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Der Amtshaftungsanspruch (§ 839 I BGB i.V.m. Art. 34 GG) - Schema
Kurzeinführung
(1) „Kennen Sie den § 831 BGB?“. Mit diesen Worten leitete unser Dozent im Examinatorium zum allgemeinen Verwaltungsrecht die damalige Stunde zum Staatshaftungsrecht ein. Diese didaktisch zutreffend gezogenen Parallele sollte uns die Angst vor dem an sich systemlosen Staatshaftungsrecht nehmen. Der Hoffnung diese Erfahrung weitergeben zu können widmet sich somit dieser Kurzbeitrag. Das Staatshaftungsrecht ist nach wie vor sehr examensrelevant. Jedoch lassen sich wohl ein Großteil der Fälle mit der Kenntnis und einem vernünftigen Umgang des Amtshaftungsanspruchs (§ 839 I BGB, Art. 34 GG) lösen. In einer öffentlich-rechtlichen Klausur wird es ferner auch weniger zu einem gutachterlichen Einbau des Amtshaftungsanspruchs in eine Klage gehen, da hierfür der ordentliche Rechtsweg vorgesehen ist, § 40 II 1 HS 1 VwGO.1 Somit kann dieser Anspruch hauptsächlich in Form einer Zusatzfrage nach einer rechtlichen Würdigung in Betracht kommen.
(2) Das Zusammenspiel der beiden Normen, § 839 I BGB und Art. 34 GG hat historischen Grund.2 Die damalige Auffassung und Idee hinter dem Amtshaftungsanspruch war, dass der Staat auch unrechtsfähig3 ist und für alle Schäden, die er anrichtet, haften soll. Nach dem Wortlaut des § 839 I BGB handelt es sich zunächst um eine Eigenhaftung des Beamten.4 Demgegenüber ordnet Art. 34 S. 1 GG allein eine unmittelbare Haftung des Staates an.5 Die Zusammenschau ergibt dann eine mittelbare Staatshaftung, indem die Haftung erst den Beamten selbst trifft, welche aber dann vom Staat mit befreiender Wirkung übernommen wird.6 Allerdings gilt zu beachten, dass Amtshaftungsansprüche nicht nur im Verhältnis Staat-Bürger, sondern auch zwischen Trägern öffentlicher Gewalt bestehen können.7
(3) Nachfolgend ein kurzer und grober Überblick und Vergleich der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen im Deliktsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs:
§ 823 I BGB | § 831 I 1 BGB | § 839 I BGB | |
---|---|---|---|
Tatbestand | - Wer: Jedermann | - Wer: Verrichtungsgehilfe | - Wer: Beamter im haftungsrechtlichen Sinn |
- Handlung: Verletzung eines absoluten Rechts | - Verletzungshandlung bei Ausführung der Verrichtung | - Verletzung einer Dienstpflicht ggü. anderen | |
- Haftungsbegründende Kausalität | - Mit Wissen und Wollen | - Bei Ausführung des Dienstes | |
- Und dadurch Rechtsgutsverletzung | |||
Rechtswidrigkeit | - Indiz aus Schädigung | gleich | gleich |
- Sonst: Positive Feststellung | |||
Verschulden | Maßstab: § 276 BGB | gleich | gleich |
Daraus lässt sich schließlich faustformelartig ableiten, dass „für den Staat (…) der § 839 BGB wie der § 831 BGB für den Privaten [ist]“.8
Schematische Übersicht
I) Handeln eines Amtsträgers9
- Eigenschaft des Beamten im statusrechtlichen Sinn → § 839 BGB allein
- Haftung des Staates → Art. 34 GG zusätzlich. Der Begriff des Amtsträgers ist weit auslegen, auch Angestellte/Beliehene fallen darunter10
- Der Begriff „öffentliches Amt“ ist funktionell zu verstehen. Es kommt nur drauf an, dass das schadensersatzbegründende Verhalten des Amtswalters dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.
- Die Zusammenschau beider Bestimmungen führt zur mittelbaren Staatshaftung: Sie trifft erst den Beamten, wird aber vom Staat übernommen und mit befreiender Wirkung zum ihm übergeleitet.
II) In Ausübung eines öffentlichen Amts11
- Nicht nur Handeln bei Gelegenheit
- Handeln muss in innerem und äußerem Zusammenhang zur Amtsausübung stehen12: Erfordert räumlich-zeitliche Beziehung und einheitlichen vom hoheitlichen Aufgabencharakter geprägten Lebenssachverhalt
- (P): Staatshaftung für das Handeln privater Unternehmer → „Werkzeugtheorie“: Handelnde müssen so weitgehend der Weisung der Verwaltung unterliegen, dass sie als verlängerter Arm des Staates erscheinen13
- (P): Falls Werkzeugtheorie (-): Grundsätzlich soll sich der Staat der Haftung nicht entziehen. Je stärker der hoheitliche Charakter in den Vordergrund tritt und je weniger Entscheidungsspielraum der Private hat, desto näher liegt eine Haftung des Privaten als Beamter im haftungsrechtlichen Sinn14
III) Verletzung einer Amtspflicht15
- Streng dogmatisch handelt es sich um die Verletzung einer Pflicht des Amtsträgers gegenüber dem Dienstherren, die drittschützend sein muss16
- Amtspflicht = persönliche Verhaltenspflicht des Amtswalters (aus dem gesamten geltenden Recht).17 Wohl am wichtigsten ist: Es besteht die Pflicht rechtmäßigen Handelns (Art. 20 III GG)18
- Verletzung = amtspflichtwidriges Verhalten
- (P): Amtswalter handelt nach außen rechtmäßig, im Innenverhältnis aber rechtswidrig: Es gilt dann, dass es erst zu einer Amtshaftung kommt, wenn in den Rechtskreis eines anderen eingegriffen wird und dies im Widerspruch zur Rechtsordnung steht19
IV) Drittbezogenheit der Amtspflicht20
- Geschädigter muss in den Schutzbereich der Amtspflicht fallen
- Wirkt haftungsbeschränkend21
- Drittbezogenheit ist anzunehmen, wenn die Amtspflicht auch subjektiv-öffentlichen Rechtspositionen des Bürgers dienen soll22
- Dreistufige Prüfung der Drittrichtung der Amtspflicht: (1) liegt Drittrichtung vor? (2) gehört Geschädigter zum Kreis der geschützten Personen? (3) wird das beeinträchtigte Interesse des Geschädigten von der Drittwirkung der verletzten Amtspflicht erfasst?
- (P): Grundsätzlich gibt es kein gesetzgeberisches Unrecht. Ausnahme: Einzelfall- & Maßnahmengesetze23
V) Verschulden i. S. v. § 276 BGB24
- Bezug: auf Amtspflichtverletzung; nicht Schaden25
- Beamter muss sich bewusst über eine Vorschrift hinwegsetzen
- Objektivierung des Verschuldens: Es kommt nicht auf die persönlichen Fähigkeiten des Amtswalters an, sondern eines pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten26
- Organisationsverschulden,27 z. B.: Wenn Behörde unterbesetzt ist → Verzögerung → Schaden: Die Verletzung liegt hier bei der zuständigen Stelle (i. d. R. beim Behördenleiter).
- Die Beweislast liegt beim Kläger28
VI) Schaden und Kausalität29
- Adäquanztheorie30: Wie wäre die Entwicklung bei pflichtgemäßem Handeln verlaufen und wie würde sich die Vermögenslage des Betroffenen danach darstellen?
- (P): Kausalität bei ermessensfehlerhaften Entscheidungen, die auch bei ordnungsgemäßer Ausübung des Ermessens hätten getroffen werden können: Rspr. Kausalität nur dann, wenn feststeht, dass bei korrekter Ermessensausübung die Behörde anders entschieden hätte.
- Die Art und der Umfang des Schadens bemisst sich nach den §§ 249 ff., 843 – 846 BGB31 mit der Besonderheit: Naturalrestitution immer (-), da nur Schadensersatz in Geld geleistet werden kann. Zudem: Die ordentlichen Gerichte sollen nicht durch die Vornahme einer hoheitlichen Tätigkeit in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltung eingreifen
VII) Haftungsausschlüsse32
- § 254 BGB
- § 839 I 2 BGB
- § 839 II BGB (Richterspruchprivileg)
- § 839 III BGB (Rechtsmittelversäumnis)
VIII) Anspruchsgegner33
- Grundsätzlich die Anstellungskörperschaft (Anstellungstheorie)34
- Funktionstheorie: Derjenige Hoheitsträger haftet, dessen Aufgabe der Amtswalter im konkreten Fall wahrgenommen hat35
- Sonst Anvertrauenstheorie: Die Stelle haftet, die dem Amtsträger die Aufgabe übertragen hat
- 1. Detterbeck, VerwR AT, § 21, Rn. 1098.
- 2. Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 2.
- 3. ebda.
- 4. Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 1.
- 5. ebda.
- 6. ebda.
- 7. Detterbeck, VerwR AT, § 21, Rn.1053.
- 8. Dietz im Examinatorium zum allgemeinen VerwaltungsR im WiSe 2014/15 an der Uni Augsburg.
- 9. Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 4 – 6.
- 10. ders., VerwR AT, § 37, Rn. 5.
- 11. ders., VerwR AT, § 37, Rn. 7.
- 12. Detterbeck, VerwR AT, § 21, Rn. 1058 – 1060.
- 13. BGHZ 48, 98 (103).
- 14. BGHZ 121, 161 (165 f.).
- 15. Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 8 – 11.
- 16. Detterbeck, VerwR AT, § 21, Rn. 1066 - 1068.
- 17. ders., VerwR AT, § 21, Rn. 1065.
- 18. Windthorst, JuS 1995, 892.
- 19. BGHZ 34, 375 (380).
- 20. Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 12 – 14.
- 21. ausdrücklich BGHZ 129, 17 (19).
- 22. BGHZ 140, 380 (382).
- 23. Detterbeck, VerwR AT, § 21, Rn. 1070 ff.; Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 14.
- 24. Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 15 – 19.
- 25. Detterbeck, VerwR AT, § 21, Rn. 1080.
- 26. ders., VerwR AT, § 21, Rn. 1079.
- 27. ders., VerwR AT, § 21, Rn. 1083.
- 28. Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 20.
- 29. ders., VerwR AT, § 37, Rn. 21 – 24.
- 30. Detterbeck, VerwR AT, § 21, Rn. 1085.
- 31. ders., VerwR AT, § 21, Rn. 1093 f.
- 32. Erbguth, VerwR AT, § 37, Rn. 25 – 30.
- 33. ders., VerwR AT, § 37, Rn. 31; Detterbeck, VerwR AT, § 21, Rn. 1096.
- 34. BGHZ 53, 217 (218 f.).
- 35. RGZ 158, 95 (99).