Werden die Bücher das Internet überleben? – Der Wettbewerb zwischen Information und Inhalt

Eine Ansprache aus Anlass der Präsentation von Heussen/Korf/Weber/Schröder Unternehmerhandbuch: Recht, Wirtschaft, Steuern von der Gründung bis zur Abwicklung, Verlag C.H. Beck, 1. Aufl. 2005.

1. Systemvergleich

Ich weiß noch sehr gut, wie das erste, wirklich teure Buch ausgesehen hat, das ich mir mit sechzehn Jahren von meiner Ferienarbeit als Siebdrucker in der Lebensmittelabteilung des Konsum in Düsseldorf gekauft habe: Im Antiquariat Triltsch waren zwei Bände der ersten großen Gesamtausgabe von Kurt Tucholskys Werken (Preis: 90 DM), die Fritz Raddatz besorgt hatte, für 40 Mark zu haben, weil der dritte Band fehlte. Mir war das egal, denn 1600 Seiten auf Pergamentdünndruckpapier in Leinen gebunden und mit klugen Anmerkungen versehen - das war doch etwas anderes als „Panther, Tiger & Co“ aus Rowohlts Rotationsmaschinen für 3,50 Mark. Ich habe deshalb den dritten Band nie vermisst und doch fehlte mir auf diese Weise ein Drittel der Informationen, die ich eigentlich hätte haben müssen. Kann man sich mit Zweidrittel der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zufrieden geben? Wenn man nicht weiß, welche Urteile in dem weggelassenen Drittel stehen?

An diesem Beispiel sehen Sie auf den ersten Blick den alles entscheidenden Unterschied zwischen Informationen und Inhalten. Wer Informationen braucht, der braucht sie vollständig, wer nach Inhalten fragt, der kann oft genug schon an der Pranke des Löwen den Rest erahnen. Bücher und Internet enthalten beide Informationen und Inhalte, beide jedoch in ganz unterschiedlicher Qualität, je nach dem von welcher Perspektive aus man die Dinge betrachtet. Bücher werden angefasst und gelesen, vieles kann mit einem Blick erfasst werden, man kann hineinschreiben, man kann sie zitieren, sie sind ziemlich fälschungssicher, man braucht keinen Strom, um sie zu lesen, man kann sie mit an den Strand nehmen, sie sind etwas zum Schenken und Weiterverschenken und man kann sie in größter Bandbreite von winzigen Cent-Beträgen bis zu Millionen Euro kaufen, je nachdem wie selten sie sind. Außerdem riechen sie manchmal gut.

Das Internet ist ganz anders: Es riecht nicht, man kann nicht hineinbeißen, es hat keine Eselsohren, man braucht Energie um es zu betreiben. Wenn Sand ins PC-Getriebe geworfen wird, wird einem schwarz vor Augen, und nach meiner Erfahrung kann man das Internet auch nicht lesen, obwohl das auf den ersten Blick so aussieht: Lesen heißt zur guten Hälfte auch Träumen und daran hindert einen der Lüfter, die Flackerei, die fehlende Flatrate und manch anderer Komfort, den Bücher zu bieten haben. Internet ist Arbeit. Es ist in erster Linie pure Information über elektronisch abgebildete Begriffe und Zeichnungen, die einen nicht immer erheitern, wenn sie sich bewegen. Hat das Internet etwas mit Inhalten zu tun?

Kann man überhaupt einen sinnvollen Unterschied zwischen Informationen und Inhalten bilden?

„Wenn wir über Welt sprechen, sprechen wir über Information“ sagt Anton Zeilinger1, Quantenphysiker aus Wien, der es aufgegeben hat, die jahrtausende alte Frage nach den Inhalten „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ auch nur zu stellen. Für ihn zählen nur noch Messergebnisse, Inhalte sind Arbeitshypothesen, die für unterschiedliche Zwecke in unterschiedlichen Metaphern geschrieben werden. Die Frage nach der Übereinstimmung solcher Bilder mit der Realität wird von vielen Naturwissenschaftlern aber auch den radikalen Konstruktivisten wie etwa Paul Watzlawick2 als spekulativ angesehen. Übertragen auf die juristische Arbeit würde das bedeuten: Unsere Messgeräte sind die Urteile, sie sind die Hardware, die unseren anwaltlichen Alltag bestimmen. Juristische Ideen, Konstruktionen, Argumentationen, all das gehörte dann ins Reich der Spekulation. Noch wären uns solche Gedanken zu wagemutig, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die angloamerikanischen Rechtssysteme näher an diesem Modell stehen als die unseren und dass sie unser Wirtschaftsrecht insgesamt auch dort schon prägen, wo es die internationalen Grenzen nicht überschreitet.

2. Information and Content

Was also ist der Unterschied zwischen Information und Inhalt so wie wir Juristen ihn verstehen können?

Sie sehen ihn auf den ersten Blick, wenn Sie versuchen, Ihren Kindern den Palandt zum Einschlafen vorzulesen, nach Valium das beste Sedativ für Juristen! 1973 hatte ich damit Erfolg, denn damals war der Palandt noch ein Buch. Er bestand aus Sätzen mit Subjekt, Prädikat und Objekt und nicht wie heute aus einer Masse selbsterläutender Abkürzungen. Wollen Sie sich das einmal aus der jüngsten Auflage anhören?

„Ob ein Anspr auf laufde Gewinnverteilung besteht, richtet sich nach dem GVertr, hilfsw nach den dispositiven Vorschr des § 721; somit mangels abw Vereinbg (Zust aller erfdl, da GrdlGesch, § 705 Rn 16) grdsätzl Anspr nur bei GAuflösg (I) u bei DauerG (II) am Schluß jedes GeschJ (iZw das KalJ)“

Der Palandt ist im Grunde das Internet in anderer Form, und dies ist gewiss einer der Gründe, warum der Verleger ihn dort nicht anbietet.

Ganz anders der Münchner Kommentar: Er ist noch ein richtiges Buch mit Inhalten im klassischen Sinn, in dem Meinungen dargestellt und abgewogen werden, in dem es Definitionen und Bewertungen so gibt, wie Juristen sie suchen und brauchen: Die Physiker können sich vielleicht an den Messergebnissen festhalten, bei uns entsteht das Urteil nicht aus solchen hard facts sondern, wie Radbruch anschaulich gesagt hat, aus Bewertungen, die dadurch entstehen, dass wir den Blick zwischen den Tatsachen und der Rechtslage hin- und herwandern lassen. Zwar müssen wir dafür zunächst einmal Informationen sammeln, dann aber geht es an die Bewertung, die den eigentlichen Inhalt unserer Arbeit ausmacht.

Deshalb können nur erfahrene Juristen mit dem Palandt arbeiten, nämlich solche, die imstande sind, aus diesem Rohmaterial etwas zu entwickeln. Für Studenten ist er heute völlig ungeeignet. Er ist letztlich ein Schlagwortregister für die Rechtsprechung, das es zufällig noch in Papierform gibt. Benutzt man nämlich im Internet die dort angebotenen Suchwerkzeuge und arbeitet man in dem Wissen, dass es dort wirklich jedes Urteil gibt, nach dem man vernünftigerweise suchen kann, dann erschließt sich eine Welt, die Bücher nun wirklich nicht abdecken können. Diese Informationswelt ist nicht nur aktueller, sie wird auch schneller erschlossen. Aber ihren wesentlichen Nachteil kann man nicht beseitigen: Was vollständig ist, ist immer auch teilweise überflüssig! Wer die Handschrift Tucholskys, seinen Stil, seinen Witz kennen lernen will, für den reichen zwei Bände seines Gesamtwerkes immer. Das Gleiche gilt auch von der Handschrift des Bundesgerichtshofs. Nur für die Falllösung reicht es nicht, nur dessen Handschrift zu kennen, hier muss man auch die kargen Informationen haben, die vom Schwung der Linien unabhängig sind. Im Internet braucht man keine Schlagwortregister, denn hier ist jeder Begriff ein Suchbegriff. Man braucht keinen Stil, denn nur die skelettierte Information zählt.

Ist deshalb aber das Internet ideenlos? Keinesfalls - Informationen und Ideen werden in beiden Medien nur in unterschiedlichen Aggregatzuständen angeboten. Die berühmte chemische Substanz H2O zeigt uns, was das zu bedeuten hat: Wir kennen sie als hartes Eis, als flüssiges Wasser und erhitzt als Dampf. Ganz ähnlich verhalten sich auch die Informationen: Bücher sind das Eis: Sie sind Hardware, man kann sie zitieren und sie sind weitgehend fälschungssicher. Gedruckte, aber nicht gebundene Informationen wie Zeitungen oder Zeitschriften sind flüssig, also nicht mehr in allen Fällen zitierbar und finden sich auch seltener in Bibliotheken. Das Internet aber ist heiße Luft, die Information verdampft an der einen und kondensiert an der anderen Stelle, wo sie wieder „zu ihren Quellen zurückkehrt“. Diese Flüchtigkeit ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass unser Papierverbrauch eher größer wird als kleiner, weil wir immer wieder Dinge dokumentieren müssen, von denen wir nicht wissen, ob es sie morgen noch gibt. Kurz: Informationen und Inhalte sind in beiden Medien gleich, werden aber in verschiedenen Formen angeboten. Und je nachdem, welchem Zweck sie dienen sollen, sind sie in der einen oder anderen Weise besser brauchbar.

3. Zeit des Umbruchs

Wer mit Büchern groß geworden ist, hat die Explosion elektronisch verbreiteten Wissens mit Staunen verfolgt. Ich hatte das Privileg, auch einen beruflichen Einblick in diese Entwicklung zu nehmen, wie es sie in vergleichbarer Form vor über 500 Jahren gegeben hat, als Gutenberg die beweglichen Lettern für den Buchdruck erfand. Damals wie heute erlebte man einen Quantensprung in der Vervielfältigungstechnologie, der in kürzester Zeit ungeheure wirtschaftliche Folgen hatte: Im Jahre 1418 kostete in Sachsen eine Henne einen Pfennig, aber eine Handschrift des Livius soviel wie ein ganzes Landgut.3 Um 1470, also 20 Jahre nach Erscheinen des ersten gedruckten Buches waren die Preise mittelalterlicher Handschriften bereits dramatisch gefallen. Über Aufstieg und Fall der Computerindustrie vor allem im Internetbereich brauche ich Ihnen nichts erzählen. Interessant ist aber, dass wir jetzt in beiden Welten parallel leben: Die Preise für die Bücher sind nicht gefallen, die Preisbindung konnte verteidigt werden und das Internet hat sich daneben etabliert. Allerdings nutze ich in der alltäglichen Anwaltspraxis das Internet häufiger als die Bücher. Dies aus zwei Gründen:

  • Der größte Teil unserer Arbeit besteht darin, tatsächliche und rechtliche Informationen zu sammeln und zu gliedern. Der Luxus des Denkens fordert weniger Zeit.
  • Das Internet ist dabei ein überaus leistungsstarkes Werkzeug, denn es ist vollständig und schnell, auch wenn man gewiss die Suchfunktionen und Suchstrategien verbessern muss.

Um aus diesem Rohmaterial der Informationen aber die Ideen zu entwickeln, die letztlich die Fälle gewinnen helfen, dazu braucht man Bücher und zwar hauptsächlich deshalb, weil man das Internet nicht „lesen“ kann.

Es mag sein, dass künftige Generationen dieses Leseproblem nicht mehr haben. Ich zweifle aber daran, denn das beruht auf einem systematischen Problem, dessen Lösung ich mir nicht so leicht vorstellen kann: Dem Redakteur-Benutzerproblem.

4. Das Redakteur-Benutzerproblem

Das Problem von dem ich spreche, hat jeder von Ihnen kennen gelernt, der die Beck’sche Leitsatzkartei in der Papierform benutzt hat. Sie war, der juristischen Denkweise entsprechend, nach Paragraphen als Suchkriterien aufgebaut und enthielt dann einzelne Suchbegriffe, die im Lauf der Jahre immer die gleichen waren. Ein Automobil wurde als „Kfz“ bezeichnet und auch Urteile die Lastwagen, Omnibusse oder andere Aberrationen des Schlüsselbegriffs betrafen, wurden unter „Kfz“ eingeordnet und dort auch gefunden.

Die Verwaltung und Vereinheitlichung dieser Schlüsselbegriffe war eine Redaktionsleistung von ganz erheblichem Umfang und großer Qualität. Das hat JURIS gemerkt, als es in der Zeit vor dem Volltextretrieval zur Bildung der abstracts nach dem gleichen Prinzip die ersten Datenbanken aufbauen musste. Durch den ständigen Umgang mit einer einheitlichen Begriffswelt lernte der Benutzer die Gedankenwelt des Redakteurs kennen und fand die richtigen Begriffe nach längerem Training ohne große Verzögerung.

Warum ist diese Redaktionsleistung bei Büchern nicht erforderlich? Warum dürfen die Autoren begrifflich so variationsreich arbeiten und warum findet man sich in Bücher auch dann zurecht, wenn die Schlagwortverzeichnisse lausig sind? Der Grund: Bücher, die ihre Informationen als durchdachte Inhalte anbieten, liefern ganz nebenbei eine Vielzahl interpretatorischer Hilfsmittel, an denen unsere Sinne und unsere Assoziationskräfte sich festmachen können. Schreibt der Autor vom Lkw, dann müssen wir uns nicht förmlich denken: „Aha, er meint Kfz!“, sondern wir verstehen es trotz der „falschen“ Begriffe. Eine Datenbank hingegen kann nichts verstehen, sie ist nur so klug wie ihre Redakteure. Und von denen braucht man mehr als Autoren, wenn man sie in gutem Zustand errichten, pflegen und aufrechterhalten will. Während Autor und Leser sich ganz unmittelbar miteinander verständigen können, gelingt uns das mit der Datenbank nicht, denn sie ist kein Autor. Sie kann nur bis zwei zählen oder präziser gesagt, nur null und eins milliardenfach vor sich hinmurmeln. Auch wenn daraus Buchstaben und später Wörter werden, liefert sie uns nie die Assoziationsketten, die auch ein ziemlich schlechter Autor noch zustande bringt. Ein aktuelles Beispiel ist das „Unternehmerhandbuch“, das vor Ihnen liegt. Es unterscheidet sich von anderen Büchern in seiner Struktur dadurch, dass Wirtschaft, Steuern und Recht themenbezogen miteinander verknüpft werden, so wie man einen Hefe-Zopf aus drei Strängen wickelt. Wir haben bewusst mit den wirtschaftlichen Aspekten begonnen, denn das ist die erste Orientierung des Unternehmers. Danach fragt er sich, wie man kunstgerecht vor der Steuer flieht und erst am Schluss, ob er damit auch recht hat. Die Idee dazu stammt von Herrn Schröder und die warnenden Hinweise, dass selbst ein so einfaches Prinzip nicht von allen Lesern auf den ersten Blick verstanden wird, stammen von mir. Das Kunststück, das wir zusammen mit Herrn Korf und Herrn Weber vollbringen mussten, bestand darin, den Autoren diese Struktur zu vermitteln und darauf zu beharren, dass sie es auch wirklich einhalten. Im Buchtitel werden Sie bemerken, dass Recht, Wirtschaft und Steuern dort in der klassischen Reihenfolge benannt werden und nicht in der, die das Buch als Ansatz gewählt hat. In einem juristischen Verlag sieht man den Primat des Rechts manchmal anders als die Wirklichkeit ihn sieht. Wie auch im richtigen Leben lassen sich Titel und Inhalte nicht immer koordinieren.

Wer nun das Buch in die Hand nimmt, erkennt aber sehr schnell, wie die Autoren sich untereinander verflochten haben und wird, wenn er dieser Struktur durch die einzelnen Kapitel folgt, an diesen Grundzopf gedanklich viele neue Zöpfe anflechten können, die ihm einfallen. Könnte man so eine Struktur im Internet abbilden? Radio Eriwan sagt uns: Im Prinzip: Ja! In der Praxis habe ich aber noch nie gesehen, dass es funktioniert hätte. Allein die Tatsache nämlich, dass das Internet dieselben Worte abbilden kann wie ein Buch, bedeutet noch nicht, dass man es in dieser Darbietung auch verstehen kann. Ein und dieselbe Darstellung ist nämlich in dem einen Medium verständlich und in dem anderen vielleicht ganz unbrauchbar.

5. Andere Medien, andere Formen, andere Inhalte

Informationen, Inhalte und ihre Formen waren schon immer sehr unterschiedlich, je nach dem, welches Medium verwendet wurde. Die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer unter Ihnen werden sich gewiss freuen zu hören, dass am Anfang der Schrift nicht das geschriebene Wort sondern die geschriebene Zahl stand! Die Buchhaltung war die Geburtshelferin der Schrift und nicht die Dichtung! Etwa 3000 vor Christus muss der erste mesopotamische Wirtschaftsprüfer es leid gewesen sein, ständig diese Strichlisten zu machen und kam auf die Idee mit den Häkchen in Tonscherben - die Keilschrift war erfunden. Wir sehen sie auf den ersten Tontafeln mit Lagerbestandsverzeichnissen der Könige von Sumer und Akkad. Allerdings hat es 500 Jahre gedauert, bis der erste von ihnen auf den Gedanken kam, die Keilschrift für Liebesbriefe zu verwenden - Wirtschaftsprüfer sind bedächtige Leute! Einige Völker, wie etwa die Inka sind über die Zahlen, die sie in geknüpften Quippus sichtbar machten, nie hinausgekommen. Literatur existierte nur mündlich. Warum wohl?

Heute, wo man von Alzheimer bedroht, schon beginnt, das Gilgamesch-Epos auswendig zu lernen, um im Training zu bleiben, verstünde man das. Aber die Inka wurden nicht so alt. Es muss das Medium des Erzählens gewesen sein, das sie fasziniert hat. Und tatsächlich müssen wir anerkennen, dass eine gut erzählte Geschichte uns ganz andere Inhalte vermittelt, als ein gedrucktes Buch das kann. Wir sehen das an den stets überfüllten Autorenlesungen. Kurz: Marshall McLuhan hat schon recht mit seiner These, das Medium sei selbst die Botschaft. Denn wir sehen jetzt völlig klar: Es kommt wirklich auf das Medium an, durch das Informationen und Inhalte transportiert werden und jedes Medium erfüllt seinen eigenen Zweck.

Auch das Erzählen hat wieder Konjunktur, wie man am Beispiel der Hörbücher sieht. Lagerbestandsverwaltung kann man nicht erzählen, sie drängt zur Schrift und Musik kann man nicht lesen, sie will gehört sein. Sogar der persönliche Brief kommt über das Email wieder in Mode. Noch vor wenigen Jahren hätten wir gedacht, das Telefon hätte ihn völlig verdrängt. Bald werden wir mit geeigneten Schrifterkennungssystemen, wie man sie schon im Bereich der Handheld-Computer findet, elektronisch genauso schreiben wie auf Papier. Nur Briefmarken müssen wir dann nicht mehr lecken. Die Bücher und das Internet kämpfen also nicht miteinander, sondern umarmen sich. Ich hoffe mit dieser Bemerkung auch den Verleger getröstet zu haben, der solange gezögert hat, bevor er den Startschuss für das neue Medium gegeben hat. Ich, ein leidenschaftlicher Benutzer der Leitsatzkartei in Papierform, musste sie eines Tages aufgeben, weil das Einordnen der neuen Lieferungen länger dauerte als zumutbar. Ein geeignetes elektronisches Medium gab es lange Jahre nicht. Der Verleger brauchte zwar nicht so lange wie ein mesopotamischer Wirtschaftsprüfer, bis er sich für die CD-ROM entschied, aber sein Zögern war verständlich: Niemand konnte damals verlässlich voraussehen, ob die elektronischen Medien die Bücher nicht gänzlich verdrängen würden. Als dann die Leitsatzkartei auf CD-ROM herauskam, eine Arbeit, deren wesentlicher Credit Herrn Burneleit, unserem Lektor, zukommt, habe ich ihr innerhalb eines Jahres 800 Abonnenten prophezeit. Ich sehe Herrn Dr. Beck noch vor mir, der diese Zahl als „ganz utopisch“ bezeichnete. Ich habe ihm als Wette eine Kiste Champagner angeboten, wenn ich recht hätte. Er hat diese Wette nicht angenommen, denn wenn er sie gewonnen hätte, wäre ihm der Champagner sauer geworden und außerdem hätte er mir die wirklichen Abonnentenzahlen sagen müssen, um den Gewinn einzufordern. Die aber gehören zu den bestgehüteten Betriebsgeheimnissen des Hauses.

Heute können wir auf die Tatsache anstoßen, dass die Bücher überlebt haben und sich neue Märkte erobern. Sie müssen aber so konzipiert und geschrieben werden, wie das Unternehmerhandbuch: Die Informationen dürfen nicht wie Spaghetti auf dem Teller liegen, sie müssen eine Handschrift erkennen lassen, sie müssen Aufbau und Struktur haben. Dann werden wir so ein Buch gern in die Hand nehmen und wieder mehr zu lesen anfangen.

  • 1. Anton Zeilinger: Einsteins Schleier (Goldmann TB) 2005.
  • 2. Paul Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? (Piper, München) 2005.
  • 3. Bappert, Kommentar zum Verlagsgesetz, München 1984, Seite 21.