BVerfGE 9, 185; MDR 1959, 365; NJW 1959, 764

Titel zum Volltext

Daten

Fall: 
Verfahrensbestimmungen im vorkonstitutionellen Recht
Fundstellen: 
BVerfGE 9, 185; MDR 1959, 365; NJW 1959, 764
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
18.02.1959
Aktenzeichen: 
2 BvL 6/57
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Instanzen: 
  • VG Hamburg, 10.12.1956 - VI b 774/56

Rechtsnormen

Seitennummerierung nach:

BVerfGE 9, 185

Seiten:


BVerfGE 9, 185 (185):


Der Begriff "Rekursverfahren nach den §§ 20 und 21 der Gewerbeordnung" in Art. II des Gesetzes zur Änderung der Titel I bis IV, VII und X der Gewerbeordnung vom 29. September 1953 (BGBl. I S. 1459) umfaßt alle im Bundesrecht vorgesehenen förmlichen Verwaltungsverfahren, auf die die Grundsätze des Rekursverfahrens, wie sie in §§ 20, 21 GewO niedergelegt sind, Anwendung finden.

Art. II ÄndG ermächtigt daher die Länder, auch das Rechtsmittelverfahren nach § 4 in Verbindung mit § 3 des Gesetzes über den Verkehr mit unedlen Metallen abweichend zu regeln.

  Beschluß

des Zweiten Senats vom 18. Februar 1959

-- 2 BvL 6/57 --

in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung, ob § 1 und § 2 Abs. 1 Buchstabe f des hamburgischen Gesetzes über die weitere Einführung des Einspruchs vom 6. Dezember 1954 (GVBl. S. 135) mit Art. II des Gesetzes zur Änderung der Titel I bis IV, VII und X der Gewerbeordnung vom 29. September 1953 (BGBl. I S. 1459) und § 4 Abs.3 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit unedlen Metallen vom 23. Juli 1926 (RGBl. I S. 415) vereinbar sind - Vorlagebeschluß des Landesverwaltungsgerichts Hamburg - Kammer VI - vom 10. Dezember 1956 (VI b VG 774/56) -.

Entscheidungsformel:

§ 1 und § 2 Absatz 1 Buchstabe f des hamburgischen Gesetzes über die weitere Einführung des Einspruchs vom 6. Dezember 1954 (GVBl. S. 135) sind mit § 4 Absatz 3 des Gesetzes über den Verkehr mit unedlen Metallen vom 23. Juli 1926 (RGBl. I S. 415)


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in Verbindung mit Artikel II des Gesetzes zur Änderung der Titel I bis IV, VII und X der Gewerbeordnung vom 29. September 1953 (BGBl. I S. 1459) vereinbar.

  Gründe:

I.

Art. II des Gesetzes zur Änderung der Titel I bis IV, VII und X der Gewerbeordnung vom 29. September 1953 (BGBl. I S. 1459) -- im folgenden: ÄndG -- bestimmt:

"Soweit in der Gewerbeordnung oder in anderen bundesrechtlichen Vorschriften als Rechtsmittelverfahren das Rekursverfahren nach den §§ 20 und 21 der Gewerbeordnung vorgesehen ist, kann es durch Landesrecht abweichend von diesen Vorschriften geregelt werden. Das gleiche gilt für das Beschwerdeverfahren nach § 120 d Abs. 4 der Gewerbeordnung."

Auf Grund dieser bundesrechtlichen Vorschrift hat die Freie und Hansestadt Hamburg das Gesetz über die weitere Einführung des Einspruchs vom 6. Dezember 1954 (GVBl. S. 135) -- im folgenden: Zweites Einspruchsgesetz -- erlassen. § 1 und § 2 lauten in dem hier interessierenden Umfang:

"§ 1

An die Stelle des Rekurs- und Beschwerdeverfahrens nach den §§ 20 und 21 sowie 120 d Absatz 4 der Gewerbeordnung tritt das Einspruchsverfahren nach dem Gesetz über die Einführung des Einspruchs als einzigen Rechtsmittels gegen Verwaltungsakte in der Hansestadt Hamburg vom 29. Oktober 1949 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 265)

§ 2

(1) Vom Inkrafttreten dieses Gesetzes ab sind in Verfahren über Rechtsmittel gegen Verwaltungsakte hamburgischer Behörden folgende Bestimmungen nicht mehr anwendbar, soweit sie nicht schon außer Kraft getreten sind: a) ... bis e) ... f) § 3 Absatz 1 Satz 2, § 4 Absatz 3 Sätze 1, 3 und 4, ...


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des Gesetzes über den Verkehr mit unedlen Metallen sowie in § 3 Absatz 3 Satz 2 die Verweisung auf § 21 Satz 2 der Gewerbeordnung; g) ... bis h) ..."

Die in § 2 Abs. 1 Buchst. f des Zweiten Einspruchsgesetzes erwähnten Vorschriften des Gesetzes über den Verkehr mit unedlen Metallen vom 23. Juli 1926 (RGBl. I S. 415) -- im folgenden: Metallgesetz oder UMG -- lauten:

"§ 4 Abs. 3

Gegen die Zurücknahme der Erlaubnis ist Beschwerde zulässig. Die Vorschriften des § 3 Abs. 1 bis 3 finden für die Zurücknahme der Erlaubnis entsprechende Anwendung. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Ist die Zurücknahme auf mangelnde Sachkenntnis oder Zuverlässigkeit gegründet, so entscheidet die Beschwerdeinstanz vorab darüber, ob der Beschwerde aufschiebende Wirkung zukommt.

§ 3

Die Erlaubnis wird durch die von der obersten Landesbehörde bestimmte Verwaltungsbehörde erteilt. Gegen deren Bescheid oder Auflagen ist binnen zwei Wochen die Beschwerde an die von der obersten Landesbehörde bestimmte Stelle zulässig, die endgültig entscheidet. Vor der Entscheidung der ersten und zweiten Instanz ist die örtlich zuständige Industrie- und Handelskammer (Kleinhandelskammer) oder Handwerks-(Gewerbe-)Kammer gutachtlich zu hören. Die oberste Landesbehörde regelt das Verfahren. Die §§ 21 Satz 2 und 21 a der Gewerbeordnung finden sinngemäße Anwendung. ..."

II.

1. Mit Bescheid des zuständigen Bezirksamtes Wandsbek vom 23. Juni 1956 wurde dem Schrotthändler Franz K. aus Hamburg die Erlaubnis zum Kleinhandel mit unedlen Metallen entzogen. Der entsprechend der erteilten Rechtsmittelbelehrung eingelegte Einspruch wurde vom Bezirksamt Wandsbek am 28. Juli 1956 zurückgewiesen. Gegen beide Bescheide hat der Betroffene am


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  1. August 1956 Anfechtungsklage vor dem Landesverwaltungsgericht Hamburg erhoben.

2. Das Landesverwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 10. Dezember 1956 -- VI b VG 774/56 -- das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber beantragt, "ob

a) Die Vorschrift des § 1 des Gesetzes über die weitere Einführung des Einspruchs (Zweites Einspruchsgesetz) vom 6. Dezember 1954 (HGVBl. S. 135), insoweit sie anordnet, daß an die Stelle des Beschwerdeverfahrens nach den §§ 20 und 21 der Gewerbeordnung (GewO) das Einspruchsverfahren nach dem Gesetz über die Einführung des Einspruchs als einzigen Rechtsmittels gegen Verwaltungsakte in der Hansestadt Hamburg (Erstes Einspruchsgesetz) vom 29. Oktober 1949 (HGVBl. S. 265) tritt, und b) die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Buchst. f des Zweiten Einspruchsgesetzes, insoweit sie § 4 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit unedlen Metallen (UMG) vom 23. Juli 1926 (RGBl. I S. 415) in der geltenden Fassung für nicht mehr anwendbar erklärt, mit Art. II des Gesetzes zur Änderung der Titel I bis IV, VII und X der GewO vom 29. September 1953 (BGBl. I S. 1459) und 4 Abs. 3 Satz 1 UMG vereinbar sind".

Art. II ÄndG ermächtige den Landesgesetzgeber nur, das in bundesrechtlichen Vorschriften als Rechtsmittelverfahren vorgesehene "Rekursverfahren nach den §§ 20 und 21 der Gewerbeordnung" abweichend von diesen Vorschriften zu regeln. § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3 Abs. 3 UMG regele aber nicht ein derartiges "Rekurs"-Verfahren, sondern eine "Beschwerde", auf die nur § 21 Satz 2 der Gewerbeordnung anzuwenden sei. Art. II ÄndG könne sich deshalb nicht auf diese Beschwerde beziehen. Da das Metallgesetz als Bundesrecht fortgelte, verstoße die Ersetzung der bundesrechtlich vorgeschriebenen Beschwerde durch den Einspruch gegen das Bundesrecht; das Zweite Einspruchsgesetz sei insoweit nach Art. 31 GG ungültig.


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Die zu treffende Entscheidung hänge von der Gültigkeit der gerügten Vorschriften ab. Sei das Zweite Einspruchsgesetz ungültig, dann müsse die Anfechtungsklage als unzulässig verworfen werden. Denn der Anfechtungskläger hätte vor Erhebung der Klage Beschwerde (§ 4 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 3 UMG, § 49 Abs. 1 Brit. MRVO Nr. 165) und nicht Einspruch einlegen müssen. Sei das Gesetz dagegen gültig, müsse die Anfechtungsklage als zulässig behandelt werden.

3. Das Bundesverfassungsgericht hat den Verfassungsorganen des Bundes, der Freien und Hansestadt Hamburg sowie den Beteiligten des Ausgangsverfahrens gemäß § 82 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 77 BVerfGG Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Gemäß § 80 Abs. 5 i.V.m. § 80 Abs. 4 BVerfGG wurden die obersten Gerichte der Freien und Hansestadt Hamburg gehört.

Zu dem Vorlagebeschluß haben sich geäußert namens der Bundesregierung der Bundesminister für Wirtschaft, der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, der I. Senat des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts sowie der Anfechtungskläger des Ausgangsverfahrens. In allen Stellungnahmen werden die Bedenken des vorlegenden Gerichts für unbegründet gehalten.

III.

Die Vorlage ist zulässig.

Die gegen die Gültigkeit von § 1 und § 2 Abs. 1 Buchst. f des Zweiten Einspruchsgesetzes erhobenen Bedenken sind jedoch unbegründet.

Zu entscheiden ist die Frage, ob der Gesetzgeber der Freien und Hansestadt Hamburg durch das Zweite Einspruchsgesetz an die Stelle der im § 4 Abs. 3 Satz 1 UMG vorgesehenen "Beschwerde" den "Einspruch" setzen konnte. Für die Beantwortung kommt es zunächst darauf an, ob § 4 Abs. 3 UMG als Bundesrecht oder als Landesrecht fortgilt (Art. 125 GG). Im Falle der Fortgeltung als Bundesrecht ist zu prüfen, ob die Freie und Hansestadt Hamburg berechtigt war, das Verfahren nach § 4 Abs. 3 UMG anderweitig zu regeln.


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  1. § 4 Abs. 3 UMG ist ehemaliges Reichsrecht, das am 7. September 1949 innerhalb einer Besatzungszone einheitlich gegolten hat (Art. 125 Nr. 1 GG). Die vom Metallgesetz geregelte Materie gehört gemäß Art. 74 Nr. 11 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (Recht der Wirtschaft). § 4 Abs. 3 UMG und der in dieser Vorschrift erwähnte § 3 Abs. 1 bis 3 UMG enthalten zwar ausschließlich Bestimmungen über das Verwaltungsverfahren. Es handelt sich aber um Bestimmungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den das Recht der Wirtschaft betreffenden materiellen Vorschriften stehen und nur in diesem engen Zusammenhang Geltung besitzen (sog. akzessorisches Verwaltungsverfahrensrecht). Derartige Regelungen sind Recht, "das Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft" (Art. 125 GG). Für Art. 125 GG ist allein entscheidend, daß die materiellrechtlichen Vorschriften eines Gesetzes zu den in Art. 74 GG angeführten Gebieten gehören. Daß der Bundesgesetzgeber nach Inkrafttreten des Grundgesetzes bei entsprechenden Gesetzen Verwaltungsverfahrensrecht nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen darf (Art. 84 Abs. 1 GG), ist für Art. 125 GG unbeachtlich. Diese Auslegung ist durch den vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Zweck des Art. 125 GG gerechtfertigt (BVerfGE 1, 283 [294]; 7, 18 [25 f.]). Daraus folgt, daß die nach Ansicht des vorlegenden Gerichts verletzte Vorschrift des § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3 Abs. I bis 3 UMG gemäß Art. 125 Nr. 1, 74 Nr. 11 GG als Bundesrecht fortgilt (im Ergebnis gleicher Ansicht: BVerwG Urt. vom 26. Januar 1956 Gew Arch. 1955/56 S. 166; Rother/Sieg, Metallgesetze, Kommentar 1955 S. 124; der Bundesminister für Wirtschaft und der I. Senat des OVG Hamburg in der Stellungnahme vom 31. Mai 1957)

2. Bis zum Erlaß des Änderungsgesetzes war also kraft Bundesrechts das Rechtsmittelverfahren im Falle des § 4 UMG so geordnet, daß gegen die Zurücknahme der Erlaubnis zum Handel mit unedlen Metallen Beschwerde an die von der obersten Landesbehörde bestimmte Behörde gegeben war und daß die landes


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rechtliche Ordnung des Verfahrens in der ersten und zweiten Verwaltungsinstanz den Rahmenvorschriften des § 21 Satz 2 GewO entsprechen mußte; gegen den Beschwerdebescheid war dann auf Grund der Verwaltungsgerichtsgesetze die Klage im Verwaltungsstreitverfahren gegeben.

Durch Art. II ÄndG ermächtigte der Bundesgesetzgeber die Landesgesetzgeber, das Rechtsmittelverfahren abweichend zu regeln, soweit in der Gewerbeordnung oder in anderen bundesrechtlichen Vorschriften "das Rekursverfahren nach den § 20 und 21 der Gewerbeordnung" vorgesehen ist. § 4 Abs. 3 UMG bestimmt als Rechtsmittel gegen die Zurücknahme der Handelserlaubnis die "Beschwerde", auf die "die §§ 21 Satz 2 und 21 a der Gewerbeordnung ... sinngemäße Anwendung" finden. In allzu enger Auslegung des Wortlautes der angeführten Bestimmungen sieht das vorlegende Gericht das Verfahren nach § 4 Abs. 3 und § 3 Abs. 1 bis 3 UMG als nicht von Art. II ÄndG erfaßt an. Diese Auffassung verkennt den Begriff des "Rekurs verfahrens " in Art. II ÄndG und die Bedeutung der Verweisung auf die Vorschrift des § 21 Satz 2 GewO in § 3 Abs. 3 UMG.

Man kann nicht, wie es das vorlegende Gericht tut, unter "Rekurs" ein ausschließlich mit dieser Bezeichnung belegtes spezialisiertes und eigengeartetes Rechtsmittel im Verwaltungsverfahren verstehen, das etwas anderes als eine förmliche Verwaltungsbeschwerde wäre. Als im Jahre 1869 die Gewerbeordnung erlassen wurde, gab es in den norddeutschen Einzelstaaten weder eine einheitliche Verwaltungsorganisation noch eine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Gesetzgeber des Norddeutschen Bundes mußte also auf die landesrechtlichen Ausführungsvorschriften verweisen und konnte von Bundes wegen nur bindende Rahmenvorschriften erlassen. Das Bestreben des Bundesgesetzgebers bei der Gestaltung der §§ 20 und 21 GewO war also, einen gewissen Rechtsschutz gegenüber den bundesrechtlich ermächtigten Verwaltungsmaßnahmen zu sichern, indem den Ländern aufgegeben wurde, die Anrufung einer höheren Instanz zuzulassen und das Gesamtverfahren in erster und zweiter


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Instanz nach den in § 21 Satz 2 Nr. 1 bis 5 GewO aufgeführten Grundsätzen zu gestalten, die Garantien dafür geben sollten, daß dem Betroffenen sein Recht werde. Die §§ 20 und 21 GewO definieren nicht einen reichsrechtlichen Begriff des "Rekurses", sondern sie umschreiben, wie es im Art. II ÄndG zutreffend heißt, ein "Rekursverfahren", überlassen es aber den Ländern, wie sie die danach gebotenen Rechtsmittel bezeichnen und das Rechtsmittelverfahren im einzelnen -- unter Einhaltung der reichsrechtlichen Mindestvorschriften -- ausgestalten. In allen späteren Reichs-Verwaltungsgesetzen verwies dann der Gesetzgeber auf das Verfahren nach §§ 20, 21 GewO, wenn er von Reichsrechts wegen ein Mindestmaß von Rechtsschutz sichern wollte. Dabei ist zu beachten, daß die entscheidenden Merkmale des "Rekursverfahrens" in § 21  Satz 2  GewO aufgeführt sind.

Der Sinn der reichsrechtlichen Institution des Rekursverfahrens ist, daß eine vollständige wiederholte Prüfung der Sache im zweiten Rechtszug, sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht, ermöglicht wird. Diese Aufgabe kann sowohl die Klage im Verwaltungsstreitverfahren wie gerade auch die förmliche Verwaltungsbeschwerde erfüllen. In den landesrechtlichen Ausführungsvorschriften erscheint darum vielfach gar nicht die Bezeichnung "Rekurs", sondern es wird einfach die "Beschwerde" oder die Klage im Verwaltungsstreitverfahren gegeben (vgl. etwa §§ 113 und 117 des Preußischen Zuständigkeitsgesetzes vom 1. August 1883). Eine "Beschwerde", die nach der Ausgestaltung des Verfahrens in erster und zweiter Instanz die Grundsätze des § 21 Satz 2 GewO erfüllt, ist also nicht ein anderes formalisiertes Verwaltungsrechtsmittel als ein "Rekurs", sondern gerade das "Rekursverfahren nach den §§ 20 und 21 GewO". Daraus ergibt sich, daß die Wahl des Wortes "Beschwerde" in einem Reichsgesetz, das zugleich für das Beschwerdeverfahren auf die Rahmenvorschriften des § 21 Satz 2 GewO verweist (also z. B. § 4 Abs. 3, § 3 Abs. 1 bis 3 UMG), genauso von Reichsrechts wegen das "gewerberechtliche Rekursverfahren" vorschreibt, wie wenn es heißen würde, daß der Rekurs nach Maßgabe der §§ 20,


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21 GewO gegeben sei. Auch diese Fälle werden darum von der Ermächtigung des Art. II ÄndG erfaßt. Der Begriff "Rekursverfahren nach den §§ 20 und 21 der Gewerbeordnung" in Art. II ÄndG umfaßt auch alle im Bundesrecht vorgesehenen förmlichen Verwaltungsverfahren, auf die die Grundsätze des Rekursverfahrens, wie sie in §§ 20, 21 GewO niedergelegt sind, Anwendung finden.

3. Gegen diese Interpretation spricht nicht, daß in § 3 Abs. 3 UMG nur § 21 Satz 2 GewO und nicht auch § 20 GewO (vgl. Art. II ÄndG) aufgeführt ist. Mit Recht hebt das Oberverwaltungsgericht Hamburg darauf ab, daß eine Verweisung auf § 20 GewO wegen § 3 Abs. 1 UMG nicht nötig war. Die Fristbestimmung -- Kennzeichen jeder förmlichen Beschwerde -- des § 20 Abs. 1 GewO ist in § 3 Abs. 1 Satz 2 UMG enthalten. Daß § 3 Abs. 1 UMG im Gegensatz zu § 20 Abs. 2 GewO die schriftliche Begründung des Beschwerdebescheides nicht verlangt, ist unerheblich. Denn nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts, die in alle Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder Eingang gefunden haben, muß der Bescheid auf eine förmliche Beschwerde schriftlich begründet werden; insofern bedurfte es also keiner besonderen Rahmenvorschrift.

Unerheblich für die Qualifikation der Beschwerde nach § 4 Abs. 3 UMG als "Rekursverfahren" im Sinne von Art. II ÄndG ist ferner, daß nach § 3 Abs. 3 UMG "die oberste Landesbehörde", dagegen nach § 21 Satz 2 GewO die "Landesgesetze" Bestimmungen über das Verfahren und die Behörden treffen. Das Wesen des gewerberechtlichen Rekursverfahrens wird dadurch nicht berührt. Die in § 21 Satz 2 GewO enthaltenen Grundsätze müssen sowohl von den "obersten Landesbehörden" (§ 3 Abs. 3 UMG) als auch von dem Landesgesetzgeber (§ 21 Satz 1 GewO) beachtet werden.

4. Bestätigt wird die hier vertretene Auslegung des Art. II ÄndG durch den Zweck dieser Vorschrift. Sinn der bundesgesetzlichen Ermächtigung ist es, das in der Gewerbeordnung mit bindender Kraft für die Länder rahmenmäßig geordnete


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Rekursverfahren zur Disposition der Länder zu stellen, weil es aus einer Zeit stammt, in der das allgemeine Verwaltungsverfahren der Länder noch nicht allenthalben rechtsstaatlich geordnet war und es eine ausgebildete Verwaltungsgerichtsbarkeit noch nicht gab. Die Länder sollten auch diese Verfahren ihrem allgemeinen Verwaltungsverfahren anpassen und insbesondere den Rechtsbehelf einheitlich gestalten können, der der -- gemäß dem Gebot des Art. 19 Abs. 4 GG -- heute allgemein zugelassenen Anrufung der Verwaltungsgerichte vorgeschaltet ist. Insofern ist die Lage für § 4 UMG genau die gleiche wie in den Fällen, in denen auch dem Wortlaut nach auf das Rekursverfahren nach den §§ 20 und 21 GewO verwiesen wird. Angesichts der Generalklausel und des einheitlichen Ausbaus der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Ländern besteht heute kein Bedürfnis mehr dafür, den Ländern bundesrechtlich ein justizförmig ausgestaltetes Verwaltungsrechtsmittelverfahren als Mindest-Rechtsschutz vorzuschreiben.

5. Im Hinblick auf Art. II ÄndG ist § 3 Abs. 3 Satz 2 UMG daher heute so zu lesen: "Die §§ 21 Satz 2 und 21 a der Gewerbeordnung finden sinngemäße Anwendung,  soweit das Verfahren nicht durch Landesgesetz abweichend geordnet wird."  Da Art. II ÄndG den hamburgischen Gesetzgeber damit auch zur Ersetzung der Beschwerde durch den Einspruch ermächtigt hat, verstoßen die §§ 1 und 2 Abs. 1 Buchst. f des Zweiten Einspruchsgesetzes nicht gegen Bundesrecht.