Der permanente Ausnahmezustand – Ist George Orwells 1984 heute Realität geworden?

1»Keiner hat Anspruch auf absolute Sicherheit,
so wie es keine absolute Freiheit gibt.«
(Udo di Fabio)
»Save me from what I want.« (Jenny Holzer)

1948
Als George Orwell2 sich 1948 schwer an Tuberkulose erkrankt zusammen mit seinem kleinen Sohn auf Jura, einer der Hebrideninseln zurückzog (seine Frau war drei Jahre früher gestorben) und in wenigen Monaten in Winter und Kälte seinen berühmten Roman3 schrieb, suchte er nicht lange nach einem Titel. Es genügte, die Jahreszahl umzudrehen und sich zu überlegen, wie die Welt »1984« wohl aussehen könnte. Er gehörte als Sohn eines britischen Kolonialbeamten zur Führungsschicht seines Landes, auch wenn die Familie nicht wohlhabend war. Trotzdem konnte er nach traumatischen Jahren4 in einem Internat, die er mit vielen Altersgenossen teilte, in Eton studieren und war danach sechs Jahre bei der Kolonialpolizei in Burma tätig. 1927 quittierte er den Dienst, weil er sich mit der Kolonialpolitik nicht mehr identifizieren konnte und schlug sich als freier Journalist durch, gelegentlich obdachlos. Was er da sah, ließ ihn an den Sozialismus glauben. Seine harten, ungeschminkten Reportagen und Erzählungen aus dieser Zeit5 sind auch heute noch lesenswert. Sie machten den britischen Geheimdienst auf ihn aufmerksam, wovon er nichts wusste6. 1936 sah er eine Gelegenheit die Verhältnisse zu ändern. Zusammen mit vielen anderen jungen Intellektuellen (darunter auch André Malraux) kämpfte er auf der kommunistischen Seite im spanischen Bürgerkrieg. Bei Barcelona wurde er fast tödlich verwundet, aber nicht nur durch einen Schuss knapp an der Halsschlagader vorbei, sondern mehr noch, als er erkennen musste, dass die Komintern und andere stalinistische Institutionen den spanischen Aufstand und seine idealistischen Kämpfer für ihre Zwecke ausnutzten, während sie selbst in der gleichen Zeit in Moskau Leute wie Trotzki in Schauprozessen vernichteten7. Spätestens im August 1939 nach dem heuchlerischen Hitler – Stalin – Pakt, der den meisten intellektuellen Linken ihre letzten Illusionen raubte8, wechselte er die Seiten und arbeitete ab 1941 für die BBC in der Kriegspropaganda, vielleicht auch in dem Bewusstsein, dass manche seiner Arbeiten dem britischen Geheimdienst dienten9. Aber es war Krieg. Mit seiner anti-kommunistischen Satire »Die Farm der Tiere«10 wurde er zu seiner eigenen Überraschung 1945 plötzlich bekannt und fasste den Plan zu seinem großen Roman über die Zukunft. Wenige Monate nach dessen Erscheinen ist er 1950 gestorben.

1984
Sein Buch stellt uns eine Welt vor, in der einige privilegierte Politiker (2 % der Bevölkerung, die »Innere Partei«) drei große Weltteile führen, die sich vereinigt haben, (Ozeanien, Asien und Ostasien). Sie haben nach dem dritten oder vierten Weltkrieg verstanden, dass es wenig Zweck hat, sich gegenseitig totzuschlagen. Ihr einziges Ziel ist die Sicherung der eigenen Macht. [...]

Volltext als PDF im Anhang.

  • 1. Anwaltsblatt 2014, Heft 6, Seite 458-467.
  • 2. Pseudonym für Eric Arthur Blair (* 1903 in Britisch-Indien, + 1950 in London).
  • 3. George Orwell: 1984, neu übersetzt von Michael Walter, Ullstein 35. Auflage 2012.
  • 4. George Orwell, Die Freuden der Kindheit, dtv 1989 (Deutsch Englisch).
  • 5. Der Weg nach Wigan Pier; Im Inneren des Wals; Erledigt in Paris und London, Meistererzählungen; Rache ist sauer – alle bei Diogenes.
  • 6. http://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/scotland-yard-big-brother-ue...
  • 7. George Orwell: Mein Katalonien – Bericht über den spanischen Bürgerkrieg, Diogenes, 1975.
  • 8. Raymond Aron, ein liberaler Zeitgenosse Orwells (1905-1983) : »Kommunismus ist Opium für Intellektuelle«.
  • 9. Im Mai 1949 übergab er dem Außenministerium eine Liste von 38 Personen, die sich für kommunistische Ideen ausgesprochen hatten. Timothy Garton Ash, der diesen Bericht 2003 erstmals zu sehen bekam, berichtet darüber in einer langen Reportage in der New York Times: http://www.nybooks.com/articles/archives/2003/sep/25/orwells-list/. Der englische Labour-Abgeordnete Gerald Kaufman schrieb im Evening Standard provozierend:“Orwell was a Big Brother too.”
  • 10. Die Farm der Tiere, ein Märchen, Diogenes, 43. Auflage 2011.
AnhangGröße
Benno Heussen - Der permanente Ausnahmezustand - Ist George Orwells 1984 heute Realität geworden - Anwaltsblatt 2014 Heft 6 Seite 458.pdf642.77 KB