RG, 05.10.1880 - IVa 195/80

Daten
Fall: 
Lex commisoria
Fundstellen: 
RGZ 2, 333
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.10.1880
Aktenzeichen: 
IVa 195/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht Berlin.
  • Kammergericht Berlin.
Stichwörter: 
  • Verbot der Lex commisoria beim Pfandvertrage

Ist im Geltungsbereiche des preußischen Landrechts das Verbot der lex commisoria beim Pfandvertrage durch das Bundesgesetz betreffend die vertragsmäßigen Zinsen vom 14. November 1867 beseitigt?

Tatbestand

Der Kläger hat dem Beklagten eine Hypothekforderung von 3600 M. cediert und von ihm 1500 M. erhalten. Das thatsächlich zu Grunde liegende Geschäft soll ein Darlehn von 1500 M. auf drei Monate gegen 112 M. 50 Pf. Zinsen unter der Abrede gewesen sein, daß die Hypothek nur als Pfand diene und dem Beklagten für seine Forderung von 1612 M. 50 Pf. eigentümlich zufalle, wenn Kläger nicht innerhalb dreier Monate das Darlehn nebst Zinsen erstatte. Die Cession soll nur zur Verschleierung des wirklichen Geschäfts gedient haben. Das Darlehn ist nicht zurückgezahlt; gleichwohl wurde klagend Rückcession der Hypothek nebst Zinsen gegen Zahlung von 1612 M. 50 Pf. gefordert.

Der Appellationsrichter hat die Klage abgewiesen, weil das Verbot der lex commisoria durch das Bundesgesetz v. 14. November 1867 aufgehoben sei. Im übrigen aus den Gründen:

Gründe

"Ob das Verbot der lex commisoria, durch das Gesetz vom 14. November 1867 beseitigt ist, darüber herrscht Meinungsverschiedenheit. Die einen ( Förster Grundbuchrecht S. 174, Theorie und Praxis Bd. Ill. S. 384; Hinschius, Zeitschrift Bd. II S. 31) behaupten die Aufhebung, die anderen ( Dernburg, preuß. Privatrecht, Bd. I S. 756; das vorm. preuß. Ob.-Trib. in den Entsch. Bd. 65 S. 38, Bd. 67 S. 183; Bahlmann, preuß. Grundbuchr. Einleit. S. 11; Windscheid, Pandekten §. 238 Note 3; Achilles, dritte Aufl. S. 266 Note 5) verneinen sie.1

Für die Verneinung sprechen überwiegende Gründe.

Der Appellationsrichter geht von der Unterstellung aus: "der Wert des Pfandes übersteige in der Regel den Betrag der Schuld." Von dieser Unterstellung aus gelangt er zu der Ausführung:

"das pactum commissorium enthalte die Abrede einer Konventionalstrafe, indem dasjenige, was der Gläubiger über den Betrag der Schuld nebst Zinsen hinaus erhalte, den Charakter einer Strafe für den Schuldner trage. Da sonach das Verbot der lex commisoria wesentlich in der Verhütung des darin gewöhnlich verkleideten Zinswuchers liege, so sei dasselbe durch das Gesetz vom 14. November 1867 für aufgehoben zu erachten."

Der Ausführung steht von vornherein die Unzulässigkeit der Annahme einer Konventionalstrafe für diejenigen Fälle entgegen, wo die Vertragenden darüber einig gewesen sind, daß der Wert des Pfandes den Schuldbetrag sowohl zur Zeit der Vertragsschließung nicht erreicht, als auch zur Verfallzeit hinter ihm zurückbleiben oder ihn doch nicht übersteigen wird; denn in diesen Fällen kann den Schuldner durch den Pfandverfall Schaden nicht treffen.

Sodann zeigt die Entstehungsgeschichte des Verbots der lex commisoria, daß das Verbot, als es zuerst erlassen wurde, nicht auf die Fälle des Wuchers hat beschränkt werden sollen. Dasselbe ist von Constantin erlassen mit Rücksicht auf die captiones und die crescens asperitas der Gläubiger. Mag immerhin aus dieser Rücksicht zu schließen sein, daß das Verbot auch gegen die Wucherer gerichtet gewesen ist und den Zweck verfolgt hat, den Wucherern eine bis dahin sehr leichte Gelegenheit zu nehmen, sich auf Kosten bedrängter Schuldner zu bereichern; so erscheint es doch unzulässig anzunehmen, daß das Verbot nur dann, wenn die lex commisoria im Einzelfalle einen Wucher darstellte, hätte eintreten sollen. Denn diese ist schlechthin verboten, nicht bloß für den Fall der Übersteigung des Zinsmaximums durch den Pfandwert. Das Verbot der lex commisoria ist also nicht ein Verbot des Wuchers. Vielmehr enthält die Constantinsche lex ein im Interesse des Gemeinwohles erlassenes, allgemeines, nicht auf den Fall des Wuchers beschränktes absolutes Verbot einer gewissen Verpfändungsweise ( Warnkönig, Archiv f. civ. Praxis, Bd. 24 S. 357 flg., 360).

Von gleichem Standpunkte sind die Redaktoren des preuß. Landrechts ausgegangen. Bei der Fassung des §. 33. A.L.R, I. 20:

"Ein Vertrag, daß bei ausbleibender Zahlung die verpfändete Sache dem Gläubiger für die Schuld oder für einen im voraus bestimmten Wert zufallen soll, ist in Ansehung beider Teile ohne Wirkung"

kann es keinem Zweifel unterliegen, daß im Geltungsbereich des preuß. Landrechts - innerhalb desselben ist das Geschäft geschlossen, welches Kläger anficht - das Verbot der lex commisoria, ein absolutes ist und eine Einschränkung auf die Fälle des Wuchers nicht erleidet: mit anderen Worten, das Verbot greift durch, auch wenn klar vorliegt, daß durch den Pfandwert ein wucherlicher Gewinn dem Gläubiger überall nicht zugeführt wird und nicht zugeführt werden sollte. Es hat demgemäß im System des Landrechts seine Stelle nicht unter den Vorschriften über Konventionalstrafe oder den Zinsfuß (Tit. 5 und 11), sondern im Titel über das Pfandrecht erhalten.

Das Gesetz vom 14. Nov. 1867 nennt sich: "Gesetz betreffend die vertragsmäßigen Zinsen"; es will die Höhe der Zinsen, die Höhe und Art der Vergütung für Darlehn und andere kreditierte Forderungen, sowie die Höhe der Konventionalstrafe für unterlassene Zahlung eines Darlehns oder anderer kreditierter Forderungen der freien Vereinbarung überlassen wissen und hebt die entgegenstehenden privatrechtlichen und strafrechtlichen Bestimmungen auf. Es kann sich also nur fragen: steht dieser freien Vereinbarung das Verbot der lex commisoria entgegen? Das ist zu verneinen, weil eine solche freie Vereinbarung über die Höhe der Vergütung und die Einschränkung bezüglich der Art und Weise, wie sich der Gläubiger aus dem Pfände befriedigt machen darf, keine Gegensätze sind. Ebensowenig wie aus dem Wortlaute des Gesetzes ergeben sich aus den im Reichstage über das Gesetz gepflogenen Verhandlungen Anhaltpunkte dafür, daß der Gesetzgeber die Aufhebung des Verbots der lex commisoria, gewollt hat. Motive sind zum Gesetzentwürfe nicht gegeben worden. Förster beruft sich zwar auf die Motive des preuß. Gesetzes über Grundeigentumserwerb vom 5. Mai 1872, und allerdings wird dort erwähnt:

es bedürfe keiner Aufhebung des Verbots der lex commisoria im vorliegenden Gesetzentwurfe, weil das Verbot bereits durch das Bundesgesetz vom 14. November 1867 aufgehoben sei.

Indessen erscheint diese Erwähnung des Redakteurs des preuß. Gesetzesentwurfes über Grundeigentum nicht geeignet, einen sicheren Anhalt dafür zu gewähren, daß der deutsche Gesetzgeber durch das Gesetz über die vertragsmäßigen Zinsen das in die Lehre vom Pfandrechte eingreifende Verbot der lex commisoria, hat aufheben wollen.

Auch das Gesetz vom 5. Mai 1872 enthält keinerlei Bestimmungen, aus welchen die Aufhebung des §. 33 A.L.R. I. 20 zu folgern wäre. Die §§. 25 bis 32 das. verordnen, in welcher Weise der Pfandgläubiger sich aus dem Pfände befriedigen darf; daran ist in §. 33 das Verbot der lex commisoria angeknüpft. Das Gesetz vom 5. Mai 1872 ordnet nicht die ganze Lehre vom Pfandrechte neu, insbesondere enthält es keine allgemeinen Bestimmungen, wie der Pfandgläubiger sein Pfandrecht geltend machen darf; nur in den §§. 43 flg. bestimmt es, wie im Wege der Zwangsvollstreckung der Gläubiger seine Befriedigung aus verpfändeten Grundstücken erwirken darf. Daß es darüber schweigt, ob die lex commisoria gestattet sein soll, erscheint nicht geeignet, den Schluß zu rechtfertigen, daß es die lex commissoria. freigegeben habe. Es enthält keine Sätze, welche dem Verbot der lex commisoria durch das ältere Recht widersprächen. Und nur dann tritt das ältere Recht infolge der Bestimmungen des neueren Rechts außer Wirksamkeit, wenn die Normen des neueren Rechts denen des älteren Rechts widersprechen. Rechtssätze des älteren Gesetzes sind um deshalb allein, weil sie im neueren Gesetze unerwähnt gelassen worden, für beseitigt nicht zu erachten. Daran kann nichts ändern, daß etwa nach den Motiven die Absicht des Redakteurs des neuen Gesetzes eine weitergehende gewesen ist. Ist diese Absicht im neuen Gesetze selbst nicht zum Ausdruck gekommen, so hat sie eben das neue Gesetz nicht verwirklicht. Vollends können die Grundsätze des älteren Gesetzes nicht um deshalb für beseitigt erachtet werden, weil der Redakteur des neueren Gesetzes, infolge des Irrtums, diese Grundsätze seien bereits durch ein anderes Gesetz aufgehoben, es versäumt hat, die Aufhebung im neuen Gesetze auszusprechen.

Auch wenn man annehmen könnte, Motiv für das Verbot der lex commisoria sei gewesen, den Wucher zu erschweren, und dieses Motiv sei, da der Wucher freigegeben, weggefallen, würde der bloße Wegfall des Motivs das Verbot selbst nicht beseitigt haben. Überdies läßt sich nicht einmal behaupten, daß mit der Freigabe des Wuchers das Motiv für das Verbot der lex commisoria weggefallen ist. Der Gesetzgeber kann füglich es für zweckmäßig erachten, den Wucher freizugeben, und doch Vorschriften zu geben, welche es dem Wucherer erschweren, die Not des bedrängten Schuldners auszubeuten. Die Entstehungsgeschichte des Verbots der lex commisoria führt auf solche Absicht; denn das Verbot ist zu einer Zeit erlassen worden, wo der Wucher selbst statthaft war und dem Gläubiger die wucherische Ausbeutung des Schuldners nur erschwert werden sollte."

  • 1. Vgl. Entsch. d. R.O.H.G.'s Bd. 1 S. 45, Bd. 4 S. 357.]