§ 519 ZPO

BVerfG, 10.10.1973 - 2 BvR 574/71

1. Art. 103 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, durch Präklusionsbestimmungen auf eine beschleunigte Abwicklung des Rechtsmittelverfahrens hinzuwirken, soweit die betroffene Partei in 1. Instanz ausreichend Gelegenheit hatte, sich in allen für sie wichtigen Punkten zur Sache zu äußern, dies aber aus von ihr zu vertretenden Gründen versäumt hat.
2. Im Regelfall reicht eine globale Bezugnahme auf das Vorbringen in 1. Instanz unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG nicht aus, um das Berufungsgericht zu verpflichten, die gesamten erstinstanzlichen Ausführungen des Berufungsklägers auf ihre Relevanz für das Berufungsverfahren zu überprüfen. Das Gericht kann grundsätzlich ohne Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör davon ausgehen, daß der Berufungskläger in seiner den Anforderungen des § 519 Abs. 3 ZPO genügenden Berufungsbegründung nicht nur darlegt, in welchen Punkten er das erstinstanzliche Urteil angreift, sondern auch das Vorbringen und die Beweisanträge ausdrücklich kennzeichnet, auf die er weiterhin Wert legt.
3. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn das Erstgericht ein unter Beweis gestelles Vorbringen als unerheblich behandelt, der Berufungskläger mit seiner Berufung gerade diese Rechtsauffassung angreift und das Berufungsgericht den betreffenden Sachvortrag daraufhin ebenfalls für erheblich ansieht. Unter diesen Voraussetzungen ist das Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG gehalten, sich zu vergewissern, ob das Beweismittel nicht bereits in 1. Instanz benannt worden ist.