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opinio iuris
Die opinio iuris (dt. „Rechtsmeinung“/„Rechtsauffassung“/„Rechtsüberzeugung“), nach neuzeitlicher Schreibweise auch opinio juris1, ist gemäß der dualistischen Theorie des Gewohnheitsrechts2 – neben dem objektiven Element der langandauernden Übung (lat. longa consuetudo) – das notwendige subjektive Element für die Entstehung von Gewohnheitsrecht und bezeichnet die allgemeine Überzeugung der Rechtmäßigkeit einer Übung. Gebräuchlich ist auch der Terminus opinio iuris sive/vel/et necessitatis (dt. „Überzeugung von der Rechtmäßigkeit oder/und der Notwendigkeit“).
1. Manifestation
Die Rechtsüberzeugung (opinio iuris) hängt komplementär mit der langandauernden Übung (longa consuetudo) zusammen, beide Elemente bedingen sich einander. Fehlt also ein Element, kann kein Gewohnheitsrecht entstehen. Daher werden bei der Manifestation oftmals beide Elemente vorhanden sein. Eine klare Abgrenzung ist nicht stets möglich.3 So bilden beispielsweise Gewohnheitsrecht begründende Gerichtsentscheidungen das Element der consuetudo, enthalten aber auch das Element der opinio iuris, da solche Entscheidungen unter der Überzeugung der Rechtmäßigkeit gefällt werden. Die opinio iuris manifestiert sich aber nicht nur in Gerichtsurteilen, sondern z.B. auch in Gesetzen, die damit im Einklang stehen, oder in juristischer Literatur und Lehre.
Verfestigt sich die allgemeine Anerkennung der opinio iuris, so gilt sie als allgemeine Meinung (opinio communis). Man spricht dann gleichsam von der sog. herrschenden Meinung (h.M.). Wenn jedoch die Akzeptanz nur von den Gerichten oder der Fachliteratur herrührt, ist die opinio iuris nur Teil der ständigen Rechtsprechung (st. Rspr.) oder der herrschenden Lehre (h.L.). Bei einer solchen Divergenz ist klärungsbedürftig, ob im Sinne der Definition von einer „allgemeinen Überzeugung der Rechtmäßigkeit“ ausgegangen werden darf. In der Regel wird hierbei der Rechtsprechung eine bedeutendere Stellung beizumessen sein, da die Gerichte durch ihre Urteile zur ständigen Rechtsfortbildung beitragen. Im Gegensatz zur Literatur folgt einem Urteil eine faktische Wirkung; bei Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes gar eine allgemeinverbindliche Wirkung gemäß § 31 BVerfGG.4 Das Richterrecht, das auch maßgeblich eine Übung begründen kann, ist daher für die Manifestation einer Rechtsüberzeugung ausschlaggebend.
2. Beispiele
2.1. Art. 38 I lit. b IGH-Statut
Im Wortlaut des Art. 38 I lit. b IGH-Statut kommt die opinio iuris direkt durch „als Recht anerkannten“ zum Ausdruck.5
Art. 38 [Anzuwendende Rechtssätze]
(1) Der Gerichtshof, dessen Aufgabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an
a) internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festgelegt sind;
b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung;
c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze;
d) vorbehaltlich des Artikels 59 richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen.
(2) Diese Bestimmung läßt die Befugnis des Gerichtshofs unberührt, mit Zustimmung der Parteien ex aequo et bono zu entscheiden.
2.2. IGH, 20.02.1969
Der IGH führte im Nordseefestlandsockel-Fall folgendes zur opinio iuris aus:
NORTH SEA CONTINENTAL SHELF
(Federal Republic of Germany / Denmark; Federal Republic of Germany / Netherlands); International Court of Justice; February 20, 1969; General List: Nos. 51 & 52.
[...]
The essential point in this connection-and it seems necessary to stress it-is that even if these instances of action by non-parties to the Convention were much more numerous than they in fact are, they would not, even in the aggregate, suffice in themselves to constitute the opinio juris; -for, in order to achieve this result, two conditions must be fulfilled. Not only must the acts concerned amount to a settled practice, but they must also be such, or be carried out in such a way, as to be evidence of a belief that this practice is rendered obligatory by the existence of a rule of law requiring it. The need for such a belief, i.e., the existence of a subjective element, is implicit in the very notion of the opinio juris sive necessitatis. The States concerned must therefore feel that they are conforming to what amounts to a legal obligation. The frequency, or even habitual character of the acts is not in itself enough. There are many international acts, e.g., in the field of ceremonial and protocol, which are performed almost invariably, but which are motivated only by considerations of courtesy, convenience or tradition, and not by any sense of legal duty.
- 1. Jedoch kennt das klassische lateinische Alphabet den Buchstaben J nicht.
- 2. Auch Zwei-Elementen-Lehre genannt.
- 3. Vgl. International Law Association, Report London Conference 2000, S. 712, 718.
- 4. Vgl. ferner Art. 93 GG sowie Art. 100 GG.
- 5. Englische Fassung; französische Fassung.