Das gefälschte Prüfbuch

Städte und Gemeinden stehen oft hinter Musikveranstaltungen. Das ist gut. Menschen kommen zusammen, feiern, lachen, tanzen. Das trägt zum gemeinschaftlichen Wohlbefinden bei. Sie bringen die Gemeinde außerdem auch oft gebietsübergreifend ins Gespräch. Veranstalter von Open-Air-Konzerten bedienen sich in aller Regel zusätzlichen Equipments. Dazu gehören beispielsweise eine mobile Bühne für die Band und ein oder mehrerer entsprechender Zelte. Diese werden von Veranstaltungsort zu Veranstaltungsort wiederverwendet, auf- und abgebaut. Näher mit der Materie Befasste kennen sie auch als fliegende Bauten.

Sofern die Zelte eine gewisse Größe erreichen, also eine bestimmte Besucherzahl erfassen und folglich eine entsprechende Grundfläche haben, sind diese durch die unteren Baurechtsbehörden vorher abzunehmen. Derartige fliegende Bauten bedürfen auch einer Ausführungsgenehmigung. Die Ausführungsgenehmigung ist, wie eine Baugenehmigung, ein Verwaltungsakt, den der Veranstalter im Prüfbuch vorzulegen hat. Der Ausführungsgenehmigung sind, wie häufig einer Baugenehmigung auch, verschiedene weitere Unterlagen beigefügt. Hierzu gehören beispielsweise Bau- und Betriebsbescheinigungen, statische Nachweise und noch Weiteres. Die Ausführungsgenehmigungen werden jedenfalls in Baden-Württemberg nach der momentanen Rechtslage vom TÜV Süd in Filderstadt erteilt und auch verlängert. Auch die Verlängerungsentscheidungen werden ins Prüfbuch geheftet.

Musikveranstalter sind Experten auf ihrem Gebiet und brauchen hierzu teils hohes Organisationsgeschick. Schließlich gehören auch eher unbeliebte Behördengänge dazu. So legte der Veranstalter das Prüfbuch der Baurechtsbehörde zwar zeitlich knapp, aber noch rechtzeitig vor der stattzufindenden Abnahme vor. Trotzdem gab dieses Anlass zu Zweifeln: Die ausgestellte Ausführungsgenehmigung und Verlängerungsentscheidungen waren teilweise nicht gesiegelt oder unterschrieben, und selbst wenn, dann erschien die Unterschrift des zuständigen Sachbearbeiters jedenfalls nicht echt und eher nachträglich aufkopiert. Auf Nachfrage bei der in den Verlängerungsentscheidungen genannten TÜV-Stelle in Nordrhein-Westfalen ergab sich, dass der in den Verlängerungsentscheidungen genannte Sachbearbeiter schon seit Längerem nicht mehr im Dienst sei. Interessant. Es spräche für sehr viel beruflichen Elan, selbst im Ruhestand noch Verlängerungsentscheidungen auszustellen.

Ob das abnahmepflichtig Zelt also standsicher war, konnte nicht beurteilt werden.

Die Zeit drängte. Der informierte Veranstalter erwog, Strafanzeige gegen den Zeltvertriebler zu stellen. Es gab viele Telefonate. Was tun? Eine Baurechtsbehörde mal wieder als Spielverderber? Es wäre nicht das erste Mal. Nicht erst seit den Fernsehauftritten von Marco Scheel waren Baurechtsbehörden immer wieder in die Schlagzeilen gelangt.

Immerhin konnte ein renommierter Sachverständiger für Zirkuszelte – ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen – erreicht werden. Ob dieser den Veranstaltungsort im Süden Baden-Württembergs rechtzeitig erreichte? Mit Glück, Kaffeesatz und einer unendlich kurzen Nacht vielleicht schon.

Gleichzeitig gab es wegen der Ungewissheit auch Anlass, bauaufsichtlich tätig zu werden, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Eine (vorläufige) Nutzungsuntersagung kam jedenfalls in Betracht.

Da es sich um eine Wochenendveranstaltung handelte, stellte sich die Frage, wie eine entsprechende Entscheidung näher ausgestaltet werden sollte. Die reelle Chance bestand jedenfalls, dass die Sache noch gut ausgehen konnte. Vieles hing vom Sachverständigen und dessen rechtzeitigem Erscheinen ab. Sofern dieser nach entsprechender Prüfung bescheinigte, dass das Zelt standsicher sei, könnte jedenfalls über einen Kompromiss nachgedacht werden.

In dem Fall sollte sich dann gleichzeitig auch die (vorläufige) Nutzungsuntersagung erledigen.

Das Ziel hätte vielleicht mit einem Widerrufsvorbehalt als Nebenbestimmung erreicht werden können. Optimal wäre das aber nicht gewesen. In dem Fall hätte es jemanden benötigt, der den Widerruf auch tatsächlich ausspricht. Und jeder, der einmal den Versuch unternommen hat, eine normale Behörden samstags zu erreichen, weiß, dass dies unmöglich oder nur äußerst schwierig ist.

Eine auflösende Bedingung in der (vorläufigen) Nutzungsuntersagung war in dem Fall besser. Sofern die Sachverständigenprüfung positiv verlief, bestand an sich vorerst kein Grund mehr dafür, weiter bauaufsichtlich tätig zu werden. Der positive Verlauf einer entsprechenden Prüfung konnte als erledigendes Element erkannt werden.

Der Sachverständige erschien wenige Stunden vor Veranstaltungsbeginn.

Dessen Prüfung ergab: Alles war OK.