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Managerhaftung: Wirksamkeit von Serienschadenklauseln in der D&O Versicherung
Die Serienschadensklausel gehört zu den Standardklauseln zahlreicher Haftpflichtversicherungsverträge und ist in (nahezu) jeder D&O-Police enthalten. Sie bezweckt die Verklammerung einer gesamten Schadensserie zu einem einzigen Versicherungsfall, ungeachtet der Frage, wann der jeweilige Schaden eintritt und dem Versicherer gemeldet wird. Dadurch wird sowohl das Vorliegen eines einzigen Versicherungsfalles als auch das Vorliegen eines einzigen Eintrittszeitpunktes fingiert. Diese doppelte Fiktion der Serienschadenklausel kann – sofern vereinbart – Auswirkungen auf den Selbstbehalt, die Versicherungssumme sowie die einschlägige Versicherungsperiode haben.
So führt die Serienschadenklausel regelmäßig dazu, dass bei mehreren Schäden nur einmal der Selbstbehalt für den Versicherten anfällt. Sie kann allerdings auch dazu führen, dass die vereinbarte Versicherungssumme aufgrund der Zuordnung zu einer einzigen Versicherungs-periode nur einmalig zur Verfügung steht. Die Serienschadenklausel kann somit für den Versicherten sowohl vorteilhaft, aber auch nachteilig sein. In der Regel profitieren aber vor allem die Versicherer davon, nach einmaligem Verbrauch der Versicherungssumme ihre Leistung verweigern zu können.
Weil sie also vornehmlich zu einer Begrenzung der Deckungspflichten von Versicherern führen, werden Serienschadensklauseln von Gerichten und Literatur kritisch betrachtet. Der BGH hat in der Vergangenheit Klauseln für unwirksam erklärt, die alle auf einer "gemeinsamen Fehlerquelle" beruhenden Schadensfälle zusammenführte. Der Verzicht auf jede zeitliche und vor allem sachliche Verknüpfung könne unangemessene Ergebnisse hervorbringen, so der BGH. Seitdem ist in den meisten am Markt erhältlichen Policen ein solcher sachlicher und zeitlicher – teilweise auch rechtlicher – Zusammenhang Voraussetzung für die Verklammerung der Versicherungsfälle. Ob die so ergänzten Serienschadensklauseln nunmehr einer AGB-Prüfung standhalten, ist indes weiterhin streitig.
Das OLG Frankfurt a. M. entschied unlängst (Urt. v. 17.03.2021 – 7 U 33/19), dass die Klausel zur Verklammerung von Versicherungsfällen, die auf "demselben Sachverhalt" beruhen, intransparent und deshalb unwirksam sei. Transparenter werde die Klausel nach Ansicht des OLG Frankfurt a. M. nicht dadurch, dass sie einen zeitlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den verschiedenen zusammengeführten Pflichtverletzungen fordere, da es sich hierbei – insb. beim Erfordernis des zeitlichen Zusammenhangs – um "zu unbestimmte Rechtsbegriffe" handele.
Das LG Düsseldorf entschied im Fall Wirecard kürzlich (Urt. v. 13.07.2023 – 9 a O 154/23), dass die Verklammerung von Versicherungsfällen, die auf "sachlich und zeitlich eng miteinander verbunden[en]" Pflichtverletzungen beruhen, wirksam sei. Zwar beinhalte die infragestehende Serienschadensklausel unbestimmte Rechtsbegriffe, der Gesetzgeber verwende aber auch etwa in § 12 Abs. 4 VersVermG oder § 51 Abs. 2 BRAO solche unbestimmten Begriffe als Kriterium für die Zusammenfassung von Versicherungsfällen. In seinem Kostenfestsetzungsbeschluss, der nach Rücknahme der gegen diese Entscheidung eingelegten Berufung erging, musste sich das OLG Düsseldorf leider nicht zur Wirksamkeit der Serienschadensklausel positionieren (Beschl. v. 20.09.2023 – 4 U 117/23). Eine wegweisende Entscheidung des BGH zu der Frage, ob die neu-formulierte D&O Serienschadensklausel wirksam ist, bleibt aus.
Für mehr Rechtssicherheit könnte theoretisch der Gesetzgeber sorgen. In Frankreich sieht etwa Art. L. 124 1 1 des Versicherungsgesetzbuches (Code des assurances) für alle Haftpflichtversicherungen vor, dass Schadensereignisse, die auf derselben "technischen Ursache" (cause technique) beruhen, zu einem Schadensfall zusammengefasst werden ungeachtet der Anzahl der Inanspruchnahmen. In der französischen Regulierungspraxis spielt also die abstrakte Frage, ob die Verklammerung von Serienschäden zulässig ist, keine Rolle mehr. Dafür wird im Schadensfall umso heftiger darüber gestritten, ob zwei Schadensereignisse tatsächlich auf dieselbe "technische Ursache" zurückzuführen sind.
Mangels gesetzlicher Regelung oder höchstrichterlicher Rechtsprechung bleibt es also aktuell dabei, dass die Wirksamkeit der in deutschen D&O Policen enthaltenen Serienschadensklauseln unsicher ist und weiterhin Stoff für streitige Auseinandersetzungen zwischen Versicherern und Versicherten bietet.
Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.Das Wärmeplanungsgesetz - der neue Rechtsrahmen für die kommunale Wärmeplanung
Nach eingehender Beratung ist das Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze (Wärmeplanungsgesetz - WPG) zum 1. Januar 2024 in Kraft getreten. Hiermit ist erstmalig eine gesetzliche Grundlage für die Einführung einer verbindlichen und systematischen Einführung einer flächendeckenden Wärmeplanung geschaffen worden. Ziel des WPG ist es, einen wesentlichen Beitrag zur treibhausgasneutralen Wärmeversorgung bis spätestens zum Jahr 2045 zu schaffen. Die Errichtung und der Betrieb der Anlagen zur Erzeugung von Wärme aus erneuerbaren Energien, die in ein Wärmenetz gespeist wird, liegen dabei nach § 2 Abs. 3 WPG im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit.
Pflichten und Adressaten des WPGMit dem WPG wird den Bundesländern die Aufgabe der Durchführung einer Wärmeplanung für ihr Hoheitsgebiet verpflichtend auferlegt. Die Bundesländer können diese Pflicht auf Rechtsträger ihres Hoheitsgebiets beziehungsweise auf eine zuständige Verwaltungseinheit übertragen. Der Bund gibt mit dem WPG den Rahmen vor, der möglichst viel Flexibilität und Gestaltungsfreiheit bei der Durchführung der Wärmeplanung sowie der Erstellung von Wärmeplänen belässt. Denn es geht darum, auf lokaler Ebene realistische und wirtschaftliche Transformationspfade zur treibhausgasneutralen Wärmeversorgung zu entwickeln und anschließend mit den Akteuren vor Ort umzusetzen. Insoweit haben die Pflichten des WPG zwei verschiedene Adressaten: zum einen richtet sich Teil 2 (§§ 4 bis 28 WPG) unmittelbar an die Länder und deren "planungsverantwortliche Stellen" und zum anderen richtet sich Teil 3 (§§ 29 bis 32 WPG) an die Betreiber von Wärmenetzen.
Wesentliche Inhalte und Stichtage des WPGFür das Gebiet aller Bundesländer sind gem. § 4 Abs. 1 WPG Wärmepläne anhand des WPG zu erstellen. Die Durchführung der Wärmeplanung nach dem WPG umfasst den Beschluss oder die Entscheidung der planungsverantwortlichen Stellen über die Durchführung der Wärmeplanung, die Eignungsprüfung, die Bestandsanalyse, die Potentialanalyse, die Entwicklung und Beschreibung eines Zielszenarios, die Einteilung des beplanten Gebietes in voraussichtliche Wärmeversorgungsgebiete sowie die Darstellung der Versorgungsarten und die Entwicklung einer Umsetzungsstrategie mit konkreten Umsetzungsmaßnahmen. Die planungsverantwortliche Stelle fasst die wesentlichen Ergebnisse der Wärmeplanung im Wärmeplan zusammen (Anlage 2 des WPG beschreibt die Darstellungen im Wärmeplan). Der Wärmeplan ist für Gemeinden, in denen zum Stichtag des 1. Januar 2024 mehr als 100.000 Einwohner gemeldet sind, bis zum Ablauf des 30. Juni 2026, für Gemeinden, in denen unter 100.000 Einwohner gemeldet sind, bis zum 30. Juni 2028 zu erstellen. Sofern bestehende Gemeindegebiete zum Stichtag unter 10.000 Einwohnern haben, können sie sich gem. § 4 Abs. 3 WPG im Rahmen des sog. "Konvoi-Verfahren" zur gemeinsamen Wärmeplanung zusammenschließen. Gute Nachrichten gibt es für die Länder, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes oder spätestens bis zum Ablauf der Fristen aus § 4 Abs. 2 WPG Wärmepläne aufgestellt haben: diese werden gem. § 5 Abs. 1 WPG anerkannt und bleiben wirksam. Auch für den Fall, dass für ein Gebiet zum 1. Januar 2024 keine landesrechtliche Regelung besteht, aber ein Beschluss zur Erstellung eines Wärmeplans, der im Wesentlichen mit den Anforderungen des WPG vergleichbar ist und bis zum 1. Juli 2026 erstellt und veröffentlicht wird, vorliegt, bleibt dieser gem. § 5 Abs. 2 WPG wirksam. Grundsätzlich soll der Anteil von Wärme aus erneuerbaren Energien, aus unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination hieraus an der jährlichen Nettowärmeerzeugung in Wärmenetzen im bundesweiten Mittel ab dem 1. Januar 2030 50 Prozent betragen. Zudem wird in § 29 Abs. 1 WPG festgeschrieben, dass die jährliche Nettowärmeerzeugung in allen Wärmenetzen ab dem 1. Januar 2030 zu mindestens 30 Prozent, ab dem 1. Januar 2040 sogar zu mindestens 80 Prozent, aus erneuerbaren Energien, unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination daraus erfolgen muss. Bei den Anforderungen an neue Wärmenetze kommt das Gesetz den Betreibern im Vergleich mit dem Referentenentwurf entgegen: Die Vorgabe aus § 30 Abs. 1 WPG, dass mindestens 65 Prozent der Nettowärmeerzeugung auf erneuerbaren Energien, unvermeidbarer Abwärme oder einer Kombination daraus basieren, ist nunmehr erst zum 1. März 2025 – nicht bereits zum 1. Januar 2024 – zu erfüllen.
Die Querverbindung zum GEGDurch die umstrittene Novelle des Gebäudeenergiegesetzes ("GEG") – allgemein besser bekannt als "Heizungsgesetz" – und der in § 71 GEG enthaltenen Verpflichtung für Gebäudeeigentümer, dass 65% der durch Heizungsanlagen bereitgestellten Wärme durch erneuerbare Energien oder unvermeidbare Abwärme erzeugt werden müssen (sog. 65%-EE-Vorgabe) erlangt das WPG als eine Art Gegenstück besondere Bedeutung. Allen voran gilt die 65%-EE-Vorgabe gem. § 71 Abs. 8 GEG erst ab dem Zeitpunkt, in dem die Frist zur Fertigstellung der kommunalen Wärmeplanung endet. Wird ein Gebiet jedoch noch vor Ablauf dieser Frist als Gebiet zum Neu- oder Ausbau von Wärmenetzen oder als Wasserstoffnetzausbaugebiet nach § 26 WPG ausgewiesen, so gilt die 65%-EE-Vorgabe bereits einen Monat nach der entsprechenden Bekanntgabe. Darüber hinaus existieren noch spezifische Vernetzungen durch Vorschriften wie § 71 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 71b GEG, wonach die Vorgabe als erfüllt gilt, wenn ein Gebäudeeigentümer seinen Wärmebedarf durch Anschluss an ein Wärmenetz deckt. Insgesamt berührt die Wärmeplanung die Belange von Bürgern nicht unmittelbar, obwohl diese auch am Prozess der Wärmeplanung teilnehmen können (vgl. § 7 WPG), sondern bietet ihnen vielmehr eine Grundlage zur Planung von Investitionen in eine zukunftsfähige Energieversorgung.
Weitere Regelungen für Wärmenetze und WärmenetzbetreiberWeiterhin ist der Wärmenetzbetreiber, sofern das Wärmenetz nicht bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des WPG vollständig mit Wärme aus erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme gespeist wird, gem. § 32 Abs. 1 S. 1 WPG verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2026 einen sog. Dekarbonisierungsfahrplan vorzulegen. Auf diese Weise soll transparent und nachvollziehbar dargestellt werden, dass sowohl die Weiterentwicklung von bestehenden aber auch der Bau von neuen Wärmenetzen im Einklang mit den gesetzlichen Zielen und Vorgaben stehen. Die Anforderungen an diese Pläne werden in Anlage 3 des WPG detailliert dargelegt. Grundsätzlich enthalten die Pläne fünf aufeinander aufbauende Abschnitte: eine Darstellung des Ist-Zustands des bestehenden Wärmenetzes (oder des neuen Wärmenetzes) einschließlich der Umgebung, die Darstellung zukünftiger Potenziale für die Nutzung erneuerbarer Energie oder unvermeidbarer Abwärme, Entwicklungspfade bis zum Dekarbonisierungsziel im Jahr 2045, den geplanten Ausbau des Wärmenetzes sowie die hierzu erforderlichen Einzelmaßnahmen. Ebenfalls ist der Wärmenetzbetreiber – vergleichbar mit der entsprechenden Pflicht der planungsverantwortlichen Stellen bei der Fortschreibung des Wärmeplans gem. § 25 Abs. 1 WPG – auch gem. § 32 Abs. 1 S. 5 WPG dazu verpflichtet, den von ihm erstellten Plan spätestens alle fünf Jahre zu überprüfen.
Eine weitere Abweichung vom Referentenentwurf findet sich in Bezug auf den zur Wärmeerzeugung zulässigen Anteil eingesetzter Biomasse. Ursprünglich war dieser ab dem 1. Januar 2024 in Wärmenetzen mit einer Länge von 20 Kilometern bis 50 Kilometer auf maximal 35 Prozent limitiert – diese Beschränkung fand jedoch keinen Eingang in die finale Gesetzesfassung. Die in § 31 Abs. 2 WPG vorgesehene Beschränkung des Einsatzes von Biomasse ab dem 1. Januar 2045 in Wärmenetzen dieser Länge auf maximal 25 Prozent ist ebenfalls entfallen. Wärmenetze ab einer Länge von 50 Kilometern bleiben allerdings weiterhin auf einen Biomasseanteil von 25 Prozent bzw. 15 Prozent ab den jeweiligen Stichtagen beschränkt.
Die Rolle der Kommunen, Kosten und FördermittelZwar sind die Länder nach dem WPG unmittelbar verpflichtet, sicherzustellen, dass auf ihrem Hoheitsgebiet eine fristgerechte Wärmeplanung erfolgt. Das WPG sieht hierzu in § 7 eine Beteiligung aller Gemeinden, deren Gebiet von der konkreten Planung betroffen ist, sowie der aktuellen und zukünftigen Wärme- und Energieversorgungsnetzbetreiber vor, solange diese sich innerhalb des beplanten Gebiets befinden. Nicht zuletzt haben die planungsverantwortlichen Stellen auch die Möglichkeit, Großverbraucher und weitere angrenzende Netzbetreiber und Kommunen zu beteiligen.
Die Kosten der Wärmeplanung für die einzelnen Kommunen fallen sehr unterschiedlich aus, maßgeblich sind hier die verfügbaren Daten und etwaige bereits vorhandene Konzepte sowie der Umfang der Beauftragung von externen Dienstleistern. Beispielhaft rechnet das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen mit Kosten von circa 124.000 Euro für eine Kommune mit 100.000 Einwohnern.
Zur Bewältigung dieser Kosten wird der Bund den Ländern bis 2028 Fördermittel in Höhe von 500 Millionen Euro zur Verfügung stellen, die aus einem erhöhten Anteil der Länder an der Umsatzsteuer stammen. Die hierzu notwendige Änderung des Finanzausgleichsgesetzes soll noch im Jahr 2024 verabschiedet werden.
Ausschreibung einer befristeten Stelle als Organisationsentscheidung
Bundesarbeitsgericht vom 29.02.2024 – 8 AZR 187/23
Entscheidet sich ein öffentlicher Arbeitgeber, eine Stelle befristet auszuschreiben und in die Bewerberauswahl nur solche Bewerber einzubeziehen, bei denen nicht die naheliegende Möglichkeit besteht, dass eine weitere Sachgrundbefristung des Arbeitsverhältnisses einen institutionellen Rechtsmissbrauch darstellt, so gehört dies zu der dem Auswahlverfahren nach Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerten Organisationsentscheidung. Ein öffentlicher Arbeitgeber muss sich bei Ausübung seines Organisationsermessens nicht dem Risiko eines institutionellen Rechtsmissbrauchs aussetzen.
SachverhaltDie Parteien streiten darüber, ob ein Bewerber, der von einem Auswahlverfahren ausgeschlossen wurde, weil er nicht ein weiteres Mal mit Sachgrund befristet angestellt werden könnte, ohne dass der Arbeitgeber sich des Risikos einer unwirksamen Befristung infolge eines institutionellen Rechtsmissbrauchs aussetzt, auf der ausgeschriebenen Stelle eingesetzt werden muss.
Die EntscheidungDas Bundesarbeitsgericht (BAG) hat einen Anspruch auf Übertragung der begehrten Stelle abgelehnt, weil die Voraussetzungen hierfür gemäß Art. 33 Abs. 2 GG nicht vorlägen.
Der Arbeitgeber durfte den klagenden Bewerber von der Auswahl für die ausgeschriebene Stelle ausnehmen, weil bei ihm im Fall des Abschlusses eines weiteren befristeten Arbeitsverhältnisses die naheliegende Möglichkeit bestanden hätte, dass die Befristung wegen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksam wäre. Das BAG grenzt die Organisationsentscheidung von dem eigentlichen Auswahlverfahren ab und ordnet die vorliegende Entscheidung dem Organisationsermessen des öffentlichen Arbeitgebers zu. Es lägen auch keine besonderen Umstände vor, die die Organisationsentscheidung unsachlich erscheinen lassen. Die Entscheidung sei auch hinreichend dokumentiert. In der Gesamtschau von Stellenausschreibung und begründeter Absage bestehe nicht die Gefahr der nachträglichen Veränderung der Grundlagen der Auswahlentscheidung zulasten des Bewerbers.
Weiter führt das BAG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum institutionellen Rechtsmissbrauch aus, dass in der vorliegenden Konstellation die naheliegende Möglichkeit bestünde, dass die Befristung eines weiteren Arbeitsverhältnisses mit dem klagenden Bewerber die Schwelle zum Rechtsmissbrauch überschreiten könnte.
Im Ergebnis habe der öffentliche Arbeitgeber den Bewerber daher auf Grundlage der getroffenen Organisationsentscheidung nicht in die Auswahl einbeziehen müssen.
PraxisrelevanzDie Abgrenzung zwischen der Organisationsentscheidung und der sich anschließenden Bewerberauswahl ist zu begrüßen. Öffentliche Arbeitgeber, die gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind, müssen sich nicht sehenden Auges dem Risiko einer wegen institutionellen Rechtsmissbrauchs unwirksamen Befristung aussetzen und insofern rechtwidrig handeln. Durch eine entsprechende Organisationsentscheidung kann eine objektiv kritische weitere Befristung von vornherein verhindert werden.
Um sich im Fall einer Klage durch einen nicht berücksichtigten Bewerber verteidigen zu können, ist zu empfehlen, die Organisationsentscheidung neben ihrer konsequenten Durchsetzung so zu dokumentieren, dass eine nachträgliche Veränderung der Auswahlgrundlagen zulasten eines Bewerbers ausgeschlossen ist. Dies gilt ebenso für die ernsthafte naheliegende Möglichkeit eines institutionellen Rechtsmissbrauchs im Fall eines weiteren befristeten Vertragsschlusses mit einem Bewerber.
Haftung des Geschäftsführers trotz erteilter Entlastung?
OLG Brandenburg, Urteil vom 24.01.2024 – 7 U 2/23
Ein Geschäftsführer haftet der Gesellschaft persönlich, soweit er seine Pflichten fahrlässig oder vorsätzlich verletzt und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht. Maßstab für eine Pflichtverletzung ist stets die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes. Die Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss entlastet wurde. Soweit Entlastung erteilt wurde, kann die Gesellschaft im Umfang der Entlastung keine Ansprüche mehr gegen den Geschäftsführer geltend machen (sogenannte Präklusionswirkung). Entscheidend für den Umfang der Haftung des Geschäftsführers ist daher der Umfang seiner Entlastung.
Zeitlich umfasst die Entlastung den Zeitraum, der sich aus dem Entlastungsbeschluss ergibt und hinsichtlich derer der Geschäftsführer Rechnung gelegt hat. Das betrifft grundsätzlich ohne weitere Angaben die Vorgänge aus dem abgeschlossenen Geschäftsjahr. Die Entlastung befreit den Geschäftsführer aber nicht von seinen bestehenden, zukunfts- und gegenwartsbezogenen Pflichten gegenüber der Gesellschaft. Diese Pflichten bestehen insbesondere auch dann, wenn neue Nachteile wegen eines für die Vergangenheit von der Entlastung erfassten Vorgangs drohen.
Inhaltlich bezieht sich die Entlastung auf alle Tatsachen, die die Gesellschafter aufgrund der Berichterstattung durch den Geschäftsführer oder aus den vorgelegten Unterlagen kannten oder bei sorgfältiger Prüfung hätten erkennen können. Für die Erkennbarkeit ist entscheidend, ob sich aus der Berichterstattung des Geschäftsführers oder den Unterlagen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel oder Fragen ergeben, die die Gesellschafter durch Nachrechnen, Nachfragen oder durch Ausüben ihres Informationsrechts hätten aufklären können. Eine Erkennbarkeit ist demgegenüber ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer den Gesellschaftern nicht hinreichend Gelegenheit zur Ausübung ihrer Einsichts-, Informations- und Auskunftsrechten gegeben hat – sei es absichtlich oder unabsichtlich. Vereitelt der Geschäftsführer Nachfragen der Gesellschafter, verschweigt er Tatsachen oder verschleiert diese, ist er nicht schutzbedürftig. Denn durch solche Maßnahmen erschleicht sich der Geschäftsführer seine Entlastung. Eine derart erschlichene Entlastung führt regelmäßig nicht zu einem Haftungsausschluss zu seinen Gunsten.
Mit Fragen rund um die Haftung und Entlastung hat sich jüngst das OLG Brandenburg beschäftigt.
Hintergrund (vereinfacht dargestellt)In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH eigenmächtig über Jahre hinweg zusätzlich zu seinem Gehalt und seiner Tantieme diverse Zahlungen an sich selbst veranlasst, um sein Geschäftsführergehalt zu erhöhen. Die Gesellschafterversammlung stellte in all den Jahren die Jahresabschlüsse fest und erteilte dem Gesellschafter-Geschäftsführer – mit Ausnahme der letzten zwei Jahre seiner Organstellung – Entlastung. Ob die Zahlungen in den Bilanzen der Jahresabschlüsse erkennbar waren, blieb zwischen den Parteien streitig.
Nach Abberufung und außerordentlicher Kündigung beschloss die Gesellschafterversammlung, den (ehemaligen) Gesellschafter-Geschäftsführer persönlich auf Rückzahlung in Anspruch zu nehmen. Dieser berief sich darauf, dass sein im Anstellungsvertrag vereinbartes Gehalt unangemessen niedrig und deshalb nichtig gewesen sei. Durch die zusätzlichen Zahlungen habe er insgesamt ein Gehalt bezogen, das dem Wert seiner Leistungen entsprochen habe. Deshalb sei der Gesellschaft kein Schaden entstanden. Des Weiteren sei seine Haftung aufgrund der ihm erteilten Entlastungen ausgeschlossen. Entsprechendes gelte für die letzten zwei Jahre seiner Organstellung als Geschäftsführer aufgrund der Billigung bzw. Feststellung der Jahresabschlüsse, in denen die Zahlungen jeweils erkennbar waren.
Das OLG Brandenburg gab dem Gesellschafter-Geschäftsführer teilweise Recht:
Die eigenmächtigen Veranlassungen der Zahlungen sind zwar jeweils als Pflichtverletzung des Gesellschafter-Geschäftsführers einzustufen. Denn über die Höhe des Gehalts eines Geschäftsführers entscheidet allein die Gesellschafterversammlung. Der Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht berechtigt, seine Bezüge einseitig anzupassen, selbst wenn sein Gehalt objektiv betrachtet als unangemessen niedrig einzustufen ist.
Ein Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft besteht jedoch nicht mehr für die Jahre, für die dem Gesellschafter-Geschäftsführer Entlastung erteilt wurde. Denn inhaltlich sind von der Entlastung alle Geschäftsvorgänge erfasst, die für die Gesellschafter bei sorgfältiger Prüfung aufgrund der ihnen vorgelegten Unterlagen erkennbar waren. Das war der Fall: die eigenmächtigen Zahlungen waren in den Bilanzen erkennbar und dem Gesellschafter-Geschäftsführer wurde ungeachtet dessen Entlastung erteilt.
Demgegenüber führen die Feststellungen der Jahresabschlüsse nicht zu einer "Entlastung" und damit zu einem Haftungsausschluss zu Gunsten des Gesellschafter-Geschäftsführers für die letzten beiden Jahre seiner Organstellung als Geschäftsführer. Zwar waren diese Zahlungen in den Bilanzen der festgestellten Jahresabschlüsse der beiden letzten Jahre erkennbar. Die Feststellung des Jahresabschlusses entfaltet vorliegend aber keine entlastende Wirkung dergestalt, dass die eigenmächtigen Zahlungen von allen Gesellschaftern anerkannt und nicht zurückgefordert werden könnten. Denn die Gesellschafter geben mit der Feststellung des Jahresabschlusses im Hinblick auf Drittverbindlichkeiten lediglich eine Erklärung ab, welche Ausgaben tatsächlich getätigt worden sind. Dazu, ob die Höhe der Drittverbindlichkeiten angemessen war und ob wegen einer Überzahlung Rückforderungsansprüche der Gesellschaft bestehen können, enthält der Jahresabschluss regelmäßig keine Angaben.
Zwar hat die Feststellung des Jahresabschlusses im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft und zwischen den Gesellschaftern untereinander grundsätzlich die Bedeutung einer Verbindlicherklärung der Bilanz, mit der die Gesellschafter dessen Richtigkeit anerkennen. Bei dem in Streit stehenden eigenmächtig erhöhten Geschäftsführergehalts handelt es sich jedoch um eine sogenannte Drittverbindlichkeit, die ihren Ursprung nicht im internen Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern hat. Bei Drittverbindlichkeiten ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass die Höhe der Drittverbindlichkeit, die aus der Bilanz ersichtlich ist, von den Gesellschaftern geprüft und als angemessen eingestuft worden ist. Eine derartige Entlastungswirkung durch Feststellung des Jahresabschlusses in Bezug auf Drittverbindlichkeiten kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, beispielsweise wenn die Parteien es vereinbaren oder wenn allen Beteiligten bewusst ist, dass Uneinigkeit in Bezug auf bestimmte Verbindlichkeiten besteht. Fehlt es aber an jeglicher Diskussion, werden lediglich die geleisteten Zahlungen, nicht aber eine diesbezügliche „Entlastung“ des Gesellschafters von der Rückforderung geleisteter Überzahlungen festgestellt.
Anmerkungen und PraxistippWeder die Feststellung des Jahresabschlusses noch die Entlastung der Geschäftsführer einer GmbH sind reine Formalien, die gedankenlos beschlossen werden sollten. In beiden Fällen sollten im Vorfeld Fragen, Zweifel und Unstimmigkeiten – ggfs. unter Hinzuziehung fachlicher Unterstützung – geklärt und ausgeräumt werden.
Denn die Entlastung schließt die Geltendmachung etwaiger Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer im Umfang der Entlastung in der Regel aus. Inhaltlich bezieht sich der Haftungsausschluss auf alle Geschäftsvorgänge, die für die Gesellschafter aufgrund der Berichterstattung durch den Geschäftsführer oder aus den vorgelegten Unterlagen bei sorgfältiger Prüfung erkennbar waren. Erfasst sind also nicht nur die Umstände, die den Gesellschaftern bei der Beschlussfassung bekannt waren, sondern auch alle Umstände, die die Gesellschafter durch Nachrechnen oder Nachfragen in Erfahrung hätten bringen können. Verzichten die Gesellschafter trotz konkreter Anhaltspunkte und bei Zweifeln auf weitere Aufklärung, führt das regelmäßig zu einer Präklusion etwaiger Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer. Bei Zweifeln sollten die Gesellschafter daher aktiv nachfragen oder den Sachverhalt in anderer Art und Weise aufzuklären versuchen.
Dasselbe gilt für die Feststellung des Jahresabschlusses. Denn mit Feststellung des Jahresabschlusses werden die gesellschaftsinternen Forderungen und Verbindlichkeiten verbindlich festgestellt. Damit sind nachträglich geltend gemachte Ansprüche in der Regel ausgeschlossen. Das gilt, wie soeben aufgezeigt, in Ausnahmefällen auch für Drittverbindlichkeiten. Um keine (Rückforderungs-)Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer zu verlieren, ist daher Vorsicht geboten. Wenn Fragen offen sind, sollte der Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Entlastung der Geschäftsführer zurückgestellt werden.
Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.Der doppelte Mensing: Pirouetten bei der Differenzbesteuerung im Kunsthandel - Versteht das noch jemand?
Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 22. November 2023 (Az. XI R 22/23) entschieden, dass die Umsatzsteuer aus dem Vorerwerb eines Kunstgegenstandes nicht bei der Berechnung der Marge berücksichtigt werden darf. Letztlich wird damit Umsatzsteuer auf Umsatzsteuer fällig, woraus eine Verteuerung des Kunstgegenstandes von bis zu 3,6 % resultieren kann. Dies führt dazu, dass der Handel mit Kunst in Deutschland für den Erwerber unattraktiver wird. Einen anknüpfenden Beitrag zur Steuerermäßigung für die Lieferung von Kunstgegenständen finden Sie unter diesem Link.
Was ist geschehen?Der klagende Kunsthändler hatte Kunstgegenstände von mehreren Künstlern aus dem EU-Ausland erworben. Diesen Erwerb hatte er nach § 12 Abs. 2 Nr. 13 Bstb. a) UStG mit dem ermäßigten Steuersatz besteuert. Den Weiterverkauf hatte er ebenfalls als Lieferung besteuert. Denn im Falle eines Vorerwerbs aus einem EU-Ausland in Form der innergemeinschaftlichen Lieferung kann nach deutschem Recht keine Differenzbesteuerung geltend gemacht werden. Das Finanzgericht Münster legte diese Frage dem EuGH vor, der mit Urteil vom 29. November 2018 entschied, dass ein innergemeinschaftlicher Erwerb die Anwendung der Differenzbesteuerung nach Art. 316 Abs. 1 MwStSystRL nicht auszuschließen vermag. Darüber hinaus stellte der EuGH klar, dass ein Vorsteuerabzug bei Anwendung der Differenzbesteuerung ausgeschlossen ist. Das Finanzgericht Münster wendete die Differenzbesteuerung an und zog die Umsatzsteuer aus dem Vorerwerb nach § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG ab. Damit gab sich das Finanzamt nicht zufrieden und legte Revision ein. Der XI. Senat des BFH legte die Frage des Abzugs der Umsatzsteuer aus dem Vorerwerb noch einmal dem EuGH vor. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass als Einkaufspreis nach dem Verständnis von Art. 312 und 315 MwStSystRL nur die Kostenbestandteile gemeint sein können, die der Erwerber an den Verkäufer zahlt; dazu gehört die an den Staat gezahlte Umsatzsteuer aber gerade nicht. Auf dieser Grundlage entschied der XI. Senat des BFH, dass § 25a Abs. 3 Satz 3 UStG unionsrechtswidrig sei und verweigerte damit den Abzug der Umsatzsteuer aus dem Vorerwerb.
So weit so gut: erstaunlich an dieser Entscheidung ist aber, dass der Senat offensichtlich in der Entscheidung einen Bruch des Systems der Differenzbesteuerung erblickt. Denn der Senat hat – was aus Sicht der Beraterschaft erstaunlich ist – am Ende seiner Entscheidung dem Steuerpflichtigen zwei Wege aufgezeigt, wie er der Differenzbesteuerung wieder entkommen kann. Zum einen wäre ein Verzicht auf die Differenzbesteuerung möglich, so dass ein Vorsteuerabzug möglich wäre. Damit hätte er dann ggf. auch beim Weiterverkauf vom ermäßigten Steuersatz profitieren können. Interessanter scheint aber die vom Senat aufgezeigte Möglichkeit eines Teilerlasses der Doppelbesteuerung („Steuer auf die Erwerbsteuer“). Dieser Billigkeitserlass wird mit der zweckwidrigen Doppelbesteuerung begründet. Es könne nicht sein, dass durch den fehlenden Abzug der Erwerbsteuer die Neutralität der Umsatzsteuer gefährdet bzw. gegen diesen Grundsatz verstoßen werde. Im Klartext: eine systemwidrige Besteuerung kann selbst dann, wenn diese gesetzlich geregelt ist, nicht hingenommen werden.
Was ist die Konsequenz?Diese Hilfestellung des XI. Senats des BFH ist zwar zu begrüßen. Allerdings ist es auf europäischer und der nationalen Ebene angezeigt, eine Änderung der derzeitigen Rechtslage vorzunehmen. Andernfalls könnte der Kunstmarkt national und im Gemeinschaftsgebiet tatsächlich nicht mehr konkurrenzfähig sein.
Für alle, die von dieser Entscheidung unmittelbar betroffen sind, kann es nur heißen: Stellung eines Erstattungsantrags nach § 163 AO!
Steuerermäßigung für die Lieferung von Kunstgegenständen
Wer ist eigentlich Urheber eines Kunstwerkes und unterfällt daher dem ermäßigten Steuersatz, wenn der Künstler nicht selbst, sondern eine GbR ein Kunstwerk nach den Vorgaben des Künstlers erstellen lässt? Mit dieser Frage hat sich der BFH in seinem Urteil vom 18. Oktober 2023 (Az.: XI R 15/20) auseinandergesetzt und damit letztlich verdeutlicht, dass eine steuerliche Ungleichbehandlung von Künstlern und Galerien dringend geändert werden muss, um den Kulturstandort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten. Unter folgendem Link finden Sie einen anknüpfenden Beitrag zur Differenzbesteuerung im Kunsthandel.
Was war passiert?Geklagt hat eine GbR, gegründet durch einen Künstler und eine Galerie. Zweck dieser Gesellschaft ist es, bis zu drei Skulptureninstallationen herzustellen, zu vermarkten sowie zu veräußern. Gefertigt wurden die Skulpturen nach den künstlerischen Vorgaben des Künstlers selbst im Auftrag der GbR. Die GbR gab die Herstellung der Skulptureninstallationen bei einem Dritten in Auftrag.
In der Folge verkauften die GbR und der Künstler zwei der Skulpturen. Die Klägerin nahm dabei an, dass die Lieferung einer der beiden Skulpturen im Jahr 2015 dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliege. Das Finanzamt war anderer Auffassung. So seien die Voraussetzungen einer Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 13 UStG nicht erfüllt. Diese sind dann gegeben, wenn die Lieferung eines Kunstgegenstands entweder (i) direkt von seinem Urheber oder dessen Rechtsnachfolger erfolgt oder (ii) der Kunstgegenstand zunächst von seinem Urheber oder dessen Rechtsnachfolger an einen Unternehmer geliefert wurde, der den Kunstgegenstand sodann einem Dritten liefert, sofern der liefernde Unternehmer kein Wiederverkäufer i.S.d. § 25a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG ist. Als Wiederverkäufer gilt danach derjenige, der gewerbsmäßig mit beweglichen körperlichen Gegenständen handelt oder solche Gegenstände im eigenen Namen öffentlich versteigert. Das Finanzamt unterwarf die Lieferung der zweiten Skulptureninstallation daher dem Regelsteuersatz und die GbR klagte daraufhin vor dem Finanzgericht Düsseldorf. Dieses wies die Klage mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 13 UStG nicht erfüllt seien, da die Klägerin weder Urheberin noch Rechtsnachfolgerin des Urhebers sei und die Skulptureninstallation nicht vom Künstler an die GbR geliefert worden war.
In der Revision wandte die GbR als Klägerin ein, dass sie die Kunstwerke nach den Vorstellungen und Plänen des Künstlers als Urheber geschaffen habe. Der Begriff des Urhebers in § 12 Abs. 2 Nr. 13 UrhG sei weit zu verstehen. Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 13 UrhG liegen nicht vor. Die Klägerin ist weder Urheberin noch Rechtsnachfolgerin des Urhebers des gelieferten Gegenstandes. Der BFH führt aus, dass sich der Begriff des Urhebers nach den Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes richtet und begründet dies unter anderem damit, dass der Begriff nicht anders zu verstehen ist als in § 12 Abs. 2 Nr. 7 c UStG, in dem ausdrücklich auf das Urhebergesetz verwiesen wird.
Nach § 7 UrhG ist Urheber der Schöpfer eines Werkes. Zu den geschützten Werken gehören nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG insbesondere Werke der bildenden Kunst, wobei ein Werk nur eine persönliche geistige Schöpfung sein kann (§ 2 Abs. 2 UrhG). Eine persönliche geistige Schöpfung ist dabei eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauung einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Das Urheberrecht ist zwar vererblich, jedoch nach § 29 Abs. 1 UrhG nicht übertragbar, es sei denn, es wird in Erfüllung einer Verfügung von Todes wegen oder an Miterben im Wege der Erbauseinandersetzung übertragen. Die Auffassung der GbR, sie sei umsatzsteuerrechtlich als Urheberin der streitgegenständlichen Skulptureninstallation anzusehen, obwohl sie nach dem Urheberrechtsgesetz nicht deren Urheberin ist, geht fehl. Auch wenn die Klägerin in Erfüllung des Gesellschaftszwecks die Kunstwerke nach den künstlerischen Vorgaben des Künstlers als Urhebers hat herstellen lassen, vermag dies nichts daran zu ändern, dass die streitgegenständliche Skulptureninstallation keine eigene geistige Schöpfung der Klägerin, sondern eine des Künstlers verkörpert. Die GbR ist daher weder Urheberin noch Miturheberin.
Auch ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, dass die hier dargestellte Situation tatsächlich in der Praxis durchaus von Relevanz und nicht immer eindeutig ist. Alte Meister wie Tizian haben nicht selten ihre Werke ausschließlich eigenhändig geschaffen, sondern Schüler mit der Ausführung beauftragt. Die Werke sind jedoch heutzutage in der Kunstgeschichte ausschließlich unter dem Namen des Meisters bekannt. Auch in der zeitgenössischen Kunst gibt es ähnliche Szenarien, so fertigt beispielsweise Jeff Koons nicht jedes seiner Werke alleine und eigenhändig an, sondern bedient sich einer Vielzahl von Mitarbeiter. Dennoch handelt es sich in der Kunstwelt um Werke von Jeff Koons.
Der BFH hat weiter geurteilt, dass die GbR auch keine Rechtsnachfolgerin sei. Rechtsnachfolgerin im Sinne der Vorschrift ist der Gesamtrechtsnachfolger. Auch dies ergibt sich daraus, dass das Urheberrecht nach § 28 Abs. 1 UrhG vererblich, nicht aber übertragbar ist.
Auch eine entsprechende Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 13 b UStG kommt nicht in Betracht, da bereits eine Regelungslücke nicht ersichtlich ist. So heißt es in der Gesetzesbegründung, dass der ermäßigte Steuersatz im gewerblichen Kunsthandel (z.B. Galeristen und Kunsthändler) nicht mehr regelmäßig Anwendung finden soll.
Im Ergebnis verdeutlicht diese Gerichtsentscheidung somit, dass der Begriff des Urhebers nicht anders auszulegen ist als im Urhebergesetz und erteilt damit einer autonomen steuerrechtlichen Auslegung eine Absage. Der ermäßigte Steuersatz von 7 % gilt nur, wenn die Lieferung vom geistigen Schöpfer oder dessen Rechtsnachfolger selbst stammt. Damit beseitigt die Entscheidung eine rechtliche Unsicherheit für die Fälle, in denen Künstler ihr Werk nicht selbst schaffen, sondern den Schaffensprozess auf einen Zusammenschluss von Künstlern und Galerie auslagern.
Rechtliche Unsicherheiten bestehen zwar in den Fällen nicht, in denen Künstler ihre eigenen Werke selbst verkaufen, da sie auch unter Zugrundelegung des „engen“ Urheberbegriffs aus dem UrhG in den Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes fallen. Ebenso unproblematisch sind die Fälle, in denen nicht der Künstler, sondern sein Käufer sein Werk weiterverkauft, denn entweder ist auch hier der ermäßigte Umsatzsteuersatz anwendbar oder es finden, sofern der weiterveräußerende Käufer als Wiederverkäufer einzustufen ist, die Regeln zur Differenzbesteuerung nach § 25a UStG Anwendung.
Die Entscheidung des BFH betraf das Streitjahr 2015, in dem aufgrund der alten unionsrechtlichen Grundlage, nämlich Art. 103 Abs. 2 Mehrwertsteuersystem-Richtlinie alte Fassung, nach der seit dem 1.1.2014 geltenden Neufassung des § 12 Abs. 2 Nr. 13 UStG nur noch die Lieferungen von Kunstwerken des „Urhebers“ und dessen „Rechtsnachfolgers“ dem ermäßigten Steuersatz unterlagen.
Dies führte in der Kunstwelt zu erheblicher Kritik, da auf diese Weise Galerien eine massive Ungleichbehandlung erfahren, auch gegenüber dem Ausland. So liegt in Frankreich die Mehrwertsteuer bei 5,5 Prozent, in der Schweiz bei 8,1 Prozent und in England ebenfalls bei 5,5 Prozent.
Aber es besteht Grund zur Hoffnung: Ab dem 1.1.2025 erlaubt die Neufassung von Art. 98 Abs. 1 UAbs. 2 i.V.m. Nr. 26 Anhang III MwStSystRL den Mitgliedsstaaten die generelle Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Lieferungen von Kunstwerken, ohne dabei explizit darauf abzustellen, dass diese vom „Urheber“ oder von dessen „Rechtsnachfolger“ geliefert werden sollen. Insofern besteht nun die vom Kunsthandel mit Vehemenz eingeforderte Möglichkeit, dass der nationale Gesetzgeber zur Rechtslage vor 2014 zurückkehrt und dadurch wieder sämtliche Lieferungen von Kunstwerken, unabhängig von der Person des Verkäufers, unter dem ermäßigten Steuersatz fallen können.
Bislang hat der nationale Gesetzgeber im Zuge des derweil kursierenden Jahressteuergesetzes 2024 von dieser Steilvorlage zur Änderung von § 12 Abs. 2 Nr. 13 UStG aber keinen Gebrauch gemacht. Damit wird das Urteil des BFH zum Begriff des “Urhebers” für die Frage der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes beim Verkauf von Kunstwerken weiterhin Relevanz haben.
Tod des Alleingesellschafters einer MVZ-GmbH
Der Tod des Alleingesellschafters kann zur Handlungsunfähigkeit einer GmbH führen, wenn der Alleingesellschafter nicht rechtzeitig vorgesorgt hat. Zwar geht der Geschäftsanteil gem. §§ 1922 BGB, 15 Abs. 1 GmbHG im Erbfall automatisch auf den Erben über, doch gilt dieser gem. § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG gegenüber der Gesellschaft erst nach Eintragung in die im Handelsregister hinterlegte Gesellschafterliste als Inhaber des geerbten Geschäftsanteils. Der Erbe kann bis zur Eintragung in die Gesellschafterliste gegenüber der Gesellschaft nicht wirksam handeln, insbesondere keine wirksamen Gesellschafterbeschlüsse fassen.
Dieser Umstand ist besonders problematisch, wenn der einzige Gesellschafter zugleich einziger Geschäftsführer der Gesellschaft war, da auch sein Amt als Geschäftsführer mit dem Tod erloschen ist. Da die Einreichung der neuen Gesellschafterliste durch den Geschäftsführer erfolgen muss, ist zunächst die Bestellung eines neuen Geschäftsführers erforderlich. Der Erbe kann den erforderlichen Gesellschafterbeschluss jedoch erst dann wirksam fassen, wenn er in die Gesellschafterliste eingetragen wurde. Durch die gegenseitige Blockade der gesellschaftsrechtlichen Erfordernisse wird die Gesellschaft führungslos und somit handlungsunfähig.
Sofern der Alleingesellschafter für diesen Fall keine Vorsorge getroffen hat, muss in aller Regel ein Notgeschäftsführer durch das Registergericht bestellt werden, der sodann die neue Gesellschafterliste zum Handelsregister einreichen kann. Dieser Vorgang ist jedoch – insbesondere mit Blick auf den Nachweis der Erbenstellung – oftmals zeitaufwändig.
Vertiefendes zu dieser Thematik und den infrage kommenden Lösungsmöglichkeiten finden Sie in folgendem Beitrag: Link.
Vertragsarztrechtliche Folgen des TodesNeben den gesellschaftsrechtlichen Herausforderungen kann der Tod des Alleingesellschafters und -geschäftsführers auch in vertragsarztrechtlicher Hinsicht weitreichende Folgen mit sich bringen. Gem. § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V ist einem MVZ die Zulassung grundsätzlich ohne Übergangsfrist zu entziehen, wenn die Zulassungsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das MVZ nicht mehr über einen ärztlichen Leiter verfügt. Trotz des eindeutigen Wortlauts ("ist … zu entziehen") geht das Bundessozialgericht davon aus, dass vor dem Entzug eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist. Sofern das MVZ zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung wieder fachübergreifend besetzt oder dies in angemessener Frist zu erwarten ist, wäre es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, die Zulassung zu entziehen (BSG Urt. v. 19.07.2023, B 6 KA 5/22 R, Rn. 41).
Die Zulassung ist auch in Gefahr, wenn die MVZ-GmbH nicht mehr über eine selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung verfügt. Dieser Umstand dürfte in der Praxis jedoch selten zum Entzug der Zulassung führen, da der Erbe, der in die Bürgschaftsverpflichtungen des Erblassers einrückt, auch für die Verbindlichkeiten aus der Bürgschaft haftet. Nach § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V ist dem MVZ die Zulassung auch dann zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzungen länger als sechs Monate nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn der Erbe des Alleingesellschafters selbst kein zugelassener Arzt ist. Da die Gründung eines MVZ nur durch den in § 95 Abs. 1a S. 1 SGB V aufgeführten Gründerkreis erfolgen kann, muss der Erbe seine Beteiligung an der MVZ-GmbH innerhalb der sechsmonatigen Übergangsfrist an einen Gründungsberechtigten abtreten.
Denkbare LösungsmöglichkeitenDer MVZ-GmbH stehen mehrere Wege zur Verfügung, um sowohl die gesellschaftsrechtlichen als auch die vertragsarztrechtlichen Probleme zu vermeiden. Zum einen besteht die Möglichkeit einen weiteren Geschäftsführer der Gesellschaft zu bestellen. Hierbei ist zu beachten, dass in einigen Bundesländern die Geschäftsführung aufgrund berufsrechtlicher Regelungen mehrheitlich durch Ärzte besetzt sein muss (z.B. § 23a Abs. 1 S. 4 BO Hessen). Gegen diese Lösungsmöglichkeit spricht allerdings, dass es zumeist eine bewusste Entscheidung des Alleingesellschafters ist, die Geschäfte der Gesellschaft allein zu führen.
Als zweite Möglichkeit kommt die Bestellung eines Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten in Betracht. Sofern dieser gleichzeitig ärztlicher Leiter des MVZs ist, kann er die Geschäfte mit der Kassenärztlichen Vereinigung fortführen. Allerdings können weder der Prokurist noch der Handlungsbevollmächtigte einen neuen Geschäftsführer bestellen, sodass jedenfalls für die Einreichung der neuen Gesellschafterliste zum Handelsregister ein Notgeschäftsführer erforderlich ist.
Die dritte Lösungsmöglichkeit ist die Erteilung einer transmortalen Vollmacht durch den Alleingesellschafter. Mit einer solchen Vollmacht kann der Bevollmächtigte die Gesellschafterrechte des Gesellschafters auch nach dessen Tod ausüben. Da der verstorbene Gesellschafter noch in die Gesellschafterliste eingetragen ist, kommt es zu keinem Konflikt mit § 16 Abs. 1 GmbHG. Der Bevollmächtigte kann durch Gesellschafterbeschluss einen neuen Geschäftsführer bestellen, der dann sowohl die MVZ-GmbH nach außen vertreten als auch – nach entsprechender Legitimation durch den Erben – die neue Gesellschafterliste beim Handelsregister einreichen kann. So bleibt die MVZ-GmbH auch nach dem Tod des Alleingesellschafters und -geschäftsführers handlungsfähig.
Fazit und HandlungsempfehlungDa die Erteilung einer transmortalen Vollmacht der einzig verlässliche und praktikable Weg zur Vermeidung der gesellschaftsrechtlichen Problematiken ist, sollte jeder Alleingesellschafter einer MVZ-GmbH eine derartige Vollmacht erteilen.
Des Weiteren ist unbedingt darauf zu achten, dass die Gründungsvoraussetzungen innerhalb der sechsmonatigen Frist schnellstmöglich wiederhergestellt werden. Darüber hinaus kann es erforderlich sein, das Zulassungsentziehungsverfahren durch die Einlegung von Rechtsbehelfen möglichst lange hinauszuzögern, um in der Übergangszeit einen neuen ärztlichen Leiter ernennen zu können. Da dieses Vorgehen jedoch Risiken birgt, sollte das Fortbestehen einer ärztlichen Leitung bereits zu Lebzeiten des Alleingesellschafters durch die Erteilung einer Handlungsvollmacht oder Prokura abgesichert werden.
Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.Boykott des Aufsichtsrats durch dauerhaftes Fernbleiben? – BGH erteilt gerichtlicher Ergänzung eine Absage
Die Blockade des Aufsichtsrats durch wiederholtes Fernbleiben eines Aufsichtsratsmitglieds führt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht zu einem Anspruch auf gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats, selbst wenn der Aufsichtsrat dadurch dauerhaft beschlussunfähig ist. Mit seinem Beschluss vom 9. Januar 2024 (Az. II ZB 20/22) bestätigt der BGH die Entscheidung eines Registergerichts. Stattdessen, so der BGH, ist auch in einem dreiköpfigen Aufsichtsrat ein Beschluss über die Antragstellung auf gerichtliche Abberufung eines boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds nach § 103 Abs. 3 AktG ohne Teilnahme des dauerhaft boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds an der Abstimmung mit den Stimmen der beiden anderen Aufsichtsratsmitglieder wirksam möglich. Ob dies in der Praxis ausreichend ist, die Blockade durch passive Aufsichtsratsmitglieder zu unterbinden, erscheint sehr fraglich.
HintergrundBleibt ein Mitglied eines dreiköpfigen Aufsichtsrats einer Sitzung fern, ist der Aufsichtsrat nicht beschlussfähig. Dies kann den Aufsichtsrat funktionsunfähig machen. Die Aktionäre können ein solches Aufsichtsratsmitglied zwar – auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes – jederzeit abberufen, es bedarf jedoch der gesetzlich oder satzungsmäßig hierfür vorgesehenen, meist qualifizierten Mehrheiten. Der Aufsichtsrat selbst kann bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds – das dauerhafte Fernbleiben dürfte einen solchen wichtigen Grund darstellen – einen Antrag auf gerichtliche Abberufung stellen, sofern er beschlussfähig ist und wiederum die entsprechenden Mehrheiten gegeben sind. Die gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats ist hingegen nur möglich, wenn der Aufsichtsrat über eine gewisse Zeit unterbesetzt ist, da ihm nicht die erforderliche Anzahl an Mitgliedern angehört.
Mit seiner Entscheidung beendet der BGH eine Diskussion in der Literatur, ob und inwieweit ein Aufsichtsratsmitglied, das die Arbeit des Gremiums durch Fernbleiben boykottiert, einem ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglied gleichgesetzt und der Aufsichtsrat gerichtlich ergänzt werden kann. So begrüßenswert diese Klarheit erscheinen mag, so sehr kann sie die Praxis vor unübersehbare Schwierigkeiten stellen und die Gesellschaft dauerhaft handlungsunfähig machen.
SachverhaltEine Aktiengesellschaft mit einem dreiköpfigen Aufsichtsrat hatte zwei Aktionäre, zwei Gesellschaften, die hälftig beteiligt waren. Ein Aufsichtsratsmitglied war die Mutter der Gesellschafter einer der Aktionäre und somit nahestehende Person. Diese Gesellschafter und das Aufsichtsratsmitglied bildeten eine Erbengemeinschaft. Als die Aktiengesellschaft Ansprüche gegenüber dieser Erbengemeinschaft geltend machen wollte, wozu der Vorstand der Zustimmung des Aufsichtsrats bedurfte, blieb das Aufsichtsratsmitglied den Aufsichtsratssitzungen fern. Damit war der Aufsichtsrat beschlussunfähig und die Gesellschaft handlungsunfähig.
BeschlussfähigkeitGemäß § 108 Abs. 2 Satz 2 AktG ist der Aufsichtsrat vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen oder satzungsmäßigen Bestimmung nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen er nach Gesetz oder Satzung zu bestehen hat, an der Beschlussfassung teilnimmt. Auf den ersten Blick würden demnach zwei Mitglieder für die Beschlussfassung ausreichen. Wie nachfolgender Satz 3 der genannten Bestimmung jedoch zwingend festlegt, haben immer mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfassung des Aufsichtsrats teilzunehmen. Umgekehrt gesprochen: Ein einzelnes Mitglied kann jede Beschlussfassung des Aufsichtsrats blockieren, indem es an der Beschlussfassung nicht teilnimmt, insbesondere den Sitzungen fernbleibt.
Selbst in größeren Gremien können dauerhaft abwesende Aufsichtsratsmitglieder die Beschlussfassung boykottieren, wenn Satzung oder Geschäftsordnung über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende oder sehr spezielle Teilnahme- und Mehrheitserfordernisse vorsehen.
Schwächen der Abhilfemöglichkeiten in der Praxis1. Die Abberufung durch die Hauptversammlung
Ein Aufsichtsratsmitglied, das seinen Aufgaben nicht nachkommt, insbesondere an Sitzungen und Beschlussfassungen nicht teilnimmt, kann durch die Hauptversammlung jederzeit abberufen werden, § 103 Abs. 1 AktG. Auf die Untätigkeit kommt es dabei nicht einmal an, es bedarf also für die Abberufung keines Grundes. Eine – oftmals unüberwindbare – Hürde liegt lediglich darin, dass Mitglieder des Aufsichtsrats zwar mit einfacher Mehrheit gewählt, jedoch von Gesetzes wegen nur mit Dreiviertel der Stimmen abberufen werden können, sofern nicht die Satzung eine andere Mehrheit und weitere Erfordernisse bestimmt, was äußerst selten der Fall ist; es soll ein beliebiges "Hinein-Hinaus" vermieden werden. Verfügt ein Aktionär oder ein Aktionärslager also über die einfache Mehrheit, kann der Aufsichtsrat zwar allein nach deren Vorstellung besetzt werden, eine Abberufung ist hingegen nur mit entsprechender Unterstützung weiterer Aktionäre möglich. Selten wird der Aufsichtsrat, insbesondere von kleinen Aktiengesellschaften jedoch allein nach dem Willen des über die einfache Mehrheit verfügenden Mehrheitsaktionärs besetzt. Die Aktionäre versuchen vielmehr die Verhältnisse der Kapitalbeteiligungen oder Familienstämme und dergleichen abzubilden.
In der Konstellation mit zwei paritätisch beteiligten Aktionären wird neben zwei Repräsentanten dieser Anteilseigner oftmals ein neutrales Aufsichtsratsmitglied gewählt; alternativ teilen sich die Aktionärslager in entsprechenden Verabredungen die Besetzung des Aufsichtsrats einerseits und die des Vorstands andererseits auf. Der Boykott des Aufsichtsrats durch Fernbleiben von seinen Sitzungen stört diese Machtbalance empfindlich und kann in Streitfällen wegen der von Gesetzes wegen erforderlichen Dreiviertel-Mehrheit gerade nicht (mehr) durch die Abberufung dieses Mitglieds mittels Hauptversammlungsbeschluss gelöst werden.
2. Der Antrag des Aufsichtsrats auf gerichtliche Abberufung
Darüber hinaus bietet das Gesetz nur eine Abhilfemaßnahme an. Liegt in der Person des Aufsichtsratsmitglieds ein wichtiger Grund vor, kann dieses vom Gericht abberufen werden, § 103 Abs. 3 AktG. Die gerichtliche Abberufung setzt jedoch einen Antrag des Aufsichtsrats selbst voraus. Damit steht bereits die rechtliche Frage im Raum, wie der Aufsichtsrat diese Antragstellung beschließen soll, wenn er aufgrund des Fernbleibens eines Mitglieds gar nicht beschlussfähig ist. Ungeachtet dessen stellt sich weiter die praktische Frage, wie in den vorgenannten Konstellationen eine Mehrheit innerhalb des Aufsichtsrats zustande kommen soll, wenn ein entsprechender Teil der Aufsichtsratsmitglieder im Lager des boykottierenden Mitglieds steht. Damit ist auch dieses Schwert in den meisten Fällen wohl viel zu stumpf und scheidet als Abhilfemöglichkeit aus.
3. Die gerichtliche Ergänzung bei Unterbesetzung
Somit kommt es zu der hier entschiedenen Frage, ob und inwieweit der Aufsichtsrat gemäß § 104 Abs. 1 AktG gerichtlich ergänzt werden kann. Den Antrag hierzu kann nämlich unter anderem auch der Vorstand, ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied oder ein einzelner Aktionär stellen. Bei einem Dauerboykott wird nach dieser Auffassung angenommen, dass dem Aufsichtsrat zumindest faktisch nicht die zur Beschlussfähigkeit nötige Zahl von Mitgliedern angehört.
Dieser Annahme ist der BGH nun entgegengetreten. Das dauerhafte Fernbleiben ist nicht mit dem Ausscheiden, etwa durch Tod oder Niederlegung, zu vergleichen. Damit bleibt nur die Möglichkeit der Abberufung durch die Hauptversammlung oder – bei Annahme eines wichtigen Grundes und Zustandekommen eines Antrags des Aufsichtsrats – durch das Gericht. Im Wege teleologischer Reduktion weitet der BGH im Zuge seiner Entscheidung die Beschlussfähigkeit des § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG über seinen ausdrücklichen Wortlaut hinaus aus, indem er dem Aufsichtsrat zubilligt, über diesen Antrag auf gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund auch ohne Beteiligung des boykottierenden Mitglieds, d.h. durch nur zwei Mitglieder beschließen zu können. Ähnliche pragmatische, wenngleich dogmatisch nicht überzeugende Lösungen hatte der BGH bereits im Falle eines Stimmverbots eines Aufsichtsratsmitglieds geschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2007, Az. II ZR 325/05).
Bedeutung der Entscheidung für die PraxisDie Auffassung des BGH ist konsequent und entspricht dem Wortlaut und der Intention des Gesetzes. Gleichwohl hilft sie betroffenen Gesellschaften, die das boykottierte Aufsichtsratsmitglied nicht einfach abwählen und durch ein neues ersetzen können, sondern stattdessen auf gerichtliche Hilfe angewiesen sind, kaum.
Letztlich klafft in diesen Fällen eine Lücke im Gesetz, die der BGH durch seine Entscheidung gerade nicht geschlossen hat - ob bewusst oder unbewusst, wird nicht klar. Letzteres erscheint nicht ausgeschlossen. So verweist der BGH ausdrücklich darauf, dass der Blockade des Aufsichtsrats durch Abberufung des boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds zu begegnen sei. Des Weiteren, so der BGH, könnten die verbleibenden Aufsichtsratsmitglieder einen Antrag zu Gericht stellen, das boykottierende Aufsichtsratsmitglied aus wichtigem Grund abzuberufen. Dies kommt in vielen Fällen jedoch nicht in Betracht, da die Stimm- oder Interessenverhältnisse unter den Aktionären oder Aufsichtsratsmitgliedern dies nicht zulassen. Umgekehrt gesprochen: Vorstand und Aufsichtsrat nehmen gerichtliche Hilfe in der Regel erst dann in Anspruch, wenn die Aktionäre oder der Aufsichtsrat als Gremium sich gerade nicht auf die Abberufung des boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds oder einen Antrag zu Gericht auf Abberufung aus wichtigem Grund verständigen können. Der Antrag auf Ergänzung des Aufsichtsrats dürfte im Fall eines dauerhaft boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds Ultima Ratio sein. Anders als der BGH meint, dürfte die vom BGH beschriebene Lösung in einer Vielzahl der Fälle gerade nicht in Betracht kommen.
Oftmals sind die Machtverhältnisse wohlaustariert und jede Störung dieser Machtbalance kann substanziellen Streit auslösen und damit Schaden verursachen. Hierunter hat in erster Linie die Gesellschaft, allen voran der Vorstand zu leiden; man denke insbesondere an Geschäfte, für die er nach Gesetz, Satzung oder Geschäftsordnung der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf. Welcher Schaden entstehen kann, wenn ein Aufsichtsrat aufgrund dessen über längere Zeit nicht handlungsfähig ist und wichtige Beschlüsse nicht fassen kann oder aber unliebsame Aufsichtsratsmitglieder dies bis an die Grenze der Strafbarkeit missbrauchen, hat der BGH offensichtlich nicht bedacht.
KonfliktvermeidungStattdessen sollte, soweit es möglich ist, bereits in der Satzung oder – sofern aus Gründen der Rechtssicherheit nicht möglich – in einer Aktionärsvereinbarung Vorsorge für den Fall getroffen werden, dass ein Aufsichtsratsmitglied mittels Fernbleibens die Aufsichtsratstätigkeit boykottiert, d.h. bei Vorliegen eines wichtigen Grundes in seiner Person abberufen werden kann, im Zweifel durch bestimmte Aktionäre, insbesondere durch das "gegnerische" Lager. Zumindest jedoch sollte ein Anspruch darauf vereinbart werden, dass die Hauptversammlung es abberuft und durch ein neues ersetzt. Außerdem kommt die Festlegung einer von § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG abweichenden Dreiviertel-Stimmenmehrheit in der Satzung in Betracht.
Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.EU Company Certificate: der europäische Handelsregisterauszug kommt
Im grenzüberschreitenden Verkehr sind zuverlässige Informationen über Gesellschaften von Bedeutung. Wer bisher nach Name, Sitz, Rechtsform oder gesetzlichen Vertretern einer Gesellschaft sucht, muss auf die nationalen Handelsregisterdaten zurückgreifen. Dabei gibt es allerdings große Unterschiede. So stellen etwa Malta, Zypern und Irland keine zuverlässigen Angaben über die Vertretungsbefugnis zur Verfügung. Der europäische Gesetzgeber möchte die divergierenden Standards harmonisieren. Beruhend auf einem Richtlinienvorschlag der Kommission haben sich der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament im März 2024 auf den Entwurf für eine Richtlinie zur Ausweitung und Optimierung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (kurz: GesRRL-E) verständigt. Herzstück der Richtlinie ist die EU-Gesellschaftsbescheinigung (EU Company Certificate) (kurz: EUGB; engl.: EUCC), die künftig als "Ausweis" für Kapital- und Personengesellschaften im grenzüberschreitenden Verkehr dienen soll. Die EUGB ist vergleichbar mit dem aktuellen Abdruck aus dem deutschen Handelsregister.
Inhalt der EUGBDie EUGB dient als Nachweis für die Existenz von Kapitalgesellschaften (in Deutschland: AG, KGaG, GmbH) und Personenhandelsgesellschaften (in Deutschland: OHG, KG). Darüber hinaus enthält die EUGB insbesondere folgende Informationen (Art. 16b Abs. 2 GesRRL-E):
- Name der Gesellschaft
- Rechtsform
- Sitz der Gesellschaft
- Kontaktanschrift der Gesellschaft, z.B. Postanschrift oder E-Mailadresse
- Tag der Eintragung der Gesellschaft
- Betrag des gezeichneten Kapitals (nur bei Kapitalgesellschaften)
- Angaben zu den vertretungsberechtigten Personen und deren Vertretungsmacht
- Zweck und Dauer der Gesellschaft
- Status der Gesellschaft (Insolvenz, Liquidation, wirtschaftlich aktiv/inaktiv)
Angaben über die Gesellschafter sind bei Kapitalgesellschaften nicht vorgesehen. Bei Personenhandelsgesellschaften werden hingegen Angaben zu den vertretungsberechtigten Gesellschaftern enthalten sein. Bei Kommanditgesellschaften wird die EUGB Auskunft zu den Komplementären und Kommanditisten geben. Zudem werden die Einlagen der Kommanditisten ersichtlich sein.
Ausstellung auf AntragDie Ausstellung der EUGB erfolgt – auf Antrag - durch die nationalen Register elektronisch und in Papierform. Daneben soll eine elektronische Fassung der EUGB auch über das System der Registervernetzung (Business Registers Interconnection System – BRIS) erhältlich sein. Über das BRIS sind seit 2017 die Unternehmensregister aller EU-Mitgliedstaaten miteinander vernetzt. Informationen aus dem BRIS sind über das Europäische Unternehmensregister öffentlich abrufbar.
Jede Gesellschaft soll ihre EUGB beantragen können. Unklar ist nach dem Richtlinienentwurf, ob auch Dritte (auf Antrag) Zugang zur EUGB erhalten sollen und ob ein berechtigtes Interesse erforderlich sein wird. Der Richtlinienentwurf verhält sich dazu nicht explizit. Unter Verweis auf den weiten Wortlaut des Richtlinienentwurfs ist derzeit richtigerweise von einer Zugangsmöglichkeit für Dritte ohne berechtigtes Interesse auszugehen (siehe Art. 16b Abs. 4 GesRRL-E). Dies sollte der europäische Gesetzgeber noch klarstellen.
Der Richtlinienentwurf sieht die zwingende Ausstellung und Anerkennung der EUGB in allen Mitgliedstaaten vor (Art. 16b Abs. 1 GesRRL-E). Grundsätzlich dürfen nationale Stellen (z.B. eine Behörde oder ein Gericht) die in der EUGB enthaltenen Informationen nicht überprüfen. Lediglich bei begründeten Zweifeln über den Ursprung oder die Echtheit der EUGB können die nationalen Stellen die Anerkennung verweigern. Vor der Verweigerung müssen nationalen Stellen jedoch ein begründetes Informationsersuchen an die ausstellende Behörde richten. Kann die Authentizität nicht bestätigt werden, können die nationalen Stellen die Anerkennung verweigern (Art. 16e GesRRL-E). Dasselbe gilt bei Anhaltspunkten für Missbrauch oder Betrug. In diesen Fällen ist das ausstellende Register zu kontaktieren (Art. 16ea GesRRL-E).
Ob Dritte auf die Richtigkeit der in einer EUGB enthaltenen Angaben vertrauen dürfen, ist nicht ausdrücklich geregelt, dürfte aber aufgrund der Erwägungsgründe des Richtlinienentwurfs anzunehmen sein (siehe etwa Ewg. 24a S. 1-3 GesRRL-E).
Wie aktuell sind die Informationen aus der EUGB?Die in einer EUGB enthaltenen Angaben sind nur dann verlässlich, wenn sie regelmäßig aktualisiert werden. Daher müssen Gesellschaften alle Änderungen der relevanten Informationen innerhalb von höchstens 15 Arbeitstagen dem nationalen Register, also in Deutschland dem elektronischen Handelsregister, mitteilen (Art. 15 Abs. 1, 2a) GesRRL-E). Kommen Gesellschaften ihrer Aktualisierungspflicht nicht oder nicht fristgerecht nach, sollen die Mitgliedstaaten wirksame und verhältnismäßige Sanktionen sicherstellen (Art. 28 Satz 1 b) GesRRL-E). Wie solche Sanktionen konkret aussehen, lässt der Richtlinienentwurf allerdings offen.
SpracheDie Kommission wird ein Muster für die EUGB in allen Amtssprachen veröffentlichen, sodass Einheitlichkeit gewährleistet ist. Nicht geregelt ist, ob nationale Behörden die EUGB auch in allen Amtssprachen der EU ausstellen müssen. Derartige Einzelheiten werden erst den nationalen Umsetzungsregelungen oder ggf. einer europäischen Durchführungs-Verordnung zu entnehmen sein.
KostenJede Gesellschaft soll ihre EUGB grundsätzlich kostenfrei elektronisch erhalten können. Ausnahmsweise dürfen die Verwaltungskosten verlangt werden, wenn die Ausstellung der EUGB bei Registern einen schwerwiegenden finanziellen Schaden verursachen würde. Mindestens einmal jährlich soll die Gesellschaft ihren Auszug in jedem Fall kostenfrei erhalten können (Art. 16b Abs. 5 GesRRL-E).
Anmerkungen für die PraxisDie neue EUGB kann dazu beitragen, den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr in der EU zu vereinfachen und birgt Einsparungspotential für Bürokratiekosten. Zudem erhöhen die geplanten Mindestkontrollstandards bei der Erfassung von Gesellschaftsinformationen das Vertrauen in die Richtigkeit der veröffentlichen Daten.
In der Praxis bleibt das Risiko einer ungenügenden Kontrolle der Aktualität der Gesellschafts-daten. Das gilt insbesondere für Mitgliedsstaaten, deren Registerinformationen weiter von den Vorgaben der neuen EUGB entfernt sind. Hier sollte nach der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht beobachtet werden, wie streng die Mitgliedsstaaten Verstöße gegen die Aktualisierungspflichten ahnden. Wünschenswert wäre eine ausdrückliche Regelung, wonach sich jeder Geschäftspartner auf die Richtigkeit der Angaben in der EUGB verlassen kann.
Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.Информационное письмо: Регистрация товарного знака с элементом "№1" может повлечь ответственность правообладателя
Даже неохраняемые элементы товарного знака могут повлечь ответственность правообладателя в связи с нарушением антимонопольного законодательства – разъяснил Президиум Суда по интеллектуальным правам ("Суд").
Обстоятельства делаПравообладатель зарегистрировал ряд российских товарных знаков, в качестве неохраняемых элементов которых выступали практически все слова, цифры и символы, в том числе слово "дихлофос" и обозначение "№1".
По мнению Федеральной антимонопольной службы ("ФАС России") указанные обозначения позволяли сделать вывод о превосходстве товара одного производителя над другим.
Доводы правообладателя о том, что в его линейке продукции использовались также обозначения "дихлофос №2" и "дихлофос №3" были расценены ФАС России в качестве намерения создать видимость добросовестности приобретения и использования товарных знаков.
Выводы Президиума Суда по интеллектуальным правамВо-первых, по мнению Суда, правообладатель приобрел исключительные права на спорные товарные знаки с целью "получения формальной возможности использовать" в оформлении своей продукции обозначение " № 1", которое представляет собой форму некорректного сравнения.
Во-вторых, обозначение " № 1" не только привлекает внимание потребителей, но и создает у них впечатление о превосходстве товара правообладателя над аналогичными.
В-третьих, такими действиями могут быть причинены убытки конкурентам из-за перераспределения спроса на товары.
Суд сделал вывод, что непосредственно действия по (1) приобретению и (2) использованию товарного знака с включением в него слов "лучший", "первый", "номер один", " № 1" могут быть квалифицированы в качестве акта недобросовестной конкуренции.
Причем Суд подчеркнул, что в данном случае нарушен именно запрет на недобросовестную конкуренцию, связанную с использованием исключительного права на средства индивидуализации. В этом заключается особенность данного дела, так как обычно дела по незаконному использованию обозначений "лучший", "номер один" и проч. квалифицируются как нарушение другого запрета – запрета на недобросовестную конкуренцию путем некорректного сравнения.
Выводы и рекомендацииДанное дело еще раз показывает, что недобросовестной конкуренцией может быть признан любой акт конкуренции, противоречащий честным обычаям в промышленных и торговых делах.
При регистрации и приобретении исключительных прав на товарные знаки следует проверять не только соответствие выбранного обозначения требованиям гражданского законодательства и регламентам регистрирующего органа, но и проводить юридическую проверку на предмет соответствия обозначения требованиям антимонопольного законодательства.
Игнорирование данных шагов может привести как к привлечению правообладателя к ответственности за нарушение антимонопольных запретов, так и к аннулированию его товарного знака.
Мы всегда готовы оказать комплексное юридическое сопровождение по вопросам антимонопольного законодательства и законодательства об интеллектуальной собственности.
1 Постановление Президиума Суда по интеллектуальным правам от 11.04.2024 № С01-99/2024 по делу № СИП-439/2023.2 Российские товарные знаки № 756235, 789741, 819398.
3 Ст. 14.4 Федерального закона от 26.07.2006 № 135-ФЗ "О защите конкуренции".
4 Ст. 14.3 там же.
5 Ст. 10.bis Парижской конвенции по охране промышленной собственности от 20.03.1883.
С уважением,
Update AI Act – die zehn wichtigsten Fragen für Anwender von KI-Systemen
Nachdem im Dezember 2023 medial wirksam die politische Einigung bezüglich des AI Acts verkündet worden war, wurde am 13. März 2024 die nunmehr vorläufig finale Fassung verabschiedet. Der AI Act wurde vom Europaparlament mit einer überwältigenden Mehrheit von 523 zu 46 Stimmen angenommen. Nun stehen nur noch die Überprüfung durch Rechts- und Sprachsachverständige aus sowie die förmliche Annahme der Verordnung durch den Rat. Hiermit wird vor dem Ende der aktuellen Wahlperiode (respektive bis Juli 2024) gerechnet.
Unbestreitbar müssen Hersteller von KI-Systemen die Regelungen des AI Acts befolgen und beobachten die europäische Regulierung daher sicherlich mit großer Aufmerksamkeit. Allerdings sei selbiges auch Unternehmen, die KI "nur" im Einsatz haben, geraten. Nachfolgend haben wir die zehn praxisrelevanten Fragen zusammengestellt, die sich Unternehmen stellen sollten, die KI im Einsatz haben bzw. zum Einsatz bringen möchten.
1.Welche Unternehmen müssen die Regelungen des AI Act beachten?Der Großteil der Regelungen des AI Acts befasst sich mit den verbotenen sowie mit Hochrisiko-KI-Systemen und den hieraus resultierenden Verpflichtungen für Anbieter, daneben auch für Einführer und Händler entsprechender KI-Systeme. Dies bedeutet allerdings nicht, dass man sich als Nutzer eines KI-Systems nunmehr im Sessel zurücklehnen könnte. Im Gegenteil: auch Nutzer (im AI Act als "Betreiber" bezeichnet) von KI-Systemen werden vom AI Act erfasst und müssen umfangreiche Verpflichtungen erfüllen.
Es unterfallen nicht nur Unternehmen mit Sitz in der EU dem AI Act, vielmehr werden auch außerhalb der EU ansässige Anbieter und Nutzer erfasst, sofern der von den KI-Systemen erzeugte Output in der EU Verwendung findet;
2. Ausgenommene AnwendungsbereicheZunächst nimmt der AI Act den Einsatz von KI durch natürliche Personen für rein persönliche, nicht berufliche Zwecke vom Anwendungsbereich aus. Ebenfalls vom Anwendungsbereich ausgenommen sind KI-Systeme, die ausschließlich im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung entwickelt und eingesetzt werden.
Bedeutung erlangen könnte zukünftig die Regelung, dass der AI Act nicht für bestimmte KI mit freien und quelloffenen Lizenzen (Open Source) gilt. Eine weitere bedeutende Ausnahme sieht der AI Act für den Einsatz von KI-Systemen im Bereich des Militärs, der Verteidigung und der nationalen Sicherheit vor. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen die Möglichkeit, weitere Ausnahmen zu regeln. So können sie beispielsweise im Rahmen der Verwendung von KI-Systemen durch Arbeitgeber weitere Rechts- und Verwaltungsvorschriften zum weitergehenden Schutz von Arbeitnehmern vorsehen.
3. Verbotene KI-SystemeKI-Systeme, von denen ein inakzeptables Risiko ausgeht, werden gemäß Art. 5 AI Act gänzlich untersagt. Dazu gehören KI-Systeme der nachfolgenden acht Bereiche:
- Techniken unterschwelliger Beeinflussung außerhalb des menschlichen Bewusstseins, um das Verhalten einer Person erheblich zu beeinflussen bzw. ihr Schaden zuzufügen
- das gezielte Ausnutzen des Schutzbedürfnisses bestimmter Personengruppen aufgrund ihres Alters oder einer Behinderung
- Social Scoring
- Verwendung sogenannter Profiling-Systeme, mit denen das Risiko natürlicher Personen, eine Straftat zu begehen, bewertet oder vorhergesagt werden kann
- Ungezielte Erfassung (Scraping) von Gesichtsbildern aus dem Internet oder aus Video-überwachungsanlagen zur Erstellung von Gesichtserkennungsdatenbanken
- Einsatz von Emotionserkennungssystemen am Arbeitsplatz und in Bildungseinrichtungen
- Die Verwendung von Systemen zur biometrischen Kategorisierung
- Die Verwendung biometrischer Echtzeit-Fernidentifizierungssysteme im öffentlich zugänglichen Räumen zu Strafverfolgungszwecken (wobei diese in enge Grenzen für zulässig erklärt wird)
Kernstück des AI Acts sind die Regelungen zu den sogenannten Hochrisiko-KI-Systemen. Grundsätzlich gelten KI-Systeme dann als Hochrisiko-KI-Systeme, wenn von ihnen erhebliche Gefahren für die Grundrechte ausgehen.
Ein Hochrisiko-KI-System liegt vor, wenn ein KI-System als Sicherheitsbauteil für ein Produkt verwendet wird, das unter die in Anhang I aufgelisteten Harmonisierungsrechtsvorschriften der EU fällt oder selbst ein solches Produkt ist. Dazu zählen beispielsweise Maschinen, Spielzeug und Medizinprodukte.
Als Hochrisiko-KI-System wird ferner ein KI-System klassifiziert, welches in einen der folgenden Bereiche des Anhang III fällt:
- Biometrische Fernidentfizierungssysteme sowie KI-Systeme zur biometrischen Kategorisierung sowie zur Emotionserkennung
- Kritische Infrastruktur: Erfasst sind KI-Systeme, die bestimmungsgemäß als Sicherheitsbauteile in der Verwaltung und dem Betrieb kritischer digitaler Infrastruktur, dem Straßenverkehr oder der Wasser-, Gas-, Wärme- und Stromversorgung verwendet werden.
- Allgemeine und berufliche Bildung: Erfasst sind KI-Systeme, wenn diese für Entscheidungen über den Zugang natürlicher Personen zu Einrichtungen der allgemeinen oder beruflichen Bildung verwendet werden.
- Beschäftigung, Personalmanagement und Zugang zur Selbständigkeit: Erfasst sind KI-Systeme, die für die Analyse und Filterung sowie der Bewertung von Bewerber eingesetzt werden.
- Bestimmte grundlegende private und öffentliche Dienste und Leistungen: Hierunter fallen etwa KI-Systeme, die zur Prüfung der Kreditwürdigkeit und Bonität natürlicher Personen verwendet werden.
- Strafverfolgung
- Migration, Asyl und Grenzkontrolle
- Rechtspflege und demokratische Prozesse
Allerdings sieht der AI Act eine wichtige Ausnahme vor: KI-Systeme aus den zuvor genannten Kategorien des Annex III können unter bestimmten Voraussetzungen von der Klassifizierung als Hochrisiko-KI-System ausgenommen werden. Voraussetzung ist, dass kein erhebliches Risiko einer Schädigung der Gesundheit, Sicherheit oder Grundrechte von natürlichen Personen vorliegt. Beispielhaft genannt seien hier solche KI-Systeme, die dazu dienen, eine vom Menschen zuvor durchgeführte Tätigkeit zu verbessern. Gleiches gilt, wenn das KI-System lediglich dazu bestimmt ist, eine eng begrenzte verfahrenstechnische Aufgabe zu erfüllen. Die Beurteilung, ob eine solche Ausnahme vorliegt, ist im Rahmen einer Risikoevaluierung vom Unternehmen selbst vorzunehmen und entsprechend zu dokumentieren.
5. Welche Regelungen gelten für Betreiber von Hochrisiko-KI-Systemen?Unternehmen, die als Betreiber Hochrisiko-KI-Systeme einsetzen, müssen einen umfassenden Pflichtenkatalog erfüllen. Hierzu gehören beispielsweise die folgenden:
- Sie treffen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Hochrisiko-KI-Systeme in Übereinstimmung mit den Gebrauchsanweisungen verwendet werden.
- Sie übertragen natürlichen Personen die menschliche Aufsicht.
- Sie stellen sicher, dass Eingabedaten im Hinblick auf den Zweck des KI-Systems relevant und ausreichend repräsentativ sind.
- Sie überwachen den Betrieb der Hochrisiko-KI-Systems anhand der Gebrauchsanweisung und informieren gegebenenfalls die Anbieter bzw. bei schwerwiegenden Vorfällen auch den Einführer, Händler und die entsprechenden Behörden.
- Sie bewahren automatisch erzeugte Protokolle mindestens sechs Monate auf.
- Sofern sie gleichzeitig Arbeitgeber sind, informieren sie die betroffenen Arbeitnehmer und die Arbeitnehmervertreter über den Einsatz eines Hochrisiko-KI-Systems am Arbeitsplatz.
- Sie unterliegen einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den Behörden.
Die ursprünglich für alle Betreiber geforderte Grundrechte-Folgenabschätzung für Hochrisiko-KI-Systeme ist im aktuellen Verordnungstext nur noch für staatliche Einrichtungen sowie für private Unternehmen, die staatliche Aufgaben wahrnehmen, vorgesehen, ferner für solche Hochrisiko-KI-Systeme, in denen öffentliche Dienstleistungserbringungen, Kreditwürdigkeitsprüfungen oder risikobasierte Preisgestaltungen von Lebens- und Krankenversicherungen betroffen sind.
Betreiber können unter bestimmten Voraussetzungen auch selbst zum Anbieter eines Hochrisiko-KI-Systems werden und dann den strengeren Anbieterpflichten - beispielsweise die Einrichtung eines Risikomanagementsystems, die Durchführung eines Konformitätsbe-wertungsverfahrens sowie die Eintragung in eine EU-Datenbank - unterliegen. Ein solcher Wechsel der Verantwortlichkeit kommt dann zum Tragen, wenn ein Hochrisiko-KI-System unter eigenem Namen oder eigener Marke in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen oder aber eine wesentliche Änderung an einem Hockrisiko-KI-System vorgenommen wird.
6. Welche Pflichten treffen Betreiber von KI-Systemen, die keine Hochrisiko-KI-Systeme darstellen?Während für Betreiber von Hockrisiko-KI-Systemen der zuvor skizierte umfassende Pflichtenkatalog gilt, sind Betreiber von KI-Systemen, von denen nur ein geringes Risiko ausgeht, grundsätzlich nur gewissen Transparenzpflichten ausgesetzt. So muss offengelegt werden, wenn Inhalte wie Bilder, Videos oder Audioinhalte von einer KI erstellt oder verändert werden. Dieselbe Pflicht greift, wenn eine KI einen Text erstellt oder verändert, der zum Zweck der öffentlichen Information verbreitet wird.
7. Was gilt für KMU?Erklärtes Ziel des AI Acts ist es, einen innovationsfreundlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber regulatorische Erleichterungen für Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – einschließlich Start-Ups - mit Sitz in der EU festgeschrieben. So können KMU beispielsweise in den Genuss ideeller und finanzieller Unterstützung kommen. Schließlich sollen KMU unter bestimmten Bedingungen einen priorisierten und kostenlosen Zugang zu sogenannten regulatorischen Sandboxes erhalten. Schließlich können die Geldbußen gedeckelt werden.
8. Ab wann gilt der AI Act?Genaue Daten können aktuell noch nicht genannt werden, da für das Inkrafttreten des AI Acts noch die Veröffentlichung des finalen Gesetzestextes im Amtsblatt der EU erforderlich ist. Das Verbot von KI-Systemen greift bereits sechs Monate nach Inkrafttreten der Verordnung. Der Großteil der Vorschriften des AI Acts gilt 24 Monate nach Inkrafttreten. Demgegenüber gelten die für Hochrisiko-KI-Systeme festgeschriebenen Pflichten erst nach 36 Monaten.
9. Wie sind Verstöße gegen den AI Act sanktioniert?Die Nichteinhaltung der Vorgaben des AI Acts kann zu exorbitant hohen Geldstrafen führen. Diese variieren je nach Verstoß und Unternehmensgröße. Während bei Verstößen gegen verbotene KI-Systeme bis zu EUR 35 Millionen oder 7 % des weltweiten Jahresumsatzes drohen, können sonstige Verstöße gegen Verpflichtungen des AI Acts mit bis zu EUR 15 Millionen bzw. 3% des weltweiten Umsatzes sanktioniert werden. Für die Erteilung falscher Informationen kommen Bußgelder in Höhe von EUR 7,5 Millionen oder 1 % des Umsatzes in Betracht.
Mit der Durchsetzung werden diverse nationale und EU-weite Behörden beschäftigt, so dass ein komplexes Gefüge aus Zuständigkeiten und Abstimmungsverfahren entsteht. Welche Behörde in Deutschland für die Einhaltung der Vorgaben des AI Acts Sorge tragen wird, steht aktuell noch nicht fest. Im Gespräch sind die Bundesnetzagentur und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie.
10. ToDos für UnternehmenZunächst sollte im Unternehmen eine Ermittlung und Einordnung erfolgen, in welche Risikoklasse die verwendeten KI-Systeme einzuordnen sind. Aus dieser Kategorisierung leiten sich dann die Erfordernisse für deren ordnungsgemäße Nutzung ab. Insbesondere für zukünftige Projekte gilt es, die entsprechend mit KI im Unternehmen betrauten Abteilungen frühzeitig einzubinden, so dass eine hinreichende Prüfung und Compliance mit den Vorschriften sichergestellt werden kann. Dies ist insbesondere mit Blick auf die hohen Bußgelder dringend zu empfehlen.
Einen weiteren Blogbeitrag zum Thema finden Sie unter diesem Link.
Gesamtvergabe statt Losaufteilung – Anforderungen an die Begründung
Die Vergabekammer des Bundes hat sich in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (Beschluss vom 29. Februar 2024, VK 2-17/24) mit der in der Praxis immer wiederkehrenden Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen vom Grundsatz der losweisen Vergabe abgewichen werden darf. Die Entscheidung betrifft einen Zwiespalt, in dem sich öffentliche Auftraggeber regelmäßig wiederfinden: Einerseits haben sie die Verpflichtung zur Erfüllung der Vorgabe des Vergaberechts, grundsätzlich eine Losaufteilung vorzunehmen, andererseits fordert die Fachseite häufig eine Gesamtvergabe und behauptet häufig, dies sei unvermeidbar.
Der SachverhaltMit dem zu vergebenden Auftrag wollte die Auftraggeberin durch eine Vielzahl von Bauarbeiten einen Autobahnabschnitt erneuern, bei dem es sich um einen stark frequentierten Teil handelt, welcher im Bundesverkehrswegeplan 2030 mit der Dringlichkeitsstufe "Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung" ausgewiesen wurde.
Sie schrieb diese unionsweit aus und wählte dabei eine Gesamtvergabe. Auf eine Aufteilung in Fachlose (Verkehrssicherung, Markierungsarbeiten, passive Schutzeinrichtungen) verzichtete die Auftraggeberin, um Synergieeffekte zu erzielen und die Bauzeit so gering wie möglich zu halten. Die Gründe hierfür dokumentierte die Auftraggeberin in einem Vermerk. Als wesentliche Gründe wurden dort aufgeführt:
- Verkürzung der Bauzeit bei Anwendung des Verfügbarkeitskostenmodells;
- Partizipation der Fachlos-Auftragnehmer an einer möglichen Beschleunigungsvergütung des Generalunternehmers;
- höhere Wirtschaftlichkeit in der Beschaffung;
- deutliche Verringerung von Sicherheitsrisiken;
- Vermeidung von Kompatibilitätsproblemen;
- zu erwartender erheblicher volkswirtschaftlicher Nutzen einer Bauzeitverkürzung.
Die Auftraggeberin hat in ihrem Vergabevermerk die geschätzten Bauzeiten bei den Modellen Gesamtvergabe/Verfügbarkeitskosten (Variante 3), Fachlosvergabe/Verfügbarkeitskosten (Variante 2) und Fachlosvergabe (Variante 1) gegenübergestellt. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass die von ihr präferierte Variante 3 mit der Gesamtvergabe die Bauzeit um 21 Tage (gegenüber Variante 2) bzw. 38 Tage (gegenüber Variante 1) verkürzen könnte.
Das Verfügbarkeitskostenmodell zeichnete sich dadurch aus, dass die Auftraggeberin dem zukünftigen Auftragnehmer die Beanspruchung der Fahrbahn zum Zwecke der Erledigung der Bauarbeiten gegen die Entrichtung von Verfügbarkeitskosten zur Verfügung stellt. Die Auftraggeberin gibt lediglich einen zeitlichen Rahmen vor, innerhalb dessen die Bauarbeiten fertiggestellt werden sollen. Die tatsächlich erforderliche Bauzeit ist Gegenstand der Angebote der Bieter und
wird - im Falle der Auftragserteilung - mit konkreten Baufristen vertraglich vereinbart. Kann der Auftragnehmer die Bauarbeiten früher abschließen als im Angebot vorgesehen, erhält er von der Auftraggeberin im Rahmen der Schlussrechnung einen Bonus, der umso höher ausfällt, je kürzer die tatsächliche Bauzeit im Vergleich zur angebotenen Bauzeit war.
Zuschlagskriterium ist ein fiktiver Wertungspreis. Dieser wird ermittelt aus der Wertungssumme des Angebots zuzüglich der anhand der angebotenen Anzahl an Werktagen zu wertenden Verfügbarkeitskosten.
Mit einem Nachprüfungsantrag wandte sich eine Bieterin - nachdem sie erfolglos gerügt hatte – gegen die Gesamtvergabe und beanstandete in erster Linie, dass die Verkehrssicherung nicht als separates Los ausgeschrieben worden war.
Die EntscheidungDie Vergabekammer des Bundes entschied, dass der Nachprüfungsantrag zwar zulässig, aber unbegründet sei. Die Auftraggeberin war im streitgegenständlichen Vergabeverfahren berechtigt, von einer Losaufteilung abzusehen.
§ 97 Abs. 4 S. 2 GWB normiere den Grundsatz der Losaufteilung. Dieser Grundsatz sei vorliegend zwar einschlägig, denn für die Teilleistung "Verkehrssicherung" bestehe, was auch auf Seiten der Auftraggeberin unbestritten war, ein eigenständiger fachlicher Markt. Daher sei nach § 97 Abs. 4 S.2 GWB grundsätzlich ein Fachlos zu bilden.
Allerdings gelte der Grundsatz nicht ausnahmslos. § 97 Abs. 4 S. 3 GWB erlaube die Gesamtvergabe, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Das habe die Auftraggeberin vorliegend beanstandungsfrei angenommen.
Hierbei habe die Auftraggeberin insbesondere die Gründe einer erhöhten Unfallgefahr im Baustellenbereich, volkswirtschaftliche Nachteile infolge von Zeitverlust durch Staugeschehen, ökologische Nachteile durch vermehrte staubedingte Emissionen sowie die Notwendigkeit von (vorübergehenden) Sperrungen von Anschlussstellen angeführt. Diese Gründe seien insgesamt geeignet, eine Ausnahme vom Grundsatz der Fachlosvergabe zu rechtfertigen. Die Vergabekammer hob zudem ausdrücklich hervor, dass (nicht berücksichtigungsfähige) verwaltungsinterne Eigeninteressen, wie etwa das Entfallen von Koordinierungsaufwand, der bei einer Gesamtvergabe nicht beim Auftraggeber, sondern beim Generalunternehmer läge, von der Auftraggeberin nicht angeführt wurden.
Die hinter dem besonderen Beschleunigungsinteresse stehenden Ziele seien wirtschaftlicher und technischer Natur im Sinne von § 97 Abs. 3 S. 3 GWB und gingen – soweit die erhöhte Unfallgefahr betroffen sei – sogar darüber hinaus, denn es gehe dabei um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer.
Zwar stellte die Vergabekammer zunächst fest, dass die von der Auftraggeberin genannten Nachteile regelmäßig mit Baustellen einhergingen, denn Baustellen führten sehr häufig zu Verkehrsstaus und stellten unfallträchtige Bereiche dar. Wolle man diese Gründe pauschal als Argument für eine Gesamtvergabe gelten lassen, so könne sich die Auftraggeberin bei Bauarbeiten an Bundesautobahnen stets auf technische und wirtschaftliche Gründe für eine Gesamtvergabe berufen, wodurch das Fachlosgebot ins Leere liefe.
Im vorliegenden Fall läge jedoch nicht nur ein allgemeines, sondern ein streckenabschnittbedingt spezifisches Beschleunigungsinteresse mit Bezug zum konkreten Vorhaben vor. Die Auftraggeberin berufe sich gerade nicht pauschal auf die angeführten Gründe, sondern stelle schon im Vergabevermerk auf die ganz konkrete Baustelle und deren Besonderheit ab. Aufgrund der extrem zugespitzten Verkehrssituation, welche die Auftraggeberin nachweisen konnte und aufgrund derer auch die Bundesregierung dem Projekt ein überragendes öffentliches Interesse attestierte, sei das hinter dem besonderen Beschleunigungsinteresse stehende Ziel einer schnellstmöglichen Beendigung der Baumaßnahme ein legitimer Grund für eine Gesamtvergabe.
Der Verzicht auf die Fachlosvergabe sei auch geeignet, eine schnellere Abwicklung des Bauvorhabens zu gewährleisten. Die Beschleunigung sei mit dem Verfügbarkeitsmodell angestrebt worden. Die Bauzeit werde in den Wettbewerb gestellt, indem die Bauunternehmer auf Bieterseite die von ihnen für erforderlich gehaltene Bauzeit individuell berechnen. Je kürzer die angebotene Bauzeit, desto geringer sei der (fiktive) Wertungspreis. Die individuell angebotene Bauzeit werde Vertragsinhalt.
Ein solches Vorgehen, bei dem die Bauzeit nicht auftraggeberseitig vorgegeben wird, sei jedoch bei einer losweisen Vergabe der Verkehrssicherung nicht möglich, da nur ein der Bauvergabe zeitlich nachfolgendes Vergabeverfahren in Betracht kommen könne. Denn der Auftraggeber könne für ein Fachlos keine Ausführungsfrist vorgeben, wenn diese im Wettbewerb von den Bauunternehmen erst anzubieten und daher auch erst mit Öffnung der Angebote und letztendlich mit Auftragserteilung an das Bauunternehmen bekannt sei. So habe ein Bauunternehmer in einem ähnlichen Verfahren ein Angebot abgegeben, das die Durchführung der Baumaßnahme nicht am Ende der Bauzeit verkürzte, sondern wonach eine Verkürzung der Gesamtbauzeit über einen zeitlich späteren Baubeginn erreicht werde. Damit wären, den Zuschlag auf dieses Angebot unterstellt, auch die Verkehrssicherungsleistungen zeitlich später zu erbringen. Zu lösen wäre dies nur über eine konsekutive Durchführung von zwei Vergabeverfahren, die aber den Beginn der Baumaßnahmen wiederum erheblich verzögern würde; der Bauauftragnehmer müsste mit Beginn der Bauausführung warten, bis auch das Fachlos vergeben ist. Werde aber für das Fachlos keine Ausführungsfrist vorgegeben, so sei dies wiederum vergaberechtlich angreifbar unter dem Gesichtspunkt der nicht ausreichenden Bestimmtheit der Leistungsbeschreibung, § 121 GWB.
Das Verfügbarkeitskostenmodell setze zudem voraus, dass der Bauunternehmer die Möglichkeit zu flexiblem Handeln und zu flexibler Absprache mit den anderen Gewerken habe, da die verschiedenen Gewerke auf der Baustelle ineinandergreifen. Diese Möglichkeit sei im Sinne einer Wahrscheinlichkeit eher gegeben, wenn das Bauunternehmen selbst Vertragspartner der Fachgewerke ist und die verschiedenen Unternehmen vor Ort auf der Baustelle flexiblere Absprachen treffen können, als wenn die Auftraggeberin als Vertragspartnerin der Fachgewerke zwischengeschaltet ist.
Der Verzicht auf Fachlose sei auch als "erforderlich" im Sinne von § 97 Abs. 3 S. 3 GWB zu bezeichnen. Die Erforderlichkeit sei nicht erst dann gegeben, wenn ein Losverzicht vollkommen alternativlos wäre, denn eine Alternativlosigkeit dürfte bei der Frage nach der Losaufteilung in der Praxis kaum vorkommen. Die Erforderlichkeit im Sinne der Norm, aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen von einer Losaufteilung abzusehen, sei vielmehr zu verstehen als eine konkrete Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Der Vergabekammer sei sich dabei durchaus bewusst, dass ein Verzicht auf die Losvergabe bei Fachlosen besonders schwer wiege, da die interessierten Fachunternehmen weitgehend ausgeschlossen seien und vornehmlich als Nachunternehmer am Auftrag partizipieren könnten. Zwar würde der konkrete Auftrag der Verkehrssicherung schlussendlich bei den Fachunternehmen ankommen, da die Bauunternehmen regelmäßig nicht auf die Erbringung dieser Leistungen eingerichtet seien, diese seien aber keine öffentlichen Auftragnehmer und damit in ihrer Entscheidung frei, welchen Nachunternehmer sie für die Verkehrssicherung einbinden wollen.
Die Vergabekammer hat bei ihrer Entscheidung zudem das vorliegende Vergabeverfahren sowohl im Kontext mit den übrigen Vergabeverfahren der Auftraggeberin – also in einer Gesamtschau – als auch isoliert betrachtet und diesbezüglich eine verhältnismäßige Anwendung des Ausnahmetatbestandes (über alle Vergabeverfahren der Auftraggeberin hinweg) angenommen. 90 Prozent aller Bauprojekte der Auftraggeberin seien konventionell, also losweise ausgeschrieben und beauftragt worden. Der besondere Beschleunigungsansatz werde nach der Auftraggeberin nur bei Abschnitten mit besonderer Belastung gewählt, an denen eine schnelle Abwicklung besonders wichtig sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht bei isolierter Betrachtungsweise. Das Projekt unterliege zulässigerweise einer besonderen Priorisierung mit der Folge eines besonderen und spezifischen Beschleunigungsbedürfnisses.
PraxistippDer Beschluss der Vergabekammer des Bundes stellt klar, dass die Ausnahme vom Gebot der losweisen Vergabe nach § 97 Abs. 4 S. 3 GWB einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand darstellt und zeigt anschaulich, welch hoher Begründungsaufwand betrieben werden muss, um einen Verzicht auf eine losweise Vergabe zu rechtfertigen. Die Aspekte, die bei jeder (losweisen) Vergabe auftreten und den Vergabestellen üblicherweise von der Fachseite als unüberwindbare Hindernisse und zwingende Gründe für eine Gesamtvergabe präsentiert werden, genügen in aller Regel nicht. Insbesondere die üblichen "Lästigkeiten" einer losweisen Beauftragung wie Koordinationsaufwände beim Auftraggeber, unterschiedliche Haftungssubjekte im Fall der Schlechtleistung, aber auch üblicherweise in Kauf zu nehmende zeitliche Verzögerungen, können ein Absehen vom Gebot der losweisen Vergabe nicht rechtfertigen. Vielmehr ist ein über den Normalfall hinausgehender besonderer Grund für die Gesamtvergabe nötig. Hierfür sind – insbesondere von den fachlichen Abteilungen - stichhaltige Gründe zu nennen. Diese sind – am besten wie hier geschehen in einem Vermerk, der zur Vergabeakte genommen wird – zu dokumentieren. Ein weiterer Grund für eine Gesamtvergabe wäre im Übrigen dann gegeben, wenn es (europaweit!) keinen entsprechenden Markt für die für ein Fachlos in Betracht kommenden Teilleistungen gibt. Dies kann im Einzelfall durch eine entsprechende Markterkundung vor Einleitung des Vergabeverfahrens ermittelt werden, die ebenfalls sorgfältig zu dokumentieren wäre.
Auffällig ist die zumindest ergänzend von der Vergabekammer des Bundes über die verschiedenen von der Auftraggeberin durchgeführten Verfahren hinweg angestellte Gesamtbetrachtung im Sinne der Frage, ob die Auftraggeberin insgesamt maßvoll mit dem Ausnahmetatbestand umgeht. Damit blickt sie in äußerst ungewöhnlicher Weise (vermutlich aufgrund entsprechenden Vortrags der Auftraggeberin) über den Tellerrand des zu beurteilenden Vergabeverfahrens hinaus auf die gesamte Vergabepraxis der Auftraggeberin. Welche Bedeutung dieser Aspekt für die Zulässigkeit der Gesamtvergabe im konkreten Fall aus vergaberechtlicher Sicht haben soll, lässt die Vergabekammer des Bundes aber offen. Tatsächlich ist nicht erkennbar, welche Relevanz das Vorgehen in anderen Verfahren, wenngleich derselben Auftraggeberin, für die Prüfung im konkret zu entscheidenden Fall haben sollte, da nur hinreichende Gründe im Einzelfall die Gesamtvergabe rechtfertigen können.
Solarpaket I – Starker Rückenwind für die dezentrale Gebäudeversorgung!
Nach zähen Verhandlungen hat die Bundesregierung nun das lang erwartete Solarpaket I verabschiedet. Dieses Gesetz, das im Entwurf bereits im August 2023 vorlag und viele Hoffnungen auf eine Deregulierung im Bereich des Photovoltaikausbaus erweckte, war zuletzt zum Sorgenkind der einschlägigen Verbände geworden, die z. T. daran zweifelten, ob es überhaupt noch erlassen würde. Diese Befürchtungen haben sich nicht bestätigt, obgleich das jetzt verabschiedete Solarpaket I punktuell vom ursprünglichen Entwurf abweicht.
Im Fokus des Gesetzes stehen (auch) Verbesserungen beim Mieterstrom, die Einführung der "gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung" als neues Modell für die Stromlieferung von Photovoltaikanlagen ("PV-Anlagen") im Gebäude sowie die "unentgeltliche Abnahme" als neue Vermarktungsform. Durch diese Änderungen ist der gesetzliche Grundstein zur flächendeckenden autonomen Stromversorgung durch Photovoltaik auf Mehrfamilienhausdächern und in Gewerbegebäuden gelegt. Daraus ergeben sich neue Chancen für dezentrale Liefermodelle für Energieversorgungsunternehmen, aber auch die originären Teilnehmer des Immobiliensektors. Vermieter können selbst oder durch die Vermietung der Dachfläche weiteres Wirtschaftspotential ihrer Immobilie erschließen.
Im Einzelnen:
Mieterstrom wird einfacherWährend die Mieterstromförderung (§ 21 Abs. 3 EEG und 42a EnWG) nach derzeitiger Rechtslage nur für Solaranlagen auf Wohngebäuden zulässig ist, soll dies zukünftig auch auf gewerblichen Gebäuden und Nebenanlagen (wie Garagen) möglich sein. Der Ort, an dem Mieterstrom verbraucht wird, ist nicht mehr auf Wohngebäude beschränkt.
Außerdem wurde durch das Solarpaket die maximale Laufzeit der Mieterstromverträge geändert: Sie wurde von einem auf zwei Jahre angepasst. Begrüßenswert ist ebenfalls, dass die Maximalvertragsdauer nunmehr nur dann gilt, sofern es sich beim Stromkunden um einen Verbraucher handelt.
Kehrseite dieser Deregulierung ist, dass Anlagenbetreiber und Letztverbraucher fortan nicht einem Unternehmensverbund angehören dürfen (Anlagenbetreiber müssen diesbezüglich eine Eigenerklärung abgeben). Hiermit sollen etwaige Förderungsmissbräuche verhindert werden.
Sowohl im Rahmen der gewerblichen als auch der Wohnraumvermietung wurde bislang häufig aufgrund der bestehenden regulatorischen Hürden auf die Inanspruchnahme des Mieterstromzuschlags verzichtet. Der geringe Förderbetrag rechtfertigte oft nicht die damit einhergehenden Verwaltungs- und Beratungskosten. Durch die genannten Liberalisierungen wird das Mietstrommodell nun insgesamt attraktiver.
Die neue Gemeinschaftliche GebäudeversorgungEin neues Liefermodell ist mit der "Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung" (§ 42b Abs. 1 EnWG) eingeführt worden. Das Modell steht unabhängig neben dem Mieterstrommodell und soll aufgrund der Befreiung vieler Lieferantenpflichten eine bürokratiearme Lieferung von Solarstrom innerhalb eines Gebäudes ermöglichen. Insbesondere besteht für den Betreiber der Gebäudestromanlage (Solaranlage) keine Pflicht zur Reststromlieferung.
Allein aufgrund der viertelstündlichen Messung (Strombezugsmengen des Letztverbrauchers müssen viertelstündlich gemessen werden), der Bestimmung des Aufteilungsschlüssels und der Zuordnung der Mengen zu den einzelnen Kunden stellen sich aber durchaus komplexe Fragen der Umsetzung.
Mieterstrom oder Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung?Die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (§ 42b EnWG) soll neben dem Mieterstrom (§ 42a EnWG) ein eigenständiges Modell für den erzeugungsnahen Verbrauch von Strom aus PV-Anlagen werden. Im Gegensatz zum Mieterstromlieferanten muss der Stromlieferant bei der Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung keine Vollversorgung anbieten. Dadurch entfällt die Pflicht, einen Vertrag über den Bezug von Reststrom für die Mieter abzuschließen und über eine Mischkalkulation abzurechnen. Aufgrund dieser und der Befreiungen von einigen Lieferantenpflichten ist bei der Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung – in Abgrenzung zum Mieterstrommodell – jedoch auch keine zusätzliche Förderung der gelieferten Strommengen vorgesehen. Die Einspeisung von Überschussstrom in das Netz wird dennoch wie gewohnt nach dem EEG vergütet, sofern nicht die unentgeltliche Abnahme gewählt wird.
Die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung könnte sich daher als unkompliziertere Versorgungsalternative, insbesondere in Wohn- oder gemischt genutzten Gebäuden, etablieren.
Direktvermarktung und Unentgeltliche AbnahmeDie Direktvermarktung von Überschussstrom stellte bislang eine Hürde für viele Projektierer dar, die ihre Anlagen absichtlich unterdimensionierten, um die Pflicht zur Direktvermarktung zu umgehen. Diese Pflicht greift nunmehr erst bei Anlagen mit einer installierten Leistung ab 200 kWp.
Solaranlagen im Segment 100 – 200 kWp können nun der unentgeltlichen Abnahme als Vermarktungsform zugeordnet werden. Für den eingespeisten Strom erhalten die Anlagenbetreiber keine Vergütung, müssen ihn aber auch nicht direktvermarkten lassen. Es liegt auf der Hand, dass diese Vermarktungsform nur dann sinnvoll ist, wenn ein sehr hoher dezentraler Verbrauch des Solarstroms absehbar ist.
FazitInsbesondere Gewerbeimmobilien bieten mit ihren großen Dachflächen ein bislang kaum ausgeschöpftes Flächenpotential für PV-Anlagen. Mit dem Solarpaket I werden wichtige Verbesserungen für die dezentrale Stromversorgung im Gebäudebereich umgesetzt. Es sorgt für eine Entbürokratisierung, öffnet weitere Dachflächenpotentiale und ermöglicht mehr Teilhabe durch Erweiterung der Lieferungsoptionen von Projektierern.
Dieses Potenzial kann jedoch noch weiter ausgeschöpft werden: So stehen, auch nach Meinungen der Verbände aus der jüngsten Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am 22. April 2024, noch einige Weichenstellungen aus. Zu diesen gehört etwa ein Rechtsrahmen für das Energy-Sharing, die Bemessung der Direktvermarkungsgrenze nach eingespeister Strommenge und eine Konkretisierung der Voraussetzungen für das Gewerbesteuerprivileg.
Nach dem Solarpaket I das Solarpaket II!
Einen Beitrag zu weiteren Verbesserungen für Solaranlagen finden Sie hier.
Solarpaket I - Weitere Verbesserungen für Solaranlagen
Wir berichteten zu den wichtigsten Neuerungen des Solarpakets I aus dem Blickwinkel der dezentralen Stromversorgung. Aber auch im Bereich der Projektierung von weiteren Solaranlagen sieht das Solarpaket I eine Reihe von Deregulierungen und Anreizen vor:
Flexibler Einsatz von BatteriespeichernMit der Einführung der Änderungsanträge der Koalition wurde eine Flexibilisierungsoption für den Einsatz von Stromspeichern im EEG aufgenommen:
Bisher wurde allein der Strom aus Erneuerbaren Energien (EE-Strom), der aus einem Batteriespeicher in das Netz eingespeist wurde, gefördert, wenn der Batteriespeicher ausschließlich und ganzjährig mit Strom aus EE-Strom geladen wurde. Das Solarpaket I sieht nunmehr im neuen § 19 Abs. 3a EEG vor, dass der EE-Strom auch dann gefördert werden kann, wenn der einspeisende Batteriespeicher nicht ganzjährig mit EE-Strom geladen wird. Der Betreiber des Stromspeichers kann unterjährig fünfmal den Betriebsmodus seines Speichers wechseln, wobei jeder Zeitabschnitt mindestens zwei Monate andauern muss. Für Zeiträume in denen ausschließlich EE-Strom eingespeichert wird, bleibt die Eigenschaft als EE-Anlage und somit der Anspruch auf EEG-Vergütung bestehen.
Ausschreibung von größeren AnlagenDie maximale Gebotsmenge von Solaranlagen im ersten Segment ist von 20 auf 50 MWp angehoben worden. Diese begrüßenswerte Änderung erlaubt es Projektierern, Anlagen fördern zu lassen, die aufgrund von Skaleneffekten kosteneffizienter sind.
Opt-Out-Regelung für benachteiligte Gebiete
Die Stromerzeugung aus Solaranlagen wird u. a. dann gefördert, wenn sich die Anlagen auf einem sog. "benachteiligten Gebiet" befinden. Bislang hatten die Bundesländer die Möglichkeit, ihre benachteiligten Gebiete für die Erzeugung von EE-Strom zu öffnen, aber waren hierzu nicht verpflichtet (sog. "Opt-In-Regelung").
Diese Regelung ist nun in ein Opt-Out umgekehrt worden: Benachteiligte Flächen sind nun gesetzlich (und daher ohne Zustimmung der Bundesländer) als geöffnet zu bewerten. Mindestens ein Prozent der landwirtschaftlichen Flächen eines Bundeslandes müssen bis Ende des Jahres 2030 geöffnet werden. Danach steigt der Mindestanteil auf 1,5 Prozent. Werden diese Schwellenwerte überschritten, kann das Bundesland bestimmte benachteiligte Gebiete wieder für die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien schließen.
Überdies sind die benachteiligten Gebiete nunmehr auch für Freiflächenanlagen geöffnet, die nicht an Ausschreibungen teilnehmen. Damit können benachteiligte Flächen auch durch Projektierer kleiner Anlagen (Nennleistung unter 750 kWp) beansprucht werden.
Duldungspflicht für den Netz- und LeitungsausbauProjektierer von Solaranlagen können mit Einführung des Solarpakets I von den Nutzungsberechtigten öffentlicher Grundstücke verlangen, dass diese die Errichtung von Leitungen dulden. Dies soll maßgeblich zur Beschleunigung von Erneuerbaren-Energien-Projekten und dem Netzausbau beitragen. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf hatte noch vorgesehen, dass grundsätzlich alle (also auch private) Grundstückseigentümer dieser Duldungspflicht unterliegen sollten.
In ähnlicher Weise ist auch im neuen § 11b EEG ein Recht zur Überfahrt und Überschwenkung während der Errichtung und des Rückbaus von Windenergieanlagen auf Grundstücken in öffentlicher Hand vorgesehen.
Neues Ausschreibungsverfahren für besondere AnlagenBesondere Anlagen (Agri-PV, Anlagen auf Parkplätzen etc.) waren bislang bei der Ausschreibung ihrer Leistung benachteiligt, da die Grundkosten dieser Projekte typischerweise höher ausfallen als Anlagen auf leicht bebaubaren Freiflächen. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, wird es nach Inkrafttreten des Solarpakets I möglich sein, besondere Anlagen im ersten Segment gesondert auszuschreiben.
Da Projektierer von besonderen Anlagen nicht mehr mit konventionellen Freiflächenanlagen konkurrieren müssen, werden hier neue Flächenpotenziale für landwirtschaftliche Flächen, Parkplätze, sowie Grünland und Moorböden geöffnet.
FazitDas Solarpaket I enthält einige wichtige Änderungen, die zusammengenommen zur Beschleunigung des Photovoltaikausbaus führen werden.
Auch hier gilt: Nach dem Solarpaket I ist vor dem Solarpaket II. Es stehen noch einige Deregulierungen und Gesetzesanreize aus, um das vollständige, für das Erreichen der europäischen und nationalen Klimaziele erforderliche, Ausbaupotenzial zu erreichen.
Brutto = Netto?! Kein Einkommensteuerabzug auf Gewinne aus der Veräußerung einer Mitarbeiterbeteiligung
Der Bundesfinanzhof hat geklärt, unter welchen Voraussetzungen der Gewinn aus der Veräußerung von Mitarbeiterbeteiligungen nicht der Einkommensteuer unterfällt. Damit können Arbeitgeber Mitarbeiterbeteiligungen nun rechtssicher so gestalten, dass die Gewinnrealisierung einkommensteuerfrei bleibt.
Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14.12.2023 – VI R 1/21
SachverhaltDer Kläger war leitender Angestellter einer GmbH und nahm an einem Managementbeteiligungsprogramm teil. In diesem Rahmen wurde er im Jahr 2006 Kommanditist einer neu gegründeten, rein vermögensverwaltenden Manager-KG. Sodann erwarb die Manager-KG Anteile an der S-Kapitalgesellschaft (S). S hielt Anteile an einer Tochtergesellschaft (T). Letztere war unmittelbar an der GmbH beteiligt, für die der Kläger arbeitete. Bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mussten die Kommanditisten aus der Manager-KG ausscheiden und ihre Beteiligung an der Manager-KG – bewehrt mit sog. Bad- und Good-Leaver-Klauseln –verkaufen und übertragen.
Im Jahr 2007 wurde T in die Y-AG umgewandelt. Später kaufte S ihre Anteile von der Manager-KG zurück und gewährte als Gegenleistung eine dem Kapitalanteil der Manager-KG entsprechende Anzahl an Aktien der Y-AG.
Für das Jahr 2007 gab der Kläger den Erlös aus der Veräußerung der über die Manager-KG gehaltenen Anteile an S im Gegenzug für wertgleiche Aktien der Y-AG nicht an. Das zuständige Finanzamt war jedoch der Auffassung, bei diesem Rückkauf habe der Kläger einen Gewinn erzielt, der als Arbeitslohn von dritter Seite zu versteuern sei.
Nach erfolglosem Einspruch gegen den geänderten Einkommenssteuerbescheid erhob der Kläger Klage vor dem zuständigen FG. Dieses gab der Klage statt. Der BFH hat die Revision des beklagten FA zurückgewiesen.
Der BFH kam zu dem Ergebnis, dass der Gewinn aus der Veräußerung der Mitarbeiterbeteiligung nicht der Einkommensteuer unterliege. Der Veräußerungsgewinn sei nämlich kein Arbeitslohn. Zudem sei der Veräußerungsgewinn im Streitfall auch keiner anderen Einkunftsart zuzurechnen.
Im Kern ging es bei der gerichtlichen Auseinandersetzung darum, ob der Kläger durch den Veräußerungsgewinn als Differenz zwischen dem Rückkaufpreis (Wert der Aktien bei Übertragung) und den Anschaffungskosten der Beteiligung (Einlage in die Manager-KG) Arbeitslohn erlangt hat. Entscheidend für das Ergebnis des BFH ist hierbei der Umstand, dass der Kläger die Kommanditbeteiligung zwar verbilligt erworben hat, die ein Jahr spätere Veräußerung gegen Aktien der Y-AG allerdings zu marktüblichen Konditionen erfolgte.
Grundsätzlich zählen auch andere geldwerte Vorteile zum Arbeitslohn. Im Falle der Übertragung einer Beteiligung liegen diese nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht in der übertragenen Beteiligung selbst, sondern in der Verbilligung, also in dem Preisnachlass, der bei Erwerb gewährt wird. Ein Erwerb zum marktüblichen Preis stellt dagegen keinen solchen geldwerten Vorteil dar. Daher könne auch die Veräußerung einer Beteiligung zum Markpreis keinen geldwerten Vorteil begründen. Ein solcher könne nur vorliegen, soweit der Mitarbeiter bei der Veräußerung an seinen Arbeitgeber einen Überpreis erziele.
Voraussetzung für die steuerrechtliche Behandlung als Arbeitslohn ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH weiter, dass der geldwerte Vorteil für eine Beschäftigung gewährt wird, also durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist, ohne dass ihm eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss. Der Vorteil ist durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst, wenn er dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließt und sich als Ertrag der nichtselbstständigen Arbeit darstellt.
Nach diesen Maßstäben gelangte der BFH zu dem Ergebnis, dass der Veräußerungsgewinn weder ein geldwerter Vorteil noch durch das Dienstverhältnis veranlasst sei. Ein geldwerter Vorteil hinsichtlich der Veräußerung fehle, da der Kläger die Aktien an der Y-AG nicht verbilligt erlangt habe. Zudem sei der Veräußerungsgewinn (in Form der Aktien) nicht durch das Dienstverhältnis veranlasst. Denn der Kläger habe mit seiner Beteiligung an der Manager-KG ein Sonderrechtsverhältnis begründet, das neben seinem Arbeitsverhältnis zu der GmbH bestand. Dem stehen nach Auffassung des BFH auch die vertraglich vereinbarten "Leaver-Klauseln" nicht entgegen. Zwar verknüpfen diese den Fortbestand des Beteiligungsverhältnisses mit dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Allerdings verfolgen derartige Klauseln lediglich den Zweck, die Mitarbeiter durch ihre Beteiligung an das Unternehmen zu binden und sie an der Gewinnentwicklung teilhaben zu lassen.
Der Gewinn durch die spätere Veräußerung der Gesellschaftsanteile an der S sei vor diesem Hintergrund nicht "für" eine Beschäftigung gewährt, sondern beruhe allein auf dem neben dem Arbeitsverhältnis bestehenden Sonderrechtsverhältnis. Der Umstand, dass der Kläger die Anteile an der Manager-KG ursprünglich vergünstigt erworben habe, ändere daran nichts. Denn der (verbilligte) Erwerb und die Veräußerung der Beteiligung seien zwei unterschiedliche, steuerlich voneinander getrennt und unabhängig zu betrachtende Sachverhalte. Ob dem Kläger zum Zeitpunkt der Anschaffung/des Erwerbs der Kommanditbeteiligung im Jahr 2006 durch die Verbilligung ein entsprechender geldwerter Vorteil zugeflossen ist, war deshalb ohne Bedeutung für den zu entscheidenden Fall, da dies für die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres 2007 nicht berücksichtigt werden konnte.
Nach dem Erwerb eintretende Wertänderungen seien darüber hinaus regelmäßig nicht mehr durch das Arbeitsverhältnis, sondern durch das Sonderrechtsverhältnis "Beteiligung" veranlasst.
Etwas anderes könne dann gelten, wenn bei der Veräußerung ein marktunüblicher Überpreis erzielt werde. In diesem Fall könne der über das Marktübliche hinausgehende geldwerte Vorteil auch bei Bestehen eines Sonderrechtsverhältnisses durch das Arbeitsverhältnis des Steuerpflichtigen veranlasst sein und deshalb zu Arbeitslohn führen.
Die Frage, ob dem Kläger zum Zeitpunkt der Anschaffung/des Erwerbs der Kommanditbeteiligung im Jahr 2006 aufgrund der Verbilligung ein geldwerter Vorteil zugeflossen ist, war für den vorliegenden Fall nicht entscheidend, da dies für die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres 2007 ohne Bedeutung war.
Die Entscheidung des BFH schafft eine begrüßenswerte Klarheit und Planungssicherheit bei der Besteuerung bzw. Steuerfreiheit von echten Mitarbeiterbeteiligungen (als Arbeitslohn). Für eine Vermeidung der Besteuerung der Mitarbeiterbeteiligung als Arbeitslohn sind sowohl die Erwerbsvorgang als auch der Veräußerungsvorgang von Bedeutung: Erwirbt der Arbeitnehmer die Anteile verbilligt, stellt diese Verbilligung einen zu versteuernden geldwerten Vorteil dar. Die Steuerlast kann bei Vorliegen der Voraussetzungen der Steuerbefreiung aus § 3 Nr. 39 EstG allerdings verringert werden. Der steuerfreie Höchstbetrag wurde zum 01.01.2024 auf EUR 2000 angehoben. Veräußert der Arbeitnehmer die Anteile später wieder an den Arbeitgeber zu einem marktunüblichen Überpreis, ist auch dieser Überpreis ein einkommensteuerpflichtiger Vorteil, der in der Regel in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht. Erfolgt die Veräußerung hingegen zu marktüblichen Konditionen, ist der Veräußerungsgewinn durch die eingetretene Wertänderung regelmäßig nicht durch das Arbeitsverhältnis veranlasst, sondern dem Marktgeschehen geschuldet und nicht als Arbeitslohn zu versteuern.
Ganz steuerfrei bleibt der (durch die Wertsteigerung der Anteile) erzielte Gewinn jedoch meistens nicht: Kapitalerträge sind nach den §§ 17, 20 und 23 EStG steuerbar. Die Besteuerung nach § 17 EStG greift nicht, wenn die Beteiligung weniger als 1 % der Anteile ausmacht. Bei Beteiligungen über 1 % innerhalb der letzten fünf Jahre greift das Teileinkünfteverfahren (nur 60% der Kapitaleinkünfte werden versteuert). Der Steuertatbestand des § 23 EStG greift nicht, wenn die Anteile über ein Jahr gehalten werden. Potenziell verbleibt dann noch die Abgeltungssteuer nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG bei Veräußerung einer Beteiligung von unter 1 % im Privatvermögen. Diese ist pauschal mit 25 % bemessen und damit in der Regel günstiger als die Besteuerung der Gewinne als Arbeitslohn.
Die gänzliche Steuerfreiheit der Gewinne des Klägers ergab sich daraus, dass § 20 EStG nur für Anteile anzuwenden ist, die ab 2009 erworben wurden. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG war nicht einschlägig, da der Kläger eine Beteiligung unter 1 % hielt.
Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter. Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.Berufung eines Dritten auf die fehlende Eintragung der Abberufung eines Geschäftsführers gem. § 15 Abs. 1 HGB
BGH, Urteil vom 09.01.2024 – II ZR 220/22
Ein Dritter kann sich gemäß § 15 Abs. 1 HGB nur dann nicht auf die fehlende Eintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache im Handelsregister berufen, wenn er positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache hat; ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis schadet demgegenüber nicht.
HintergrundBestimmte Tatsachen, unter anderem die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern einer GmbH, müssen ins Handelsregister eingetragen werden. Solange dies nicht erfolgt ist, können die einzutragenden Tatsachen Dritten nicht entgegengehalten werden, es sei denn, dass diese positive Kenntnis von der jeweiligen Tatsache hatten. Der BGH hatte sich in seiner Entscheidung vom 9. Januar 2024 (u.a.) mit der Frage zu befassen, welche Anforderungen an die positive Kenntnis eines Dritten von der Abberufung eines Geschäftsführers zu stellen sind.
SachverhaltIn dem vom BGH entschiedenen Fall war die Klägerin, eine GmbH, Eigentümerin eines Grundstücks, das ihren einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand darstellte. Auf einer Gesellschafterversammlung der Klägerin stimmte die Mehrheitsgesellschafterin entgegen die Stimmen der Minderheitsgesellschafterin, die Einberufungsmängel geltend machte, für die Abberufung eines Geschäftsführers aus wichtigem Grund. Der Versammlungsleiter stellte im Anschluss das Zustandekommen des Beschlusses fest.
Zwei Tage später verkaufte die Klägerin, vertreten durch den betreffenden Geschäftsführer, der im Handelsregister noch als solcher eingetragen war, das Grundstück der Klägerin an die Beklagte. Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Existenz des Abberufungsbeschlusses hatte. Zugunsten der Beklagten wurden Auflassungsvormerkungen ins Grundbuch eingetragen.
Das Landgericht hat die Klage auf Zustimmung zur Löschung der Auflassungsvormerkungen abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgte die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zustimmung zur Löschung der Vormerkungen weiter.
Entscheidung des BGHDer BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Zur Begründung führte der BGH aus, dass der Geschäftsführer bei der Beurkundung des Kaufvertrags zwar nicht mehr über organschaftliche Vertretungsmacht verfügt habe, da er durch den Gesellschafterbeschluss wirksam abberufen worden sei. Die Klägerin müsse sich aber gemäß § 15 Abs. 1 HGB so behandeln lassen, als habe die Vertretungsmacht beim Vertragsschluss noch fortbestanden. Solange die Eintragung der Abberufung ins Handelsregister nicht erfolgt sei, werde der Rechtsverkehr durch diese Vorschrift geschützt.
Selbst im Falle unterstellter Kenntnis der Beklagten von der Existenz der Beschlussfassung über die Abberufung verlöre die Beklagte diesen Schutz nicht. Denn die Berufung auf die fehlende Eintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache sei einem Dritten nur dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache, in diesem Fall der wirksamen Abberufung, habe. Ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügten dagegen nicht. Der BGH betonte, dass zwischen der Kenntnis vom Abberufungsbeschluss und der Kenntnis von der wirksamen Abberufung zu differenzieren sei. Hier habe die Beklagte Kenntnis von zwischen den Gesellschaftern der Klägerin bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die Wirksamkeit der Abberufung gehabt. Aufgrund hierdurch ausgelöster Zweifel habe die Beklagte daher keine positive Kenntnis von der Wirksamkeit der Abberufung gehabt, weshalb sie sich grundsätzlich auf § 15 Abs. 1 HGB berufen könne.
Allerdings komme laut dem BGH ein für die Beklagte erkennbarer Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer in Betracht. Dies hätte zur Folge, dass die Beklagte aus dem formal zustande gekommenen Kaufvertrag keine Rechte herleiten könnte.
Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 HGB. Der BGH führte aus, dass der Geschäftsführer aufgrund der besonderen Bedeutsamkeit des Verkaufs des Grundstücks gemäß § 49 Abs. 2 GmbHG dazu verpflichtet gewesen wäre, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen und die Zustimmung der Gesellschafter zum Verkauf einzuholen. Schließlich habe das Grundstück den einzigen wesentlichen Vermögensgegenstand der Klägerin dargestellt. Indem der Geschäftsführer dies unterlassen habe, habe er die im Innenverhältnis maßgeblichen Grenzen seiner nach Rechtsscheingrundsätzen als fortbestehend fingierten Vertretungsmacht überschritten.
Das Berufungsgericht habe indes keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob dieser Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer für die Beklagte erkennbar gewesen sei. Das sei dann der Fall, wenn die Beklagte gewusst habe oder es sich ihr geradezu habe aufdrängen müssen, dass er seine Vertretungsmacht missbrauchte. Da hierzu tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts fehlten, hat der BGH das Urteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Anmerkungen und PraxistippDie Entscheidung des BGH macht deutlich, dass die Abberufung eines Geschäftsführers unverzüglich zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden ist. Solange dies nicht erfolgt ist, können Dritte sich grundsätzlich auf die bestehende Eintragung des abberufenen Geschäftsführers berufen, sofern sie keine positive Kenntnis von den abweichenden Tatsachen haben. An die positive Kenntnis von der Abberufung werden indes sehr hohe Anforderungen gestellt. So kann diese bereits dann fehlen, wenn der abberufene Geschäftsführer selbst Zweifel an einer wirksamen Abberufung äußert. Das kann selbst dann gelten, wenn der Geschäftspartner Kenntnis von der Existenz des Abberufungsbeschlusses hat.
Kommt ein Missbrauch der sich noch aus dem Handelsregister ergebenden Geschäftsführerstellung durch den abberufenen Geschäftsführer in Betracht, sollte daher in Erwägung gezogen werden, die erfolgte Abberufung gegenüber Geschäftspartnern zu kommunizieren, um diesen gegenüber die Anwendung des § 15 Abs. 1 HGB auszuschließen bzw. zumindest den Anwendungsbereich der Grundsätze zum Missbrauch der Vertretungsmacht zu eröffnen. Dies sollte in nachweisbarer Form, bspw. per Einwurf-Einschreiben oder E-Mail erfolgen, um im Streitfall die positive Kenntnis des Geschäftspartners von der erfolgten Abberufung darlegen zu können.
Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter. Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.Eine automatische Wertsicherungsklausel ist wegen einer Kombination von Staffel- und Indexmiete nicht zwingend unwirksam
OLG Brandenburg: Urteil vom 27.06.2023, Az. 3 U 88/22
Der FallDie Parteien streiten über die Erhöhung der Miete für ein gewerbliches Mietobjekt. Die Miete war für die ersten vier Mietjahre gestaffelt und betrug seit Mai 2004 monatlich EUR 1.989,95 netto. In dem Mietvertrag vom 28.02.2001 vereinbarten die Parteien zudem folgende Indexierungsklausel:
„Für den Fall, dass sich der monatlich vom zuständigen Bundesamt festgelegte Lebenshaltungsindex aller privaten Haushalte in Deutschland im Vergleich zum Stand Mai 2004 auf der Basis 1995 = 100 künftig um mehr als 10 % ändert, sind beide Parteien berechtigt, Verhandlungen über die Neufestsetzung des Mietzinses zu verlangen. Sofern eine Einigung über die künftige Miethöhe zwischen den Parteien nicht zustande kommt, entscheidet ein von der zuständigen Industrie- und Handelskammer zu benennender Schiedsgutachter gem. § 317 BGB nach billigem Ermessen, und zwar insbesondere auch darüber, ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe eine Änderung der Miete eintreten soll. Die Entscheidung des Schiedsgutachters ist für beide Parteien bindend, wobei die Mietänderung nicht größer sein darf als die Veränderung des Lebenshaltungskostenindexes (…)
Berechnungsgrundlage ist jeweils die geltende Miete einschließlich der bereits stattgefundenen Veränderungen.
Die Wertsicherung beginnt mit Ende des dritten Mietjahres zu laufen, also mit dem 01. Mai 2004.
Sollte das zuständige Bundesamt die Weiterführung dieses Indexes ganz oder teilweise einstellen, so tritt an seine Stelle der entsprechende Nachfolgeindex bzw. ein Index, der die von den Vertragsparteien beabsichtigte Wertsicherung des Mietzinses in gleichem Umfang gewährleistet wie der zuletzt für sie maßgeblich gewesene Index.“
Mit Schreiben vom 07.09.2020 verlangte der Kläger die Zustimmung der Beklagten zu einer Erhöhung der monatlich geschuldeten Nettomiete ab dem 01.10.2020 auf EUR 2.453,61. In dem Aufforderungsschreiben wurde darauf hingewiesen, dass bei fehlender Zustimmung ein Gutachten gemäß Mietvertrag in Auftrag gegeben werde.
Die Beklagte stimmte dem nicht zu, weshalb der Kläger ein Schiedsgutachten beauftragte, ob und in welcher Höhe eine Änderung der Miete möglich ist. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen war unter Berücksichtigung der Entwicklung der Lebenshaltungskosten eine Mieterhöhung von 487,50 Euro netto gerechtfertigt.
Die Beklagte lehnte die Zustimmung zur Mieterhöhung des Gutachters ab und zahlte weiterhin die zuvor vereinbarte Monatsmiete von EUR 1.989,45 netto zuzüglich Nebenkostenvorauszahlung und Umsatzsteuer. Denn die Beklagte war der Ansicht, dass die Preisanpassungsklausel aufgrund einer Kombination von Staffel- und Indexklausel unwirksam sei, unter anderem, da sich die Miete aufgrund der Staffeln überproportional steigere - ohne, dass bei rückgängigem Index eine Reduzierung der Miete möglich sei.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die Zivilkammer angeführt, die vom Kläger verlangte Miete sei wirksam aufgrund des Schiedsgutachtens auf EUR 2.477,49 festgesetzt worden. Die vereinbarte Indexierungsklausel verstoße weder gegen das Preisklauselgesetz, noch gegen § 307 BGB. Die Kammer stellte dar, dass es sich um eine Leistungsvorbehaltsklausel handelt, die deshalb nicht unter das Verbot des § 1 PrKlG falle, weil die Anpassung gerade nicht automatisch erfolge, sondern ein Ermessensspielraum bestehe.
Die Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt. Die mietvertraglich vereinbarte Wertanpassungsklausel wurde nicht wegen einer unzulässigen Kombination von Staffel- und Indexmiete als unwirksam angesehen. Zudem stand der vereinbarten Erhöhung der Miete eine später eintretende Absenkung nicht entgegen. Das Gutachten stellte sich auch nicht als grob fehlerhaft i.S.v. § 319 Abs. 1 BGB dar.
Was ist zu tun?Das Urteil stellt klar, dass bei der Kombination einer Staffel- und Indexklausel insbesondere darauf zu achten ist, dass eine Anpassung der Miete entsprechend der Indexveränderung in beide Richtungen – nach oben und nach unten - weiter möglich bleibt und nicht aufgrund der gleichzeitigen Vereinbarung einer Staffelmiete ausgeschlossen wird. Zudem sollte die Indexklausel erst dann anwendbar sein, wenn die letzte Staffelerhöhung bereits eingetreten ist, damit keine gleichzeitige Erhöhung erfolgt. Eine unangemessene Benachteiligung einer Partei würde sonst zur Angreifbarkeit der Preisklausel führen. Zu beachten ist ferner, dass der Auftrag zur Bestellung des Gutachters wirksam vereinbart wird und keine gemeinsame Auftragserteilung des Mieters und Vermieters erforderlich ist.
D&O-Versicherung: Abtretung von Freistellungsanspruch hemmt Verjährung des Haftungsanspruchs
Der durch einen Großbrand verursachte Schaden in einer Bäckerei wurde nur zum Teil von der Feuerversicherung übernommen. Der Betreiber der Bäckerei nahm daraufhin für den Restschaden ihren Geschäftsführer wegen Pflichtverletzung in Anspruch. Der Geschäftsführer trat seinen Freistellungsanspruch gegenüber der D&O-Versicherung an den Betreiber der Bäckerei ab.
Das OLG Schleswig hat in seinem Urteil vom 26.02.2024 (Az. 16 U 93/23) entschieden:
Durch eine Abtretung des Freistellungsanspruchs aus der D&O-Versicherung wird konkludent eine "Waffenstillstandsvereinbarung" (sog. "pactum de non petendo") zwischen der versicherten Person und der Versicherungsnehmerin geschlossen. Darüber hinaus bewirkt die Abtretung eine Verjährung der zugrundeliegenden Haftungsansprüche.
Verjährungshemmung neben Waffenstillstand (pactum de non petendo)
Das OLG Schleswig hat zunächst festgestellt, dass mit der Abtretung des Freistellungsanspruchs eines GmbH-Geschäftsführers aus der D&O-Versicherung wegen einer Pflichtverletzung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG zugleich ein sog. "pactum de non petendo" geschlossen worden ist. Danach ist das geschädigte Unternehmen verpflichtet, solange nicht gegen den Geschäftsführer vorzugehen, wie die Möglichkeit besteht, von dem Versicherer in dem (infolge der Abtretung einheitlichen) Haftungs- und Deckungsprozess Ersatz des Schadens zu erhalten.
Nach Ansicht des OLG Schleswig ergibt sich hieraus, dass ein Haftungsprozess gegen den Geschäftsführer während dieser Zeit unzulässig ist und dementsprechend – durch konkludente Vereinbarung - auch die Verjährung des Haftungsanspruchs der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer für die Dauer der Anspruchsverfolgung gegenüber dem Versicherer gehemmt sein muss.
D&O Versicherung: Haftungs- und Deckungsrechtsstreit
Eine D&O-Versicherung schließt in der Regel ein Unternehmen für seine Leitungsorgane ab. Ansprüche aus dieser D&O-Versicherung stehen dann nur diesen Leitungsorganen als versicherte Personen, nicht aber dem Unternehmen als Versicherungsnehmerin zu. Die Versicherungsnehmerin bzw. das geschädigte Unternehmen kann daher im Schadensfall nicht einfach den D&O-Versicherer unmittelbar auf Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen. Vielmehr muss es die Ansprüche zunächst gegenüber der versicherten Person geltend machen und im Falle des Bestreitens in einem Haftungsprozess gerichtlich durchsetzen. Wird die versicherte Person in einem Haftungsprozess verurteilt, muss die Einstandspflicht des D&O-Versicherers noch in einem anschließenden Deckungsrechtsstreit geklärt werden. Dies bedeutet in der Regel einen hohen Zeit- und Kostenaufwand für sämtliche Beteiligte.
Praxisüblich: Direktprozess
In der Praxis wird daher der Haftungs- und Deckungsrechtstreit häufig in einem Prozess gebündelt. Dafür tritt die versicherte Person (also das in Anspruch genommene Leitungsorgan) seinen Freistellungsanspruch aus der D&O-Versicherung an die Versicherungsnehmerin (also das geschädigte Unternehmen) ab. Mit der Abtretung wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um. Im Folgenden kann die Versicherungsnehmerin den Haftungs- und Deckungsanspruch in einem einzigen Direktprozess gegenüber dem D&O-Versicherer geltend machen. Diesen Grundstein für die Abtretung des Feststellungsanspruchs legte der BGH schon im Jahre 2016 (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2016, IV ZR 304/13; BGH, Urteil vom 13.04.2016, IV ZR 51/14). Einige Folgefragen aber blieben lange Zeit ungeklärt. Nachdem das OLG Köln mit Urteil vom 21.11.2023 (Az. 9 U 206/22) erst kürzlich Fragen zur Beweislast beantwortete, entschied nun das OLG Schleswig welche weiteren Rechtsfolgen eine Abtretung von D&O-Ansprüchen haben kann.
Zugrundeliegender Fall am OLG Schleswig
Vor dem OLG Schleswig wurde folgender Fall verhandelt: Die Klägerin betreibt eine Bäckerei. Als die Bäckerei im August 2018 bei einem Brand beschädigt wurde, übernahm der Versicherer lediglich 38,5% des Schadens. Die Klägerin warf ihrem Geschäftsführer vor, er habe nicht für eine ausreichende Inhalts- und Betriebsunterbrechungsversicherung sowie Feuerversicherung gesorgt. Sie nahm den Geschäftsführer für den Restschaden in Anspruch. Im Januar 2020 trat der Geschäftsführer seine Freistellungsansprüche gegen den D&O-Versicherer an die Klägerin ab und die Klägerin machte ihren Schaden hiernach unmittelbar gegenüber dem D&O-Versicherer im Rahmen eines Direktprozesses geltend.
Fazit
Das OLG Schleswig leistet mit seinem Urteil einen wichtigen Beitrag in der Diskussion um die zahlreichen rechtlichen Problemstellungen, die durch die Abtretung von Freistellungsansprüchen aus einer D&O-Versicherung entstehen können. Hinsichtlich der Frage der Verjährung bestätigt das OLG Schleswig die in der Literatur verbreitete Auffassung und sorgt so für etwas mehr Rechtssicherheit.
D&O-Versicherung: Abtretung von Freistellungsanspruch hemmt Verjährung des Haftungsanspruch
Der durch einen Großbrand verursachte Schaden in einer Bäckerei wurde nur zum Teil von der Feuerversicherung übernommen. Der Betreiber der Bäckerei nahm daraufhin für den Restschaden ihren Geschäftsführer wegen Pflichtverletzung in Anspruch. Der Geschäftsführer trat seinen Freistellungsanspruch gegenüber der D&O-Versicherung an den Betreiber der Bäckerei ab.
Das OLG Schleswig hat in seinem Urteil vom 26.02.2024 (Az. 16 U 93/23) entschieden:
Durch eine Abtretung des Freistellungsanspruchs aus der D&O-Versicherung wird konkludent eine "Waffenstillstandsvereinbarung" (sog. "pactum de non petendo") zwischen der versicherten Person und der Versicherungsnehmerin geschlossen. Darüber hinaus bewirkt die Abtretung eine Verjährung der zugrundeliegenden Haftungsansprüche.
Verjährungshemmung neben Waffenstillstand (pactum de non petendo)
Das OLG Schleswig hat zunächst festgestellt, dass mit der Abtretung des Freistellungsanspruchs eines GmbH-Geschäftsführers aus der D&O-Versicherung wegen einer Pflichtverletzung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG zugleich ein sog. "pactum de non petendo" geschlossen worden ist. Danach ist das geschädigte Unternehmen verpflichtet, solange nicht gegen den Geschäftsführer vorzugehen, wie die Möglichkeit besteht, von dem Versicherer in dem (infolge der Abtretung einheitlichen) Haftungs- und Deckungsprozess Ersatz des Schadens zu erhalten.
Nach Ansicht des OLG Schleswig ergibt sich hieraus, dass ein Haftungsprozess gegen den Geschäftsführer während dieser Zeit unzulässig ist und dementsprechend – durch konkludente Vereinbarung - auch die Verjährung des Haftungsanspruchs der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer für die Dauer der Anspruchsverfolgung gegenüber dem Versicherer gehemmt sein muss.
D&O Versicherung: Haftungs- und Deckungsrechtsstreit
Eine D&O-Versicherung schließt in der Regel ein Unternehmen für seine Leitungsorgane ab. Ansprüche aus dieser D&O-Versicherung stehen dann nur diesen Leitungsorganen als versicherte Personen, nicht aber dem Unternehmen als Versicherungsnehmerin zu. Die Versicherungsnehmerin bzw. das geschädigte Unternehmen kann daher im Schadensfall nicht einfach den D&O-Versicherer unmittelbar auf Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen. Vielmehr muss es die Ansprüche zunächst gegenüber der versicherten Person geltend machen und im Falle des Bestreitens in einem Haftungsprozess gerichtlich durchsetzen. Wird die versicherte Person in einem Haftungsprozess verurteilt, muss die Einstandspflicht des D&O-Versicherers noch in einem anschließenden Deckungsrechtsstreit geklärt werden. Dies bedeutet in der Regel einen hohen Zeit- und Kostenaufwand für sämtliche Beteiligte.
Praxisüblich: Direktprozess
In der Praxis wird daher der Haftungs- und Deckungsrechtstreit häufig in einem Prozess gebündelt. Dafür tritt die versicherte Person (also das in Anspruch genommene Leitungsorgan) seinen Freistellungsanspruch aus der D&O-Versicherung an die Versicherungsnehmerin (also das geschädigte Unternehmen) ab. Mit der Abtretung wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um. Im Folgenden kann die Versicherungsnehmerin den Haftungs- und Deckungsanspruch in einem einzigen Direktprozess gegenüber dem D&O-Versicherer geltend machen. Diesen Grundstein für die Abtretung des Feststellungsanspruchs legte der BGH schon im Jahre 2016 (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2016, IV ZR 304/13; BGH, Urteil vom 13.04.2016, IV ZR 51/14). Einige Folgefragen aber blieben lange Zeit ungeklärt. Nachdem das OLG Köln mit Urteil vom 21.11.2023 (Az. 9 U 206/22) erst kürzlich Fragen zur Beweislast beantwortete, entschied nun das OLG Schleswig welche weiteren Rechtsfolgen eine Abtretung von D&O-Ansprüchen haben kann.
Zugrundeliegender Fall am OLG Schleswig
Vor dem OLG Schleswig wurde folgender Fall verhandelt: Die Klägerin betreibt eine Bäckerei. Als die Bäckerei im August 2018 bei einem Brand beschädigt wurde, übernahm der Versicherer lediglich 38,5% des Schadens. Die Klägerin warf ihrem Geschäftsführer vor, er habe nicht für eine ausreichende Inhalts- und Betriebsunterbrechungsversicherung sowie Feuerversicherung gesorgt. Sie nahm den Geschäftsführer für den Restschaden in Anspruch. Im Januar 2020 trat der Geschäftsführer seine Freistellungsansprüche gegen den D&O-Versicherer an die Klägerin ab und die Klägerin machte ihren Schaden hiernach unmittelbar gegenüber dem D&O-Versicherer im Rahmen eines Direktprozesses geltend.
Fazit
Das OLG Schleswig leistet mit seinem Urteil einen wichtigen Beitrag in der Diskussion um die zahlreichen rechtlichen Problemstellungen, die durch die Abtretung von Freistellungsansprüchen aus einer D&O-Versicherung entstehen können. Hinsichtlich der Frage der Verjährung bestätigt das OLG Schleswig die in der Literatur verbreitete Auffassung und sorgt so für etwas mehr Rechtssicherheit.
Die Form des Arbeitsvertrags
Ja was denn nun? Schriftlich, mündlich, qualifiziert elektronisch, konkludent, Textform oder einfach elektronisch? Welche Form muss für den Abschluss eines Arbeitsvertrags eingehalten werden. Die Regelungen und Änderungen des Nachweisgesetzes haben für weitere Verwirrung gesorgt.
Liebe Leserin, lieber Leser,für die Bestimmung der zutreffenden Form eines Arbeitsvertrags muss zwischen den Regelungen unterschieden werden, einerseits für den Abschluss des Arbeitsvertrags selbst, andererseits für den Nachweis der Arbeitsbedingungen nach dem Nachweisgesetz. Mein Blog und damit in blog-form soll Klarheit in die Form des Arbeitsvertrags gebracht werden.
Form des Arbeitsvertrags selbst
Es gibt Arbeitnehmer, die seit viele Jahren für einen Arbeitgeber gegen Vergütung Arbeitsleistung erbringen und behaupten, sie hätten keinen Arbeitsvertrag. Damit meinen die Arbeitnehmer, dass sie keinen „schriftlichen“ Arbeitsvertrag abgeschlossen haben.
Arbeitsverträge konnten und können in jeder Form wirksam abgeschlossen werden, also auch mündlich oder konkludent. Um der Darlegungs- und Beweislast – bei Meinungsverschiedenheiten oder bei Streitigkeiten – nachkommen zu können, wird häufig eine dauerhaft wiedergabefähige Form gewählt, z.B. schriftlich oder elektronisch.
Die Schriftform ist hingegen gesetzlich in bestimmten Fällen als Wirksamkeitsvoraussetzung vorgesehen. Beispielsweise bei einer Befristungsabrede oder bei der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots.
Formerfordernis nach dem Nachweisgesetz
- Die Umsetzung der europäischen Arbeitsbedingungen-Richtlinie führte zu Änderungen des Nachweisgesetzes 2022. Unter anderem sind nach § 2 Abs. 1 NachwG die Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die elektronische Form ist ausdrücklich ausgeschlossen. Verstöße sind bußgeldbewehrt. Damit wurde an sich die Schriftform für Arbeitsverträge in der Praxis durch die Hintertür im Nachweisgesetz eingeführt.
- Aufgrund erheblicher Proteste gegen die insbesondere hinsichtlich der Digitalisierung nicht nachvollziehbaren Schriftform wurde im März 2024 ein Regierungsentwurf im Vierten Bürokratieentlastungsgesetz („BEG IV“) beschlossen. Danach soll auch ein in elektronischer Form nach § 126a BGB (qualifizierte elektronische Signatur) geschlossener Arbeitsvertrag nach dem Nachweisgesetz ausreichend sein.
- Bereits Ende März 2021 wurde dann der Ersatz der Schriftform durch die Textform als geplante Änderung des Nachweisgesetzes wie folgt veröffentlicht: „im Nachweisgesetz [soll] künftig der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in Textform ermöglicht werden, sofern das Dokument für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugänglich ist, gespeichert und ausgedruckt werden kann und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält“. Dadurch wird klargestellt, dass durch die Übermittlung des Nachweises in Textform den Anforderungen des Nachweisgesetzes vollumfänglich Genüge getan wird.
Ich wahre die Form und beende den Blog mit herzlichen (arbeitsrechtlichen) Grüßen aus München
Ihr Dr. Erik Schmid
Dieser Blog ist bereits im arbeitsrechtlichen Blog von Erik Schmid im Rehm-Verlag (www.rehm-verlag.de) erschienen.Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.