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Der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch - Schema

Kurzeinführung

(1) Das Staatshaftungsrecht gilt als eher unbeliebte Materie in der juristischen Ausbildung. Das mag einerseits daran liegen, dass es größtenteils nirgendwo richtig kodifiziert ist. Somit müssen die Anspruchsvoraussetzungen (leider) entweder auswendig gelernt oder sonst irgendwie hergeleitet werden. Andererseits kann es auch daran liegen, dass dieser Materie im Studium aufgrund Zeitmangels weniger Beachtung geschenkt und es häufig erst gegen Ende der Vorlesungszeit behandelt wird. Gleichwohl ist es nach wie vor ratsam sich das Staatshaftungsrecht aufgrund dessen Examensrelevanz zumindest kurz angeschaut zu haben. Denn wie immer gilt auch hier der Grundsatz: Das, was Studierende hassen, lieben Prüfer. Somit verfolgt dieser Beitrag das Ziel den Folgenbeseitigungsanspruch in aller Kürze möglichst umfassend zu beleuchten.
(2) Der Folgenbeseitigungsanspruch wurde durch Rechtsprechung und Literatur entwickelt.1 Seine Existenz wird aus § 113 I 2 VwGO hergeleitet.2 Er ist vor den Verwaltungsgerichten im Wege der allgemeinen Leistungsklage prozessual geltend zu machen.3 Anders als beim Amtshaftungsanspruch oder der Enteignungsentschädigung zielt der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch in der Rechtsfolge nicht auf Geldersatz ab, sondern auf die tatsächliche Wiederherstellung des vor dem hoheitlichen Eingriff bestehenden Zustands.4 Die Herstellung eines gleichwertigen Zustands genügt dafür.5 Der Sache nach geht es um die Beseitigung von Folgen, die durch rechtswidriges hoheitliches Handeln in Form von Realakten oder durch Normsetzung entstanden sind.6 Typisch denkbare Schulbeispiele sind: Ein Gemeindebürger wird vom Bürgermeister in einer öffentlichen Rede beleidigt und begehrt Widerruf der ehrverletzenden Äußerung. Oder: Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung warnt vor verdorbenem Fleisch in bestimmten Fertigprodukten.7
(3) Ferner ist der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch vom Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch zu unterscheiden: Bei letzterem Anspruch geht es um die Beseitigung von Folgen, die durch den Vollzug eines Verwaltungsakts nach dem VwVG entstanden sind.8 Dieses Verständnis des Folgenbeseitigungsanspruchs erschien aber im Laufe der Zeit als zu eng.9 Die Unterschiede zum Folgenentschädigungsanspruch werden innerhalb der schematischen Übersicht behandelt. Schließlich füllt der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch eine haftungsrechtliche Lücke: Der Amtshaftungsanspruch und die Enteignugsentschädigung sind jeweils auf Geldersatz gerichtet, greifen aber nicht, wenn jemand durch rechtswidrige Folgen des Verwaltungshandelns beschwert ist.10

Schematische Übersicht

I) Rechtsgrundlage

Die rechtliche Grundlage des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs ist umstritten und es gibt hierzu mehrere Meinungen:

  • Teils wird er aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) und den Grundrechten hergeleitet,11 teils als gewohnheitsrechtliches Rechtsinstitut schlechthin anerkannt.12
  • Vorausgesetzt wird er jedenfalls in § 113 I 2 VwGO und manch andere meinen den Rechtsgedanken aus den §§ 862, 1004 BGB heranziehen zu müssen.13
    Schließlich spielt die Streitigkeit für eine Klausur keine große Rolle, da der Anspruch anhand gleicher Voraussetzungen geprüft wird.

II) Hoheitliches Handeln

Das hoheitliche Handeln umfasst Rechtsakte aller Art mit Ausnahme von förmlichen Gesetzen und Maßnahmen der Judiaktive (§ 839 II 1 BGB).14 Dagegen nicht: Unterlassen, da es hier nichts gibt, was wiederherzustellen wäre.15

III) Eingriff in ein subjektives Recht und dadurch Schaffung eines rechtswidrigen Zustands

1) Eingriff
Der Eingriff muss eine subjektive Rechtsposition betreffen: Diese kann sowohl einfachgesetzlich, als auch und vor allem Grundrechte sein.16 Normen die bloß dem Allgemeininteresse dienen (z. B. Art. 20 a GG) scheiden somit aus.17
2) Dadurch Schaffung eines andauernden rechtswidrigen Zustands

  • Wichtig: „Der Folgenbeseitigungsanspruch knüpft [...] nicht an die Rechtswidrigkeit der hoheitlichen Maßnahme an, sondern an die Rechtswidrigkeit des dadurch geschaffenen Zustandes (Erfolgsunrecht) an“.18
  • Ferner werden nur die unmittelbaren Folgen eines Eingriffs erfasst.19
  • Grundsätzlich kann von einem rechtswidrigen Handeln auf die Rechtswidrigkeit der Folge geschlossen werden. Das gilt aber nicht bei Verwaltungsakten. Auch ein rechtswidriger bestandskräftiger Verwaltungsakt stellt eine taugliche Rechtsgrundlage für den durch ihn hervorgerufenen Zustand dar.
  • Das ergibt eine Besonderheit beim Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch20: Ein rechtswidriger, aber wirksamer Verwaltungsakt ist eine Rechtsgrundlage für die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands. Prozessual muss also zuerst der rechtswidrige Verwaltungsakt „weg“. In einem zweiten Schritt kann dann der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch als Annexantrag zur Klage geltend gemacht werden.
  • Die gleiche Problematik stellt sich beim rechtswidrigen, aber nicht nichtigen öffentlich-rechtlichen Vertrag.
  • In der Zwischenzeit darf keine Legalisierung des rechtswidrigen Zustands eingetreten sein.21

IV) Kein Ausschluss

1) Duldungspflicht der Folgenbeseitigung
Ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die Duldungspflicht kann sich ggf. aus § 906 BGB analog oder dem Rechtsgedanken speziellerer Normen ergeben. Hierbei ist dann eine umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen.
2) Mögliche und zumutbare Wiederherstellung22

  • Möglichkeit der Widerherstellung. Falls nicht, ist zu unterscheiden zwischen tatsächlicher und rechtlicher Unmöglichkeit.23 Hierher gehört auch oben angesprochenes Problem des Widerrufs von ehrverletzenden behördlichen Äußerungen24: Grundsätzlich kann der Folgenbeseitigungsanspruch auf den Widerruf von Tatsachenbehauptungen gerichtet sein, da diese dem Beweis zugänglich sind und es somit um den Wahrheitsanspruch des Einzelnen geht. Dagegen sind Werturteile nicht dem Beweis zugänglich. Der Wahrheitsanspruch greift in diesem Fall nicht. Allerdings heißt das nicht, dass ein Folgenbeseitigungsanspruch auch leerliefe. Wenn die behördliche Erklärung tatsächlich beseitigt werden kann (z. B. durch Richtigstellung), ist ein Folgenbeseitigungsanspruch wieder einschlägig.
  • Die Zumutbarkeit der Wiederherstellung kann eher großzügig ausgelegt werden. Grund dafür ist, dass es immer noch einen Folgenentschädigungsanspruch geben kann.25 Zweck ist es völlig sinnlose Entscheidungen zu vermeiden. Orientierung bietet § 275 II BGB. Die Grenze ist die Durchsetzung unzulässiger Rechtsausübung. Es soll nur mit der Wiederherstellung des Ursprungszustands kein unverhältnismäßig hoher Aufwand verbunden sein.26

3) Kein Ausschluss durch Mitverschulden nach § 254 BGB (ggf. analog)
Bei nicht teilbarem Wiederherstellungsanspruch → Folgenbeseitigungsanspruch wandelt sich in Folgenentschädigungsanspruch um, der um den Anteil des Mitverschuldens gekürzt wird (Rechtsgedanke des § 251 I BGB).27 Im Fall des Folgenentschädigungsanspruchs liegt die Wiederherstellung also doch ausnahmsweise in Geld.

V) Rechtsfolge

  • Wiederherstellung des ursprünglichen oder eines gleichwertigen Zustands28
  • Anspruchsgegner: Hoheitsträger der zur Beseitigung befugt ist29
  • 1. Erbguth, VerwR AT, § 41, Rn. 1.
  • 2. ders., VerwR AT, § 41, Rn. 3.
  • 3. ders., VerwR AT, § 41, Rn. 16.
  • 4. ders., VerwR AT, § 41, Rn. 1.
  • 5. Detterbeck, VerwR AT, § 24, Rn. 1201.
  • 6. ders., VerwR AT, § 24, Rn. 1203; Grzeszick/Erichsen/Ehlers, VerwR AT, § 44, Rn. 113.
  • 7. weitere Beispiele: BVerwGE 38, 336 (346); 75, 354 (355).
  • 8. Erbguth, VerwR AT, § 41, Rn. 2.
  • 9. Grzeszick/Erichsen/Ehlers, VerwR AT, § 44, Rn. 113.
  • 10. Ipsen, VerwR AT, § 22, Rn. 1334, 1336.
  • 11. BVerwGE 69, 366 (390).
  • 12. BVerwGE 94, 100 (103).
  • 13. Erbguth, VerwR AT, § 41, Rn. 3.
  • 14. ders., VerwR AT, § 41, Rn. 4.
  • 15. ebda.
  • 16. Detterbeck, VerwR AT, § 24, Rn. 1206.
  • 17. Erbguth, VerwR AT, § 41, Rn. 5.
  • 18. s. ders., VerwR AT, § 41, Rn. 6.
  • 19. Maurer, VerwR AT, § 30, Rn. 16.
  • 20. Erbguth, VerwR AT, § 41, Rn.6.
  • 21. Maurer, VerwR AT, § 30, Rn. 15.
  • 22. ders., VerwR AT, § 30, Rn. 14.
  • 23. Erbguth, VerwR AT, § 41, Rn. 8 f.
  • 24. Detterbeck, VerwR AT, § 24, Rn. 1214.
  • 25. Erbguth, VerwR AT, § 41, Rn. 10.
  • 26. Detterbeck, VerwR AT, § 24, Rn. 1216.
  • 27. BVerwGE 82, 24 (27–29).
  • 28. Erbguth, VerwR AT, § 41, Rn. 12.
  • 29. Detterbeck, VerwR AT, § 24, Rn. 1226.
Literaturverzeichnis
Zitierte Literatur: 
  • Detterbeck, Steffen. Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungsprozessrecht, 12. Auflage, 2014.
  • Erbguth, Wilfried. Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungssprozess- und Staatshaftungsrecht, 8. Auflage, 2015.
  • Grzeszick, Bernd in: Erichsen, Hans-Uwe/Ehlers, Dirk. Allgemeines Verwaltungsgsrecht. 13. Auflage, 2005, De Gruyter Verlag.
  • Ipsen, Jörn: Allgemeines Verwaltungsrecht. 6. Auflage, 2009, Carl Heymanns Verlag.
  • Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht. 18. Auflage, 2011, Verlag C. H. Beck.
Rechtsprechung: