Land. Laut Forschern der American University in Beirut werden 77 Prozent des Mülls im Libanon entweder offen abgeladen oder deponiert, obwohl nur geschätzte 10 bis 12 Prozent davon nicht recycelt oder kompostiert werden könnten.
Human Rights Watch führte über 100 Interviews, darunter mit Menschen, die in der Nähe von offenen Mülldeponien leben, Gesundheitsexperten, Regierungsbeamten, Ärzten, Apothekern und Aktivisten. Mitarbeiter von Human Rights Watch besuchten zudem 15 Orte, an denen mutmaßlich Müll verbrannt wird. Hier nutzten sie Drohnen, um Luftaufnahmen von drei großen Müllhalden zu machen. Die entstandenen Aufnahmen zeigen Ruß von kürzlich erfolgten Verbrennungen und Ascheablagerungen, die von länger zurückliegenden Verbrennungen zeugen. Human Rights Watch dokumentierte zudem drei Fälle von offenen Abfallverbrennungen in unmittelbarer Nähe von Schulen und einen Fall in der Nähe eines Krankenhauses.
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (englisch United Nations Development Programme, UNDP) stellte Human Rights Watch eine Karte zur Verfügung, auf der 617 nicht offiziell kontrollierte Müllhalden im Libanon verzeichnet sind. Auf mehr als 150 von ihnen wird mindestens einmal wöchentlich Müll verbrannt. Laut des Civil Defense, der nationalen Feuerwehr des Libanon, ist auch die Zahl der offenen Verbrennungen in Beirut und im Libanongebirge gestiegen, nachdem das Abfallentsorgungssystem in diesen Gebieten 2015 kollabiert war. Hierbei kam es u.a. zu einem um 330 Prozent erhöhten Müllaufkommen im Libanongebirge. Die Karte des UNDP zeigt, dass die Müllverbrennungen zu einem überwältigenden Großteil in Regionen stattfinden, in denen die Einkommen niedrig sind.
Die meisten Anwohner, mit denen Human Rights Watch Interviews führte, berichteten von gesundheitlichen Problemen, die sie auf die Müllverbrennungen und das Einatmen des dabei entstehenden Rauches zurückführten. Hierzu gehörten Beschwerden der Atemwege, darunter die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Husten, Halsschmerzen und Asthma. Diese Symptome entsprechen jenen, die in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten als Folgen von offenen Müllverbrennungen dokumentiert wurden.
„Es ist, als läge ein Nebel über der ganzen Stadt”, so Othman, ein Bewohner des Dorfes Kfar Zabad, der nur beim Vornamen genannt wird. „Wir müssen ständig husten, können kaum atmen und manchmal ist Asche in unserem Speichel, wenn wir aufwachen.“
Die Menschen, die in der Nähe der Verbrennungsstätten leben, gaben an, sich nicht über längere Zeit im Freien aufhalten zu können. Die Luftverschmutzung bereite ihnen zudem Schlafprobleme oder sie müssten ihre Häuser während der Müllverbrennungen verlassen. Einige sagten, sie seien umgezogen, um mögliche Gesundheitsschäden zu vermeiden.
Familien gaben an, die Unsicherheit, ob die Müllverbrennungen ihrer Gesundheit oder der ihrer Kinder schaden und z.B. Krebs verursachen könnten, sei eine schwerwiegende psychische Belastung für sie. Fast alle gaben an, dass ihre Gemeinde sie nicht informiert habe über Risiken oder Vorsichtsmaßnahmen bezüglich der Müllverbrennungen. Die libanesische Regierung soll die Menschen angemessen über die Gefahren von offenen Müllverbrennungen aufklären und sie darüber informieren, was sie tun können, um sich vor dem Rauch zu schützen, so Human Rights Watch.
Anwohner zeigten sich zudem frustriert darüber, dass die Müllverbrennungen fortgesetzt werden, ohne dass hierfür jemand zur Rechenschaft gezogen wird, obwohl sich die Menschen wiederholt bei der Gemeinde beschwert hätten. Kommunalbeamte außerhalb von Beirut und dem Libanongebirge sagten, die Zentralregierung würde keine angemessene finanzielle oder technische Unterstützung leisten für einen verantwortungsvolleren Umgang mit dem Müll. Zudem sei die Regierung in den letzten Jahren im Verzug bei der Auszahlung des entsprechenden Anteils des Independent Municipal Fund an die Gemeinden.
Laut Umweltministerium verstoßen offene Müllverbrennungen gegen die nationalen Umweltschutzgesetze. Das Versagen der Regierung, dieses Problem effektiv anzugehen und zu beheben, verstößt zudem gegen Libanons Pflichten gemäß internationalem Recht. Hiernach gehört es zu den Pflichten der Regierung, das Recht auf Gesundheit zu respektieren, zu schützen und umzusetzen. Das Umweltministerium verfügt anscheinend weder über das Personal noch über die finanziellen Mittel, um die Umweltsituation im Land effektiv zu überwachen.
Die libanesische Regierung verabschiedete 2012 eines Gesetzesentwurfs, der die Schaffung eines zentralen Abfallentsorgungsgremiums vorsah. Vorstehen sollte diesem Gremium das Umweltministerium. Dieses Gremium sollte Entscheidungen auf nationaler Ebene treffen und auch die Müllentsorgung national regeln, während die lokalen Behörden weiterhin für die Müllsammlung verantwortlich sein sollten. Das Parlament hat diesem Gesetzentwurf jedoch noch nicht zugestimmt.
Der Libanon soll einen nationalen Langzeitplan für die Abfallentsorgung entwickeln und umsetzen, in dem auch die damit verbundenen Folgen für die Umwelt und die Gesundheit berücksichtigt werden, so Human Rights Watch.
Im Fokus der jüngsten Diskussionen bezüglich eines solchen Langzeitplans steht der Einsatz von Müllverbrennungsanlagen. Human Rights Watch selbst bezieht zwar keine Stellung dazu, welchen Ansatz der Libanon bei der Müllentsorgung verfolgen sollte, einige Gesundheitsexperten und Aktivisten äußerten jedoch Bedenken bezüglich der unabhängigen Überwachung, des möglichen Schadstoffausstoßes und der hohen Kosten.
„Besonders beunruhigend an dieser Krise ist, dass die Anwohner quasi überhaupt keine Informationen erhalten über die Gesundheitsrisiken, denen sie in der Nähe von Verbrennungsstätten ausgesetzt sind“, so Houry. „Die Menschen haben ein Recht darauf, über potentielle Gefahren in ihrer Umgebung aufgeklärt zu werden. Die libanesische Regierung soll die Auswirkungen der Abfallkrise auf die Luft, den Boden und das Wasser untersuchen und die Untersuchungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen.“
UN: Opfer von Bleivergiftung im Kosovo entschädigen
Spielende Roma-Kinder im Flüchtlingslager Cesmin Lug in Mitrovica, im nördlichen Kosovo. Cesmin Lug ist eines der Lager, die von den UN errichtet wurden und bekanntermaßen schwer bleibelastet ist. In der Nähe befindet sich ein stillgelegtes Bleibergwerk. 12. Dezember 2007.
© 2007 Carsten Koall/Getty Images (New York, 7. September 2017) – Die Opfer von Bleivergiftung in UN-geleiteten Camps im Kosovo wurden bislang noch nicht von den Vereinten Nationen entschädigt. Die betroffenen Familien können somit nur schwer für ihre kranken Angehörigen sorgen, die dem Schwermetall ausgesetzt waren, so Human Rights Watch heute.Etwa 8.000 Menschen aus den Bevölkerungsgruppen der Roma, Aschkali und ägyptischen Minderheiten wurden nach dem Kosovokrieg 1998-1999 aus ihrer Heimat Mitrovica vertrieben. Die UN, die damals de facto im Kosovo regierte, siedelte etwa 600 von ihnen in Camps an, die durch ein nahegelegenes Bergwerk stark mit Blei belastet waren. Dort mussten die Betroffenen über zehn Jahre lang ausharren. 2016 befand ein UN-Beratungsausschuss für Menschenrechte, dass die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (engl. United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, kurz UNMIK) die Rechte der Betroffenen auf Leben und Gesundheit verletzt hatte. Laut dem Ausschuss war die UNMIK „auf die Gesundheitsrisiken hingewiesen worden, denen die [Campbewohner] seit November 2000 ausgesetzt waren“. Dennoch wurden diese erst mehr zehn Jahre später in eine sichere Umgebung umgesiedelt. Der Ausschuss empfahl der UNMIK, sich zu entschuldigen und individuelle finanzielle Wiedergutmachung zu leisten.
Trotz der Empfehlung des Auschusses verkündeten die Vereinten Nationen im Mai 2017, sie würden lediglich einen freiwilligen Treuhandfonds für Gemeindehilfsprojekte einrichten, „um den Roma, Aschkali und ägyptischen Bevölkerungsgruppen allgemein zu helfen”. Eine öffentliche Entschuldigung oder ein Schuldeingeständnis blieb somit aus.
„Die UN soll endlich auf den Rat ihrer eigenen Experten hören und die Menschen entschädigen, die durch Fehler der UN dauerhaft geschädigt oder beeinträchtigt sind”, so Katharina Rall, Umwelt-Expertin bei Human Rights Watch. „Wie kann die UN von Regierungen erwarten, Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen zu übernehmen, wenn sie dies nicht auch selbst tut?”
September 7, 2017 Video Video: UN Should Compensate Kosovo Lead Poisoning Victims
The United Nations’ failure to compensate victims of widespread lead poisoning at UN-run camps in Kosovo has left affected families struggling to care for sick relatives who were exposed to the contamination.
Im Juni sprach Human Rights Watch mit 19 Opfern von Bleivergiftung und Familienmitgliedern, die in UN-Camps gelebt hatten. Zudem führte Human Rights Watch Interviews mit Medizinern, Juristen und Organisationen, die sich für die betroffenen Gruppen einsetzen.Viele Betroffenen, darunter auch Kinder, leiden an zahllosen Gesundheitsproblemen, unter anderem Krämpfe, Nierenleiden und Gedächtnisverlust, alles typische Langzeitfolgen einer Bleivergiftung. Blei ist ein hochgiftiges Schwermetall, das dem menschlichen Körper neurologische, biologische und kognitive Schäden zufügen kann. Kinder und schwangere Frauen sind hierbei besonders gefährdet. Eine 33-jährige Frau, die in einem bleibelasteten Camp gelebt hatte, bevor sie in den Roma-Bezirk in Mitrovica umzog, berichtete, dass sie sich Sorgen um ihren 16-jährigen Sohn mache. Bei ihm wurde im Alter von neun Monaten eine Bleivergiftung festgestellt. „Bis er sieben Jahre alt war, hatte er regelmäßig Krämpfe. Heute hat er… Probleme in der Schule. Er ist oft unruhig und kann sich nur schwer etwas merken. Als Mutter ist es sehr schwer für mich, meine Kinder so zu sehen und ihnen nicht helfen zu können.“
Launch Gallery Der UN-Ausschuss untersuchte Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen durch die UNMIK, seit 1999 Interims-Regierung im Kosovo. Der Ausschuss stellte gravierende Menschenrechtsverletzungen fest, darunter Verletzungen des Rechts auf Leben, Gesundheit und Nichtdiskriminierung. Die Ankündigung des Pressebüros des UN-Generalsekretärs Antonio Guterres, einen Fonds einrichten zu wollen, anstatt die Opfer einzeln zu entschädigen, bedeutet, dass nichts unternommen wird, solange die Mitgliedstaaten nicht in den Fonds einzahlen. Eine baldige Abhilfe für die Opfer ist somit mehr als ungewiss.
Im Juli 2017 rief Guterres die Mitgliedstaaten dazu auf, in den Fonds einzuzahlen und so „die dringendsten Probleme der betroffenen Gemeinden” zu bekämpfen. Die UN sagt zwar, sie „tut alles, um finanzielle Ressourcen zu mobilisieren“, nannte jedoch keine Einzelheiten dazu, ob Regierungen bereits in den Fonds eingezahlt haben.
2016 beschloss die UN, einen ähnlichen Fonds für Haiti einzurichten. Ziel war es, 400 Millionen US-Dollar zu sammeln, um „materielle Unterstützung” zu leisten und Cholera zu behandeln und zu bekämpfen. Mehr als 9.000 Haitianer waren damals an Cholera gestorben, weitere 800.000 daran erkrankt. Die Epidemie wurde auf UN-Friedenstruppen zurückgeführt, die nach dem verheerenden Erdbeben 2010 ins Land gekommen waren. Bis jetzt wurden in den Fonds jedoch lediglich 2,7 Millionen US-Dollar eingezahlt, weniger als 1 Prozent der angestrebten Summe.
„Einen leeren Fonds zur Entschädigung der Opfer einzurichten, dies ist so, als würde man ein leeres Bankkonto für jemanden eröffnen, um sein Leben wiederaufzubauen”, so Rall. „Wie in Haiti sind es auch hier wieder die Opfer der UN-Fahrlässigkeit, die am Ende auf den Kosten sitzenbleiben und keine Möglichkeit auf Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung haben.”
Einen leeren Fonds zur Entschädigung der Opfer einzurichten, dies ist so, als würde man ein leeres Bankkonto für jemanden eröffnen, um sein Leben wiederaufzubauen. Katharina Rall
Umwelt-Expertin
Laut internationalen Menschenrechtsbestimmungen verlangt das Recht auf Wiedergutmachung eine individuelle Entschädigung der Opfer für entstandene materielle und immaterielle Schäden. Die UN hat sich wiederholt in Form von Verträgen, Resolutionen der Generalversammlung und Berichten des Generalsekretärs dazu verpflichtet. Im Kosovo hat die UNMIK jedoch Gesetze verabschiedet, durch die ihr selbst Immunität verliehen werden sollte und sie sich somit rechtlichen Konsequenzen entziehen wollte, obwohl sie de facto die Regierung im Kosovo war.Die Ankündigung des UN-Generalsekretärs im Mai verspricht bestenfalls Gemeindehilfsprojekte. Somit soll das Geld aus dem Fonds ausschließlich dafür genutzt werden, allgemeine Hilfe zu leisten. Die Mittel kommen demnach nicht spezifisch den Opfern der Bleivergiftung zugute und können somit nicht als Entschädigung gewertet werden. Die Entscheidung der UN, einen Treuhandfonds einzurichten, anstatt die Betroffenen einzeln zu entschädigen und somit Verantwortung für die Langzeitfolgen von Bleivergiftungen zu übernehmen, bedeutet, dass viele Familien weiterhin nur schwer für kranke Angehörige sorgen können, die Opfer von Bleivergiftung wurden. „Es interessiert niemanden, dass wir 12, 13 Jahre lang in den Camps gelitten haben”, so ein ehemaliger Leiter eines Camps in Cesmin Lug. „Niemand fragt: ,Wie geht es Ihrem Sohn? Ist er wieder gesund? Hat er irgendwelche Probleme oder Beeinträchtigungen?‘“
Viele Roma, Aschkali und ägyptische Familien, mit denen Human Rights Watch im Norden des Kosovo sprach, brauchen finanzielle und soziale Unterstützung. Einige Eltern sagten, sie könnten sich weder Medikamente noch gesundes Essen für ihre kranken Kinder leisten. Andere Familien beklagten den Mangel an Unterstützung für Kinder, die Probleme in der Schule haben aufgrund von Lernschwierigkeiten, die durch die Bleivergiftung ausgelöst wurden.
Hazbije (rechts), 50 Jahre, Mutter von neun Kindern, sagte, ihr Mann sei vor zwei Jahren verstorben. Seitdem kümmert sie sich allein um die Kinder. Mitrovica, 27. Juni 2017.
© 2017 Human Rights Watch Samir H., 40 Jahre alt und Vater von neun Kindern, lebte in bleibelasteten Camps in Zitcovac und Osterode. Er sagte: „Mein zweitältester Sohn wurde in ein Krankenhaus in Serbien gebracht, da seine Bleiwerte so hoch waren… Danach sagte man uns, dass er Medikamente nehmen solle, um die Krämpfe zu behandeln. Wir mussten selbst für die Medikamente aufkommen. Das war schwierig. Auch heute ist er immer noch sehr unruhig…Er ist kein guter Schüler, weil er sich nichts merken kann… Wir müssen uns um ihn kümmern, da wir keine Unterstützung von der Schule bekommen.”Die medizinischen Experten, mit denen Human Rights Watch sprach, äußerten sich besorgt darüber, dass es keine fortlaufenden Tests gibt und die betroffenen Gruppen nicht unterstützt werden. Nach Recherchen von Human Rights Watch wurden die jüngsten Tests und Behandlungen von Bleivergiftungen durch den dänischen Flüchtlingsrat finanziert. Diese Tests waren jedoch sehr begrenzt und wurden schließlich im Mai 2017 eingestellt, da die Test-Sets ausgingen.
Die UN sollte den Opfern der Bleivergiftung individuelle Entschädigungen zahlen, so dass diese die Langzeitfolgen der Vergiftung bekämpfen können. Zudem forderten Eltern die UN auf, für eine gute medizinische Versorgung und Bildung für alle betroffenen Kinder zu sorgen. Beides ist derzeit für viele nicht gegeben. Die UN soll zudem mit der Regierung des Kosovo und Opfervertretern zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass alle Betroffenen angemessen medizinisch versorgt werden und Kinder die nötige Unterstützung erhalten, um ihr Recht auf Bildung wahrnehmen zu können.
„Das Kosovo, das einst von der UN regiert wurde, gehört zu den Orten, wo die Vereinten Nationen wirklich etwas bewirken können“, so Rall. „Die UN sollen den Empfehlungen ihrer eigenen Experten folgen und den Opfern und ihren Familien die Entschädigung zahlen, die ihnen zusteht.“
Chronik
1999: Roma, Aschkali und ägyptische Minderheiten werden von den UN in bleiverseuchte Lager umgesiedelt.
2000: Ein interner Bericht der UNMIK dokumentiert die Bleibelastung in der Region und in Blutproben der Bevölkerung.
2004: Die WHO führt Blutuntersuchungen in den Camps durch und fordert die UNMIK auf, umgehend alle Kinder und schwangeren Frauen aus den Camps zu evakuieren.
2010: Die UNMIK bringt die ersten Menschen aus der belasteten Region weg.
2013: Das letzte Camp wird geschlossen.
2016: Der Beratungsausschuss für Menschenrechte veröffentlicht eine Stellungnahme mit der Empfehlung, dass die UN eine öffentliche Entschuldigung ausspricht und die Opfer finanziell entschädigt.
May 2017: UN-Generalsekretär Guterres kündigt die Einrichtung eines freiwilligen Treuhandfonds an, um Gemeindeprojekte zu unterstützen und „Roma, Aschkali und ägyptischen Gemeinden” allgemein zu helfen. Individuelle Entschädigungen bleiben aus.
USA: Schädliche Operationen an intersexuellen Kindern
Ein intersexuelles Kind, das zweieinhalb Jahre alt ist, mit seinen Eltern im Garten. Die Eltern haben entschieden, dass sie jegliche unnötige Operationen aufschieben, bis ihr Kind darüber selbst entscheiden kann.
© 2017 Human Rights Watch(Chicago, 25. Juli 2017) – In den USA nehmen Ärzte weiterhin medizinisch nicht notwendige Operationen vor, die intersexuelle Kinder dauerhaft schädigen können, so Human Rights Watch und interACT in einem heute veröffentlichten Bericht. Obwohl hierüber seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wird, führen Ärzte immer noch Operationen an den Keimdrüsen, also den Eierstöcken oder Hoden, durch, ebenso wie an den inneren und äußeren Geschlechtsorganen. Diese Eingriffe werden durchgeführt, wenn die Kinder noch zu jung sind, um selbst darüber zu entscheiden. Dabei könnten die Eingriffe auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, ohne dass hieraus ein Risiko entstünde.
Der 160-seitige Bericht „‘I Want to Be Like Nature Made Me’: Medically Unnecessary Surgeries on Intersex Children in the US” untersucht die körperlichen und psychologischen Schäden, die medizinisch nicht notwendige Operationen an intersexuellen Kindern hinterlassen, die mit Chromosomen, Keimdrüsen, Geschlechtsorganen oder Genitalien geboren werden, die sich von denjenigen unterscheiden, die gesellschaftlich als typisch für Jungen oder Mädchen betrachtet werden. Zudem wird über die Kontroverse bezüglich dieser Art von Operationen innerhalb der medizinischen Fachwelt berichtet, ebenso wie über den Druck, der auf die Eltern ausgeübt wird, solche Operationen vornehmen zu lassen.
Intersexuelle Menschen, die früher „Hermaphroditen” genannt wurden (ein Begriff, der heute als abwertend und überholt gilt), gibt es zwar viele, sie werden jedoch häufig missverstanden. Basierend auf einer in den 60er Jahren verbreiteten medizinischen Theorie, nehmen Ärzte chirurgische Eingriffe an intersexuellen Kindern – häufig schon im Säuglingsalter – vor. Erklärtes Ziel dabei ist, es den Kindern einfacher zu machen, „normal“ aufzuwachsen. Die Folgen sind häufig katastrophal und die angeblichen Vorteile sind größtenteils nicht nachgewiesen. Zudem gibt es nur selten dringende medizinische Faktoren, die einen sofortigen, irreversiblen Eingriff erfordern würden.
„Nicht notwendige Operationen an intersexuellen Kindern haben sowohl körperlich als auch psychologisch verheerende Folgen”, so Kimberly Zieselman, selbst eine intersexuelle Frau und Direktorin von interACT. „Obwohl Patientenvertreter die medizinische Fachwelt seit Jahrzehnten über die schlimmen Folgen solcher Eingriffe informieren, präsentieren viele Ärzte betroffenen Eltern eine solche Operation weiterhin als gute Option.“
Insgesamt entsprechen 1,7 Prozent aller Babys nicht dem, was man typischerweise als Junge oder Mädchen bezeichnen würde. Die Chromosomen, Keimdrüsen und die inneren und äußeren Geschlechtsorgane dieser Kinder weichen von den gesellschaftlichen Erwartungen ab. Manche Merkmale – wie etwa atypische äußere Genitalien – sind unmittelbar nach der Geburt ersichtlich. Andere, z.B. Keimdrüsen oder Chromosomen, die vom zugesprochenen Geschlecht abweichen, zeigen sich u.U. erst später, in einigen Fällen in der Pubertät. Ein Kind kann auch ohne Operation als Junge oder Mädchen aufwachsen. Operationen an den Genitalien oder Keimdrüsen von Kindern, die noch zu jung sind, um ihre geschlechtliche Identität zu kennen oder zu kommunizieren, bergen wiederum das Risiko, das Kind durch einen chirurgischen Eingriff dem falschen Geschlecht zwangsweise zuzuordnen.
Die operative Entfernung der Keimdrüsen kann einer Sterilisation ohne die Einwilligung der Betroffenen gleichkommen und eine lebenslange Hormonersatztherapie nach sich ziehen. Eingriffe, um die Größe oder das Erscheinungsbild der Genitalien der betroffenen Kinder zu verändern, bergen ebenfalls Risiken. Hierzu gehören: Inkontinenz, Narbenbildung, Gefühlsverlust und psychologische Traumata. Die Eingriffe können nicht rückgängig gemacht werden, durchtrennte Nerven wachsen nicht wieder zusammen und Narbengewebe kann die Möglichkeiten für eine weitere Operation einschränken.
Medizinische Fachprotokolle entstehen immer häufiger durch interdisziplinäre Teams, die an Fällen von „Differences of Sex Development“ arbeiten. Ein Großteil des medizinischen Fachpersonals erkennt mittlerweile an, dass die Eltern es vorziehen könnten, den Körper ihres Kindes unversehrt zu lassen. Ein Arzt, der in einem solchen Team arbeitet, sagte Human Rights Watch gegenüber: „Wir hören den erwachsenen Patienten zu, die uns sagen, dass sie das Gefühl haben, misshandelt und verstümmelt worden zu sein. Das nimmt einen natürlich extrem mit.“
Dennoch gibt es auf diesem Gebiet weiterhin nur uneinheitliche, unzureichende und bruchstückhafte medizinische Versorgungsstandards. Zudem ist es unter Ärzten umstritten, wie sie die Rechte ihrer intersexuellen Patienten am besten respektieren und schützen können. Zwar sind bestimmte chirurgische Eingriffe eindeutig notwendig, dennoch führen Chirurgen in den USA auch riskante und medizinisch nicht notwendige, kosmetische Operationen an intersexuellen Kindern durch. Diese Eingriffe erfolgen häufig noch bevor die betroffenen Kinder sprechen können.
„Die medizinische Fachwelt hat in den letzten Jahrzehnten zwar Fortschritte beim Umgang mit Intersexualität gemacht, medizinisch nicht notwendige und irreversible Operationen an Kindern und Säuglingen sind jedoch weiterhin üblich”, so Kyle Knight, Mitarbeiter von Human Rights und Autor des Berichts. „Der Druck, sich anzupassen und ein „normales“ Leben zu führen, ist zwar vorhanden, es gibt jedoch keine Belege dafür, dass ein chirurgischer Eingriff dies tatsächlich erleichtert. Auf der anderen Seite ist aber durchaus belegt, dass ein solcher Eingriff das Risiko für lebenslange und irreparable Schäden birgt.“
Menschenrechtsorgane der Vereinten Nationen haben in den vergangenen Jahren zunehmend Länder auf der ganzen Welt dafür kritisiert, weil sie medizinisch nicht notwendige Operationen an intersexuellen Kindern nicht verbieten. In einem Bericht von 2013 stellte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Folter fest, dass „Kinder, die mit atypischen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, häufig Opfer werden von irreversiblen Geschlechterzuordnungen, unfreiwilligen Sterilisierungen und unfreiwilligen Genitaloperationen… die Folgen hiervon können eine dauerhafte, irreversible Unfruchtbarkeit und schweres seelisches Leid sein.“
Im Juli 2017 schrieben drei ehemalige Chirurgen aus den USA, sie seien der Meinung, „dass es nur unzureichende Belege dafür gibt, dass es psychosozialen Stress bedeutet, mit atypischen Genitalien aufzuwachsen”, und dass „es zwar nur wenig Hinweise darauf gibt, dass kosmetische Genitaloperationen bei Säuglingen notwendig sind, um psychologische Schäden zu reduzieren, es auf der anderen Seite jedoch durchaus belegt ist, dass der Eingriff selbst schwere, irreparable Schäden und emotionalen Stress verursachen kann.“
Der Bericht basiert auf umfangreichen Interviews, geführt von Kyle Knight von Human Rights Watch und Dr. Suegee Tamar-Mattis, Ärztin und wissenschaftliche Beraterin für Human Rights Watch. Insgesamt wurden 30 intersexuelle Erwachsene, 2 intersexuelle Kinder, 17 Eltern von intersexuellen Kindern und 21 medizinische Fachkräfte interviewt, darunter Gynäkologen, Endokrinologen, Urologen, Psychologen und anderes medizinisches Personal, welches mit intersexuellen Menschen arbeitet. Der Bericht enthält zudem ein umfangreiches Literaturverzeichnis und die verfügbaren Daten zu chirurgischen Eingriffen.
Mehrere Ärzte gaben Human Rights Watch gegenüber an, dass ihnen zwar immer unbehaglicher zumute dabei sei, Eltern zu solchen Eingriffen zu raten, diese aber weiterhin in ihren Kliniken vorgenommen würden. Eltern gaben ihrerseits an, sich von den Ärzten unter Druck gesetzt zu fühlen, sich für eine solche Operation zu entscheiden.
„Die Kinderärzte befinden sich in einer Machtposition. Und wenn die Angst der Eltern das Problem ist, dann muss genau dieses Problem gelöst werden. Es geht also nicht darum, ob operiert wird – das ergibt keinen Sinn, das löst gar nichts“, so ein Endokrinologe und Medizinprofessor gegenüber Human Rights Watch. „Wenn wir versuchen, Menschen in kulturell normative, hetero-normative Situationen zu drängen, dann besteht ein großes Risiko, dass wir schwerwiegende Fehler machen und Menschen irreparablen Schaden zufügen“, so ein Gynäkologe eines Teams, das an „Differences in sex development“ arbeitet.
Die Eltern eines 8-Jährigen Kindes, das mit atypischen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde, sagten: „Die Ärzte sagten uns, es sei wichtig, sofort zu operieren, da es traumatisch für unser Kind wäre, aufzuwachsen und anders als andere auszusehen. Was verursacht denn das größere Trauma? Diese Art von Operation oder ein wenig anders zu sein als andere?“
Diese und andere Eltern gaben Human Rights Watch gegenüber an, dass ihnen Treffen mit anderen Eltern und anderen intersexuellen Erwachsenen in Selbsthilfegruppen am meisten dabei geholfen hätten, ihre eigenen intersexuellen Kinder großzuziehen.
Die Erfahrungen von Menschen, die sich Operationen unterzogen haben, und die Prinzipien der medizinischen Ethik legen zusammengenommen nahe, dass bestimmte chirurgische Eingriffe an Säuglingen und Kleinkindern nicht durchgeführt werden sollten, solange es keine Belege dafür gibt, dass der medizinische Nutzen solcher Eingriffe größer ist als die möglichen Folgeschäden, so interACT und Human Rights Watch. Zurzeit liegen derartige Belege einfach nicht vor, obwohl solche Operationen seit Jahrzehnten durchgeführt werden.
Die US-Regierung und medizinische Einrichtungen sollen keine weiteren chirurgischen Eingriffe erlauben, deren Ziel es ist, die Keimdrüsen, Genitalien oder inneren Sexualorgane von Kindern mit atypischen Geschlechtsmerkmalen zu verändern, sofern diese Kinder zu jung sind, um aktiv mitzuentscheiden. Dieses Verbot soll in den Fällen greifen, wenn der Eingriff ein bedeutendes Risiko mit sich bringt und ohne weiteres auch später durchgeführt werden könnte, so Human Rights Watch und interACT.
„Eltern intersexueller Kinder haben häufig Angst und wissen nicht genau, wie sie ihre Kinder vor einer Stigmatisierung schützen sollen”, so Zieselman. „Es ist für sie immer ein große Erleichterung, wenn sie andere Menschen treffen, die die gleichen intersexuellen Merkmale haben wie ihre eigenen Kinder, und sehen, dass diese ein gesundes und glückliches Leben führen.“
Brasilien: Zika-Epidemie zeigt Menschenrechtsprobleme
Raquel, 25, holds her daughter Heloisa in Areia, Paraíba state, Brazil. Raquel gave birth to twin daughters with Zika syndrome in April 2016. “I want to give my best to my daughters,” she said in an interview with Human Rights Watch.
(Sao Paulo) – Brasilien hat nichts gegen seit langem bekannte Menschenrechtsprobleme getan, die zur Eskalation des Zika-Ausbruchs geführt haben. Für die Bevölkerung besteht weiter die Gefahr, dass es wieder zu einer Epidemie kommt. Zudem bestehen weiterhin andere ernsthafte Risiken für die Gesundheit, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichen Bericht. Die Regierung hat im Mai 2017 den nationalen Notstand, der wegen des Zika-Virus‘ ausgerufen worden war, für beendet erklärt.
Der 103-seitige Bericht „Neglected and Unprotected: The Impact of the Zika Outbreak on Women and Girls in Northeastern Brazil” dokumentiert die Mängel, die sich in der Reaktion der brasilianischen Regierung auf die Epidemie gezeigt haben. Davon waren besonders Frauen und Kinder betroffen. Doch die gesamte Bevölkerung ist weiterhin der Gefahr ausgesetzt, die von Krankheiten ausgehen, die durch Stechmücken hervorgerufen werden. Die Krankheit traf das Land, als es sich in einer der schlimmsten wirtschaftlichen Rezessionen der letzten Jahrzehnte befand. Dadurch wurden die Behörden in die schwierige Lage versetzt, wie sie die knappen Ressourcen angemessen verteilen sollten. Doch auch als die Wirtschaft noch wuchs, waren die Invesitionen der Regierung in die Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen nicht ausreichend. Diese jahrelange Nachlässigkeit hat dazu beigetragen, dass die schlechte Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zur Verbreitung der Aedes-Mücke geführt haben und sich der Virus so schnell verbreiten konnte.
Juli 12, 2017 Video Video: Zika Moms Fight for Help from Brazilian Government
Brazil has not addressed longstanding human rights problems that allowed the Zika outbreak to escalate, leaving the population vulnerable to future outbreaks and other serious public health risks.
“Die Brasilianer sehen vielleicht die Erklärung des Gesundheitsministeriums, dass der Zika-Notstand beendet ist, als Erfolg. Doch erhebliche Risiken gibt es weiter, genauso wie die damit verbundenden Menschenrechtsprobleme“, so Amanda Klasing, Frauenrechtsexpertin von Human Rights Watch und Mitverfasserin des Berichts. „Grundlegende Rechte stehen auf dem Spiel, wenn es der Regierung nicht gelingt, die Mückenplage langfristig zu bekämpfen. Zudem muss der Zugang zu reproduktiven Rechten sichergestellt werden, und Familien mit Kindern, die mit dem Zika-Virus infiziert sind, müssen unterstützt werden.“
Vor 18 Monaten hatte die Regierung den Notstand wegen des Zika-Virus ausgerufen, weil immer mehr Säuglinge mit Mikrozephalie – eine Entwicklungsbesonderheit, bei der der Kopf des Kindes vergleichsweise klein ist - und anderen möglichen Gesundheitsproblemen geboren wurden, die nun als Zika-Syndrom bekannt sind. Doch die Aedes-Mücke gibt es in Brasilien weiterhin, und sie überträgt auch weiter den Zika-Virus und andere gefährliche Viren. Seit Dezember 2016 sind bei einer Gelbfieberepidemie, die von derselben Mücke übertragen werden kann, mindesten 240 Personen in Brasilien ums Leben gekommen. Klimaphänomene, wie El Niño im Jahr 2015, gemeinsam mit dem Klimawandel und steigenden Temperaturen können dazu beitragen, dass sich von Stechmücken übertragene Krankheiten immer schneller verbreiten.
Human Rights Watch sprach mit 183 Personen, darunter 98 Frauen und Mädchen zwischen 15 und 63 Jahren, in Pernambuco und Paraíba, zwei Staaten im Nordosten, die am schlimmsten von dem Virus getroffen wurden. 44 Frauen waren schwanger oder hatten vor kurzem ein Kind geboren; 30 hatten Kinder, die vom Zika-Syndrom betroffen waren. Human Rights Watch sprach auch mit Männern und Jungen in den betroffenen Gebieten, Dienstleistern und anderen Experten sowie mit Regierungsvertretern. Zudem wurden Regierungsdaten und Daten anderer Institutionen zur öffentlichen Gesundheit, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie Budgets analysiert.
Nach dem Zika-Ausbruch haben die brasilianischen Behörden die Haushalte ermutigt, Vorratsspeicher für Wasser zu reinigen und stehendes Wasser in Häusern zu entfernen. Meistens sind Frauen und Mädchen dafür verantwortlich. Doch diese Arbeit ist mühsam und kann nicht die Lücke füllen, die wegen mangelnden Regierungshandelns klafft. Die Behörden haben nicht genug in die Wasserversorgung und die sanitäre Infrastruktur investiert, damit langfristig kontrolliert werden kann, wie sich die Mücken verbreiten und die öffentliche Gesundheit verbessert werden kann.
Mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Brasilien hat keinen ständigen Zugang zur Wasserversorgung. Die Menschen haben deshalb keine andere Wahl, als ihre Tanks und andere Behälter mit Wasser zu füllen, das sie im Haushalt benötigen. Diese können jedoch ungewollt zu Brutstätten für Stechmücken werden, wenn sie nicht abgedeckt und gereinigt werden. Die schlechte Abwasserentsorgung führt dazu, dass Wasser oftmals auf den Böden steht. Mehr als 35 Millionen Menschen in Brasilien haben keinen Zugang zu angemessener Müllentsorgung. Nur 50% waren 2015 an das Abwassersystem angeschlossen; und weniger als 43% des gesamten Abwassers in dem Land wird gereinigt. Im Nordosten waren weniger als 25% der Bevölkerung an das Abwassersystem angeschlossen und nur 32% des Abwassers wurde gereinigt.
Human Rights Watch hat beobachtet, wie ungereinigtes Abwasser in offene, ungeschützte Kanäle, in Gullies, auf Straßen oder in Wasserwege in der Nähe von Wohngebieten floss. Oftmals sind diese versperrt durch Schutt, wodurch sich schmutziges Wasser bildet, das nicht abfließen kann – ideale Bedingungen für Mücken.
In den untersuchten Gebieten hatten Frauen und Mädchen keinen angemessenen Zugang zu Informationen über und Diensten für reproduktive Gesundheit durch das öffentliche Gesundheitssystem. Viele wurden ungewollt schwanger oder trafen ohne ausreichende Informationen Entscheidungen über ihre Schwangerschaft.
Das Strafmaß für Abtreibung zwingt schwangere Frauen und Mädchen, Abtreibungen im Geheimen und unter unsicheren Bedingungen vornehmen zu lassen, um ungewollte Schwangerschaften zu beenden. Ärzte berichteten, dass sie Frauen und Mädchen im letzten Jahr behandelt haben, die ihre Schwangerschaft durch ätzende Säure oder andere gesundheitsgefährdende Methoden beenden wollten. Eine 23-jährige Frau, die als Jugendliche vergewaltigt wurde und nach einer heimlichen Abtreibung unter starken Blutungen litt, sagte: „Ich hatte nicht viele Informationen... Ich blute sehr oft.“
Unischere Abtreibungen sind weiter der vierthäufigste Grund für Müttersterblichkeit in Brasilien. Seit 2005 sind mehr als 900 Frauen daran gestorben – meist hätte der Tod verhindert werden können. Das Risiko einer Zika-Infektion während der Schwangerschaft wird wahrscheinlich dazu führen, dass noch mehr Frauen sich der Gefahr einer unsicheren und heimlichen Abtreibung aussetzen. Eine Studie in dem New England Journal of Medicine vom Juli 2016 hat dokumentiert, dass die Zahl der Anfragen nach einer Abtreibung aus Brasilien an Women on Web um 108% gestiegen ist. Women on Web ist eine gemeinnützige Organisation, die medizinische Behandlung für Abtreibungen in Ländern anbietet, in denen sichere Abtreibungen nur sehr eingeschränkt möglich sind. Der Anstieg der Anfragen erfolgte, nachdem sich die Pan American Health Organization im November 2015 zu den Risiken geäußert hatte, die mit dem Zika-Virus verbunden sind.
Viele befragte schwangere Frauen und Mädchen sagten, dass sie bei ihren Untersuchungen während der Schwangerschaft nicht wirklich verständliche Informationen daüber erhalten hätten, wie der Zika-Virus übertragen wird. Das Gesundheitspersonal habe ihnen nicht mitgeteilt, dass Zika auch durch Sexualpartner übertragen werden könne. Wegen widersprüchlicher Informationen der Behörden hätten nur wenige Personen konsequent Kondome verwendet, um sich selbst und auch ihren Fötus vor dem Zika-Virus zu schützen.
Schwangere Frauen aus Haushalten mit niedrigem Einkommen, deren Wasserversorgung und Abwassersystem typischerweise schlecht ist und die gerade deshalb am stärksten Stechmücken ausgesetzt sind, sagten, sie hätten nicht die Möglichkeit, Mückenschutzmittel für den alltäglichen Gebrauch zu kaufen.
Mehr als 2.600 Kinder, die in Brasilien mit Mikrozephalie und anderen Beschwerden geboren wurden, die durch das Zika-Virus ausgelöst werden, benötigen langfristige Unterstützung. Ihre Angehörigen erhalten oft nicht die volle Unterstützung, die sie von der Regierung und der Gesellschaft benötigen, um ihre Kinder mit Behinderungen zu erziehen. Außerdem fehlt finanzielle und logistische Unterstützung, um Pflege zugänglicher zu machen. Mütter, die Kinder mit dem Zika-Syndrom großziehen, sagten, es sei schwer, Informationen und Unterstützung zu erhalten, sowohl zum Zeitpunkt der Geburt, als auch danach. Gesundheitspersonal und Eltern von betroffenen Kindern betonten, dass es für Väter wichtig sei, zusätzliche Unterstützung zu erhalten, um aktiv an der Pflege der Kinder teilnehmen zu können.
Eine Vater berichtete gegenüber Human Rights Watch, dass er fast sein ganzes Monatsgehalt für Medikamente für sein Kind mit dem Zika-Syndrom ausgeben müsse.
Im Jahr 2017 sank die Zahl der Zika-Fälle und die Anzahl der Kindern, die mit Behinderungen aufgrund des Viruses geboren wurden, im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2016 dramatisch. Jedoch können die Behörden die Ursache dafür nicht erklären.
„Wenn die Mückensaison in Teilen Amerikas und der Vereinigten Staaten beginnt, sollten andere von Zika betroffene Länder erkennen, dass Menschenrechtsprobleme zur schnelleren Eskalation und zum Ausmaß der Zika-Epidemie beitragen können“ sagte Klasing. „Wenn Länder solche Krisen wie in Brasilien vermeiden wollen, sollten sie die Menschenrechte ganz an den Anfang jeder Planung und Reaktion stellen.“