Marinetti, Adrià, Myhrvold – Über Schönheit und Schrecken der Modernist Cuisine

*»Um zu leben muss umgebracht werden. Das kann die Maus sein, die von der Katze gefressen wird, oder die Pflanze, die wir als Gemüse verspeisen. Deshalb sage ich, die Kunst hat, alten Opferritualen vergleichbar, die Aufgabe, uns zu entsühnen von der Schuld, die wir auf uns laden, in dem wir leben.«
(Hans J. Syberberg)

1. Marinetti: In der »Taverne zum heiligen Gaumen« (Turin)

Filippo Tommaso Marinetti (1876-1944)Filippo T. Marinetti (1876-1944), im ägyptischen Alexandria geboren, Sohn eines italienischen Anwalts und selbst Anwalt (wenn auch nur spaßeshalber, wie es bei den Söhnen wohlhabender Familien in den Mittelmeerländern üblich ist), wuchs in Paris auf und hatte schon in jungen Jahren zu schreiben begonnen. Und zwar kritisch gegenüber dem dekadenten Bürgertum, aus dem er stammte. Joris Carl Huysmanns war einer seiner Freunde, aber anders als er versank Marinetti nicht in der Gruft der Depressionen. 1905 zog er nach Mailand und vier Jahre später erschütterte das »Futuristische Manifest« die Welt der Kunst. Ihre klassischen Wurzeln wurden angegriffen, sie wurde als: »Angriffslustige Bewegung, fiebrige Schlaflosigkeit, Laufschritt, Salto mortale, Ohrfeige und Faustschlag« gepriesen.

»Schönheit gibt es nur noch im Kampf… Die Dichtung muss aufgefasst werden als ein heftiger Angriff auf die unbekannten Kräfte, um sie zu zwingen, sich vor dem Menschen zu beugen…. Museen: Absurde Schlachthöfe der Maler und Bildhauer, die sich gegenseitig wild mit Farben und Linien entlang der umkämpften Ausstellungswände abschlachten… Diesen Kalvarienberg gekreuzigter Träume, diesen Registern gebrochenen Schwunges. ….. Aber wir wollen von der Vergangenheit nichts wissen, wir jungen und starken Futuristen!....... Legt Feuer an die Regale der Bibliotheken…….. Reißt ohne Erbarmen die ehrwürdigen Städte nieder!«1

Wer Gabriele D’Annunzio oder Nietzsche gelesen hatte, wusste, wovon die Rede war und fünf Jahre später nahm der Erste Weltkrieg Marinetti und seinen Freunden den wesentlichen Teil der Arbeit ab. Er meldete sich als Kriegsfreiwilliger, überlebte die Front (viele seiner Freunde sind gefallen) und 1915 und 1919 saß er bereits gemeinsam mit Mussolini, dessen revolutionäre Ideen ihn angezogen hatten2 wegen behaupteter Wahldelikte im Gefängnis. Der fraß dann bald Kreide, um in der Politik zu überleben, bezeichnete Marinetti als »extravaganten Clown«, und machte ihn dann trotzdem 1924 zum Mitglied der Akademie der Künste3. Aber mit solchen Ämtern brachte er den ewigen Revolutionär nicht zum Schweigen. Im Futuristischen Manifest hatte Marinetti (damals 29) noch geschrieben: »Wenn wir vierzig sind, mögen andere, jüngere und tüchtigere Männer uns ruhig wie nutzlose Manuskripte in den Papierkorb werfen. Wir wünschen es so!«

Aber mit 46 Jahren hatte er das vergessen und gab noch einmal richtig Gas, vielleicht auch getrieben durch den Erfolg der Dadaisten, Surrealisten, Symbolisten usw., die das Feld beherrschten4. Er hatte einen neuen Gegner entdeckt, der die Italiener täglich zweimal an Körper und Geist lähmte und auf lange Sicht zu vernichten drohte: Es war nicht der Kommunismus, es waren die Spaghetti, »diese absurde Religion der italienischen Gastronomie«! Er wollte das Zentrum der italienischen Kultur zerstören, denn wenn es irgendetwas gibt, das man den Menschen nicht wegnehmen kann, dann sind es ihre Essgewohnheiten. Aber hatte nicht die faschistische Revolution bereits die Grundfesten erschüttert? Würde ein zweiter Schlag die Revolution vollenden, der auf tiefsitzende Gewohnheiten zielte und mit ihrer Beseitigung zu einer vollkommenen Umwertung der Werte führen musste? Am 28.12.1930 erschien in der Turiner »Gazetta del Popolo« das »Manifest der futuristischen Küche«, in dem es unter anderem heißt:

»Wir hören…, man müsse verhindern, dass der Italiener kubisch, massig und bleibeschwert werde, von undurchsichtiger und blinder Kompaktheit… Im Unterschied zu Brot und Reis ist die Pasta asciutta eine Nahrung, die man hinunterschlingt, aber nicht kaut..….. Davon leiten sich ab: Schlappheit, Pessimismus, nostalgische Untätigkeit und Neutralismus…. Die Verteidiger der Pasta asciutta tragen eine Kugel oder Bruchstücke von ihr im Magen, wie Zuchthäusler oder Archäologen…… Sie ist außerdem unmenschlich, weil der beschwerte und beengte Magen niemals der physischen Begeisterung für die Frau und der Möglichkeit, sie geradewegs zu besitzen, förderlich ist… Die vollkommene Mahlzeit erfordert die unbedingte Originalität der Speisen.«5

Schrittweise entwickelte sich ein – an den 1922 vollendeten und zugleich erloschenen Dadaismus erinnerndes – Gesamtkonzept, das Marinetti mit einer Gruppe futuristischer Freunde am 08.03.1931 in der Turiner »Taverna del Santopalato « vorstellte. Die Künstler/Architekten Fillia (Luigi Colombo) und Nikolay Diulgheroff hatten eine alte Trattoria entkernt und mit indirektem Licht, Aluminiumfußböden- und Paneelen, Glaskörpern etc. wie das Innere eines U-Boots gestaltet. An den Wänden hingen Werbeposter. Getrunken wurde bevorzugt der »Treibstoff der Futuristen«: Lambrusco. Illustre Gäste nahmen teil6. Das Menü enthielt mit 14 Gängen eine Menge interessanter Versuche, die Pasta zu umgehen und auf jeden Fall originell zu sein. Der erste Gang, die Intuitive Vorspeise war noch völlig der Konvention verhaftet: Es gab die typischen Antipasti (Oliven, Salami, Crissini), nur in den Oliven war – wie in den chinesischen Glückskeksen – ein Zettel versteckt, auf dem stand: »Emmanuelli ist der größte Journalist, gez. Enrico Emanuelli«. Unter den anderen Gängen sind vier hervorzuheben, weil Idee, Text und Ausführung von Daniel Spoerri, Frank Castorf, Jonathan Meese oder Christoph Schlingensief stammen könnten:

  • »Luftspeise: … Auf dem Teller wird ein Fenchelviertel, eine Olive, eine kandidierte Frucht und der Berührungsapparat serviert. Man schluckt die Olive hinunter, dann die kandidierte Frucht, dann den Fenchel. Gleichzeitig führt man die Kuppe des Zeigefingers und des Mittelfingers der linken Hand mit Zartheit an dem rechteckigen Apparat vorbei, der aus einem Flecken von rotem Damast, einem Viereck von schwarzem Samt und einem Stückchen Glaspapier zusammengesetzt ist. Aus einer sorgfältig verborgenen singenden Quelle gehen die Noten des Fragments einer Wagneroper auf Reisen, und gleichzeitig spritzt der geschickteste und anmutigste Kellner ein Parfum in die Luft«.
  • »Fleischplastik: … Synthetische Interpretation der italienischen Landschaften, bestehend aus einem großen zylindrischen Stück gebratenem Kalbfleisch, mit elf Sorten von gekochtem Gemüse gefüllt. Dieser Zylinder, der senkrecht im Mittelpunkt des Tellers steht, wird von einer dicken Honigschicht bekrönt und an der Basis von einem Wurstring gestützt, der auf drei goldenen Kugeln von Hühnerfleisch ruht. Ein Wunder des Gleichgewichts«
  • »Ultramännliches: Wir werden uns nicht in eingehenden Erläuterungen verbreiten: Es wird genügen hinzuzufügen, dass es sich um ein Gericht für Damen handelt.
  • »Exaltiertes Schwein: … Eine normale gekochte Salami wird präsentiert, eingetaucht in eine konzentrierte Lösung von Espresso-Kaffee und mit Eau de Cologne angerichtet.«7

Ich habe den vierten Vorschlag mit verschiedenen Sorten Salami und etlichen Parfums (einschließlich Extase Latin fever und Chanel No 5) versucht – keine tolle Erfahrung! Aber dieser Test hat mir zu denken gegeben, denn fast jedes der futuristischen Gerichte enthält unzählige kreative Ideen und völlig neue Formen. Und das war nicht alles. Die New York Times berichtete. Nicht nur in Turin wurde die futuristische Küche zelebriert, Hunderte von Gästen bewunderten sie auf der Kolonialausstellung in Paris (1931). Das Exaltierte Schwein wurde hymnisch gelobt (das Ultramännliche hingegen gar nicht erst serviert). Hätte es damals schon eine documenta gegeben, wären Marinetti und seine Freunde als Künstlerkollektiv dort gewiss eingeladen worden. Er hielt Vorträge vor tausenden Menschen in ganz Europa, die es offenbar genossen, dass ihnen jemand von einem Essen erzählte, dem sie in ihrem Leben nie begegnen würden. Die Geschichte vom Schlaraffenland8 in das man nur kommt, wenn man sich durch alles Mögliche durchgefressen hat, das einem nicht schmeckt. Hier ging es nicht um die Darstellung des Essens, oder der damit verbundenen Feste, die seit jeher ein Sujet der Kunst gewesen sind9, hier ging es um die Performance als neue Kunstform: »An die Stelle der längst erschöpften Psychologie des Menschen muss die lyrische Besessenheit der Materie treten«10.

2. Kochen, Überleben, Gestalten

Essen ist das Bindeglied zwischen Leben und Tod, und unsere sozialen Verbindungen – immer geprägt von den Machtverhältnissen – bestimmen den Zugang und die Qualität der Nahrung. Schon Primaten verstehen den Zusammenhang von Gabe und Gegengabe11 – dem auch heute noch gültigen Grundgesetz unseres sozialen Lebens12. Wir unterscheiden uns von ihnen, weil wir Selbstgespräche führen und Selbstmord begehen können. Wir betrachten Dinge, Menschen und Ereignisse immer mit zwei Kameras, von denen die eine uns die Situation aus der Vogelperspektive zeigt13. Wenn uns das Leben nicht schmeckt, können wir aufhören zu essen. Diese Fähigkeiten haben wir entwickelt, weil wir anders als Tiere ein größeres Gehirn haben und in seiner ständigen Ausdifferenzierung Bewusstseinsebenen erreichen können, die Tieren nicht zugänglich sind.

Steinzeit von Viktor Vasnetsov, 1882-1885
Bild: Steinzeit, Viktor Vasnetsov, 1882-1885

Der Mensch ist mit diesen Möglichkeiten nicht »mit einem Schlage, oder genauer: mit einem Wurf entstanden«, (Hans Blumenberg)14, denn die Fähigkeit zur Aggression teilen wir ebenfalls mit den Tieren. Was uns auszeichnet, ist die Fähigkeit, Aggressionen nicht nur instinktiv auszuleben, sondern in vielen Fällen sozial zu beherrschen. Das gelingt durch hochkomplexe Kommunikation, die sich stets innerhalb kleiner Gruppen entwickelt, deren Mitglieder sich an festen Plätzen immer wieder begegnen. Vermutlich 1 Million Jahre vor heute lässt sich die Nutzung des Feuers nachweisen, um 790.000 vor heute finden wir (in Israel) Lagerstellen mit Brandspuren und damit den Nachweis, dass Menschen sich regelmäßig in Gruppen an definierten Plätzen versammelten und fähig waren, Feuer zu entzünden und aufrechtzuerhalten. Die Menschen arbeiteten, aßen, sprachen und schliefen neben dem Feuer15. Hier entstanden die ersten Tauschrituale der Jäger mit anderen Jägern, mit den Sammlerinnen und den Kindern und bildeten einen zentralen Teil des sozialen Lebens16. Während Lebensmittel zuvor schnell verdarben und nur mechanisch zerkleinert werden konnten, war es jetzt möglich, sie nicht nur durch Sonne, sondern mit Feuer/Rauch zu konservieren, zu braten17, weich zu kochen und beleibig aufzuteilen. Diese Tauschgeschäfte hängen eng mit dem Sex und der Familienbindung zusammen18. Dann folgte noch ein letzter gentechnischer Schritt: Die Neandertaler konnten den Energiebedarf ihrer teilweise größeren Gehirne (ca. 5000 cal pro Tag) nur mit tierischem Eiweiß stillen und scheiterten an dieser Aufgabe, weil ihre Jagdgründe sich erschöpften. Homo Sapiens kam ein genetischer Vorteil zugute: Zwischen 200.000 vor heute und 100.000 vor heute – wurde die Mutter aller heute lebenden Menschen, die »Eva der Mitochondrien« geboren19. Sie trug eine Genmutation20, die es erlaubte, die gesamte Nahrungskette zu nutzen und mit weniger Energie auszukommen (ca. 2500 cal pro Tag). So konnte der moderne Mensch ohne tierisches Eiweiß ein leistungsfähigeres Gehirn und eine differenzierte Sprache entwickeln21. Das Kochen wurde erfunden. Vor der Entwicklung der Keramik (ca. 15.000 vor heute), hat man Wasser in Erdgruben, Schildkrötenpanzer, ausgehöhlte Baumstämme geschüttet und durch hereingeworfene heiße Steine erhitzt. Fleisch und Wurzeln wurden in zugedeckten Gruben gegart. Die Auswahl der Lebensmittel wurde größer (Gifte werden durch Hitze unschädlich usw.). Der hierdurch veränderte Stoffwechsel führte nochmals zu einer deutlichen Vergrößerung des Gehirns und steigerte die Überlebensfähigkeit22. Mit der Verarbeitung des Metalls (Kupfer: ca. 6500 vor heute) war schon alles vorhanden, was wir heute benutzen. Das Kochen gehört neben der Fähigkeit zum Jagen (und der Prostitution) zu den ältesten Handwerken der Welt und darauf wiederum beruht unsere Intelligenz und Kreativität. Kein Tier hat etwas Vergleichbares entwickelt und wir sind das einzige Tier, das sogar »beim Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann« (Loriot).

Das Bewusstsein, wie sehr unser Menschsein vom Essen, vom Feuer und seiner Beherrschung abhängt, verleiht allem, was diese Vorgänge umgibt, einen mythischen, oft beschwörenden Zauber23. Die Göttin Ceres schenkt uns die Nahrung, Diana unterweist uns in der Jagd, Prometheus hat uns die Beherrschung des Feuers gezeigt und Hephaistos lehrt uns seine vielfältige Verwendung. In unzähligen Varianten hat die Kunst sich mit diesem Themenkreis beschäftigt – und tatsächlich sprechen wir ganz unbefangen vom Kochen als einer Kunst, meinen damit aber (bisher) die handwerkliche Perfektion, die wir hin und wieder beobachten. Kann das Kochen – über seine Zwecke hinaus – künstlerische Ideen, Formen und Bedeutungen enthalten? Filippo Marinetti hatte das 1930 durch Aufführung des – wie stets für sich selbst sprechenden – Kunstwerks für offenkundig erklärt. Können wir noch weitergehen? Formen wir vielleicht schon millionenfach mit dem täglichen Essen und Kochen eine »soziale Skulptur«, in der jeder ein Künstler ist (Joseph Beuys)?

3. Kunst: Der Streit um die Begriffe

Als unter unseren Vorfahren die ersten Künstler auftauchten (ca. 40.000 vor heute24), widmeten sie sich überlebenswichtigen Sujets – der Jagd. Ihre Malereien waren handwerklich perfekt, aber man wird sie nicht nur deshalb bewundert haben, denn offensichtlich waren Bedeutungen mit ihnen verknüpft, auch wenn man keinen Begriff dafür gekannt hat. Erst seit dem Mittelalter stoßen wir auf den Begriff »Kunst«, um Gegenstände aus Menschenhand von der Natur abzugrenzen. Die Architekturen der Insekten, der Berg Fuji, das farbenprächtigste Nordlicht, die leuchtenden Korallenriffe – die gesamte Natur liefert uns mit ihrer Schönheit, Symmetrie und perfekten Funktion die ästhetischen Maßstäbe, ist selbst aber keine Kunst.

Mit diesem Begriff bezeichnete man früher25 komplizierte Maschinen, wie Uhrwerke und Wasserspiele, und diese Bedeutung hat sich bis in die Moderne in vielen Fällen aufrechterhalten: wir sprechen von der Kunst der Zauberer, der Kochkunst, der Kriegskunst, der ärztlichen Kunst bis hin zur Kunst im Design und der Werbung usw. Der Kampf um den Begriff beginnt in der Sekunde, in der die Kunst den Markt betritt.26 Seit nicht nur Staat und Kirchen Kunst in Auftrag geben (um damit bestimmte Zwecke zu erfüllen) sondern auch Andere als Besteller und Mäzene auftreten, Handel treiben, spekulieren und Anlagestrategien entwickeln, ist die Kunst ein Teil der Märkte geworden. Hier geht es in erster Linie um die Machtfrage: Wie definiert sich das Erstrangige und wer darf das definieren? Das geschieht ab etwa 1820, als sich der jährliche »Salons de Paris« entwickelte und auch international zum Vorbild für vergleichbare Ausstellungen wurde.27 Seither kann uns der Begriff der Kunst nicht mehr gleichgültig sein. Ein zentraler Begriff jeder Ästhetik ist »Geschmack«, aber welche Erfahrung steht hinter Begriffen wie »hinreißend«, »das langweilt mich« oder »das gefällt mir nicht«?28. Es gibt kein »normiertes Empfinden«29 und deshalb kann es niemals eine allgemeingültige Klassifizierung von Gegenständen zur Frage geben, ob es Kunstwerke sind und welchen Rang sie haben. Und trotzdem brauchen wir eine »Theorie der Beurteilung sinnlicher Wahrnehmung«30, also Kriterien, um ein Original von Bearbeitungen, Kopien, Plagiaten und Zitaten zu unterscheiden. Wir müssen Trivialitäten und alltägliche Gegenstände von jenen der Kunst unterscheiden und schließlich wissen, worauf ein subjektives Urteil sich im konkreten Fall gestützt hat. Solange belastbare Kriterien fehlen, bewegt sich die Kritik zwischen »Protestschund« und »Zustimmungskitsch«31.

Wenn wir die Diskussion auf den Bereich der Kochkunst erweitern, stoßen wir auf einige Besonderheiten. Beim Kochen geht es um die Kunst der Metamorphose, also der Verwandlung in unterschiedliche Zustände. Die Idee und Form eines Gegenstandes, den wir essen, enthüllt sich erst in seiner Zerstörung, die beginnt, wenn unsere Hände ihn ergreifen, die Messer ihn zerschneiden, seine ersten Teile unseren Gaumen berühren und die Zähne ihn zerreißen. Darin ruht ein sehr tiefer Mythos. Während wir die meisten anderen Gegenstände der Kunst nicht einmal berühren dürfen, müssen wir sie hier vernichten, um beurteilen zu können, ob die Grenze zur Trivialität überschritten wird. Wir beurteilen das nach Geruch und Geschmack, zwei Sinnen, die in den ältesten Regionen unseres Stammhirns angesiedelt, aber sehr schwach ausgebildet und zudem sehr subjektiv sind32. Die Temperatur darf dabei -20° bis +65 °C nicht übersteigen, bestimmte Gegenstände sind lebensgefährlich. Aber gerade deswegen befinden wir uns hier im »absoluten Präsenz« (Karl-Heinz Bohrer), einem herausragenden Kennzeichen künstlerischer Gegenstände.

4. Drei Maßstäbe: Idee, Form und Bedeutung

Auf den ersten Blick sehen wir drei Kriterien, die die Gegenstände der Kunst von jenen des Alltags unterscheiden: Idee, Form und Bedeutung. Sie sind über den Künstler, die Betrachter, den Markt, die Medien und zahllose andere Elemente kommunikativ miteinander verbunden33. Aus jeder dieser drei Perspektiven muss ein Kunstwerk sich von trivialen Leistungen unterscheiden und wird daher stets selten sein.

Am Anfang jedes Kunstwerks steht eine kreative Idee. Der Künstler sieht die Gegenstände der Welt (Menschen, Sachen, Ideen, Worte, Musik usw.) vor sich und reagiert auf sie. Er treibt sie durch das Sieb seines Bewusstseins, mehr noch aber seines Unterbewusstseins. Seine Subjektivität begründet das Spannungsverhältnis zwischen dem ICH und der Gesellschaft. Diese alltägliche Aufgabe löst er anders als Menschen, die nicht über die Gabe der Kreativität verfügen. Auch im Alltag gibt es zahllose kreative Ideen, eine künstlerische Idee hingegen braucht zwei Qualitäten: Freiheit und Integrität34 und der Künstler muss selbst frei und integer sein, um ein Werk schaffen zu können, dass diesen Qualitäten genügt.

Die Integrität entsteht aus dem Anspruch des Künstlers, für sein Werk unter allen Umständen einzustehen, es nicht zu verleugnen, es als Teil seiner selbst zu betrachten. Wer die Werke eines anderen plagiiert, unlauter nachahmt, bearbeitet oder zitiert, kurz: Alle Leute, denen es nicht gelingt, sich in ihrem eigenen Schaffen vom Original zu differenzieren, sind nicht integer. Im Urheberrecht werden solche Grenzen klar beschrieben35. Allerdings kann man nicht verkennen, dass viele Künstler sich – sobald sie einen bestimmten Stil entwickelt haben – selbst nachahmen. Das wird aber nicht als kritisch empfunden, solange es jedes Mal ein neues, wenn auch ähnliches Original ist. Man kann nicht täglich neue Ideen haben36. Die Freiheit realisiert sich in der Entscheidung, welchen Inhalt die Idee haben und welche Form sie gewinnen soll. Selbst bei stark gebundenen Aufträgen (Porträts) muss sich diese Freiheit zeigen (z.B. bei Goya).

Ideen haben viele von uns, denn jeder Mensch verfügt über eine gewisse Kreativität, die sich außerhalb der Welt der Kunst entwickelt. Nur wenigen ist es gegeben, ihren Ideen eine Form zu geben, in der sie sich dem Betrachter enthüllen. Nur so werden Kunstwerke ein Gegenstand unserer Realität. Die Form entsteht durch bestimmte Gestaltungselemente, die sich oft zu einem Stil verdichten, wie wir sie seit Jahrtausenden aus unzähligen Kunstwerken kennen. Tausende von Jahren war die Forderung, ein Kunstwerk müsse »schön« sein, unabweisbar. Hinter dieser Leerformel verbirgt sich das – von den politisch-/kulturellen Rahmenbedingungen abhängige Verständnis von der Funktion der Kunst. Sie ist als Abbild des Unendlichen verstanden worden (Platon), als harmonische Darstellung idealer Zustände (Antoine Watteau), als Beschreibung unfassbarer Welten (Hieronymus Bosch), als politische Warnung usw.


Bild: Lawrence Alma-Tameda, Moses wird im Schilf gefunden, 1904

Marcel Duchamp, Fountain, replica Man kann sich heute kaum noch vorstellen, dass die Salonmaler des 19. Jahrhunderts den Versuch, die Natur abzubilden, wie sie wirklich ist (Cezanne), für unzulässig hielten. Als aber die Fotografie dem Akademischen Realismus (Alma-Tadema; Lenbach; Bougerau usw.) ihr Thema aus der Hand nahm, dauerte es nicht mehr lange, bis jede Art von Formbegriff mit einem einzigen Schlag zerstört worden ist. »Schön« konnte jetzt »das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!«37 heißen. Spätestens seit seit Marcel Duchamps ready mades, vor allem der berühmten »Fontaine« (1917), einem Urinal, das er im Handel erwarb, beschriftete und auf einen Hocker stellte, ist es nicht mehr so einfach, zu sagen, was Form ist. Diese Kunst macht nichts mehr, sondern wählt nur noch aus und präsentiert das Werk in einem – oft nicht einmal physisch vorhandenen – Rahmen, der es vom Reich der Zwecke trennt. Mit einer einzigen Geste erklärte Duchamps die in Jahrtausenden entwickelten künstlerischen Formsprachen für unwesentlich. Noch heute irritieren ihre Gravitationswellen fast jede Diskussion über Kunst. Er ermutigte unzählige kreative Leute zu künstlerischer Tätigkeit, die keine Formen beherrschen und darauf vertrauen, dass irgendetwas immer irgendeine Bedeutung haben kann.

Seine Interviews38 zeigen, wie sicher er sich seiner Sache war. Nach 1918 schuf er nur noch wenige Werke, wanderte zwischen Paris, New York und Buenos Aires, brachte ganze Tage mit (oft bezahltem) Schachspiel zu, handelte und vermittelte Kunst usw.39 Er hatte die Grenzen der Kunstbegriffe gezeigt, sein donnerndes Schweigen kann man – anders als Joseph Beuys 1964 meinte – gar nicht überschätzen40.

Wir sehen, wie sich auch in vielen anderen Bereichen außerhalb der bildenden Kunst die Form entweder ins Chaos wendet (so vor allem auf dem Theater), aus undefinierbaren Materialansammlungen besteht, oder in künstlerischen Performances auf das Nichts zubewegt.


Bild: Ursula Stock, Lord of the flies (Peter Conradi im Verhüllten Reichstag), 1998, Monotypie, 35 x 50 cm.

Christos verpackter Reichstag41 hat 1995 zornige Diskussionen ausgelöst, weil er auf Vergänglichkeit angelegt war und man nur die Dokumentation erwerben konnte. Aber Tino Sehgal42 verbietet sogar das, es wird gar nichts mehr aufgezeichnet und seine winzigen Drehbücher werden vernichtet. Nichts könnte uns die Vergänglichkeit von allem besser zeigen, als ein Kunstwerk, das nur kurze Zeit existiert, jedes Mal andere Formen annimmt und von dem man außer den Beschreibungen der Teilnehmer nichts erfahren kann. So ist gerade dieses FAST – NICHTS besonders geeignet, eine tonnenschwere Bedeutung zu tragen, das Bewusstsein der Flüchtigkeit von allem. Kein neues Thema für die Kunst, aber eine auch nur ähnliche Form hatte zuvor nie jemand gefunden.

Die Form muss – auch wenn sie nur noch aus einem (fast) unsichtbaren schwarzen Loch zwischen Raum und Zeit besteht (Malewitschs Schwarzes Quadrat 1915) – das dritte Element, nämlich die Bedeutung des Kunstwerks tragen. Kochen und Essen sind tägliche Routine, der wir in der Regel keine andere Bedeutung zulegen können, als uns satt zu machen. Es kann also nur dann zum Kunstwerk werden, wenn es auf andere Ideen, Formen, Gegenstände usw. deutet, die außerhalb seiner selbst liegen.

So wie Johannes auf Matthias Grünewalds Isenheimer Altar mit einem viel zu langen Finger auf das Unsagbare weist43, deutet das Kunstwerk auf Gegenstände außerhalb seiner eigenen Erfahrung, getrieben nur von der Energie, das zu tun, meist auch, ohne uns eine Erklärung zu liefern. Idee und Form müssen immer offen für eine Bedeutung sein44. Die Form darf auch in der Kunst der Funktion folgen, aber sie darf sich in ihr nicht erschöpfen – nicht einmal dann, wenn sie auf Triviales hinweisen will. Die Unterscheidung zwischen E(rnster) – Musik (die früher selbstverständlich der Unterhaltung diente) und U(nterhaltender) – Musik deutet das an, aber die Grenze ist beweglich und jeder Interpretation gegenüber offen. Hier sieht man am deutlichsten die Notwendigkeit, den Begriff der Kunst nicht auf sich beruhen zu lassen:

»Es ist gerade das kennzeichnende Merkmal von Trivia, von ephemeren Werken, ob in der Musik, in der Literatur oder der bildenden Kunst, dass sie sich ein für alle Mal klassifizieren und verstehen lassen.«45

Form, Idee und Bedeutung sind begriffliche Werkzeuge, mit deren Hilfe wir allgemeine wie individuellen Kriterien zur Prüfung der Frage entwickeln können, ob ein Gegenstand sich in seinen Zwecken erschöpft und/oder die Ebenen der Trivialität überschreitet, und uns zudem sagt, ob wir es mit Kunst, oder mit Wissenschaft zu tun haben46. Beim Häuten der Zwiebel mit Ockhams Messer werden wir sehen, was übrig bleibt.

Was der Künstler uns zu seinem Werk erklärt, könnte dabei nur nützlich sein, wenn er selbst ein unbefangener Betrachter sein könnte und ist deshalb für andere selten überzeugend (»bilde Künstler, rede nicht«). Allerdings: wenn wir uns das Recht subjektiver Deutung herausnehmen, müssen wir dem Werk durch entsprechende Arbeit in der Betrachtung und der Analyse gerecht werden. Ein gutes Indiz dafür, dass ein Gegenstand mehr als triviale Ideen, Formen und Bedeutungen enthält, ist die emotionale Bewegung, die Überraschung, das Entzücken oder Entsetzen bei seinem Anblick. Im besten Fall offenbart sich uns ein Wunder47, so vor allem bei den ewigen Gegenständen von Liebe, Macht und Tod, mit denen die Kunst seit Jahrtausenden ringt. Das letzte Dinner auf der Titanic war bedeutungsgeladen wie kein zweites, aber niemand hatte die Idee, den Untergang zu inszenieren, um den Passagieren dieses Erlebnis zu verschaffen48. Kann ein Restaurant, »Unsichtbares sichtbar machen« (Paul Klee, 1926)? Wo liegt die künstlerische Leistung von Essen und Kochen?

5. Myhrvold und die Modernist Cuisine

Kulturelle Konstruktionen entstehen aus den facts of live. Die Ideen und Formen des Kochens und die dazu notwendigen Werkzeuge haben sich über hunderttausende von Jahren fast nicht geändert49. Mit Messern, Feuer und Pfannen können wir auch heute noch die meisten unserer Alltagsgerichte herstellen, aber »wir wissen über die chemischen Prozesse im Inneren der Sonne mehr, als über das, was auf unserem Herd geschieht«. So formulierte es der ungarisch–britische Tieftemperaturphysiker Nicholas Kurti (Oxford), der 1992 zu seinem Sommerkurs in theoretischer Physik auch Köche nach Erice (Sizilien) eingeladen hatte. Wie z.B. verhält sich flüssiger Stickstoff (ab - 183 °C), wenn man eine Jakobsmuschel hineintaucht? Der Stoff ist nicht ungefährlich, aber er raucht schön, verstärkt den Geschmack durch Aufbrechen der Zellwände und versteinert in Bruchteilen von Sekunden alles Material, mit dem er in Berührung kommt50. Neben ihm stand der französische Chemiker Hervé This51 und demonstrierte u.a., wie man aus jeder beliebigen Flüssigkeit eine Kugel formen kann: In ein Bad aus Algin und Wasser (7,5:1,5) wird die mit Calciumchlorid52 stabilisierte Flüssigkeit (z.B. Olivenöl), tröpfchenweise hineingegossen. Sofort verbinden sich die Molekülketten der Flüssigkeit zu einer sphärischen Form, die Kugeln werden mit einem Sieb herausgeholt und wenn man auf sie beißt, explodiert der Geschmack53. Suppen, Pürees und Flüssigkeiten konnte man mit einem Stickstoff-Siphon zu neuen Texturen aufschäumen, die andere Geschmacksvarianten zeigten als zuvor, beliebige Lebensmittel bei Niedrigtemperatur (sous-vide: zwischen 50 °C und 85 °C) in Vakuumbeuteln schonend garen und nicht zuletzt eine Reihe industrieller Techniken für die Zubereitung nutzen. Wenig später (1995) begann Heston Blumenthal in seinem Restaurant Fat Duck (eine halbe Stunde westlich von London) gemeinsam mit dem Physikprofessor Peter Barham, mit den Werkzeugen der Molekularküche zu arbeiten.

Modernist Cuisine dinner with Nathan Myhrvold Wie vielfältig alle diese Techniken sein können, sehen wir erstmals in einer Enzyklopädie der Physik und Chemie des Kochens, die ein Außenseiter – Nathan Myrvold – vorgelegt hat.
Er promovierte in Princeton in Mathematik und Theoretischer Physik, war post-doc Doc bei Stephen Hawking, gründete eine Softwarefirma und war von 1986-1999 Chief Technical Officer von Microsoft54: Seither kennt man ihn als Venture Capital Investor. Aber diesen Erfolgen gehört offenbar nicht sein ganzes Interesse. Kochlehrling, französische Kochschule und die Gründung eines Labors für die Naturwissenschaft des Kochens (The Cooking Lab55) – auf diese Erfahrungen stützen sich seine Bücher, mit ihren differenzierten physikalisch/chemischen Erklärungen. Er entlarvt zahllose Alltagsmythen über das Kochen56. Man muss ihn für verwirrt halten, wenn er für den »ultimativen Cheeseburger« 30 Stunden benötigt57, aber sein Ziel ist nun einmal die technische Perfektion. Überzeugender ist sein »Geräuchertes Wildtatar mit Kaffee, Brombeeren, Fenchel, und Räuchersalz«. Nathan Myrvold hat nie ein Restaurant gegründet, ihm geht es um die Forschung und Entwicklung. Auf breiter Front entwickelt er Methoden der Metamorphose, der Bildung von Essenzen, der Dekonstruktion – bekannte Techniken der goldsuchenden Alchemisten. Er allerdings sucht den absoluten Geschmack, er will den Mythos finden, der im Kochen und Essen steckt. Die zahllosen Lehren, dass wir nur dann richtig leben, wenn wir uns richtig ernähren, gehören dazu58:

»Ganz anders interessirt mich eine Frage, an der mehr das »Heil der Menschheit« hängt, als an einer Theologen-Curiosität: Die Frage der Ernährung. Man kann sie sich, zum Handgebrauch, so formulieren: »Wie hast gerade Du Dich zu ernähren, um zu einem Maximum an Kraft, von virtù im Renaissance-Stile, von moralinfreier Tugend zu kommen?«59

Zurück nach Erice. Die Teilnehmer an der Tagung überlegten, wie ihre Praxis sich mit den neuen Theorien verändern würde. Pierre Gagnaire und Michel Bras, die damals schon berühmt waren, haben – genau wie die meisten ihrer französischen und deutschen Konkurrenten nur in geringem Umfang von den Ideen der Molekularküche Gebrauch gemacht, wie man an den Menükarten ihrer Restaurants sehen kann60. Anders Ferran Adrià: sein Restaurant lag in der schwer zugänglichen Bucht Cala Montjoi unweit der spanisch/französischen Grenze. Er setzte die Ideen, die Kurti und This ihm 1992 vermittelt hatten, sofort mit Energie um. Individuelle Bestellungen wurden abgeschafft und es gab nur noch das molekulare Menü für alle, das jede Saison um neue Ideen erweitert wurde. Damit verlor er fast die Hälfte der Gäste, die sich an seine Nouvelle Cuisine61 gewöhnt hatten. Wolfram Siebecks Lob und internationale Kommentare brachten aber neue Klientel und nur wenige Jahre später raunten die Feuilletons von »explosiven Geschmackswundern«, die man nur dort in Katalonien erfahren könne. 1997 erhielt Ferran Adrià den dritten Michelin- Stern, sein Restaurant wurde in den Jahren 2002, 2008 und 2009 als bestes Restaurant der Welt bezeichnet62 und erhielt zahllose Anerkennungen. Die Buchungsanfragen beliefen sich zuletzt auf 2 Millionen pro Jahr. Ein Jahr später wurde das Restaurant geschlossen, sein Weinkeller 2013 für 1,8 Millionen $ versteigert. Ferran Adrià war vom Stress der täglichen Inszenierungen erschöpft. Heute leitet er eine nach ihm benannte Stiftung, sein jüngerer Bruder Albert führt jetzt vier Restaurants in Barcelona, die die Ideen des Bully teilweise übernommen haben63. Aus seiner Schule sind hunderte Köche hervorgegangen, unter ihnen Massimo Bottura (Modena), Juan Amador (Wien), Cristiano Rienzner (Berlin), die alle einige Monate lang kostenlos bei elBulli tätig waren, um das begehrte Know-how mit nach Hause zu nehmen.

Auch René Redzepi (damals 24) hatte von Ferran Adrià gehört und bei ihm wie viele andere junge Köche 2001 eine Saison lang kostenlos mitgearbeitet. Sein Partner Claus Meyer, der eine Handvoll Restaurants, Werbeagenturen etc. betrieb, war im Jahr 2003 auf die Idee gekommen, sein neues Restaurant NOMA in Kopenhagen ausschließlich der nordischen Küche (Nordisk Mad64) zu widmen. Darunter verstand er alles, was in Skandinavien wächst, vor allem Kräuter, Gräser, Beeren, Wild – meist übersehene Meeresfrüchte, schließlich auch Insekten und Würmer, die irgendwann einmal in ein Überlebenshandbuch der schwedischen Armee aufgenommen worden waren, vor allem aber auch, was dort nicht wächst. Zitronen, Pfeffer usw. sollte es nicht geben – back to the roots! Vergleichbar originelle Ideen gibt es unzählige im Markt: alt-römische Küchen, mittelalterliche Gastmähler, nachtdunkle Restaurants zur Schärfung der Sinne65, andere mit Steinzeitküche usw. So kombinierte er die Molekulartechniken mit ungewohnten Produkten und lehrte uns, aus Birkenwasser ein Dessert66 zu machen, statt es sich– wie unsere Väter in Rußland – in die Haare zu reiben (»Birkin«). 2008 erhielt René Redzepi zwei Michelin Sterne, im gleichen Jahr wurde das Noma bei Trip-Advisor und fünfmal im Restaurant Magazine als bestes Restaurant der Welt bezeichnet– einmal mehr als Ferran Adrià. Jürgen Dollase lobte ihn ebenso wie Wolfram Siebeck. Geld wurde damit nicht verdient. Das Restaurant war immer auf Subventionen angewiesen, teils aus dänischen Ministerien, aber diese Investitionen lohnten sich, denn der Platz war zweifellos ein Touristenmagnet: 100.000 Anfragen pro Jahr, von denen höchstens 20.000 vergeben werden konnten. Als dieser Hype 2016 erreicht war, schloss das Restaurant mit der Ankündigung, mit neuem Konzept wieder zu eröffnen. Der bisherige Geschirrspüler (ein schwarzer Flüchtling) soll in die Geschäftsführung aufgenommen werden. Das ist bisher (Oktober 2017) nicht geschehen. Trotz der kurzen Wirkungszeit von René Redzepi hat auch er viele Schüler gewonnen67.

6. Ferran Adrià auf der documenta 12

Roger M. Buergel, Künstlerischer Leiter der documenta 12 (2007) war Ferran Adrià während seiner Zeit im Museu d’Art Contemporani de Barcelona aufgefallen. Buergels ursprüngliche Idee war, ihn nach Kassel einzuladen und es ihm – wie bei der documenta üblich – zu überlassen, seine Kreativität spielen zu lassen. Beide betonten ausdrücklich, dass die Einladung noch nicht die Behauptung enthalte, Ferran Adrià sei ein bildender Künstler und seine Kochkunst mehr als modernstes Handwerk. Aber die Presse wollte das so verstanden wissen. Der auf die Ankündigung hin fast vorhersehbare Medienhype der 15.537 Journalisten, die sich für die documenta 12 interessierten68, war gewaltig und jeder war gespannt, was nun geschehen würde. Bis auf wenige Wochen vor Ausstellungseröffnung war Adrià– wie schon zuvor bei anderen Einladungen – noch nichts eingefallen, einmal hatte er sogar abgesagt. Sein Restaurant hatte nur 50 Plätze und ist nur ein halbes Jahr geöffnet, denn die restlichen sechs Monate war er in Barcelona in einer Werkhalle als Forscher und Entwickler tätig. Mit 8000 Gästen ist die Kapazität ausgereizt, aber man braucht fast 100 Köche, Kellner, Spüler, Maitre d‘ usw., um jedem dieser Gäste in 3 Stunden 35 Gerichte auf den Punkt zu servieren, alle 5,14 Minuten ein anderes69.

Das konnte in Kassel nicht funktionieren. Es wäre aber ohne weiteres möglich gewesen, auch 751.301 Besuchern eine Performance zu bieten, die vielleicht so beeindruckend gewesen wäre, wie die von Marinetti. Ich skizziere mal einen denkbaren »Atelierbesuch«: In einer Halle sind an den Wänden alle bisherigen Rezepte, Fotos, Zeichnungen, Videos und Dokumentationen z.B. im Stil von Hanne Darboven exponiert. Es Devlin arrangiert 99 Tonnen der verwendeten Chemikalien und 99g des Eßbaren (sichtbar gemacht durch Mikroskope). Aus vielen Ecken raucht der flüssige Stickstoff, bewacht vom Ballett der Feuerwehrleute. Es donnern die Mixer. Westbam legt auf, Rainald Goetz zitiert Abfall. Auf breiten Korridoren können die Besucher die Halle betreten. Lichtkaskaden begleiten nie erlebte Geschmackskaskaden der drei oder vier überraschendsten Gerichte der elBulli-Saison. Die großen Windspiele mit ihren blau angemalten Beinen toben umher, die man sonst nur im Park gesehen hat. Oder in einer anderen Variante: man hätte den Satz »Silence is sexy« ernst genommen, der sich irgendwo auf den Wänden einer Ausstellungshalle der documenta fand – sogar aus dem Schweigen auf die Einladung hätte ein Kunstwerk werden können, wenn man nur irgendeine Form dafür gefunden hätte.

Erlösende Idee am Abend des 13.08.2006 auf der Restaurantterrasse: Buergel, seine Frau Ruth Noack (Kuratorin) und Adrià blicken in die untergehende Sonne, lauschen den lärmenden Zikaden und beschließen: das elBulli ist während der Laufzeit der Ausstellung die »Halle G« der documenta 12«, das abendliche Dinner bildet die Performance.

Am Restaurant wurden Hinweise angebracht, man betrete jetzt diese Halle. In Kassel deutete nur eine unscheinbare Speisekarte neben einer Imbissbude im Park neben der Orangerie in spanischer Sprache auf das Projekt hin, damit keiner auf die Idee käme, die Halle G sei auch für ihn bestimmt.

Roger Buergel lud 100 Tage lang in »bewährter kuratorischer Willkür« je zwei Gäste ein. Dazu gehörten Journalisten und andere Influencer, die Buergel kannte (»wer sich bewirbt, hat schon verloren«70, aber auch einige per Zufall ausgewählte Besucher, die zusammen mit den anderen (zahlenden) Documentabesuchern 38 Gänge (oder besser: 38 × ca.10 g Material) vorgesetzt bekamen71, darunter:

  • »Feder aus einem Bonbon aus nativem Olivenöl, erzielt mithilfe eines Elektroschraubers, serviert in einer Schmuckschachtel (sechster Sinn/neue Art der Präsentation)«,
  • »Wachtel –Eigelb mit Karamell vergoldet«
  • »Salziges Pralinée mit geröstetem schwarzen Sesam auf Siphon-Biskuit (Miso) aus der Mikrowelle «,
  • »Geeiste Parmesanluft mit Müsli, neue Art der Präsentation: In Styropor«,
  • »Hasenjus mit Apfel – CRU – Gelatine und schwarzer Johannesbeere – Dekonstruktion eines klassischen Wildgerichts«.

Aus den Eindrücken der Delegierten:

  • »Die erste Erfahrung des Servierens, die Präsentation, die Benennung des Gerichts, die Anweisungen für den Verzehr, und das Schlürfen des ersten Gangs trafen mich wie ein Blitz, genauso wie es mir bei der Betrachtung anderer Kunstwerke geschehen war, die mich besonders beeindruckten. Eine zweite Erkenntnis war der Kontrollverlust, als ich mich der Wirkung des gesamten Prozesses dieser Kunst hingab….. « (Juan Dàvila/Graeme Smith),
  • »Einen herrlich unerwarteten proust‘schen Moment erlebte ich, als ich die Tagetes-Blüte auf dem Mangoblatt kostete und in mir eine Erinnerung an meine Kindheit aufkam, wie ich einmal nach einer Hochzeit auf dem Kirchenboden lag das lauter Langeweile die verstreuten Blütenblätter verspeiste« (Simryn Gill),
  • »Das unglaublich schöne Goldene Ei ist eine Übersetzung des Originals, eines alltäglichen Nahrungsmittels, in ein wundervolles Objekt, das nur noch sehr wenig mit dem elementaren Vorgang des Essens zu tun hat« (Russel Storer),
  • »Der Miso-Biskuit sah wie etwas aus, dass man vielleicht in einer Garage findet oder unter dem Sofa hervorholt« (Massimiliano Gioni),
  • »Man isst Dinge, die sind gleichzeitig Alles und Nichts, Luft und Erde, Feuer und Eis. Der Moment des Genusses wird zur Erleuchtung…. Ich war erinnert an Filme von David Lynch, Musik von Anton Bruckner, Bilder von Rothko und vieles mehr (David Claassen).
  • »Das Gericht »fondant de frambuesas con wasabi y vinaigre de frambuesa« ist nicht ein Gericht mit Himbeeren: Es ist das Erleben der »Idee«, des »Wesens« der Himbeeren.« (Aldo Duelli).

Diese Kommentare zeigen uns einen ästhetischen Blick auf das Erlebnis – und damit werden literarische und philosophische Fragen verbunden. Man kann nicht erwarten, dass auch der brillianteste Koch den Universalienstreit am Beispiel der Himbeeren lösen wird, denn dazu hat er nur technische Mittel und wird genauso scheitern wie Rudolf Virchow, der beim Sezieren tausender Leichen erfolglos nach der Seele suchte. Im Wege der Alchemie können wir die chemische Zusammensetzung eines Gegenstandes herausfinden, aber sonst nichts: Eine Himbeere ist eine Himbeere ist eine Himbeere.

7. Kunst: Design, Metzgerwirt und Schwarze Messen

»Ist es sinnvoll, in diesem Essen noch etwas Tiefgründigem zu suchen?… Welche Bedeutung hat der Hasenjus……. und welche Verbindung besteht zum zerbrechlichen, feinen Blütenpapier? Kaiseki?...«
(Gabriela Moragas/Xavier Mas de Xaxàs)

Das ist die entscheidende Frage: Wann überwinden die Ideen und Formen von Kochen und Essen die Ebene der Trivialität und unter welchen Bedingungen können sie Bedeutung entwickeln?

Die trivialen Formen sind leicht zu identifizieren. Viele Lebensmittel essen wir roh und verwenden keinerlei Mühe auf Arrangements oder Zubereitung. Die Deutschen essen am liebsten Currywurst, Pommes frites, Kohlrouladen und Pizza. Da solche Sachen keinen anderen Zweck erfüllen, als uns satt zu machen, haben sie mit Kunst nichts zu tun72. Aber jede Art des Essens und Kochens wird von unzähligen kulturellen und modischen Einflüssen bestimmt, die sie von den Zwecken entfernt73. Mit dem Design erreichen wir eine erste Ebene, die die alchemistischen Metamorphosen des Kochens sichtbar machen: Fleisch sieht aus wie Gemüse, süß wirkt salzig (im Mund folgt die Überraschung), die Gerichte erhalten poetische Namen, die die Herkunft und Zubereitung unterstreichen oder verhüllen. Trompe d‘oeil Effekte bestimmen fast jedes Gericht der modernist cuisine. Vor etwa zehn Jahren hat sich weltweit das Design der japanischen Kaiseki Ryori74 so vollständig verbreitet, dass es kaum einen ambitionierten Koch gibt, auf dessen Tellern nicht die Soße wie mit Tusche gemalt erscheint, und die Spargel und Möhren senkrecht stehen. Kräuter stellen winzige Bäume und Sträucher dar und werden mit Pinzetten arrangiert, die Pipette bringt zarte Seen hervor (oder sind das Sommersprossen auf einem Gemälde im Stil des Arcimboldo?):

»Was der Kunst alles einfällt:… Wie ihr noch der letzte Spargel zu einem Manet, die erste Kartoffel zu einem van Gogh, die frische Auster zu einem Matisse, die getrocknete Blutwurst zu einem Beuys wird, aber auch umgekehrt jedweder Manet zum Spargel, jeder van Gogh zur Kartoffel, jeder Matisse zur Auster und jeder Beuys zur Blutwurst…«75.

Die Meister des Kaiseki, der Nouvelle Cuisine und der Molekularküche haben Ideen und Formen entwickelt, die unsere alltäglichen Erlebnisse mit dem Essen bei weitem übersteigen. Formloser Luxus (Kaviar mit Blattgold), »der Dadaismus des Besitzens« (Lambert Wiesing), gehört nicht dazu76. Wie René Redzepi gezeigt hat, gibt es auch ein »armes Theater« der Haute Cuisine.

Wenn sie diesen Rang erreicht, ist die Haute cuisine wie eine Skulptur, die auch den letzten Schritt noch sichtbar macht– die Geste der Vernichtung: Wenn wir überleben wollen, müssen wir anderes Leben auslöschen. Das ist nirgendwo deutlicher geworden als im Orgien – Mysterien – Theater von Hermann Nitsch, das in seiner Formensprache an die frühesten dionysischen Performances erinnerte: »Ich will das schönste Fest der Menschheit entwerfen, das keinen anderen Vorwand als das Leben selbst hat«77 – und dieses Theater bestand in erster Linie aus Schlachten, Kochen, konzertantem Lärm und blutigen Ritualen. Text spielte keine wesentliche Rolle, denn »entscheidend sind… die Augen: Sie leugnen das Wissen und produzieren umso mehr an Bedeutung«78. Vanitas-Motive überall. In der ländlichen Umgebung von Schloss Prinzendorf mussten sich Bilder vom Metzgerwirt aufdrängen, bei dem direkt neben dem Gastraum geschlachtet wird, man hört das Schreien der Tiere, die Fische werden aus ihrem Bassin genommen, dem Gast gezeigt und ihnen dann das Genick gebrochen79. So geschah es hier, der tote Stier wurde bald gegessen, der Wein floss in Hektolitern – aber keiner war daran interessiert, satt zu werden, es ging um die Bilder80. Politik und Ethik wurden sichtbar81. Nitsch provozierte vor allem mit seinen Bezügen zu christlichen Zeremonien, in denen Fleisch und Blut des Herrn verspeist wird. Dieses Motiv durchzieht unser tägliches Leben. Schon in Griechenland und vor allem in Asien ist es noch heute üblich, ein wenig Wein auf die Erde zu tropfen, um auch den Göttern ihren Anteil zu geben, bevor wir selbst trinken.82

Balthazar Grimod de la ReynièreElegantere Formen kennen wir seit der Antike83 und auf sie bezog sich zehn Jahre vor der französischen Revolution Balthazar Grimod de la Reynière, ein Adeliger mit fehlgebildeten Händen, die er durch metallene Prothesen ersetzt hatte.

In seinen schwarzen Messen auf den Champs Elysées konnte man Szenen wie diese erleben:

»Ein in ein Totenhemd gekleidetes, spindeldürres Individuum, das an einem Tische saß, auf dem zwischen zwei brennenden Kerzen ein Totenschädel höhnisch grinste, trug jeden Ankömmling in eine Liste ein….. Der Saal war tiefschwarz ausgeschlagen, eine ganze Kompanie Schweizer Gardisten stand ringsum, in der Luft schwebte ein merkwürdiger Geruch, an Kirche und Friedhof erinnernd. 339 Kerzen erhellten den Raum, durch den die zitternde Melodie einer Mandoline klang. In jeder Ecke stand ein Kind, das ein Rauchfass schwang. Auf der Festtafel selbst war – unheimlich anzusehen – ein Katafalk aufgebaut…. 14 Gänge zu je fünf Platten wurden von 200 schwarz gekleideten Dienern auf Totenbahren hereingetragen, und jeder Gang stellte ein kulinarisches Meisterwerk dar… Seine künstlichen Hände hatte er abgelegt, Abscheu erregend starrten den Anwesenden die Armstümpfe, die an Schwimmhäute von Enten erinnerten, entgegen.«84

Wer das Essen ablehnt, muss sterben, die Magersucht ist nichts anderes als eine Verweigerung des Lebens, in der auch die Verachtung anderer zum Ausdruck kommt, die sie diesen Trivialitäten nicht verweigern. Der Hungerkünstler findet auf dieser Erde nichts, was ihm schmeckt.

Von Leben und Tod zu sprechen ist nur möglich, wenn wir das Bindeglied zwischen beiden nie aus den Augen verlieren – den Sex. Viele Lebensmittel enthalten Aphrodisiaka85. Ihre Wirkung wird oft übertrieben, aber stets deuten sie auf Bezüge und Ereignisse, die nichts mit dem Sattwerden zu tun haben. In Platons Gastmahl ist nicht vom Essen, sondern vom Eros die Rede. Marina Abramovic hat das 2011 in einer großen Performance im Los Angeles Museum of Contemporary Art gezeigt: Eine lebensgroße nackte Frau wird aus gefülltem und verziertem Biskuitteig gebacken, die Gäste gehen mit ihren Messern hin, zerschneiden sie Stück für Stück und fressen sie auf86. Menschenfresserei ist eines unserer zentralen Tabus. Obwohl wir wissen, dass sie nie der Ernährung gedient hat, sondern dem Triumph über den Feind, der Einverleibung seiner Macht, dem besonders wertvollen Opfer an die Götter, fällt es schwer, ihre künstlerische Darstellung zu ertragen87. Und obwohl alle wissen, dass das nur eine Allegorie ethischer Konflikte, ein Symbol von Sex, Ekel und eine gigantische Metapher der Aggression ist, kommen alle diese Gefühle in ihnen hoch. Manche haben gekotzt88. Ähnliche Reaktionen hat ihre Performance von 2017 provoziert, in der sie den Tod auf den Knien wiegt.

Hier – wie auch in vielen der oben beschriebenen Performances geht es um den Ekel, um die Ästhetik des Negativen89: Manche Gerichte führen uns in die Randzonen von Leben und Tod: Die Austern, die wir essen, leben noch, wenn ihre Schalen aufgebrochen werden. In Asien geht es in dieser Hinsicht sehr viel wilder zu: Lebendige Garnelen, lebende Glasaale in Sake sind da nichts seltenes90. Der Reiz, sich im Essen zu gefährden oder gar zu töten zieht die Leute in Japan zum Kugelfisch (fugu). Er fordert heute nur noch fünf Tote im Jahr, wenn Amateure ihn servieren und doch gibt es immer wieder Menschen, die dieses Risiko eingehen, weil sie das erregende Gefühl suchen, so ihrer letzten Stunde entgegenzutreten. Weiter kann man es nicht treiben, wenn man einen »Sinnlosigkeitsschauer« erleben will91. Noch offenkundiger werden diese Spannungen, wenn wir den Köchen hinter den Kulissen in voller Aktion zusehen können. Es gibt nur wenige vergleichbar brutale Arbeitsplätze: Kochen ist Krieg!92

elBulli Küche
Foto: Küche El Bulli, 2007, Wikimedia, Charles Haynes

Kunst muss sich grundsätzlich um Wahrheit bemühen und zur Wahrheit gehört der Ekel. In der Eat-Art, in der kein Mensch irgendetwas verspeist, kann sich auch die Wahrheit des Ekels abbilden. In den Performances der großen Restaurants betritt man das riskante Gebiet des Ekels nicht – aber es ist nicht ausgeschlossen, dass gerade die perfekte Vorführung des guten Geschmacks ihn umso deutlicher macht. Mir jedenfalls ist es so gegangen: Schon lange sind mir bereits die Darstellungen der Arbeit mit der Pinzette und der unfassbare Aufwand, irgendein Gericht mit einem aufgespritzten Nichts zu versehen unmittelbar ekelhaft.

Aber es gibt noch andere Formen. In der Eventgastronomie können Theater, Musik, Essen und Trinken zu unterhaltsamen und anregenden ästhetischen Erlebnissen werden, die sich durchaus mit anderen Performances messen können.93

Bereits die Nouvelle Cuisine hat diese Grenze hin und wieder überschritten, und Ferran Adrià und vielen Köchen der modernist Cuisine ist das (mindestens) in zweierlei Hinsicht gelungen. Sie haben uns neue Ideen und Designs gezeigt, und wir sind Teil einer interaktiven Performance geworden, die sich – wie jedes gute Theater – aus Vorfreude, Essen, Trinken, Staunen, Kritik und Zustimmung zusammensetzt. Diese Elemente erschöpfen sich weder im Sattwerden, noch im Luxus, sondern regen uns zu komplexen Assoziationen an, die über sich selbst hinausweisen und Deutungen provozieren. In der Literatur, in einem Konzert, bei einem Gang durch ein Museum, beim Anblick eines Films oder der Erfahrung einer Performance machen wir – jedenfalls beim ersten Mal – vergleichbare ästhetische Erfahrungen. Die unermüdliche Arbeit an immer neuen Einfällen zeigt, dass Ferran Adrià die Gefahr der Trivialität genau gespürt hat, die sich aus der Wiederholung und der Gewöhnung entwickelt! An ihr ist er am Ende gescheitert. Es ist kein Zufall, dass Adrià, Redzepi und viele ihrer Schüler ihre Arbeit nach wenigen Jahren einstellen mussten, weil sie sie (nicht nur finanziell) immer wieder an den Rand ihrer Möglichkeiten gebracht hat. Kunst ist immer borderline. Wenn es sinnvoll wäre, unterhaltende und erhebende Kunst zu unterscheiden, hätte wohl niemand ein Problem, viele Inszenierungen der modernist cuisine der unterhaltenden Kunst zuzuordnen. Dazu aber müssten diese Inszenierungen eine Bedeutung sichtbar machen, die bei Grimod de la Reynière, Marinetti, Nitsch und Abramovic ohne weiteres erkennbar sind.

Das gilt auch für die Zeremonien des Essens und Trinkens in den tantrischen Ritualen. Der Begriff »Tantra« wird oft nur mit den Ritualen identifiziert, die sich auf die Sexualität richten. Tatsächlich sind aber Essen und Trinken als rituelle Opfergaben zu verstehen, ohne die der Bezug auf die übernatürlichen Kräfte, die im Tantra geweckt werden sollen, nicht herstellbar wäre.

  • *. Eine Kurzfassung wurde unter dem Titel »Marinetti, Adrià und die Dokumenta 12« veröffentlicht im: Merkur – Deutsche Zeitschrift für Europäisches Denken – 2018, Heft 825, Seite 44-54.
  • 1. 20.02.1909: http://www.kunstzitate.de/bildendekunst/manifeste/futurismus.htm
  • 2. Manfred Hinz: Die Zukunft der Katastrophe, de Gruyter 1985, S. 149 ff.
  • 3. https://de.wikipedia.org/wiki/Filippo_Tommaso_Marinetti
  • 4. Tristan Tzara: »Der Futurismus ist am Dada gestorben« (1917).
  • 5. F.T.Marinetti: Die futuristische Küche (1932), Klett Cotta 1983, Nachdruck ab S. 23 ff.; Kommentar: Harald Lemke: Das Manifest der futuristische Koch-Kunst, http://www.recenseo.de/artikel/artikel.php?aid=0122-lemke-manifest-futur....
  • 6. Bilderstrecke: https://www.google.de/search?q=taverna+santopalato+futurismo&tbm=isch&tb...
  • 7. F.T.Marinetti (Fn. 5) S. 82-86.
  • 8. https://de.wikipedia.org/wiki/Schlaraffenland#/media/File:Schlaraffenlan...
  • 9. Arcimboldo; Pieter Breughel und zahllose nature mortes; Ralf Beil: Künstlerküche Dumont 2002; Daniel Spoerri; Salvador Dali: Die Diners mit Gala, Propyläen 1973; »Weiches Selbstbildnis mit gebratenem Speck« in: Robert Descharnes: Dali, Dumont 1984 S. 265.
  • 10. F.T. Marinetti, cit.n. Christa Baumgart: Geschichte des Futurismus, Rowohlt 1966, S. 168.
  • 11. Frans de Waal: Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote, Klett Cotta 2015 S. 115: Er hält es noch nicht für ausgemacht, dass Tiere sich nicht selbst beobachten können.
  • 12. Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Bd. 2 der Soziologie und Anthropologie Frankfurt 1989; Maurice Godelier, Das Rätsel der Gabe: Geld, Geschenke, heilige Objekte, CH Beck 1999; Michael Tomasello, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie: Warum wir kooperieren, Edition Unseld, 2010.
  • 13. Michael Tomasello Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral (Harvard 2016), Suhrkamp 2016, S. 90ff cit Thomas Nagel : Der Blick von Nirgendwo (1986), Suhrkamp tb 2012), S. 83, 117; zu den Grenzen unseren Vorstellungen über das Bewusstsein von Tieren: »What Is It Like to Be a Bat?«. http://organizations.utep.edu/Portals/1475/nagel_bat.pdf (31. 12. 2016).
  • 14. Zit. n. Birgit Recki: Gegen die Absolutismen der Wirklichkeit, Merkur 2015, Heft 729, S. 38.
  • 15. Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus, CH Beck 2014, S. 25,57 ff. Mythen über den Ursprung des Feuers finden sich bei Levi-Strauss: Mythologica I, Suhrkamp 2. Aufl. 1980 S. 94 ff.
  • 16. Marvin Harris: Wohlgeschmack und Widerwillen – die Rätsel der Nahrungstabus, Klett Cotta 1988, S. 22 ff.
  • 17. Bei zufällig aufflammenden Buschbränden entwickeln sich schnell Temperaturen über 140 °C, bei denen die Fettschichten karamellisieren, und so die auch heute bei Fleisch, Pommes frites und Backwaren geschätzten Röstnoten entstehen (Maillard-Reaktion).
  • 18. Tor Noerretranders: Über die Entstehung von Sex durch generöses Verhalten, Rowohlt 2004; Hans Peter Duerr: Die Tatsachen des Lebens, Suhrkamp 2002, S. 31ff gemeinsames Essen, vor allem aus einer Schüssel, ist das sicherste Zeichen intimer Gemeinschaft.
  • 19. Svante Pääbo.: Der Neandertaler und wir, Fischer 2014 S. 129 unter Hinweis auf grundlegende Forschungen von Allan Wilson. Die »Mutter« ist die »erste« Trägerin unserer modernen mtDNA. Nur eine sehr kleine Mutation war der Auslöser für diese Entwicklung http://advances.sciencemag.org/content/2/12/e1601941(14.2.2017).
  • 20. Mathias, R. A.; et al.: Adaptive evolution of the FADS gene cluster within Africa. PLoS ONE 7(9): e44926. doi:10.1371/journal.pone.0044926 (14.03.2017) (Hinweis: Andreas Elepfandt).
  • 21. Schon der Neandertaler (ca. 300.000-40.000 v.Chr.) hat mit hoher Wahrscheinlichkeit sprechen können (Hermann Parzinger, FN 15, S. 49). Der anatomisch moderne Mensch (Homo Sapiens) hat spätestens seit 150.000 v.Chr über die Sprache verfügt.
  • 22. Richard Wrangham: Feuer fangen – wie uns das Kochen zum Menschen machte, DVA 2009, S. 48ff; E.O.Wilson: Die soziale Eroberung der Erde, CH Beck 2013 S. 62 ff. ;Ludwig Feuerbach (1850): »Der Mensch ist, was er ißt«: Bei diesem Satz hat man Hermann Göring vor Augen, aber auch seinen Chef, einen kuchensüchtigen Vegetarier, der zu gelegentlichen Rückfällen bei Leberknödelsuppe neigte.
  • 23. Claude Lévi-Strauss: Mythologia I – Das Rohe und das Gekochte (1964), Suhrkamp 1971., auch Bd. III, S. 515 ff.
  • 24. Denis Vialou: Frühzeit des Menschen, CH Beck 1992.
  • 25. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitale Version der Universität Trier, http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/call_wbgui_py_from_form?sigle=D...
  • 26. Ernst Wilhelm Händler: Die Kunst, die Kritik und das Geld, Merkur 2015, Heft 796, S. 5 ff.
  • 27. Gegründet 1725 durch Ludwig XIV.Eine Retrospektive zeigte die Münchner Hypo-Kunsthalle vom September 2017 bis Januar 2018: GUT · WAHR · SCHÖN, Meisterwerke des Pariser Salons aus dem MUSÉE D'ORSAY.
  • 28. Besonders die Kochkritik bewegt sich durchweg auf diesem Niveau, aber es könnte auch anders sein: Jürgen Dollase: Ist Kochen eine Kunst? Kursbuch 184 (Dezember 2015 S. 33 ff.
  • 29. Christian Demand: Wie kommt die Ordnung in die Kunst? Zu Klampen 2010 S. 244; Reinhold Schmücker: Was ist Kunst, Klostermann 2014 S. 152.
  • 30. Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Suhrkamp 1995 S. 440.
  • 31. Rainald Goetz: Abfall für alle, Suhrkamp 1999, S. 85.
  • 32. Steve Jones: Die Botschaft der Gene, List 1995, S. 38.
  • 33. Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Suhrkamp 1995 S. 39 ff.; Reinold Schmücker: Was ist Kunst – eine Grundlegung, Klostermann 2014 S. 275 ff.
  • 34. Hinweis von Petra Morsbach.
  • 35. Ahlberg/Götting: BeckOK Urheberrecht 2017 RN 75f : »Wo …die Intensität der Sprache, Musik, bildenden Künste oder des Tanzes neuartige Empfindungen bzw. Stimmungen hervorruft,….oder wo Bestehendes anders kombiniert, variiert oder eigenwillig abstrahiert wird, dort liegt ein aus der Fantasie geborenes Produkt vor, das die Kriterien des Neuen und der Eigentümlichkeit erfüllen kann. Hierbei ist davon auszugehen, dass die einzelnen Gestaltungsmittel alle vorbekannt sein können. Sie dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden, denn dann würde es bei dem Handwerklichen verbleiben. Entscheidend ist vielmehr das Zusammenspiel aller vorbekannten Gestaltungselemente im Rahmen einer Gesamtbetrachtung (stRspr, vgl. BGH GRUR 1987, 360 (361).«
  • 36. Erst eine Retrospektive für Günter Ücker (Gropius-Bau, Berlin 2005) zeigte mir, dass er etwas anderes kann, als Nägel ins Holz hauen. Auch Balkenhol könnte seinen Figuren mal was anderes anziehen. Und der Tag wird kommen, an dem ein Kurator seinen Baselitz im Rahmen einer Sonderausstellung vom Kopf auf die Füße stellt und feststellen wird, dass er so viel besser aussieht.
  • 37. Lautréamont: Chants de Maldoror, 6. Gesang.
  • 38. Marcel Duchamp: The Afternoon Interviews, Badlands 2013.
  • 39. Calvin Tomkins: Marcel Duchamp – eine Biografie, Hanser 2005.
  • 40. Susan Sontag: »Einflussreichster »Maler« unseres Jahrhunderts: Duchamps. Hebt die Idee der Kunst auf.« (Tagebücher 1964-1980, Hanser 2013, S. 419) – aber er hat sie nicht aufgehoben, sondern unendlich erweitert.
  • 41. https://www.pinterest.de/pin/110830840808614503/
  • 42. Welcome to the Situation, Gropius-Bau Berlin Juni-August 2015: https://www.youtube.com/watch?v=DVVtc_xQdFU
  • 43. https://www.pinterest.de/pin/1618549845472829/
  • 44. Umberto Eco: Das offene Kunstwerk (1962), Suhrkamp 5. Aufl. 1990 S. 85 ff.
  • 45. George Steiner: Errata, Hanser 1997, S. 10.
  • 46. »Duchamps: readymades nicht als Kunst, sondern als philosophische Aussage über das Zulassen von »Zufällen«, über ein Werk als »Objekt«. (Susan Sontag: Tagebücher 1964-1980, Hanser 2013, S. 214.
  • 47. Karl-Heinz Bohrer: Ist Kunst Illusion? Hanser 2015, S. 22ff; Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins, Suhrkamp 1981; Ereignis und Aura: Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Suhrkamp 2002.
  • 48. Rick Archbold/ Dana McCauley: Das letzte Dinner auf der Titanic, 1997.
  • 49. Deshalb ist es außerhalb industrieller Fertigungsprozesse praktisch unmöglich, für ein Kochrezept ein Patent zu erhalten –http://www.zeit.de/1966/15/eine-suppe-vor-gericht. Für die Molekularküche ist innerhalb der sehr kurzen Sechsmonatsfrist des § 3Abs. 5 PatG kein Versuch der Patentierung unternommen worden, obwohl es grundsätzlich möglich ist, die Anwendung bekannter Methoden auf neuen Gebieten patentieren zu lassen. Moderne Kochmethoden , z.B. Fisch mit Blättern einzuhüllen und sanft zu garen, kennt bereits Archestratos von Gela (330 v.Chr.), http://www.cooksinfo.com/archestratus/.
  • 50. Das ist der gleiche Stoff, mit dem sich heute einige Menschen nach ihrem Tod einfrieren lassen, um vielleicht in 1000 Jahren wieder auferweckt zu werden.
  • 51. Hervé This-Benckhard: Rätsel der Kochkunst – naturwissenschaftlich erklärt, Springer 1996; Kulinarische Geheimnisse, 55 Rezepte naturwissenschaftlich erklärt, Springer 1997.
  • 52. Ein in der EU unter E 509 allgemein zugelassener Lebensmittelzusatz, den man in anderer Konzentration auch als Frostschutzmittel und Staubbinder bei Sprengarbeiten findet. Die Alginate, die in der Lebensmittelindustrie verbreitete Verwendung finden, sind unter den Nr. E 400-405 zugelassen.
  • 53. Zu weiteren Techniken der Molekularküche: Thomas A. Vilgis: Die Molekülküche, Hirzel 2006. Anschaulich wie immer: YouTube unter dem Stichwort »Molekularküche«. Dort kann man z.B. sehen, wie man Sherry fritttiert: Erst mit Algin die Kugel formen, dann mit Tempurateig umhüllen und sehr kurz frittieren – so habe ich das im Maremoto bei Cristiano Rienzner in Berlin (Aufsteiger des Jahres 2005) gegessen: https://www.youtube.com/watch?v=78NwswfqwSM ). Das Restaurant ist jetzt geschlossen.
  • 54. Modernist Cuisine. Die Revolution der Kochkunst: 6 Bände, 2478 Seiten, 3.200 Fotos Taschen 2011.
  • 55. http://modernistcuisine.com/about-modernist-cuisine/the-cooking-lab/ .Auf YouTube kann man ihm stundenlang zusehen, wenn man seinen Namen eingibt.
  • 56. Beim Anbraten z.B. werden nicht die »Poren des Fleischs« geschlossen, sondern nur die Maillard-Reaktion in Gang gesetzt; das 1. Fick’sche Diffusionsgesetz zeigt uns, dass Aromen nicht durch stundenlanges Einkochen riesiger Mengen) wirksam extrahiert werden (frühere Versuche: 50 Schinken reduziert auf ein Kristallfläschchen), sondern nur durch Zerkleinern der Materie auf möglichst kleine Formate (Bd.II, S. 290).
  • 57. Modernist Cuisine Bd. V, S. 11. Der ungewöhnliche Zeitaufwand beruht auf der langen französischen Teigführung für das Sesam Brötchen bei geringen Temperaturen: https://www.ploetzblog.de/2011/03/30/baguettes-nach-anis-bouabsa-frankre...
  • 58. Die Konzepte des Kochens und Essens sind vor allem in Indien und China engstens mit medizinischen Vorstellungen verbunden und daher nahezu unveränderbar.
  • 59. Friedrich Nietzsche, Ecce Homo (Warum ich so klug bin) (1889), Kritische Studienausgabe, de Gruyter 1999, S. 279. In der Genueser Küche hat Nietzsche diese Qualität gefunden und viele werden ihm zustimmen.
  • 60. http://www.pierre-gagnaire.com/; http://www.bras.fr/fr/; DVD: Entre Les Bras - 3 Sterne. 2 Generationen. 1 Küche. Zur Arbeit der französischen Köche jenseits der Nouvelle Cuisine: Inventing Cuisine - 10-DVD Box Set ( L'invention de la cuisine ) ( Inventing Cuisine: Pascal Barbot / Michel Bras / Pierre Gagnaire / Michel Guerard / Gérald Passédat / Nadia Santini / Olivier Roellin by Pascal Barbo; englische Untertitel.
  • 61. Sie beginnt in den 1970er Jahren bei Paul Bocuse, Michel Guérard, Alain Chapel u.a.,deren Ideen seit Jahrzehnten die großen französischen Köche beeinflusst haben und ist in Deutschland vor allem von Eckart Witzigmann und seinen Schülern (Harald Wohlfahrt, Hans Haas, Roland Trettl u.a.) perfektioniert worden.
  • 62. Die Zeitschrift Restaurant Magazine, die diesen Preis vergibt, ist allerdings umstritten: Die 50 besten Restaurants der Welt werden von ca. 1200 Journalisten, Köchen, Kritikern und Lobbyisten definiert, der Abstand zu den Industrie – Sponsoren ist gering. Anders als bei Michelin und Gault Millaut ist kein Kritiker, der seine Stimme abgibt, verpflichtet, das Restaurant auch testweise zu besuchen Die klassische Küche hat fast keine Chance: In der Liste 2017 liegen drei Restaurants in Lima (Peru) auf den Plätzen 5-33, erst Nr. 47 besetzt Joachim Wissler (Vendome): http://www.theworlds50best.com/
  • 63. https://www.theguardian.com/lifeandstyle/video/2011/may/17/tickets-41-de...à-tapas-cocktail-barcelona-video
  • 64. Der Name ist nicht ganz gelungen, denn Noma ist besser bekannt als Bezeichnung einer vor allem in Afrika vorkommenden, die Unterernährung begleitende Krankheit, bei dem einem das halbe Gesicht vom Krebs gefressen werden kann (Gangränöse Stomatitis).
  • 65. www.unsichtbar.de
  • 66. René Redzepi: NOMA, – Zeit und Raum in der nordischen Küche, Fall Don 2011 S. 265 – dort auch zahllose weitere Rezepte mit deutlicheren Elementen der Molekularküche; auf DVD: Noma - Ein Blick hinter die Kulissen des besten Restaurants der Welt: Auch einen Spielfilm gibt es auf DVD: Im Rausch der Sterne (2016).
  • 67. http://noma.dk/noma-alumni/
  • 68. Pressemitteilung vom 23.09.2007, http://www.documenta12.de/index.php?id=pressemitteilungen
  • 69. Sehr anschaulich: Ferran Adrià/Juli Soler/Albert Adrià: Ein Tag im elBulli – Einblicke in die Ideenwelt, Methoden und Kreativität von Ferran Adrià, Phaidon 2009 und diverse DVD - elBulli - Cooking in Progress (Spanisch mit deutschen Untertiteln).
  • 70. http://www.taz.de/!263694
  • 71. Richard Hamilton und Vincente Todolí haben das gesamte Projekt in einem aufwändigen Buch dokumentiert und zeigen uns diese Speisen ab S. 111 (Food für Thought, Actar Barcelona/New York , ohne Jahrgang, deutsche Fassung ISBN 978 – 84 – 96954 – 69 – 4; die Gerichte werden ab S. 111-131 in Wort und Bild dargestellt, die Beurteilungen durch die Besucher folgen danach.
  • 72. Mit einer Ausnahme: Wenn wir Nahrungsmittel aus ihrem Rahmen reißen und in einen völlig anderen stecken, wie es Daniel Spoerri getan hat, sprechen wir nicht mehr von Kochen oder Essen, sondern nur noch von der Frage, ob das Plagiate sind, Bearbeitungen, Zitate, usw. und welche Bedeutung sich daraus ergibt (https://www.pinterest.de/pin/163607398940526805/¸Theorie dazu: Gastronomisches Tagebuch, Nautilus 1995).
  • 73. Stephen Menell: Die Kultivierung des Appetits – die Geschichte des Essens vom Mittelalter bis heute, Athenäum 1988. Der heute fast unbezahlbare Bauch des Bluefin-Thunfischs (Toro) wurde noch in der Nachkriegszeit in Japan nur als Katzenfutter verwertet.
  • 74. Kaiichi Tsuji: Kaiseki – Zen tastes in Japanese Cooking, Kodansha 1971; Überblick: https://www.pinterest.de/search/pins/?rs=ac&len=2&q=kaiseki%20ryori&eq=k...[]=kaiseki%7Cautocomplete%7Cundefined&term_meta[]=ryori%7Cautocomplete%7Cundefined; viele Kaiseki-Restaurants sind seit Jahrhunderten im Familienbesitz, so etwa das Hyotei (Kyoto): http://hyotei.co.jp/en/
  • 75. Robert Gernhardt: Glück Glanz Ruhm, Haffmans 1983 S.75.
  • 76. »Seneca erzählt von einer berühmten, zum Stadtgespräch gewordenen Schüssel, wie von einer Monstrosität. Es waren darin die feinsten Leckerbissen, die sonst auch bei großen Gastmählern nacheinander aufgetragen wurden (wie Austern und andere Schaltiere, Seeigel, ausgegrätete Seebarben), so durcheinander gemischt und mit der gleichen Brühe übergossen, dass man das einzelne nicht unterschied: Der Auswurf eines Erbrechenden könnte nicht mehr durcheinander gemengt sein.« (Ludwig Friedländer: Sittengeschichte Roms, Athenaion, o. J. S. 631).
  • 77. Hermann Nitsch cit.n. Alfred Gulden: Nitsch proben – Meine Erinnerungen an das Orgien – Mysterien – Theater, Merkur 2010 S. 388 (393). Roger M. Buergel war von 1985-1987 sein Assistent. Https://www.youtube.com/watch?v=_ARnB2hyP5I&list=PLGeszT2kIe_7Tn5iB-01lz...
  • 78. Karl-Heinz Bohrer: Jetzt, Suhrkamp 2017 S. 464.
  • 79. In der normalen Sprache der Köche hält man keinen Schleier vor den Mord: »Junge Hasen erkennt man daran, dass sich die Rippen leicht eindrücken, die Haut zwischen den Löffeln sich leicht losziehen, die Löffel selbst sich der Länge nach einreissen und die Läufe leicht brechen lassen« (Der Große Pellaprat, Gräfe und Unzer, 8. Aufl. o.J. S. 482.
  • 80. Paul de Man: Die Ideologie des Ästhetischen, Suhrkamp 1993, S. 83 ff.
  • 81. Harald Lemke: Ethik des Essens, Akademie 2007; Politik des Essens, transcript 2012.
  • 82. In einigen Fällen sind Gott und Heilige Speise (Soma) nicht zu trennen – Thomas Oberlies: Der Rigveda und seine Religion, Verlag der Weltreligionen 2012, S. 2 68 ff.
  • 83. Petronius Arbiter: Das Gastmahl des Trimalchio (ca 60 n.Chr.), Insel 2006: Da flattern Vögel aus einem aufgebrochenen Schwein, werden mit Netzen gefangen und gleich vor dem Gast gegrillt; oder auch: gezüchtete Feldmäuse, frisch geboren, am Schwanz hochgehoben, in einen Honigdip getaucht und roh gegessen. (Harry Schraemeli Von Lukullus zu Escoffier, Ceres, o.J. S. 24.
  • 84. Harry Schraemeli: Von Lukullus zu Escoffier, Ceres, o.J. S. 62 ff.
  • 85. Dazu gehören zweifellos Austern, Trüffel, Kaviar, Schokolade, einige Gewürze (Vanille, Chilli) und bei kluger Begrenzung der Alkohol. Spargel, Ginseng, und Granatapfel sagt man die Wirkung wegen ihrer Form nach, aber auch Placebos haben ihre Wirkung! Alfons Schuhbeck: Liebesmenüs: Raffinierte Köstlichkeiten für sinnliche Stunden, Heyne 2005.
  • 86. Marinetti hatte diese Idee bereits 1930 voll entwickelt: »Die Leidenschaft der Blonden, ein hoher plastischer Komplex aus Blätterteig, ausgebildet als Pyramide sich verjüngender Stufen…. Eine eigene Art höchst sinnlichen Schwankens, ein eigenes Lächeln der Lippen…« (FN. 5, S. 12 ff). Marina Abramovic: Durch Mauern gehen, Autobiografie, Luchterhand 3. Aufl. 2016.
  • 87. Marvin Harris, FN 16, S. 216 ff.; Pierre Clastres: Chronik der Guayaki (1972), Trickster 1984, S. 205 ff.; »Meine demonstrative Lust … Exotisches und »Widerliches« zu essen = ein Bedürfnis, meine Ablehnung gegenüber Zimperlichkeit kundzutun. Eine Gegenerklärung.« (Susan Sontag, FN 44, S. 38.
  • 88. https://www.youtube.com/watch?v=emqAaD04LjA; https://www.huffingtonpost.com/susan-michals/naked-as-they-came-eating_b... http://www.laweekly.com/arts/marina-abramovics-moca-gala-controversy-jef...
  • 89. Karl-Heinz Bohrer: Ästhetik der Negativität, Hanser 2002; Winfried Menninghaus: Ekel – Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Suhrkamp 1999.
  • 90. https://www.youtube.com/watch?v=L-PGV8cwVAE; Auch über den Verzehr des Gehirns lebender Affen wird gesprochen http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/40909/Die-Peking-Ente.
  • 91. Rainald Goetz, Fn. 30, S. 233.
  • 92. Gregor Weber – am Herd mit deutschen Profiköchen, Piper 4. Aufl. 2009; Bill Buford: Hitze, Hanser 2008; Anthony Bourdain: Geständnisse eines Küchenchefs – was Sie über Restaurants nie wissen wollten, Blessing 2001.
  • 93. So etwa Hans-Peter Wodarz, Kolja Kleberg, Holger Stromberg und andere.
Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Siehe Fußnoten.